3,99 €
Eine Frau. Drei Männer. Ein dunkles Geheimnis. Für Brooke ist nichts mehr, wie es war. Ihr Mann ist tot, kaltblütig erschossen. Ihre hübsche Welt als Künstlergattin am Stadtrand von Chicago gleicht einem Albtraum. Dann tauchen sie auf: Wade, Rory und Halo – verrucht, beängstigend, atemberaubend. Sie entfesseln Brookes verborgenes Ich, ihre geheimen Sehnsüchte. Doch die drei Männer bedeuten Gefahr. Denn Brooke ist ein Auftrag, und ein solcher wird erledigt. Als Mitglieder des Beria-Syndikats kann sich keiner von ihnen erlauben, einen Befehl zu missachten. Zwei Welten prallen aufeinander. Angst ringt mit Leidenschaft, Verzweiflung mit Begehren. Was wird am Ende siegen: das Misstrauen oder die Versuchung? TRACKED Teil 1 einer atemberaubenden REVERSE-HAREM-MAFIA – Trilogie
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Inhaltsverzeichnis
MARA HARTE
SIN PLAYERS
Über das Buch
Die Autorin
Playlist
BROOKE
BROOKE
WADE
RORY
BROOKE
HALO
BROOKE
RORY
HALO
BROOKE
WADE
BROOKE
RORY
WADE
BROOKE
WADE
HALO
BROOKE
RORY
BROOKE
WADE
BROOKE
Weiter geht’s mit …
KENNST DU SCHON …?
KENNST DU SCHON …?
KENNST DU SCHON …?
Bücher von MARA HARTE
MAFIA AFFAIRS
MELTING POT
TRACKED
SIN PLAYERS
Buch 1
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2021 RebelYou Publishing
Ariana Lambert, Sandy View, Seamount, Courtown, Ireland
www.mara-harte.com
Lektorat: Marion Mergen
www.korrekt-getippt.de
Korrektorat: Ariana Lambert
Cover: HollandDesign
Erstellt mit Vellum
TRACKED
Eine Frau.
Drei Männer.
Ein dunkles Geheimnis.
Für Brooke ist nichts mehr, wie es war. Ihr Mann ist tot, kaltblütig erschossen. Ihre hübsche Welt als Künstlergattin am Stadtrand von Chicago gleicht einem Albtraum.
Dann tauchen sie auf: Wade, Rory und Halo – verrucht, beängstigend, atemberaubend. Sie entfesseln Brookes verborgenes Ich, ihre geheimen Sehnsüchte.
Doch die drei Männer bedeuten Gefahr.
Denn Brooke ist ein Auftrag, und ein solcher wird erledigt. Als Mitglieder des Beria-Syndikats kann sich keiner von ihnen erlauben, einen Befehl zu missachten.
Zwei Welten prallen aufeinander.
Angst ringt mit Leidenschaft, Verzweiflung mit Begehren.
Was wird am Ende siegen: das Misstrauen oder die Versuchung?
Liebe. Passion. Worte.
Ich liebe Leidenschaften aller Art und ich liebe das geschriebene Wort.
Lovestorys von der Stange suchst du jedoch bei mir vergebens. Meine Geschichten sind nicht rosarot. Eine heile Welt gibt es ebenso wenig. Manchmal ist das Leben dark, manchmal romantisch. Bei mir ist es ungewöhnlich, spannend und amourös. Die Frauen in meinen Geschichten sind tough, selbstbewusst und äußern ihre Wünsche und Sehnsüchte. Dennoch oder gerade deshalb gewähren sie den Männern die Stärke, ihre Angebetete zu erobern. Und trotz meiner Vorliebe für die Bad Boys dieser Welt garantiere ich dir ein Happy End. Vielleicht keines aus Zuckerwatte, aber eines, das zu meinen Figuren passt und dir hoffentlich jede Menge Leselust bereitet.
Lass dich verführen!
Deine
Für die, die du liebst.
Bang, Bang (My Baby shot me down) – Nancy Sinatra
Das Lied meines Lebens: Brooke, du musst dich allein durchkämpfen! Immer!
Du siehst fantastisch aus«, raunte Ender neben mir.
Auch wenn ich seine Worte hörte, nahm ich sie nicht bewusst wahr. Ich verfolgte ungläubig, wie der schwarze, auf Hochglanz polierte Sarg mit den weißen Lilien langsam aus meinem Blickfeld verschwand. Meine Konzentration galt einzig dem Summen der elektrischen Vorrichtung, die ihn in der Erde versenkte, und dem exorbitant lauten Gezwitscher der Vögel in den Baumkronen über unseren Köpfen.
Regnete es nicht üblicherweise bei Beerdigungen?
Nicht heute.
Nicht bei dieser.
Die Sonne strahlte unerbittlich. Ich überlegte, wann es zuletzt Ende Oktober in Chicago so warm gewesen war, und ob das Universum mir damit etwas sagen wollte.
Vielleicht, dass ich zu jung war, um Witwe zu werden?
Dass ich nicht trauern sollte, weil wir uns ohnehin nicht geliebt hatten?
Alles Blödsinn!
Das Universum scherte sich einen Dreck um mich. Es war nur ein verdammt schöner Herbsttag, an dem ich James zu Grabe trug. Nicht mehr und nicht weniger.
Als sich Enders große Hand auf meinen Rücken legte, lösten sich die Gedanken über das Wetter und das Universum auf, und ich fragte mich, ob diese Berührung über die üblichen Beileidsbekundungen hinausging. Mit einer winzigen Kopfbewegung sah ich nach links zu meiner besten Freundin und Enders Frau Calli, die mit einem bestickten Stofftaschentuch dezent ihre Augenwinkel betupfte.
Mein Blick schweifte von ihr über die zahlreichen Trauergäste, von denen nicht wenige ihren Tränen freien Lauf ließen. Selbst Menschen, die ich nicht kannte, wirkten auf mich ernsthaft bedrückt. Einige nickten mitleidig, andere schauten betroffen auf das Loch, in dem der Sarg meines Mannes verschwunden war.
Was wusste ich schon, wie nah James’ Tod anderen ging? Und was erwarteten sie von mir? Niemand wusste, dass ich unfähig war, tiefergehende Gefühle zu entwickeln.
Dabei war es nicht so, dass ich nicht trauerte.
Natürlich tat ich es.
Natürlich war ich traurig.
So hatte ich mir mein Leben nicht vorgestellt. Witwe mit zweiunddreißig, nach gerade zehn Jahren Ehe.
Zehn … gute Jahre. Ja, sie waren gut gewesen, das konnte ich nicht abstreiten. Nicht so, wie ich es mir erhofft hatte, aber … okay. Wir waren verliebt gewesen. Damals bei unserer Hochzeit.
Das waren wir doch, oder?
Sicher!
Verliebt und verrückt nacheinander.
Aber war daraus tatsächlich Liebe geworden oder nur eine Art … Gewohnheit? Der Alltag, der Stress hatte uns beide fest im Griff gehabt. Es war keine Zeit für Romantik geblieben. Die Leidenschaft hatte nachgelassen und einer gewissen Zufriedenheit Platz gemacht.
Aber was auch immer uns beide verbunden hatte, es genügte, um darum zu trauern.
Und doch fühlte ich mich schlecht, als ich die fremden Menschen erblickte, die in ihre Taschentücher schnäuzten, während ich noch keine einzige Träne vergossen hatte.
Die Nachricht von James’ Tod … die Nachricht, dass mein Mann auf offener Straße erschossen worden war, hatte mich eiskalt erwischt. Ich war geschockt gewesen. Entsetzt und ungläubig. Aber geweint hatte ich nicht.
Fassungslosigkeit. Ja, das war es, was ich fühlte. Die Unwissenheit darüber, wer meinen Mann erbarmungslos hingerichtet hatte, wog schwerer als die Trauer.
Mein Blick glitt über hundert Trauergäste, alle in schwarzer Kleidung, mit Sonnenbrillen und versteinerten Mienen, und blieb plötzlich an drei Männern hängen. Sie standen etwas abseits, waren ebenfalls schwarz gekleidet, die Augen hinter Sonnenbrillen versteckt. Irgendetwas an diesen Männern war … anders. Etwas Unheimliches, Dunkles ging von ihnen aus.
Ich konnte sie nicht genau erkennen, schon gar nicht ihre Gesichter, und doch spürte ich ihre Blicke, als würden Pfeile auf mich geschossen.
Wer waren die drei?
Was wollten sie hier?
Ohne die Männer aus den Augen zu lassen, beugte ich mich zu meiner Freundin. »Calli, wer sind die da drüben? Weißt du, wer das ist?«
Sie sah in die gleiche Richtung und wusste offenbar sofort, wen ich meinte. »Die drei dort?«
»Hm.«
»Keine Ahnung. Vielleicht Freunde von James.«
Callis Antwort befriedigte mich nicht, doch hatte ich keine Zeit, mich länger damit zu befassen. Der Pfarrer stand direkt vor mir. »Mrs. Lawrence!«
Hatte er meinen Namen schon mehr als einmal gesagt?
Die Intensität seiner Stimme und die fordernde Art, wie er mich ansprach, ließ mich vermuten, dass er schon länger um meine Aufmerksamkeit buhlte.
»Brooke, bist du okay?«, fragte Ender rechts von mir und kam dabei so nah an mein Ohr, dass ich seine Lippen auf meiner Haut spürte. Seine Hand lag unverändert auf meinem Rücken. Jetzt übte sie etwas Druck aus. Das war wohl das Zeichen.
Ich nickte, zupfte eine weiße Rose aus dem vorbereiteten Strauß und warf sie in das offene Grab. Einen Moment verweilte ich dort, immer noch ungläubig, dass diese Beerdigung real war, dass James tatsächlich aus meinem Leben verschwand.
Er würde mir fehlen. Auch wenn wir uns vielleicht nie geliebt hatten, waren wir doch Partner gewesen. Er war ein Teil meines Lebens, und ließ mich jetzt zurück.
Ich war allein.
Wieder einmal.
Meine Eltern starben kurz hintereinander, als ich ein Teenager war.
Meine Pflegemutter vor wenigen Jahren.
Und nun James.
Das Lied meines Lebens: Brooke, du musst dich allein durchkämpfen! Immer!
Als ich aufschaute, fiel mein Blick sofort wieder auf die drei Männer, die unverändert am Rande der Trauergemeinde standen, die Beine ein wenig gespreizt, die Hände verschränkt und jede meiner Bewegungen verfolgend. Und neben dem Schauer, der mir bei ihrem Anblick soeben die Wirbelsäule hinunterlief, erreichte mich etwas … Vertrautes. Einer von ihnen kam mir bekannt vor.
Bevor ich die Erkenntnis weiter erforschen konnte, traten Calli und Ender neben mich. Letzterer dieses Mal mit einem festen Griff um meinen Arm. Beide nahmen sich ebenfalls eine der Rosen und ließen sie auf den Sarg fallen.
»Komm, es ist Zeit, sich zu verabschieden!«, sagte Ender, seine Hand glitt um meine Taille.
Ehrlicherweise gab mir seine Berührung jetzt einen gewissen Halt, denn es war noch nicht vorbei. Eine ältere Frau kam auf mich zu, ergriff meine Hände und ließ unter Tränen ihre Beileidsbekundungen auf mich niederprasseln. Katherine irgendwas, Künstlerin, Malerin, die schon einige Male in James’ Galerie ausgestellt hatte. Ich verzog meinen Mund zu einem gequälten Lächeln, nahm ihre Worte dankend entgegen und widmete mich dem nächsten Kondolierenden. Und dann dem nächsten und so weiter. Gefühlte Stunden verbrachte ich damit, schüttelnde Hände, Küsschen auf meinen Wangen und sogar einen auf meinem Scheitel entgegenzunehmen, dazu Äußerungen des Mitleids, Beileids, Bedauerns, Hilfeangebote und Entschuldigungen.
Calli und Ender wichen nicht von meiner Seite, wofür ich ihnen unendlich dankbar war, und sogar die zu intime Berührung des besten Freundes meines Mannes auf meiner Taille als angenehm empfand.
Irgendwann war dieser Zirkus endlich vorbei und wir liefen zu unserem Wagen. Bevor ich einstieg, warf ich noch einen Blick über meine Schulter … auf der Suche nach drei Gästen, die von persönlicher Kondolenz abgesehen hatten. Aber ich konnte sie nicht entdecken.
Erst seit er nicht mehr da war, fiel mir auf, dass mein Leben seines gewesen war.
Ender steuerte den Wagen die geschwungene Einfahrt hinauf und parkte direkt vor der Tür unseres … meines Hauses. Abwesend ließ ich meinen Blick über die zahlreichen Autos gleiten, die auf der Straße parkten. Als letzte Anwesende der Bestattung und nach einer rührenden Verabschiedung vom Pfarrer trafen wir verspätet hier ein. Die meisten Gäste der Trauerfeier waren bereits eingetroffen.
Ich sah zu der viktorianischen roten Tür mit dem goldenen Klopfer in Form eines Löwenkopfes, den James vor vielen Jahren von einer seiner vielen Reisen aus Europa mitgebracht hatte. Damals hatte er mir freudestrahlend erzählt, ihn bei einer Haushaltsauflösung ersteigert zu haben, und dass er vor mehr als hundert Jahren an der Haustür eines berühmten englischen Lords, dessen Name mir heute nicht mehr einfiel, gehangen hätte. Plötzlich sah ich James’ stolzes Lächeln, das er auf seinen Lippen getragen hatte, als er mir diese Geschichte erzählte. Ich würde es nie wiedersehen.
»Warum legst du dich nicht für ein oder zwei Stunden hin«, schlug Calli vor. »Ender und ich kümmern uns um die Gäste, und wenn du dich etwas ausgeruht hast, kommst du runter und schüttelst noch einmal fleißig Hände.«
Einen Moment lang erwog ich, ihren Vorschlag anzunehmen. Wie verführerisch es klang, sich für eine Weile hinzulegen und den Rest der Welt auszuschließen.
»Ich gehe mich etwas frischmachen, dann komme ich runter«, sagte ich kraftlos und stieg aus dem Wagen.
»Soll ich dich begleiten?«, fragte Calli.
Ich schüttelte den Kopf und wandte mich nach rechts. Im hinteren Teil des Gartens wollte ich den Eingang über die Küche nehmen, um nicht im Foyer einer Horde Trauergäste in die Arme zu laufen.
»Ich sehe später nach dir, Liebes«, rief Calli mir nach. Ich hob den Arm zum Zeichen, dass ich sie verstanden hatte, drehte mich aber nicht mehr um. Plötzlich unfassbar müde, lief ich über die weißen Kieselsteine, in denen die schmalen Absätze meiner hohen Schuhe versanken, umrundete das Haus und stieg die Stufen zur hinteren Veranda nach oben.
Der Garten leuchtete heute wundervoll in bunten Herbstfarben. Warm und einladend. Für einen Moment genoss ich die Ruhe und blähte die Nasenflügel auf, um den erdigen, süßlichen Geruch der verwelkten Blätter in mich aufzunehmen. Ich liebte den Herbst. Während die meisten Menschen die Hitze des Sommers, die Frische des Frühlings oder die Stille des Winters bevorzugten, war mir ein bunter Herbst mit seinen modrigen Gerüchen und dem müden Licht der schwächer werdenden Sonne am liebsten.
»Oh, Mrs. Lawrence!«, rief Stella, meine Haushaltshilfe erschrocken und drückte mit einem schuldbewussten Grinsen ihre Zigarette in einem der Blumenkübel aus.
»Schon gut, Stella. Ist es sehr voll da drin?«, fragte ich und deutete auf die Tür zur Küche.
»Hm«, erwiderte sie und strich ihre Schürze glatt. »Aber wir haben ausreichend Essen und Getränke. Alles ist vorbereitet, Mrs. Lawrence.«
Darüber machte ich mir keine wirklichen Sorgen, denn ich wusste, dass ich mich auf Stella verlassen konnte und die Mitarbeiter vom Caterer alles im Griff hatten.
Wir betraten die Küche, in der ein emsiges Treiben herrschte. Stella lief hinter mir und begutachtete die kunstvoll dekorierten Canapés. Ich spürte die Blicke der Catering-Mitarbeiter auf mir, alle hielten in ihrer Tätigkeit inne, aber ich ignorierte sie.
»Calli und Ender kümmern sich um die Gäste. Ich gehe mich kurz frischmachen«, sagte ich über die Schulter zu meiner Haushaltshilfe.
»Natürlich«, hörte ich Stella durch die wieder anschwellende Geräuschkulisse klappernden Geschirrs und des Ploppens geöffneter Champagnerflaschen.
Mit schnellen Schritten durchquerte ich den seitlichen Flur und stieg die Treppe hinauf. Als ich die Tür zu meinem Schlafzimmer hinter mir schloss, hatte ich das Gefühl, zum ersten Mal wieder zu atmen, seit ich aus dem Auto gestiegen war. Kraftlos setzte ich mich auf mein Bett, streifte die Schuhe von meinen Füßen und bewegte die Zehen. Dann ließ ich mich mit ausgebreiteten Armen einfach fallen. Stella hatte heute nicht einmal die Betten gemacht. Ein Umstand, für den ich sie gewöhnlich ermahnt hätte, in diesem Moment aber dankbar war für ein bisschen … Zerstreuung. Die zerwühlten Laken der letzten Nacht schmiegten sich an mich. Ich drehte den Kopf und kuschelte meine Wange an den kühlen Stoff. Als ich nach dem Kissen griff, fuhr mir James’ Geruch in die Nase, und endlich packte mich eine Welle der Traurigkeit. Ich wälzte mich auf die Seite und zog die Beine dicht an meinen Bauch.
Witwe. Ich war eine Witwe.
Wie konnte das passieren?
Warum?
Beim Chicago Police Department war eine gesonderte Kommission eingerichtet worden, die ausschließlich den hinterhältigen Anschlag auf meinen Mann bearbeitete und nach den Tätern suchte. Mehrere waren es gewesen … so weit waren die Ermittlungen schon fortgeschritten. Aus einem fahrenden Auto hatte man James mit mehreren Salven geradezu durchlöchert wie in einem Schwarz-Weiß-Mafia-Film aus den Fünfzigern.
Wenigstens hatte man mir versichert, dass nur die besten Cops nach diesen Bastarden fahndeten. Denn James Lawrence war in Chicago ein Name gewesen. Ein bekannter Name nicht nur in der Kunstwelt, sondern mit großem Einfluss überall.
Als wir uns vor mehr als dreizehn Jahren auf dem College kennengelernt hatten, war James noch ein unbedeutender Fotograf mit einem Faible für Porträts und einem Gespür für das besondere Motiv gewesen. Mit dem Honorar eines großen Auftrages hatte er seine erste Galerie im Zentrum Chicagos eröffnet und war plötzlich aus der Kunstwelt nicht mehr wegzudenken gewesen.
Ich hingegen hatte James zuliebe meine Karriere in der Redaktion einer Modezeitschrift an den Nagel gehängt, um ihm den Rücken zu stärken. Bei jedem seiner fulminanten Auftritte stand ich hübsch an seiner Seite … und nun war er nicht mehr da.
Und ich war allein.
In einem riesigen Haus.
Allein.
Mein gesamtes Leben hatte ich nett um seines herumgebaut. Ich war nichts, lebte von seinem Geld. Klar besaß ich dieses große Haus, die vier Autos in der Garage und den ansehnlichen Inhalt meines Kleiderschranks, doch ich war auf der Strecke geblieben, ohne es bemerkt zu haben. Erst seit er nicht mehr da war, fiel mir auf, dass mein Leben seines gewesen war. Selbst meine besten Freunde Calli und Ender waren im Grunde seine Freunde. Ender war James’ Kontakt und wir Frauen die Anhängsel. Gut, es funktionierte, ich mochte beide, und Calli war meine beste Freundin, und doch war selbst diese Freundschaft aus der Ehe mit meinem Mann entstanden.
Mir war kalt.
Und ich war allein.
»Hey, Brooke, möchtest du was essen?«, fragte Calli. Sie stand neben meinem Bett und schaute mich fragend an. Über meine Grübeleien hatte ich nicht mitbekommen, wie sie hereingekommen war. Oder war ich doch eingeschlafen?
Träge richtete ich mich auf. »Wie spät ist es?«
Sie streichelte sanft meinen Arm. »Alles gut. Ich dachte, ich sehe mal nach dir, weil du sagtest, du wolltest nur kurz …«
»Ich komme«, sagte ich schnell.
»Sicher?«
Callis Fürsorge war nett gemeint, aber sie half mir jetzt nicht. Mit einer fließenden Bewegung schlüpfte ich in meine Schuhe, erhob mich vom Bett und strich das schwarze Kleid über meinem Schoß glatt. »Ich brauche unbedingt einen Drink. Sind noch viele Gäste da?«
»Es werden weniger«, antwortete sie diplomatisch.
»Also gut. Dann zwei Drinks.« Ich hakte mich in die Armbeuge meiner Freundin ein, und wir gingen nebeneinander die geschwungene Marmortreppe nach unten.
Sofort kam uns Ender entgegen, gab mir einen festen Kuss auf die Wange und drückte mich kurz. »Hast du dich etwas ausgeruht?«
»Ich hätte gern einen Drink«, gab ich ihm als Antwort.
»Bourbon? Kommt sofort!« Er kannte meinen favorisierten Drink, drehte sich um, und wir folgten ihm.
Auf dem Weg in das angrenzende Wohnzimmer nickte ich den verbliebenen Trauergästen brav zu, die mir allesamt unbekannt waren, und nahm das gedrungene Glas mit den aufwendig geschliffenen Verzierungen dankbar entgegen, das mir Ender reichte. Der Whisky schmeckte rauchig und scharf, wie ich es mochte, und betäubte meine Zunge, bevor er sich wie ein seidiger Schal über die Wände meiner Speiseröhre legte und dann als flüssiges Feuer in meinem Mangen landete.
»Ich gehe mehr Eis holen«, sagte Ender und verschwand.
Ich atmete tief durch, wappnete mich für die nächsten schüttelnden Hände und Beileidsbekundungen, als mein Blick auf drei Männer fiel, die soeben den Flur betraten.
Die drei Männer.
Die drei vom Friedhof.
Calli verfolgte meinen Blick. »Ach, du Schreck! Soll ich mich darum kümmern?«
Meine Freundin wollte sich schon auf den Weg machen, als ich sie zurückhielt. »Warte! Ich … kenne den einen. Schon gut, ich mach das, Calli.«
Die drei hatten ihre Sonnenbrillen abgenommen, und jetzt war ich mir sicher. Da war ein Detail, an das ich mich erinnerte.
»Du kennst die? Bist du sicher? Ich könnte mit dir …«
»Nein, ich schaffe das«, sagte ich, ohne die Männer aus den Augen zu lassen.
»Wenn du meinst«, erwiderte Calli. Eine Nuance Kränkung klang unterschwellig in ihrer Stimme. War sie beleidigt? »Ich bin in der Küche, falls du mich brauchst.«
Ich nickte, achtete nicht weiter auf meine Freundin und ging mit langsamen Schritten auf das Trio zu.
Aus der Nähe wirkten die drei noch eleganter, noch schöner, noch anziehender … als wären sie einem Modemagazin entsprungen. Perfekt sitzende schwarze Anzüge – sicher maßgeschneidert – blütenweiße Hemden, deren obere Knöpfe offen standen. Mit jedem Schritt, den ich nähertrat, klopfte mein Herz schneller, lauter. Sie überragten mich alle um mindestens einen Kopf, und trotz ihrer smarten Kleidung erahnte ich breite Schultern und überhaupt meisterhaft gestählte Körper darunter. Na ja, zumindest bei einem von ihnen war es mehr als nur eine Vermutung, falls er sich in den vergangenen … dreizehn Jahren nicht komplett verändert hatte.
»Rory O’Connor«, sagte ich zu dem linksstehenden Mann, der sein kastanienbraunes Haar länger und wilder trug als damals, und dessen freundliches Lächeln heute weitaus mehr Fältchen in den Augenwinkeln verursachte. »Was zum Teufel machst du hier?«
Er kam einen Schritt auf mich zu und nahm mich, ohne zu zögern, in den Arm. O Gott, er roch immer noch so gut, und als ich seine Umarmung erwiderte, spürte ich, dass er bis heute großen Wert auf seinen perfekten Body legte.
»Brooke Williams. Du siehst … immer noch atemberaubend aus.«
»Lawrence. Ich heiße jetzt Brooke Lawrence«, entgegnete ich und fühlte mich in Rorys Anwesenheit plötzlich, als wäre ich wieder neunzehn …
Wir starrten uns an und schwiegen wenige Sekunden, die mir vorkamen, als wären es Minuten, als stünde die Zeit still und nichts und niemand existierte um uns herum.
Wie damals.
Als es nur ihn und mich gab.
»Ist lange her, was?«, Rory lächelte, strahlte förmlich und passte mit seinem stets fröhlich wirkenden Gesicht absolut nicht in diese traurige Gesellschaft. Unwillkürlich zogen sich auch meine Mundwinkel gerade ein winziges Stück nach oben.
»Dreizehn Jahre …«, sagte ich verträumt. Die Zeit schien immer noch stillzustehen. Am liebsten hätte ich weiter einfach nur in sein hübsches Gesicht blicken wollen, aber wir waren eben nicht mehr neunzehn, und vor allem waren wir nicht allein. »Rory, im Ernst: Was tust du … was tut ihr hier?«
Ich sah zu den beiden anderen Männern, die uns bislang schweigend beobachtet hatten.
»Unser Beileid bekunden«, antwortete einer von ihnen, der Größte, wie ich feststellte. Er sah mich mit Augen an, deren Farbe an die des Lake Michigan während eines stürmischen Wintertages erinnerte. Dunkles Grau, das dich mit nur einem einzigen unüberlegten Gedanken in den Abgrund ziehen kann. In einen tiefen Strudel, in die düsteren Tiefen, aus denen es kein Entkommen gibt. O ja! Dieser Mann wirkte dunkel und geheimnisvoll. Sein braunes Haar war wie das von Rory unfrisiert. Dazu ein Dreitagebart, wohl eher fünf Tage alt. Obwohl sein Äußeres gepflegt und elegant war, wirkte er doch verwegen und irgendwie … als wäre er gerade erst aus dem Bett gestiegen. Nach einer heißen Nacht. Wow!
»Brooke, das ist Wade«, mischte Rory sich in meine Gedanken. »Wade, das ist …«
»Brooke, mein Beileid«, unterbrach der ihn und streckte mir seine Hand entgegen.
Zögerlich nahm ich sie und wäre beinahe zusammengezuckt, als sich sein warmer und fester Griff um meine Finger legte. Die Autorität, die er ausstrahlte, war überwältigend. Ich kam mir vor wie Rotkäppchen, bevor der böse Wolf es fressen will. Es kostete mich Mühe, die Schultern zu straffen und das Kinn zu heben. Dabei war es eine meiner leichtesten Übungen, selbstbewusst und erhaben auf andere zu wirken. Doch dieser Mann nahm mich mit seiner Aura gefangen und hielt mich mit seinem Blick aus diesen tiefblauen Augen fest.
»Danke.« Meine Stimme klang belegt, ich räusperte mich verlegen und fragte dann an Rory gewandt, obwohl Wade immer noch meine Hand hielt: »Kanntet ihr James?«
»Wir … hatten geschäftlich miteinander zu tun« antwortete er und löste den Griff um meine Hand.
Ich zog die Stirn kraus.
Mir vorzustellen, dass mein Mann mit bösen Jungs wie denen Geschäfte gemacht hatte, fiel schwer. James war der Typ Mann gewesen, der seine Deals gern mit einem Besuch in der Oper verbunden hatte, und bei dem die Flasche Rotwein während des Abendessens in einem High-End-Restaurant nicht weniger als fünfhundert Dollar kosten durfte. Obwohl … über Geld schienen die drei ausreichend zu verfügen. Nachdenklich betrachtete ich die edle silberne Uhr an Wades Handgelenk, die leise geklimpert hatte, als wir uns die Hände geschüttelt hatten. Wenn ich jedoch daran dachte, mit Rory in die Oper gegangen zu sein, dann kam mir nur in den Sinn, dass er die Dunkelheit bei der Aufführung allenfalls genutzt hätte, um mir unter den Rock zu kriechen. Nein, mit Kunst hatten die drei sicher nichts am Hut. Was zum Teufel hatten sie dann also mit James zu tun gehabt?
Darauf bedacht, meine Gastgeberaufgaben nicht aus den Augen zu verlieren, bot ich ihnen etwas zu trinken an. »Wollt ihr … wollt ihr vielleicht einen Drink? Ich könnte …«
»Nein, danke, wir müssen weiter«, sagte plötzlich der Dritte im Bunde und lenkte so meine Aufmerksamkeit auf ihn. O mein Gott! Er war der … Schönste in diesem geheimnisvollen Trio. Ja, das traf es am besten. Dieser Mann war bemerkenswert schön. Pechschwarzes Haar rahmte in sanften Wellen ein ebenmäßiges Gesicht mit einem markanten Kinn. Stahlgraue Augen fixierten mich unter buschigen Augenbrauen. Und der Mund … war absolut perfekt wie alles an ihm.
»Halo hat recht«, sagte Rory. »Wir müssen weiter. Aber wir melden uns wieder bei dir, Süße.« Er nahm mich erneut in seine starken Arme. Ich gestattete mir eine Sekunde lang, die Augen zu schließen, seine Wärme zu spüren, die Kraft, die von ihm ausging, und seinen Duft tief in mich aufzunehmen. Er roch noch genauso gut wie damals, nach Moos und Jasmin und dunklen Beeren. Vor dreizehn Jahren hatte mich dieser Geruch verrückt nach ihm werden lassen.
Und als wäre kein Tag vergangen, hüllte mich seine Aura ein, und ich fühlte mich geborgen und … nicht mehr allein. Puh! Ich musste mich beherrschen, nicht laut zu seufzen.
Als Rory sich und seine Hände zurückzog, hinterließ er Kälte und Sehnsucht. Er drückte mir einen scheuen Kuss auf die Wange und verschwand mit seinen Freunden. Einfach so. Wie ein Traum.
Ich starrte ihnen nach, hielt mich am Türrahmen fest und versuchte, meine Gefühle zu sortieren.
»Halte dich bloß fern von denen!«, riss mich Ender aus meiner Starre, in der ich wohl eine gefühlte Ewigkeit verweilt hatte. Die drei waren jedenfalls schon längst fort, als Enders Hand wieder auf meinem Rücken ruhte.
»Kennst du sie?«, fragte ich ihn.
»Hm«, brummte Ender. »Wade Beria. Sagt dir der Name was?«
Ich hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen, aber da klingelte etwas. »Beria … habe ich schon mal gehört. Hat er was mit dem Beria-Syndikat zu tun? Ich glaube, in dem Zusammenhang habe ich den Namen schon mal gehört. Aber eher …«
»Niki Beria«, half mir Ender auf die Sprünge.
Mein Kopf ruckte zu Ender herum. »Nikita Beria, der Mafia-Boss? Das ist nicht dein Ernst …?«
»Doch! Wade ist der Sohn von Niki Beria und Anwärter auf den Thron des größten Imperiums der russischen Mafia in Chicago, wenn nicht sogar des gesamten Nordens der Vereinigten Staaten.«
»Und du kennst einen von denen?« Ohne, dass ich es bemerkt hatte, war Calli zu uns getreten.
»Rory, ja«, antwortete ich und war mir nicht sicher, ob ich so verträumt klang, wie ich mich fühlte. Wieder räusperte ich mich. »Rory und ich … wir waren auf demselben College und wir … na ja, wir waren einfach eine Zeit lang zusammen. Vor James.«
»Wow! Ich frage mich gerade, worüber ich mehr verwundert bin, dass einer der Kerle auf dem College war oder darüber, dass du tatsächlich mit einem solchen Sex-Gott im Bett warst«, sagte Calli und nahm sofort einen großen Schluck aus ihrem Weinglas, als sie bemerkte, dass sie den Satz ungewollt laut ausgesprochen hatte.
Ender wollte ihr das Glas aus der Hand nehmen. »Du hast wohl genug.«
»Quatsch! Ist nur die Wahrheit«, entgegnete sie erbost und zog das Glas zurück. »Kümmere du dich mal weiter um … irgendwas und lass uns Mädchen in Ruhe!«
Mit einem missmutigen Brummen zog Ender ab, und Calli stellte sich dicht neben mich. »Also, was wollten die?«, fragte sie geradeheraus.
Ich nahm ihr das Weinglas aus der Hand und leerte es in einem Zug. »Ich habe keine Ahnung. Rory meinte, sie wären … Geschäftspartner von James gewesen und wollten mir ihr Beileid aussprechen. Aber …«
»Aber …?«
Ich überlegte, wie ich es Calli gegenüber am besten ausdrücken sollte, und starrte einige Sekunden auf den Fleck, an dem eben noch Rory, Wade und Halo gestanden hatten. »Hm. Ich weiß nicht genau. Es kam mir seltsam vor. Geschäftspartner? Du hast die drei gesehen.«
»O ja!« Calli griff nach dem leeren Glas und zog mich mit sich zum Esstisch, wo eine Flasche stand, aus der sie sich nachgoss. »Sie sahen heiß aus«, flüsterte sie verschwörerisch. »Allesamt. Und du hattest was mit einem von denen? Erzähl!«
»Ähm … ja, mit Rory. Aber das ist echt lange her.« Wir gingen in die Küche, von wo aus ich die übrigen Gäste im Blick hatte. Niemand von denen musste hören, was ich meiner Freundin erzählte. »Wie gesagt, wir waren zusammen auf dem College … Und ja, Rory machte sogar einen Abschluss … in englischer Literatur oder so. Er ist nicht dumm. War er jedenfalls nicht. Daher wundert es mich, was Ender sagte. Mafia und so.«
»Und ihr wart ein Paar, voll die Jugendliebe, oder wie muss ich mir das vorstellen?« Calli ging auf den Einwand mit der Mafia nicht ein, sie interessierte sich offenbar nur für die schlüpfrigen Details. Ich griff nach dem Weinglas und leerte es zur Hälfte.
»Na ja, ein Paar … keine Ahnung. Wir verbrachten Zeit miteinander, gingen auf Partys. Es war gut, es hat Spaß gemacht, wir haben es nicht hinterfragt, sondern einfach das getan, was wir wollten. Und dann lernte ich James kennen und Rory machte seinen Abschluss, und wir sahen uns nicht wieder. Bis … heute.«
Über die Vergangenheit, aber vor allem über James zu reden, machte es nicht unbedingt besser oder einfacher, wieder in die Realität zurückzukehren. Ich schwebte in einer zuckersüßen Blase aus sentimentalen und erotischen Rory-Erinnerungen, dabei war ich die Witwe auf der Trauerfeier ihres Mannes, und alles, woran ich denken konnte, waren Rory und seine begnadeten Hände. Das war doch nicht normal, oder?
Hatte mein Körper etwa beschlossen, so mit der Trauer umzugehen?
Nein, das ging bei Weitem darüber hinaus, was man normalerweise als Verdrängung bezeichnen würde. Abgesehen davon, hatte ich keine Aktien daran, dass Rory und seine Freunde heute hier aufgetaucht waren.
Rory. Er okkupierte meine Gedanken, während Calli irgendetwas erzählte, von dem ich nichts mitbekam.
Rory. Wieso hatte er mir den Atem geraubt? Er stammte aus einem anderen Leben. Aus einem Leben, in dem der Spaß an erster Stelle gestanden hatte, in dem mich noch keine Hypotheken, Lebensversicherungen oder die Organisation eines Nachlasses interessiert hatten. Die Zeit mit Rory war geprägt gewesen von Sex, Spaß und … Sex. Es war egal gewesen, ob mein Kleid, das ich zu einer Party trug, von einem namhaften Designer stammte. Es war im Grunde gleich gewesen, ob es gut aussah. Wichtig war gewesen, dass man es leicht hochschieben konnte und Rory leichten Zugang zu meinem Höschen hatte, dass wir es problemlos in jeder spontanen Situation, auf jeder öffentlichen Toilette und in jedem dämmrigen Hinterhof an der Ziegelwand zwischen den Mülltonnen treiben konnten.
Und wieso verdammt noch mal fielen mir gerade heute genau diese Situationen wieder ein? Wieso dachte ich gerade heute daran, wie er in der hintersten Reihe im Kino auf die Knie gegangen, unter meinen Rock gekrochen war und mich während eines Star Wars-Films geleckt hatte, bis ich nicht mehr wusste, ob die Sterne nur auf der Leinwand flackerten oder nicht zuallererst in meinem Kopf?
»Du wirst sehen, was dein Körper tut, wenn dein Verstand nicht zusieht«, hatte Rory damals zu mir gesagt. Und er hatte immer recht behalten.
Bis heute.
Mein Körper erinnerte sich. An Rory und an all die wundervollen Dinge, die er in der Lage war, mit mir anzustellen. Anders als James hatte Rory immer gewusst, welchen Hebel er bei mir schalten musste, um mich in Fahrt zu bringen. Meist war es nichts Gravierendes, nur seine Zunge hinter meinem Ohr, sein heißer Atem auf meinem Gesicht, sein Duft, ein Kuss … und ich war abgegangen wie eine Rakete. Rory versetzte meinen Körper in Wallung, mich in Ekstase. Mit ihm spürte ich eine Leidenschaft, die ich nie zuvor und – um ehrlich zu sein – auch danach nicht mehr erlebt hatte.
Mein Verstand wehrte sich vehement dagegen. Ich sollte mich wie eine trauernde Witwe verhalten und gottverdammt auch so fühlen.
Warum war Rory hier aufgetaucht.
Gerade heute!
Was hatten er und seine Mafia-Kumpels mit James zu tun?
Wir hatten absolut keine Berührungspunkte mit der Mafia. Von Organisierter Kriminalität in Chicago hatte ich natürlich schon gehört. Seit Al Capone zählten diverse Mafiaaktionen zum alltäglichen Statement der drittgrößten Stadt der Vereinigten Staaten. Aber selbst wenn ich gelegentlich aus den Nachrichten etwas von Drogenschmuggel oder Waffenhandel mitbekam, hatten wir persönlich absolut nichts mit dieser fremden Welt zu tun. Ich kannte doch meinen Mann.
Oder?
James war Fotograf gewesen. Ein gefragter Fotograf, der Auftragsarbeiten angenommen hatte, und ein paarmal im Jahr in einer seiner Galerien in Downtown seine eigenen oder die Arbeiten anderer Fotografen ausgestellt hatte.
James war Künstler gewesen, kein Gangster.
»Woher weißt du, dass dieser Wade der Sohn eines Mafia-Bosses ist?«, fragte ich Ender, als der sich zu uns gesellte.
Ich lehnte mich an die Kochinsel und schaute hinaus ins Wohnzimmer. Die Gäste waren verschwunden, die Mitarbeiter des Caterers ebenfalls. Nur Stella wirbelte noch umher, räumte auf und putzte. Verwirrt beobachtete ich meine Haushaltshilfe. Wie lange war ich in Gedanken versunken gewesen?
Calli stand neben mir, genau wie Ender, der mich neugierig betrachtete. Warum antwortete er nicht auf meine Frage?
Stella kam in die Küche.
»Machen Sie bitte Feierabend«, sagte ich schroff.
»Aber, Mrs. Lawrence …«
»Ich schaff’ den Rest morgen allein. Danke für Ihre Hilfe.«
Sie zögerte, sah über ihre Schulter ins Wohnzimmer, wo bis auf ein paar schmutzige Gläser alles in bester Ordnung war. »Ich komme dann nächste Woche wieder vorbei. Rufen Sie mich bitte an, falls Sie mich eher brauchen, Mrs. Lawrence. Oder ich komme einfach doch morgen …«
Mit einer Handbewegung brachte ich sie zum Schweigen. »Stella, ich danke Ihnen sehr, aber ich brauche jetzt einfach nur Ruhe.«
»In Ordnung …«, setzte Stella an, sichtlich verunsichert. Doch um die emotionale Verfassung meiner Haushaltshilfe konnte ich mich jetzt nicht kümmern. Ich fühlte mich erschöpft, müde und gleichzeitig über alle Maßen gespannt, was Ender mir über Rory und seine faszinierenden Begleiter und deren mehr als verstörenden Auftritt zu erzählen hatte.
»Warten Sie, Stella!« Calli half ihr, die verpackten Essensreste ins Auto zu bringen. Ich wollte nichts davon haben, mich nur in meinem Bett verkriechen und wieder in die Spur kommen.
Die beiden Frauen verschwanden über die Terrasse. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, trat Ender vor und nahm mich in den Arm. Ich spürte seinen Atem auf meinem Scheitel. Es fühlte sich nicht richtig an. Nicht, weil wir etwas Verwerfliches taten, er spendete mir nur Trost – als Freund.
Aber war das wirklich so?
Ender wollte schon immer mehr. Er hatte niemals eine Grenze überschritten, doch ich spürte seine Blicke, seine verstohlenen Berührungen, seinen Herzschlag, der sich in meiner Nähe verstärkte. Ich erwiderte seine Gefühle nicht, bemühte mich stets darum, ihn auf Abstand zu halten. Und doch ließ ich es in diesem Augenblick zu, drängte mich an ihn, denn er gab mir ein Stück Stabilität zurück.
Seit der Nachricht von James’ Tod schwankte ich durch die Tage wie ein herrenloses Boot über die Weiten des Ozeans. Ender war nicht der sehnsüchtig erwartete Hafen, aber zumindest ein winziger Anker, der mich stützte.
»Ich bin für dich da«, flüsterte er in mein Haar.
Etwas umständlich schälte ich mich aus seiner Umarmung. Nein, ich wollte das nicht. Es fühlte sich falsch an – nach Verrat an meiner besten Freundin. Calli konnte jede Sekunde zurück ins Haus kommen. Außerdem wollte ich jetzt endlich wissen, was hier lief.
»Ender«, ich hob den Kopf und sah ihn an, »woher weißt du das mit den Mafiaverbindungen der drei … Gäste heute?«
Er trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme. »Wade Beria ist ein Name, den man in Chicago kennt. Der Kerl ist bekannt. Berühmt berüchtigt. Sein Vater Nikita hat sein Syndikat fest im Griff, handelt mit Waffen, mit Drogen … so Mafiasachen eben. Aber sein Sohn ist der, den man fürchten muss. Wade ist gefühllos, unbarmherzig. Er zieht alles und jedes Geschäft gnadenlos und ohne Rücksicht durch.«
»Aha!«, erwiderte ich einsilbig und begann, schmutziges Geschirr in die Spülmaschine zu stapeln. Ich musste mich beschäftigen, die Informationen sacken lassen, meine Schlüsse daraus ziehen. Doch mir fiel nichts Konstruktives ein.
»Warum zum Teufel waren die Typen heute hier? Hatte … hatte James etwas mit ihnen zu tun? Mit der russischen Mafia?«
Dieser eine schreckliche Gedanke verfolgte mich seit Stunden. War James etwa in dubiose Geschäfte mit den falschen Leuten involviert gewesen? Wie konnte das sein? Ich hätte davon wissen müssen.
Oder?
So abwegig der Gedanke erschien, so abstrus er klang, als ich ihn aussprach, so sehr wollte ich mich gegen die im Grunde logische Assoziation wehren. Er wurde erschossen wie in einem schwarzweißen Mafia-Film.
»Du wüsstest es, wenn James mit der Mafia zu tun gehabt hätte, oder?«
Ender kratzte sich am Kopf. Er und James hatten zusammen gearbeitet, wenn es darum gegangen war, die Werke meines Mannes medienwirksam zu vermarkten. »Du hast mehr Zeit mit ihm und seiner Arbeit verbracht als sonst jemand, Ender. Dir wäre doch aufgefallen, wenn James in Geschäfte mit der Mafia involviert gewesen wäre. Stimmt doch, oder? Du hättest es bemerkt.«
»Das hätte ich.« Enders Antwort befriedigte mich nicht wirklich. Ich schaute ihn auffordernd an, bis er seufzte. »Brooke, du kannst beruhigt sein. James wäre niemals so leichtsinnig gewesen, sich in kriminelle Machenschaften verwickeln zu lassen. Das hatte er gar nicht nötig, die Geschäfte laufen hervorragend. Warum hätte er sich in Gefahr bringen sollen?«
Das klang nachvollziehbar für mich, beantwortete aber nicht diese eine wichtige Frage. »Aber warum waren diese Kerle dann heute hier? Woher kennen die James?«
Ender fuhr sich mit der Hand durch sein Haar. »Vielleicht vom College?«
»Rory …«, sprach ich meine Gedanken laut aus. Natürlich! Wir drei waren auf dasselbe College gegangen. Die beiden kannten sich über mich. Der Lover und der zukünftige Ehemann. Ich kramte in meinen Erinnerungen, konnte aber nichts finden, was darauf hindeutete, dass sich Rory und James jemals in meinem Beisein begegnet waren.
»Genau, Rory …« Ender streichelte meine Hand, ich zog sie weg. »Vielleicht wollte er wirklich nur sein Beileid aussprechen. Du sagtest, ihr wart damals auf dem College ein Paar gewesen. Es ist doch nicht so abwegig, wenn er einfach nur nett sein wollte. Er hat mitbekommen, was mit James passiert ist. Das hat jeder in der Stadt, die Nachrichten sind voll davon.«
Ich nickte. Es klang logisch, was Ender sagte.
Wenn da nicht dieses Kribbeln in meinem Nacken gewesen wäre, das mir verriet, dass mehr dahinterstecken musste. Rory hatte sich nicht einfach an mich erinnert, weil er von James’ Ermordung in der Zeitung gelesen hatte. Und selbst wenn, warum war er dann mit zwei Mafia-Schergen hier aufgekreuzt, um mir zu kondolieren. Nein, nicht Rory.
»Halte dich von diesen Typen fern, Brooke!«, wiederholte Ender und streichelte wieder meine Hand. »Ich meine es ernst, die sind gefährlich. Das Beria-Syndikat geht über Leichen. Vor allem dieser Wade.«
»Woher weißt du das alles?«
Ich konnte und wollte nicht glauben, was Ender da sagte.
Er zuckte die Schultern und wich meinem Blick aus. »Was man so mitgekriegt. Keine Ahnung, ich weiß es einfach.«
Calli wirbelte durch die Terrassentür in die Küche und schüttelte wild ihr nasses Haar. »Du liebe Güte, es regnet wie aus Eimern. Nach diesem schönen Tag jetzt das.« Mitten in der Bewegung hielt sie inne. Calli spürte, dass etwas nicht stimmte. »Wie sieht es aus, meine Liebe … sollen wir heute Nacht hierbleiben?«, fragte sie und nahm meinen Arm. Im Gegensatz zu der ihres Mannes mochte ich Callis Nähe, aber jetzt wäre ich einfach nur froh, wenn sie ging.
»Vielen Dank für dein Angebot, aber das ist absolut nicht nötig. Ich möchte wirklich nur allein sein. Gib mir ein oder zwei Tage, dann melde ich mich bei dir. Lass uns am Wochenende laufen gehen! Außerdem sehen wir uns ganz sicher zu deiner Show«, schlug ich vor.
»Okay«, sagte sie beinahe traurig. Calli wollte für mich da sein, wusste aber auch, dass ich erstmal Zeit für mich brauchte. »Du rufst mich sofort an, wenn du mich brauchst. Ich komme zu jeder Tages- und Nachtzeit zu dir, klar?«
»Versprochen«, sagte ich, nahm sie in den Arm und verabschiedete mich.
Gemeinsam liefen wir ins Foyer, ich öffnete die Tür und winkte ihnen, als sie die Einfahrt hinunterfuhren. Obwohl der Regen unangenehm war, stand ich noch eine Weile draußen und schaute den Rücklichtern nach, die in der Dunkelheit verschwanden.
Als ich die Haustür schließen wollte, hielt mich etwas davon ab. Im Augenwinkel war mir etwas aufgefallen, das nicht in das übliche Bild passte: Ein schwarzer SUV stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite, matt beschienen von den Straßenlaternen meiner Einfahrt. Auf die Entfernung erkannte ich lediglich zwei dunkle Gestalten im Fahrzeug und die rote Glut einer Zigarette.
Wer zum Teufel saß da in einem Auto vor meinem Haus?
Ich erwog, die Cops zu rufen, entschied mich aber dagegen. Ich hatte nichts zu befürchten, das Haus war alarmgesichert, niemand kam hier unbemerkt herein. Und ich wollte keinesfalls die hysterische Witwe mimen, die allein nicht zurechtkam. Möglicherweise saßen nur einige Jugendliche nach einer Party im Wagen und teilten sich eine letzte Zigarette.
Nur warum vor meinem Haus? In einem SUV?
Nur mäßig beruhigt ging ich ins Bett und schlief entgegen meiner Erwartung sofort wieder ein.
Ich stand auf Frauen, die Eier hatten.
Sag mal, spinnst du?«, rief sie mir entgegen. Wie eine Walküre marschierte sie über die Straße. Ihr Morgenmantel wehte, als sie die Ausfahrt erreichte.
»Fuck!«, knurrte ich und beeilte mich, meine Hose zu schließen.
»Was zum Teufel soll das? Ihr habt sie wohl nicht alle.«
Brooke war echt wütend. Rory hatte nicht zu viel versprochen. Sie schien ein wahrer Wirbelwind zu sein. Ich linste zu meinem Kumpel, der sich im Wagen das Kinn kratzte und dann die Tür aufstieß.
»Oh, guten Morgen, Süße.«
»Was zum Teufel macht ihr hier? Habt ihr etwa die ganze Nacht vor meinem Haus gestanden? Und du …« Sie zeigte mit dem Finger auf mich wie eine Lehrerin, die einen ihrer Schüler beim Pinkeln auf dem Pausenhof erwischt hatte. Na ja, irgendwie stimmte das fast. »Wenn du noch einmal gegen meine Bäume pisst, dann ruf ich die Bullen.«
Ich fuhr mit der Hand über meinen Nacken. Was sollte ich darauf erwidern? Wütende Frauen waren sexy und Brooke ganz besonders.