Tiffany Exklusiv Band 5 - Kate Hoffmann - E-Book

Tiffany Exklusiv Band 5 E-Book

Kate Hoffmann

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Beschreibung

BEI DIR ODER BEI MIR von HOFFMANN, KATE Frag nicht, wer ich bin! Lass dich einfach gehen! - In dieser Nacht ist für Nora Pierce alles anders. Im sexy Outfit und mit einer Perücke getarnt verführt die Zeitungskolumnistin ihren Kollegen Pete. Und der ahnt nicht einmal, wer diese heiße Frau ist. Oder etwa doch? EIN HAUCH VON NICHTS von MACALLISTER, HEATHER Gedankenlose Leidenschaft, hemmungslose Lust - das war es, wovor sich die beiden Kollegen Brooke und Chase ihre jüngeren Geschwister bewahren wollten. Und nun finden sie sich selbst so wieder! Wie konnte das nur passieren? Zum Aufhören ist es aber längst zu spät … EINE NACHT NUR FÜR UNS von SOUTH, TRACY Den Tag bestimmt ihre Firma. Die Nacht ihre Lust! Viel zu lange waren Laura und Kyle erbitterte Konkurrenten im Job. Erst auf einer Geschäftsreise lassen sie in einem rauschenden Fest der Sinne zu, wonach sie beide verlangen. Doch was ist am nächsten Morgen?

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Seitenzahl: 596

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Kate Hoffmann, Tracy South, Heather MacAllister

TIFFANY EXKLUSIV, BAND 5

IMPRESSUM

TIFFANY EXKLUSIV erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG, 20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Redaktion und Verlag: Brieffach 8500, 20350 Hamburg Telefon: 040/347-25852 Fax: 040/347-25991
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Cheflektorat:Ilse BröhlProduktion:Christel Borges, Bettina SchultGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)Vertrieb:asv vertriebs gmbh, Süderstraße 77, 20097 Hamburg Telefon 040/347-27013

© by Peggy A. Hoffman Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Deutsche Erstausgabe 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

© by Tracy Jones Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Deutsche Erstausgabe 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

© by Heather W. Macallister Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Deutsche Erstausgabe 2002 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Fotos: Cato Park/Picture Press_iStockphoto

© by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg, in der Reihe TIFFANY EXKLUSIV, Band 5 - 2010

Veröffentlicht im ePub Format im 02/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86295-701-9

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

KATE HOFFMANN

Bei dir oder bei mir

Anständig war die schöne Nora lange genug. Als Zeitungskolumnistin hat sie stets Vernunft walten lassen. Nun zeigt sie im sexy Outfit und mit schwarzer Perücke ihre andere Seite – auch in der hemmungslosen Liebesnacht mit ihrem Kollegen Pete. Der erkennt in der heißen Schönheit bestimmt nicht seine prüde Kollegin. Denkt sie …

TRACY SOUTH

Eine Nacht nur für uns

Im Job sind Laura und Kyle seit jeher Konkurrenten. Aber seit sie bei einer Dienstreise auf Bellamy Island eine rauschende Nacht voller Lust und Liebe miteinander verbracht haben, bekommen sie voneinander einfach nicht genug! Doch Sex und Job gehen nicht zusammen, meint Laura, und zieht am nächsten Morgen schweren Herzens die Konsequenzen …

HEATHER MACALLISTER

Ein Hauch von Nichts

Courtney und Jeff haben genug von ihren überfürsorglichen Geschwistern. Sollen sich die beiden Bürokollegen Brooke und Chase doch lieber miteinander beschäftigen! Mit einer klugen Inszenierung gelingt es ihnen, die beiden zusammen zu bringen und eine Leidenschaft zu entfachen – mit der sie so auch nicht rechnen konnten …

Kate Hoffmann

Bei dir oder bei mir

1. KAPITEL

Das Einzige, was Pete Beckett an Prudence Trueheart mochte, war die Art, wie sie sich bewegte.

Pete stützte sich auf die niedrige Trennwand des Redaktionsraums, genannt „Stierkoppel“, und legte das Kinn auf die Hände. Um ihn herum beeilten sich die Mitarbeiter der Sportredaktion des „Herald“. Sie mussten Abgabetermine einhalten und tippten hektisch auf die Tastaturen der Computer.

Pete hatte seine Kolumne schon früher abgegeben, weil sie auch bei anderen Zeitungen erschien. Da er für morgen noch kein Thema gefunden hatte, konnte er in aller Ruhe die steife und verkrampfte Prudence Trueheart betrachten, die für den „Herald“ eine Benimm-Kolumne schrieb.

Wie immer trug sie ein makelloses Kostüm mit einer blütenweißen, gestärkten Bluse. Passend zur Kleidung hätte man einen straff durchgedrückten Rücken und einen strammen Gang erwartet, hart klickende Absätze und einen verkniffenen Mund.

Aber Prudence besaß einen anmutigen Gang mit sanftem Hüftschwung. Der Hals war schlank, das Kinn hochgereckt, und auch ihre Arme bewegten sich graziös. Die schlanken Hände hatten zartrosa lackierte Fingernägel.

Und erst ihr Mund! Die Lippen stellten die reinste Versuchung dar, und man konnte sich gar nicht vorstellen, dass auch nur ein missbilligendes Wort über sie kam.

Mochte Prudence Trueheart sich noch so sehr bemühen, wie eine strenge Lehrerin auszusehen, Pete hätte ihr trotzdem am liebsten sämtliche Nadeln aus dem Nackenknoten gezogen, zu dem sie ihr honigblondes Haar zusammengenommen hatte. Er hätte sie auch gern in die Arme gezogen und geküsst.

„Auch wenn du versuchst, Prudence mit dem bösen Blick zu verhexen, bekommst du nicht das begehrte Eckbüro.“

Pete drehte sich zu Sam Kiley um, der den Blick auf dasselbe Ziel gerichtet hatte. „Hast du dich schon mal gefragt, wie sie außerhalb des Büros ist?“, fragte Pete. „Ich meine, schläft sie auch in diesen Kostümen? Und ist der straffe Nackenknoten mittlerweile festgewachsen, oder trägt sie das Haar zu Hause offen?“

Prudence verschwand in ihrem Büro, und Pete reckte den Hals, um einen Blick durch die geöffnete Tür zu werfen. Dieser Widerspruch war für ihn ein Rätsel. Wie konnte eine so sinnliche Frau mit einer so weiblichen Ausstrahlung so unangenehm sein? Die Frage bewegte ihn schon lange, und er hätte gern eine Antwort darauf gefunden. Allerdings wollte er nicht nahe genug an die pingelige Prudence herankommen, um das Rätsel zu lösen.

„Wenn du wirklich so neugierig bist, könnte ich Ellie fragen“, bot Sam an.

Ellie, geborene Ellen Wilson, war Sam Kileys Frau und Vertriebsleiterin des „Herald“. Außerdem war sie Prudence Truehearts beste Freundin. Ellie und Sam hatten einander bei der Zeitung kennengelernt und erst vor einem Jahr geheiratet.

„Ich bin nicht neugierig“, log Pete, stieß sich von der Trennwand ab und lachte trocken. „Wieso sollte ich neugierig sein, was Prudence Trueheart angeht?“

„Sie hat auch einen richtigen Namen“, bemerkte Sam.

„Pierce“, erwiderte Pete. „Laura … oder Nora? Vielleicht auch Nola. Im Lauf der Jahre haben wir ein paar Mal miteinander gesprochen. Einmal stand ich auf ihrem Parkplatz. Bei einer anderen Gelegenheit behauptete sie, ich hätte ihren Heftapparat gestohlen. Bei einer Weihnachtsfeier gab ich ihr sogar einen Kuss. Außerdem bin ich wahrscheinlich der Einzige in der Sportredaktion, der ihre kleinen Memos liest – bevor ich sie von der Tür des Kühlschranks entferne.“

Prudence war neben Pete die Einzige, deren Kolumne nicht nur beim „San Francisco Herald“, sondern auch bei anderen Blättern erschien. Ihr Büro lag zufällig in der Sportredaktion. Demnächst würde ein großes Eckbüro am anderen Ende der Etage frei werden. Sie wollten es beide haben.

Vermutlich hätte man in der Gesellschaftsredaktion mehr Verständnis für ihre Memos gehabt. Aber es war unmöglich, raue Sportreporter und wilde Fotografen zu höflichen Kollegen zu erziehen. Trotzdem versuchte sie es immer wieder. Jeden Monat hinterließ sie im Pausenraum ein neues Memo über das Benehmen im Büro. Das reichte von der Hygiene im Kühlschrank bis zu Vorschriften für die Kaffeemaschine. Es gab einfach keine Regel, die Prudence Trueheart nicht durchsetzen wollte.

Das Großraumbüro der Sportredaktion wurde jedoch nicht grundlos „Stierkoppel“ genannt. Hier tummelten sich nicht nur Männer, die stur wie Stiere waren. Männliche und weibliche Sportreporter und Fotografen bildeten einen merkwürdigen Haufen. Starrsinnig, intolerant in ihrer Liebe zum Sport und einig in der Ablehnung jeder Höflichkeit. Auf Außenstehende wirkte das, als wären sie in der Pubertät stecken geblieben.

Pete mochte die lockere Atmosphäre und die täglichen Spiele, die unmittelbar nach dem Abgabetermin begannen. Sie alle arbeiteten mit Hingabe und spielten mit noch mehr Hingabe.

Er verbannte die Gedanken an Prudence Trueheart und konzentrierte sich auf den heutigen Wettbewerb. Donnerstags war Baseball an der Reihe. Hockey, Golf und Basketball kamen an anderen Tagen dran.

Das Spielfeld hatten sie zwischen den Schreibtischen der Stierkoppel auf dem Boden ausgebreitet, und ein weicher Ball sowie ein Kunststoffschläger sorgten dafür, dass Fenster und andere zerbrechliche Gegenstände keinen Schaden litten. Die Gegner bei der heutigen Partie waren Sam Kiley und seine bunt gemischte Mannschaft aus Lokalreportern, gegen die man risikolos Geld setzen konnte.

Pete warf einen Blick auf die Uhr und ging in den Pausenraum, um den Ball und den Schläger aus dem Schrank zu holen. Sein Blick fiel auf den Kühlschrank, an dem wieder ein Blatt mit dem Briefkopf des „Herald“ klebte. Die ganze Aufmachung entsprach exakt Prudences Stil.

Er ging näher heran und überflog den Text. „Eigentumsrecht an Lebensmitteln“. Offenbar war Prudence vor etlichen Tagen ein Joghurt abhandengekommen.

Pete zerknüllte das Blatt in der Hand. „Es ist das siebente Spiel, und es geht um Sieg und Niederlage! Beckett schwingt den Schläger, und die Zuschauermassen toben!“

Er warf das Papierknäuel in die Luft, schwang den Schläger, und Prudences Memo segelte durch die Luft, sprang von der Wand ab und landete im Papierkorb.

„Ein wundervoller Home Run!“ Pete reckte die Arme hoch, verbeugte sich und verließ den Raum. In der Stierkoppel hatten die Teams bereits Aufstellung genommen und warteten begierig auf den Beginn des Spiels. Pete warf Sam Kiley den Ball zu und nahm seinen Platz ein. „Der Verlierer bezahlt morgen im Vic’s die Biere!“, rief er.

Kiley warf den ersten Ball niedrig, und Pete schlug zu und ließ den Ball quer durch die Stierkoppel segeln – und durch die offene Tür in Prudence Truehearts Büro hinein. Im nächsten Moment gellte ein Schrei, Pete ließ den Schläger fallen, und die Jungs sahen zuerst einander und dann Pete an.

Er verzog das Gesicht. „Hey, das habe ich nicht absichtlich gemacht. Das war ein perfekter Schlag zum rechten Feld. Ramirez hat nur nicht gefangen.“ Er deutete auf den Sportfotografen. „Dein Fehler.“

Sam hob abwehrend die Hände. „Du hast geschlagen, Beckett. Darum musst du dich entschuldigen.“

Pete fluchte vor sich hin. Ganz bestimmt wollte er sich von Prudence Trueheart nicht herunterputzen lassen, schon gar nicht nach seinen lustvollen Gedanken über ihren Mund. Vielleicht würde sie nur ein neues Memo schreiben, wenn er über seinen Fehler hinwegging. Andererseits hatten sie nur einen Ball und konnten nur weiterspielen, wenn er sich in ihr Büro wagte und ihn herausholte.

„Ich gehe“, entschied er schließlich und fühlte sich wie damals als Junge, wenn ihn Schwester Amalia, die Leiterin der katholischen Schule, in ihr Büro gerufen hatte, wenn sein Ball wieder einmal durch ihr Fenster geflogen war. „Wenn ich in fünf Minuten nicht zurück bin, schickt Hilfe los.“

Er durchquerte die Stierkoppel und näherte sich langsam der Bürotür. Pete rechnete mit einer verbalen Attacke der wütenden Prudence. Aber sie saß neben dem Schreibtisch auf dem Fußboden und rieb sich die Stirn.

Hastig beugte er sich zu ihr herunter und berührte ihren Knöchel. „Alles in Ordnung?“

In ihren blauen Augen schimmerten Tränen, als sie ihn blinzelnd ansah. Sobald ihre Blicke sich trafen, stellten Petes Lungen allmählich die Tätigkeit ein, sodass er nicht mehr atmen konnte. Er hatte ja schon viele Gedanken an die Frau in diesem Büro verschwendet, aber auf so kurze Distanz, mit zerzaustem Haar und ohne Brille war sie noch viel hübscher, als er gedacht hatte.

Die Haut war makellos, das Profil perfekt. Sie atmete flach, mit leicht geöffneten vollen Lippen. Dieser Mund war dazu geschaffen, geküsst zu werden. Hätte es sich um eine andere Frau gehandelt, hätte Pete es wahrscheinlich auf der Stelle ausprobiert.

Er schluckte heftig. „Nora“, sagte er leise und betrachtete die langen, gut geformten Beine und die zierlichen Fesseln. Sie hieß Nora Pierce. Bisher war sie für ihn nur Prudence Trueheart gewesen, doch nun roch er ihr Parfum, und ihre Haut fühlte sich unter seiner Hand warm an. Jetzt war sie nicht mehr Prudence.

Sie räusperte sich und richtete den Blick auf die Stelle an ihrem Bein, die er behutsam streichelte. Dann kniff sie die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, griff nach dem Baseball und hielt ihn hoch. „Mr. Beckett, ich glaube, der gehört Ihnen.“

Pete rang sich ein Lächeln ab, zog die Hand ruckartig von ihrem Bein zurück und nahm ihr den Ball aus der Hand. Dabei kam er sich vor, als hätte er soeben Schwester Amalia unter die Nonnentracht gefasst. „Danke.“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Und?“

„Und?“ Er überlegte fieberhaft. Was noch? Vielen herzlichen Dank? Ob sie auf eine dermaßen überschwängliche Antwort wartete? Er betrachtete den Baseball, Prudences kühle Augen und den roten Fleck unterhalb ihres Augen. „Ach … und ich möchte mich entschuldigen. Es tut mir leid, aufrichtig leid.“

Als sich ihre Miene leicht entspannte, unterdrückte Pete einen tiefen Seufzer. „Danke“, sagte sie. „Entschuldigung angenommen. Vielleicht könnten Sie das nächste Mal vor Beginn des Spiels meine Tür schließen.“

„Hm“, brummte er und ließ den Blick über ihren Körper gleiten. Die Knöpfe an ihrem Kostüm sahen ganz so aus, als könnte er sie innerhalb weniger Sekunden öffnen. Unter dem langweiligen Kleidungsstück verbarg sich der Körper einer Frau, der nach Petes Einschätzung keine so konservative Verhüllung verdiente. Er schob den Gedanken rasch von sich und konzentrierte sich wieder auf ihr Gesicht.

Nora rieb sich das Auge und holte tief Atem. Als sie aufstehen wollte, drückte Pete sie behutsam zurück. „Zeigen Sie her“, sagte er und schob vorsichtig ihre Finger zur Seite.

„Blute ich?“

Er blickte in unbeschreiblich blaue Augen. Wieso waren ihm ihre Augen bisher nicht aufgefallen? Groß und unschuldig und verlockend. Ein Mann konnte sich in ihnen verlieren. Sekundenlang sah er nichts weiter vor sich als ihre Wimpern, das honigblonde Haar, das ihr in die Stirn hing, und den anmutigen Hals. Dann räusperte sie sich und holte ihn auf den Boden der Tatsachen zurück.

„Nein, Sie bluten nicht“, stellte er fest. „Es ist nicht so schlimm, nur ein wenig gerötet. Man sieht es kaum.“

„Gerötet?“, fragte Nora stöhnend. „Das darf nicht wahr sein!“

Vorsichtig betastete er die Stelle. „Wenn Sie etwas Make-up auflegen, merkt keiner was.“

„Aber ich kann mir kein blaues Auge leisten!“

Er lachte auf. „Warum nicht? Haben Sie heute Abend vielleicht eine Verabredung?“ Als sie rot wurde, verwünschte er sich. „Tut mir leid, ich hätte nicht lachen sollen.“

„Nein, das hätten Sie nicht tun sollen“, stellte sie leise fest. „Das war sehr unhöflich.“

„Ich sehe Sie nur einfach nicht als … ich meine, Prudence. Na ja, Sie wissen schon, was ich meine. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Prudence etwas anderes macht als Handarbeiten und Kartenspiele.“

„Ich bin nicht Prudence“, wehrte sie verletzt ab. „Vielleicht habe ich wirklich heute Abend eine Verabredung. Ist das so schwer zu glauben?“

Er berührte flüchtig ihre Wange. „Also, Nora Pierce, Sie bekommen ein hübsches Veilchen, wenn Sie kein Eis auflegen.“ Pete griff nach ihrer Hand und half ihr beim Aufstehen. „Ich hole Ihnen welches. Setzen Sie sich, ich komme gleich wieder.“

Nora nickte und schaffte sogar ein dankbares Lächeln, als er das Büro verließ. Petes Kollegen standen schon zur Rettungsaktion bereit, doch er winkte im Vorbeigehen ab und warf ihnen den Ball zu.

„Alles in Ordnung“, sagte er. „Macht weiter. Ich hole ihr Eis, weil ich sie am Auge erwischt habe.“

Mit entsetzten Gesichtern eilten seine Kollegen an ihre Schreibtische zurück, um bloß nicht mit Prudence Truehearts Verletzung in Verbindung gebracht zu werden.

Pete holte aus dem Kühlschrank das Einzige, was sich als Eisbeutel benützen ließ, und kehrte in Noras Büro zurück. Sie saß zurückgelehnt im Sessel und hatte die Beine ausgestreckt.

„Hier.“ Er beugte sich zu ihr herunter und stützte sich auf die Seitenlehne. „Das hilft bestimmt.“

Nora öffnete die Augen und betrachtete das längliche Päckchen. „Das ist eine tiefgefrorene Frühlingsrolle.“

Er zuckte die Schultern. „Die Eiswürfelbehälter sind nicht gefüllt.“

Sie nahm die Frühlingsrolle entgegen und drückte sie behutsam aufs Auge. „Ein weiterer Verstoß gegen die Regeln im Büro, sogar zwei. Gestohlene Lebensmittel und leere Eiswürfelbehälter.“

Er schob ihre Hand mit der Frühlingsrolle so, dass die Schwellung bedeckt wurde. Dabei löste sich eine Strähne aus ihrem Knoten und strich über seine Hand. Das Haar fühlte sich weich an und duftete gut. „Ja, aber Ihr Memo ist vermutlich schon von der Kühlschranktür heruntergefallen.“

„Sie haben es abgenommen“, warf Nora ihm vor.

„Das war ich nicht“, log er. „Aber Sie müssen zugeben, Sie sind manchmal …“

„Lästig?“, fragte sie. „Ich spiele mich auf?“ „Ich wollte ‚pingelig‘ sagen“, behauptete er und wich zurück, bevor er in Versuchung geriet, ihr durchs Haar zu streichen. In Wahrheit hatte er „selbstherrlich und herrschsüchtig“ sagen wollen. Sie wirkte im Moment jedoch so verletzlich, dass er seine Meinung änderte. „Sportsleute lehnen Regeln ab. Nur in einem Spiel sollten Regeln gelten.“

„Eine zivilisierte Gesellschaft benötigt richtige Umgangsformen“, entgegnete sie. „Wir müssen einander im Zusammenleben respektieren. Und diesen Respekt erkennt man am guten Benehmen.“

„Bei siebenundzwanzig Regeln an der Kühlschranktür treiben Sie uns aber zum Wahnsinn.“

Leise seufzend lehnte sie sich zurück und schloss die Augen. „Ich möchte Sie nicht zum Wahnsinn treiben, sondern will nur helfen.“

Er richtete den Blick wieder auf ihren Mund und musste sich zurückhalten, sonst hätte er den Schmerz weggeküsst, der in ihrer Stimme mitschwang. Er hatte sie bisher für berechnend gehalten, kraftvoll, stahlhart und eiskalt. Doch Nora Pierce war nicht wie Prudence Trueheart. Sicher, sie war etwas verkrampft und achtete zu viel auf gutes Benehmen. Doch hinter dieser steifen Fassade war sie weich, verwundbar und einfach unwiderstehlich.

„Ich könnte Sie zum Mittagessen einladen“, schlug er vor. „Als Wiedergutmachung.“

Sie setzte sich kerzengerade auf, nahm die Frühlingsrolle vom Auge und betrachtete ihn misstrauisch. „Mittagessen?“

„Ja, wieso nicht? Das verstößt nicht gegen die Regeln, oder? Habe ich nicht den richtigen Weg für eine Einladung beschritten? Hätte ich vorher anrufen sollen? Oder eine schriftliche Benachrichtigung schicken sollen?“

Nora schüttelte den Kopf und lächelte kaum erkennbar. „Ich halte ein Mittagessen für keine gute Idee. Immerhin sind wir Kollegen. Es könnte Gerede geben.“

Pete haftete beim „Herald“ der Ruf eines Casanovas an, obwohl sich das mehr auf Gerüchte und nicht auf Tatsachen stützte. Offenbar hatte Prudence das mitbekommen. Er bemühte sich nicht um attraktive Frauen, hatte aber stets zwei oder drei zu seiner Verfügung. Im Verlauf des letzten Jahres hatte er sich allerdings immer weniger für die Frauen interessiert, mit denen er ausging. Und sein Ruf gefiel ihm auch nicht mehr. Leider wurde er diesen nicht mehr los. Sein Privatleben bildete ein unerschöpfliches Thema für die Gerüchteküche im Büro.

Es war nicht so, als hätte er Frauen nicht mehr gemocht. Auch jetzt ging er gelegentlich aus, aber vielleicht wurde er allmählich zu alt für die Single-Szene. Mit dreiunddreißig war er sicher noch nicht jenseits von Gut und Böse, aber er war zu einer Erkenntnis gelangt. In einer schönen Beziehung ging es nicht nur um tollen Sex und einen hinreißenden Körper. Leider hatte er bisher nicht herausgefunden, worum es nun wirklich ging.

Pete seufzte. Es war merkwürdig, aber jetzt wollte er mit Nora Pierce essen gehen. „Es ist nur eine schlichte Einladung“, meinte er amüsiert. „Was gibt es denn schon groß zu erzählen, wenn wir beide einen Hamburger essen?“

Als er auch jetzt Schmerz in ihrem Gesicht entdeckte, begriff er, wie sie seine Worte verstanden hatte. Natürlich endete ein Mittagessen mit Prudence Trueheart mit Nachtisch und getrennten Rechnungen. Sie besaß schließlich auch einen ganz bestimmten Ruf, und der war makellos. Ihre Reaktion überraschte ihn jedoch so, dass er sich nicht entschließen konnte, ob er sich entschuldigen sollte.

„Ich habe keinen Hunger, aber trotzdem danke“, erwiderte Nora plötzlich kühl und distanziert und hielt ihm die Frühlingsrolle hin. „Die legen Sie besser wieder ins Tiefkühlfach zurück, damit niemand sie vermisst.“

Kopfschüttelnd griff er nach der Frühlingsrolle. Er hatte schon gedacht, mit Nora Pierce einen Waffenstillstand und vielleicht sogar den Beginn einer Freundschaft erreicht zu haben. Doch nachdem er zwei Mal ins Fettnäpfchen getreten war, machte sie es ihm schwer.

„Na schön“, meinte er. „Sollten Sie es sich doch noch anders überlegen, lassen Sie es mich wissen.“ Er ging zur Tür, warf aber noch einen Blick zurück. Sie sah ihm mit großen Augen nach. Er hätte auf das Essen drängen oder wenigstens wegen ihrer Absage beleidigt sein sollen. Aber er hielt es für besser, die Beziehung zu Nora nicht weiter zu belasten. „Bis später.“

Sie nickte, griff nach irgendwelchen Unterlagen und ignorierte ihn. Wortlos verließ er ihr Büro und schloss die Tür.

Die beiden Mannschaften hatten erneut Aufstellung genommen, und das Spiel ging weiter. Pete nahm seinen Platz im Innenfeld ein, fing einen Ball und warf ihn dem ersten Baseman zu.

„Was war denn los?“, fragte Sam.

„Woher soll ich das wissen?“, erwiderte Pete. „Eigentlich kenne ich mich mit Frauen gut aus, aber Prudence Trueheart verwirrt mich.“

Er konnte nicht vergessen, wie ihre Haut sich angefühlt hatte. Es war nicht einfach, Prudence Trueheart beziehungsweise Nora Pierce abzuschreiben. Sie war verwirrend, schwierig und herablassend, aber auch faszinierend.

Und es war schon sehr lange her, dass Pete Beckett eine Frau faszinierend gefunden hatte.

Nora Pierce las den Brief immer wieder durch.

Liebe Prudence Trueheart

mein Freund und ich tun es seit unserer ersten Verabredung. Der Sex ist toll, aber unsere Hochzeit rückt näher.

Ich möchte Enthaltsamkeit üben, damit die Hochzeitsnacht etwas Besonderes wird. Wie kann ich meinen geilen Verlobten dazu bringen, dass er auf meinen Vorschlag eingeht?

Kennwort: Beständigkeit. San José

Nora suchte nach einem anderen Wort für „geil“ und ersetzte es dann durch „feurig“. Seufzend strich sie sich über die Stirn. Als sie vor drei Jahren die Stelle als Prudence angenommen hatte, wollte sie nichts weiter, als Fragen zu gutem Benehmen im Leben zu beantworten. Doch das alles hatte sich vor sechs Monaten am ersten April geändert.

Aus einer Laune heraus hatte sie die alberne Frage eines Transvestiten beantwortet. Er wollte wissen, ob er die Erlaubnis seiner Frau einholen sollte, bevor er sich ihre Dessous auslieh, oder ob ihre Unterwäsche gemeinsames Eigentum darstellte.

Ihre Antwort triefte vor Sarkasmus. „Die einzige Entschuldigung dafür, dass ein Mann nicht die richtige Unterwäsche trägt, besteht darin, dass er gar keine anzieht“, hatte sie geschrieben. „Und es gibt nur zwei Orte, an denen man auf Unterwäsche verzichten sollte – unter der Dusche und beim Arzt.“

Diese eine Kolumne hatte ihr Leben als Fachkraft für Etikette beendet. Die Telefone standen nicht mehr still, und bei allen Zeitungen, die ihre Kolumne veröffentlichten, stapelte sich die Fanpost. Die Leser wollten mehr Anzüglichkeiten. Und mehr von Prudences bissigen Antworten.

„Tolle Kolumne gestern.“

Arthur Sterling, der Verleger, beugte sich lächelnd zur Tür herein. Er kam zwar nur selten aus dem zwölften Stock herunter, zeigte sich aber in letzter Zeit oft in ihrer Nähe. Wäre sie naiv gewesen, hätte Nora angenommen, dass sie sich angefreundet hatten. Arthur Sterling hatte jedoch keine Freunde. Er hatte nur Leute, die ihm etwas einbrachten. Und er wollte ihre Zusage, im Fernsehen in einer „Prudence“ genannten Sendung aufzutreten.

„Sex verkauft sich immer“, meinte er lachend. „Ich habe gerade mit Seattle telefoniert. Sie wollten die Kolumne haben. Biloxi und Buffalo verhandeln in dieser Minute.“ Arthur reckte die Daumen hoch. „Gute Arbeit! Ich warte übrigens noch auf Ihre Antwort wegen der Fernsehgeschichte.“

„Danke“, erwiderte sie, doch er war schon unterwegs, um anderswo nach einer Möglichkeit zu suchen, sein ohnedies beträchtliches Bankkonto aufzustocken. Für ihn war Prudence ein Felsen in der Brandung. Sie bedeutete Geld. Sex brachte Leser. Leser wiederum bedeuteten Geld.

Nora wünschte sich, dass sie diese Kolumne am ersten April nie geschrieben hätte. Seither bestand Sterling darauf, dass sie mindestens drei Mal pro Woche „moderne“ Probleme aufgriff, Fragen bezüglich Moral und Beziehungen. Das Thema ihres monatlichen Auftritts bei „Guten Morgen, San Francisco“, einer beliebten Fernsehshow, war von Tischdekoration zu Beratung in Liebesdingen verwandelt worden.

Mit zunehmender Beliebtheit war sie in der Stadt zur Berühmtheit geworden. Nora kümmerte sich um das Privatleben ihrer Leser, und ihre Leser drangen immer weiter in das ihre vor. Im Supermarkt, in der Reinigung und sogar beim Zahnarzt – überall musste sie Ratschläge erteilen. Und ihre Leser schätzten Prudences makelloses Verhalten mehr, als sie es selbst tat. Sie beobachteten sie ständig und warteten nur darauf, sie bei irgendeinem Fehltritt zu erwischen. Prudence musste reinen Herzens und absolut tugendhaft sein.

Um das sicherzustellen, hatte der Verleger sogar eine Moralklausel in den Vertrag aufgenommen. Prudence durfte nicht fluchen und keinen Tabak kauen. Sie trug keine offenherzige Kleidung und besuchte keine anrüchigen Bars. Und keinesfalls zog sie durch die Betten! Der letzte Punkt fiel ihr nicht schwer. Sie konnte sich schon gar nicht mehr daran erinnern, wann ein Mann sie im biblischen Sinne „erkannt“ hatte.

Stöhnend schlug Nora die Hände vors Gesicht. Die fehlenden Beziehungen zum anderen Geschlecht waren ihr bei Pete Becketts Berührung nur zu deutlich bewusst geworden. Seither dachte sie an seine Augen und sein Lächeln.

Entschieden griff sie nach dem nächsten Brief. Prudences Welt bot eine sichere Zuflucht, in der es Regeln und Verpflichtungen gab und die Menschen sich höflich und anständig benahmen. Wilde Typen wie Pete Beckett sahen ihre Fehler ein und banden sich glücklich und für immer durch die Ehe an eine Frau.

Sie machte sich jedoch nichts vor. Pete Beckett war genau der Mann, gegen den Prudence zu Felde zog. Er war ein Meister der Verführung und ein Fachmann, wenn es darum ging, feste Bindungen zu vermeiden. Er war der schlimme Junge, den Prudence völlig ablehnte und den andere Frauen unwiderstehlich fanden.

Eigentlich achtete Nora nicht auf den Tratsch im Büro, aber sie hatte genug mitbekommen, um sich zu fragen, was Pete Beckett mit einer Frau hinter geschlossener Schlafzimmertür anstellte. Natürlich würde sie das nie herausfinden.

Allerdings konnte sie sich schon vorstellen, welche Macht er über Frauen ausübte. Er besaß schöne Hände mit schlanken Fingern. Ein wohliger Schauer lief ihr über den Rücken, als sie sich ausmalte, wie er sie langsam entkleidete und mit diesen Händen über ihre Haut strich.

Heute hatte er sie nicht zum ersten Mal berührt. Bei der Weihnachtsfeier gleich nach Antritt ihrer Stelle als „Prudence“ hatte er sie geküsst. Wahrscheinlich erinnerte er sich nicht mehr daran, aber sie wusste noch, wie sie unter dem Mistelzweig stand, seine Lippen auf ihrem Mund fühlte, seine Zunge … und dieses Sehnen tief in ihrem Inneren.

Es war so schnell geschehen, dass sie sich gar nicht wehren konnte. Und dann hatte sie allen Widerstand aufgegeben. Doch er hatte nur spöttisch gelächelt und etwas von alten Jungfern und unerforschten Jungfrauen gesagt. Trotzdem hatte sie noch oft von diesem Kuss geträumt, wenn sie einsam im Bett lag und nicht schlafen konnte.

Von jetzt an würde sie sich an ein zweites Zusammentreffen erinnern können. Es war die erste Berührung durch einen Mann seit endlos langer Zeit gewesen. Sein Atem hatte über ihr Gesicht gestrichen!

Nora murmelte eine Verwünschung. Wie schafften es diese schlimmen Jungs, dass anständige Frauen den Verstand verloren? Stets hatte sie dagegen angekämpft, doch jetzt fiel auch sie darauf herein. Entschlossen legte sie die Finger auf die Tastatur.

Liebe Leserin,

Sie haben schon bei der ersten Verabredung die Tür des Stalls geöffnet. Jetzt ist es höchste Zeit, dass Sie denHengst wieder in den Stall treiben. Prudence bestärkt Sie in Ihrem Entschluss. Enthaltsamkeit ist eine Tugend, und Ihr Körper sollte die verdiente Wertschätzung erfahren.

Falls dieser Mann Ihre Gefühle nicht respektiert, sollten Sie ihn in die Wüste schicken. Und versprechen Sie bitte Prudence, keinen weiteren Ritt mit diesem Hengst zu machen, bevor er Ihnen sein Jawort gegeben hat.

Der Vergleich mit dem Pferd war zwar ziemlich banal, entsprach jedoch Prudence – treffsicher, frech und spöttisch. Nora schickte per Tastendruck den Text an ihren Redakteur.

Sie nahm die Brille ab, griff nach einem Stapel Briefe und stand auf. „Untreue“, murmelte sie und warf den ersten Brief auf den Boden. „Betrug. Ärger. Groll. Kaputte Familien. Sexuelle Fantasien.“

Nora trat ans Fenster zur Stierkoppel und warf einen Blick durch den Spalt der Jalousie. Pete Beckett und die anderen spielten noch immer. Als er den Ball fing, spannte sich das Hemd über dem Oberkörper. Die Taille war schmal, die Brust muskulös. „Sexuelle Fantasien“, flüsterte sie.

Gut, sie fand Pete Beckett unwiderstehlich. Das war jedoch nur rein körperlich und hatte nichts mit dem Menschen zu tun. Nur mit dem Körper. Flacher Bauch, toller Po, gut geschnittenes Gesicht, kurzes dunkles Haar, leicht zerzaust, als hätte eine Frau ihn gestreichelt. Sein Lächeln konnte Herzen schmelzen lassen. Ihr gegenüber zeigte er es jedoch nur selten.

„Gibt es heute deftige Briefe?“

Nora prallte vom Fenster zurück. Ellen Kiley stand in der Tür. Verlegen, weil sie beim Spionieren ertappt worden war, reichte Nora ihrer Freundin einen Brief. „Denkst du jetzt auch, dass Sex sich gut verkauft?“

Ellie hatte gleichzeitig mit Nora beim „Herald“ angefangen. Bis Ellie vor einem Jahr Sam Kiley heiratete, waren sie unzertrennliche Freundinnen gewesen.„Ich bin die Vertriebsleiterin. Natürlich freut es mich, wenn die Verkaufszahlen steigen. Also, was läuft, Prude?“

„Du sollst mich nicht so nennen!“ Nora seufzte wegen ihrer Reaktion auf Ellies Scherz und ließ sich in den Sessel fallen. „Siehst du in mir eigentlich Prudence Trueheart oder Nora Pierce?“

Ellie setzte sich ihr gegenüber. „Gibt es denn Unterschiede?“

„Und ob!“, rief Nora. „Ich bin nicht Prudence Trueheart. Ich lasse sie sprechen und schreiben, aber ich bin nicht sie.“

„Stimmt etwas nicht mit dir?“

„Mit mir stimmt alles.“ Nora hatte keine Lust, etwas zu erklären, doch sie konnte ihren Frust auch nicht mehr zurückhalten. „Manchmal geht Prudence mir auf die Nerven. Sie ist so … pingelig.“ Erst nachdem sie es ausgesprochen hatte, erinnerte sie sich daran, dass Pete das Wort benützt hatte. „Die Leute erwarten, dass ich sie bin. In der letzten Zeit fällt es mir schwer, eine Trennlinie zwischen ihr und mir zu ziehen.“

„Viele Menschen können nur mit Mühe Beruf und Privatleben trennen“, warf Ellie ein.

„Ich habe es mir anders vorgestellt. Als ich vom ‚Herald‘ angenommen wurde, dachte ich, mein Leben würde sich ändern. Ich bin bei meinen Eltern ausgezogen, habe mir eine kleine Wohnung genommen und rechnete mit mehr Aufregung. Sieh mich jetzt an. Ich laufe in einem Kostüm herum und tadle gewöhnliche Sterbliche, weil sie ihre moralischen und ethischen Pflichten nicht erfüllen.“ Nora holte tief Atem, um sich zu beruhigen. „Wie soll ich Ratschläge in Sachen Leidenschaft geben, wenn in meinem Leben die Leidenschaft fehlt?“

Ellie überlegte. „Du bist sehr leidenschaftlich, was deine Arbeit angeht.“

„Man kann leidenschaftlich sein, ohne Leidenschaft im Leben zu haben. Sieh dir diese Briefe an.“ Nora griff nach einigen und warf sie ihrer Freundin zu. „Diese Leute haben Leidenschaft. Sie leben nach dem Herzen, nicht nach dem Verstand. Ich kenne das nicht. Sicher, es hat Männer in meinem Leben gegeben, sogar Liebhaber, aber ich kenne die Leidenschaft nicht, die den Verstand ausschaltet. Und je länger ich Prudence bin, desto schlimmer wird es.“

Nora holte eine Tüte aus der Schublade und schob sich einige Schokoladennüsse in den Mund.

„Ich sollte kündigen“, murmelte sie kauend. Prudence sprach nie mit vollem Mund, aber Nora wollte jetzt nicht auf gute Manieren achten. „Ich könnte an die Uni zurückgehen und meinen Doktor in Kunstgeschichte machen. Danach könnte ich mir Arbeit in Paris oder Rom suchen.“

„Du kannst nicht kündigen. Du bist unersetzlich und verdienst mehr als alle anderen beim „Herald“, Pete Beckett vielleicht ausgenommen. Und irgendwann wirst du in sämtlichen Medien einen Spitzenplatz einnehmen wie Martha Stewart.“

„Nenne diesen Namen nie in meinem Büro“, warnte Nora und schob sich weitere Nüsse in den Mund.

„Martha Stewart?“

„Nein, Pete Beckett! Er ist das genaue Gegenteil eines Mannes, den Prudence Trueheart schätzen würde. Er ist unbeständig, seicht und gewissenlos. Und seinetwegen habe ich dieses blaue Auge.“

Ellie betrachtete Noras Verletzung. „Und wie denkt Nora Pierce über ihn?“, fragte sie.

Nora verschluckte sich fast. „Ich denke genauso. Er behandelt Frauen einfach schrecklich. Ich verabscheue wie Prudence jede Form von Promiskuität.“

„Du hörst dich wie deine eigene Mutter an.“

Nora stöhnte.

„Es klingt auch nach Eifersucht“, bemerkte Ellie. „Wie oft grübelst du eigentlich über Pete Becketts Liebesleben nach?“

„Gar nicht“, log Nora und wollte diesem Punkt ausweichen, doch Ellie war ihre beste Freundin. Sie verschwiegen einander nichts. „Aber nachdem er mich mit dem Baseball getroffen hatte …“

„Er hat dich mit einem Baseball getroffen?“

„Es war ein Versehen. Er kam herein und entschuldigte sich. Er … er berührte mich. Es war völlig harmlos, aber das erinnerte mich daran, dass mich seit drei Jahren kein Mann mehr berührt hat, ich meine, auf diese Weise berührt. So lange bin ich nun schon Prudence Trueheart. Wahrscheinlich könnte ich nicht einmal einen Mann anlocken, würde ich nackt tanzen.“

Ellie klopfte ihr auf die Schulter. „Das stimmt nicht. Du bist eine sehr begehrenswerte Frau und könntest jeden Mann haben, den du willst. Du müsstest dich nur etwas bemühen. Wann bist du das letzte Mal ausgegangen?“

„Prudence Trueheart besucht keine Single-Bars“, wehrte Nora spöttisch ab.

„Vielleicht ist es höchste Zeit, dass du dich wieder ins Leben stürzt“, meinte Ellie.

„Und wie?“

„Das weiß ich nicht. Du schreibst doch die Ratgeberkolumne. Antworte auf eine Anzeige, tritt einer kirchlichen Gruppe bei, belege einen Kurs. Empfiehlst du das nicht deinen Lesern?“

„Das dauert zu lang. Ich brauche sofort einen Erfolg.“

„Gehst du das nicht zu schnell an?“, fragte Ellie verblüfft.

„Ich habe nicht gleich an die letzte Konsequenz gedacht. Ich möchte nur wissen, dass ich noch immer attraktiv bin und Männer mich anziehend finden.“

„Na, das ist einfach. Wir beide gehen heute Abend aus und kehren nicht heim, bevor du einen Mann kennengelernt hast. Du flirtest und küsst ihn vielleicht sogar. Wenn du ihn wirklich magst, kannst du ihm auch deine Telefonnummer geben.“

Plötzlich war Nora sich gar nicht mehr so sicher, ob sie sich auf dieses gefährliche Gebiet vorwagen sollte. Was passierte, wenn sie ausging und keiner sie ansah? „Kein Mann will sich mit Prudence Trueheart abgeben.“

„Du braucht doch keinem zu sagen, wer du bist. Benütze die Verkleidung, die du zum Einkaufen nimmst, diese Perücke. Du hast mir erzählt, dass dich die Leute dann nicht erkennen.“

Das war die perfekte Lösung. Vergnügen ohne Folgen. Auf diese Weise konnte Nora alles sagen und tun, was sie wollte. „Ich weiß nicht“, wandte sie trotzdem ein. „Eine Verkleidung kommt mir wie ein Betrug vor.“

„Du willst flirten und keine Staatsgeheimnisse verkaufen. Wem schadet das schon?“

Nora überlegte einen Moment. „Es wäre ein kleines Experiment. Ich sammle Erfahrungen. Schließlich soll ich Ratschläge erteilen, und dafür muss ich mich aus erster Hand informieren.“ Sie sah Ellie erwartungsvoll an. „Also, bleibt es bei heute Abend?“

Nora wusste, dass sie bei längerer Überlegung einen Rückzieher machen würde. Es war jedoch höchste Zeit, nicht ständig über ihr Leben nachzudenken. Sie musste endlich handeln.

Ellie lächelte. „Einverstanden. Acht Uhr.“

„Was soll ich anziehen?“

„Etwas Aufreizendes. In dem Kostüm da könntest du schon froh sein, wenn nur der Barmixer mit dir spricht.“

„Ich habe aber nichts Aufreizendes, und wohin gehen wir überhaupt?“

„Du hast noch den ganzen Nachmittag Zeit. Kauf dir ein neues Kleid. Ich frage Sam, wohin wir gehen sollen. Er weiß bestimmt, wo es jede Menge williger Männer gibt.“ Sie umarmte Nora. „Es wird dir bestimmt guttun.“

Nora atmete tief durch. Das würde es nur, wenn sie morgen früh erwachte und in ihrem Bett einen muskulösen Mann vorfand, der nichts anderes im Kopf hatte als eine nicht endende Abfolge von Höhepunkten – von ihren Höhepunkten.

Zwar war Nora entschlossen, ihrer Rolle als Prudence Trueheart zu entfliehen, aber sie war nicht sicher, ob es ihr gelingen würde. Ein Abenteuer für eine Nacht war so gewagt und so impulsiv, dass es bei Weitem ihre Möglichkeiten überstieg. Es war besser, sie versuchte etwas weniger Gefährliches. Sie wollte einen Fremden bezaubern und ihm vielleicht sogar ihre Telefonnummer geben. Dann konnte sie die Erfahrung an ihre Leser weitergeben und wusste gleichzeitig, dass sie noch immer attraktiv und begehrenswert war.

Und am Ende der Nacht würde sie sich hoffentlich mehr wie Nora Pierce und weniger wie Prudence Trueheart fühlen.

2. KAPITEL

Vic’s Sports Emporium, eine beliebte Kneipe nahe Fisherman’s Wharf, war von Zigarettenrauch und Lärm erfüllt. Mehrere Großbildfernseher zeigten verschiedene Sportereignisse. Die Leute redeten durcheinander und jubelten ab und zu. Bei Vic’s war viel los. Trotzdem bemerkte Pete sofort die Frau, die hereinkam. Er wollte sich jedoch auf das Spiel der Giants konzentrieren.

Dennoch wurde sein Blick von der schlanken schwarzhaarigen Schönheit in einem eng anliegenden schwarzen Kleid angezogen. Vielleicht lag es an der Art, wie sie sich bewegte, an dem sanften Hüftschwung, dem schlanken Hals und der kühlen Miene. Etwas an ihr fesselte seine Aufmerksamkeit, und er musste sie einfach ansehen. Sie gehörte nicht ins Vic’s, das stand fest.

Das Kleid stammte garantiert von einem Designer und passte ihr perfekt. Es schmiegte sich an jede Kurve ihres Körpers und war doch alles andere als vulgär. Es enthüllte genug, um aufzureizen – ein Stück Schulter, den Ansatz der Brüste und so viel von den Schenkeln, dass die langen schlanken Beine betont wurden.

Da war jedoch noch mehr – wie sie sich umsah, ohne sich für jemanden zu interessieren. Männer sahen ihr nach, als sie an die Bar ging, doch sie merkte offenbar nicht, welche Wirkung sie erzielte. Ob ihr Mercedes vor der Bar liegen geblieben war? Oder kam sie von einer Abendgesellschaft auf Nob Hill und hatte sich im Nebel verirrt? Jeder hier drinnen hätte ihr liebend gern geholfen, aber alle hielten sich zurück, um sich keine eisige Abfuhr zu holen.

Erst als die Fremde sich an die Bar setzte, bemerkte Pete ihre Begleiterin. Ellen Kiley! Lächelnd griff Pete nach seinem Bier. Was machte Ellie ohne Sam hier? Er hob die Hand, um ihr zuzuwinken, doch sie wandte sich rasch ab, als hätte sie ihn nicht gesehen. Oder wollte sie nicht, dass er sie sah?

Erstaunt stand er auf, um zu ihr zu gehen, doch sie glitt vom Barhocker und ging zu den Waschräumen. Beinahe wäre er ihr gefolgt, entschied sich dann aber dafür, lieber bei ihrer Freundin an der Bar zu warten.

Er setzte sein schönstes Lächeln auf, obwohl er sich eigentlich wünschte, Ellie wäre mit Nora Pierce hergekommen. Dann hätte er nämlich mit ihr außerhalb des Büros reden und herausfinden können, wieso sie ihn so faszinierte. Vielleicht hätte er auch einen Blick hinter die eisige Fassade geworfen.

Er schob sich neben Ellies Hocker und stellte sein Bier auf die Theke.

„Hallo. Darf ich mich setzen?“

Die Frau warf ihm flüchtig einen Blick zu und wandte sich ab. Bisher hatte es stets geklappt, wenn er eine Frau direkt ansprach, doch jetzt nicht.

„Meine Freundin sitzt hier“, sagte sie leise. „Sie kommt gleich wieder.“

Sie riskierte noch einen Blick, und in diesem Moment roch er ihr Parfum, exotisch und blumig. Den Duft kannte er, und er bemühte sich, ihm ein Gesicht zuzuordnen. Er sah ehemalige Geliebte und sogar alleinstehende Tanten vor sich, doch dann erinnerte er sich. Dieser Duft war ihm am Nachmittag aufgefallen, als er Nora Pierce berührt hatte.

Pete lehnte sich gegen die Theke und betrachtete ihr Profil. Unter der schwarzen Perücke und dem kunstvollen Make-up, dem roten Lippenstift und dem dunklen Lidschatten verbarg sich keine andere als Prudence Trueheart! Beinahe hätte er es ihr auf den Kopf zugesagt, doch sie wollte offenbar nicht erkannt werden. Darum beschloss er, auf das Spiel einzugehen – zumindest für kurze Zeit.

Also kein Mercedes und keine Party auf Nob Hill. Aber wieso war Prudence Trueheart im Vic’s? Ging es ihr um Sitte und Anstand in einem Lokal, und wollte sie die Bar schließen lassen, weil es keine Leinenservietten und keine Drinks mit Oliven an versilberten Zahnstochern gab? Oder war sie aus dem Grund hier, der andere Frauen ins Vic’s trieb? Wollte sie einen Mann kennenlernen?

Prudence Trueheart auf der Pirsch? Der Abend versprach, interessant zu werden.

„Kann ich Sie auf einen Drink einladen?“, fragte er.

„Darf“, murmelte sie. „Darf ich Sie auf einen Drink einladen. Nein, danke, ich habe schon einen.“ Sie nippte an ihrem Mineralwasser. „Meine Freundin wird gleich wieder hier sein.“

„Ich gehe, wenn sie kommt.“ Jede andere Frau hätte ihn vielleicht mit einem kalten Blick oder einigen scharfen Worten weggeschickt. Sie dagegen erteilte ihm Nachhilfe in Grammatik. Lächelnd schob er sich auf den Hocker. Ein Gentleman hätte sich an den Wink gehalten und den Rückzug angetreten, aber nicht Pete Beckett.

„Ich sollte meine Freundin suchen“, sagte sie atemlos, griff nach der Handtasche und stand auf, aber er hielt sie an der Hand fest.

Die Haut fühlte sich wie warme Seide an. Die Wirkung war so stark, dass ihm schwindelig wurde. Er fragte sich, wie es sich anfühlte, wenn er die Hände wandern ließ, bis sie heftiger atmete, wenn er ihre Brüste streichelte oder die schmale Taille mit beiden Händen umspannte?

„Nicht“, bat er. „Bleiben Sie auf einen Drink mit mir. Nur ein einziger Drink.“

Er rechnete damit, dass sie ablehnen würde, doch sie sah ihm direkt in die Augen. Keiner von ihnen sagte ein Wort. Sie sahen einander nur an. Und dann stieß sie den Atem aus und setzte sich wieder. Sie gab sich also nicht zu erkennen. Prudence hielt das Spiel aufrecht, solange er mitmachte. Sie tat so, als wären sie Fremde.

Pete hatte alle erdenklichen Spielchen mit Frauen getrieben, im Bett und außerhalb des Bettes. Und er war darin stets sehr geschickt gewesen. Wieso wusste er jetzt nicht, was er machen sollte? Vielleicht lag es daran, dass Nora Pierce keine Frau war, die sich auf einen riskanten Flirt mit einem Fremden einließ. Andererseits war er kein Fremder. Vielleicht war er nichts weiter als ein williges und ahnungsloses Opfer, das in eine Falle ging. Und die Geschichte würde dann als Revanche für das blaue Auge überall in der Redaktion herumerzählt werden.

Pete fluchte in sich hinein. Na schön, dieses Spielchen konnten zwei Leute spielen. Er gab dem Barmixer ein Zeichen. „Champagner. Den besten.“

Nora warf ihm einen fragenden Blick zu. „Champagner?“

„Ich möchte mit der schönsten Frau in diesem Lokal anstoßen. Da ist doch Champagner angesagt, meinen Sie nicht?“

Erst jetzt entzog sie ihm ihre Hand. „Hier drinnen sind viele schöne Frauen.“

Pete sah sich um. „Schon möglich.“ Der Barmixer öffnete eine Flasche und schenkte ein. Pete reichte Nora einen Sektkelch. „Aber keine ist so schön wie Sie.“

Das entlockte ihr ein zaghaftes Lächeln. Sie nahm einen Schluck. „Wenn Sie immer so vorgehen, sollte ich vielleicht Aktien von Champagnerfirmen kaufen.“

„Nein“, scherzte Pete. „Damit könnten Sie nichts verdienen. Ich habe vor einigen Monaten die Frauen aufgegeben.“

Sie betrachtete ihn misstrauisch. „Und warum bemühen Sie sich dann um mich?“

Er strich ihr langsam über den nackten Arm. Dieses Spiel war gar nicht so schlecht. So konnte er sie wenigstens berühren. „Glauben Sie mir, Sie machen mir keine Mühe. Sie sind sogar die erste Frau, deretwegen ich meine Entscheidung bereue.“

Jetzt lachte sie laut. Früher wäre er wahrscheinlich beleidigt gewesen, doch sie steckte ihn an, und er lachte mit ihr. Pete stellte das Glas auf die Theke und stellte die Füße so auf ihren Hocker, dass er ihre Beine zwischen seinen Knien hatte.

Sie hörte zu lachen auf, als er ihr in die Augen sah. Nie hatte er eine Frau so begehrt wie Nora Pierce, doch er musste vorsichtig vorgehen, weil diese Frau ein gefährliches Spiel trieb.

Behutsam verschränkte er seine Finger mit den ihren und drückte einen Kuss auf ihre Hand. „Beginnen wir mit der Vorstellung.“ Sein Atem strich über ihre Haut. „Ich heiße Beckett, Pete Beckett. Und Sie?“

Er lächelte charmant. Das Spiel war in vollem Gang, und er hatte soeben den Einsatz erhöht.

Nora stieg der Champagner zu Kopf, aber eines wusste sie doch ganz klar. Sie sollte vor diesem Mann fliehen.

Der Abend sollte nur ein Experiment sein. Sie wollte doch nichts weiter, als probeweise die Zehen ins Wasser zu stecken, und jetzt kam es ihr vor, als würde sie von einer Flutwelle mitgerissen. Am liebsten hätte sie ihren Namen herausgeschrien – Nora Pierce oder Prudence Trueheart, das spielte keine Rolle. Dieses Spiel musste sofort aufhören.

Doch etwas hielt sie zurück und ließ alle Vernunft verschwinden. Wieso wartete sie nicht einfach ab, wie es lief? Bisher hatte sie sich gut gehalten. Abgesehen von der kleinen grammatikalischen Lektion hatte sie sich alles andere als steif und geschraubt ausgedrückt.

Außerdem gefiel es ihr, sexy, provozierend und unwiderstehlich zu sein, Eigenschaften, die sie bisher nicht besessen hatte. Darüber hinaus konnte sie sich jederzeit wieder zurückziehen.

Wieso hatte Pete Beckett sie nicht erkannt? War die Verkleidung denn so gut? Erst heute Nachmittag hatten sie miteinander gesprochen. War sie dermaßen leicht zu vergessen? Vielleicht hatte er zu viel Bier getrunken. Oder er hatte die Rötung unterhalb des Auges nicht gesehen, die vom Make-up kaum verdeckt wurde.

Jedenfalls wirkte er so stark auf sie, dass sie sich nicht zurückziehen wollte. Sie genoss es, wie er sie betrachtete.

„Nun?“, fragte er. „Verraten Sie mir Ihren Namen, oder soll ich ihn erraten?“

Nora wusste, wie man sich bei allen möglichen Gelegenheiten richtig vorstellte. Doch wie sollte sie sich in dieser Situation verhalten, aufreizend gekleidet, in der Gesellschaft eines attraktiven Kollegen? Noch dazu eines Kollegen, der gerade ihre Fingerspitzen küsste.

Ein einziger Rat fiel ihr dazu ein. Wenn sich eine Dame in einer für sie unangenehmen Lage befand, konnte sie sich mit einer höflichen Entschuldigung in den Waschraum zurückziehen. Sie griff nach der Handtasche, entzog Pete die bebende Hand und rang sich ein Lächeln ab. „Hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen, Mr. Beckett, aber ich muss jetzt gehen. Meine Freundin wartet vermutlich schon auf mich.“

„Ihre Freundin kann warten. Wieso verraten Sie mir nicht Ihren Namen?“ Er lächelte verführerisch und strich mit dem Daumen über ihre Wange. „Sind Sie verheiratet?“

Nora rang nach Luft und stieß seine Hand weg. Wie konnte er ihr bloß einen außerehelichen Flirt zutrauen! So war sie nun wirklich nicht erzogen worden. „Natürlich nicht!“

„Verlobt?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Liiert?“

Das war eine Möglichkeit, wie sie sich zurückziehen konnte, ohne dass es für sie beide peinlich wurde. „Falls das zutrifft, lassen Sie mich dann in Ruhe?“

Pete überlegte einen Moment. „Dann hätte ich wohl keine andere Wahl, oder?“

Nora wollte ihn schon belügen, brachte jedoch kein Wort hervor. Sie wollte nicht, dass er sich zurückzog. Er sollte bei ihr bleiben und sie berühren und necken, bis sie genug von ihm hatte. „Nein, ich bin nicht gebunden.“

Er beugte sich so weit zu ihr, dass ihre Lippen nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. „Ich auch nicht. Dann sind wir wohl beide frei und können …“

Sie konnte den Blick nicht von seinem Mund abwenden. „Und können …?“

Sein Atem strich warm über ihre Lippen. „Und können Champagner trinken.“

Er zog sich wieder zurück, und sie überlegte verzweifelt, worüber sie sich unterhalten konnte, um ihre Verlegenheit zu überspielen. Aber eigentlich wollte sie nur über die Möglichkeit sprechen, dass seine Lippen in naher Zukunft nähere Bekanntschaft mit den ihren schlossen. Sie griff nach dem Sektkelch und leerte ihn.

„Was machen Sie beruflich?“, fragte sie und hielt ihm das leere Glas hin. Die Frage war reichlich platt, und sie kannte auch die Antwort, doch kluge Unterhaltung lag ihr nicht. Und wenn Pete sie so direkt ansah, fiel ihr auch nichts ein.

„Sie haben wunderschöne Augen“, sagte er leise und strich ihr das Haar aus der Stirn. Genau das hatte er heute schon ein Mal getan. „So blaue Augen habe ich noch nie gesehen.“

Nora schluckte heftig und bekam Herzklopfen. Der Mann vergisst wirklich sehr schnell, dachte sie verärgert. „O doch, das haben Sie bestimmt schon.“

Er schüttelte den Kopf. „Daran würde ich mich erinnern. Mögen Sie Spiele?“

„Wie? Was?“ Lieber Himmel, er wusste ja doch, wer sie war. Am liebsten hätte sie zugeschlagen, damit er zu lächeln aufhörte.

„Spiele“, wiederholte er und blickte zum Fernseher hinter der Theke. „Sport. Dies hier ist eine Sport-Bar. Die Gäste kommen wegen der Spiele her. Mögen Sie Baseball oder lieber Football?“

„Ach nein.“ Nora räusperte sich nervös und rang sich ein Lächeln ab. „Ich bin keine begeisterte Anhängerin von Sport.“

„Vielleicht könnte ich Sie dazu bringen, sofern Sie wirklich interessiert sind.“ Behutsam legte er die Hände an ihre Taille und zog sie langsam näher. „Bei den meisten Spielen gibt es Angriff und Verteidigung“, flüsterte er und ließ den Blick über ihr Gesicht wandern. „Der Angriff dient allein dem Ziel, die Verteidigung zu überwinden und einen Treffer zu landen.“

Das Gespräch hatte plötzlich einen völlig anderen Unterton erhalten. Sexuelle Herausforderung verbarg sich unter den harmlosen Worten. Mit bebenden Fingern strich Nora durch Petes Nackenhaar und konnte kaum glauben, was sie da tat.

Er schloss die Augen und legte den Kopf zurück. „Guter Zug“, sagte er leise und betrachtete sie unter gesenkten Lidern hervor. „Sie haben begriffen, wie der Angriff funktioniert.“

Ohne ein weiteres Wort zog er sie vom Hocker und zwischen seine Beine. Und sie sah die Leidenschaft in seinen Augen, bevor seine Lippen sich auf ihren Mund senkten. Der Kuss in der Öffentlichkeit hätte ihr peinlich sein sollen, doch stattdessen fühlte sie sich wild und ungehemmt. Sie war Prudence Trueheart los! Sie war wieder Nora Pierce, eine leidenschaftliche und spontane Frau. Eine Frau, die wusste, welchen Mann sie wollte, und ihn auch küsste.

Pete nahm Besitz von ihrem Mund, und die Reste von Noras Widerstand schmolzen dahin. Ein wunderbares Spiel, dachte sie, während er über ihren Körper strich. Erregende Küsse, lustvolles Verhalten und kein Gedanke daran verschwendet, wer sie waren oder wie sie sich verhalten sollten.

Erst behutsam, dann immer eindringlicher erforschte er sie, bis sie den Kuss ganz erwiderte. Sie legte die Hände auf seine Schenkel und streichelte die harten Muskeln unter dem dünnen Stoff. Woher nahm sie bloß den Mut, mit seiner Leidenschaft mitzuziehen? Alles um sie herum trat in den Hintergrund. Sie hörte nicht einmal mehr den Lärm in der Bar. Erst als sie schon dachte, es nicht länger zu ertragen, zog Pete sich zurück und lächelte träge.

„Die Verteidigung war reichlich schwach“, scherzte er. „Trotzdem könnte das Spiel interessant sein. Wollen wir von hier verschwinden?“

Lachend legte sie ihm die Arme um den Nacken. Dieses Geben und Nehmen gefiel ihr. „Ich sollte nach meiner Freundin sehen.“ Sie drückte noch einen Kuss auf seinen Mund und strich verwegen mit der Zungenspitze über seine Lippen. „Ich komme gleich zurück. Dann können wir gehen.“

Pete zog sie an sich und drückte ihr einen Kuss auf den Hals. „Ich rühre mich nicht von der Stelle. Lass mich nicht zu lange warten.“

Während sie zu den Waschräumen ging, betastete Nora die Lippen und lachte leise. „Was würde Prudence dazu sagen?“, murmelte sie, doch letztlich war ihr das völlig egal.

„Du bist noch immer hier?“ Nora stand vor einer offenen Kabine und betrachtete Ellie Kiley. Ihre Freundin hatte das Kleid hochgeschoben und lackierte die Zehennägel lila. „Du hast die ganze Zeit auf mich gewartet?“

Ellie schob zusammengerolltes Toilettenpapier zwischen die Zehen und hüpfte aus der Kabine. „Ich habe mir zwei Mal die Nägel lackiert, die Augenbrauen gezupft und sämtliche Wasserhähne geputzt. Und ich wollte schon die Wasserleitungen reparieren, als du endlich kamst.“

Nora folgte ihr zerknirscht. „Wieso bist du denn nicht gegangen? Du hättest verschwinden können, ohne dass er dich sieht.“

„Wieso sollte ich verschwinden?“, fragte Ellie. „Er hat mich an der Bar gesehen. Ich wollte euch zwei einfach eine Weile allein lassen, bevor ich wieder auftauche.“

Nora runzelte die Stirn. Hätte Pete tatsächlich Ellie gesehen, hätte er zwei und zwei zusammengezählt, und dabei wäre „Nora“ herausgekommen. Nein, Ellie irrte sich. Pete hätte sich niemals derartige Freiheiten herausgenommen, hätte er gewusst, dass sich unter der schwarzen Perücke und dem erregenden Kleid Prudence Trueheart verbarg.

„Ich stand eine Weile vor der Tür des Waschraums und habe euch zugesehen“, sagte Ellie. „Niedlich wart ihr. Und bei dem vielen Champagner war ich überzeugt, dass du bald im Waschraum auftauchen würdest. Woher sollte ich wissen, dass deine Blase so groß ist wie der Lake Merced?“ Ellie bückte sich und fächelte Luft an ihre Zehen. „Was sagte er denn, als er dich erkannte? Hat er über die Perücke gelacht?“

„Er hat mich nicht erkannt.“

„Was?“, fragte Ellie erstaunt. „Hast du ihm gesagt, wer du bist?“

„Wozu?“ Nora zupfte am Kragen. „Vielleicht hat ihn mein Busen abgelenkt.“ Sie zog den Miracle Bra zurecht. „Was meinst du? Bleibt er so, wenn ich diesen BH eine Woche lang trage?“

„Was soll das heißen?“, fragte ihre Freundin. „Natürlich hat er dich erkannt! Er ist doch nicht dumm, und so verändert siehst du nicht aus.“

„Er hat mich nicht erkannt“, bekräftigte Nora. „Wie denn auch? Bei der Arbeit achtet er nie auf mich. Vorhin sagte er sogar, solche Augen hätte er noch nie gesehen. Dabei hat er heute in genau diese Augen geblickt.“ Sie holte ein Parfumfläschchen aus der Tasche und tupfte etwas an den Hals und zwischen die Brüste. „Na ja, vielleicht macht er auch nur mit. Mir ist das gleichgültig. Ich unterhalte mich jedenfalls bestens.“

Ellie trat hinter sie, packte das Kleid im Nacken und zog es hoch, dass der Stoff Nora unter den Armen einschnürte. „Das da draußen in der Bar ist kein Fremder, sondern Pete Beckett! Du arbeitest mit ihm, und bis vor Kurzem hast du ihn sogar gehasst.“ Ellie klemmte sich Noras Handtasche unter den Arm. „So, wir beide hauen jetzt ab, bevor du eine Dummheit begehst.“

Nora entriss ihrer Freundin die Handtasche und wich nicht von der Stelle. „Ausnahmsweise möchte ich mal eine Dummheit begehen. Ich lebe seit achtundzwanzig Jahren anständig. Sieh nur, was mir das eingebracht hat. Ich kann dir genau sagen, wie sich die Gastgeber bei einem Hochzeitsempfang aufstellen müssen und wie man eine Einladung formuliert. Ich kann dir aber nicht sagen, wie es ist, von Leidenschaft mitgerissen zu werden, auf alle Vernunft zu verzichten und sich purer Begierde hinzugeben. Ich bin so erregend wie kalter Haferbrei.“

„Nora, hör auf! Denk doch nach! Es geht um Pete Beckett. Willst du zu einer Kerbe an seinem Bettpfosten werden? Wie willst du ihm morgen gegenübertreten, wenn du heute Abend eine Dummheit begehst?“

„Ist mir egal“, wehrte Nora ab. „Das ist ja so wunderbar an einer Dummheit. Natürlich bereut man sie am nächsten Morgen. Man bereut sie und vergisst sie anschließend. Außerdem weiß er nicht, wer ich bin, sonst hätte er schon längst etwas gesagt, vor allem nach dem Kuss.“

Ellie riss die Augen auf. „Pete Beckett hat dich geküsst?“

„Mehr als ein Mal“, berichtete Nora zufrieden.

Ihre Freundin schüttelte den Kopf und betrachtete sie im Spiegel. „Vielleicht hat er dich tatsächlich nicht erkannt.“

„Was ist so falsch daran, wenn man den Moment genießt?“, fragte Nora.

Ellie legte ihr den Arm um die Schultern. „Ich weiß, wie schön es ist, sich begehrt zu fühlen. Und es ist schon lange her, dass du mit einem Mann zusammen warst. Aber eine Nacht mit Pete Beckett wird dir nicht helfen.“

„Es ist drei Jahre her“, erwiderte Nora. „Sofern man Stuart nicht zählt.“

Stuart Anderson war Noras Vermieter und ihr bester Freund. In den letzten drei Jahren hatte Stuart sie zu allen High-Society-Partys und Spendengalas ihrer Mutter begleitet. Celeste Pierce sah in Stuart wegen seiner hervorragenden Manieren ihren zukünftigen Schwiegersohn.

„Ich mag Stuart“, urteilte Ellie. „Er ist zuverlässig, im Gegensatz zu Pete Beckett. Warum schläfst du nicht mit ihm?“

„Stuart ist schwul“, erwiderte Nora.

Nora seufzte. Es ging ihr nicht nur um Sex mit einem Mann, sondern auch um alle anderen Empfindungen, die damit verbunden waren. Sie wollte das Gewicht eines Mannes auf ihrem Körper spüren, die glatte Haut und die harten Muskeln unter ihren Händen. Die schmalen Hüften, die perfekt zwischen ihre Beine passten, und natürlich und vor allem das Gefühl, wenn er sich in ihr bewegte. Das alles wollte sie vor ihrem seligen Ende nur noch ein einziges Mal erleben. Vor ihrem seligen Ende oder vor ihrem dreißigsten Geburtstag.

„Jetzt habe ich die ideale Gelegenheit zu einem Abenteuer für eine Nacht“, sagte Nora. „Ich könnte aus seinem Leben verschwinden, als hätte es mich nie gegeben. Er müsste sich nicht einmal die Mühe machen, mich wie alle anderen vor mir abzuservieren. Außerdem kenne ich ihn … und du auch. Wir wissen, dass er nicht irre und kein entflohener Kettensägenmörder ist. Ich brauche mir um meine Sicherheit keine Sorgen zu machen.“

Ellie schüttelte den Kopf. „Nora, bitte!“

„Ich bin schon ein großes Mädchen, Ellie, und weiß, was ich tue.“

„Aber was ist mit deinem Herzen?“, fragte Ellie. „Kannst du denn garantieren, dass du später nichts für ihn empfinden wirst?“

„Aber natürlich. Er ist Pete Beckett, und ich bin … na ja, das weißt du. Ich bin Prudence Trueheart und kann mich in einen solchen Mann gar nicht verlieben.“ Nora rang sich ein Lächeln ab. „Du fürchtest vielleicht, er könnte herausfinden, dass ich Prudence Trueheart bin, und dann so angewidert sein, dass er mich nicht küssen oder berühren will.“

„Aber nein! Ich fürchte nur, dass du bei diesem gefährlichen Spiel verletzt wirst. Denk daran, er ist Experte, und du bist Anfängerin.“

„Na schön.“ Nora drehte ungeduldig das Wasser auf und wusch sich die Hände. „Dann mache ich eben nicht weiter. Ich sage ihm, dass ich mit dir heimfahre, und das ist das Ende der Geschichte.“

Ellie nickte. „Jetzt wirst du endlich vernünftig. Schließlich würde er herausfinden, wer du bist, sobald ihr intim werdet. Oder wenn er nüchtern wird, je nachdem, was zuerst passiert.“

Nora warf das Papierhandtuch in den Abfalleimer, ging zur Tür und blieb stehen. Vielleicht hatte Ellie recht. Sie selbst hätte niemandem eine einzige Nacht der Leidenschaft empfohlen. Doch sie wollte nicht mehr wie Prudence denken. Ausnahmsweise wollte sie sämtliche Regeln brechen und auf die Folgen pfeifen.

„Na schön“, wiederholte sie. „Ich verabschiede mich, und dann können wir gehen.“ Sie betrachtete ihre Freundin, die sich bückte und das Toilettenpapier zwischen den Zehen hervorzog. „Du bist eine echte Meckertante. Sollte ich jemals beim ‚Herald‘ kündigen, werde ich dich als Prudence empfehlen. Du klingst schon viel mehr nach ihr als ich.“

3. KAPITEL

Pete war überzeugt, dass sie nicht zurückkommen würde. Seufzend ließ er den zweiten Whisky in seinem Glas kreisen, doch es half nichts. Verlangen brannte in seinem Körper. Durch Whisky würde er diesen Abend sicher nicht vergessen. Aus diesem Stoff waren Männerträume gemacht … zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem Nora Pierce ihn versetzt hatte.

Was sollte er jetzt machen? Er konnte nicht so tun, als wäre nichts geschehen. Wenn er morgen in die Redaktion kam, konnte er sie nicht wie in den letzten drei Jahren einfach ignorieren. Aber vielleicht konnten sie sich stillschweigend darauf einigen, dass dieser Abend nie …

„Bereit?“

Pete führte gerade das Glas an die Lippen, als er ihre Stimme hörte. Langsam drehte er sich um. Nora stand nervös hinter ihm und hielt die Handtasche so fest, dass sich die Knöchel weiß unter der Haut abzeichneten.

„Wofür bereit?“, fragte er.

Sie wurde rot und warf einen Blick hinter sich. „Ich dachte, wir wollten gehen. Jetzt gleich.“

Er stellte das Glas so hastig weg, dass Whisky auf seinen Ärmel spritzte. „In Ordnung“, erwiderte er und versuchte, seine Überraschung zu verbergen. „Ich bin bereit. Gehen wir.“ Er nahm ihren Umhang und führte sie zur Tür. Wieso hatte er sie so falsch verstanden? Aber wollte sie den Abend tatsächlich so enden lassen? Schließlich war sie Prudence Trueheart. Andererseits kam er allmählich dahinter, dass Nora völlig anders war.

Nebel zog von der Bay her in die Stadt. Fußgänger schlenderten unter duftenden Olivenbäumen und zu den Klängen von Straßenmusikanten durch den Hof der Cannery. Auf der Jefferson Street mischte sich der Geruch von Salzwasser mit den köstlichen Düften von gebratenen Meeresfrüchten. Überall konnte man frisch gekochte Krabben kaufen.

In der Dunkelheit rumpelte ein Cable Car durch die Hyde Street. Pete und Nora blieben auf dem Bürgersteig stehen. Nora sah ihn nervös an. „Hast du einen Wagen?“

„Hast du einen?“, entgegnete er.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin mit meiner Freundin gekommen.“

Pete lachte leise. Von seiner Wohnung zur Wharf ging man zwanzig Minuten. Da man in der Innenstadt keinen Parkplatz fand, hatte er den Wagen daheim gelassen. „Ich bin zu Fuß hier. Ich wohne auf dem Russian Hill. Wenn es näher ist, könnten wir zu dir gehen.“

„Wir gehen zu dir“, entschied sie. „Danach nehme ich mir ein Taxi.“

Verdammt, sie wollte mit ihm allein sein, bevor sie die Bombe platzen ließ. Am liebsten hätte er jetzt gleich ein Ende gemacht und eine Erklärung verlangt. Stattdessen legte er ihr den Umhang um die Schultern.„Zum Gehen ist es zu weit. Wir nehmen das Cable Car.“

Mit der Hyde-Street-Linie kamen sie in die Nähe seiner Wohnung an der Macondray Lane. Sie nahmen den nächsten Wagen. Nora hielt sich an der Stange über ihrem Kopf fest, und Pete legte ihr die Arme um die Taille. Sie drückte sich an ihn, und er konnte sein Verlangen kaum noch ertragen.

Der Wagen hielt Ecke Hyde und Green Street. Pete stieg aus, umfasste Noras Taille und hob sie herunter. Ihr Körper glitt an dem seinen entlang, und er genoss den Druck ihrer Hüften. In der Dunkelheit drückte er sie gegen eine Mauer und küsste sie heiß und voll Verlangen.

Dieser Abend würde nicht gut enden. Pete fürchtete, dass es zu Vorwürfen kommen würde, aber jetzt wollte er jeden Moment mit Nora genießen.

Er fühlte, wie sie erschauerte, und wich zurück. „Alles in Ordnung?“

Nora nickte und biss sich in die Unterlippe. „Ich friere ein wenig.“