Tibor 10: Die Brüder der Schwarzen Mamba - Achim Mehnert - E-Book

Tibor 10: Die Brüder der Schwarzen Mamba E-Book

Achim Mehnert

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Beschreibung

Diese werkgetreue Umsetzung als Roman umfasst den Inhalt des zehnten Abenteuers aus den Piccolo-Comicheften 133-167 von Hansrudi Wäscher. Aus einer Diamantenmine werden immer wieder wertvolle Edelsteine gestohlen. Der Drahtzieher der Diebstähle legt eine geschickte Spur, die den Verdacht auf Tibor lenkt. So ist der Herr des Dschungels gezwungen, sich der Sache anzunehmen, um seine Unschuld zu beweisen. Er ahnt nicht, dass er sich mit mächtigen Gegnern anlegt, deren Einfluss bis in hohe Kreise hinaufreicht. Tibor bekommt es nicht mit einfachen Dieben zu tun, sondern mit Intriganten, die das Land mit einem blutigen Bürgerkrieg überziehen wollen.

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Seitenzahl: 295

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Impressum

 

Originalausgabe August 2017

Charakter und Zeichnung: Tibor © Hansrudi Wäscher / becker-illustrators

Text © Achim Mehnert

Copyright © 2017 der eBook-Ausgabe Verlag Peter Hopf, Petershagen

 

Lektorat: Thomas Knip

Umschlaggestaltung: etageeins, Jörg Jaroschewitz

Hintergrundillustration Umschlag: © Binkski – fotolia.com

E-Book-Konvertierung: Thomas Knip | Die Autoren-Manufaktur

 

ISBN ePub 978-3-86305-255-3

 

www.verlag-peter-hopf.de

 

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Hansrudi Wäscher wird vertreten von Becker-Illustrators,

Eduardstraße 48, 20257 Hamburg

www.hansrudi-waescher.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

 

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages erfolgen.

 

Inhalt

WIE ALLES BEGANN

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

SECHZEHN

 

 

WIE ALLES BEGANN

 

Der junge Millionenerbe Gary Swanson erfüllte sich den Wunsch seiner Jugend. Von New York aus begab er sich auf Safari in den noch weitgehend unerforschten schwarzen Kontinent Afrika. Was wie ein Traum begann, entwickelte sich zu einem Albtraum.

Nach einem Ausflug zum Kilimandscharo geriet sein Flugzeug in eine ausgedehnte Schlechtwetterzone und stürzte ab. Swanson überlebte das Unglück nur leicht verletzt, konnte sich aber weder an seine Identität noch an seine Herkunft erinnern. Er hatte das Gedächtnis verloren.

Mit dem Willen zu überleben schlug er sich durch die Wildnis. Im Dschungel stieß Swanson auf einen von einem umgestürzten Baum eingeklemmten Gorilla und befreite ihn. Dafür bedachte ihn der große Affe Kerak mit dem Namen »Tibor«, was so viel bedeutet wie »der Hilfsbereite«. Kerak brachte Tibor das Überleben im Dschungel bei und lehrte ihn die Sprache der Tiere. Schnell wurden sie zu unzertrennlichen Freunden.

Bei einem Kampf im Urwald erlangte Swanson sein Gedächtnis schließlich zurück. Er spielte mit dem Gedanken, in die Zivilisation zurückzukehren, entschied sich aber dagegen. Im Einsatz für ihre Rechte wurden die Tiere seine Freunde und der Dschungel seine neue Heimat. Aus Gary Swanson war endgültig Tibor geworden.

 

 

 

ACHIM MEHNERT

Die Brüder der Schwarzen Mamba

Tibor Band 10

 

 

 

EINS

 

»Hoffentlich ist ein Teil meiner Ausrüstung noch brauchbar, damit ich sie in Nairobi verkaufen kann«, sorgte sich Professor Dobbs. »Wenn nicht, kann ich das Geld für eine Tierherde erst nach meiner Rückkehr nach New York aufbringen.«

Der Forscher hatte den Tombos versprochen, ihnen eine neue Herde zu bezahlen, da ihre Rinder seinetwegen von einem Tyrannosaurus Rex gerissen worden waren und die Krieger nun ohne Vieh dastanden. So war es eine Selbstverständlichkeit, dass er seine Schuld beglich und für Ersatz sorgte.

»Mein Guthaben auf der Bank reicht gerade noch für die Rückreise in die Vereinigten Staaten«, fuhr der bärtige Mann mit den dunklen Haaren fort. »Ich habe alles, was ich besaß, in diese Expedition gesteckt. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich pleite bin. Meine Freunde werden mir zwar aus der Klemme helfen, aber das dauert einige Wochen. Es wäre mir unangenehm, die Tombos so lange auf die zugesagten Tiere warten zu lassen.«

 

 

Tibor saß auf dem Rücken eines Elefanten, der Professor und seine Assistentin Miss Hudson auf einem weiteren. Kerak und die kleinen Äffchen Pip und Pop ritten ebenfalls auf einem Dickhäuter. Die Gruppe war auf dem Weg zu der Nairobi vorgelagerten Polizeistation, von wo aus Dobbs seinen weiteren Weg in die Heimat antreten wollte. Dorthin, von wo auch Tibor einst gekommen war – nach New York. Der Sohn des Dschungels lauschte in sich hinein. Er empfand keinen Anflug von Heimweh, stellte er fest. Mit seiner alten Heimat verband ihn nichts mehr. Der Dschungel des schwarzen Kontinents war schon lange sein neues Zuhause.

»Machen Sie sich wegen der Herde keine Sorgen. Ich übernehme das«, sagte er.

»Sie? Aber wieso denn?«

»Weil ich davon ausgehe, dass von Ihrer Ausrüstung nichts mehr zu gebrauchen ist. Die Lastwagen stecken tief im Morast. Nach der langen Zeit, die wir unterwegs waren, und bei dem feuchten Klima sind sie inzwischen verrostet und verrottet. Vergessen Sie die Wagen, Professor. Ihre teuren Instrumente können Sie auch nicht verkaufen, da wir sie hinter den toten Sümpfen zurücklassen mussten. Verlassen Sie sich nicht auf Ihre Freunde in New York. Ich bezahle die Rinder für die Tombos.«

»Wie denn?«, fragte Dobbs verständnislos. »Sie besitzen kein Geld. Oder sollte ich mich irren?«

»Durchaus nicht, aber es gibt andere Möglichkeiten«, erklärte Tibor. »Diamanten zum Beispiel. Ich kenne verschiedene kleine Flussläufe tief im Dschungel, wo man die wertvollen Steine nur vom Grund oder vom sandigen Ufer aufklauben muss.«

»Dann sind Sie reich«, staunte Miss Hudson.

»Ich könnte reich sein, wenn ich wollte.« Tibor lächelte die hübsche junge Frau mit den zu einem Pferdeschwanz gebundenen langen, blonden Haaren an. »Wahrscheinlich sogar einer der reichsten Männer der Welt. Doch daran liegt mir nichts.«

Dobbs war beeindruckt. »Es gibt nicht viele Menschen, die so selbstlos denken würden wie Sie. Ich nehme Ihr Angebot mit Dank an, Tibor.«

 

*

Die folgenden zwei Wochen vergingen ohne besondere Vorkommnisse. Die kleine Reisegruppe ritt am Tag und schlug ein Lager auf, sobald die Abenddämmerung einsetzte. Dann mahnte Tibor jedes Mal zur Eile, denn in diesen Breiten ging der Übergang vom Tag zur Nacht rasch vonstatten. Die Forscher bestaunten die naturbelassene Schönheit des Urwalds. Nachdem das Abenteuer mit den Sauriern überstanden war, gelang es Dobbs, seine Aufmerksamkeit anderen Dingen zu widmen. Er kümmerte sich fürsorglich um die beiden kleinen Compsognathus-Saurier, die Tibor ihm übergeben hatte, damit der Professor nicht mit leeren Händen heimkehrte und sich nicht dem Spott seiner zweifelnden Kollegen ausgesetzt sah. Dobbs hatte ihm im Gegenzug versprochen, für sich zu behalten, woher die Echsen stammten. Er sollte einen weniger unberührten Teil des Dschungels nennen. Dort konnten weitere Forscher und sonstige Neugierige wenig Schaden anrichten, und wenn sie nichts fanden, würden sie sich schnell wieder davonmachen.

 

 

 

ZWEI

 

Zwei Wochen später bestätigte sich Tibors Voraussage. Die Lastwagen der Expedition waren bis zu den Scheiben im Morast versunken. Selbst wenn es gelingen sollte, die Fahrzeuge mit Hilfe der Elefanten auf festen Untergrund zu ziehen, würden sie keinen Mucks mehr von sich geben.

»Sie hatten recht, leider.« Dobbs seufzte. »Wir müssen also auch den Rest des Weges bis zur Polizeistation auf dem Rücken dieser grauen Dickhäuter zurücklegen.«

Tibor winkte ab. »Sie und Miss Hudson schlagen sich prima. Sie schaffen das schon. Doch zunächst legen wir eine Rast ein. Schlagen Sie da vorn am Rand der Lichtung das Lager auf.«

»Und was machen Sie?«

»Ich hole etwas zu essen und ein paar Diamanten, mit denen sich eine stattliche Herde für die Tombos erstehen lässt.« Tibor stieg von seinem Reittier und machte sich auf den Weg. Die drei Männer, die sich im Urwalddickicht verborgen hielten, bemerkte er nicht.

 

*

Die stillen Beobachter trugen Uniformen der Dschungelpatrouille. Sie zogen die Köpfe ein, als Tibor sich von seinen Begleitern trennte. Solange sie ihn sahen, gaben die Polizisten keinen Laut von sich. Erst als er zwischen den Urwaldriesen verschwand, erhob Sergeant Andrews die Stimme.

»Glaubt ihr, er hat uns bemerkt?«

Brown schüttelte den Kopf. »Ausgeschlossen.«

»Sie scheinen hier lagern zu wollen«, raunte Peterson seinen Kameraden zu. »Sie errichten ein Lager. Tibor ist wahrscheinlich aufgebrochen, um etwas Essbares zu holen. Der Bursche kennt sich ja bestens im Dschungel aus.«

Nachdenklich betrachtete Brown den bärtigen älteren Mann und die junge Frau. »Die beiden kommen mir irgendwie bekannt vor, Sergeant.«

Andrews nickte. Auch er hatte einen Moment gebraucht, um die Gesichter zuzuordnen. »Richtig, das sind die Forscher, die wir für verschollen hielten, der verrückte Professor, der nach Sauriern suchen wollte, und seine Assistentin.«

»Dobbs und Hudson«, erinnerte sich Peterson an die Namen der monatelang vermissten Wissenschaftler. Er schob seinen Hut in den Nacken und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Damit sieht die Sache ganz anders aus. Tibor handelt nicht allein. Die Forscher sind seine Verbindungsleute in die zivilisierte Welt.«

»Bis zu Tibors Rückkehr können wir uns mit den beiden unterhalten«, schlug Brown vor.

»Warum ein solches Risiko eingehen? Ich halte es für besser, wir warten, bis sie wieder alle zusammen sind«, widersprach Peterson.

»Stimmt, denn wenn Tibor uns zu früh sieht, taucht er im Urwald unter und verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Dann erwischen wir ihn nie mehr.« Sergeant Andrews winkte mit seinem Gewehr. »Vergesst nicht, wie gefährlich dieser Dschungelbursche ist. Haltet für alle Fälle eure Waffen bereit.«

 

*

Tibor, der nicht ahnte, dass er am Rand des Lagers von drei bewaffneten Polizisten der Dschungelpatrouille erwartet wurde, sammelte Bananen und andere Früchte. Der Dschungel bot alles, was man zum Leben brauchte. Es genügte zu wissen, wo man danach suchen musste, genau wie nach den Diamanten, die es in den kleinen, sich durch den dichten Wald windenden Wasserläufen zuhauf gab. Tibor war froh, dass sie in der unberührten Natur versteckt lagen und keine Begehrlichkeiten weckten, doch er machte sich nichts vor. Der Tag würde kommen, an dem Schatzsucher und Glücksritter in das naturbelassene Paradies eindrangen, und in deren Gefolgschaft kamen Holzfäller mit Motorsägen, Planierraupen und Baggern.

Lieber nicht daran denken.

Als Tibor genügend Früchte zusammengetragen hatte, legte er seine Hände wie einen Trichter vor den Mund und stieß seinen bei Freunden bekannten und bei Gegnern gefürchteten Dschungelruf aus. Seine Stimme schallte weithin durch den Wald und verständigte Kerak, der das Obst abholen und zum Lager bringen sollte. Tibor wartete nicht auf das Eintreffen seines Freundes. Auf den Gorilla war Verlass. Wenn Kerak die Früchte sah, wusste er, was er zu tun hatte.

Tibor ergriff eine aus der Krone eines Urwaldriesen herabhängende Liane und schwang sich zum nächsten Baum. Nicht weit weg bahnte sich ein Flüsschen seinen Weg, in dem er einmal Diamanten gesehen hatte, ohne sich weiter um sie zu kümmern. Im Dschungel gab es keine Reisemöglichkeit, die einen so schnell von einem Ort zum anderen brachte, wie sich in luftiger Höhe von Baum zu Baum zu schwingen.

Wenn man sie beherrscht und zu nutzen weiß, dachte Tibor lächelnd.

So eilte er seinem Ziel entgegen, begleitet nur von den Lauten im Dickicht verborgener Tiere. Hier kreischten Äffchen, dort zischelten Reptilien, und in den Baumkronen zeterten und schimpften Vögel, die sich in ihrer Ruhe gestört fühlten. Unter ihm flogen farbenprächtige, exotische Blüten dahin. Vorhänge aus Licht schufen im Unterholz und in mannshohen Farnkolonien ein Spiel aus Licht und Schatten, ein faszinierender Anblick, der sich nur jenen erschloss, die Sinn für die Schönheit der Natur hatten.

Leises Murmeln erregte Tibors Aufmerksamkeit, und gleich darauf erspähte er inmitten des allgegenwärtigen Grüns das blaue Schimmern des Flüsschens. Das Sonnenlicht funkelte und gleißte in dem nur wenige Meter breiten Flusslauf, an dem ein sich wiegendes Meer aus Schilfgras wucherte. Tibor glitt von der Liane zu Boden und orientierte sich.

Noch ein Stück weiter flussabwärts.

Nach einem halben Kilometer blieb das Schilf zurück, und das Gewässer legte sich in eine scharfe Biegung. Sand hatte sich in der Kehre abgelagert, an die sich Tibor erinnerte. Seine nackten Füße erzeugten schmatzende Geräusche, als er zum Wasser hinunterging, in dem sich Bäume und Sträucher spiegelten.

Tibor ging in die Hocke, und sein eigenes Spiegelbild schaute ihm entgegen. Nur Sekunden vergingen, bis er die Bestätigung erhielt, dass er sich nicht geirrt hatte. Im Sand lagen Diamanten, mehr als er für seinen Zweck benötigte. Als er die Hand ausstreckte, um danach zu greifen, fiel ein Schatten aufs Wasser.

Eine mächtige Gestalt stand hinter Tibor. Sie hob einen Knüppel zum Schlag.

 

*

Während Professor Dobbs und Miss Hudson das Lager errichteten, hockte Kerak an einem Baumstamm. Regungslos verfolgte er das Treiben der Zweibeiner. Pip und Pop hingegen tollten aufgekratzt umher. Mal kletterten die Äffchen auf die Schultern des Gorillas, von denen er sie gleich wieder verscheuchte, mal stiegen sie auf einen Baum, wo sie in einer Astgabel schnatterten und nach dem Sohn des Dschungels Ausschau hielten. Die Elefanten verweilten mit schwingenden Rüsseln am Rand der Lichtung. Sie waren klug genug, sich von dem sumpfigen Gelände fernzuhalten, das den Lastwagen zum Verhängnis geworden war.

»Hoffentlich bleibt Tibor nicht so lange weg«, sagte Miss Hudson. »Mir ist es nicht geheuer so ganz allein in der Wildnis.«

»Machen Sie sich keine Sorgen«, entgegnete Dobbs. »Kerak passt auf, dass wir keine unangenehme Überraschung erleben. Außerdem bin ich sicher, dass uns keine Gefahr droht. In dieser Gegend scheint es keine wilden Tiere zu geben, die uns gefährlich werden könnten. Tibor hätte uns sonst gewarnt.«

»Ja, da haben Sie wohl recht.«

Immer wieder schaute der Professor zu den versunkenen Lastwagen hinüber. Der Verlust der Fahrzeuge kam ihn ebenso teuer zu stehen wie der seiner technischen Geräte. Tibors Hilfe ließ sich nicht hoch genug bewerten. Die in Aussicht gestellten Diamanten sorgten dafür, dass Dobbs sein den Tombos gegebenes Versprechen halten konnte. Er zuckte zusammen, als ein langgezogener Schrei Pips und Pops Schnattern übertönte.

Miss Hudson drehte den Kopf in alle Richtungen. »Was ist das?«

»Tibors Dschungelruf.«

Kerak sprang auf und schüttelte die schon wieder wie Kletten an ihm hängenden Äffchen ab. Grunzend brach er durchs Unterholz und verschwand im Dschungel.

»Was mag das zu bedeuten haben?« Miss Hudson rückte ihre Brille zurecht. »War das vielleicht ein Hilferuf an Kerak? Hoffentlich ist Tibor nichts zugestoßen.«

»Bestimmt nicht. Tibor kennt sich bestens im Dschungel aus und weiß sämtlichen Gefahren zu trotzen.« Dobbs schaute in die Richtung, in die der Gorilla verschwunden war. Entgegen seiner Versicherung plagten auch ihn Zweifel.

 

*

Auch die Dschungelpolizisten vernahmen den ihnen wohlbekannten Ruf. Zwar wussten sie, dass er von Tibor stammte, nicht jedoch, was er bedeutete. Sie sahen nur, dass der Gorilla wie von der Tarantel gestochen aufsprang und auf allen Vieren in den Dschungel rannte. Unschlüssig berieten sie, wie sie sich verhalten sollten.

»Ob Tibor Lunte gerochen hat?«, grübelte Brown. »In dem Fall können wir warten, bis wir schwarz werden.«

»Befragen wir die Wissenschaftler«, schlug Peterson vor.

»Die wissen bestimmt nicht mehr als wir.«

»Vielleicht doch. Es ist einen Versuch wert.«

»Hiergeblieben!«, hielt Sergeant Andrews seine Kameraden zurück, bevor sie aus dem Dickicht treten konnten. »Die Lage ist zu unübersichtlich. Vielleicht kündigt der Urwaldschrei sogar Tibors bevorstehende Rückkehr an. Wir warten weiterhin ab.«

Die dem Sergeanten unterstellten Brown und Peterson fügten sich der Anweisung. Geduldig harrten die Polizisten in ihrem Versteck aus. Hin und wieder warf Brown den Elefanten verstohlene Blicke zu. Die Nähe der Dickhäuter war ihm nicht geheuer. Die Uniformierten brauchten nicht lange zu warten, bis Kerak zurückkehrte.

»Blinder Alarm«, brummte Peterson. »Der Affe hat Früchte geholt.«

»Was heißt blinder Alarm?« Brown war anderer Ansicht. »Tibor muss Lunte gerochen haben. Wieso schickt er sonst den Affen her, statt selbst zurückzukommen?«

Andrews wusste nicht, was er von der Sache halten sollte. Einerseits durfte ihnen Tibor nicht durch die Lappen gehen, andererseits wollte er den Dschungelburschen nicht durch voreiliges Eingreifen warnen. Ihm als Vorgesetztem der beiden anderen oblag die Entscheidungsgewalt.

»Da die Forscher ein Lager aufgeschlagen haben, werden sie nicht so schnell wieder aufbrechen. Wir warten noch eine Weile ab. Also verhaltet euch still. Die Elefanten haben gute Ohren.«

»Ihr Geruchssinn ist noch besser«, sagte Brown unbehaglich. »Zum Glück steht der Wind gegen uns. Solange er nicht dreht, wittern uns die Dickhäuter nicht. Wehe, die Biester kommen mir zu nahe.« Er fasste sein Gewehr fester, entschlossen, es notfalls gegen die Elefanten einzusetzen.

 

*

Der Knüppel sauste nieder und hätte ihm den Schädel zertrümmert, doch Tibor schnellte zur Seite und entging dem furchtbaren Hieb. Ein Gorilla, so groß und kräftig wie Kerak, hatte den Schlag geführt. Zu einem zweiten Angriff kam er nicht. Gedankenschnell packte Tibor den Arm des großen Affen und wirbelte ihn herum. Mit einem wütenden Schrei flog der Gorilla über ihn hinweg und klatschte in den Fluss. Er schlug um sich, schnaufend und prustend, und Wasser spritzte in alle Richtungen. Der Herr des Dschungels blieb am Ufer stehen. Er begriff nicht, was der heimtückische Angriff zu bedeuten hatte.

»Ich hoffe, das Wasser kühlt dich ab. Und nun verrate mir, weshalb du mich feige von hinten angreifst.«

Der Gorilla dachte nicht daran, zu antworten. Grollend erhob er sich aus dem Fluss und stapfte Tibor zu. Seine gefletschten Zähne verrieten, dass das unfreiwillige Bad sein Mütchen keineswegs gekühlt hatte. Zorn funkelte in seinen Augen.

»Du hast also noch nicht genug?« Tibor ließ dem großen Affen keine Chance zu einer weiteren Attacke. Er ballte die Hand zur Faust und versetzte dem Gorilla einen mächtigen Schwinger.

Abermals flog der Affe ins Wasser. Sein wütendes Brüllen hallte über den Fluss. »Das wirst du büßen, Tibor!«

»Meinst du? Willst du etwa noch mehr Zeit im Fluss verbringen? Oder verrate mir endlich, was dich zu deinem heimtückischen Angriff verleitet hat. Was habe ich dir getan?«

»Ich bin Tando«, grunzte der Gorilla. »Seit du in das Land ohne Wiederkehr hinter den toten Sümpfen gezogen bist, gehorchen mir alle großen Affen.«

Tibor begriff. Tando hatte sich seine monatelange Abwesenheit zunutze gemacht, um sich zum Herrn der Gorillas aufzuschwingen. Nun, da Tibor zurück war, fürchtete er um seine neue Position als Anführer. »Nach dem Gesetz des Dschungels musst du vor allen großen Affen gegen mich kämpfen, um deine Führerschaft zu beweisen, doch dazu bist du zu feige. Deshalb kamst du auf die Idee, mich aus dem Hinterhalt auszuschalten.«

Tando grollte und zeigte seine Zähne. »Ich bin nicht feige. Ich bin bereit, vor den großen Affen mit dir zu kämpfen, aber es soll ein ehrlicher Kampf werden. Du kämpfst nicht ehrlich, wenn du ausweichst und dann zuschlägst. Andernfalls wäre es dir nicht gelungen, mich in den Fluss zu werfen.«

Ganz unrecht hatte Tando nicht, musste Tibor zugeben, zumindest nach dem Verständnis der Affen. Er durfte nicht zulassen, dass es so aussah, als würde er unlauter kämpfen. Andernfalls verlor er den Respekt der Gorillas.

»Ich will nicht, dass man mir eine unehrliche Kampfweise nachsagt. Daher akzeptiere ich deine Bedingungen.« Tibor deutete zum Himmel hinauf. »Wenn der volle Mond zu sehen ist, soll der Zweikampf auf eurem großen Kampfplatz stattfinden.«

»Gut. Alle großen Affen aus der Gegend werden anwesend sein.«

Tando trollte sich mit zufriedenem Knurren. Tibor sah ihm hinterher, bis der Gorilla außer Sichtweite war, dann klaubte er ein paar schöne Rohdiamanten aus dem seichten Uferwasser. Die Sonnenstrahlen brachten die feuchten Steine zum Funkeln. Ihr Anblick war eine Augenweide. Tibor erhob sich und vertraute sich einer Liane an. Es wurde Zeit, dass er zu den wartenden Forschern zurückkehrte.

 

*

»Sie … sie kommen näher«, stammelte Brown. »Die Elefanten kommen näher.«

Die grauen Dickhäuter stapften am Rand der Lichtung umher, ohne sich dabei an den Rand des Sumpffleckens zu verirren. Wählerisch zupften sie mit ihren Rüsseln frische Blätter und junge Triebe ab und stopften sie sich ins Maul. Unbeabsichtigt näherten sie sich dem Versteck der Dschungelpolizisten.

»Still!«, zischte Sergeant Andrews. »Dann bemerken sie uns nicht.«

Doch Brown geriet in helle Aufregung. Er wich zurück, ohne darauf zu achten, wo er hintrat. Äste knackten, und die Elefanten hielten inne. Sie drehten die Köpfe in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Nun wurden auch Andrews und Peterson nervös.

»Sie haben uns entdeckt«, flüsterte der Sergeant.

In Browns Gesicht zeichneten sich hektische, rote Flecken ab. »Ich habe es euch gleich gesagt. Sie werden uns niedertrampeln.«

»Bewegt euch nicht, dann ignorieren sie uns«, schärfte Andrews seinen Männern ein.

Seine Worte waren vergeblich. Panisch brach Brown durch die Büsche und stürzte die Elefanten damit in Verwirrung. Auf die ihnen unbekannten Zweibeiner aufmerksam geworden, stapften sie heran. Brown schlotterte am ganzen Körper, und Peterson war zu keiner Regung fähig. Der Sergeant hatte den Waffeneinsatz unter allen Umständen vermeiden wollen, doch nun blieb ihm keine andere Wahl, als sich die Dickhäuter mit Gewalt vom Leib zu halten. Er riss seinen Karabiner in die Höhe, legte an und zog den Abzug durch. Donnernd löste sich ein Schuss, und die Kugel durchbohrte ein Ohr des Elefanten. Peterson fluchte vernehmlich, als die mächtigen Tiere endgültig in Raserei gerieten. Trompetend rannten sie auf das Dickicht zu, in dem die Uniformierten kauerten. Der Boden bebte unter den tonnenschweren Vierbeinern.

»Zur Seite, Männer!«, brüllte Andrews gegen das Kreischen der Elefanten an.

Brown stieß einen gellenden Schrei aus, der jäh abbrach. Ein grauer Riese stürmte auf den Sergeanten zu. Bevor Andrews ihm ausweichen konnte, schleuderte ihn ein dumpfer Schlag beiseite. Der Anführer der Dschungelpatrouille verlor augenblicklich das Bewusstsein.

 

*

Der weithin hallende Schuss und das aufgeregte Trompeten der Elefanten alarmierten Professor Dobbs und Miss Hudson, die sich gerade am Feuer niedergelassen hatten. Als sie einen Hilfeschrei vernahmen, waren sie mit einem Sprung auf den Beinen.

»Die Elefanten gehen durch«, krächzte Dobbs.

»Da ist jemand im Gebüsch. Es sind Menschen«, brachte seine Assistentin hervor. Das Entsetzen schnürte ihr die Kehle zu.

Die Elefanten brachen durchs Unterholz, zum Glück in die andere Richtung, sonst hätten sie das Lager niedergetrampelt. In ihrer Panik walzten sie über alles hinweg, was ihnen im Weg stand. Lärmend verschwanden sie im Dschungel.

Miss Hudson machte einen zaghaften Schritt. »Die Menschen, Professor, ob sie tot sind?«

»Bleiben Sie hier.« Dobbs gab sich einen Ruck. »Komm, Kerak, wir sehen nach.«

Obwohl der Gorilla ihn nicht verstand, folgte er dem Forscher. Die von den Elefanten hinterlassene Spur der Zerstörung wies ihnen den Weg. Als sie das niedergetrampelte Dickicht erreichten, erwartete sie ein Bild des Grauens.

 

*

Als der Donner des Schusses durch den Urwald fegte, war Tibor nicht mehr weit vom Lager entfernt. Er fragte sich, wer geschossen haben mochte, denn der Professor und Miss Hudson besaßen keine Schusswaffen. Andere Menschen aber hielten sich in dieser Gegend nicht auf.

Offensichtlich doch!

Tibor flog von Liane zu Liane. Die Sorge um seine Freunde trieb ihn an. Der Schuss war eindeutig vom Lager gekommen. Als er es endlich erreichte, fand er eine verstörte Miss Hudson vor, die auf die Käfige mit den kleinen Compsognathus-Sauriern achtete. Pip und Pop hockten auf einem der Käfige und starrten zum anderen Ende der Lichtung.

»Was ist geschehen, Miss Hudson?« Tibor ließ die Liane los, flog durch die Luft und kam geschickt auf den Füßen zu stehen.

»Gottseidank, dass Sie wieder da sind«, empfing ihn die junge Frau.

»Wo sind der Professor und Kerak?« Erst jetzt fiel dem Sohn des Dschungels auf, dass ihre Reittiere nicht an ihrem Platz standen. »Und wo sind die Elefanten?«

»Durchgegangen. Jemand hat sich dort drüben im Gebüsch verborgen gehalten. Dann fiel plötzlich ein Schuss. Erst in dem Moment wurden wir auf die Männer aufmerksam.« Miss Hudsons Worte überschlugen sich. »Die Elefanten sind brüllend davongerannt, und die Männer … ich weiß es nicht. Der Professor und Kerak sehen gerade nach ihnen.«

»Ich gehe zu ihnen.«

Tibor brauchte seine Absicht nicht in die Tat umzusetzen, denn Dobbs und der Gorilla kamen herüber. Zwischen sich trugen sie einen bewusstlosen Mann, den sie behutsam auf dem Boden ablegten. Ungläubig betrachtete Tibor die Uniform.

»Ein Dschungelpolizist?«

Der Professor nickte. »Es waren insgesamt drei Polizisten. Seine beiden Kameraden liegen da drüben. Sie hatten weniger Glück als er.«

»Sie sind tot?«

»Ja.«

»Was wollten die Polizisten hier?«

Dobbs zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Anscheinend haben sie uns heimlich beobachtet.«

»Kümmern Sie sich um ihn.« Tibor konnte sich keinen Reim auf die Ereignisse machen. »Komm mit«, forderte er den Gorilla in der Sprache der Tiere auf. »Wir begraben die beiden Toten. Ich will nicht, dass sie Opfer von Schakalen werden.«

Die Freunde machten sich an die traurige Arbeit. Sie hoben eine breite, mannslange Grube aus und legten die Uniformierten darin zur letzten Ruhe nieder. Anschließend schaufelten sie die Grube wieder zu, um jeglichen Tierfraß zu verhindern. Schließlich errichtete Tibor ein provisorisch zusammengezimmertes Holzkreuz.

»Arme Kerle. Wir kennen nicht einmal ihre Namen. Warum haben sie nur auf die Elefanten geschossen? Sie haben die Zweibeiner bestimmt nicht angegriffen.«

»Nein, die Elefanten grasten friedlich, bis plötzlich der Donnerstock der Zweibeiner bellte. Ich glaube, Gombo wurde verletzt. Erst da gerieten die Elefanten in Raserei.« Kerak streckte einen Arm aus. »Sieh mal da, Tibor.«

Zwischen Bäumen und Büschen verborgen lag ein Camp mit Zelten und einer Menge Ausrüstung. Wenige Schritte abseits stand ein mit Ästen notdürftig getarnter Jeep.

»Das muss das Lager der Polizisten sein. Merkwürdig. Hier, Kerak, nimm die persönlichen Dinge der Toten an dich und achte darauf.« Die Freunde begaben sich zu den Forschern. »Wie geht es ihm?«

»Er hatte Glück.« Dobbs beendete seine Untersuchung des bewusstlosen Polizisten. »Er ist mit einer Gehirnerschütterung und ein paar Prellungen davongekommen. Er wird bald wieder zu sich kommen.«

Es freute Tibor, das zu hören. »Ich folge der Spur der Herde.«

Miss Hudson schaute zum Himmel hinauf, an dem sich die ersten Sterne abzeichneten. »In der Dunkelheit? Die Nacht setzt bereits ein.«

»Ich kann nicht bis morgen warten. Es gibt nichts Gefährlicheres als einen verwundeten Elefanten. Wenn ihn die Schmerzen zur Raserei treiben, ist nichts und niemand vor ihm sicher.«

»Und was werden Sie unternehmen, wenn Sie seine Wunde nicht verarzten können?«, fragte Dobbs.

Tibor blieb eine Antwort schuldig. Über einen solchen Fall wollte er lieber nicht nachdenken.

 

*

Die Schneise, die die Elefanten ins Unterholz geschlagen hatten, war im Mondlicht nicht zu übersehen. Immer wieder ließ Tibor seinen Dschungelruf erklingen, weil er hoffte, dass die fliehenden Dickhäuter darauf reagierten und stehenblieben. Schließlich holte er sie tatsächlich ein, doch es waren nur zwei Tiere.

»Wo ist Gombo?«, wollte er wissen.

»Wir wissen es nicht«, tröteten die Elefanten. »Er war furchtbar böse und ist immer weitergerannt. Wir konnte ihm nicht mehr folgen.«

Also konnte Gombo nicht allzu schwer verwundet sein. Dennoch wollte Tibor Gewissheit erlangen. Er setzte die Verfolgung fort, und nach einer Weile hatte er das Gefühl, dass der gesuchte Dickhäuter sich ganz in seiner Nähe aufhielt. Tibor hielt inne und sah sich um.

»Gombo, bist du da?«

Er erhielt keine Antwort, doch sein Instinkt sagte ihm, dass er aus verborgenen Augen beobachtet wurde. Geräuschlos huschte er auf dem weichen Waldboden weiter. Gombo stand mit eingezogenem Rüssel hinter dem Stamm eines mächtigen Urwaldriesen. Als Tibor sich ihm näherte, wich der Elefant langsam zurück.

»Was ist los mit dir, Gombo? Die Gefahr ist vorbei, dir kann nichts mehr passieren. Bleib stehen, damit ich mir deine Wunde ansehen kann.«

Endlich hielt der Dickhäuter inne. Er senkte den Kopf. Zu Tibors Erleichterung genügte eine flüchtige Untersuchung.

»Die Kugel ist glatt durch dein Ohr hindurchgegangen. Du hast nicht einmal Blut verloren. Die Wunde heilt von selbst. In ein paar Tagen spürst du keine Schmerzen mehr. Es ist alles in Ordnung.«

»Wirklich?«, fragte Gombo. »Du machst mir also keine Vorwürfe?«

»Wieso sollte ich dir Vorwürfe machen?«

»Wegen der Zweibeiner. Ich dachte, du seist böse auf mich, deshalb bin ich immer weitergelaufen und habe mich vor dir versteckt.«

»Dich trifft keine Schuld«, beruhigte Tibor den Elefanten. »Ich nehme an, einer der Zweibeiner hat aus Angst auf dich geschossen. Ich muss nun zu den anderen Zweibeinern zurückkehren. Lebe wohl, und bleibe allein, bis deine Wunde verheilt ist.«

Erleichtert rollte Gombo seinen Rüssel aus. Da der Herr des Dschungels ihm keine Vorwürfe machte, ging es ihm gleich besser.

 

*

Bei Tibors Rückkehr ins Lager hatte der Dschungelpolizist bereits das Bewusstsein wiedererlangt. Er stellte sich als Sergeant Andrews vor. Wie von Professor Dobbs festgestellt, hatte der Uniformierte tatsächlich keine Verletzungen davongetragen. Er klagte lediglich über leichte Kopfschmerzen.

»Ich habe Ihre beiden Kameraden beerdigt«, drückte Tibor sein Bedauern aus. »Es wäre nicht möglich gewesen, sie zur Polizeistation zu überführen. Das Unglück tut mir sehr leid.«

»Danke.« Andrews blickte betreten zu Boden. »Wir haben den Kopf verloren, weil die Elefanten uns immer näherkamen. Wäre der Schuss nicht gefallen, wäre dieses furchtbare Unglück vermutlich nicht geschehen.«

»Stimmt, denn Elefanten sind keine aggressiven Tiere. Sie greifen nur an, wenn sie sich bedroht fühlen.« Tibor wechselte das Thema. »Wieso haben Sie sich eigentlich im Dickicht verborgen gehalten, statt zu uns ins Lager zu kommen?«

»Eine reine Vorsichtsmaßnahme«, behauptete der Sergeant. »Wir wollten uns erst vergewissern, mit wem wir es zu tun haben.«

»Dafür haben Sie aber ganz schön lange gebraucht.«

»Was soll das heißen?«

»Dass Sie und Ihre Leute schon vor unserer Ankunft hier waren«, versetzte Tibor. »Ich habe mir vorhin Ihr Lager hinten im Wald angesehen. Die Spuren verraten, dass Sie sich seit mindestens drei Wochen hier aufhalten. Erwarten Sie jemanden, oder dürfen Sie über Ihren Auftrag nicht sprechen?«

Statt zu antworten, langte Andrews nach seinem Holster und zog den Revolver. Mit grimmiger Miene legte er auf Tibor und die Forscher an.

»Mit Ihrer Festnahme ist mein Auftrag erfüllt«, bellte er. »Keine Dummheiten! Das gilt für Sie alle.«

»Was soll das?«, fragte Tibor. »Sind Sie von Sinnen, Sergeant?«

»Der Sturz auf den Kopf muss ihn um den Verstand gebracht haben«, vermutete Dobbs.

»Keineswegs.« Andrews’ Blicke wanderten von einem zum anderen. »Ich weiß genau, was ich tue. Ich erfülle meine Pflicht, notfalls mit Gewalt. Also sagen Sie Ihrem Gorilla, dass er nicht auf die Idee kommen soll, mich anzugreifen, Tibor. Sonst erschieße ich Sie, und den Affen dazu. Und nun geben Sie Ihren Äffchen Anweisung, die Handschellen aus dem Jeep zu holen. Sie wissen ja, wo er steht.«

Tibor zögerte. »Ich frage Sie noch einmal, was das zu bedeuten hat.«

Andrews ließ nicht mit sich reden. »Quatschen Sie nicht. Antworten erhalten Sie später. Schicken Sie endlich die Äffchen los, und sie sollen sich beeilen.«

Tibor blieb nichts anderes übrig, als der Aufforderung nachzukommen. Pip und Pop turnten davon, um die Handschellen zu holen. Kerak war klug genug, nichts zu unternehmen. Er kannte die verheerende Wirkung der Donnerstöcke der Zweibeiner. Tibor fragte sich, was der Polizist ihm vorwarf. Grundlos bedrohte er seine Helfer bestimmt nicht mit dem Revolver.

»Hören Sie, Sergeant«, redete Tibor begütigend auf den Uniformierten ein. »Wenn Sie glauben, dass ich die Elefanten auf Sie und Ihre Männer gehetzt habe, dann irren Sie sich. Es handelte sich um einen tragischen Unfall, für den niemand etwas kann.«

Andrews winkte barsch ab. »Darum geht es gar nicht. Den verhängnisvollen Schuss habe ich schließlich selbst abgefeuert. Allerdings bringen Sie mich auf eine Idee, wie ich die Verantwortung dafür loswerden kann.«

Tibor verstand immer weniger. Das Gerede des Polizisten mutete ziemlich konfus an. »Was soll das nun wieder heißen?«

»Nichts. Vergessen Sie es einfach. Wo bleiben nur die verdammten Äffchen? Sie haben ihnen hoffentlich keinen Unsinn mit auf den Weg gegeben.«

»Natürlich nicht. Seien Sie nicht so ungeduldig. Pip und Pop müssen die Handschellen schließlich erst finden.« Tibor deutete über die Lichtung. »Da kommen sie schon.«

Instinktiv folgte Andrews dem Handwink und schaute nach links hinüber. Der Augenblick der Unachtsamkeit genügte Tibor, um einen schnellen Ausfallschritt zu machen. Mit der Rechten schlug er dem Polizisten den Revolver aus der Hand, mit der Linken versetzte er ihm einen krachenden Kinnhaken. Bevor Andrews reagieren konnte, lag er bereits im Gras.

»Es ist besser, ich verwahre den Revolver für Sie.« Tibor hob die Waffe auf. »Ah, da kommen Pip und Pop ja wirklich. Stehen Sie auf, Sergeant, damit ich Ihnen Ihre eigenen Handschellen anlegen kann.«

Andrews kam umständlich auf die Beine. Er rieb sich das schmerzende Kinn. Zornbebend musste er es über sich ergehen lassen, gefesselt zu werden. »Das wird Ihnen noch leidtun«, schnaufte er.

»Das glaube ich nicht. Und jetzt reden wir vernünftig miteinander. Rücken Sie endlich damit heraus, was das alles zu bedeuten hat. Weshalb haben Sie uns beobachtet, und wieso bedrohten Sie uns mit der Waffe?«

Der Uniformierte spie aus. »Ihre Dreistigkeit werden Sie bereuen.«

Tibor seufzte. »Begreifen Sie endlich, dass Sie nichts mehr zu sagen haben. Sie sind in unserer Hand. Wenn ich Sie eben richtig verstanden habe, wollten Sie mich festnehmen. Wieso?«

»Das fragen Sie noch, Sie Schauspieler?« Angst flackerte in Andrews’ Augen. »Das wissen Sie genauso gut wie ich, und wenn Sie mich umbringen, machen Sie alles nur noch schlimmer. Auf Dauer entkommen Sie der Dschungelpolizei nicht.«

»Umbringen? Ich Sie?« Tibor schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich verstehe nicht, wovon Sie sprechen, Sergeant.«

»Er scheint durch den Schreck und den Tod seiner Kameraden den Verstand verloren zu haben«, befürchtete Miss Hudson.

»Je schneller er in ärztliche Behandlung kommt, desto besser«, pflichtete Dobbs seiner Assistentin bei.

Tibor nickte nachdenklich. »Mit dem Jeep können wir die Polizeistation in drei Tagen erreichen.«

Andrews furchte die Stirn. »Hören Sie endlich auf mit dieser Schmierenkomödie. Wollen Sie mir ernsthaft weismachen, dass Sie beabsichtigen, mich zur Station zu bringen? Sparen Sie sich Ihre Lügen. Mir ist klar, dass Sie vorhaben, mich im Dschungel ein- für allemal loszuwerden. Aber ich beschwöre Sie, lassen Sie mich frei. Ich schwöre Ihnen, dass ich meinen Vorgesetzten nichts von unserer Begegnung erzählen werde.«

»Schluss jetzt. Morgen früh steigen wir alle zusammen in Ihren Jeep und machen uns auf den Weg.«

»Nein, ich fahre nicht mit Ihnen!«, kreischte der Polizist hysterisch. Seine Nerven gingen mit ihm durch. Trotz der Handschellen schlug er wild um sich. »Sie wollen mich unterwegs umbringen. Bringen Sie es lieber gleich hinter sich.«

»Wir sollten den armen Kerl schlafen legen«, schlug Dobbs vor. »Laut Vorschrift führen Angehörige der Dschungelpatrouille einen Verbandskasten mit sich, der auch Beruhigungsmittel enthält. Verabreichen wir ihm eine Dosis.«

»Nein, kein Beruhigungsmittel«, protestierte Andrews und versuchte die Flucht zu ergreifen. »Das wagen Sie nicht. Ich bin völlig normal. Sie sind die Verbrecher, nicht ich.«

Tibor hielt den Uniformierten fest, bevor er sich davonmachen konnte. Er hielt Dobbs Idee für ausgezeichnet, und sei es nur, um Andrews vor sich selbst zu schützen. »Bring ihn hinüber ins das andere Lager, Kerak.«

Die Augen des Polizisten weiteten sich vor Entsetzen. Er schrie wie am Spieß, als der Gorilla ihn packte und forttrug. Tibor und die Forscher gingen hinterher. Wie erwartet, fanden sie in der Ausrüstung der Polizisten ein starkes Beruhigungsmittel. Dobbs verabreichte dem Tobenden eine Injektion, und wenig später schlief Andrews ein. Bis zum nächsten Morgen regte er sich nicht mehr.

 

*

Gleich nach Sonnenaufgang packten Tibor und Dobbs zusammen. Sie luden die Käfige mit den jungen Compsognathus-Sauriern und die Ausrüstung der Polizisten in den Jeep. Nachdem sie das Feuer gelöscht hatten, bestiegen sie den Geländewagen. Andrews leistete keinen Widerstand. Das Beruhigungsmittel wirkte noch, und die Dosis konnte jederzeit aufgefrischt werden.

Ohne Zwischenfälle näherten sie sich der Station der Dschungelpolizei. Nach drei Tagen kam der Nairobi vorgeschobene Posten in Sichtweite. Andrews, der lethargisch in seinem Sitz hockte, obwohl er seit dem zweiten Reisetag nicht mehr stillgestellt wurde, richtete sich auf.

»Die Station?«, fragte er ungläubig.

»Was haben Sie denn sonst erwartet?«, stellte Tibor eine Gegenfrage.

»Ich glaube, jetzt werde ich wirklich verrückt«, sprudelte es aus dem Polizisten heraus. »Ich war fest davon überzeugt, Sie würden mich unterwegs umbringen.«

»Wie es scheint, haben Sie Ihren Schreck überwunden, Sergeant«, entgegnete Tibor. »Es freut mich, dass Sie nicht länger glauben, es ginge Ihnen an den Kragen.«

Wie überhaupt Andrews auf diese Idee gekommen war, erschloss sich Tibor jedoch immer noch nicht.

 

 

 

DREI

 

»Sergeant Andrews hat ja bereits zugegeben, dass er den verhängnisvollen Schuss abgegeben hat, durch den es zu den Todesfällen kam. Meiner Meinung nach trifft aber auch ihn keine Schuld. Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände, die schließlich zur Katastrophe führte«, beendete Tibor seinen Bericht.

Gemeinsam mit Professor Dobbs und Miss Hudson saß der Sohn des Dschungels im Büro des Stationskommandanten der Dschungelpolizei. Major Bradstone, ein vierschrötiger Mann mit sonnengebräunter Haut und einem Oberlippenbart, hatte Tibors Darlegung der Ereignisse aufmerksam gelauscht, während neben der Tür ein uniformierter Wachposten stand. Nun schürzte Bradstone die Lippen und setzte zum Sprechen an.

»Den letzten Punkt glaube ich Ihnen, Tibor, und ich teile Ihre Meinung.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Dass ich Ihnen Ihre Schilderung, wie es zum Tod der beiden Polizisten gekommen ist, abnehme. Sie deckt sich auch mit Sergeant Andrews’ Aussage. Alles andere glaube ich Ihnen jedoch nicht.«

»Wie bitte?«