Tränen auf deinen Wangen - Kerry Greine - E-Book
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Tränen auf deinen Wangen E-Book

Kerry Greine

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Beschreibung

Werden Sternschnuppen, die ins Meer fallen, zu Seesternen? Zwei Jahre ist die Kreuzfahrt her, auf der Malin und Noah sich kennenlernten. Ihre Liebe ist scheint perfekt und ihr Traum geht in Erfüllung, als sie erfahren, dass Malin schwanger ist und sie bald eine richtige Familie sein werden. Dann geschieht ein Unglück, das beide an die Grenzen ihrer Kraft treibt. Malin und Noah erkennen nicht, wie dieser Schicksalsschlag sie immer weiter voneinander entfernt, bis sie sich und ihre Liebe verloren haben. Doch so einfach können sie nicht aufgeben. Werden die beiden es schaffen, einen Weg zurück zu finden und ihre Liebe neu zu entdecken?

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Inhaltsverzeichnis

Einladung

Sprachlos

Shopping

Pizza

Latzhose

Bärenbilder

Mädelsabend

Freunde

Dr. Hartmann

Krankenhaustüren

21 Wochen

Schiebetür

Leer

Angst

Vergessen

Der Brief

Tacheles

Du auch?

Vermeintliche Nähe

Knoblauchzehen

Strandtag

Schuldig

Autopilot

Frau Dr. Elenore von Gratenberg

Liebe mich, wenn …

Wege

Loslassen

Die Idee

Telefonseelsorge

Happy B-Day

Partytime

Zu Hause

Flucht

Mein Zettel(chen)

Der Unfall

Durchkitzelmonster

Schwarze Jeans

Kaffeeklatsch

Kuss

Pudding

Umsorgen

Verschollen

Neuigkeiten

Zusammen

Vielleicht doch?

Wir warten!

Überraschungsbesuch

Ich fühle es

Ein heißer Sommertag

Tränen auf deinen Wangen

Von:

Kerry Greine

&

Ben Bertram

Alle Rechte vorbehalten!

Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren!

Im Buch vorkommende Personen und die Handlung dieser Geschichten sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.

Text Copyright © Kerry Greine & Ben Bertram, 2016

Impressum:

Text:

Kerry Greine

Lehmstich 3

21423 Winsen

E-Mail: [email protected]

und

Ben Bertram

Stellauer Straße 30 B

25563 Wrist

E-Mail: [email protected]

Covergestaltung:

Grittany Design

www.grittany-design.de

Motivbilder:

Adobe Stock

© dietwalther

© by-studio

© purplequeue

© Santa Papa

© piai

© michaeljung

Lektorat:

Ira Ludewigs

Korrektorat:

SW Korrekturen e.U.

[email protected]

Einladung

„Malin, meinst du nicht, dass wir langsam genug haben?“ Noah legte seine Hand auf meinen Arm und deutete mit dem Kopf auf unseren Einkaufswagen. Na gut, er hatte recht. Es war nicht gerade wenig, was sich bereits darin befand, und doch hatte ich noch etwas entdeckt.

„Ach bitte, das Schweinefilet sieht so gut aus. Stell dir mal vor, schön mariniert mit Knoblauch. Was meinst du, wie lecker das wird! Wir wollen unseren Eltern ja nicht einfach nur Bratwurst vorsetzen. Das morgen soll ein ganz besonderer Grillabend werden.“ Seufzend zuckte Noah mit den Schultern.

„Ja, okay. Hast du auch wieder recht. Dann mach mal, zur Not frieren wir den Rest halt ein.“

„Falls denn etwas übrig bleibt. Wenn ich das hier so sehe, bekomme ich jetzt schon Hunger.“ Noah lachte auf und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

„Du hast doch im Moment immer Hunger! Okay, während du noch ein wenig Fleisch besorgst, hole ich schon mal ein paar Grillsoßen.“

Noah ging los, verschwand in einem der Gänge des Supermarktes, und ich drehte mich wieder zu der netten Fleischverkäuferin um, die während unseres kleinen Gespräches geduldig gewartet hatte.

„Gut, dann nehme ich noch dieses Stück Schweinefilet.“

„Das ganze? Oder soll ich es gleich in Medaillons aufschneiden?“

„Nein, gern am Stück.“ Kurz schaute ich über die Schulter, ob Noah bereits zurückkehrte, aber er war nicht zu sehen, daher nutzte ich die Gunst der Stunde. „Das Holzfällersteak sieht klasse aus. Geben Sie mir davon bitte auch noch zwei, ja?“ Grinsend packte die Verkäuferin zwei der großen Fleischstücke in ein Papier und legte es auf die Waage.

„Darf es sonst etwas sein?“, fragte sie, dann schaute sie an mir vorbei. Ihrem Blick nach war Noah gerade hinter mir aufgetaucht, und da er vermutlich bereits mithörte, lehnte ich dankend ab.

Während die Verkäuferin unsere diversen Fleischpäckchen in eine große Tüte packte und den Preisbon ausdruckte, legte Noah seine Arme von hinten um meine Taille und zog mich kurz an sich. Dann nahm er die Tüte entgegen und legte sie in unseren Einkaufswagen. Nachdenklich schaute ich auf unsere Einkäufe hinab und überlegte, ob wir auch nichts vergessen hatten.

„Wir brauchen noch Schokolade und Sahne.“

Verwirrt sah Noah mich an.

„Zum Grillen? Was hast du denn vor?“

„Zum Nachtisch natürlich! Ich wollte eine Mousse au Chocolat machen – die mag dein Papa doch so gern.“

„Malin, wir sind morgen vier Personen und haben geschätzte drei Kilo Fleisch hier. Dazu hast du zwei Salate, Ofenkartoffeln und Brot geplant – meinst du nicht, wir werden alle mehr als satt davon?“

Irgendwie wirkte Noah ein bisschen verzweifelt, aber ich wollte unseren Eltern morgen etwas bieten. Wir hatten was zu feiern und darum sollte es ein ganz besonderes Essen geben. Gespielt schmollend schob ich die Unterlippe ein wenig vor und plinkerte Noah bettelnd an. „Ach bitte!“, flehte ich und konnte innerhalb von Sekunden beobachten, wie er weich wurde.

„Okay, auf zum Kühlregal, Sahne holen.“ Seufzend gab er auf. Ich reckte mich auf die Zehenspitzen, legte meine Arme um seinen Hals und küsste ihn zärtlich.

Knapp zwei Jahre war es mittlerweile her, dass wir uns auf der Kreuzfahrt kennengelernt und ineinander verliebt hatten. Inzwischen waren wir verheiratet und ich war so glücklich wie noch nie zuvor in meinem Leben. Auch nach fast zwei Jahren kribbelte es in meinem Bauch, sobald ich Noah nur anschaute. Wenn er mich küsste, dauerte es nur Sekunden und ich würde ihn am liebsten ins Bett schleppen. In seinen Armen zu liegen, war der schönste Platz, den ich mir vorstellen konnte. Noah war mein Traummann, ich liebte ihn abgöttisch, und ich wusste, er liebte mich ebenso sehr.

„Wo haben wir denn die Luftballons gelassen? Und die Girlanden?“ Verzweifelt durchwühlte ich den Schrank im Wohnzimmer. Ich war der festen Überzeugung, sie vor ein paar Tagen noch hier gesehen zu haben.

„Noah? Hilf mir bitte mal!“, rief ich nach meinem Mann.

„Was ist denn? Was suchst du?“ Er war in der Tür zum Garten aufgetaucht und kam zu mir herüber.

„Na, die Luftballons und die Girlanden, sagte ich doch gerade“, antwortete ich genervt.

„Ich war im Garten, mein Engel, ich hab dich nicht gehört. Außerdem hab ich die Sachen längst. Du wolltest dich um das Essen kümmern und ich sollte draußen aufbauen. Entspann dich! Wir sind gut im Zeitplan. Wenn unsere Eltern kommen, wird alles fertig sein.“ Noah legte seine Hände auf meine Schultern und massierte mir den Nacken. Wohlig seufzend senkte ich den Kopf nach vorn, um ihm mehr Raum zu geben.

„Bist du denn so weit durch mit den Vorbereitungen? Oder soll ich dir noch helfen?“, fragte er, während er meine verspannten Schultern lockerte.

„Nein, ich bin fertig. Deshalb wollte ich jetzt die Terrasse schmücken.“

„Das habe ich doch längst. Komm mit, schau es dir an, ob es dir so gefällt.“

Er nahm mich bei der Hand und zog mich durch die Terrassentür in den Garten. Kaum draußen blieb ich staunend stehen. Ich wusste ja, ich hatte den besten Mann der Welt, aber diesmal hatte er sich wirklich selbst übertroffen.

Auf dem Teakholztisch lag in der Mitte eine helllila Tischdecke, Teelichter in kleinen Gläsern waren dekorativ darauf verteilt. Die Tafel war komplett eingedeckt, sogar an Servietten und Weingläser hatte Noah gedacht.

Der Grill stand an der Ecke der Terrasse, fertig vorbereitet, die Holzkohle musste nur noch angezündet werden.

An den Holzpfeilern der Überdachung hatte er die bunten Luftballons und Girlanden angebracht und unter dem Glasdach war ein Lichternetz gespannt. Im Moment schien noch die Sonne, aber später, wenn es dunkel werden würde, würden die unzähligen Lichterchen über uns wie ein Sternenhimmel funkeln. Es sah wunderschön aus!

Gerührt drehte ich mich zu meinem Mann um und legte meine Arme um seine Taille.

„Das hast du ganz großartig gemacht!“, flüsterte ich und gab ihm einen liebevollen Kuss. Dann lehnte ich meine Wange an seine Brust und lauschte seinem Herzschlag. Ich schloss die Augen und genoss wie so oft dieses Gefühl der Wärme, das mich immer wieder dabei durchströmte, die Liebe, die mein Herz fast zum Platzen brachte, die Nähe, die nur er mir so geben konnte.

Ein Räuspern ließ mich die Augen öffnen.

„Äh, sind wir zu früh?“, fragte Dieter. Er und meine Ma waren durch die Gartenpforte direkt nach hinten durchgekommen.

„Wir haben geklingelt, aber ihr habt uns wohl nicht gehört.“

„Nein, das stimmt.“ Ich war so in unserer Zweisamkeit versunken, dass ich meine Umgebung nicht mehr wahrgenommen hatte.

„Oh …!“ Mit großen Augen schaute meine Ma sich um. „Das habt ihr aber toll hergerichtet! Und der Tisch … Nein, es ist ja schon eher eine Tafel! So festlich! Wie kommt das denn? Gibt es etwas zu feiern?“

Dieter gab ihr einen Schubs mit der Schulter. „Nicht so neugierig, mein Pummelchen.“

Ein wenig schmollend verzog meine Ma den Mund. „Ich frag doch nur.“

„Setzt euch erst mal. Schön, dass ihr da seid. Was mögt ihr trinken? Ein Gläschen Sekt vielleicht?“, fragte Noah und deutete auf die Flasche, die bereits in einem Kühler bereitstand.

„Siehst du, Dieter. Es gibt wohl doch was zu feiern. Oder warum, meinst du, gibt es Sekt zum Grillen?“ Diesmal war meine Ma es, die Dieter mit der Schulter anschubste. Es war schön, die beiden zu beobachten und ihre liebevollen Plänkeleien zu sehen. Die Blicke, die sie einander zuwarfen, sprachen Bände. Auch sie waren nach zwei Jahren Ehe noch genauso verliebt ineinander wie Noah und ich.

„Ich komme gleich wieder“, sagte Noah, nachdem unsere Eltern sich für den Sekt entschieden hatten, und verschwand mit der Flasche im Haus, während wir Platz nahmen.

Mit vier gefüllten Gläsern und der Flasche auf einem Tablett kehrte er kurz darauf zurück. Nachdem er das Tablett abgestellt hatte, drückte er jedem eins der Sektgläser in die Hand. Als er mir meins übergab, zwinkerte er mir verschwörerisch zu. Ich wusste, was das bedeutete: Meiner war alkoholfrei. Deshalb war er auch im Haus verschwunden und hatte nicht hier eingeschenkt. Unsere Eltern wären sofort darüber gefallen, wenn ich nicht mit ihnen angestoßen hätte.

„Okay, jetzt verratet uns aber mal, was es heute zu feiern gibt!“ Dieter schaute uns auffordernd an und Noah lachte auf.

„Wie kommt ihr denn darauf, dass es etwas zu feiern geben könnte? Wir wollten nur mal wieder einen netten Abend mit euch verbringen. Und da das Wetter jetzt Anfang Mai so schön ist, dachten wir, ihr würdet euch freuen, zu grillen.“

„Ach, so ein Quatsch! Das kannst du uns doch nicht erzählen!“, protestierte meine Ma. „Los, raus mit der Sprache.“

Allmählich musste ich mir ernsthaft verbeißen, laut loszulachen, und so warf ich Noah einen fragenden Blick zu. Nachdem er kaum merklich genickt hatte, stand ich auf und holte zwei kleine Geschenke aus dem Wohnzimmer, die ich anschließend vor Dieter und meiner Mutter auf dem Tisch ablegte.

„Was ist das? Haben wir was verpasst? Unser Hochzeitstag ist doch erst im August. Das ist noch über drei Monate hin.“ Dieter schaute verwirrt zu seiner Frau, aber sie zuckte nur mit den Schultern.

„Macht es auf!“, forderte ich und Noah nickte.

Langsam öffnete meine Ma das Schleifchen, während Dieter das Geschenkpapier einfach aufriss.

„Eine Sandschaufel und Backförmchen?“, fragte er, doch Noah und ich schwiegen.

Dann war auch meine Ma so weit und hielt ein paar Knäuel Wolle in der Hand. Sie schaute ebenso erstaunt wie ihr Mann, und man sah förmlich, wie es in ihren Köpfen ratterte, als sie versuchten, sich einen Reim auf das Ganze hier zu machen. Ich beschloss, sie zu erlösen, und übergab die zu den Geschenken gehörende Karte. Während die beiden lasen, hatte ich die Worte im Kopf, die ich dort hineingeschrieben hatte.

Liebe Oma, lieber Opa,

bevor ihr mich in einigen Monaten kennenlernt, solltet ihr ein paar grundsätzliche Großeltern-Fähigkeiten haben.

Omas sollten stricken können und Opas riesengroße Sandburgen bauen.

Ich freue mich darauf, im Januar das Licht der Welt zu erblicken und in euren Armen zu liegen.

Euer Enkelchen

Sprachlos

Obwohl ich in diesem Moment meinen Vater und Rita beobachten wollte, konnte ich meinen Blick nicht von meiner Frau lösen. Malin war noch immer alles für mich, und jeder Tag, den ich mit ihr gemeinsam erleben durfte, war ein wunderschöner Tag.

Ich sah sie an und bemerkte ganz deutlich, wie aufgeregt sie war. Wie die Neugier in ihr aufstieg und sie sich darauf freute, wie ihre Mutter und mein Vater gleich reagieren würden. Nur ab und an schaffte ich es, meinen Blick auf unsere Eltern zu richten, und ich war glücklich darüber, mit welcher Freude sie sich ihre kleinen Geschenke ansahen.

Da mein Vater wie so häufig seine Brille nicht dabeihatte, musste Rita ihm vorlesen.

„Mach schon, Rita. Was steht auf der Karte?“

„Ach Dieter, hättest du deine Brille dabei, könntest du selbst lesen.“

„Ich hab sie aber nicht dabei.“

„So wie immer.“ Schluchzend sagte Rita diese letzten Worte. Tränen liefen über ihre Wangen, und trotzdem versuchte sie jetzt, meinem Vater seinen Wunsch zu erfüllen.

„Liebe Oma, lieber Opa, bevor ihr mich …“ Stockend brach Rita ab.

„Mach schon, Pummelchen.“ Ungeduldig und neugierig sah mein Vater sie an.

„Liebe Oma, lieber Opa, bevor …“ Es ging einfach nicht. Zu viele Freudentränen liefen über ihr Gesicht. Malin war es, die, ohne sich die Karte nehmen zu müssen, den dort geschriebenen Text aufsagte.

Kopfschüttelnd saß mein Vater auf seinem Stuhl. Er saß einfach nur da und sah mich schweigend an. Sein Gesicht zeigte weder einen Ausdruck von Freude noch irgendeine andere Reaktion. Dann ging sein Blick abwechselnd zwischen seiner Frau, Malin und mir hin und her.

Fast wie in Zeitlupe schob er zunächst seinen Stuhl ein wenig nach hinten und stand schließlich auf. Nachdem er seiner Frau einen Kuss auf die Stirn gegeben hatte, ging er um den Tisch herum und kam zu uns. Wir saßen noch immer händchenhaltend nebeneinander und sahen zu Rita. Aus ihren Freudentränen waren inzwischen ganze Bäche geworden. Bäche, gegen die sie gar nicht erst versuchte anzukämpfen. Mein Vater hatte sich nun zwischen uns gekniet und seine Arme um unsere Schultern gelegt. Während er mir mit seiner rechten Hand durch meine vom leichten Sommerwind wild durcheinander gewehten Haare wuschelte, strich er mit seiner linken Hand über Malins Rücken.

Selten hatte ich meinen alten Herrn so sprachlos erlebt. Irgendjemand musste in diesem Moment etwas sagen. Da weder meine Frau noch unsere Eltern dazu in der Lage waren, war ich es, der diesen Part übernahm. Allerdings war der Gedanke leichter, als tatsächlich die passenden Worte zu finden.

Auch mein Herz klopfte vor Glück. Genauso wie es mein Herz immer tat, wenn ich daran dachte, dass Malin und ich Eltern werden würden.

„Möchte jemand einen Kaffee?“ Erstaunt wurde ich von sechs Augen angesehen. Fast so, als hätte ich gerade eine Kuh zum Fliegen gebracht.

„Was ist? Habe ich etwas Falsches gesagt?“

„Manchmal ist es besser, einfach nichts zu sagen. Wer will in einem solchen großartigen Moment schon Kaffee?“ Mein Vater stand auf und zog mich, noch immer oder schon wieder kopfschüttelnd, an sich heran.

„Ich werde Opa. Noah, ich werde Opa!“ Nach seinen Sätzen schloss mein Vater mich fest in seine Arme. Sehen konnte ich seine Tränen nicht, und doch spürte ich ganz deutlich, wie sie auf meiner Schulter ankamen und mein T-Shirt durchnässten.

Da Rita noch immer nicht in der Lage war aufzustehen, hatte Malin sich inzwischen auf den Weg zu ihr gemacht. Als sie vor ihr stand, streckte sie Rita ihre Hände entgegen. Freudestrahlend wurde Malin von ihrer Mutter angesehen. Dann stand Rita auf und nahm ihre Tochter liebevoll in die Arme.

Zu gerne hätte ich gehört, was die beiden sich in diesem Augenblick zu sagen hatten. Leider war ich zu weit weg. Allerdings vermutete ich, dass meine Frau es mir heute Abend erzählen würde.

„Wo ist der Sekt? Hier war doch vorhin noch Sekt?“ Nachdem mein Vater sich einige Male umgesehen hatte, entdeckte er die Gläser auf dem Tisch. Mit schnellen Schritten machte er sich auf den Weg dorthin und griff nach diesen. Mit vier Gläsern in seinen Händen stand er vor uns und verteilte sie. Mit feuchten Augen und einem strahlenden Lachen im Gesicht hob mein Vater sein Glas und sagte:

„Auf euch und auf den neuen Erdenbürger.“ Die Gläser hatten sich bereits berührt, und wir hatten somit einige Male dieses klirrende Geräusch gehört, das eine Art Vor-Melodie für besondere Anlässe war.

Nachdem wir angestoßen hatten, nippte ich an meinem Glas und stutzte. Als ich mich danach kurz räusperte, war es ausschließlich Malin, die mich ansah. Wir waren ein solch tolles und eingespieltes Team, dass sie in diesem Augenblick genau wusste, dass irgendetwas nicht stimmte. Mein Blick auf unsere beiden Gläser verriet ihr die Lösung. Nachdem wir die Gläser getauscht hatten und sie nun den alkoholfreien Sekt in der Hand hielt, tranken auch wir.

„Ich hatte es mir schon gedacht, als wir die Einladung von euch bekommen hatten. Mir war klar, dass irgendetwas Besonderes anliegen würde.“ Voller Inbrunst sagte Rita diesen Satz.

„Ach Pummel, du musst nicht immer einen solchen Quatsch erzählen.“

„Dieter! Ich erzähle keinen Quatsch. Ich habe doch gemerkt, dass unsere Kinder in letzter Zeit irgendwie anders waren.“

„Und dadurch bist du auf die Idee gekommen, dass du Oma wirst? Merkwürdig, dass du nie ein Wort darüber verloren hast. Nicht mal mir gegenüber.“ Mein Vater prustete los.

Während er sich dabei vor Lachen auf die Schenkel klopfte, verzog Rita ihr Gesicht und sah ihn wütend an.

„Du musst mir nicht glauben!“ Mit einer abfälligen Handbewegung drehte sich Malins Mutter von ihrem Mann ab und zu uns herum.

„Tue ich auch nicht. Und nun sei wieder lieb zu mir.“ Mein Vater nahm seine Frau in den Arm und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange.

„Meinst du, dass damit wieder alles gut ist?“ Mit gespielter Empörung sah Rita ihren Mann an.

„Ja, das glaube ich.“ Ein zweiter Kuss folgte und schon hatten sich unsere Eltern wieder lieb.

Heute gab es wichtigere Themen, als darauf zu beharren, recht zu haben. Heute war einer der größten Tage im Leben unserer Eltern.

Mein Vater hielt das Backförmchen voller Stolz in seiner Hand. Immer wieder fiel sein Blick auf dieses kleine Spielzeug, das heute für ihn das größte Geschenk überhaupt war. Er durfte Opa sein und schon bald mit einem kleinen Würmchen in der Sandkiste spielen.

Als mein Vater mir, während Malin und ihre Mutter in der Küche verschwunden waren, eine Frage stellte, überlegte ich eine ganze Zeit, ob er sie ernst gemeint hatte.

„Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass ihr ein Kind bekommt?“ Nein, ich hatte mich nicht verhört. Tatsächlich hatte mein Vater genau diese Frage gestellt. Da ich ein gut erzogener Sohn war, nahm ich mir vor, sie ihm auch vollkommen korrekt zu beantworten.

„Als Malin und ich von einer Feier nach Hause gekommen sind und noch viel zu aufgedreht waren, um einfach zu schlafen, zogen wir uns langsam aus. Nachdem ich ihre Bluse aufgeknöpft hatte und sie dabei war, mir meine Hose zu öffnen, wurden unsere Küsse immer leidenschaftlicher. Als dann auch noch …“ Mein Vater unterbrach mich.

„Noah, du bist einfach blöd.“

„Warum?“ Ich tat völlig erstaunt und sah meinen Vater grinsend an.

„Ist es ein Wunschkind?“

„Ja, das ist es. Ein Kind der Liebe. Unser Kind ist das i-Tüpfelchen unserer besonderen Liebe.“

„Also ein ebensolches Kind, wie du es bist.“ Wieder liefen Tränen über die Wangen meines Vaters, und ich wusste, woran er in diesem Moment dachte. Seine Gedanken waren bei meiner Mutter. Bei seiner verstorbenen Ehefrau, die auch noch heute, viele Jahre nach ihrem Tod, präsent für uns war.

Während mein Vater nach meiner Hand griff, spürte ich die Wärme, die uns verband, und doch war es ein Augenblick, den ich gerne alleine verbringen wollte. Ich hatte etwas zu erledigen.

Ob mein Vater es bemerkt hatte oder ob er tatsächlich auf die Toilette verschwinden musste, wusste ich nicht.

Wie auch immer es war, ich hatte dadurch diesen Augenblick für mich alleine.

Meine Hände waren tief in meine Hosentaschen vergraben, als ich mich auf den Weg machte, mir einen ruhigen Platz im Garten zu suchen.

Mein Blick war inzwischen in den Himmel gerichtet, und ich wusste ganz genau, dass meine Mutter mich in diesem Moment sehen würde. Zumindest würde sie mir zuhören und sich darüber freuen, was ich ihr zu erzählen hatte.

Nachdem meine ersten Worte noch holprig meinen Mund verließen, wurden sie von Wort zu Wort und von Satz zu Satz fließender. Da meine Mutter nun wusste, dass Malin und ich ein Kind bekamen und sie Oma werden würde, fühlte ich mich freier. Ich hatte meiner Mama auch erzählt, dass mein Vater mit seiner neuen Frau heute zum Feiern bei uns war. Allerdings kannte meine Mutter Rita bereits. Schon häufig hatte ich bei unseren Gesprächen von ihr erzählt.

„Mama, du wirst eine tolle Oma sein und dein Enkelkind wird ganz sicher oft mit dir reden. Solange es noch nicht sprechen kann, werde ich dich über alles Wichtige informieren. Ich habe dich sehr lieb.“ Nachdem ich die letzten Worte gesagt hatte, machte ich mich wieder auf den Weg zu den anderen.

Auf der Terrasse stand mein Vater. Ich blieb vor ihm stehen und nahm ihn erneut in den Arm.

„Hast du deiner Mutter alles erzählt?“

„Ja, das habe ich.“

„Das ist gut.“

Shopping

Drei Wochen waren seit dem Grillabend mit unseren Eltern bereits vergangen. Allmählich konnte man eine kleine Rundung an meinem Bauch erkennen, die vor der Schwangerschaft noch nicht da gewesen war. Meine Mutter war der Meinung, das wäre ja auch langsam mal an der Zeit, immerhin war ich bereits in der 15. Schwangerschaftswoche. Na gut, ich musste zugeben, ich fand es wahnsinnig aufregend und freute mich über jedes Kilo, das ich zunahm. In ein paar Wochen würde ich unseren Zwerg spüren, wenn er trat, und ich war gespannt darauf, wie es sich wohl anfühlen würde.

Auch Noah wurde mehr und mehr von der Aufregung, Papa zu werden, ergriffen, und obwohl er shoppen eigentlich hasste, hatte er mich heute in einen Babymarkt geschleift.

Bereits seit Wochen surfte er im Internet und suchte verschiedene Kinderzimmermöbel heraus, verglich Preise und las Testberichte. Er beschäftigte sich damit, als wäre es eine Wissenschaft, und manchmal kam es mir auch so vor. Mir war gar nicht klar gewesen, auf was man alles zu achten hatte! Aber gut, dafür hatte ich ja meinen Mann. Mittlerweile standen uns nur noch drei verschiedene Möbelmodelle zur Auswahl, die wir uns heute anschauen und, wenn wir uns entschieden hatten, bestellen wollten, da wir mit mehreren Wochen Lieferzeit rechneten.

„Also, ich finde ja das weiße Zimmer im Landhausstil toll“, sagte ich, nachdem wir uns alle drei angeschaut hatten. „Und dazu das Zubehör mit den kleinen Teddys darauf. Der Betthimmel, die Bettwäsche, den Bezug für die Wickelauflage – lass uns doch mal fragen, ob es aus dem Stoff auch Gardinen gibt.“ Begeistert strahlte ich Noah an und er nickte lächelnd.

„Ja, das gefiel mir auch gut und es ist geschlechtsneutral. Dann können wir uns immer noch entscheiden, ob wir wissen wollen, was es wird, oder ob wir uns überraschen lassen.“

Bisher waren wir über das Thema uneinig. Ich war so neugierig, dass ich es unbedingt wissen wollte, doch Noah wollte es am liebsten erst im Kreißsaal erfahren. Okay, ich gebe zu, ich spielte ein bisschen auf Zeit – spätestens, wenn es darum ging, Kleidung für das Kleine zu kaufen, würde Noah feststellen, dass es einfacher war, wenn man das Geschlecht wusste. Bei einer Shoppingtour mit meiner Ma neulich hatte ich gemerkt, dass es recht wenig geschlechtsneutrale Sachen für Babys gab.

„Fein, ich finde das Landhauszimmer auch am schönsten. Wollen wir mal schauen, ob wir irgendwo einen Verkäufer finden? Dann können wir es gleich bestellen.“

Eine halbe Stunde später war der Kaufvertrag für die Kinderzimmermöbel ausgefüllt, und wir hatten einen vollen Einkaufswagen, in dem sich bereits die ganzen Zubehörteile mit den kleinen Teddys drauf befanden.

„Brauchen Sie sonst noch etwas?“, fragte der Verkäufer. „Wie sieht es aus mit einem Kinderwagen? Eine Autositzschale für das Kleine?“

„Ist es dafür nicht noch ein wenig zu früh? Ich meine, selbst mit dem Zimmer sind wir ja mehr als zeitig, aber der Kinderwagen? Das Baby kommt schließlich erst im Januar auf die Welt.“ Noah sah fragend von mir zum Verkäufer, auf dessen Namensschild K. Schmidt stand.

„Na, wie kommen Sie denn darauf? Kinderwagen haben je nach Modell eine Lieferzeit von bis zu zwölf Wochen. Das Zimmer hingegen wird spätestens in vier Wochen geliefert. Moment, ich schau mal eben.“ Herr Schmidt tippte auf seiner Computertastatur herum, dann strahlte er uns an. „Nein, falsch. Wir könnten Ihnen ein Lieferdatum in zehn Tagen anbieten.“

„In zehn TAGEN?“ Noahs Gesichtsausdruck sprach Bände. Damit hatte er nicht gerechnet. Ich konnte förmlich sehen, wie seine Gedanken rotierten.

Er hatte es sich so schön ausgemalt, einen Zeitplan erstellt und wochenweise geplant, was wir wann machen wollen und müssen, dass rechtzeitig zur Entbindung alles fertig wäre. Und nun kam Herr Schmidt daher und warf seinen kompletten Zeitplan um. Nicht das Babyzimmer war das Erste, um das wir uns kümmern mussten, der Kinderwagen war es.

Ein wenig verzweifelt schaute mein Mann mich an und fuhr sich mit beiden Händen durch die wuscheligen Haare. Ich biss mir von innen auf die Wange, um nicht lauthals loszuprusten.

„Das macht doch nichts. Schau mal, ich bin jetzt in der 15. Woche. Selbst wenn der Kinderwagen zwölf Wochen dauert, haben wir noch massenhaft Zeit. Wir können bei deinem Plan bleiben, nur, dass das Zimmer bereits eher fertig wird. Aber das ist doch nicht schlimm, oder?“ Ich versuchte, Noah zu beruhigen.

„Richtig, was fertig ist, ist fertig. Und wenn Sie das Zimmer schon in zwei Wochen eingerichtet haben – es wird ja nicht schlecht. Dann haben Sie zumindest einen großen Posten von ihrer Liste bereits gestrichen.“

Nachdenklich nickte Noah. So ganz schien er noch nicht überzeugt, aber er stimmte zu.

Nachdem alle Formalitäten geklärt waren und der Kaufvertrag unterschrieben war, schoben wir unseren Einkaufswagen in Richtung Kasse. Auf dem Weg dorthin landeten noch ein Schnuffeltier und zwei kuschelige Babydecken darin.

Nachdem alles bezahlt war, luden wir es in den Kofferraum.

„Sag mal, wenn das Zimmer in zehn Tagen kommt, sollten Papa und ich bis dahin gestrichen haben, oder? Was hältst du davon, wenn wir noch schnell in den Baumarkt fahren und eine Farbe aussuchen? Und du wolltest doch gern eine Bordüre oder so. Wo wir eh grad unterwegs sind.“

Ich fand Noahs Idee süß, und sie zeigte mir, dass er den geänderten Zeitplan gut verkraftet und sich bereits darauf eingestellt hatte, dennoch lehnte ich ab.

„Wenn ich ehrlich bin, würde ich gern auf die Couch und mich ein wenig hinlegen. Irgendwie habe ich so ein leichtes Ziehen im Bauch.“

Besorgt schaute mein Mann mich an.

„Sollen wir lieber ins Krankenhaus? Vielleicht ist es besser, wenn mal ein Arzt draufguckt?“

„Nein, Quatsch! Ich bin heute den ganzen Tag mit dir herumgelaufen, das war wahrscheinlich einfach nur ein bisschen viel. Ich gehe zu Hause in die Badewanne, dann lege ich mich hin und morgen ist alles wieder gut.“

Noah wirkte noch ein wenig skeptisch, aber ich war der Meinung, dass man es auch nicht übertreiben musste. Nächste Woche hatte ich einen Termin bei meinem Frauenarzt. Was sollte schon sein? Das letzte Mal war alles in Ordnung gewesen und unser Baby hatte sich prächtig entwickelt.

In meinem Mutterpass lagen zwei Ultraschallbilder von unserem Zwerg und eins hatte Noah in seiner Brieftasche. Viel war nicht zu erkennen, das Baby sah mehr aus wie ein graues Gummibärchen. Trotzdem hatte ich noch nie etwas Schöneres gesehen als den Herzschlag auf dem kleinen Monitor beim Ultraschall.

„Okay, du legst dich hin und ich kümmere mich um das Abendessen. Worauf hast du Lust? Schnitzel mit Gemüse und Kartoffeln oder lieber Nudeln mit Hacksoße?“, fragte Noah, als ich aus der Badewanne kam, und wollte mich in Richtung Wohnzimmer bugsieren.

„Alles gut, ich helfe dir. Es geht mir bereits deutlich besser. Das Ziepen ist wieder weg. Es war wohl heute wirklich nur etwas viel. Du musst nicht allein in der Küche stehen!“, protestierte ich.

„Nichts da! Du legst dich schön hin und schaust schon mal, was es heute im Fernsehen gibt. Oder willst du lieber eine DVD sehen? Überleg es dir – im Liegen!“, betonte er und erstickte damit jeden weiteren Widerspruch im Keim. Leise vor mich hin grummelnd fügte ich mich. Na, das konnte ja was werden, wenn er ab sofort, für die nächsten Monate, auf jedes Zipperlein so reagieren würde. Ein wenig bereute ich, dass ich ihm davon erzählt hatte, aber ich wusste, er meinte es nur gut mit mir.

Ich hörte ihn in der Küche rumoren, als ich mich unter die Wolldecke kuschelte und die Augen schloss.

„So, da du dich nicht geäußert hast, habe ich jetzt Nudeln gemacht.“

Ich wurde wach, als Noah mich ansprach. Er tauchte neben mir auf, ein Tablett in den Händen. Als ich aufstehen wollte, wurde ich sofort wieder zurechtgewiesen. Ich sollte auf der Couch bleiben und nicht mit ihm am Esstisch essen.

„Herrje, Noah! Ich bin nicht krank, ich bin nur schwanger! Wenn du so weitermachst, kriegen wir in der nächsten Zeit noch Stress!“, motzte ich. Noah stellte das Tablett ab und setzte sich zu mir auf das Sofa. Dann zog er mich in seine Arme und küsste mich sanft aufs Haar.

„Ich mache mir doch nur Sorgen um dich. Lass mich dich doch ein bisschen betüddeln. Ich möchte ja nur, dass es dir und dem Baby gut geht.“

Seufzend schmiegte ich mich an ihn.

„Aber das geht es. Wie könnte es auch anders sein, immerhin habe ich den besten Mann der Welt und weiß, dieser kleine Zwerg bekommt den besten Papa der Welt. Wenn du mich in Watte packst, fühlt es sich so an, als würdest du mich einengen. Ich kann das nicht, ich bin nicht dafür geschaffen, mir den Allerwertesten hinterhertragen zu lassen. Bitte, glaub mir einfach, wenn ich sage, dass es mir gut geht. Vertrau mir.“

Ich löste mich ein Stückchen von Noah, um ihn anzusehen, und konnte erkennen, wie er mit sich rang.

„Na gut. Aber ich darf dich ein bisschen verwöhnen, ja?“, fragte er und lächelte mich mit funkelnden Augen an. Das war ein Blick, dem ich nicht widerstehen konnte, und so beugte ich mich zu ihm hinüber und verschloss seinen Mund mit einem leidenschaftlichen Kuss.

„Mein Frauenarzt sagt übrigens, Sex in der Schwangerschaft ist absolut gesund“, murmelte ich, nachdem ich mich ein paar Millimeter von ihm gelöst hatte. Ich konnte erkennen, wie sich das Funkeln in seinen Augen verstärkte.

„Na, wenn das so ist, dann wollen wir doch mal was für deine Gesundheit tun.“ Damit beugte er sich wieder über mich und drückte mich rücklings in die Kissen des Sofas. Um ihm mehr Platz zu geben, öffnete ich meine Beine, sodass er sich auf mich legen konnte. Während wir erneut in unseren Küssen versanken, spürte ich immer deutlicher, wie seine Härte in meinen Schritt drückte.

Es war uns egal, dass unsere Nudeln auf dem Tisch kalt wurden, wir konnten es keine Sekunde länger abwarten, einander zu spüren.

Pizza

Von vielen Freunden und Bekannten hatte ich, nachdem ich von der Schwangerschaft meiner Frau erzählt hatte, immer den gleichen Satz gehört, der mir auch in diesem Augenblick durch den Kopf ging und mich zum Grinsen brachte.

Das Sexualleben würde einschlafen.

„Warum grinst du so?“

„Ich musste gerade daran denken, dass bei anderen Menschen während der Schwangerschaft das Sexualleben komplett vernachlässigt wird.“

„Tatsächlich? Ist es so? Woher weißt du das? Ich glaube, du bist doch bisher noch nie schwanger gewesen. Oder hast du mir etwa irgendetwas verheimlicht?“ Während ihrer Worte strich Malin durch mein Haar.

„Mehrere Leute haben mir das so erzählt. Allerdings bin ich sehr froh, dass es bei uns anders ist.“

„Das bin ich auch.“ Erneut bekam ich einen Kuss von Malin. Als wir Minuten später von uns ließen, sah ich sie einfach nur an.

„Was guckst du so?“

„Ich schau dich an und denke, dass ich die schönste Frau der ganzen Welt habe.“ Es war nicht nur dahergeredet. Vom ersten Augenblick an, als ich Malin damals vor dem Einchecken auf dem Schiff zum ersten Mal gesehen hatte, konnte ich ihr wunderschönes Gesicht nicht wieder vergessen. Egal, wo ich war, und egal, was ich machte, ihre strahlenden Augen und ihre vollen und weichen Lippen, begleiteten mich durch den Tag. Wie viele Männer so was ebenfalls von sich behaupten konnten, wusste ich nicht. Allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass nicht viele Männer eine solche Liebe zu ihrer Frau verspürten.

„Ist alles gut bei dir? Du bist so ruhig.“ Auch wenn es noch einige Monate hin war, bis unser kleiner Zwerg auf die Welt kam, machte ich mir immer häufiger Sorgen um Malin. Unbegründete Sorgen. Zumindest empfand es Malin so, da ich immer wieder den Satz von ihr hören durfte, dass sie nicht krank, sondern lediglich schwanger war.

„Ja, ist es. Also, fast alles. Aber ich will jetzt nicht so unromantisch sein.“ Erschrocken sah ich meine Frau an.

„Nur fast? Sag mir, was los ist. Brauchen wir einen Arzt? Soll ich dich irgendwo hinfahren?“ In Hektik verfallen, sprang ich auf und schaute Malin an.

„Nein. Alles ist gut. Ich habe nur Hunger.“ Erleichtert ließ ich mich aufs Sofa fallen und griff nach einem der Teller, auf denen sich unsere Nudeln befanden. Als Malin diesen in ihrer Hand hielt, erkannte ich sofort, dass noch irgendetwas nicht stimmte.

„Sag schon. Was ist noch los?“

„Die Nudeln sind kalt.“

„Klar sind sie kalt. Sie stehen ja auch bereits eine halbe Ewigkeit auf dem Tisch. Sagst du mir nun, was los ist?“

„Nichts. Ansonsten ist gar nichts los. Einzig und allein die Nudeln sind kalt.“

„Gib her.“ Ich griff nach Malins Teller und wollte mich gerade auf den Weg in die Küche machen, um sie dort in unserer Mikrowelle aufzuwärmen.

„Noah.“

„Ja?“

„Warte mal bitte kurz.“ Malin schenkte mir einen Blick. Einen ganz besonderen Blick aus ihren wunderschönen Augen. Dann sprach sie weiter.

„Ich habe gar keinen Appetit mehr auf Nudeln.“

„Keinen Appetit mehr auf Nudeln? Was soll das jetzt heißen?“

„Also wenn ich ehrlich bin, wäre eine Pizza ziemlich cool.“

„Eine Pizza? Du meinst dieses runde Ding, das mit unterschiedlichsten Sachen belegt ist? Dieses radförmige Teil, das ich beim letzten Einkauf bereits in den Einkaufswagen gelegt hatte? Das, zu dem du gesagt hast, dass so etwas Ungesundes nicht in unser Haus kommt? Meinst du wirklich Pizza? Die Pizza, die ich wieder aus unserem Wagen entfernen musste? Sie rausnehmen durfte, da du keinen Appetit darauf hattest?“ Tatsächlich wusste ich in diesem Moment nicht, ob ich lachen sollte. Immerhin ahnte ich schon irgendwie, was mich gleich erwartete. Von meinen Freunden hatte ich bereits erfahren, dass es ihnen ähnlich ergangen war. Allerdings hatte ich bisher immer geglaubt, und es auch jedem so erzählt, dass Malin anders war. Dass meine Frau niemals auf eine solche Idee kommen würde, und wenn sie diese Idee tatsächlich haben würde, dass sie mich nie darum gebeten hätte.

„Noah, würdest du mir eine Pizza holen?“ So konnte man sich irren. Da war sie, diese Frage, mit der ich nie gerechnet hätte.

Sag mal, spinnst du? Ich hatte ein solches Teil bereits in den Einkaufswagen gelegt und musste es wieder entfernen. Hol dir die blöde Pizza doch selbst. Ich habe jetzt keine Lust mehr, mich anzuziehen und mich auf den Weg zu machen. Außerdem sagst du doch immer selbst, dass du nicht krank, sondern lediglich schwanger bist, dachte ich und sagte:

„Selbstverständlich, mein Schatz. Welche Sorte darf es für dich sein?“

„Hawaii. Ja, Hawaii wäre perfekt.“

„Okay. Ich bin gleich wieder da.“ Schon machte ich mich auf den Weg zur Haustür, da ich mich inzwischen wieder angezogen hatte.

„Noah, bist du noch da?“ Kurz bevor ich die Tür ins Schloss ziehen wollte, hörte ich Malin rufen.

„Ja. Was gibt es denn noch?“ Ich kehrte zurück und lehnte mich an den Türrahmen zum Wohnzimmer.

„Ich glaube, ich möchte doch lieber eine mit Tomate und Mozzarella.“

„Wird gemacht. Tschüss.“ Kaum hatte ich mich umgedreht, sprach Malin weiter.

„Oder soll ich Thunfisch nehmen?“

„Ich weiß nicht. Worauf hast du am meisten Appetit?“ Bestimmt eine Minute stand ich im Türrahmen und sah meine Frau an. Da sie keine andere Ansage machte, drehte ich mich um und versuchte erneut, unser Haus zu verlassen.

„Spinat. Noah, hörst du mich noch? Ich möchte eine Pizza mit Spinat.“

„Wie wäre es, wenn ich dir alle Pizzen mitbringe und du dich dann hier entscheidest?“ Langsam fand ich das Spiel ziemlich blöd.

„Du bist aber schlecht drauf!“

„Ich bin überhaupt nicht schlecht drauf!“ Ich merkte selbst, in welch schroffem Ton ich diesen Satz sagte, und machte mich schnell aus dem Staub.

Frohen Mutes steckte ich den Schlüssel in unsere Haustür und freute mich darauf, gleich wieder unter die Wolldecke zu meiner Frau zu schlüpfen. Unseren kleinen Streit von eben hatte ich längst vergessen. Da Malin Fanta liebte, hatte ich gleich einen ganzen Liter von diesem aus meiner Sicht viel zu süßen Zeug mitgebracht.

„Da bin ich wieder.“ Fröhlich rief ich diese Worte in Richtung Wohnzimmer und bekam keine Antwort.

„Alles gut bei dir?“ Vom Flur aus rief ich ein zweites Mal, und da ich wieder keine Antwort bekam, machte ich mich auf den Weg ins Wohnzimmer. Malin war nicht da. Zunächst dachte ich noch, dass Malin sich einen Scherz mit mir erlaubte und sich irgendwo versteckt hatte.

Nachdem ich an mehreren Orten gesucht hatte, fand ich dieses Spielchen inzwischen relativ blöd.

„Malin, komm raus. Unsere Pizzen werden kalt.“ Wieder bekam ich weder eine Antwort noch irgendeine andere Reaktion von meiner Frau. Da ich unten überall nachgesehen hatte, machte ich mich auf den Weg in den ersten Stock unseres Hauses. Aus dem Badezimmer kamen Geräusche und so öffnete ich leise die Tür.

„Was machst du da?“ Dass meine Frage überflüssig war, wusste ich selbst, und doch war dies einer dieser Momente, der wie dafür gemacht war, überflüssige Fragen zu stellen.

„Ich sitze in der Badewanne. Das siehst du ja wohl.“

„Aber ich habe eben Pizzen für uns geholt. Außerdem hast du vorhin schon in der Badewanne gesessen.“ Verwirrt sah ich meine Frau an.

„Ich weiß. Aber nachdem du gegangen warst, hatte ich einen solchen Hunger. Ich konnte einfach nicht warten und habe mir die Nudeln in der Mikrowelle warm gemacht. Jetzt bin ich satt, und ich hatte das Gefühl, dass mir eine heiße Badewanne bestimmt guttun würde. Außerdem sagt mein Frauenarzt auch immer, dass baden gut für mich ist.“

Aber doch nicht zweimal am Tag, dachte ich und sah Malin an. „Falls du irgendwann fertig bist, kannst du ja gleich runterkommen.“

Als ich unten vor dem Fernseher saß und die erste Pizza bereits verdrückt hatte, öffnete ich die zweite Packung und begann damit, auch von dieser Pizza zu naschen.

„Da bin ich. Hast du dich wieder beruhigt?“ Als wäre Malin sich keiner Schuld bewusst, stand sie, nur mit einem Bademantel bekleidet, im Wohnzimmer. Ich hatte keine Lust, mich zu streiten. Dafür war diese Situation viel zu nichtig.

„Bei mir ist alles gut. Kommst du zu mir?“ Ich hob die Wolldecke an und Malin kam zu mir gekrabbelt.

„Was ist das für ein Katalog?“ Neugierig sah Malin mich an. Ich hob das Prospekt hoch, in dem ich nebenbei geblättert hatte, und zeigte es ihr.

„Durch deine Bade-Aktion ist mir eingefallen, wir haben etwas für unseren Zwerg vergessen.“

„Badewannen für Babys? Ist das dein Ernst, Noah?“

„Klar ist das mein Ernst. Unser Zwerg muss ja schließlich gebadet werden.“ Erstaunt über Malins Frage sah ich sie an.

„Aber doch nicht in einem solchen Teil.“

„Worin denn dann? Willst du den großen Topf nehmen, den wir sonst immer für Spargel benutzen?“ Ich amüsierte mich prächtig über meinen Witz.

„Den nun nicht gerade. Aber im Baumarkt gibt es Plastikwannen für ganz kleines Geld.“ Wieder lachte ich. Allerdings hörte ich irgendwann damit auf. Es war genau der Moment, in dem ich begriff, dass Malin keinen Scherz gemacht hatte.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst?“

„Na klar. Für eine Babybadewanne müssen wir keine achtzig Euro ausgeben. Das ist totaler Irrsinn. Unser Zwerg wächst ruckzuck aus diesem Teil heraus und eine günstige Variante aus dem Baumarkt tut es für den kurzen Zeitraum allemal.“

„Aber hier steht doch, dass nur diese Babybadewanne das ideale Einstiegsmodell für das Waschen von Babys ist.“

„Die wollen die Dinger ja auch verkaufen. Glaub mir, Noah, es gibt keinen großen Unterschied zwischen der teuren Variante aus dem Babymarkt und einer normalen Plastikwanne aus dem Baumarkt.“

„Wirklich nicht?“ Tatsächlich war ich irgendwie enttäuscht, auch wenn ich keine Ahnung hatte, warum es so war. Immerhin hatten wir gerade Geld gespart.

„Wirklich nicht. Noah, du wirst ein toller Vater sein. Ganz sicher wird unser Zwerg es uns später nicht übel nehmen, dass er die ersten Wochen seines Lebens in einer Baumarktwanne gebadet wurde.“

Latzhose

Heute war ich mit meiner Mutter in der Stadt unterwegs. Auch wenn die kleine Kugel bisher kaum zu sehen war, drückten meine Hosen allmählich am Bauch. Im Moment behalf ich mir noch mit Gummibändern, die ich zwischen Knopf und Knopfloch spannte und einfach ein längeres Oberteil darüber anzog. Lange würde mir das allerdings nicht mehr weiterhelfen, daher wollten wir heute nach ein paar Umstandshosen schauen.

Wenn es nach meiner Ma gegangen wäre, hätten wir die teuersten Boutiquen für Mütter und Kinder leer gekauft, aber zum Glück konnte ich sie noch rechtzeitig überreden, uns zuerst in den günstigeren Klamottenläden umzusehen.

Ich war wirklich bereit, alles für meinen kleinen Zwerg zu geben, doch knapp 200 Euro für eine Hose, die ich in spätestens acht Monaten sowieso nicht mehr würde tragen können? Nein! Keine Chance!

Als verbeamtete Lehrerin verdiente ich zwar nicht so schlecht, aber bei solchen Preisen waren meine Taschen wie zugetackert.

Bereits im ersten Laden wurde ich fündig und hatte gleich mehrere Jeans mit einem elastischen Stoffeinsatz zur Auswahl, mit denen ich mich in eine der Umkleiden verzog.

Die erste war leider noch viel zu groß, aber die zweite saß schon jetzt bequem. Als ich aus der Kabine trat, um mich in dem großen Spiegel davor zu bewundern, kam meine Mutter vollgepackt mit weiteren Klamotten auf mich zugestürmt.

„Schau mal, Malin. Ich hab noch mehr!“ Freudig strahlte sie mich an. Der neuen Hose, die ich gerade trug, schenkte sie nur einen abfälligen Blick.

„Nein, Schatz. Die geht ja gar nicht. Die sieht ja aus wie eine normale Jeans!“

Verwirrt betrachtete ich mich noch einmal von allen Seiten. Ja, es stimmte, mit einem Pullover darüber, der den Stretcheinsatz verbarg, sah man wirklich nicht, dass es eine Umstandshose war.

„Äh … Ja und?“, fragte ich und schaute meine Mutter recht ratlos an, weil ich nicht verstand, was ihr Einwand zu bedeuten hatte.

„Nein, Kind. Das geht gar nicht! Viel zu langweilig. Also wenn du schon Jeans tragen musst, dann doch lieber so eine hier!“

Sie zog an einem der Kleiderbügel, der aus dem Klamottenstapel auf ihrem Arm ragte, und hielt mir ein Teil entgegen.

Ich war sprachlos! Das war jetzt nicht ihr Ernst!

„Nicht wirklich, oder? Willst du mich veralbern?“

Nun war es an meiner Ma, verständnislos dreinzuschauen.

„Aber wieso denn? Das trägt man so in der Schwangerschaft.“

„Bist du irre?“ Ich wusste nicht, ob ich lachen oder heulen sollte. Sie schien es tatsächlich ernst zu meinen. Oder gab es hier womöglich eine versteckte Kamera, die das Ganze für eine Fernsehshow filmte? Noch immer streckte meine Mutter mir den Kleiderbügel entgegen, doch ich griff nicht zu.

„Ehrlich, Mama, hast du dir das Teil mal angeschaut? Das ist eine LATZHOSE! Schenk mir einen Zollstock dazu und die Bauarbeiter an der nächsten Ecke nehmen mich in ihren Kollegenkreis auf.“ Mittlerweile konnte ich mich nicht mehr halten und prustete los.

Meine Mutter hingegen fand es nicht ganz so lustig und sah mich pikiert an.

„Nun sei mal nicht so albern, Malin! Bauarbeiter! Dass ich nicht lache! Schwangere tragen auch Latzhosen, die sollen wunderbar bequem sein mit dem dicken Bauch irgendwann.

„Das mag ja sein, aber das macht sie leider nicht hübscher!“ Ich wischte mir eine Lachträne aus dem Augenwinkel und riss mich wieder zusammen.

Ein wenig verstimmt hängte meine Ma die Hose an einen Kleiderständer.

„Na gut, dann eben nicht. Musst du ja wissen.“

„Was hast du denn da sonst so?“, fragte ich, um sie ein bisschen gnädig zu stimmen.

Okay, ich hätte mal lieber meine Klappe gehalten, denn was jetzt kam, schlug die Latzhose noch um Längen.

Ein Pulli mit einer überdimensionalen Micky Maus darauf, eine Bluse mit großflächigem, knallbuntem Blumenmuster und zu guter Letzt eine Art Schlauch aus Stoff, den ich im ersten Moment für einen Schal gehalten hatte.

Nachdem ich ihr so freundlich wie möglich mitgeteilt hatte, dass großflächige Muster auf einem dicken Babybauch vielleicht optisch ein wenig auftragen würden und ich aus dem Alter für Comicmotive circa seit zwei Jahrzehnten raus war, blieb nur noch dieser Schlauch übrig.

„Und was ist das? Ich meine, warum gibt es Schals in der Abteilung für Umstandsmode? Um den Hals herum werde ich hoffentlich nicht so sehr zunehmen, dass meine normalen Schals und Tücher nicht mehr passen“, versuchte ich zu scherzen. Irgendwie traf ich damit aber anscheinend nicht so ganz den Humor meiner Mutter, denn sie schaute mich schon wieder beleidigt an.

„Hast du dich überhaupt mit dem Thema Schwangerschaft beschäftigt? Malin, du bist in der 16. Woche! So allmählich solltest du dich damit auseinandersetzen, was auf dich zukommt und was du jetzt machen musst.“

Ich wusste nicht so recht, was ich zu diesem Anraunzer sagen sollte, doch ich verkniff mir den Kommentar, dass ich unter „Mit dem Thema Schwangerschaft beschäftigen“ nicht verstand, herumzulaufen wie der letzte Idiot. Ich meine, klar kannte ich diese werdenden Mütter, die ab dem positiven Test nur noch in Latzhosen und Comicpullis herumliefen, aber ich verstand nicht, wieso?

Natürlich würde mein Leben sich ändern, das hatte es ja bereits, doch was hatte das mit meinem Klamottenstil zu tun.

---ENDE DER LESEPROBE---