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Diese werkgetreue Umsetzung als Roman umfasst den Inhalt des sechsten Abenteuers aus den Piccolo-Comicheften 47-60 von Hansrudi Wäscher. Über dem Dschungel steigt unheimlicher roter Rauch auf und versetzt die Tiere in Angst und Schrecken. Als Tibor sich auf die Suche nach der Quelle macht, stößt er auf ein Dorf der Kajangas, das von Diamantenräubern überfallen und geplündert wurde. Das heimtückische Verbrechen ruft finstere Kräfte auf den Plan. Der Große Tumbuku sammelt seine Anhänger, um sich gegen die Weißen zu erheben. Er will das Land mit Krieg überziehen, doch er hat nicht mit Tibors Eingreifen gerechnet. Dem Sohn des Dschungels bleibt ein Tag, um die an dem Überfall Schuldigen zu entlarven und eine Tragödie zu verhindern.
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Seitenzahl: 169
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Originalausgabe September 2014
Charakter und Zeichnung: Tibor © Hansrudi Wäscher / becker-illustrators
Text © Achim Mehnert
Copyright © 2017 der eBook-Ausgabe Verlag Peter Hopf, Petershagen
Lektorat: Edelgard Mank
Umschlaggestaltung: etageeins, Jörg Jaroschewitz
E-Book-Konvertierung: Thomas Knip | Die Autoren-Manufaktur
ISBN ePub 978-3-86305-237-9
www.verlag-peter-hopf.de
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Hansrudi Wäscher wird vertreten von Becker-Illustrators,
Eduardstraße 48, 20257 Hamburg
www.hansrudi-waescher.de
Alle Rechte vorbehalten
Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.
Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.
WIE ALLES BEGANN
EINS
ZWEI
DREI
VIER
FÜNF
SECHS
SIEBEN
ACHT
NEUN
Der junge Millionenerbe Gary Swanson erfüllte sich den Wunsch seiner Jugend. Von New York aus begab er sich auf Safari in den noch weitgehend unerforschten schwarzen Kontinent Afrika. Was wie ein Traum begann, entwickelte sich zu einem Albtraum.
Nach einem Ausflug zum Kilimandscharo geriet sein Flugzeug in eine ausgedehnte Schlechtwetterzone und stürzte ab. Swanson überlebte das Unglück nur leicht verletzt, konnte sich aber weder an seine Identität noch an seine Herkunft erinnern. Er hatte das Gedächtnis verloren.
Mit dem Willen zu überleben schlug er sich durch die Wildnis. Im Dschungel stieß Swanson auf einen von einem umgestürzten Baum eingeklemmten Gorilla und befreite ihn. Dafür bedachte ihn der große Affe Kerak mit dem Namen »Tibor«, was so viel bedeutet wie »der Hilfsbereite«. Kerak brachte Tibor das Überleben im Dschungel bei und lehrte ihn die Sprache der Tiere. Schnell wurden sie zu unzertrennlichen Freunden.
Tibor Band 6
Als Tibor aus seiner Hütte trat, empfing ihn das Sonnenlicht des jungen Tages. Er streckte sich und gähnte. Seine ersten Gedanken galten dem roten Rauch, von dem Kerak ihm am Vorabend berichtet hatte. Roter Rauch, der angeblich über dem Dschungel aufstieg, seit ein Vogel im Flug ein Ei hatte fallen lassen. Zweifellos ein Flugzeug. Tibor fragte sich, was es über dem Urwald abgeworfen hatte.
»Guten Morgen«, begrüßte ihn Kerak. Der Gorilla kam aus seiner Hütte, die gleich neben der von Tibor stand, und kratzte sich am Kopf. »Wonach suchst du?«
»Ich halte nach dem roten Rauch Ausschau. Jetzt ist nichts davon zu sehen.«
»Er war aber da. Alle meine Brüder haben ihn gesehen.«
»Ich zweifle nicht daran.«
Tibor merkte auf, als Pip und Pop ins Freie traten. Auch die kleinen Äffchen hatten ihre eigene Hütte. Gemeinsam mit Kerak hatten sie die drei verschieden großen Holzhäuser aus Bambus und Lianen fertig gebaut, als Tibor im Tal der Ungeheuer unterwegs gewesen war.
»Kommt mit zum Fluss!«, forderte er die Affen auf. »Ein Bad treibt uns den Schlaf aus den Augen.«
»Brrr, Wasser!« Kerak schüttelte sich vor Entsetzen. »Das Bad musst du allein nehmen.«
»Wir wollen unsere Flöhe ebenfalls nicht ertränken«, zeterte Pip.
»Aber wir begleiten dich, um dir die Krokodile vom Leib zu halten«, tönte Pop.
Tibor lachte. Er hatte seine Freunde unterwegs vermisst. Es war schön, wieder bei ihnen zu sein. Allerdings wurde die Wiedersehensfreude ein wenig getrübt. Der geheimnisvolle rote Rauch ging ihm nicht aus dem Kopf.
Er griff nach einer Liane, stieß sich von der Veranda seiner Hütte ab und sauste durch die Luft. Diese Art der Fortbewegung war ihm längst in Fleisch und Blut übergegangen. Im Dschungel gab es keine Alternative, die so praktisch war und einen so schnell voranbrachte. Die Affen folgten ihm auf die gleiche Weise. Es dauerte nicht lange, bis sie den Fluss erreichten. Tibor hielt erst gar nicht an, sondern ließ sich vom eigenen Schwung tragen. Er ließ die Liane los, flog durch die Luft und klatschte in die kühlen Fluten.
Er sah sich um. Es waren keine Krokodile in der Nähe, die ihn für einen schmackhaften Frühstückshappen halten konnten. Tibor ließ sich hundert Meter mit der Strömung treiben, dann kraulte er kräftig gegen sie an. Er wiederholte das erfrischende Spiel, bis er Kerak aufgeregt winken sah.
Groß und beeindruckend stand der grauhaarige Gorilla am Flussufer. »Der Rauch ist wieder da!« Seine aufgeregten Worte wurden übers Wasser getragen. »Er ist viel näher gekommen. Jetzt ist er schon über dem Tal.«
Das klang besorgniserregend. Tibor stellte seine Leibesertüchtigung ein und schwamm zurück an Land. Er stieg aus dem Wasser und stellte sich neben seinen Freund. Es stimmte. Eine rote Rauchsäule stieg dem blauen Himmel entgegen.
»Alle Tiere haben sich in Sicherheit gebracht«, flüsterte Pip. »Vielleicht wäre es besser, wenn wir auch …«
»Feigling!«, fiel ihm Pop keifend ins Wort. »Bleib nur hier, wenn du dich fürchtest. Tibor und ich werden den roten Rauch vertreiben.«
»Angeber.«
»Angeber? Ich? Na warte!« Pop stürzte sich auf Pip. Die Äffchen rangen miteinander und rollten über den Boden.
»Streitet euch nicht!«, schritt der Sohn des Dschungels ein. »Dafür ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.«
Das Flugzeug, das anscheinend schon wieder etwas abgeworfen hatte, war nicht zu sehen. Offenbar hatte der Pilot bereits den Rückflug angetreten. Die Ereignisse waren merkwürdig. So weit war noch nie ein Flugzeug vorgedrungen. Was hatte das zu bedeuten? Der aufsteigende Rauch gestattete keine Rückschlüsse, welchem Zweck er diente.
»Kommt!«, forderte Tibor die Affen auf. Es gab nur einen Weg, sich Gewissheit zu verschaffen. »Wir sehen nach, was es mit dem Rauch auf sich hat.«
Pip sprang herbei und hielt sich an seinem Lendenschurz fest, um sich tragen zu lassen. Pop spähte mit großen Augen zwischen den Büschen hervor. Er schien nicht recht zu wissen, was er von der Sache halten sollte.
Tibor ergriff eine Liane. »Wo bleibst du, Pop? Du warst doch eben noch so mutig.«
»Ich komme ja schon.«
Als der kleine Affe aus seinem Versteck kam, ging die Reise los. Tibor gab die Richtung vor, und gemeinsam machten die Gefährten sich auf den Weg.
*
Einige Stunden später war das Ziel erreicht. Tibor hielt inne. Vor ihnen erhoben sich keine weiteren Bäume. Mannshohe Büsche und Dschungelpflanzen bedeckten das Land. In dichten Wolken quoll der rote Rauch aus dem Dickicht hervor. Der Anblick war unheimlich.
»Was ist das?«, fragte Pip ängstlich.
»Ich weiß es nicht«, gestand Tibor. Er wollte seine Freunde nicht in Gefahr bringen. »Ich sehe es mir aus der Nähe an. Ihr wartet hier. Kerak, achte darauf, dass die beiden keinen Unsinn anstellen. Auf keinen Fall dürft ihr mir folgen, bevor ich euch rufe.«
»Verstanden. Sei vorsichtig.«
Tibor stieg aus der Baumkrone hinab und setzte seinen Weg zu Fuß fort. Er hielt die Nase in den Wind. Es roch nicht verbrannt. Ein Feuer war also nicht ausgebrochen. Aber was sonst konnte diesen Rauch erzeugen? Mit jedem Schritt wuchs seine Sorge, sich etwas Gefährlichem zu nähern. Wieder dachte er an das Ei, welches das Flugzeug abgeworfen hatte. Wahrscheinlich handelte es sich um einen Behälter, aus dem der Rauch entströmte. Doch wozu? Das ergab einfach keinen Sinn. Zuerst hatte er an Giftgas gedacht, doch diese Gefahr konnte er ausschließen. Es war kein Tier gestorben, nachdem es den Rauch eingeatmet hatte.
Tibor erschrak heftig, als ihm ein Gedanke kam. Vielleicht handelte es sich sogar um eine Bombe. Er verdrängte die Überlegung und zwang sich, weiterzugehen.
Viel wahrscheinlicher war, dass es sich um eine Signalbombe handelte. Solche Rauchbomben wurden zur Markierung bestimmter Punkte abgeworfen. Tibor konnte sich jedoch niemanden vorstellen, der in dieser Gegend Interessen anzumelden hatte. Kein Weißer war jemals so weit in den Urwald vorgedrungen.
Plötzlich versiegte der dichte Rauch. Nur noch ein dünnes Fähnchen stieg himmelwärts. Der Inhalt der Rauchpatrone musste erschöpft sein.
Vorsichtig schlich Tibor weiter. Ein Lichtstrahl wurde von etwas zurückgeworfen und blendete ihn sekundenlang. Er zog den Kopf ein und huschte weiter, bis er einen metallischen Körper entdeckte, der das Sonnenlicht reflektierte. Es war tatsächlich eine Signalbombe, deren Nase sich in den weichen Untergrund gebohrt hatte. Große, rote Buchstaben waren auf die Hülle gepinselt.
KEINE GEFAHR, TIBOR.
Der Sohn des Dschungels lief hinüber und untersuchte den Metallkörper. Das Ding war für ihn bestimmt, daran ließen die aufgemalten Worte keinen Zweifel. Darunter befand sich eine kleinere Aufschrift. Sie erklärte, wie die Bombe zu öffnen war. Tibor befolgte die Anweisungen, und Sekunden später klappte ein Teil der Metallhülle auf. Ein zusammengefalteter Zettel lag darin.
»Das wird ja immer toller«, murmelte der Freund der Tiere.
Bei dem Zettel handelte es sich um einen Brief von Major Bradstone von der Dschungelpolizei. Er war handschriftlich verfasst und an Tibor gerichtet, der ihn staunend las.
»Lieber Tibor, dies ist der letzte Versuch, mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen. Ich habe diese außergewöhnliche Methode gewählt, weil alle Suchtrupps ohne Erfolg zurückgekehrt sind. Bitte kommen Sie, so schnell Sie können, zur Polizeistation. Sie sind meine einzige Hoffnung.«
Tibor drehte das Papier zwischen den Fingern. Bis auf die Unterschrift des Dschungelpolizisten lieferte es keine weiteren Informationen. Tibor bedauerte, dass Bradstone nicht erwähnte, worum es ging. Wegen einer Kleinigkeit würde er jedenfalls keinen solchen Aufwand betreiben.
Noch einmal las Tibor die Nachricht. Er zuckte ratlos mit den Achseln.
Er erinnerte sich gut an Bradstone. Der Major hatte sich sehr verständnisvoll gezeigt, als Tibor ihm damals eröffnet hatte, nicht in die Zivilisation zurückkehren, sondern ein neues Leben im Urwald beginnen zu wollen. Tibor, dessen Name damals noch Gary Swanson gelautet hatte, hatte alles verloren, seine Verlobte, seine Freunde und sein Vermögen. In der zivilisierten Welt hielt man ihn nach seinem Flugzeugabsturz für tot. Die meisten Menschen hätten ihn nach seiner Entscheidung für verrückt erklärt und ihm möglicherweise sogar Knüppel zwischen die Beine geworfen, nicht so Bradstone. Er hatte Swansons Wunsch, weiterhin ein Toter zu bleiben, respektiert.
So war es bis heute geblieben. Gary war tot, Tibor lebte.
›Ich schulde ihm etwas.‹
Wenn der Major der Meinung war, dass nur Tibor ihm helfen konnte, dann durfte er ihn nicht im Stich lassen. Trotzdem hätte er gern gewusst, wobei er eine solch große Hilfe sein konnte. Nun, das würde er noch früh genug erfahren. Zunächst galt es, Bradstone nicht im Ungewissen zu lassen. Der Major musste erfahren, dass seine Nachricht ihren Adressaten erreicht hatte.
Tibor stand auf, formte aus seinen Händen einen Trichter vor dem Mund und stieß seinen weithin bekannten Urwaldschrei aus. Er rief nach Kerak und den kleinen Affen. Für sie bestand keine Gefahr.
Wenig später trafen sie ein. Pip und Pop ritten auf Keraks Schultern. Argwöhnisch betrachtete der Gorilla die Signalbombe, aus der inzwischen kein Rauch mehr drang.
»Ist dies das Ei, das der große Vogel abgeworfen hat?«
»Ja, aber ihr braucht euch nicht zu sorgen. Es ist harmlos, wie du siehst. Ihr könnt den anderen Tieren berichten, dass der große Vogel nicht mehr kommen wird.«
»Bist du sicher?«
»Ja, Kerak«, versicherte Tibor. »Erinnerst du dich noch an die weißen Männer, die in einem Lager im Dschungel leben?«
»Ich habe sie nicht vergessen, vor allem nicht ihre Donnerstöcke.«
»Der Häuptling dieser weißen Männer hat mir durch den Vogel eine Nachricht geschickt. Er braucht meine Hilfe.«
Der Gorilla neigte den Kopf. »Heißt das, du willst zu ihm gehen?«
»Ich muss. Er hat mich um meine Hilfe gebeten, und die kann ich nicht ablehnen. Ich stehe in seiner Schuld.«
»Wenn das so ist, dann begleiten wir dich. Wir wollen nicht wieder alleingelassen werden. Du darfst uns nicht verlassen.«
»Es ist nur vorübergehend«, versuchte Tibor den Gorilla zu beruhigen. »Sobald es geht, kehre ich zu euch zurück. Aber bis dahin ist es besser, ihr bleibt im Dschungel. Ich will vermeiden, dass ihr bei den weißen Zweibeinern in Gefahr geratet. Außerdem müsst ihr den anderen Tieren die gute Nachricht überbringen, dass die Gefahr vorbei ist. Sie brauchen nichts mehr zu befürchten.«
»Ja, du hast recht.«
»Lebt wohl, und bis bald!«
*
»Leb wohl!«, rief Pip hinter dem Freund der Tiere her.
Kerak ließ Tibor nicht aus den Augen, bis sein Freund im Dickicht verschwand. Er seufzte schwermütig. Viel lieber hätte er Tibor begleitet, um auf ihn aufzupassen. Aber es stimmte, die anderen Tiere mussten erfahren, dass kein roter Rauch mehr aufsteigen würde.
»Kaum ist er da, ist er schon wieder weg«, zeterte Pop. »Bringt ihr beide den Tieren die gute Nachricht. Ich folge Tibor.«
»Das gibt es nicht«, protestierte Pip. »Wenn, dann folgen wir ihm alle.«
»Ihr habt wohl nicht zugehört?«, wies Kerak die Äffchen zurecht. »Tibor verlässt sich auf uns.«
»Seht mal, wer da oben kreist.« Pip streckte einen Arm zum Himmel.
Kerak schaute nach oben. Vor dem Blau waren mächtige Schwingen zu sehen. »Kila, der Adler.«
»Los, wir machen Kila auf uns aufmerksam«, schnatterte Pop. »Er kann den Tieren viel schneller Bescheid sagen als wir.«
Der Gorilla und die kleinen Affen winkten und riefen nach dem Adler. Es dauerte eine ganze Weile, bis Kila endlich auf sie aufmerksam wurde.
*
Tibor schwang sich von einem Urwaldriesen zum nächsten. Sein Weg führte ihn immer weiter nach Süden. Zum Glück gab es keine Zwischenfälle, die ihn aufhielten. Er wusste zwar nicht, was der Major von ihm wollte, aber die Nachricht hatte dringlich geklungen. Der Anlass musste wichtig sein, sonst hätte Bradstone nicht gleich mehrmals Flugzeuge ausgeschickt, um Signalbomben abzuwerfen.
Zu schade, dass Tibor nicht einen Tag früher aus dem Land der Ma-Angas in seinen Dschungel zurückgekehrt war. Dann hätte ihn das Flugzeug vom Morgen mitnehmen können, was ihm viel Zeit erspart hätte. So brauchte er mindestens fünf Tage, um zur Station der Dschungelpolizei zu gelangen. Hoffentlich war es dann nicht schon zu spät.
Tibor gönnte sich nur wenig Schlaf, um keine wertvolle Zeit zu verlieren. Er trank aus Bächen und Flüssen und ernährte sich von den Früchten des Waldes.
Immer wieder drängte sich ihm die Frage nach dem Grund für den Hilferuf auf. Vielleicht hatte sich eine Expedition im Dschungel verirrt, und der Major war der Meinung, nur Tibor könne die Verschollenen finden. In dem Fall flehte Tibor inständig, es möge nicht wieder eine verrückte Schauspielertruppe sein, die allerlei Unheil anrichtete und das Urwaldleben auf den Kopf stellte.
Inzwischen ging der dritte Tag ins Land. Als er in einer Baumkrone eine kurze Rast einlegte, erspähte er eine Rauchwolke, die hinter einem Hügel aufstieg. Es war kein roter Rauch. Er stammte also nicht von einer Signalbombe, allerdings von einem Brand. Wenn nur im Dschungel kein Feuer ausgebrochen war!
Tibor orientierte sich. Wenn ihn nicht alles täuschte, lag hinter dem Hügel das Dorf der Kajangas. In der Trockenzeit lauerten mannigfache Gefahren, die zu einem Feuer führen konnten. Es genügte ein Funke aus einem unbewachten Herdfeuer, um ein ganzes Dorf in Brand zu setzen.
Der Sohn des Dschungels brauchte nicht lange zu überlegen. Auch wenn er in Eile war, konnte er seinen Weg nicht einfach fortsetzen. Er musste nach dem Dorf sehen. Vielleicht konnte er helfen.
Am Fuß des Hügels sprang er von einem Baum und lief zu Fuß weiter. Der Wind trug Geräusche zu ihm herüber. Es war das Wiehern von Pferden. Tibor hielt inne und spähte in die Ferne.
Kurz darauf entdeckte er fünf Reiter, die am Horizont in südliche Richtung ritten. Sie schienen aus dem Dorf gekommen zu sein.
Das war merkwürdig, denn die Eingeborenen hielten sich keine Pferde. Das galt auch für die Kajangas. Womöglich waren es Beamte der Polizeitruppe. Sie waren für Tibor zu weit entfernt, um sie auf sich aufmerksam zu machen. Nein, wahrscheinlich war es sogar besser so. Ein ungutes Gefühl erfasste Tibor. Polizisten würden nicht einfach davonreiten, wenn irgendwo Gefahr drohte. Sie würden nach dem Brandherd schauen und versuchen, ihn zu bekämpfen.
Tibors düstere Vorahnung verstärkte sich. Er rannte los und stürmte den Hügel hinauf. Als er auf die Kuppe gelangte, sah er seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Das Dorf der Kajangas stand lichterloh in Flammen.
*
Kerak, Pip und Pop bewegten sich buchstäblich mit einer Affengeschwindigkeit durch den Dschungel. Sie versuchten verzweifelt, Tibor einzuholen. Zum Glück kannte Kerak den Weg zur Station der weißen Zweibeiner.
»Es hat zu lange gedauert, bis Kila uns endlich bemerkte«, beklagte sich Pip. »Tibors Vorsprung ist zu groß. Wir holen ihn nicht mehr ein.«
»Doch, das werden wir«, widersprach der Gorilla. »Der Weg zum Lager der Weißen ist weit. Bis er dort eintrifft, muss Tibor noch oft rasten.«
»Ich auch«, jammerte Pop. »Ich bin jetzt schon müde.«
»Du bist eben ein Schwächling«, sagte Pip. »Ich bin jetzt noch ganz frisch.«
»Weil du dich die ganze Zeit von Kerak tragen lässt. Aber jetzt reicht es. Ich bin an der Reihe. Los, herunter von seinem Rücken!«
»Was soll das? Lass mich los!«
Kerak stieß ein Grollen aus. Die Äffchen rangelten auf seinen Schultern. Sie versuchten sich gegenseitig hinunterzustoßen, was keinem von beiden gelang.
»Schluss damit! Hört sofort auf! Wenn ihr euch weiter streitet, lasse ich keinen von euch auf mir reiten.«
»Schon gut«, lenkte Pip ein.
»Ja, wir benehmen uns«, versprach Pop.
»Schön, das zu hören.«
Die Affen setzten ihren Weg fort. Unentwegt hielten sie unterwegs nach Tibor Ausschau. Als sie ihn entdeckten, war er von den Bäumen gestiegen und lief zu Fuß auf einen Hügel zu.
»Da unten in der Steppe – das ist er!«, jubelte Pip.
»Ja, es ist Tibor.« Kerak war froh, seinen Freund endlich in der Ferne zu sehen.
»Na los, Dicker«, trieb Pop den Gorilla an. »Jetzt können wir ihn bald einholen.«
»Seht nur, er klettert über den Hügel. Auf der anderen Seite steigt Rauch auf.«
Die meisten Hütten brannten. Dichte schwarze Rauchwolken stiegen über dem Dorf auf. An einer Ecke hatte sogar der Palisadenzaun Feuer gefangen. Es war zu spät für Löscharbeiten. Das Feuer war längst nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen. Allerdings waren auch keine Eingeborenen da, die es überhaupt versuchten.
Stattdessen entdeckte Tibor zwischen den brennenden Hütten mehrere Kajangas, die regungslos auf dem Boden lagen. Tibors Herz krampfte sich zusammen. Hier ging etwas nicht mit rechten Dingen zu.
Das war keine gewöhnliche Feuersbrunst, die durch Unachtsamkeit entstanden war. Es sah aus, als sei das Dorf nach einem Überfall vorsätzlich in Brand gesteckt worden.
Er lief den Hügel hinunter und stürmte ins Dorf, ohne auf die Flammen zu achten, weil er hoffte, den Kajangas noch helfen zu können. Er wurde bitter enttäuscht. Die Dorfbewohner waren tot. Hier kam jede Hilfe zu spät. Zudem setzte ihm der Glutofen zu. Tibor musste sich zurückziehen, um nicht bei lebendigem Leib geröstet zu werden.
Unversehens vernahm er ein Stöhnen. Ein Eingeborener war an den Palisaden festgebunden. Er lebte noch, schien aber verwundet zu sein. Oder zumindest am Ende seiner Kräfte. Tibor wollte ihm zu Hilfe eilen, als ein drohendes Grollen an sein Ohr drang. Tibor wirbelte herum und sah sich einem mächtigen Löwen mit schwarzer Mähne gegenüber.
»Was willst du?«
»Den Zweibeiner. Er gehört mir.«
»Nein. Tibor, der Sohn des Dschungels, verbietet dir, ihn zu töten.«
»Du hast mir nichts zu verbieten.« Der Löwe fauchte wütend. »Kehre um, bevor es auch für dich zu spät ist.«
»Ich kehre niemals um, das solltest du wissen. Glaubst du, ich habe Angst vor einem Löwen, der zu schwach ist, um eine Antilope oder ein Zebra zu jagen, und der sich stattdessen an einem wehrlosen Zweibeiner vergreifen muss? Wenn du dazu schon nicht mehr in der Lage bist, brauche ich dich erst recht nicht zu fürchten.«
Was Tibor allerdings wunderte, denn der Löwe war noch nicht besonders alt. Eigentlich sollte es ihm keine Mühe machen, auf die Jagd zu gehen und Beute zu reißen.
Der König des Dschungels zeigte seine Zähne. »Du wirst gleich erleben, wie schwach ich bin«, drohte er.
Er sprang ohne Vorwarnung. Tibor hätte nicht erwartet, dass er so schnell angreifen würde. Er duckte sich und entging den mächtigen Zahnreihen, wurde aber von einer Hinterpranke am Kopf getroffen. Der Hieb war stark und warf Tibor von den Beinen. Die Umgebung begann vor seinen Augen zu verschwimmen, doch er stemmte sich gegen die drohende Ohnmacht.
Übermannte sie ihn, würde er nie wieder daraus aufwachen.