Thüringens Weg in die Soziale Marktwirtschaft - Franz Schuster - E-Book

Thüringens Weg in die Soziale Marktwirtschaft E-Book

Franz Schuster

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Beschreibung

25 Jahre nach der Wiederherstellung der Deutschen Einheit wird es Zeit für eine Bilanz. Der Fokus dieser Studie, die auf der Expertise von Akteuren beruht, liegt auf der wirtschaftlichen Entwicklung des Freistaates Thüringen und der dort vollbrachten Aufbauleistung. Um die Ausgangssituation für diesen beispiellosen Transformationsprozess zu verdeutlichen, steht am Beginn eine kurze Schilderung der desolaten Wirtschaftslage in der DDR Ende der 1980er Jahre. Ein Überblick über die Maßnahmen, die die Bundesregierung treffen musste, um die sozialistische Planwirtschaft der DDR in die Soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik zu überführen, zeigt die von allen Beteiligten geleisteten Anstrengungen auf. Um den Beitrag der Treuhandanstalt in diesem Transformationsprozess darzulegen, wird ein Einblick in deren Arbeit gegeben. Auch werden Unternehmen in Thüringen dargestellt, die umstrukturiert, neu gegründet oder angesiedelt wurden und die somit zum Aufbau einer wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstruktur im Freistaat beigetragen haben. Ein Überblick über die unterschiedlich verlaufene wirtschaftliche Entwicklung in den einzelnen Thüringer Regionen zeigt zudem auf, was auf dem Weg vom Aufbau Ost zum Ausbau Ost im Freistaat Thüringen erreicht wurde.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: VEB Eisenach und Opel Eisenach. Picture alliance/ZB.

© 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar WienUrsulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzesist unzulässig.

Korrketorat: Denise Lindsay, Sankt AugustinSatz: synpannier. Gestaltung & Wissenschaftskommunikation, BielefeldDruck und Bindung: Wilco, Amersfoort

ISBN 978-3-412-22499-8 (Print)

Datenkonvertierung: Lumina Datamatics, Griesheim

ISBN für dieses eBook: 978-3-412-21825-6

Inhalt

Vorwort von Bernhard Vogel

Zur Einführung

Von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft

Der ökonomische Zusammenbruch der DDR

Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion

Rahmenbedingungen der Privatisierung

Der Auftrag der Treuhandanstalt

Die Treuhandanstalt und die Folgen

Umwandlung der volkseigenen Betriebe in Kapitalgesellschaften und deren Privatisierung

Privatisierung der Industrie und anderer Wirtschaftssektoren

Sektorale Großprojekte der Treuhandanstalt

Regionale Entwicklungsschwerpunkte der Treuhandanstalt in Thüringen

Privatisierung von Stammbetrieben

Reprivatisierung

Privatisierung in Handel, Land- und Forstwirtschaft, Handwerk

Restaufgaben der Treuhandanstalt und ihrer Nachfolgeorganisation Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben

Vertragsmanagement

Abwicklung

Umwelt/Altlasten

Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft/Bodenverwertungs-und -verwaltungsgesellschaft

Privatisierungen in den Regionen

Strukturentwicklungen in Mittel-, West- und Nordthüringen

Privatisierung und Strukturprobleme in Ostthüringen

Privatisierung und Wachstum in Südthüringen

Arbeitsmarkt- und sozialpolitische Flankierung der Privatisierung

Bilanz der Treuhandanstalt

Industrialisierung im Freistaat Thüringen

Das strukturpolitische Instrumentarium des Landes

Landesentwicklungsgesellschaft

Thüringer Aufbaubank

Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung

Vom Aufbau Ost zum Ausbau Ost

Aufschwung und Gefahren

Wirtschaftspolitische Zukunftsstrategien

Anlagen

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Vorwort von Bernhard Vogel

Mehr als 25 Jahre nach dem Fall der Mauer und 25 Jahre nach dem Beitritt der wiedererstandenen ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik Deutschland, mehr als 20 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion und des Warschauer Paktes ist es an der Zeit, vorläufig Bilanz zu ziehen.

Historiker werden erst in einigen Jahrzehnten, mit größerem Abstand, darüber urteilen, welche Bedeutung die Jahrzehnte der Teilung und schließlich die Wiedervereinigung für den Gang der gemeinsamen deutschen Geschichte gehabt haben und wie lange beides nachwirkt.

Es könnte durchaus sein, dass die deutsche Teilung nur noch als eine vorübergehende, durch den Zweiten Weltkrieg bedingte Unterbrechung der gemeinsamen deutschen Geschichte erscheint. Ähnlich, wie die als Folge des Ersten Weltkrieges entstandene Weimarer Republik mehr und mehr zur Vorgeschichte zum ersten, allerdings tragischer Weise misslungenen Versuch, ein demokratisches deutsches Staatswesen zu schaffen, geworden ist. Es könnte sein, dass die vom Ende des DDR-Unrechtsstaates, von der Wiederherstellung der Deutschen Einheit und vom Zerfall des Warschauer Paktes sowie der Sowjetunion ausgelösten Impulse zur Weiterentwicklung der Europäischen Union aber auch zur Neupositionierung Russlands dominieren. Gerade darum sollte zeitnah festgehalten werden: Wie kam es zur Friedlichen Revolution von 1989 in der DDR? Was erwarteten die Deutschen von der Überwindung der Teilung ihres Vaterlandes? Welche Probleme stellten sich, welche Schwierigkeiten mussten überwunden werden? Was ist gelungen, was misslungen? Was bleibt für die Zukunft noch zu tun? Vielen fällt es schon heute schwer, sich zu erinnern, nicht vom Heute auf das Gestern zu schließen, sondern sich in die Vergangenheit zurückzuversetzen. Allzu leicht und allzu schnell werden oberflächliche, oft auch einseitige Urteile gefällt, die dem tatsächlichen Geschehen nicht gerecht werden. Wer nach 1980 geboren ist – rund ein Drittel unserer Bevölkerung –, hat die besonders stürmischen 1990er Jahre allenfalls noch als kleines Kind miterlebt und ist auf Zeitzeugen-Erzählungen seiner Eltern oder Großeltern angewiesen. Wer aber selbst dabei war und sich erinnert, sollte bedenken, aus welchem Blickwinkel er zum Zeitzeugen wurde. Ob als kaum beteiligter Zuschauer oder als Mitwirkender, als unmittelbar Betroffener, als Gewinner oder als Opfer der Veränderung, als Wähler oder als Gewählter.

Einer, der an besonders verantwortlicher Stelle, als langjähriges Mitglied eines ostdeutschen, des Thüringer Landeskabinetts und auch seines [<<7||8>>] Landtags, Verantwortung getragen hat, hat sich dankenswerterweise dieser Aufgabe gestellt.

Franz Schuster hat im Februar 1992 keinen Augenblick gezögert, die vorbereitete Urkunde seiner Ernennung zum Präsidenten des Statistischen Landesamtes von Baden-Württemberg nicht in Empfang zu nehmen, sondern den Sprung ins kalte Wasser zu wagen und mit mir nach Thüringen zu gehen. Zunächst – für wenige Monate im Jahre 1992 – als Minister in der Staatskanzlei, dann für kurze Zeit (von Dezember 1992 bis Oktober 1994) als Innenminister und schließlich für neun Jahre als Minister für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur.

Als Innenminister gelang ihm in für westdeutsche Erfahrungen vergleichsweise unglaublich kurzer Zeit eine umfassende kommunale Verfassungs- und Gebietsreform. Aus 35 zum Teil nicht lebensfähigen Kreisen wurden 17 Kreise mit um die 100.000 Einwohnern. Der Aufbau der Landesverwaltung wurde in Angriff genommen. Eine Bildung von Regierungsbezirken unterblieb. Auch, weil sie zu einem Fortbestand der alten, verhassten, 1952 eingeführten drei Bezirke hätte führen müssen. Stattdessen wurde ein Landesverwaltungsamt mit den Funktionen einer Mittelbehörde für ganz Thüringen geschaffen.

Als Wirtschaftsminister fielen ihm vor allem zentrale wirtschafts- und verkehrspolitische Koordinierungsaufgaben beim Aufbau des Freistaates zu: Die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen durch Privatisierung und Neugründung oder Stilllegung von Unternehmen und der Aufbau einer zukunftsgerechten Verkehrsinfrastruktur, z. B. durch die Verwirklichung der zahlreichen, Thüringen betreffenden „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“.

Wenn der Freistaat Thüringen heute in vieler Beziehung keinen Vergleich mit westdeutschen Ländern mehr zu scheuen braucht, wenn die Arbeitslosigkeit von Anfang an niedriger lag als in den anderen ostdeutschen Ländern und heute unter der von Nordrhein-Westfalen liegt, wenn ein leistungsfähiger Mittelstand sich als besonders widerstandsfähig erweist, dann ist das in ganz erheblichem Maße sein Verdienst. Tag und Nacht hat er sich mit seiner ganzen Kraft, mit seinem Wissen und seinen Fähigkeiten, oft mit Härte, aber noch öfter mit Konzilianz, immer mit Leidenschaft dieser Aufgabe gewidmet, stets das Ziel vor Augen, die Folgen der Teilung, die ideologischen und vor allem die wirtschaftlichen Schäden eines sozialistischen Unrechtsstaates so zügig wie möglich zu überwinden.

Aus seinen Erfahrungen heraus ist dieses Buch entstanden, indem er den Weg Thüringens in die Soziale Marktwirtschaft bis ins Detail beschreibt, eine erste Bilanz zieht und einen Blick auf die zukünftige Entwicklung wirft.

Dem Anteil der Treuhand, noch unter der Regierung Modrow gegründet, aber nach den ersten freien Volkskammerwahlen und dem Beitritt der [<<8||9>>] jungen Länder zur Bundesrepublik Deutschland weiter entwickelt, kommt dabei besondere Bedeutung zu. Sie hatte eine ungeheuer vielschichtige und schwierige Aufgabe noch dazu in kürzester Zeit zu bewältigen. Sie wurde und sie wird viel gescholten, und sie hat ohne Zweifel auch Fehler gemacht. Aber sie und insbesondere ihre letztzuständigen Verantwortlichen, zunächst Detlev Karsten Rohwedder und danach Birgit Breuel, verdienen es, verteidigt und in Schutz genommen zu werden. Ja, sie verdienen Dank für ihre Arbeit. Ihren Kernauftrag, Ostdeutschland vor der De-Industrialisierung zu bewahren, hat die Treuhand alles in allem erfolgreich erfüllt.

Die westdeutsche Wirtschaft befand sich zur Stunde der Wiedervereinigung in sehr guter Verfassung. Ihre Industrie war nur zu 70 Prozent ausgelastet. An zusätzlichen Kapazitäten fehlte es nicht. Es wäre ihr durchaus möglich gewesen, die ostdeutsche Bevölkerung, trotz ihres sehr großen Nachholbedarfs, mit zu versorgen, zumal vor allem in den ersten Jahren von Ostdeutschen westdeutsche Produkte bevorzugt und ostdeutsche Produkte vielfach gemieden wurden. Der in Eisenach gebaute Wartburg hätte weiter produziert werden und die dort beschäftigten Arbeiter hätten – mit öffentlichen Mitteln finanziert – weiter tätig sein können. Nur, Ostdeutsche hätten Opel, Ford und Volkswagen aus westdeutscher Produktion gekauft. Der Wartburg wäre so gut wie unverkäuflich gewesen. Es musste gelingen, so zügig wie möglich volkseigene Betriebe zu privatisieren und sie national sowie international wettbewerbsfähig zu machen, oder sie mussten stillgelegt werden. Und es musste gelingen, neue Betriebe – auch Zweigwerke westdeutscher Firmen – für Ostdeutschland zu gewinnen, z. B. durch die Ansiedlung von Opel in Eisenach oder durch den Aufbau der JENOPTIK in Jena, und alte Industriestandorte zu erhalten, oft unter Inkaufnahme erheblicher Arbeitsplatzverluste. Es musste gelingen, marode Produktionsanlagen durch moderne, wettbewerbsfähige Maschinen zu ersetzen. Nur so konnte es auch gelingen, die weitere Abwanderung von Arbeitskräften nach Westdeutschland, wenn schon nicht zu stoppen, so doch wenigstens zu begrenzen. Vor allem mit Hilfe der Arbeit der Treuhand ist der Umbau einer sozialistischen Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft gelungen. Auch wenn wir erfahren mussten, dass sich der Umbau im Osten nach 1989 als schwieriger erweisen sollte als der Neubau nach 1945 in Westdeutschland. Eine einmalige, neue Erfahrung. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass dieser Umbau mit erheblichen Opfern verbunden war. Mehr als drei von vier Arbeitsplätzen gingen, zumindest zunächst, verloren.

Von 1989 bis 1992 brachen in den neuen Ländern insgesamt 2,3 Millionen Arbeitsplätze im industriellen Sektor weg. Nur 700.000 blieben [<<9||10>>] erhalten. Viele der Betroffenen haben keinen oder zumindest keinen adäquaten Arbeitsplatz mehr gefunden. Sie hatten ihre bisherige Lebensleistung oft unter ungleich schwierigeren Bedingungen als wir Westdeutsche erbracht. Sie schienen jetzt zu Opfern des Umbaus zu werden. Für sie bekam die Freude über den Wegfall der unmenschlichen Grenze und die wiedergewonnene Einheit, die erkämpften demokratischen Rechte und die ersehnte Freiheit einen bitteren Beigeschmack. Für mich einer der Gründe, warum wir zwar heute in Thüringen eine weitgehend verbesserte und erheblich ausgebaute Verkehrsinfrastruktur vorfinden (A 4, A 9, A 71, A 73, A 38, ICE-Strecke Berlin-Erfurt-München), restaurierte Burgen, Schlösser und Kirchen, blühende Städte und Dörfer, sanierte Plattenbauten und neue Wohnsiedlungen, neue Kliniken, neue Schulen, neu gegründete Hochschulen und Universitäten, aber immer noch unzufriedene und enttäuschte Mitbürger haben, die sich schwer tun, unsere Freude über das in erstaunlich kurzer Zeit Erreichte zu teilen.

Auf die allgemeine Hochstimmung, die uns Deutsche zum „glücklichsten Volk der Erde“ machte, folgte bald der mühsame Weg durch die Ebene, die Aufgabe, nach Vollendung der staatlichen Einheit die innere Einheit Deutschlands zu vollenden, schier unlösbare Probleme zu lösen und Geduld anzumahnen. Man erwartete nicht nur Hilfe vom Westen, sondern verglich sich – verständlicherweise – auch stets mit dem Westen. Vom Westen, der viel weniger vom Osten wusste, als der Osten vom Westen, und der sich sehr bald wieder seinen eigenen, alltäglichen Aufgaben zuzuwenden begann.

Wir werden diese Ebene erst endgültig durchschritten haben, wenn wir begreifen, dass die Folgen der deutschen Teilung nicht alle in unserer Generation überwunden werden können, dass wir aber die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass sie für spätere Generationen nur noch Geschichte sein werden.

Die Menschen in den neuen Ländern waren in bewundernswertem Umfang bereit, selbst Hand anzulegen, auch bei Aufgaben, die sie nicht kannten und auf die sie nicht vorbereitet waren. Und eine große Zahl Westdeutscher war bereit, vom einen auf den anderen Tag beim Aufbau zu helfen und dafür ebenfalls Opfer auf sich zu nehmen. Einige wenige schwarze Schafe dürfen diese Tatsache nicht verdunkeln.

Das vorliegende Buch leistet einen bedeutsamen, überaus nützlichen Beitrag, dies alles besser zu verstehen. Auch darum wünsche ich ihm viele aufmerksame, aber auch kritische Leser. [<<10||11>>]

Zur Einführung

Ein Vierteljahrhundert nach der Wiederherstellung der Deutschen Einheit wird es Zeit für eine Bilanz: Ist der Einigungsprozess gelungen? Haben sich die Lebensverhältnisse der Menschen im Osten an die der Menschen im Westen angeglichen? Ist der Transformationsprozess der Wirtschaft erfolgreich verlaufen? Konnten Wohnungen, Städte und Dörfer, die Infrastruktur und die öffentliche Verwaltung an das westliche Niveau angepasst werden?

Die vorliegende Studie geht von drei Erfahrungen vor und nach der Wiedervereinigung aus:

–Der Niedergang der DDR-Wirtschaft war systembedingt und vom Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe mitverursacht.

–Der Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR über die Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion war eine geeignete Grundlage für den Aufbau Ost.

–Die Übertragung der Privatisierungsaufgaben an eine Treuhandanstalt öffentlichen Rechts hat sich als sinnvoll erwiesen.

Diese Erfahrungen werden in den Eingangskapiteln erörtert. Daran schließt sich die Behandlung des Auftrags der Treuhandanstalt und des Transformationsprozesses von der Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft an, für die es kein Vorbild und keine Vorbereitungszeit gab. Im Mittelpunkt der Studie steht die Privatisierung der Industrie und anderer Wirtschaftssektoren einschließlich deren arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Flankierungen. Ein weiteres Kapitel behandelt den Beitrag des Freistaates Thüringen zur Privatisierung und das dafür notwendige strukturpolitische Instrumentarium. Die Aufgaben der Privatisierung liegen nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Zukunft. Sie werden unter das Motto gestellt: Vom Aufbau Ost zum Ausbau Ost.

Die Studie weist nach, dass der Transformationsprozess mit Abschluss der Tätigkeit der Treuhandanstalt noch nicht beendet war, sondern von der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben fortgesetzt und von den neuen Ländern ergänzt und abgeschlossen wurde. Dieser Zusammenhang – Treuhandanstalt, Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben und neue Länder – wurde bisher im Schrifttum noch nicht untersucht, obwohl er eindeutig nachweisbar ist.

Um die These von der Treuhandanstalt als „Plattmacher“ zu widerlegen, wurden sehr viele Unternehmen in Thüringen benannt, die abgewickelt, [<<11||12>>] umstrukturiert, neu gegründet oder angesiedelt wurden und die zum Aufbau einer wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstruktur beigetragen haben.

Außerdem wurde ein besonderes Kapitel zur Abwicklung von Unternehmen aufgenommen, das deutlich macht, dass die Abwicklung nicht mit „plattmachen“ gleichzusetzen ist.

Es konnte nicht vermieden werden, dass Zahlenangaben in unterschiedlichen Währungseinheiten gemacht werden. Da in der Literatur häufig entweder D-Mark- oder Euro-Zahlen genannt werden, ließen sich die Werteinheiten nicht vereinheitlichen. Die die Unternehmen betreffenden Zahlen spiegeln unterschiedliche Statistiken wider, der Berechnungsmodus differierte, die Zahlenbasis der Betriebe hat sich laufend verändert.

Ein großes Informationsdefizit folgt nach wie vor aus dem Beschluss des Bundesfinanzministers, Treuhand-Akten über konkrete Privatisierungsfälle nicht zur Veröffentlichung freizugeben. Daraus ergibt sich eine große Lücke bei Aussagen zu bestimmten Privatisierungsfällen. Dementsprechend beschränken sich viele Veröffentlichungen bisher noch auf die Vorgeschichte und die Rahmenbedingungen der Privatisierung. Und sie bleiben damit an der Oberfläche des Themas.

Um trotz der amtlichen Sperrfrist von 30 Jahren zu fundierten Aussagen über die Privatisierungsergebnisse zu gelangen, stützt sich diese Studie auf Erfahrungen und Berichte von Zeitzeugen, die entweder in der Treuhandanstalt, in der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben oder in Landesministerien tätig und mit der Privatisierung befasst waren. Dazu zählen nicht nur die im Folgenden genannten Autoren, sondern viele andere Persönlichkeiten, die mündlich Stellung genommen und damit zur empirischen Absicherung der Inhalte der Studie beigetragen haben.1

Im Unterschied zu vielen anderen Studien liegt der Fokus auf den Privatisierungserfahrungen in Thüringen, so dass die wirtschaftlichen und sozialen Privatisierungsfolgen sehr konkret beschrieben werden konnten.

Mein Dank gilt Ministerpräsident a. D. Professor Dr. Bernhard Vogel, den seine langjährigen Regierungserfahrungen veranlasst haben, eine Studie zu initiieren, die den Weg des Freistaates Thüringen in die Soziale Marktwirtschaft beschreibt. Ich danke ihm zudem für seine Bereitschaft, zu dieser Studie ein Vorwort zu verfassen.

[<<12||13>>] Diese Studie ist in enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit

Herrn Dr. Günter Link und Herrn Dr. Richard Brändle sowie mit Herrn Professor Dr. Harald Hess und Herrn Volker Großmann

entstanden. Auch hier gilt der Satz: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“ Es handelt sich also nicht um einen Sammelband, sondern um die Erstellung eines Gesamtbildes auf der Basis verschiedener Expertisen von Akteuren, die in diesen Prozess aktiv involviert waren und vielfältiges Wissen in unsere Zusammenarbeit eingebracht haben.

Mein Dank gilt auch der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen, der Thüringer Aufbaubank und der Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung, deren Ausarbeitungen mir bei der Erstellung dieser Publikation eine wertvolle Hilfe waren.

Des Weiteren möchte ich der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. für die mir gewährte Unterstützung bei der Erstellung dieser Studie danken. Dies gilt insbesondere für die redaktionelle Bearbeitung des Bandes, die Frau Denise Lindsay M. A. übernommen hat.

Allen Beteiligten gilt mein besonderer Dank. Das ändert nichts an meiner alleinigen Verantwortung für diese Studie.

Sankt Augustin, im Oktober 2014

Franz Schuster[<<14||15>>]

____________

1Auf eine Namensnennung weiterer Experten wird auf ausdrücklichen Wunsch der befragten Personen verzichtet.

Von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft

In den 1980er Jahren wurde in der Führung der DDR über eine Reform der Wirtschaftspolitik gesprochen. Dabei wurde übersehen, dass nicht nur die DDR-Betriebe in einer Krise waren, sondern das gesamte Wirtschaftssystem des Ostblocks, die sozialistische Planwirtschaft. Die vorliegende Studie beginnt deshalb bei den systembedingten Widersprüchen und Krisen der sozialistischen Planwirtschaft.

Der ökonomische Zusammenbruch der DDR

Nach 1945 war die Welt in zwei große Lager mit unterschiedlichen Wirtschaftssystemen aufgeteilt. Die westliche Welt unter Führung der USA setzte grundsätzlich auf die Kräfte des Marktes und des internationalen Freihandels; die Sowjetunion mit ihren Verbündeten hielt eine zentral geleitete Verwaltungswirtschaft mit staatlich festgelegten Leistungsverpflichtungen für jede einzelne Wirtschaftseinheit ihrer sozialistischen Ideologie entsprechend für erforderlich. Zwischen beiden Lagern herrschte erbitterter Wettbewerb, nicht um den Verkauf von Waren und Dienstleistungen, sondern um die militärische Vorherrschaft. Dabei war das militärische Leistungsvermögen abhängig von der jeweiligen Wirtschaftskraft. In der Sowjetunion fand eine Aufrüstung zu Lasten der Konsumgüterindustrie statt.

Belastend für die Entwicklung der Wirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR waren sicherlich die Reparationsforderungen von Seiten der UdSSR. Die Wiedergutmachung an die UdSSR entsprach in etwa einer Summe von 14 Mrd. Dollar in Preisen von 1938.2 Zudem wurden in erheblichem Umfang Demontagen z. B. in der chemischen Industrie und bei [<<15||16>>] Bahngleisen vorgenommen.3 Daneben hat die UdSSR Entnahmen aus der laufenden Produktion vollzogen (15 Prozent). Außerdem wurden 213 Groß- und Mittelbetriebe zunächst als sowjetische Aktiengesellschaften (SAG) bis Ende des Jahres 1953 weitergeführt. Dazu zählten auch die Kaliwerke Unterbreizbach, Heiligenroda (Dorndorf) und Kaiseroda4 (Merkers). Erst am 1. Januar 1954 gelangten die letzten 33 SAG-Betriebe in den Besitz der DDR. Die Wismut AG blieb von der Rückgabe ausgeschlossen und wurde bis 1991 als Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG) fortgeführt.

Die Teilung Deutschlands schnitt die DDR-Wirtschaft weitgehend von ihren traditionellen Beziehungen und Verflechtungen mit der Wirtschaft im Westen Deutschlands ab. Der damit verbundene Verlust von Absatz- und Zuliefermärkten schwächte die DDR, die Flucht einer großen Anzahl von Menschen und Unternehmen (z. B. Zug der Glasmacher) war ein weiterer Aderlass, den die dortige Wirtschaft zu verkraften hatte.5

Die entscheidenden Direktiven für die Gestaltung des Wirtschaftssystems kamen aus der Sowjetischen Militäradministration (SMAD). Sie gab der DDR das sowjetische Wirtschaftsmodell vor, das diese von wichtigen Absatzmärkten im westlichen Ausland abschnitt. Nicht alle wirtschaftlichen Probleme der DDR waren selbst verursacht, ein erheblicher Teil beruhte auf Kriegsfolgelasten, die ihr von der damaligen UdSSR aufgebürdet wurden, oder auf den Regelungen des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und seiner Zwangsmitgliedschaft. Auch Günter Mittag, von 1966 bis zum Herbst 1989 Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der SED, [<<16||17>>] betonte 1991 in einem Interview mit dem „Spiegel“ die Notwendigkeit der Wiedervereinigung: „Ohne die Wiedervereinigung wäre die DDR einer ökonomischen Katastrophe mit unabsehbaren sozialen Folgen entgegengegangen, weil sie auf Dauer allein nicht überlebensfähig war. […] Man denke nur angesichts der schwierigen Lage in der Sowjetunion, was heute hier los wäre, wenn es die DDR noch gäbe – unbeschreiblich.“6 Die Sowjetunion und der RGW haben nicht dazu beigetragen, die Versorgungsmängel der DDR abzubauen. Auch eine verbesserte wirtschaftliche Spezialisierung haben sie nicht eingeführt. Einen Marshall-Plan nach westlichem Vorbild hat es in der DDR nicht gegeben.

Im Laufe der Jahre stellte sich die Überlegenheit der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung gegenüber der zentralen Verwaltungswirtschaft immer deutlicher heraus. Der Ostblock musste in den 1970er und 1980er Jahren einen immer größeren Anteil schwindender Ressourcen von einer zivilen in die militärische Nutzung umlenken, um im Wettbewerb der Großmächte zu bestehen. Die Folge waren zunehmende Versorgungsmängel für die Bevölkerung, Substanzverluste im Wohnungs- und Städtebau, bei der Infrastruktur und der technologischen Ausstattung der Betriebe. Ende der 1980er Jahre reifte in der Führung des Ostblocks die Erkenntnis, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung unaufhaltsam dem Zusammenbruch näherte und das Wettrüsten nicht zu gewinnen war.

Mangelhafte Versorgung der Bevölkerung führte zu Widerständen gegen die jeweilige politische Führung. Das trug zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland und zur Auflösung des Warschauer Pakts bei. Für die Bundesregierung unter Helmut Kohl ergab sich daraus eine gigantische Aufgabe ohne historisches Vorbild: Implementierung und gesellschaftliche Akzeptanz einer neuen staatlichen und wirtschaftlichen Ordnung in Ostdeutschland, Integration von 17 Mio. Menschen nach westlichem Standard, Einführung des westdeutschen Sozialsystems, Sanierung der Wohnungen sowie der gesamten Infrastruktur und nicht zuletzt Transformation der DDR-Wirtschaft in ein marktwirtschaftliches System – eine der zahlreichen Aufgaben, die der Treuhandanstalt (THA) übertragen wurden.

Die Annahme des damaligen Vorsitzenden des DDR-Ministerrates, Hans Modrow, im Jahr 1990, das Produktivvermögen der DDR sei [<<17||18>>] 1,4 Bio. DDR-Mark wert, sowie die Schätzung des Präsidenten der Treuhandanstalt, Detlev Rohwedder, es wären maximal 600 Mrd. DM, entpuppten sich schnell als Seifenblase und als ein gelungenes Täuschungsmanöver der DDR bei der Akquisition von Westkrediten.7

Die sogenannten Buchwerte waren keine Sachwerte, sondern Zahlen, die sich bei der Belastung der Betriebe mit Staatsschulden ergeben hatten. Als Grundlage für Rechtsgeschäfte waren sie völlig ungeeignet. Sie wiesen aber auf die hohe Belastung des Produktivvermögens mit Staatsschulden hin. Das sozialistische System basierte zuletzt auf der Kreditnahme im Westen. 1983 und 1984 hatte die Bundesregierung für zwei Kredite an die DDR in Höhe von einer Mrd. bzw. 950 Mio. DM gebürgt. Die Schuldensituation der DDR eskalierte allerdings immer mehr. Im 1989 vorgelegten Bericht der Staatlichen Planungskommission der DDR, dem sogenannten Schürer-Bericht8, wurde festgestellt, dass sich die Verschuldung der DDR im nicht-sozialistischen Wirtschaftsgebiet von 2 Mrd. Valutamark im Jahr 1970 auf 49 Mrd. Valutamark im Jahr 1989 erhöht hatte.

Bei seinem Gespräch mit Bundeskanzler Kohl am 13. Februar 1990 in Bonn legte Hans Modrow die Forderung des Runden Tisches der DDR nach einem „Solidarbeitrag“ in Höhe von 15 Mrd. DM vor den am 18. März 1990 geplanten Kommunalwahlen vor.9 Diese Forderung wurde von der Bundesregierung abschlägig beschieden.

[<<18||19>>] Der Zusammenbruch der DDR hatte im Jahr 1989 bereits begonnen. Hätte es die Friedliche Revolution nicht gegeben, dann wäre die DDR infolge ihrer ausweglosen Wirtschaftslage untergegangen.

Versagt haben in der DDR nicht die Arbeitnehmer, sondern das Wirtschaftssystem, das zentralistisch aufgebaut war und sich in volkseigene Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigene Betriebe gegliedert hatte. Bei der Mehrzahl der Kombinate erfolgte die Leitung über einen Stammbetrieb, der Generaldirektor des Kombinats war gleichzeitig Direktor des Stammbetriebs, der in der Regel auch der größte Betrieb war. Daneben gab es zentral geleitete Kombinate, die von den jeweils zuständigen Ministerien geleitet wurden.10

Der Schürer-Bericht vom Oktober 1989 beschrieb den Prozess des Zusammenbruchs der DDR-Wirtschaft und forderte die Annäherung der gesamten Volkswirtschaft an die Marktwirtschaft, um die vorhandenen Betriebe zu erhalten und die Produktpalette zu ändern. Seine Analyse war schonungslos, seine Reformvorschläge weitgehend. Eine Änderung der Wirtschaftsordnung und damit die Abschaffung der sozialistischen Planwirtschaft hat Gerhard Schürer als Vertreter des Systems nicht gefordert. Am 1. März 1990 folgte der Beschluss des Ministerrates der DDR unter Leitung von Hans Modrow, eine Treuhandanstalt zu gründen, die jedoch nicht auf eine Wiedervereinigung und Wirtschaftsunion ausgerichtet war, sondern lediglich eine Umwandlung von Kombinaten in Kapitalgesellschaften herbeiführen sollte. Dies war Teil des Versuchs der SED, das marode System zu reformieren und die eigene Herrschaft aufrechtzuerhalten. Unmittelbar danach folgte die „Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften“.

Am 18. März 1990 fanden die ersten freien Volkskammer-Wahlen statt. Das am 17. Juni 1990 von der Volkskammer verabschiedete „Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens“11 (Treuhandgesetz) legte fest, dass die volkseigenen Betriebe und Kombinate als privatrechtliche Betriebe fortbestehen und privatisiert werden sollten. Eignerin dieser Betriebe [<<19||20>>] wurde die Treuhandanstalt, die auch mit deren Privatisierung beauftragt wurde. Die THA selbst wäre nicht in der Lage gewesen, tausende von Betrieben von Grund auf zu sanieren und neu auszurichten. Dazu bedurfte es erfahrener und investitionsfreudiger Unternehmenslenker, Manager und Unternehmensgründer aus dem In- und Ausland, die bereit waren, die schwierige Sanierungsarbeit auf sich zu nehmen. Dieses Verständnis von der Privatisierung volkseigener Betriebe hat sich bewährt, wurde aber nicht durchgängig praktiziert, insbesondere bei den sektoralen Großprojekten. Nach der deutschen Wiedervereinigung galt das Treuhandgesetz mit etwas geänderter Aufgabenstellung (gemäß Art. 25 des Einigungsvertrags12) weiter. Die THA wurde dann eine bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts. 1991 hatte sie 4.507 Mitarbeiter, Ende 1993 waren es 4.935 und Ende 1994 3.897 Mitarbeiter.13

Im Jahre 1991 hat der Deutsche Bundestag das Privatisierungshemmnisbeseitigungsgesetz (PrHBG), ein Treuhandkreditaufnahmegesetz und ein Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen verabschiedet und anschließend mehrfach modifiziert.14 Die THA wurde auch in Koordinierungsnetzwerke der Regierungen einbezogen, insbesondere in die Wirtschaftskabinette auf Länderebene und in den „Aufbaustab neue Länder“ im Bundeskanzleramt, sowie in die Wirtschaftsverbände. Einzelne ostdeutsche Landesregierungen sahen sich zumindest anfangs der THA geradezu ausgeliefert. Dagegen waren die Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände mit der Arbeit der THA eng verbunden.

Dem rechtlichen und politisch-administrativen Rahmen stand ein Privatisierungsbedarf gegenüber, der quantifiziert und strukturiert wurde. Im Jahre 1989 gab es in der DDR 126 zentral geleitete und volkseigene Kombinate mit jeweils bis zu 60 Kombinatsbetrieben mit vielfach mehr als 1.000 Beschäftigten. In Thüringen waren es 21 zentralgeleitete Kombinate:15

[<<20||21>>]Bezeichnung

Sitz des Stammbetriebs

VEB Energiekombinat Erfurt

Erfurt

VEB Energiekombinat Gera

Jena-Winzertal

VEB Energiekombinat Suhl

Meiningen

VEB Kombinat Kali Sondershausen

Sondershausen

VEB Kombinat Carl Zeiss Jena

Jena

VEB Kombinat Mikroelektronik Erfurt

Erfurt

Kombinat VEB Keramische Werke Hermsdorf

Hermsdorf

VEB Kombinat Fahrzeugelektrik Ruhla

Eisenach

Kombinat VEB Elektrogerätewerk Suhl

Suhl

VEB Kombinat Umformtechnik „Herbert Warnke“ Erfurt

Erfurt

VEB Werkzeugkombinat Schmalkalden

Schmalkalden

VEB Kombinat Oberbekleidung Erfurt

Erfurt

VEB Kombinat Solidor Heiligenstadt

Heilbad Heiligenstadt

VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk „Ernst Thälmann“ Suhl, IFA-Kombinat Zweiradfahrzeuge

Suhl

VEB Kombinat Spielwaren Sonneberg

Sonneberg

VEB Kombinat Sportgeräte Schmalkalden

Schmalkalden

VEB Technisches Glas Ilmenau

Ilmenau

VEB Feinkeramik Kahla

Kahla

VEB Thuringia Sonneberg, Kombinat für Glas und Keramikmaschinenbau

Sonneberg

VEB Bau- und Montagekombinat Erfurt

Erfurt

VEB Spezialbaukombinat Wasserbau Weimar

Weimar

Die Lebensmittelindustrie und die bezirksgeleiteten Kombinate u. a. waren dem Ministerium für bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie unterstellt. In Thüringen gab es mehrere bezirksgeleitete Kombinate: VEB Kombinat Haushaltswaren Steinbach-Hallenberg, VEB Möbelkombinat Zeulenroda, VEB Thüringer Möbelkombinat Suhl.16

Alle Kombinate vertraten den Primat der Politik in der Wirtschaft. Sie waren die Vollzugsorgane der Wirtschaftspolitik und sollten die bedarfsgerechte Produktion der in den staatlichen Plänen festgelegten Enderzeugnisse in Mengen, Qualität und Wert sicherstellen. Um ihre Planziele [<<21||22>>] erfüllen zu können, sollten sie möglichst viele Fertigteile selbst herstellen. Zwischenbetriebliche Konkurrenz und Arbeitsteilung wurden ausgeschlossen. Trotzdem oder gerade deshalb ist es nicht gelungen, drastische Produktionsrückstände, Versorgungsengpässe und Materialdefizite durch das planwirtschaftliche Lenkungssystem abzubauen. Die sozialistische Planwirtschaft war und ist dazu nicht in der Lage, weil sie die Elemente der Marktwirtschaft ausgeschlossen hat, insbesondere die automatische Preisbildung durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Deshalb konnte es auch keinen ausgeglichenen Markt geben. Damit wurden Mangelerscheinungen ein Dauerproblem.

Die Planwirtschaft der DDR war nicht auf dem Wirtschaftlichkeitsprinzip aufgebaut. Das Produktionsprogramm und der Produktionsapparat waren nicht von Kosten-Nutzen-Überlegungen geprägt, sondern von politischen Vorgaben, die sehr zentralistisch geprägt waren. Dementsprechend wurden Kombinate geschaffen, deren Größe und Aufgabenstellung völlig unwirtschaftlich war (2.000 bis 30.000 Beschäftigte). Auch die Kombinatsbetriebe hatten nicht die optimale Betriebsgröße. Ihre Produktion war entweder zu teuer oder zu niedrig. „Das Wirtschaftssystem der DDR behindert[e] die Entfaltung von wirtschaftlicher Eigeninitiative und schwächt[e] die Bereitschaft zur Übernahme von Risiken, auf die es gerade bei Verfahrens- und Produktinnovationen ankommt.“17

Der sozialistischen Planwirtschaft fehlte vor allem das Prinzip der Arbeitsteilung, das seit der Theorie der komparativen Kostenvorteile von David Ricardo (1772 – 1823) als ein fundamentales Element der Marktwirtschaft gilt. Danach ist es vorteilhaft, wenn sich jedes Land auf die Produktion der Güter spezialisiert, die es relativ zu anderen Gütern im eigenen Land kostengünstiger herstellen kann.

Die VEB waren eingebettet in ein starres Planungssystem mit externen Vorgaben, ohne betriebswirtschaftliches Rechnungswesen, direkte Marktbeziehungen oder Rentabilitätskriterien. Sie reduzierten sich auf eine reine Materialwirtschaft mit der Planerfüllung als Orientierungsmaßstab. Wettbewerb war ausgeklammert, ebenso Kostenorientierung. Die branchenspezifischen Kombinate waren mit westlichen Unternehmen überhaupt nicht [<<22||23>>] vergleichbar. Sie dienten der Umsetzung staatlicher Planvorgaben in der Produktion der volkseigenen Kombinatsbetriebe. Diese hatten wegen der zentralen Planvorgaben und des Außenhandelsmonopols der DDR auch keine nennenswerte Möglichkeit, sich eigenständig auf den Außenmärkten zu etablieren und neue Bezugs- und Absatzmöglichkeiten auf dem Weltmarkt zu erschließen.

Der Zustand der Betriebe war in mehrfacher Hinsicht erschreckend, sie waren nur noch bedingt privatisierungsfähig. Die in Bilanzen ausgewiesenen Buchwerte basierten nicht nur auf Sachwerten, sondern wurden durch Staatsschulden verfälscht, die den Betrieben aufgebürdet worden waren, um einen ausgeglichenen Staatshaushalt vorlegen zu können. Als Grundlage für die Ermittlung von Verkaufspreisen waren sie völlig ungeeignet. Auch die Jahresabschlüsse der VEB waren wertlos.

Die technische Ausstattung entsprach in den meisten Fällen nicht annähernd westlichen Standards. Rationalisierungs- und Modernisierungsinvestitionen hatten nur zu einem geringen Teil in politisch bedeutsamen Sektoren stattgefunden, die allerdings an der Gesamtbilanz nichts verändert haben. Der technologische Rückstand gegenüber Westunternehmen betrug in der Regel mindestens ein Jahrzehnt. Die Technologie- und Investitionslücken waren evident.

Die Produktpreise wurden nicht von den Herstellungskosten, sondern politisch bestimmt. Die VEB waren auch nicht für die Materialbeschaffung, das Vertriebsnetz oder die Kundenwerbung zuständig. Da die Endabnehmerpreise in der Regel niedriger als die Herstellungskosten lagen, produzierte die Wirtschaft permanent Defizite.

Die Produktivität der Betriebe lag im Schnitt nur bei ca. 30 Prozent des Westniveaus.18 Typisch für die Kombinate war auch eine ungewöhnlich hohe Fertigungstiefe, nicht zuletzt infolge unzureichender nationaler und internationaler Arbeitsteilung in den sozialistischen Staaten.

Wegen des politischen Postulats der Vollbeschäftigung litten die Betriebe unter einem aufgeblähten Personalbestand. Ohne Rückführung der Belegschaftszahlen auf das betriebswirtschaftlich notwendige Niveau bestand keinerlei Chance für eine nachhaltige Erhöhung der Produktivität. [<<23||24>>] Schon insoweit waren für einen Übergang von der Planwirtschaft auf ein marktwirtschaftliches System Freisetzungen vorprogrammiert.

Schließlich litt die gesamte DDR-Wirtschaft unter einem latenten Materialmangel, was allerdings bisweilen zu beachtlichen Improvisationsleistungen der Belegschaften zur Erreichung der Planziele führte. Hinzu kamen Mangelerscheinungen, die aufgrund von Einschränkungen durch die sogenannte COCOM-Liste zustande kamen. In technologisch bedeutsamen Sektoren, wie etwa der Mikroelektronik, hat die DDR trotz hoher eigener Anstrengungen und zu Lasten anderer Bereiche den Anschluss an die technologische Entwicklung nicht geschafft.

Letztendlich waren die DDR-Produkte bis auf wenige Ausnahmen nie dem freien Wettbewerb ausgesetzt, mussten sich damit nicht am freien Markt behaupten und waren meist auch nicht konkurrenzfähig.

Die sozialistische Planwirtschaft hat die Regeln der Marktwirtschaft ausgeschlossen. Ihr staatliches Regelwerk funktionierte nicht, es führte nicht zu wirtschaftlichen Erfolgen und zum Wohlstand für alle Bürger, sondern zu einer gigantischen Staatsverschuldung und Bürokratie. Diese Wirtschaftsordnung ist wegen innerer Widersprüche nicht nur in der DDR gescheitert, sondern weltweit, in Russland, der Volksrepublik China und ebenso in Kuba. Wegen innerer Widersprüche sind auch die sozialistischen Bündnissysteme wie der RGW zusammengebrochen.

Nach Abschluss des Staatsvertrags vom 18. Mai 1990 über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion19 war der Verbleib der DDR im RGW nicht mehr möglich. Am 2. Oktober 1990 erklärte das amtierende Staatsoberhaupt der DDR, Sabine Bergmann-Pohl, den Austritt aus dem RWG mit Wirkung zum 3. Oktober 1990. Am 28. Juni 1991 wurden die Sowjetunion und der RGW aufgelöst. Die DDR hatte damals bereits ihre Absatz- und Beschaffungsmärkte weitgehend verloren. Bis dahin hatte sie 30 Prozent ihrer Produktion im Ausland abgesetzt, wobei die Ausfuhren in die UdSSR eine dominante Rolle spielten. Den Umfang bestimmten jedoch nicht die Märkte, sondern die jeweiligen Machthaber – insbesondere die der Sowjetunion. Vom Export ging keinerlei Zwang zur Effizienzsteigerung der DDR-Volkswirtschaft aus, einen Wettbewerb zwischen in- und ausländischen Unternehmen gab es nicht. Exportiert wurden Halb- und Fertigprodukte, [<<24||25>>] und zwar zu Preisen, die nicht vom Markt bestimmt wurden, sondern weithin von dem größten und bestimmenden Handelspartner UdSSR, auf den von 1960 bis 1988 40 Prozent des Außenhandelsumsatzes der DDR entfielen.20

Die Einfuhren der DDR waren von ihrer Rohstoffarmut geprägt: 40 Prozent der Einfuhren waren deshalb Brennstoffe, Rohstoffe und Metalle. Die Rohstoffeinfuhren kamen zu 85 Prozent aus der Sowjetunion, die Erdgas- und Rohöllieferungen zu über 90 Prozent.

Der Export und der Import der DDR waren demzufolge von den Interessen der Sowjetunion bestimmt. Sie hat nicht dazu beigetragen, die Versorgungsmängel der DDR bei den Roh- und Brennstoffen abzubauen. Auch eine bessere wirtschaftliche Spezialisierung und Arbeitsteilung zwischen den sozialistischen Staaten wurden unterlassen. Die gelieferten Stückzahlen und die Qualität der Produkte entsprachen zu 50 Prozent nicht dem Bedarf. Die Einführung von Produktstandards kam nicht zustande. Die in der DDR z. B. bei den Automobilwerken Eisenach (AWE) geplanten neuen Fahrzeugmodelle wurden nicht zugelassen. Der technische Fortschritt fand nicht mehr statt oder wurde unterbunden. Der RGW und die Sowjetunion haben mit ihren Bremsmanövern bereits Anfang der 1980er Jahre den wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch der DDR eingeleitet.21

Der deutliche Rohstoffmangel hat alsbald zu einem Produktionsrückgang der VEB geführt. In Zwei-Schicht-Betrieben wurde nur noch in der Frühschicht produziert und in der Spätschicht repariert. Die Ausfälle bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen im Inland wurden durch eine Staatsverschuldung ausgeglichen, die ein gigantisches Ausmaß erreicht hatte, aber verschleiert wurde.

Wie es um die DDR-Wirtschaft bestellt war, spiegelte sich auch in der Abschlussbilanz der THA wider. Dem anfänglich von DDR-Seite noch auf 600 Mrd. DM geschätzten Wert der DDR-Betriebe stand am Ende ein negativer Saldo von nahezu 250 Mrd. DM gegenüber einschließlich der entstandenen Aufwendungen der THA für die Umstrukturierung, Entschuldung [<<25||26>>] und für soziale Auffangmaßnahmen.22 Das entstandene Defizit war keine Folge einer miserablen Arbeit der THA, sondern einer total verfehlten Wirtschaftspolitik der DDR. Spätestens die negative Abschlussbilanz der THA hat die eklatanten Mängel und Fehlleistungen der DDR-Wirtschaft aufgedeckt.

Die finanziellen Risiken einer Verlängerung des Transformationsprozesses wären nicht überschaubar gewesen. Somit blieb als Lösung nur die rasche Abwicklung der DDR-Betriebe durch schnelle Übertragung auf neue verantwortliche Eigentümer, auch wenn durch Herbeiführung der Wirtschafts- und Währungsunion radikale und schmerzliche Konsequenzen damit verbunden waren. Zu Privatisierung und Währungsunion gab es keine Alternative.

Der Sachverständigenrat hat bereits 1990/91 auf die anzustrebende gesamteuropäische Ordnung und auf den „Brückenschlag zwischen West und Ost durch die Schaffung einer neuen wirtschaftlichen Ordnung in Gesamteuropa“ hingewiesen. Er forderte eine intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen allen Staaten entwickeln zu helfen.23 Die wirtschaftliche Entwicklung im Osten und Westen Deutschlands verlief zunächst dramatisch entgegengesetzt. Während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den neuen Ländern von 336 Mrd. DDR-Mark im Jahr 1989 auf 206 Mrd. D-Mark 1991 um fast 40 Prozent sank und eine Steigerung erst danach begann, setzte in der westdeutschen Industrie dagegen ein Einigungsboom ein, das BIP stieg 1990 um real 5,7 Prozent und 1991 um 5 Prozent.24 Die Finanzhilfen für die neuen Länder kamen als Aufträge an die westdeutschen Unternehmen zurück. 1992 wurde jedoch auch Westdeutschland von einer weltweiten Rezession erfasst, so dass die Beschäftigung in der früheren Bundesrepublik Deutschland von 1990 bis 1994 um 1,6 Mio. Arbeitnehmer sank. Im Osten hat der Systemwandel den Strukturwandel der Wirtschaft vorangetrieben.25

Das Wirtschaftssystem der DDR war gescheitert, es konnte auch nicht repariert werden, was die SED-Führung vergeblich versucht hat. Zudem erwies sich die dem Treuhandgesetz zugrunde liegende Absicht der [<<26||27>>] Volkskammer schnell als ein Irrtum, denn die Kombinate waren systemwidrige Einrichtungen und wurden deshalb zu Recht abgeschafft. Auch das Überleben großer Stammbetriebe, großer Kombinate bzw. VEB war nicht gesichert. Der Weg zur Privatwirtschaft führte über die Zerlegung großer Stammbetriebe und der VEB sowie über die Bildung von kleineren und mittleren Unternehmen, die sich schnell und stark entwickelt und weitere Unternehmensansiedlungen induziert haben.

Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion

Um den Strukturwandel in einen Wachstumsprozess einmünden zu lassen, musste deshalb ein Systemwechsel in Richtung der Sozialen Marktwirtschaft eingeleitet werden. Genau dies ist mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion geschehen.

Über den Weg zur Währungsunion existierten drei unterschiedliche Ansichten. Die sogenannte Krönungstheorie sah vor, dass eine Währungsunion erst dann vollzogen werden sollte, wenn die Wirtschaft der DDR das Niveau der bundesdeutschen erreicht habe. Eine weitere Möglichkeit wurde in einer „künstliche Verklammerung“ der Mark der DDR mit der D-Mark gesehen und der dritte Weg lag in der Einführung der D-Mark als Zahlungsmittel in der DDR.26

Mit dem Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 wurde zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion beschlossen, die mit Inkrafttreten am 1. Juli 1990 einen ersten Schritt zur Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands darstellte. Es bestand Klarheit, dass mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland nach Art. 23 GG die Rechtsunion beschlossen wird. Die Vertragspartner haben damit Konsequenzen aus der Existenzkrise der DDR gezogen und einem wichtigen Anliegen der DDR-Bürger Rechnung getragen, schnellstmöglich die Realeinkommen in der Bundesrepublik und eine politische Selbstbestimmung zu erreichen.27 Dabei wurde die Verpflichtung übernommen, eine Transformation der Planwirtschaft einzuleiten, die [<<27||28>>] sozialgesteuert und mit hohen Staatsausgaben verbunden war. Alle Vergleiche mit bis dahin bereits erfolgten Privatisierungen in Polen, Ungarn und anderen ehemals sozialistischen Ländern waren damit obsolet.

Zunächst wurde die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft durch folgende Maßnahmen beschlossen: Übergang zur Marktwirtschaft durch einen Leistungswettbewerb, freie Preisbildung, volle Freizügigkeit von Arbeit, Kapital, Gütern und Dienstleistungen, Einführung des Privateigentums an Produktionsmitteln usw. Beide Vertragspartner bekannten sich auch zur freiheitlichen, demokratischen, föderativen, rechtsstaatlichen und sozialen Grundordnung.

Zur Schaffung der Währungsunion wurde ein einheitliches Währungsgebiet gebildet mit der D-Mark als gemeinsamer Währung. Die Deutsche Bundesbank wurde die Währungs- und Notenbank des Währungsgebietes und damit Stabilisator des Geldwertes. Die Umtauschrelation der DDR-Mark zur D-Mark wurde in einer „Zwölf-Punkte-Erklärung der Bundesregierung und der Regierung der DDR zur Währungsumstellung“ am 2. Mai 1990 festgelegt.28 Hier wurde u. a. beschlossen: „Löhne, Gehälter, Stipendien, Mieten, Pachten und Renten sowie andere Versorgungszahlungen (z. B. Unterhaltszahlungen) werden im Verhältnis 1:1 umgestellt.“

Befürchtet wurde ein Geldüberhang in Folge der großzügigen Umstellung der Guthaben. Um dies zu vermeiden, wurde im Vertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion in § 6 (3) eine spezielle Regelung aufgenommen. Danach wurden Guthaben, die nach dem 31. Dezember 1989 entstanden sind, in der Weise umgestellt, dass für drei DDR-Mark eine D-Mark gutgeschrieben wurde. In diesem Zusammenhang wurde u. a. die Devisenrentabilität bzw. Devisenertragskennziffer der DDR-Exporte nach Westdeutschland als Umtauschrelation empfohlen. Diese betrug beispielsweise 1980 2,4 und 1989 4,3. Diese Kennziffer – Erlöse in D-Mark im Vergleich zum Aufwand in DDR-Mark – sei ein Wechselkursäquivalent, weil hier auch die Produktivitätsrückstände der exportierenden DDR zum Ausdruck kämen. Die Relation 1980 von 1:2,4 sei über Produktivitätsverluste und die damit abnehmende internationale Wettbewerbsfähigkeit der DDR auf 1:4,3 im Jahr 1989 gesunken. Der Außenwert der DDR-Mark gegenüber der [<<28||29>>] D-Mark sei 4,3:1, eine Umtauschrelation von 4:1 (vier DDR-Mark für eine D-Mark). Tatsächlich wurde festgelegt, dass Sparguthaben pro Person bis zu 4.000 DDR-Mark (Kinder 2.000 und Senioren ab dem 60. Lebensjahr 6.000) im Verhältnis 1:1 und darüber hinausgehende Guthaben und Geldbestände im Verhältnis 1:2 umgetauscht werden. Dieses Entgegenkommen war unter vielfältigen Gesichtspunkten gerechtfertigt.

Der DDR-Bevölkerung wurde damit eine vorteilhafte Regelung zuteil zur Werterhaltung ihrer Löhne und Gehälter sowie ihrer Sparguthaben. Für die DDR-Wirtschaft war der Umtauschkurs jedoch mit erheblichen Nachteilen verbunden. Eine Umstellung der Löhne im Verhältnis 1:1 mit dem Ziel, einer schnellen Angleichung der Löhne an das westdeutsche Lohnniveau ist in Abhängigkeit von der Produktivitätsentwicklung zu beurteilen. 1991 lag sie nur bei durchschnittlich 30 Prozent und auch 1997 erst bei 60 Prozent des Westniveaus. Die Produktivitätslücke war demnach zwar gesunken, der Abstand zum westdeutschen Niveau war allerdings immer noch gravierend. Dabei ist festzuhalten, dass die Produktivität in der verarbeitenden Industrie, in der Baubranche und im Energiesektor am stärksten gestiegen war und im Dienstleistungssektor am geringsten.29

Auch der Kapitalstock entsprach nicht dem westdeutschen Durchschnitt, so dass die DDR-Wirtschaft ohne staatliche Anpassungshilfen sofort in bedrohliche wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten wäre.30 Die Bundesregierung hat damals beschlossen, den Anpassungshilfen zur Produktivitätssteigerung der Betriebe ein großes Gewicht einzuräumen und sie aus den Privatisierungserlösen der Treuhandanstalt zu finanzieren. Sie hat den für die DDR-Bevölkerung günstigen Umtauschkurs mit zusätzlichen Finanzhilfen des Bundes und der THA finanziert und damit erreicht, den Aufbau Ost sowohl unter sozialen als auch wirtschaftlichen Aspekten zu gestalten. Die Folge davon waren allerdings ein expandierendes Transfervolumen und eine hohe Verschuldung des Bundes. „Eine Währungsunion, die sich nicht im Gleichschritt mit dem grundlegenden Umbau des Wirtschaftssystems in der DDR“ vollzogen hätte, hätte „lediglich Kosten [verursacht], ohne die [<<29||30>>] wirtschaftlichen Aussichten für die Menschen auf eine tragfähige bessere Basis zu stellen.“31

Durch die Währungsumstellung mussten auch die Nachfolgekapitalgesellschaften ihr Zahlenwerk, vor allem die Bilanz, auf DM-Werte umstellen (DM-Eröffnungsbilanz zum 1. Juli 1990). Für das Gesetz über die DM-Eröffnungsbilanz32 wurden im Vertrag über die Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion verschiedene Grundsätze formuliert, so auch das Gebot, die Vermögensgegenstände und Schulden zum Stichtag neu zu bewerten und dabei die Vorschriften des Handelsgesetzbuchs zu beachten. Trotz der Neubewertung waren viele DM-Eröffnungsbilanzen in der Folge korrekturbedürftig. Das Anlagevermögen war vielfach überhöht dargestellt. Die Immobilienwerte waren häufig nicht verkehrstauglich, weil keine Marktsituation für diese Immobilien (z. B. Braunkohleheizhäuser) denkbar war. Maschinen, Einrichtungen etc. waren „moralisch verschlissen“ und in ihrem Zustand vielfach ursächlich für die geringe Arbeitsproduktivität. Daraus hätte sich ein negativer Zeitwert ergeben müssen. Nach der Neubewertung in der DM-Eröffnungsbilanz war jedoch von einem Neuwert mit Wertabschlag auszugehen, was in der Regel zu einem positiven Zeitwert geführt hat.

Die Schulden waren im Verhältnis zwei DDR-Mark zu einer D-Mark umzustellen. Diese Schulden waren teilweise entstanden durch staatliche Zuweisungen, um Verluste auszugleichen. Korrekturmaßnahmen im Anlagevermögen hatten dann in vielen Fällen zur Folge, dass eine bilanzielle Überschuldung vorlag. Das entstandene bilanzielle Ungleichgewicht musste durch Entschuldungsmaßnahmen der THA und korrespondierende Kapitalzuführungen ausgeglichen werden. Unternehmenswertermittlungen auf der Grundlage von DM-Eröffnungsbilanzen und der dort notwendigen Korrekturen ergaben vielfach den Kaufpreis von einer D-Mark bei der Privatisierung. Hier waren die zu übernehmenden Schulden höher als der bilanzielle Aktivwert. In der Folge waren dann die Summe der Verkaufserlöse der THA aus der Unternehmensprivatisierung erheblich niedriger als die [<<30||31>>] entsprechend konsolidierten DM-Eröffnungsbilanzwerte der privatisierten Unternehmen. Daraus ist auch die erhebliche Diskrepanz zwischen den noch in der zweiten Hälfte des Jahres 1990 gemutmaßten hohen Vermögenswerten der DDR-Wirtschaft und den tatsächlichen Nettoerlösen aus der Privatisierung zu erklären. Man war bei ursprünglichen Wertschätzungen und -berechnungen von marktwirtschaftlichen Überlegungen ausgegangen, hatte aber übersehen, dass das Produktivvermögen in der DDR nicht über einen Kapitalmarkt finanziert worden war, auf dem Kapitalströme in Richtung höchstmöglicher Rentabilität gelenkt wurden. Vielmehr waren Investitionen und deren Finanzierung staatlich gesteuert. Bilanzwerte waren Ergebnisse von Rechenoperationen und entsprachen nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Bilanzierung, die die Orientierung an den jeweiligen Märkten (Kapital, Investition, Produkt) vorgaben.

Die Sozialunion war das umfangreichste Regelungssystem, denn sie legte Grundsätze für ein gegliedertes System der Sozialversicherung fest, d. h., für die Renten-, Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung.

Durch die Sozialunion wurden die Sozialversicherungssysteme zum 1. Juli 1990 übertragen. Wesentliche Elemente waren das Rentensystem und die Arbeitslosenversicherung. In vielen Betrieben waren trotz Liquiditätshilfen über THA-bürgschaftsgesicherte Kredite Personalfreisetzungen nicht zu vermeiden. Hier hat unmittelbar das System der Arbeitslosenversicherung gegriffen, das durch einige Elemente ergänzt wurde. So konnten beispielsweise durch das Instrument der Kurzarbeit Null die finanziellen Folgen für die Betroffenen gemildert werden. Der Arbeitnehmer blieb vertraglich an das Unternehmen gebunden, aber der von ihm geforderte Arbeitseinsatz ging auf null. Sein Einkommen lag über dem Arbeitslosengeld und seine Rentenanwartschaften orientierten sich an diesem Einkommen. Bei unabwendbaren Entlassungen wurde neben dem Arbeitslosengeld von der THA über sogenannte Zweckzuwendungen ein Sozialplan für die betroffenen Arbeitnehmer finanziert. Durch eine Vielzahl von Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, die von der Arbeitsverwaltung finanziert wurden, haben sich zahlreiche Chancen zur Qualifizierung der Arbeitnehmer für geänderte oder neue Aufgaben ergeben. Hier wurde die soziale Komponente unserer Marktwirtschaft besonders deutlich.

Problematisch war die Anpassung des Rentensystems. Die Arbeitnehmer hatten in der DDR auch Rentenversicherungsbeiträge bezahlt, die aber aufgrund der geringen Arbeitseinkommen (in DDR-Mark) und der Umstellung der Versicherungsvermögens in D-Mark keine hinreichende Basis für eine Übergangsfinanzierung der Renten darstellten. Die Grundsätze des [<<31||32>>] Generationenvertrages waren nicht anwendbar. Sie ergaben keine Basis für die Rentenfinanzierung. Es war auch absehbar, dass aus den zukünftigen Beitragseinnahmen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Ostdeutschland die finanzielle Grundlage der Renten nicht gesichert werden konnte. Ein zentrales Problem waren allerdings die Höhe der Renten und deren Bemessungsgrundlagen. Die Arbeitseinkommen in der DDR waren nominal zu niedrig, um als Basis für auskömmliche Renten zu dienen. Daher wurden diese Arbeitseinkommen in vergleichbare westdeutsche Beitragseinkommen mit aufsteigenden Faktoren, bis 1989 auf das etwa dreifache, umgerechnet. Die Rentenfinanzierung in Ostdeutschland überfordert das Sozialversicherungssystem, so dass auch heute noch Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt geleistet werden. Die Rentenfinanzierung ist ein erheblicher Teil der Transferleistungen, die bis heute anhalten.

Zur Realisierung des Vertragswerks wurden nicht nur ordnungspolitische Beschlüsse gefasst, sondern auch prozesspolitische Entscheidungen getroffen. Um die niedrige Arbeitsproduktivität (von 50 Prozent) zu steigern und die Löhne erhöhen zu können, wurden die technische und kapitalmäßige Ausstattung der DDR-Wirtschaft auf ein völlig neues Fundament gestellt. Der marode Produktionsapparat wurde entsorgt und durch Betriebe mit einer fortschrittlichen und wettbewerbsfähigen Technologie ersetzt.

Um die Produktivitätssteigerung auch durch eine moderne und leistungsfähige Infrastruktur zu unterstützen, wurden umfangreiche infrastrukturelle Maßnahmen beschlossen, wie z. B. die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit und die Verbesserung der wirtschaftsnahen Infrastruktur sowie der Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen.

Im Zuge der Wiedervereinigung wurden im Einigungsvertrag umfangreiche Finanzierungshilfen zur Entschuldung der DDR und weitere Finanztransfers an die neuen Länder u. a. zur Wirtschaftsförderung festgelegt. Die THA wurde anfangs ermächtigt, in eigener Verantwortung Kredite bis zu insgesamt 25 Mrd. DM aufzunehmen. Um einen unmittelbar drohenden abrupten Zusammenbruch von Betrieben zu vermeiden, wurden bereits unmittelbar nach Schaffung der Währungsunion am 1. Juli 1990 mehrere Milliarden DM Liquiditätshilfen an gefährdete Betriebe ausgereicht.

Die Kosten der Überwindung der Teilung wurden hauptsächlich aus fünf Quellen finanziert: Steuererhöhungen, zusätzliche Verschuldung des Bundes, Zuweisungen der EU, Umlage der Renten- und Sozialversicherung sowie Beiträge der Länder und Gemeinden der alten Bundesrepublik Deutschland.

Die Transferleistungen des Bundes stammten aus dem Bundeshaushalt, dem Fonds Deutsche Einheit, dem Solidaritätszuschlag (seit 1991), aus einer [<<32||33>>] höheren Mineralöl-, Versicherung-, Tabak- und Erdgassteuer und aus einer Steigerung der Nettoneuverschuldung des Bundes. Die Herbeiführung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am 1. Juli 1990 war der logische und richtige Schritt in Richtung einer raschen und effektiven Umstrukturierung der Planwirtschaft. Es gab dazu keine Alternative, wenn das Ziel der Wiedervereinigung erreicht werden sollte.

Um diese finanziellen Zusagen zu realisieren, hat die Bundesrepublik Deutschland in den folgenden zwei Jahrzehnten jährlich etwa 100 Mrd. Euro Transfermittel für den Aufbau Ost bereitgestellt. Das entsprach etwa einem Drittel des aktuellen Bundeshaushalts. Die Mittel verteilten sich vor allem auf fünf Ausgabengruppen:

1.Sozialversicherung

–Rentenversicherung

–Arbeitslosenversicherung

2.Sozialleistungen

–Pensionsaltlasten

–Wohngeld

–Erziehungsgeld

3.Arbeitslosenhilfe und Arbeitsmarktpolitik

–Leistungen des Bundes an die Rentenversicherung

–Personalausgaben

4.Infrastrukturinvestitionen

–Verkehrsinfrastrukturinvestionen

–Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost

5.Wirtschafts- und Technologiehilfen

–Wissenschaftsausgaben

–Investitionsförderung für die gewerbliche Wirtschaft.