Trug-Schuss - Klaus Möckel - E-Book

Trug-Schuss E-Book

Klaus Möckel

5,0

Beschreibung

"Der Gärtner konnte gar nicht der Mörder gewesen sein, denn er saß zusammengesunken in einem Korbstuhl ... ein kleines Loch über der linken Schläfe." So beginnt eine der Kurzgeschichten von TRUG-SCHUSS, die durchaus als eine Weiterführung und Ergänzung des Bandes DER UNDANKBARE HERR KERBEL betrachtet werden dürfen. Bankräuber, Giftmischer und Mordschützen sind am Werk, ein Detektiv scheitert mit seiner ausgeklügelten logischen Methode am noch raffinierteren Hoteldieb, Attentate werden zu Rohrkrepierern, und eine Leiche kehrt zum Täter zurück. Der vielseitige Autor, der Lebensberichte wie HOFFNUNG FÜR DAN, Kinderbücher wie KASSE KNACKEN, aber auch SF-Erzählungen und historische Romane, Krimis, Nonsensverse und witzige Aphorismen schrieb, setzt hier erneut auf Unterhaltung mit Esprit, auf schwarzen Humor und auf die Überraschung, die sich ergibt, wenn der abgefeimte Betrüger am Ende als der Betrogene dasteht. INHALT: Die einfachste Sache der Welt Die Diebin Der gordische Knoten Bankraub Die logische Methode Trug-Schuss Ein Mord für Tanja Noch einen Kaffee, Herr Kommissar? Ein Happen Gift Bumerang Sturz ins Höllenloch Unfall Tod im Keller Ronkes Rache Kriminelle Sprüche

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Seitenzahl: 157

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Impressum

Klaus Möckel

Trug-Schuss

Kriminalgeschichten

ISBN 978-3-86394-175-8 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien 2000 im Verlag Neues Leben GmbH, Berlin.

Die kriminellen Sprüche wurden dem Buch "Wer zu Mörders essen geht..." von Klaus Möckel, erschienen 1993 bei Frieling & Partner GmbH Berlin, entnommen.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

© 2012 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Die einfachste Sache der Welt

Hauptkommissar Eismann staubte zerstreut die Asche seiner Zigarette über der Kaffeetasse auf seinem Schreibtisch ab. „Fassen wir zusammen", sagte er verärgert. „Der Tatbestand ist klar. Über den Toten ist einiges bekannt, wir wissen auch, wie sich der Mord zutrug. Doch vom Täter fehlt jede Spur. In dieser Hinsicht haben uns alle Ermittlungen nicht weitergebracht Der Erschossene war ziemlich unzugänglich, ein Eigenbrötler. Die Nachbarn hatten mit ihm kaum etwas zu schaffen, wollen nichts gesehen oder gehört haben. Die wenigen Verwandten, Bekannten und Freunde wissen gleichfalls nichts. Wir drehen uns im Kreis."

Kommissar Brink, sein Mitarbeiter, ein noch junger Mann mit schiefer Nase und verwegenem Haarschnitt, sah interessiert zu, wie der Vorgesetzte die Asche in seiner Tasse verrührte, hütete sich aber, sein danach einsetzendes gedankenschweres Schweigen zu unterbrechen. Erst als er zum Reden aufgefordert wurde, schnarrte er lässig: „Stimmt, Chef. Wir haben die Wohnung des Opfers gründlich durchsucht, doch keinerlei verwertbare Spuren gefunden. Die Kugel, mit der Hörnler getötet wurde, stammt aus einer P.38, aber keine der in Frage kommenden Personen besitzt offenbar ein Schießeisen. Wir wissen, wann der Mord geschah, doch der Zeitpunkt war so geschickt gewählt, dass zwei von den übrigen drei Mietern das Haus verlassen hatten. Nur Frau Heinzke, eine Rentnerin im Parterre, hielt sich in ihrer Wohnung auf; sie ist aber taub und hat nichts mitgekriegt. Jeder, auf den auch nur der Schatten eines Verdachts fallen könnte, hat ein handfestes Alibi. Wie man so trefflich sagt, treten wir auf der Stelle."

„Schön, dass Sie's noch mal betonen", brummte Eismann missmutig. „Ich dachte schon, Sie hätten einen Vorschlag zu machen."

Der Kommissar zögerte, die Ironie des Vorgesetzten war ihm nicht entgangen. Dann, nach einem Anlauf: „Vielleicht sollten wir an diese Angelegenheit psychologisch herangehen."

„Psychologisch? Das ist ja was ganz Neues. Hat man Ihnen wohl auf der Polizeischule beigebracht?"

„Spotten Sie nur, Chef", sagte Brink, „ich meine es ernst. „Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass wir unsere Möglichkeiten mehr oder weniger ausgeschöpft haben. Die kriminaltechnischen jedenfalls. Fasst man den Fall jedoch von der Psyche des Opfers her ins Auge und geht davon aus, dass er Kunstmaler war - wenngleich kein bekannter -, dann gibt es vielleicht noch einen Weg."

„Und der wäre?"

Brink schaute an dem Hauptkommissar vorbei über die Dächer der Stadt und dachte, dass es schön wäre, jetzt Urlaub zu machen. Durch grüne Täler zu streifen, in lauschigen Waldseen zu baden, Anhöhen hinaufzukraxeln. Aber er fand zum Problem zurück. „Wir sollten uns einmal näher mit den Bildern Hörnlers befassen."

Eismann antwortete nicht. Er führte die Kaffeetasse genießerisch zum Mund, nahm einen Schluck und verzog angewidert das Gesicht. „Ein Zeug hat mir die Anne da zusammengebraut." Er warf einen nicht gerade freundlichen Blick zur Tür, hinter der die Sekretärin saß. Dann, etwas abschätzig, wandte er sich wieder Brink zu. „Wie Sie wissen, haben wir die .Kunstwerke, die sich am Tatort befanden, einer aufmerksamen Prüfung unterzogen. Schon wegen eventueller Fingerabdrücke. Von einigen Stücken wurden sogar Röntgenaufnahmen angefertigt."

Der Kommissar winkte ab. „Das meine ich nicht. Ich gehe mehr vom inneren Gehalt der Gemälde aus. So ein Künstler berührt doch in seinen Werken die Dinge, die ihn am meisten bewegen und beschäftigen. Gerade das aber könnte für uns interessant sein. Vielleicht erhalten wir einen Hinweis. Ich weiß, die abstrakte Malerei ist oft recht unverständlich, doch ich hab da einen Mann an der Hand, der uns weiterhelfen könnte. Er ist Professor an einer Kunsthochschule, befasst sich mit solchen Fragen. Wenn wir ihm das Problem erklären..."

Wenige Tage später fanden sich die drei im Atelier des zu Tode gekommenen Malers ein, um dessen künstlerisches Werk psychologisch auszudeuten. Der Hauptkommissar versprach sich nicht viel von diesem Vorhaben, es schien ihm auch höchst kompliziert, denn dem Farben- und Formengewirr der Bilder wohnte offenbar kein Sinn inne. Er tröstete sich damit, dass es wohl selbst dem Spezialisten schwer fiel, sich zurechtzufinden. Der Professor betrachtete nämlich die Gemälde von fern und nah, drehte sie nach rechts und links, beschnüffelte jedes Detail und ließ endlos die Gesamtkomposition auf sich wirken. Als er nach einer guten halben Stunde noch keinen Laut von sich gegeben hatte, hielt Eismann es nicht mehr aus. Er erkundigte sich, ob der geschätzte Professor schon etwas für die Ermittlung Interessantes entdeckt hätte.

Der Sachverständige winkte indigniert ab, er brauchte weitere Zeit. Dann aber drehte er sich plötzlich zu den beiden um und sagte: „Ich habe es gleich gesehn, doch ich wollte mich erst vergewissern. Es handelt sich hier um eine sehr absonderliche Form des Pointillismus. Gewiss ist Hörnler bei Seurat in die Schule gegangen."

„Seurat?", fragte Eismann interessiert „Der Name ist mir bisher nicht untergekommen. Wo wohnt der Mann? Notieren Sie, Brink, wir werden jemanden hinschicken."

Der Kommissar wollte schon den Kugelschreiber zücken, da erklärte der Professor, erstaunt über so viel Unkenntnis: Aber nein, aber nein. Seurat ist bereits 1891 gestorben. Er war der Begründer einer Schule, die sich Pointillismus nannte, weil ihre Vertreter die Farbe Tupfen neben Tupfen auftrugen. So wie Hörnler es macht, sehen Sie?" Und er wies auf eine Passage, die den beiden das Prinzip besonders deutlich vor Augen führen sollte.

Eismann war rot geworden. „Mein Gott, ich bin kein Fachmann", murmelte er. Dann fügte er streitsüchtig hinzu: „Aber was hat das Ganze mit unserem Fall zu tun?"

„Vielleicht nichts, vielleicht mehr, als Sie denken. Hat man erst einmal das künstlerische Prinzip erfasst, kann man tiefer in die Materie eindringen", entgegnete der Professor, „das müssten Sie doch auch aus Ihrer Arbeit kennen."

Eismann gab keine Antwort und zündete sich eine Zigarette an. Es würde ein langer Nachmittag werden.

Die Kriminalisten setzten sich, starrten die Wände an, verfolgten mit sich steigernder Ungeduld, wie die Zeiger über die Zifferblätter ihrer Armbanduhren krochen. Sie hätten anderes zu tun gehabt, doch sie warteten auf eine Erleuchtung des Kunstkenners. Und sie sollten nicht enttäuscht werden. Nach einer Weile begann der Professor plötzlich an den Bildern herumzurücken, sie nach einem bestimmten Schema zu ordnen. Vier von ihnen stellte er schließlich an einer Wand nebeneinander auf. „Konzentrieren wir uns darauf, erklärte er, „hier wiederholen sich die Motive."

Brink, der sich bisher zurückgehalten hatte, fragte: „Welche Motive, verehrter Meister?"

Der Professor nahm einen langstieligen Pinsel von der Staffelei, näherte sich dem ersten der Bilder, deutete auf ein graues, knochenförmiges Gebilde, das sich in der rechten oberen Ecke abzeichnete. Dann schritt er die Reihe der Gemälde entlang, und tatsächlich - links unten, im mittleren oberen Drittel, irgendwo an der Seite, erkannte man bei genauer Betrachtung der Kunstwerke stets das gleiche Gebilde.

„Sehen Sie es?", fragte er.

Die beiden Kriminalisten nickten.

„Was soll das bedeuten?", wollte der Hauptkommissar wissen.

„Könnte ein Knochen sein, ein Oberschenkelknochen", vermutete Brink.

„Wieso gerade ein Oberschenkelknochen?"

„Nach meinen Anatomiekenntnissen sieht der so aus."

„Stimmen Sie seiner Annahme zu?", wandte sich Eismann an den Professor.

„Das kann ich Ihnen nicht sagen. Der Künstler hat eine Eingebung, und er gestaltet sie. Auf jeden Fall muss ihn das Motiv sehr beschäftigt haben."

„Was mich an diesen Bildern schon immer gestört hat", überlegte der Hauptkommissar laut, „ist das fortwährende Geflimmer. Ganz übel wird einem von dieser rötlichen Farbe."

„Die Brechung des Lichts ist eines der Grundprinzipien des Pointillismus", dozierte der Professor, woraufhin Brink sich nicht der Bemerkung enthalten konnte: „Gedämpft und irgendwie aufreizend ist das. Wie in einer Bar."

Der Professor zuckte die Achseln. Er wies auf ein anderes, kaum sichtbares, aber stets wiederkehrendes Detail.

„Eine Art Trichter", vermutete nun Eismann und warf seinem Mitarbeiter einen Beifall heischenden Blick zu. Doch der schwieg sich diesmal aus.

Der Professor ging erneut die Reihe der Bilder durch, und nachdem er die Kriminalisten auf einige Gegenstände aufmerksam gemacht hatte, die sie bei sich als Schleier, Strapse und einen Hut notierten, kam er zu seiner hauptsächlichen Entdeckung: „Nun schauen Sie bitte genau her", verlangte er, „denn jetzt zeige ich Ihnen das Verblüffendste an diesen Werken. Nein, nicht so direkt von vorn. Blicken Sie von der Seite hin, von der Seite, erkennen Sie es?"

Eismann und Brink gaben sich die größte Mühe, doch erst als der Professor ganz nahe mit der Pinselspitze heranging, die Konturen der Erscheinung nachzeichnete, riefen sie fast gleichzeitig: „Eine Neun. Genau in der Mitte!"

Und tatsächlich, das war es. Wenn man unter einem bestimmten Blickwinkel hinsah, erkannte man, weiß schimmernd auf jedem der Bilder, eine Neun in der Mitte.

„Das", erklärte der Professor befriedigt, „ist alles, was ich Ihnen anbieten kann. Es ist in der Tat viel mehr, als ich erwartet hatte."

Und mit diesem Ergebnis mussten die beiden vorerst zufrieden sein.

Hauptkommissar Eismann fuhr verstimmt ins Büro zurück, er verfluchte die Malerei und überhaupt jegliche Kunst; nach seiner Meinung war der Aufwand umsonst gewesen, das Treffen mit dem Professor hatte sie keinen Schritt weitergebracht. Und doch konnte er vierzehn Tage später bei einer Pressekonferenz einer verblüfften Reporterschar mitteilen, dass der Mörder Hörnlers, des begabten, wenn auch in der Stadt noch unbekannten Malers, gefasst und bereits geständig sei. Die Nachricht kam einer Sensation gleich, denn monatelang hatte die Polizei völlig im Dunkeln getappt.

„Wer ist der Täter, wie haben Sie ihn gefunden, und was waren seine Motive?", fragten die Journalisten.

„Eins nach dem anderen", Eismann lächelte zufrieden. „Sie werden es nicht glauben, wir kamen erst in dem Augenblick weiter, als wir uns mit dem Werk des Ermordeten beschäftigten. Es war die Idee meines jungen Kollegen - Brink griente geschmeichelt. Wir gingen psychologisch an den Fall heran. Sie müssen wissen, dass Hörnler ein Vertreter des Pointillismus war. Er ist bei Seurat in die Schule gegangen."

Die Journalisten zeigten sich in keiner Weise beeindruckt. Unhöflich rief einer aus den hinteren Reihen: „Was hat das mit dem Fall zu tun, Kommissar?"

„Hauptkommissar, bitte", verbesserte Eismann ihn und fügte hinzu: „Wenn Sie mir Zeit lassen würden, auf das System des Malers einzugehen, könnte ich Ihnen die Einzelheiten besser darlegen. So bleibt mir nichts anderes übrig, als Ihnen ein Rätsel aufzugeben. Bitte hören Sie gut zu."

Er legte eine Pause ein, und die Journalisten schwiegen überrascht.

„Wir gingen davon aus", fuhr Eismann fort, „dass sich ein Künstler in seinem Werk über das äußert, was ihn am meisten beschäftigt. Wir hatten uns nicht getäuscht. Wir fanden auf mehreren seiner Bilder die gleichen Motive. Da war einmal ein graues Gebilde, das einem Knochen glich. Genauer gesagt, einem Oberschenkelknochen; wir brauchten keinen Orthopäden, um das herauszufinden. Da war zum zweiten eine Art Trichter, ein Symbol, das immer wiederkehrte. Da waren weiterhin Schleier, Strapse und ein Hut. Da war ein rötliches Geflimmer auf den Gemälden, ein richtiges Schummerlicht, und da war vor allen Dingen auf jedem der Bilder, wenn man richtig hinsah - man braucht schon einen Blick dafür -, weiß schimmernd eine Neun in der Mitte. Alle Symbole ordneten sich irgendwie um diese Neun herum."

„Das ist ja die reinste Zahlenmystik", rief einer der Journalisten.

„Nun, meine Herren", sagte Eismann stolz, „Sie haben alle Elemente, die zur Lösung des Rätsels nötig sind. Bitte kombinieren Sie. Zeigen Sie sich meinem Kollegen, der einen großen Anteil an der Aufklärung des Falles hat, ebenbürtig." Diesmal verbeugte sich Brink.

Die Journalisten wussten nicht recht, was sie von dieser Geschichte halten sollten. Sie waren da, um zu fragen, nicht um Rätsel zu lösen. Dennoch rief ein Spaßvogel: „Rotes Schummerlicht, das doch deutet auf eine Nachtbar hin."

„Richtig", bemerkte der Hauptkommissar, „im Zusammenhang mit den anderen Details war das nicht schwer zu erraten."

„Sie sprachen von Oberschenkelknochen", meldete sich ein anderer Reporter zu Wort, „der Mann hatte dort irgendeine Braut."

„So war es, wir kommen der Lösung näher", bestätigte Eismann.

„Schleier, Strapse, ein Hut, das passt alles zusammen", rief eine Stimme.

„Der Trichter stellt vielleicht ein Sektglas dar", sagte jemand lachend.

Der Hauptkommissar beantwortete diese Zurufe mit zufriedenem Kopfnicken. „Was aber, meine Herren", fragte er dann lauernd, „bedeutet die Neun in der Mitte? Auf sie kommt es an."

Die Journalisten, die Gefallen an dem Spiel gefunden hatten, verstummten. Man bemerkte geradezu, wie es in ihren Köpfen arbeitete. Vermutungen wurden laut, die irgendwelche Hausnummern und Fernverkehrsstraßen betrafen. Endlich rief einer der Reporter ungeduldig „Nun sagen Sie es schon, Herr Eismann. Wie lange wollen Sie uns denn noch auf die Folter spannen!"

„Man darf sich nicht an der Neun festklammern", half ihm der Hauptkommissar auf die Sprünge. „Überlegen Sie, eine Neun, das ist eine umgekehrte Sechs. Eine Sechs in der Mitte, genauer: Eine Sechs im Zentrum, das heißt..." „Sexy-Center", fiel ihm sofort jemand ins Wort. „Genau", schrie Eismann, „Sexy-Center, das war des Pudels Kern. Ich sagte doch, der Maler war ein Eigenbrötler, keinem seiner wenigen Freunde war bekannt, dass er dort ein- und ausging. Dabei stellte er das Milieu auf seine Art immer wieder dar. In der Art des Pointillismus eben. Nachdem wir auf diese Spur gestoßen waren, glich alles Weitere einem Kinderspiel. Wir erfuhren von dem Verhältnis, das Hörnler mit einer jungen Tänzerin hatte, und von der Eifersucht des Barkeepers. Eine Haussuchung bei ihm förderte die Schusswaffe zutage. Soll ich Ihnen noch mehr erzählen? Es war die einfachste Sache der Welt."

Die Diebin

Innerlich war Philipp seit seiner Scheidung auf eine neue Begegnung eingestellt, aber dass sie sich so zutragen würde, konnte er nicht ahnen.

Es geschah im Warenhaus, an einem „langen Sonnabend" - die Menschen drängten sich an den Tischen. Zwischen älteren Ehepaaren und jungen Leuten mit Kindern eingequetscht, fuhr Philipp auf der Rolltreppe nach unten zum Erdgeschoss. Er fühlte sich zufrieden, denn seine Aufgabe, für die Mutter ein schnurloses Telefon zu erstehen, war gelöst. Er hatte lange überlegt, was er der alten Dame zum Geburtstag schenken sollte und war sich sicher, dass sie an so etwas Freude haben würde.

„Siegfried, Liebster, da bist du ja endlich!" Philipp hatte kaum den Fuß von der Rolltreppe gesetzt, als ihm eine junge Frau um den Hals fiel. Sie war schwarzhaarig, einen halben Kopf kleiner als er, und es wäre gelogen gewesen, hätte er behauptet, sie je im Leben gesehen zu haben. Dennoch presste sie sich so heftig an ihn, dass er unter der Sommerbluse ihre weichen Brüste spürte.

Um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und weil seinen Körper ein jähes, prickelndes Glücksgefühl durchrann, hielt Philipp fest, was sich da an ihn drückte. Und obwohl sonst nicht besonders schlagfertig, erwiderte er für sich selbst überraschend: „Ich bin aufgehalten worden, Annette." Dabei suchten seine Augen einen Blick von ihr zu erhaschen.

Diese Reaktion schien nicht in ihr Konzept zu passen, seine Umklammerung irritierte sie offenbar. Sie schob ihn mit beiden Händen zurück. „Verzeihung, ich bin nicht Annette", flüsterte sie, „es war ein Irrtum."

Schon tauchte sie in der Menge unter, er war viel zu verblüfft, um ihr zu folgen. Von der Höhe seiner ein Meter vierundachtzig herab konnte er allerdings noch beobachten, wie sie ein Stück weiter vorn von einem Mann zur Rede gestellt wurde. Es gab einen kurzen Wortwechsel, dann steuerten die beiden - sie mit einem beleidigten Achselzucken - eine Tür an, die zu den Büroräumen führte.

Einen Augenblick lang hatte Philipp an ein echtes Versehen der Frau geglaubt und an einen eifersüchtigen Freund, nun kam ihm ein anderer Verdacht, Er tastete nach seinem Portemonnaie. Ein Glück, es hatte sich nicht verflüchtigt.

Den mit Strass besetzten, schicken Armreif dagegen fand Philipp erst später, erst als er das Kaufhaus bereits verlassen hatte. Er steckte in seiner Jackentasche. Übermäßig wertvoll war das Stück sicherlich nicht, er schätzte es auf etwa fünfzig Mark. Dennoch stürzte es ihn in einen Konflikt, denn das Ereignis von vorhin erhellte sich nun. Die Frau, eine Diebin, hatte den Schmuck im Warenhaus gestohlen, sich aber offenbar von einem Detektiv beobachtet gefühlt und die Beute an ihn, Philipp, weitergereicht. Seine Pflicht wäre es jetzt wohl gewesen, den Gegenstand zurückzubringen. Doch was, wenn man ihn selbst für den Spitzbuben oder zumindest für einen Komplizen hielt? Wie sollte er das Gegenteil beweisen?

Außerdem spürte er noch immer den Hauch ihrer Haut auf seiner - eine sehr angenehme Erinnerung. Vielleicht hatte sich die Schwarzhaarige nur ein einziges Mal verleiten lassen und bereute schon. Nein, er wollte weder sich noch sie in Schwierigkeiten bringen. Viel besser war da ein anderer Gedanke, sie nämlich zur Rede zu stellen, an ihr Gewissen zu appellieren. Doch dazu musste er sie erst einmal finden.

Philipp, Angestellter beim Stadtverkehr und ein geduldiger Mensch, tat sein Möglichstes. Über eine Stunde wartete er vor dem Kaufhaus, hielt Ausschau nach der Schwarzhaarigen. Er überlegte sogar, ob er in das Warenhaus zurückkehren und dort nach ihr suchen sollte. Aber mit dem zweifellos gestohlenen Armreif traute er sich das nicht. Erst als er annehmen musste, dass die Frau längst durch einen anderen Ausgang entwischt war, stieg er in seinen Wagen und fuhr nach Hause.

Er deponierte den Reif in der Schreibtischschublade, vielleicht würde er ihn später ins Fundbüro bringen. Die Suche nach der Diebin gab er deshalb noch lange nicht auf. Im Gegenteil, so oft er Zeit hatte, ging er in dieses oder in andere Kaufhäuser der Stadt. Er bemühte sich, die Fremde aufzuspüren, hoffte auf den Zufall.

Philipp wusste nichts von der jungen Frau, sah keine Möglichkeit, an ihren Namen oder ihre Adresse zu gelangen. Doch er war überzeugt, im entscheidenden Moment würde er sie wieder erkennen. Es war eine Schicksalsbegegnung gewesen, und sie würde sich wiederholen.

Deshalb überraschte es ihn auch keineswegs, als er sie Wochen später, zwar nicht im Warenhaus, doch bei einem Nachmittagsspaziergang am Fluss traf. Sie führte ein kläffendes weißes Hündchen aus. Und sie war ohne Begleiter.

Das kurz geschnittene dunkle Haar, das schmale Gesicht mit der etwas zu groß geratenen Nase, die gesamte Gestalt - kein Zweifel, sie war es. Was ihm die Erinnerung nicht mehr vermittelte, sagte die Intuition. Ein Gefühl der Freude erfasste Philipp, und es machte ihm nichts aus, dass sie an ihm vorüberging, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Nur ihr Hund beschäftigte sich angelegentlich mit seinem linken Schuh.

„Bobby, komm her, was fällt dir ein!"

Hatte es nicht genauso geklungen wie ihr Ausruf damals an der Rolltreppe: „Siegfried, Liebster, da bist du ja endlich!"

Philipp war entzückt, er erwiderte: „Lassen Sie das Hündchen ruhig schnuppern, Annette, es ist nur ein wenig neugierig."

Die Frau schaute ihn erstaunt an. „Wie kommen Sie auf Annette?", fragte sie abweisend.

„Erinnern Sie sich nicht an mich, es ist schon ein paar Wochen her."

Sie schüttelte den Kopf. „Ich heiße nicht Annette, bin Ihnen meines Wissens noch nie begegnet."

Entweder hatte sie die Geschichte völlig verdrängt, oder sie verstellte sich.

Sie kamen dennoch ins Gespräch. Philipp konnte durchaus galant und sogar hartnäckig sein. Fürs erste sagte er nichts über den Armreif, er hatte ja Zeit. Er lud sie ins Cafe ein, sie unterhielten sich über Ferienreisen und Fahrräder, denn es stellte sich heraus, dass sie sehr gern mit dem Rad fuhr. Auch war sie zurzeit solo wie er - ein glücklicher Umstand. Nichts hielt sie also ab, die gegenseitigen Kontakte zu vertiefen.

Man traf sich erneut, man ging gemeinsam ins Kino, man verbrachte das Wochenende miteinander. Linda war ein bisschen launisch, aber sie konnte sehr lieb sein. Ihre Brüste, die er nun ohne jeden Stoff auf der Haut spüren durfte, waren noch weicher und erregender, als er es je erträumt hatte. Mit einem Wort, sie war die richtige Frau für ihn.

Doch bei alldem vergaß Philipp nicht ihre erste Begegnung im Warenhaus, und da er insgeheim Moralist war, konnte er schließlich nicht mehr umhin, ihr den gestohlenen Armreif zu präsentieren. Zumal ihm auffiel, dass sie eine Menge ähnlicher Stücke bei sich herumliegen hatte. Offenbar so etwas wie eine Manie.

„Ich hab ihn seit damals aufbewahrt, wir müssen darüber reden", sagte er.

„Aufbewahrt, inwiefern? Reden, worüber?"

„Bitte verstell dich nicht. Du hast ihn mir seinerzeit im Kaufhaus zugesteckt, damit dich der Detektiv nicht erwischt."

„Ich? Bist du verrückt? Wie kommst du auf eine solche Idee?"

„Weil man so etwas nicht vergisst. Deine Augen, dein Haar, deine Haut. Meine Liebe zu dir rührt von dieser ersten Begegnung her."

„So", sagte Linda nachdenklich und offensichtlich auch beeindruckt, „dann war das am Fluss kein Zufall."

„Ja und nein. Auf jeden Fall müssen wir uns aussprechen. Ich nehme an, die Sache ist dir damals, na ja, einfach unterlaufen. Die Versuchung durch all dieses Glitzerzeug..." Philipp zeigte auf ihre Ketten und Ringe.

„Das ist alles geklaut", erwiderte Linda ernsthaft.