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Bei einer Cocktail-Party in New York entging der Distriktrichter Taulbee dem sicheren Tod nur um Haaresbreite - weil er weniger gefräßig war als sein großer Kollege, der Bundesrichter Freeholder.
Aber Taulbee weiß nicht, dass der Mörder die vergifteten Leckerbissen ihm zugedacht hatte...
Margaret Scherf (* 1908 in Fairmont, West Virginia; † März 1979) war eine US-amerikanische Kriminal-Schriftstellerin.
Der Roman Tödliche Leckerbissen erschien erstmals im Jahr 1957; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1976.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Margaret Scherf
Tödliche Leckerbissen
Roman
Apex Crime, Band 132
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
TÖDLICHE LECKERBISSEN
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Epilog
Bei einer Cocktail-Party in New York entging der Distriktrichter Taulbee dem sicheren Tod nur um Haaresbreite - weil er weniger gefräßig war als sein großer Kollege, der Bundesrichter Freeholder.
Aber Taulbee weiß nicht, dass der Mörder die vergifteten Leckerbissen ihm zugedacht hatte...
Margaret Scherf (* 1908 in Fairmont, West Virginia; † März 1979) war eine US-amerikanische Kriminal-Schriftstellerin.
Der Roman Tödliche Leckerbissen erschien erstmals im Jahr 1957; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1976.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
Richter Corbet Taulbee rasierte sich in seinem Badezimmer und dachte nach. Die Rasur war nötig, aber auf das Denken hätte er verzichten können. Unangenehme Gedanken bedrängten ihn oft im Badezimmer. Vielleicht lag das an den giftgrünen Wänden. Die Farbe war Marthas Idee gewesen. Martha hatte die Wände selbst gestrichen, und er hatte so getan, als ob er das Ergebnis hübsch fand, aber er wünschte, Marthas grüne Periode wäre nicht mit der Entscheidung des Obersten Bundesgerichtes vom 17. Mai 1954 zusammengefallen.
Da hatte er es, schon wieder musste er daran denken. Er wollte es nicht, er hatte die ganze Sache satt. Verdammt satt. Sie hatte ihm nichts als Magenschmerzen, empörte Bridgepartner und schlaflose Nächte eingebracht.
Er hatte sich nie darum gerissen, einen Kreuzzug zu führen. Es war sein Pech gewesen, dass er einer der ersten Richter war, die in einem Fall, der sich auf das brisante Urteil des Obersten Bundesgerichtes stützte, entscheiden mussten. Er hatte drei Jahre an der Universität Yale studiert und dann hier in Somers bei dem alten Hornby Rechtswissenschaft gehört. Er war nie ganz sicher, ob ihm während seines Studiums an der juristischen Fakultät nicht irgendetwas Wichtiges entgangen war, und so übte er Vorsicht und Bescheidenheit, wenn er eine Entscheidung treffen musste. Seine Freunde vertraten die Ansicht, er sei nicht unentschlossen, sondern handle überlegt. Seine Feinde sagten, er habe Angst vor graduierten Juristen, besonders vor Charlie Apwell. Er wusste nicht, ob er vor Charlie Angst hatte. Er verabscheute ihn, und an Tagen, an denen Charlie seine zweifelhaften Talente im Saal des Distriktgerichtes zur Schau stellte, ließ die Mittagspause viel länger als sonst auf sich warten.
Charlie hatte ihm das Leben zur Hölle gemacht, als er über dem Fall der Schul-Integration brütete. »Der Richter kann sich nicht entscheiden, ob er Salz auf ein Ei streuen soll, ohne den Präzedenzfall nachzuschlagen. Was, zum Teufel, wird er dann erst in dieser Sache tun? Sie so lange vor sich herschieben, bis er seinen Kopf irgendwie aus der Schlinge ziehen kann.«
Nicht, dass Charlie darauf aus war, dass Taulbee eine Verordnung zur Aufhebung der Rassentrennung in den Schulen erließ. Nein, das bestimmt nicht. Er wollte Taulbee nur aus der Fassung bringen. An einem sehr warmen Sonntag, nach einem schweren Essen, sagte sich Corbet: »Gut, ich werde eine Entscheidung treffen und sehen, wie sie ihnen gefällt. Ich komme sowieso nicht drum herum.« So ging sein Urteil nicht auf eine strenge Gewissenserforschung zurück, sondern auf Charlie Apwell und einen zu reichlichen Genuss von Kirschkuchen.
Man konnte natürlich nicht sagen, dass die Frage nie ein so kritisches Stadium wie die Entscheidung des Obersten Bundesgerichtes hätte erreichen dürfen. Wahrscheinlich hatte es eines Tages zu dieser Entwicklung kommen müssen, aber Taulbee würde viel darum geben, wenn dies vor seiner Geburt oder nach seinem Tod geschehen wäre. Oder wenigstens nach seiner Pensionierung.
Er konnte das Ganze auch nicht als unvermeidliche Entscheidung abtun, an der er nur als kleines Rädchen beteiligt war, denn die Folgen schlugen überall um ihn herum wie Bomben ein. Menschen nahmen an Leib und Seele Schaden. Vor allem Kinder, die nichts mit der Sache zu tun hatten. Man würde jetzt die neuen Schulen, die für das alte System der Rassentrennung, aber Gleichheit geplant gewesen waren, nicht bauen.
Um diese düsteren Gedanken zu vertreiben, nahm er die Fahrkarte aus der Tasche und betrachtete sie. Von Somers nach New Haven. Morgen Nachmittag würde er im Zug sitzen, um seinen alten Freund Jasper Crane zu besuchen, der inmitten der Stürme, die seine Zeitgenossen bedrohten, auf seinem akademischen Posten in Sicherheit war.
Taulbee hörte den Briefträger die Stufen heraufkommen, und dann rief Martha: »Corbet, ein Brief von Edward Montfort.«
»Was steht drin?«
Sie kam mit dem Brief herauf. Edward und seine Frau forderten sie auf, ihre Reise nach New Haven in New York zu unterbrechen. Sie dachten, dass Martha mitfuhr, aber sie konnte Corbet nicht begleiten, weil sie in diesem Jahr Herausgeberin des State Federation Journal war und ihre Aufgabe sehr ernst nahm.
»Ich glaube nicht, dass ich sie besuche«, entschied Corbet.
»Es wäre eine nette Abwechslung, Schatz. Und wir haben uns auf ihrer Party in Washington im letzten Frühjahr gut unterhalten. Obwohl ich mir aus der zweiten Mrs. Montfort nicht viel mache. Emma war wesentlich kultivierter.«
»Emma war sterbenslangweilig. Lee hat Charme.«
»Warum willst du dann nicht ein oder zwei Tage bei ihnen verbringen?«
»Ich habe keine passende Garderobe.«
»Du bist vornehm genug, Corbet. Vergiss nicht, dir die Haare schneiden zu lassen.«
»Ich habe nie mehr als fünfzig Dollar für einen Anzug ausgegeben. Ich gehe jede Wette ein, dass Edwards hundertfünfzig kosten.« In Wirklichkeit dachte er daran, wie unbequem es war, jemanden in einer Etagenwohnung zu besuchen. Ob sie wohl mehr als ein Badezimmer hatten? Das war anzunehmen. Schließlich wohnten sie in Park Avenue. Was wäre Park Avenue schon wert, wenn die Leute dort nicht mehr als ein Badezimmer hatten?
Es war später Nachmittag, als Taulbee, mit seiner Reisetasche in der Hand, die Rampe in der Grand Central Station heraufkam. Er fühlte sich beklommen. Die Hitze schlug ihm wie ein feuchter Scheuerlappen ins Gesicht. Er war erst einmal hier gewesen und erinnerte sich, dass er sich damals unter den quicklebendigen New Yorkern wie ein Bauer vorgekommen war. Er musste sich immer noch die Haare schneiden lassen - zu Hause hatte er keine Zeit dazu gehabt. Taulbee, sagte er streng zu sich selbst, du bist zu alt, um dich durch eine Hose mit tadellosen Bügelfalten einschüchtern zu lassen. Er entspannte sich und fand bald eine Telefonzelle, in der er umständlich Montforts Nummer wählte, die er sich in sein Notizbuch geschrieben hatte. Es kam heutzutage nicht oft vor, dass er eine Nummer selbst wählen musste. Edward meldete sich, im Hintergrund waren Gelächter und Gespräche zu hören.
»Taulbee«, rief er herzlich aus. »Ich freue mich, dass Sie da sind. Können Sie in einem Taxi herkommen, oder soll ich Sie abholen?
Lee gibt gerade eine Party, aber nur eine kleine. Nichts Aufregendes. Ich möchte Sie mit Freeholder bekannt machen.«
Corbet sagte, er würde allein zur Park Avenue finden, und verließ die Telefonzelle, um sich nach einem Taxi umzusehen. Vor dem Taxistand drängte sich ein Menschenknäuel, und während er ruhig dastand, um zu warten, bis er an die Reihe kam, grinste ihn ein junger Mann an.
»So kriegen Sie nie eins. Kommen Sie mit.« Er packte Taulbee am Arm, riss die Tür eines Taxis auf und besiegte eine wütende Matrone, die eine Hutschachtel und verschiedene Strohtaschen aus Guatemala schleppte.
»Ich habe mir schon immer gewünscht, so was mal mit einer Frau zu machen, die sich vordrängt«, gestand Corbet. »Wie trauen Sie sich das nur?«
»Reine Übungssache. Sie werden es in ein paar Wochen selbst tun.«
»Ich bleibe nicht so lange. Das könnte ich nicht aushalten.«
»Warum denn nicht? Es würde Ihnen guttun. Wohin wollen Sie?«
»Fünfundvierzig Park Avenue.«
Der junge Mann fuhr zur 74. Straße. Er wollte Taulbee vorher in der Park Avenue absetzen. Der Verkehr war wahnsinnig dicht, und sie kamen nur im Schritttempo vorwärts, so dass Corbet genügend Zeit hatte, sich vorzustellen und zu erfahren, dass der junge Mann Dave Honnecker hieß, sich sein Brot durch Kopieren von Partituren verdiente und an Heuschnupfen litt. Die Leute erzählten Corbet häufig alles über sich. In diesem Fall hatte er allerdings den Eindruck, dass Honnecker ihm nur unwichtige Informationen gab. Irgendetwas Unangenehmes schien ihn zu bedrücken.
In der Park Avenue 45 hatte Corbet Schwierigkeiten mit dem Fahrstuhl, aber Edward kam die Diele herunter, um ihn zu begrüßen, nahm ihm die Reisetasche ab und führte ihn in einen überfüllten Raum. Einen Augenblick lang war Corbet von den glänzenden schwarzen Gewändern, dem Geplapper, den glitzernden Ohrringen und der betriebsamen Atmosphäre verwirrt. Dann nahm Lee Montfort freundlich seine Hand.
»Wir freuen uns so, Sie bei uns zu haben, Corbet. Sie müssen lange bleiben.« Sie war sehr würdevoll und ein bisschen beschwipst und trug ein Kleid, das eine Idee zu knapp saß. Sie hatte einen Mund, der eine bezaubernd geschwungene Linie bildete, wenn sie lächelte, und sie lächelte oft. Sie war in jeder Hinsicht anders als Emma, Edwards erste Frau, die ein ziemlich mürrisches und ernstes Wesen gehabt hatte. Edward war glücklich mit Lee, dachte Corbet, er kam ihm entspannter und jünger vor.
Sie führte ihn in ein Schlafzimmer, wo Edward sein Gepäck abgestellt hatte. »Wenn Sie irgendetwas brauchen... Ich selbst bin sehr ungern irgendwo auf Besuch, Man kann nie tun, was man möchte, vor Angst, dass man stört. Ich hoffe, Ihnen geht es nicht ebenso, Corbet. Ich nehme auch keine Wochenendeinladungen mehr an. Zuerst wird man stürmisch und überschwenglich begrüßt, dann widmen sich alle ihren eigenen Aufgaben und lassen einen allein, es gibt nichts zu tun, und man langweilt sich zu Tode. Ich habe Freunde auf dem Land, die in herrlichen Gegenden leben, aber ich besuche sie nicht.« Sie hielt plötzlich inne. »Corbet, mir ist gerade etwas Furchtbares eingefallen.«
»Wirklich? Was ist es, Lee?«
»Sie essen keine Zwiebeln. Und in dem Käse-Dip ist Zwiebelsuppe drin. Das ist Veras Schuld, es war ihre Idee. Ich werde Ihnen eine Extraschüssel ohne Zwiebeln machen.«
»Bitte nicht«, sagte Corbet, aber Lee war schon hinausgegangen. Er verabscheute Käse. Er betrachtete sein bläulich schimmerndes Kinn im Spiegel an der Tür. Er müsste sich eigentlich schon wieder rasieren.
Eine junge Frau kam plötzlich ins Zimmer gestürzt und blieb unvermittelt stehen. »Ich bitte um Verzeihung. Man hat mir nicht gesagt, dass Sie schon da sind, Richter Taulbee. Ich bin Kathleen.«
»Ich erinnere mich an Sie, Kathleen. Sie waren auf der Party in Washington.« Sie wirkte überrascht, als ob sie nicht erwartete, dass sich jemand an sie erinnerte. Und trotzdem war sie ein hübsches Mädchen - ihr Haar hatte die Farbe von gebranntem Zucker, und ihre großen, grünen Augen mit den dunklen Wimpern blickten schrecklich ernst. Sie hatte sich so hässlich und farblos wie möglich gemacht in einem dunkelgrauen, fusselnden Baumwollkleid. Er sah es gern, wenn sich ein Mädchen im besten Licht zeigte - nicht in grellem Neonlicht, sondern in warmem Lampenschein.
»Ich will mir nur ein Kleid holen.« Sie ging mit schnellen, nervösen Schritten zum Schrank. Corbet sah, dass sie alle ihre Kleider an das eine Ende der Stange geschoben hatte, wo sie jetzt dicht gedrängt auf engstem Raum hingen. Ihre zierlichen Schuhe hatte sie ordentlich darunter gestellt.
»Das ist Ihr Zimmer, Kathleen«, folgerte er. »Es tut mir leid.«
»Sie stören mich überhaupt nicht. Ich bin in Onkel Edwards Arbeitszimmer am anderen Ende der Diele einquartiert. Es ist sehr gemütlich, und ehrlich gesagt ist das Bett besser als das hier.«
»Warum schlafe ich dann nicht im Arbeitszimmer?«
»Oh, nein.« Sie war beunruhigt. »Lee würde das bestimmt nicht wollen.« Sie nahm ein grässliches, goldfarbenes Kleid aus dem Schrank, das ihre Haut wie nasses Zeitungspapier aussehen ließ. Etwas an ihr erinnerte ihn an Martha - sie war schüchtern, aber bestimmt, hatte Angst aufzufallen und war sehr ordnungsliebend.
»Das Kleid passt nicht zu Ihnen«, sagte Corbet freundlich. »Haben Sie nicht was Schwarzes? Sie scheinen da draußen alle Schwarz zu tragen.«
Sie wurde rot. »Es ist unwichtig, was ich anhabe.«
Das erinnerte ihn wieder an Martha. »Ach gehen Sie, Sie sind ein hübsches Mädchen. Stellen Sie doch Ihr Licht nicht unter den Scheffel. Lassen Sie mal sehen, was Sie da haben.«
Sie starrte ihn an, als ob er übergeschnappt wäre, schien aber entschlossen, ihm seinen- Willen zu lassen. »Das ist alles, was ich in Schwarz habe.« Sie hielt einen lappigen Fetzen mit weißem Kragen und weißen Manschetten hoch.
Corbet schüttelte den Kopf. »Das ist was für Miss Aimes’ Mädchenpensionat. Was ist das für ein Kleid dort?«
Sie nahm es widerstrebend heraus. »Lee hat es mir geschenkt. Ich kann es nicht leiden.«
Corbet wollte gerade sagen, dass er es recht nett fand, als Edward erschien. »Kommen Sie, Taulbee, ich möchte, dass Sie mit Freeholder sprechen, bevor er geht. - Müde, Kathleen?« Er lächelte ihr liebevoll und ziemlich besorgt zu.
»Nicht sehr. Es ist die Hitze.«
»Ich möchte Kathleen nicht aus ihrem Zimmer vertreiben«, sagte Corbet zu ihm.
»Unsinn. Kathleen stört das nicht. Ich habe sie zu einem flexiblen Menschen erzogen, nicht wahr, meine Liebe?« Während sie die Diele hinuntergingen, fügte er, an Corbet gewandt, hinzu: »Sie ist so verdammt gewissenhaft, arbeitet zu schwer.«
»Was macht sie?«
»Sie ist bei einem Doktor Gelhausen angestellt. Er hat eine wahre Goldgrube - dank der Gedärme der Bewohner von Park Avenue.«
Corbet, der zum Schutz seine Pfeife herausgenommen hatte, folgte Edward in den Raum, in dem die Party stattfand. Ein leichtfüßiger junger Mann, der eine Frackschleife trug, kam ihn fragen, was er trinken wollte, und lief davon, um ein Glas Whisky zu holen. Seine kleine, runde Gestalt und seine fröhlichen braunen Augen wirkten irgendwie vertraut, und er schien den Richter zu kennen.
»Wer war das?«, fragte Corbet.
»Lees Neffe, Milton Simms. Er war auf der Party in Washington.«
Corbet erinnerte sich. »Er ist Musiker, nicht wahr?«
»Er komponiert gerade eine Oper, nimmt es verdammt ernst. Können Sie sich das vorstellen? Man sollte meinen, dass es schon genug Opern gibt. Hier ist Eustace.«
Eustace J. Freeholder, Richter am Obersten Bundesgerichtshof, ein stattlicher, gutaussehender Mann, der die Würde seines hohen Amtes ausstrahlte, benutzte einen Kartoffelchip dazu, um weichen Käse aus einer Schüssel aufzustippen.
Edward machte sie miteinander bekannt und fügte hinzu: »Taulbee ist einer der unglücklichen Distriktrichter, Eustace. Ihr Burschen habt die Zündschnur angesteckt, und die Bombe ist in seinem Gerichtssaal explodiert.«
»Ich will mich nicht beklagen.« Corbet lächelte. »Wir sind immer noch Herr der Lage.«
Das gerötete Gesicht schluckte den Kartoffelchip. »Es war unvermeidlich, Richter. Unvermeidlich.«
»Das glaube ich. Und bis jetzt sind wir mit dem Leben davongekommen.«
»Es besteht bestimmt keine Lebensgefahr.«
Obwohl Taulbee selbst diese Ansicht geäußert hatte, um Martha zu beruhigen, war er über Freeholders leichtfertige Behauptung verstimmt. Freeholder brauchte den Leuten nicht gegenüberzutreten. »Da bin ich nicht so sicher«, sagte Corbet. »Die Gemüter sind erregt. Viele Dinge sind durcheinandergeraten. Zum Beispiel muss ein Mann, der die Klempnerarbeiten für mehrere neue Schulen in unserem County ausführen sollte und damit sechs Monate beschäftigt gewesen wäre, sich eine andere Arbeit suchen. Die Schulen werden nicht gebaut.«
»Warum nicht?«, fragte Freeholder, als Milton mit Taulbees Whisky und einem Glas für sich selbst zu ihnen trat und stehenblieb, um zuzuhören.
»Weil sie für das alte System geplant waren. Rassentrennung, aber Gleichheit.«
»Das ist bedauerlich. Aber sie werden nach einer Weile einlenken.«
Taulbee, der sich daran erinnerte, wie er stundenlang sein Gewissen erforscht, Abführtabletten genommen und beim Bridge Trumpf gespielt hatte, begann eine heftige Abneigung gegen Freeholder zu empfinden. Er war natürlich neidisch. Freeholder war kein Wiederkäuer, der auf der Weide Gräser wie Sachverhalt und Präzedenzfall, Gerücht, Wirkung, Ziel sammelte, sie kaute, schluckte, wieder hochkommen ließ und noch einmal kaute. Er war ein Pferd, das seinen Hafer fraß, und damit basta.
Lee kam herüber, mit einer Silberschüssel in der Hand.
»Das ist für Sie, Corbet«, sagte sie. »Ohne Zwiebeln. Ich habe ein bisschen Worcestershire-Sauce hineingetan. Versuchen Sie es.«
Corbet musste sich einen Cracker nehmen und ihn in die feuchte Mixtur tauchen. Er hoffte, Lee würde weggehen, aber sie blieb stehen und beobachtete ihn.
Freeholder fiel über die Schüssel her. »Ich sollte auch keine Zwiebeln essen, Lee«, Sagte er aufgeräumt. »Haben Sie was dagegen, Taulbee, wenn ich mit Ihnen Ihr Leibgericht teile?«
»Durchaus nicht.« Er brachte ein Lächeln und ein paar lobende Worte für Lee zustande.
»Ich glaube nicht, dass Sie es wirklich mögen«, sagte sie. »Kommen Sie, ich werde es mit ein bisschen Knoblauchsalz verfeinern.« Sie griff nach der Schüssel.
»Nein, nein. Es ist wirklich sehr gut.« Corbet tunkte noch einen Cracker in den Käse, aber bevor er ihn essen musste, wurde Lee weggerufen. Was konnte er mit dem Cracker tun? Er sah sich nach einem Aschenbecher um, aber Freeholders scharfer Blick war auf ihn gerichtet. Corbet ging in sein Schlafzimmer und öffnete die oberste Schublade einer Kommode. Ordentliche Stapel sauberer Taschentücher, weiße Handschuhe, Perlen. Schuldbewusst wickelte er den mit Käse vollgesogenen Cracker in ein Papiertaschentuch, legte es vorsichtig auf die Perlen und kehrte in den Partyraum zurück.
»Sie sind den Leckerbissen losgeworden, was?« Freeholder zwinkerte ihm zu. »Sie hätten ihn mir zustecken können. - Da kommt Maude, sie scheint in Rage zu sein.«
Mrs. Freeholder kam angerauscht, eine kleine, dunkelhaarige Frau in brauner Spitze und Bernsteinperlen, mit Ponies, wie sie japanische Puppen haben. »Eustace, hast du gesehen, wer gerade hereingekommen ist?«
»Nein. Wer?« Eustace erfreute sich weiter an Essen und Trinken.
»Choate Smith.«
Freeholder starrte sie ungläubig an, dann schäumte er vor Wut. »Wo ist Montfort? Das ist ja empörend. Hol deinen Mantel, Maude.«
»Wir können nicht gehen, Liebling, aber ich finde es sehr geschmacklos.«
Corbet musste zugeben, dass es ein Fehler war. Senator H. Choate Smith hatte gegen Freeholders Ernennung zum Richter am Obersten Bundesgerichtshof gestimmt und war außerdem einer der schärfsten Gegner der Großen Entscheidung, mit der im Mai 1954 die Rassentrennung aufgehoben worden war.
Edward und Milton Simms, die die peinliche Situation erfassten, kamen herbeigeeilt.
»Ich weiß nicht, was in Lee gefahren ist, dass Sie diesen Schuft eingeladen hat«, murmelte Edward. »Es tut mir leid, Eustace.«
»Papas Kumpel im Senat«, erklärte Milton. »Du weißt, wie Lee an Papas alten Freunden hängt.«
»Verdammter Papa.«
»Papa war einer der großen Patrioten unseres Landes. Er hat wahrscheinlich mehr Stunden auf dem Boden geschlafen als sonst jemand seit dem Bürgerkrieg.«
Freeholder presste plötzlich die Lippen zusammen, und Corbet sah, dass Smith herüberkam, um mit ihnen zu sprechen. Lee, die von alldem nichts bemerkte, stand am Klavier bei einem aalglatten Typ, dem geborenen Salonlöwen. Er hatte leicht ergrautes Haar und trug einen Bürstenschnitt, um ein paar Jahre jünger auszusehen, und er benahm sich eine Spur zu ungezwungen, zu selbstsicher, als er eine leichte Kaskade von Tönen spielte.
»Phantastische Party, Montfort«, sagte Smith, der offensichtlich Vergnügen an dem Unbehagen fand, das er verursachte. »Wie geht es Ihnen, Freeholder? Sie sehen ausgesprochen schick aus, Maude.«
Sie starrten ihn hasserfüllt an, und Smith ging befriedigt weiter. Er musste sich kurz darauf verabschiedet haben, denn Corbet sah ihn nicht wieder.
Kathleen kam ins Zimmer. Sie trug das goldfarbene Kleid und ein Paar besonders hässliche, graue Wildlederpumps. Ein flexibles Mädchen, dachte Corbet.
»Du siehst süß aus«, log Milton. »Was möchtest du trinken?«
»Noch nichts. Ich habe Hunger.« Sie nahm sich ein paar Cracker, tauchte sie in Corbets Käse-Dip und lächelte Maude und Freeholder an, die sie beide recht gut zu kennen schien.
Sie bildeten für einige Minuten eine sorglose kleine Gruppe, bis Lee zu ihnen trat und Kathleen aufforderte, dem Mann am Klavier Gesellschaft zu leisten. »Allan hat ein neues Lied komponiert und brennt darauf, es zu spielen. Aber er wollte warten, bis du kommst. Ermutige ihn, meine Liebe.«
Kathleen nahm sich einen Teller voll Cracker und Käse und entfernte sich. Sie schien sich in ihr Schicksal zu ergeben.
Maude setzte ihre Brille auf und betrachtete das Paar. »Ist das der junge Mann, den sie Ostern nach Washington mitgebracht hat?«
»Jung ist wohl übertrieben«, antwortete Edward. »Saltgrass muss an die fünfundvierzig sein.«
»Er ist nicht älter als dreißig, stimmt’s, Milton?«, protestierte Lee. »Vielleicht ist er auch fünfunddreißig.«
Milton zuckte die Schultern und verhielt sich neutral.
»Kathleen wirkt mehr auf ältere Männer«, fuhr Lee fort. »Sie hat so viele Prinzipien und feste Gewohnheiten. Viele jüngere Männer würden sich nicht so gut damit abfinden wie Allan.«
»Er ist ein eingefleischter Junggeselle, ein Salonlöwe, warum will er plötzlich heiraten?«, fragte Edward. »Weil er auf Geld aus ist - darum. Er braucht Kathleens Geld.«
Lee lachte. »Er braucht kein Geld, Edward. Jedenfalls scheint er immer mehr als genug zu haben.«
»Wahrscheinlich hat er es sich geborgt. Diese Musiker sind doch immer blank.« Er blickte Milton an.
»Stimmt«, gab Milton zu. »Es sei denn, man macht Popmusik. Und das kann ich nicht.«
»Du tätest gut daran, es zu lernen. Du stehst jetzt auf eigenen Füßen.«
Milton zuckte mit den Schultern und ging weg.
»Drängle ihn nicht, dass er Geld verdienen soll, Liebling«, bat Lee.
»Ich spreche nur wie ein Vater mit ihm.«
»Sein Vater hat nie wie ein Vater mit ihm gesprochen, weshalb solltest du es tun? Milton kann nicht anders, er muss ernste Musik komponieren, und du kannst noch so sehr mit ihm schimpfen, er wird nie ein Gehaltsempfänger.«
Edward seufzte. »Ich verstehe einfach nicht, wie der alte George einen Sohn wie Milton heranziehen konnte. Es muss die Schuld deiner Schwester sein.«
»Clara starb, als Milton sieben war. Du kannst ihr nicht die Schuld geben. Und außerdem ist Milton goldig. Ich könnte gar nicht ohne ihn sein.«
»Geh doch mal raus und sieh nach, ob May den Kaffee fertig hat, ja, Liebling?«
Lee lief gehorsam hinaus, Edward trat zu einer anderen Gruppe, und Milton kam mit einem neuen Glas für Taulbee zurück. Er war der Typ des jungen Mannes, vermutete Corbet, der freundlich zu alten Damen ist, Blumen mitbringt, wenn man ihn zum Dinner einlädt, und sich nützlich macht, wenn ein Theaterbesuch arrangiert oder ein Termin beim Zahnarzt vereinbart werden muss. Er war sorgfältig gekleidet und trug eine weiche Kaschmirjacke und ein Hemd, das nicht längs, sondern quer gestreift war. Alles, was er anhatte, war farblich aufeinander abgestimmt.
»Nette Party«, sagte er. »Meine Tante hat ein Talent, Partys zu geben. Zerstreut, wie sie ist, lädt sie alle möglichen Leute ein, die nicht zusammenpassen, und es gefällt ihnen. Einen schwerblütigen Menschen wie Freeholder und einen Prasser wie Saltgrass.« Er deutete mit einem Kopfnicken zum Klavier hinüber.
»Sie teilen also Edwards Meinung über ihn?«
»Es ist nicht meine Sache, aber er scheint ein bisschen alt für Kathy zu sein. Sie ist ein- oder zweiundzwanzig, und er geht auf die Fünfzig zu, darauf können Sie Gift nehmen.«
»Und er hat kein Einkommen, soweit man sehen kann?«
Milton runzelte die Stirn. »Wie Lee sagt, hat er immer Geld. Ich weiß nicht, woher es kommt. Vielleicht von einer reichen alten Dame. Jedenfalls verdient er es nicht mit seiner Musik, das ist sicher.«
»Ein Komponist hat es heutzutage finanziell schwer, nicht wahr?«
»Es gibt viele Stiftungen. Wenn man auf Draht ist, kann man jahrelang von Stipendien leben - im Sommer im Ausland, im Winter in alten Villen, wo einem das Frühstück im Zimmer serviert wird. Die Bedingungen sind so ideal, dass man unmöglich zum Arbeiten kommt.« Milton schwieg einen Moment. »Aber Saltgrass ist Musik im Grunde völlig schnuppe. Es macht ihm einfach Spaß, sich als Komponist aufzuspielen. Diese Rolle passt zu ihm. Da kommt Vera, um Sie zu begrüßen. Sie ist Lees beste Freundin und verdammt lästig, sie wohnt auch hier im Haus. Sie wird Sie und Freeholder mit einem Wortschwall überschütten. Passen Sie auf.«
Vera kam herangestampft, eine große, herrische Frau mit einem stark ausgeprägten Unterkiefer und einem straffen, glänzenden Haarknoten im Nacken. Brust und Hüften waren fest in ein enges schwarzes Kleid gezwängt.
»Sie weiß alles, was die anderen tun und warum sie es nicht tun sollten«, fügte Milton hinzu.
Vera hatte ihren kleinen, lammfrommen Mann im Schlepptau, der kläglich und laut schmatzend an einem kalten Würstchen kaute, das auf einem Zahnstocher aufgespießt war. Nach einer kurzen Begrüßung wurden die beiden weggerufen, wofür Corbet dankbar war.
Er hätte gern das Gespräch mit Milton fortgesetzt, aber er war auf dem Gebiet der Musik verloren. Viermal im Winter legte er pflichtbewusst eine schwarze Krawatte an und begleitete Martha in die von der Gemeinde veranstalteten Konzerte, wo er an seine Jugend dachte, über einen noch nicht entschiedenen Fall grübelte oder bereute, dass er etwas Bestimmtes zu Abend gegessen hatte. Sogar wenn er fähig gewesen wäre, gute Fragen zu stellen, hätte er die Antworten nicht verstanden, aber es war ihm klar, dass für Milton Menschen Nebensache waren und die Musik. im Mittelpunkt stand.
»Ich habe noch nie eine Nebenhöhlenentzündung gehabt«, bemerkte er vertraulich, »aber seit dem Moment, wo ich aus dem Zug gestiegen bin, habe ich das Gefühl, mir platzt der Schädel.«
Das Wort Nebenhöhlenentzündung hatte eine elektrisierende Wirkung auf alle, die in Hörweite standen. Corbet fand sich plötzlich im Mittelpunkt einer fanatischen Gruppe von Leidensgenossen, die alle ihre eigenen Heilmittel anpriesen.
»Dagegen ist kein Kraut gewachsen«, sagte Edward mit dröhnender Stimme. »Es sei denn, Sie besorgen sich einen solchen Inhalationsapparat.« Er nahm eine kleine Aluminiumröhre aus seiner Tasche, schraubte den Verschluss ab, steckte die Röhre in das eine Nasenloch, während er das andere zuhielt, und atmete ein.
»Die Luft in dieser Stadt ist unerträglich«, erklärte Freeholder unverblümt. »Kommen Sie lieber nach Washington, Edward.«
Lee brachte Kaffee und pflichtete Freeholder bei. »Ich wünschte, er würde es tun, Eustace. Ich liebe Washington.«
Edward sagte, er müsse dort leben, wo seine Praxis sei, obwohl er den Aufenthalt in der Hauptstadt sehr genossen habe. Er war damals vom Handelsministerium in einigen Fällen als Berater zugezogen worden.
»Vielleicht wird er zurückgerufen«, sagte Freeholder. »Ihr Mann hat einen guten Ruf, Lee.«