Tschechische Märchen -  - E-Book

Tschechische Märchen E-Book

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Beschreibung

Hierzulande kennen wir tschechische Märchen vor allem durch die beliebten Verfilmungen – »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« etwa gehört inzwischen zum Pflichtprogramm in der Adventszeit. Die Geschichten enthalten viele Motive des klassischen Zaubermärchens wie den Sieg des Guten über das Böse, Zwerge, Riesen, Hexen und sprechende Tiere. Besonderen Charme verleiht ihnen zudem das böhmisch-slawische Brauchtum und Lokalkolorit. Der reich bebilderte Band enthält unter anderem Texte aus den Märchensammlungen Karel Erbens und Božena Němcovás, die in Tschechien so bekannt sind wie die Grimms in Deutschland.

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Seitenzahl: 428

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Tschechische Märchen

Herausgegeben und mit einem Vorwortvon Erich Ackermann

Anaconda

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt undenthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugteNutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzungdurch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitungoder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere inelektronischer Form, ist untersagt und kann straf- undzivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 by Anaconda Verlag, einem Unternehmender Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagmotiv: Photo © Fine Art Images / Bridgeman Images

Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de

Satz und Layout: InterMedia – Lemke e. K., Heiligenhaus

ISBN 978-3-641-30730-1V001

www.anacondaverlag.de

Inhalt

Vorwort

Der Feuervogel und der Rotfuchs

Die Nixe Linda

Drei Haselnüsse für Aschenbrödel

Liduschka und die Frau des Wassermanns

Die Waldfrau

Gevatter Matej

Der schwarze Vogel

Die drei Spinnerinnen

Das hölzerne Kind

Smolinek und Goldgeweih

Sterntaler für Božena

Das Knusperhäuschen

Der Hirt und die Zwerge

Der gute Rat

Der Lange, der Breite und der Scharfäugige

Der Schafhirt und der Drache

Die drei Goldhaare von Großvater Allwissend (Ded-Vscheved)

Die Prinzessin mit dem Goldstern auf der Stirn

Die schlaue Prinzessin

Gut, dass der Tod auf der Welt ist

Kater, Hahn und Sense

Wie der Schuster in den Himmel kam

Wie der Wagner König wurde

Wer hat die Tauben gegessen?

Warum die Hunde die Katzen anknurren

Vom Hähnchen und vom Hühnchen

Verstand und Glück

Tibor der Starke

Sonnenkönig, Mondkönig, Windkönig

Eine Fee, die Augen stiehlt

Der gläserne Berg

Der alte Hund und der Wolf

Der lustige Schwanda

Die drei Tauben mit den goldenen Federn

König Iltis

Die Suche nach Prinzessin Wunderschön

Das goldene Spinnrad

Töpfchen, koch!

Zitek, der Hexenmeister

Die Wundersalbe

Geschichten von einem Kobold: Rarasch und Schotek

Die drei Wunderfische

Märchen ohne Ende

Quellenverzeichnis

Quellentexte

Vorwort

Das klassische Repertoire der tschechischen Märchen ist in einer Zeit entstanden, als es geografisch wie auch historisch noch keinen eigentlichen tschechischen Staat gab, wohl aber eine Sprache dieses Namens. Drei große Regionen umfasst das Gebiet, das heute die Tschechische Republik bildet: Böhmen im Westen, Mähren im Osten und ein Teil Schlesiens.

Im 6. Jahrhundert nach Christus wurde das böhmische und mährische Gebiet von slawischen Völkern kolonisiert und stand bald unter der Herrschaft des Königsgeschlechts der Premys­liden, die dann das Herzogtum und spätere Königreich Böhmen und die Markgrafschaft Mähren sowie Teile Polens einschließlich Schlesiens, Ungarns und Österreichs regierten. Das Königreich Böhmen war ein Staat in der Region Böhmen, in den Gebieten, die heute in etwa der Tschechischen Republik entsprechen. Der ­König von Böhmen war für den größten Teil der Geschichte des ­Königreichs auch ein Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches bis zu dessen Auflösung im Jahr 1806, und viele Könige von Böhmen waren auch Kaiser. Die Hauptstadt Prag war damit das eigent­liche Zentrum des Heiligen Römischen Reiches im 14. Jahrhundert und sein Einfluss erstarkte wieder im 16. und 17. Jahrhundert. Ab 1526 wurde das Königreich zuerst vom Hause Habsburg, dann von Habsburg-Lothringen regiert. Nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches wurde es Teil des österreichischen Reiches und bald offiziell auch der österreichisch-ungarischen Monarchie.

Bis zum 19. Jahrhundert wurde die tschechische Sprache offiziell als böhmisch bezeichnet und auch von der Regierung verwendet, während Deutsch für die Verwaltung und für mehrere deutschsprachige Gebiete weit verbreitet war. 1627 wurden beide Sprachen offiziell gleichgesetzt, wobei sich das Tschechische mehr und mehr durchsetzen konnte. Der königliche Hof verwendete je nach der historischen Epoche Tschechisch, Deutsch und Latein als Amtssprache.

Nach der Niederlage der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg wurde die österreichisch-ungarische Monarchie aufgelöst, und Böhmen wurde 1918 Teil der neu gegründeten Tschechoslowakischen Republik. Im Januar 1993 trennten sich dann der tschechische und der slowakische Teil friedlich, und die Tschechische und die Slowakische Republik wurden neue eigenständige Staaten, die auch sogleich als solche von den Vereinten Nationen anerkannt wurden.

Im Zuge der Romantik vollzog sich auch in Böhmen eine Rückbesinnung auf das Erbe des eigenen von der tschechischen Sprache geprägten Volksguts. Auch von den deutschen Romantikern unterstützt wurde das Interesse an alten Sagen und Märchen geweckt. Die tschechische Nationalbewegung (Wiedergeburt) hatte das Ziel, die tschechische Sprache, Kultur und nationale Identität wiederzubeleben, enthielt aber ebenso das Streben nach politischer Autonomie. Doch die Revolution von 1848 in Prag, die liberale Reformen und Autonomie der böhmischen Krone innerhalb des österreichischen Kaiserreichs anstrebte, wurde niedergeschlagen. Erst 1897 gab es einen österreichisch-tschechischen Ausgleich, der verordnete, dass alle Gemeinden in Böhmen und Mähren zweisprachig verwaltet werden mussten; damit wurde in beiden Kronländern die tschechische Sprache von einer Minderheitensprache zur Nationalsprache.

Erst als mit der Romantik und besonders unter dem Einfluss der Brüder Grimm überall in Europa Märchen und Volksdichtungen gesammelt wurden, ergriff dieser Sammeleifer bald auch Böhmen und Mähren, die immer in engem Kontakt zu den deutschsprachigen Nachbarländern standen, von denen Märchenthemen und Motive hin und her schwappten und sich gegenseitig beeinflussten. Hinzu kamen im böhmischen Reich noch starke Einflüsse des Volksglaubens und der Mythologie aus der slawischen Nachbarschaft.

Die bekannteste Märchensammlerin dieser Zeit war die Tschechin und gebürtige Wienerin Božena Němcová (1820 bis 1862), die tschechische und slowakische Volksmärchen und ­Sagen zusammentrug. Ein wichtiger Sammler von volkstüm­lichen Geschichten, Märchen und Sagen war daneben der Archivar und Schriftsteller Karel Jaromir Erben (1811–1870). Auch in deutscher Sprache wurde bald von Joseph Wenzig 1857 ein Westslawischer Märchenschatz und von Alfred Waldau 1860 ein Böhmisches Märchenbuch herausgegeben, welche beide die wichtigsten tschechischen Märchensammler in sich vereinigten.

Die tschechischen Märchen sind ihrem Typ und ihren Motiven nach westeuropäische Märchen und verdanken vieles den Brüdern Grimm. Auch sie enthalten eine ganze Bandbreite von Zaubermärchen, novellistischen Stoffen, Tiermärchen, Anek­doten, Scherzgeschichten, Schwänken und Legenden. Doch auch die Geschichte der heutigen Tschechischen Republik spiegelt sich in ihnen wieder: diese war seit vielen Jahrhunderten ein mitteleuropäisches Vielvölkerzentrum, das von Böhmen, Mährern, Schlesiern, Slowaken, Ungarn, Polen, Ostslawen, ­Juden, Sinti und Roma sowie von Deutschen und Österreichern bewohnt war. Deren kultureller Austausch und Vermischung blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Themen und Motive der volkstüm­lichen Erzählungen, die den unverwechselbaren Hintergrund und auch das Lokalkolorit widerspiegelten.

Und nicht zuletzt ist es der tschechische Märchenfilm gewesen, der ab 1950 viele der klassischen tschechischen Märchen, aber auch solche der Brüder Grimm einem breiten Publikum immer wieder liebevoll nahebringt. Untrennbar mit Weihnachten verbunden dürfte heute für Alt und Jung wohl immer wieder der zauberhafte Märchenfilm Drei Haselnüsse für Aschenbrödel von Václav Vorlíček (1973) sein; an ihm kann aber auch wegen der zahlreichen Wiederholungen auf etlichen Kanälen keiner mehr vorbeikommen.

Der Feuervogel und der Rotfuchs

Ein König hatte einen großen schönen Garten, worin gar viele seltene und kostbare Bäume standen, doch der allerseltenste war ein Apfelbaum, der in der Mitte des Gartens stand. Er trug jeden Tag einen Apfel, und dieser war golden. Am Morgen noch war er nur eine Blüte, den Tag über aber wuchs und gedieh der ­Apfel und am Abend war er reif. Und am nächsten Morgen blühte schon wieder ein anderer. Aber keiner von diesen reifen Äpfeln hing noch am nächsten Tag am Baum. Jedes Mal verschwand er des Nachts vom Baum, und niemand wusste, wie das geschah und wo der Apfel geblieben war. Darüber war der König sehr betrübt; schließlich rief er seinen ältesten Sohn zu sich und sprach zu ihm:

»Heute in der Nacht wirst du beim Apfelbaum Wache halten. Bekommst du heraus, wer mir diese Äpfel stiehlt, werde ich dich überreich entlohnen, und mich dafür erkenntlich zeigen. Gelingt es dir aber sogar, den Dieb zu fangen, will ich dir dafür die Hälfte des Königreiches geben.«

Sogleich gürtete sich der Prinz mit seinem Schwert, nahm eine Armbrust auf die Schulter, steckte scharf gespitzte Pfeile in den Köcher und begab sich in der Abenddämmerung in den Garten, um Wache zu halten. Dort setzte er sich unter den Apfelbaum und wartete. Er saß noch nicht lange da, als ihn der Schlaf plötzlich überkam, und er konnte sich dessen nicht erwehren: die Hände sanken ihm ins Gras, seine Augen fielen ihm zu und er schlief fest bis zum hellen Tag. Als er in der Frühe erwachte, war indes der Apfel schon wieder verschwunden.

»Hast du den Dieb nicht gesehen?«, fragte ihn der König.

»Nein, es ist niemand gekommen«, antwortete der Sohn. »Der Apfel ist von selbst verschwunden.«

Der König schüttelte ungläubig den Kopf und wandte sich an seinen mittleren Sohn: »Heute ist es an dir, Wache zu halten. Und wenn du den Dieb ertappst, will ich dich reichlich entlohnen.«

Der zweite Sohn bewaffnete sich wie sein älterer Bruder und ging in den Garten, um Wache zu halten. Doch nach einer Weile schlief auch er unter dem Apfelbaum ein, und als er erwachte, war der Apfel weg. Als ihn dann am Morgen der Vater fragte, wer den Apfel genommen habe, antwortete auch er, dass der ­Apfel einfach so verschwunden sei; niemand habe ihn genommen.

Da ging der jüngste Königssohn zu seinem Vater und bat ihn, auch für eine Nacht Wache zu halten.

»Das wird dir kaum gelingen, liebes Kind«, antwortete ihm der Vater. »Du bist ja noch zu jung und unerfahren. Und wenn es deine älteren Brüder nicht geschafft haben, den goldenen ­Apfel zu beschützen, dann wird es dir umso weniger glücken. Doch wenn du willst, dann gehe!«

Am Abend, als es dunkel zu werden begann, ging dann der Jüngste in den Garten. Er nahm gleichfalls ein Schwert, eine Armbrust und einige spitze Pfeile mit sich, doch daneben auch ein Igelfell. Im Garten ließ er sich unter dem Apfelbaum nieder, und breitete das Igelfell auf seinen Knien aus. Dieses sollte ihn aufwecken, wenn ihn der Schlaf überkäme und die Hände zu sinken begännen.

Um Mitternacht nun kam ein goldener Vogel angeflogen, setzte sich auf den Baum und wollte den Apfel abpicken. In diesem Augenblick knarrte die Armbrust und ein Pfeil des Prinzen schnellte los und traf den Vogel am Flügel. Der Vogel flog davon, doch eine goldene Feder aus seinem Flügel fiel zur Erde. Der kostbare Apfel aber blieb am Baum.

»Nun, hast du den Dieb?«, fragte am Morgen der König.

»Ich habe ihn nicht«, entgegnete der Prinz, »aber was nicht ist, kann ja noch werden. Vorläufig habe ich ein Stück von seinem Gewand.« Dabei zog er die goldene Feder hervor und erzählte seinem Vater, was sich in der Nacht ereignet hatte.

Der König freute sich sehr über diese Feder. Sie war so schön und strahlte einen solchen Lichtschein aus, dass nachts im königlichen Thronsaal keine anderen Lichter mehr angezündet zu werden brauchten. Die Höflinge, die sich in derartigen Dingen auskannten, meinten, diese Feder stamme vom Feuervogel und sei wertvoller als alle anderen Schätze des ganzen Königreichs.

Von dieser Zeit an zeigte sich der Feuervogel nicht mehr im Garten, und die Äpfel kamen auch nicht mehr abhanden. Doch sie erfreuten auch den König nicht mehr, denn er musste ständig an den Feuervogel denken und war tief betrübt, dass er ihn nicht sein eigen nennen konnte. Dieser Kummer bedrückte ihn so sehr, dass sein Herz immer mehr ermattete. Eines Tages rief er seine drei Söhne zu sich und sprach:

»Liebe Söhne! Ihr seht, dass es mir von Tag zu Tag schlechter geht. Aber ich weiß bestimmt: Wenn ich den Feuervogel singen hören könnte, dann wäre mein Herz wieder schnell gesund und munter. Wer von euch dreien mir den Feuervogel lebendig bringt, damit er für mich singt, dieser soll sodann gleich die Hälfte des Königreichs bekommen und nach meinem Tod mein Nachfolger werden.«

Da trafen die Söhne sogleich Reisevorbereitungen für ihre Suche nach dem goldenen Wundervogel, nahmen Abschied vom Vater und brachen auf. Sie ritten noch nicht lange und schon kamen sie in einen Wald, und im Wald zu einem Kreuzweg.

»Welchen Weg sollen wir einschlagen?«, fragte da der älteste Bruder.

»Wir sind drei, und haben vor uns drei Wege«, meinte der zweite. »Jeder soll also einen davon nehmen. Wenn wir nach drei Seiten weiter reiten, werden wir den Feuervogel leichter entdecken.«

»Und welchen Weg soll jeder von uns nehmen?«

»Jeder von euch beiden soll die Straße wählen, die ihm beliebt. Ich werde den Weg einschlagen, der übrig bleibt«, so der Jüngste.

Die Brüder waren damit zufrieden, und jeder wählte sich einen Weg, den er zu reiten vorhatte. Da sagte einer:

»Lasst uns an dieser Stelle hier irgendein Zeichen zurücklassen, damit der von uns, der zuerst hierher zurückkommt, gleich weiß, wie es den anderen ergangen ist. Wir wollen jeder ein Reis in die Erde stecken: wessen Reis grün ausschlägt, der ist der glückliche, der den Feuervogel gefunden hat.«

Den Brüdern gefiel dieser Plan, und jeder steckte am Rande seines Wegs ein Reis in die Erde, und dann ritten sie auseinander.

Der älteste Königssohn ritt auf seinem Weg stets vorwärts, bis er auf eine Berghöhe kam. Dort sprang er vom Pferd, ließ es frei in der Umgegend weiden und setzte sich selbst im Gras nieder. Dann nahm er seinen Proviant hervor und begann sich zu stärken. Auf einmal kam ein kleiner roter Fuchs zu ihm geschlichen.

»Bitte, junger Herr«, flehte er, »ich habe solchen Hunger. Gib mir auch etwas davon!«

Als der Königssohn den Fuchs erblickte, griff er nach seiner Armbrust und schoss einen scharfen Pfeil nach ihm ab. Er sah nicht, ob er ihn getroffen oder verfehlt hatte, der Fuchs war verschwunden.

Dem zweiten Bruder erging es ebenso. Als er sich auf einer weiten Wiese bequem im Gras ausstreckte und seinen Proviant auspackte, kam zu ihm ebenfalls der hungrige rote Fuchs und bat um eine Gabe für sich. Doch auch der mittlere Bruder schoss nach dem Tier, das dann vor seinen Augen entschwand.

Der jüngste Bruder ritt vor sich hin, bis er zu einem Bach kam. Da auch er müde und hungrig war, stieg er vom Pferd ab und ließ sich am Ufer des Bachs auf dem Gras nieder, um etwas von seinem Proviant zu sich zu nehmen. Als er zu essen begann, erblickte er ebenfalls den roten Fuchs, der ihm immer näher kam, bis er in einer kleinen Entfernung stehen blieb.

»Bitte, junger Herr«, ich bin sehr hungrig; gib mir doch etwas von deinem Essen ab!«

Der Prinz warf ihm sogleich ein Stückchen Rauchfleisch hin mit den Worten:

»Komm her, kleiner Fuchs! Hab keine Angst! Ich merke, dass du hungriger bist als ich, und für heute zumindest werden wir beide genug haben.«

Dann machte er aus seinen Proviant zwei Teile: den einen für sich, den anderen für den Fuchs. Dieser aß sich dann satt und sagte:

»Du hast mich gut gefüttert, und dafür danke ich dir. Steige nun auf dein Pferd und reite mir nach. Wenn du dann tust, was ich dir rate, wird der Feuervogel dir gehören.« Dann lief er voraus und bahnte ihm mit seinem buschigen roten Schweif den Weg. Die Höhen wehte er im Nu weg, die Täler füllte er aus und über die Gewässer baute er Brücken. Der Prinz galoppierte hinter ihm her, bis er sich plötzlich vor einem kupfernen Schloss befand.

»In diesem Schloss befindet sich der Feuervogel«, sagte ihm da der Fuchs. »Begib dich genau zur Mittagsstunde hinein; da werden die Wächter schlafen. Du aber verweile nirgends und säume dich nicht. In dem ersten Saal wirst du zwölf schwarze Vögel in goldenen Käfigen vorfinden, im zweiten wirst du zwölf goldene Vögel in hölzernen Käfigen sehen, im dritten Saal wird der Feuervogel auf einer Stange sitzen. Neben ihm stehen zwei Käfige, einer aus Gold und einer aus Holz. Du aber setz den Vogel nicht in den goldenen, sondern in den hölzernen hinein, sonst wird es dir schlecht ergehen.«

Der Königssohn tat so. Er ging in das kupferne Schloss und fand dort alles so vor, wie es ihm der rote Fuchs gesagt hatte. Im dritten Saal saß der Feuervogel auf einer Stange und schien zu schlafen. Er war so schön, dass dem Prinzen vor Freude das Herz im Leibe hüpfte. Er nahm ihn und setzte ihn dann in den hölzernen Kasten. Dann aber besann er sich anders und meinte, ein so schöner Vogel in einem so schäbigen Käfig, das passe sich nicht. Und so nahm er ihn aus dem hölzernen Käfig heraus und setzte ihn in den goldenen. Doch kaum hatte er diesen geschlossen, da erwachte der Feuervogel und ließ einen Pfiff ertönen, und sogleich erhob sich in den beiden vorderen Sälen ein solches Pfeifen und Kreischen aller Vögel, dass die Männer auf der Tor­wache davon wach wurden. Sie liefen gleich herbei, ergriffen den Prinzen und führten ihn vor den König.

»Wer bist du, Dieb«, ging der König ihn erzürnt an, »dass du es gewagt hast, durch so viele Wachen hindurch zu schleichen, um meinen Feuervogel zu stehlen?«

»Ich bin kein Dieb«, erwiderte der Königssohn, »doch bin ich gekommen, um den Dieb zu holen, den du bei dir versteckst. Wir haben daheim in unserem königlichen Garten einen Apfelbaum, der goldene Äpfel trägt. Jeden Tag gibt es nur eine Blüte, und dann reift eine einzige Frucht daraus, die dein Feuervogel uns dann stets in der Nacht stiehlt. Der König, mein Vater, ist sehr krank, sein Herz gebricht ihm fast, und er wird nicht eher gesund, bis er deinen Feuervogel singen hört. Und deshalb bitte ich dich: schenke ihn mir!«

»Du kannst ihn haben«, gab ihm der König zur Antwort, »wenn du mir dafür das Pferd Goldmähne bringst.«

»Warum hast du nicht getan, was ich dir geraten habe, und den Vogel in den Käfig goldenen Käfig gesetzt?«, fragte der Fuchs den Prinzen ärgerlich, als er diesen wieder vor dem Schloss traf.

»Ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht«, sagte der Prinz zu ihm, »doch sei mir deswegen nicht mehr böse. Sage mir vielmehr, ob du etwas über das Pferd Goldmähne weißt.«

»Ich weiß davon«, so dann der Fuchs, »und ich werde dir auch zu ihm verhelfen. Steig auf dein Pferd und reite mir nach!«

Dann lief er weiter voraus und bahnte den Weg mit seinem buschigen Schweif. Der Prinz trabte ihm nach, bis sie schließlich vor einem silbernen Schloss standen.

»In diesem Schloss befindet sich das Pferd mit der Goldmähne«, sprach da der rote Fuchs. »Begib dich genau um die Mittagsstunde dahin, denn dann schlafen alle Wächter, und halte dich nirgends auf. Im ersten Marstall wirst du zwölf Rappen mit goldenen Halftern finden, im zweiten zwölf Schimmel mit schwarzen Halftern und im dritten steht das Ross mit der Goldmähne an seinem Trog. An der Wand daneben hängen zwei Halfter, ein goldener und ein lederner. Sei aber auf der Hut: den goldenen Halfter lasse hängen und lege ihm nur den ledernen an, sonst wird es dir schlecht ergehen.«

Der Königssohn ging in das Schloss und fand wieder alles so vor, wie der Fuchs es ihm gesagt hatte. In dem dritten Marstall stand das Goldmähnenross vor einem silbernen Trog und fraß daraus loderndes Feuer. Es war so schön, dass der Prinz sich an ihm gar nicht sattsehen konnte. Dann nahm er von der Wand den ledernen Halfter mit dem schwarzen ledernen Zaumzeug ab und legte ihn dem Pferd Goldmähne an. Das Pferd stand still wie ein Lämmchen. Doch dann blickte er zur Wand und sah dort den wunderschönen goldenen Halfter, der reich mit Edelsteinen besetzt war, und er war von dessen Schönheit überwältigt. Und wieder war er der Meinung, das einfache Zeug passe doch nicht für ein so herrliches Tier, und er nahm dem Pferd den ledernen Halfter wieder ab und legte ihm den goldenen an. Aber kaum spürte das Pferd das goldene Zaumzeug, da begann es sich aufzubäumen und wieherte heftig. Da fingen auch zugleich alle anderen Pferde in den ersten zwei Marställen an zu springen und zu wiehern. Die Wachposten schreckten aus dem Schlaf auf, liefen herbei, ergriffen den Königssohn und brachten ihn vor den König.

»Wer bist du, Dieb«, schrie ihn der König erzürnt an, »dass du es gewagt hast, durch so viele Wachen hindurch zu schleichen, um mein Pferd Goldmähne zu stehlen?«

»Ich bin kein Dieb«, erwiderte der Königssohn, »nur ungern bin ich gekommen, um dein Pferd zu holen, aber ich musste es tun.«

Und dann erzählte er ihm, wie sich alles von Anfang an zugetragen hatte und wie ihm der König des Kupferschlosses den Feuervogel nicht geben wollte, wenn er nicht dafür das Pferd Goldmähne bekomme. Und er bat den König, ihm das Pferd doch zu geben.

»Du kann es haben«, sagte darauf der König, wenn du mir dafür die Prinzessin Goldhaar aus dem Goldschloss im Schwarzen Meer bringst.«

Der rote Fuchs hatte indessen draußen im Wald auf den Prinzen gewartet, und als er sah, dass dieser ohne das Pferd zurückkehrte, war er sehr über ihn erzürnt:

»Habe ich dir nicht gesagt, du solltest die Goldhalfter an der Wand hängen lassen und die ledernen nehmen? Mit dir gibt man sich vergeblich Mühe. Wem nicht zu raten ist, dem ist auch nicht zu helfen.«

»Sei mir nicht böse, lieber Fuchs«, antwortete der Prinz zerknirscht. »Ich habe wieder einen Fehler gemacht. Aber bitte, hilf mir nur noch ein einziges Mal!«

»Noch einmal und zum letzten Mal will ich dir helfen«, erwiderte der rote Fuchs, »und wenn du alles tust, so wie mich es dir sage, kannst du alles gutmachen, was du in deiner Unvernunft verdorben hast. Steige auf dein Pferd und reite mir nach.«

Hierauf lief er voraus und bahnte dem Prinzen den Weg, bis dieser zu dem Goldschloss im Schwarzen Meer kam.

»In diesem Schloss«, so erzählte dann der Rotfuchs, »herrscht die Meereskönigin. Sie hat drei Töchter, wovon die jüngste die Prinzessin Goldhaar ist. Gehe hin und bitte die Meereskönigin, dass sie dir eine von diesen Töchtern zur Gattin gibt. Und wenn sie sagt, du könntest dir eine auswählen, so nimm die, welche am einfachsten gekleidet ist.«

Die Meereskönigin empfing den Prinzen freundlich, und als er ihr die Ursache seines Kommens nannte, führte sie ihn in ein Gemach, wo ihre drei Töchter saßen und spannen. Eine war der anderen so ähnlich, dass niemand auf der Welt sie unterschieden hätte, und alle waren so schön, dass dem Prinzen der Atem stockte, wenn er ihnen in die Augen blickte. Jede hatte das Haupt mit einem Schleier umwunden, damit man nicht sehe, welche von ihnen goldenes Haar habe, und jede war auch anders gekleidet. Der Schleier und das Gewand der einen war mit Gold durchwirkt und sie spann mit einer goldenen Spindel; die andere trug einen Schleier und ein Kleid, das mit Silber bestickt war, und hatte eine silberne Spindel in der Hand; die dritte hatte nur ein sauberes weißes Kopftuch umgebunden, trug weiße Kleidung und spann mit einer gewöhnlichen Spindel.

»Wähle dir die, die du willst«, sprach zu ihm die Königin, und der Prinz zeigte auf die weißgekleidete junge Prinzessin: »Die da gib mir!«

»Hoho!« rief die Königin. »Das ist nicht dein eigener Einfall. Warte noch bis morgen!«

Der Prinz konnte die ganze Nacht nicht schlafen vor lauter Sorgen, wie es ihm am nächsten Morgen ergehen werde, und als das erste Licht im Osten zu funkeln begann, ging er in den Schlossgarten hinaus. Kaum hatte er ihn betreten, da stand, ganz und gar unverhofft, die weiße junge Prinzessin vor ihm und sagte:

»Wenn du mich heute erkennen willst, so gib Acht, um welche von uns dreien eine Fliege umherschwirren wird.« Und so schnell sie gekommen war, so schnell war sie auch wieder verschwunden.

Am Nachmittag führte die Königin den Prinzen wieder in das Gemach der drei Prinzessinnen und sprach zu ihm:

»Wenn du diejenige, die du dir gestern erwählt hast, wiedererkennst, so soll sie dir gehören; wenn nicht, hast du dein Leben verwirkt.«

Die drei Töchter standen nebeneinander; eine sah wie die andere aus. Alle waren kostbar und schön gekleidet und alle drei hatten goldene Haare, und diese leuchteten so schön, dass davon dem Prinzen schier das Sehen verging. Als sich eine Weile später seine Augen von dieser Blendung erholt hatten, bemerkte er, dass um die eine Prinzessin eine kleine Goldfliege herumschwirrte.

»Diese Prinzessin soll mir gehören!«, rief er aus. »Die habe ich erwählt!«

Die Königin war erstaunt, dass er jene Prinzessin erkannt hatte, und rief:

»So leicht wirst du sie nicht bekommen. Morgen musst du eine Aufgabe vollbringen, die ich dir auferlege.«

Am nächsten Morgen in aller Früh zeigte sie ihm einen großen Teich beim Wald, gab ihm ein kleines goldenes Sieb und sprach:

»Wenn du mit diesem Sieb diesen Teich bis zum Abend ausschöpfst, wird Prinzessin Goldhaar dein; wenn nicht, wird es dich deinen Kopf kosten.«

Der Prinz nahm das Sieb und ging traurig zum Teich hin; er senkte es ins Wasser und schöpfte; doch wie er das Sieb wieder heraushob, rann alles Wasser wieder bis auf den letzten Tropfen heraus. Da er sah, dass er auf diese Weise nicht weiter kommen konnte, setzte er sich ans Ufer, legte das Sieb neben sich und dachte darüber nach, wie er sich helfen könne. Plötzlich stand wieder ganz unverhofft die weiße Prinzessin neben ihm und sprach:

»Warum bist du denn so traurig?«

»Wie sollte ich denn fröhlich sein«, antwortete er, »wenn ich sehe, dass ich dich nicht bekommen kann. Deine Mutter hat mir eine Aufgabe gestellt, die unmöglich zu erfüllen ist.«

»Sei ohne Sorge«, tröstete ihn da die Prinzessin, »das alle lässt sich ausführen.«

Hierauf nahm sie das Sieb und warf es in die Mitte des Teichs. Da begann im ganzen Teich das Wasser auf einmal zu sieden und zu brodeln; dichte Nebelschwaden wälzten sich aus dem Gewässer heraus und breiteten sich auf der Erde aus, dass man kaum drei Schritte vor sich sehen konnte. In diesem Augenblick hörte der Prinz ein Getrappel, und wie er sich umsah, stand da sein Freund, der rote Fuchs, und hinter ihm des Prinzen eigenes Pferd.

»Säume nicht«, rief ihm der Fuchs zu, »setze die Prinzessin vor dich aufs Pferd und reite davon, so schnell es geht!«

Das Pferd flog wie ein Pfeil auf dem Weg zurück, den der Fuchs gebahnt hatte und dann schnell wieder hinter ihm vernichtete: mit dem buschigen Schweif fegte er die Brücken weg, bildete Täler, baute Berge auf und machte alles wieder so, wie es vordem gewesen war. Der Prinz war froh, dass er seine Prinzessin Goldhaar errungen hatte, und doch war er gleichzeitig wieder betrübt, dass er sie dem König des Silberschlosses für das Pferd Goldmähne wieder hergeben musste. Je näher er diesem Schloss kam, desto langsamer ritt er und desto trauriger ward er.

»Nicht wahr, dir tut es leid, dass du die Prinzessin Goldhaar für das Pferd Goldmähne hergeben musst. Ich habe dir schon in manchem geholfen und will dich auch jetzt nicht im Stich lassen.«

So sprach auf einmal der rote Fuchs, sprang im Wald über einen entwurzelten Stamm, schlug einen Purzelbaum, und plötzlich stand da statt des roten Fuchses eine zweite Prinzessin Goldhaar, die ebenso schön war wie die, die vor dem Prinzen auf seinem Pferd saß.

»Deine Prinzessin kann getrost hier im Wald bleiben. Du aber bringe mich zum König im Silberschloss, dass er dir für mich das Pferd Goldmähne ausliefert. Wenn du es dann geholt hast, dann reite mit deiner Prinzessin Goldhaar von dannen.« Das war der Plan des Fuchses.

Der König des Silberschlosses war sehr erfreut, die Prinzessin Goldhaar bekommen zu haben, und gab dem Prinzen ohne zu zögern das Pferd Goldmähne samt dem goldenen Halfter zum Lohn. Dann ließ er der schönen goldlockigen Prinzessin zu ­Ehren ein glänzendes Fest veranstalten und lud alle Größen seines Reiches dazu ein. Nachdem alle schon genug getrunken hatten und in bester Laune waren, fragte dann der König, wie ihnen seine Braut Goldhaar gefalle.

»Sie ist schön«, antwortete einer der Herren frei, »schöner kann sie nicht mehr sein. Doch es scheint mir, als hätte sie die Augen eines Fuchses.«

Kaum hatte er dieses Wort ausgesprochen, so verwandelte sich augenblicklich diese Prinzessin Goldhaar wieder in einen Rotfuchs und mit einem Sprung war dieser zur Tür hinaus und spurlos fort. Er eilte seinem Prinzen und der richtigen Prinzessin Goldhaar nach und zerstörte hinter sich seinen Weg. Mit dem buschigen Schweif fegte er die Brücken weg, hob Täler aus, baute Berge auf, alles wieder so, wie es ehedem war. Als er die beiden eingeholt hatte, waren diese schon nahe bei dem Kupferschloss, in dem sich der Feuervogel befand. »Herrlich nimmt sich die Prinzessin Goldhaar auf dem Pferd Goldmähne aus«, meinte da der Fuchs. »Tut es dir nicht leid, Prinz, das Pferd Goldmähne für den Feuervogel einzutauschen?«

»Wohl tut es mir leid um das Pferd Goldmähne, wenn die Prinzessin Goldhaar es verlieren muss«, erwiderte der Prinz, »aber nicht, wenn ich an meinen Vater denke und daran, dass der Feuervogel ihn wieder gesund machen wird.«

Hierauf dann der rote Fuchs:

»Wo die Prinzessin Goldhaar und das Pferd Goldmähne sind, dort soll auch der Feuervogel sein. Ich habe dir schon in so manchem geholfen und will dich auch jetzt nicht im Stich lassen.«

So sprach er und sprang dann im Wald über einen entwurzelten Stamm, schlug einen Purzelbaum, und statt des roten Fuchses stand da auf einmal ein zweites Goldmähnenpferd, das ganz und gar jenem ähnlich war, auf dem die Prinzessin Goldhaar saß.

»Bring mich vor den König des Kupferschlosses«, sagte er dann zum Prinzen, dass er dir für mich den Feuervogel ausliefert. Wenn du ihn dann hast, so reite schnell von dannen.«

Der König freute sich gar sehr über das Pferd mit der Goldmähne und gab dem Prinzen ohne Zögern den Feuervogel samt dem goldenen Käfig zum Lohn. Dann lud er viele hohe Herren zu sich auf sein Kupferschloss ein, prahlte mit seinem Goldmähnenpferd und fragte sie, ob es ihnen gefalle.

»Es ist schön«, antwortete da einer der hohen Herren, »schöner kann es nicht mehr sein. Doch scheint es mir, als hätte es den Schweif eines Fuchses.«

Kaum aber hatte er dies ausgesprochen, so verwandelte sich dieses Goldmähnenpferd wieder in die Gestalt eines roten Fuchses, und mit einem Sprung war dieser hinaus zum Tor und spurlos weg. Er eilte dem Prinzen und der goldhaarigen Prinzessin nach, vernichtete hinter ihnen im Lauf die Wege und erreichte sie, als sie schon nahe bei dem Bach waren, wo er selbst zum ersten Mal mit dem Prinzen zusammengetroffen war. »Nun hast du bereits den Feuervogel«, sprach er da zu ihm, »und hast sogar mehr, als du dir überhaupt gewünscht hast. Darum brauchst du mich nicht länger. Reite heim in Frieden und halte dich nirgends länger auf, sonst wird es dir schlecht ergehen.« Darauf verschwand er.

Danach setzte der Prinz seine Reise fort; in der Hand hielt er den Feuervogel in seinem goldenen Käfig, ihm zur Seite trabte das Pferd mit der Goldmähne und dem goldenen Halfter, und darauf saß die schöne Prinzessin Goldhaar. Als er die Kreuzung im Wald erreichte, wo er Abschied von seinen beiden Brüdern genommen hatte, erinnerte er sich an die Reiser, die jeder von ihnen als Zeichen am Rande seiner Straße in die Erde eingepflanzt hatte. Die Reiser seiner beiden Brüder waren dürr, doch aus seinem Reis war inzwischen am Wegesrand ein schöner schattenspendender Baum emporgewachsen. Der Prinz war darüber sehr erfreut, und weil bereits beide von dem langen Ritt müde waren, wünschte er, unter diesem Baum eine Rast einzulegen. Er sprang vom Pferd und half auch Prinzessin Goldhaar herunter. Alsdann band er beide Pferde an den Baum und hängte den Käfig mit dem Feuervogel an einen Ast. Und es sollte nicht lange dauern, so kam über beide der Schlaf und sie ruhten sanft.

Während sie hier schlummerten, da kehrten auch die Brüder, jeder von einer anderen Seite, mit leeren Händen zurück und trafen gerade auf dieser Stelle aufeinander. Da sahen sie, dass ihre Reiser verdorrt waren, das Reis ihres jüngsten Bruders aber zu einem schönen Baum mit einer ausladenden Krone herangewachsen war. Sie sahen auch unter diesem Baum ihren Bruder schlafen und an seiner Seite die liebliche Prinzessin mit den goldenen Haaren, dann auch das Pferd mit der Goldmähne und am Ast über ihnen den Käfig mit dem Feuervogel. Da entstanden in ihren Herzen gar böse Gedanken, und der eine sprach zum anderen:

»Unser Bruder bekommt nun vom Vater die Hälfte des Königreichs, und nach dessen Tod wird er sein Nachfolger. Da wäre es doch besser, wenn wir ihn töten: die goldhaarige Prinzessin nimmst du, das Pferd mit der Goldmähne ist für mich und den Feuervogel geben wir dem Vater, damit er für ihn singt. Und das Königreich wollen wir uns dann unter uns beiden teilen.«

Gesagt getan! Sie töteten ihren Bruder, zerhieben seinen Körper in Stücke und der Prinzessin Goldhaar drohten sie den Tod an, wenn sie etwas verraten sollte. Als sie zu Hause ankamen, führten sie das Pferd Goldmähne in einen marmornen Marstall, den Käfig mit dem Feuervogel hängten sie in das Ruhegemach des Königs und Prinzessin Goldhaar wiesen sie ein prächtiges Zimmer zu und gaben ihr viele Kammerzofen, die ihr zu Dienste standen.

Der alte kranke König betrachtete den Feuervogel und fragte seine Söhne, ob sie eine Kunde vom jüngsten Bruder hätten. »Wir haben von ihm nichts gehört«, logen diese, »wahrscheinlich ist er irgendwo umgekommen.«

Die Gesundheit des Vaters besserte sich nicht, er blieb betrübt wie immer; der Feuervogel sang nicht; das Goldmähnenpferd ließ seinen Kopf mutlos hängen, Prinzessin Goldhaar sprach kein Wort, kämmte auch nicht ihr wallendes Haar und weinte ohne Unterlass.

Während indessen draußen im Wald der jüngste Prinz in Stücke zerhauen lag, kam zu ihm der rote Fuchs, sein Freund und Helfer, sammelte die Stücke seiner Leiche und legte sie so zusammen, wie es sich gehörte, und gerne hätte er auch den Prinzen wieder zum Leben erweckt, doch das lag nicht in seinen Kräften. Da sah er, wie eine Krähe mit ihren zwei Jungen über dem Leichnam hin und her flog. Der Fuchs verbarg sich schnell unter einem Strauch im Gras, und als sich ein Krähenjunges auf den Leichnam setzte, um davon zu fressen, sprang der Fuchs flink hervor, packte es am Flügel und machte so, als wolle er es in ­Stücke zerreißen. Die alte Krähe flog angstvoll näher, setzte sich auf einen Strauch und sprach zum Fuchs:

»Krah! Krah! Verschone mein armes Kind; es hat dir ja nichts zuleide getan. Ich will dir es reichlich vergelten, wenn du einmal meine Hilfe brauchen solltest.«

»Gerade jetzt kann ich eine solche Hilfe gut brauchen«, erwiderte der Fuchs. »Bringe mir vom Schwarzen Meer das Wasser des Lebens und das Wasser des Todes; dann werde ich deinem Jungen auch nichts antun.«

Die Krähe versprach, das gewünschte Wasser zu bringen und flog davon. Drei Tage und drei Nächte flog sie, und als sie zurückkehrte, brachte sie zwei Fischblasen mit: in der einen befand sich das Wasser des Lebens, in der anderen das des Todes. Der rote Fuchs nahm die Blasen und riss dann das Krähenjunge in zwei Teile. Dann legte er wieder beide Teile zusammen, wie sie zusammengehörten, besprengte sie mit dem Wasser des Todes, und sie wuchsen augenblicklich zusammen. Hierauf besprengte er sie mit dem Wasser des Lebens und das Krähenjunge begann sich zu regen, schüttelte die Flügel und flog davon. Darauf besprengte der Fuchs mit dem Wasser des Todes den wieder zusammengesetzten Leichnam des jüngsten Prinzen, und schnell ward dieser wieder ganz, sodass nicht einmal eine Narbe zu sehen war. Und nachdem er ihn dann auch mit dem Wasser des Lebens besprengt hatte, erwachte der Königssohn wie aus einem tiefen Schlaf, erhob sich und sagte:

»Ach, wie fest habe ich doch geschlafen«

»Ja wahrhaftig«, gab ihm der Fuchs zurück, »du hast in der Tat fest geschlafen, und ohne mich wärst du in aller Ewigkeit nicht erwacht! Habe ich dir nicht immer geraten, du solltest dich nirgends aufhalten und geraden Weges nach Hause reiten?«

Alsdann erzählte er dem Prinzen, was geschehen sei, begleitete ihn noch an den Waldrand in der Nähe des väterlichen Schlosses, gab ihm einfache Kleidung, wie er sie noch brauchen sollte, nahm Abschied von ihm und schon war er verschwunden. Der Königssohn aber ging in das Schloss seines Vaters und nahm dort eine Stelle als Pferdeknecht an. Niemand erkannte ihn.

Da hörte er eines Tages zwei Stallknechte zueinander sagen:

»Schade um das schöne Pferd mit der Goldmähne; es wird uns eingehen, weil es so traurig den Kopf hängen lässt und nichts fressen will.«

»Gebt mir etwas Erbsenstroh«, mischte sich da der Prinz in das Gespräch ein, »und ich will mit euch eine Wette eingehen, dass es sogleich fressen wird.«

»Hoho«, spotteten da die Stallknechte, »solch ein Zeug fressen ja nicht einmal Ackergäule.«

Derr Prinz ließ sich nicht beirren, nahm etwas Erbsenstroh und gab es dem Pferd in dem marmornen Trog; dann streichelte er dessen goldene Mähne und sprach:

»Warum so traurig, mein Goldmähnenpferdchen?«

Da erkannte das Pferd seinen Herrn an der Stimme, machte einen Luftsprung, schnaubte, wieherte vor lauter Freude und fraß sogleich das Erbsenstroh. Schnell verbreitete sich darüber die Kunde im ganzen Palast, bis auch der kranke König erfuhr, einer seiner Knechte habe das Goldmähnenpferd gesund gemacht. Da ließ der König diesen Knecht zu sich rufen und sprach:

»Ich höre, du hast das Pferd mit der Goldmähne wieder geheilt. Könntest du nicht auch dem Feuervogel helfen, dass er wieder singt. Er ist traurig, lässt die Flügel hängen und will nichts fressen. Stirbt er, so sterbe auch ich.«

»Habt keine Angst, erlauchter König«, tröstete ihn der vermeintliche Stallknecht, »befehlt, dass man ihm eine Handvoll Gerstengetreide bringt. Dann wird der Vogel sicherlich fressen, wird lustig sein und bald singen.«

»Hoho!«, spotteten wieder die anderen Diener, »der will dem Vogel Gerste zu fressen geben; die wollen nicht einmal unsere Gänse haben.«

Doch sie mussten die Gerste trotzdem bringen, und der Prinz streute sie in den goldenen Käfig, dann streichelte er die goldenen Federn des Vogels und sagte:

»Warum bist du denn so traurig, mein Feuervogel?«

Der Vogel erkannte ihn sogleich an seiner Stimme, schüttelte sich, begann, seine Federn zu ordnen, zu hüpfen und zu fressen, und sang dann so wunderschön, dass es das Herz des alten Königs erfreute und sich dieser erholte. Und als der Vogel zum zweiten und dann zum dritten Male wieder sang, war der König schon so weit genesen, dass er sich aus dem Bett erhob und den ihm unbekannten Knecht umarmte. Doch schon bald meinte der König:»Was beginnen wir nun mit der schönen Prinzessin Goldhaar, die meine Söhne mir mitgebracht haben? Sie spricht nicht, sie kämmt sich nicht ihr wallendes Haar, sie isst nichts und weinte ohne Unterlass.«

»Erlaubt, erlauchter König«, sagte dann jener unbekannte Knecht, »dass ich ein Wort zu ihr spreche, und sie wird vielleicht heiterer werden.«

Und der König führte ihn zu ihr. Da ergriff der Königssohn ihre weiße Hand und sprach:

»Warum so traurig, meine schöne Braut?«

Augenblicklich erkannte ihn die Prinzessin, schrie vor Freude und fiel ihm um den Hals. Der König war sehr erstaunt darüber, dass der unbekannte Knecht sie seine Braut genannt und sie ihn umarmt hatte, bis der Prinz zu ihm sprach und ihm alles erklärte:

»Wie, mein königlicher Vater, erkennst du deinen jüngsten Sohn nicht? Nicht meine Brüder, sondern ich habe den Feuervogel, das Pferd Goldmähne und die schöne Prinzessin Goldhaar erlangt.«

Dann berichtete er, wie sich alles richtig zugetragen hatte, und die Prinzessin fügte noch hinzu, dass die beiden Brüder sie mit dem Tode bedroht hätten, falls sie deren verbrecherische Tat verraten werde. Die Brüder standen da und wussten, dass nun ihre Untat allen offenbar war, zitterten wie Espenlaub und vermochten kein Wort zu sprechen. Der König war über sie von Zorn erfüllt und ließ beide auf der Stelle ohne Gnade hinrichten. Der Königssohn aber nahm Prinzessin Goldhaar zur Gemahlin, bekam von seinem Vater sogleich die Hälfte des Königreichs und nach dessen Tod auch die andere.

Nach Karel Jaromír Erben

Die Nixe Linda

Vor langer Zeit hatten drei Nixen die Gewohnheit, zu einer Quelle zu kommen, um dort ein Bad zu nehmen. Eines Tages kam ein junger Mann namens Jan dort bei seinem Heimweg im Zwielicht der Dämmerung vorbei. Er erblickte die drei Wassergeister, wie sie am Rande der Quelle saßen, und verliebte sich so sehr in eine von ihnen, dass er an Ort und Stelle wie angewurzelt stehen blieb, bis die drei entschwunden waren.

Von nun an fand Jan keine Ruhe mehr und so beschloss er, die schöne Wasserfrau, komme was wolle, zu fangen und als seine Ehefrau heimzuführen. Jeden Abend ging er deshalb zu der Quelle und versteckte sich in den Büschen nebenan, bis schließlich die drei Nixen am dritten Tag wieder zu der Quelle zurückkamen. Sobald sie sich in der Nähe von Jan befanden, sprang dieser schnell aus den Büschen hervor, umschlang das Mädchen, in das er sich verliebt hatte, mit seinen Armen, hob sie in die Höhe und trug sie zu sich nach Hause. Dabei schaute er nicht um sich, sodass er nicht sah, wie sich die anderen zwei Mädchen in weiße Tauben verwandelten, die um ihre geraubte Schwester herumflatterten und riefen: »Linda, Linda von der Quelle! Auf dem Wasser liegt ein Zauberbann. Linda, Linda, erzähle es niemals!«

Linda gefiel ihr menschlicher Liebster gar sehr und sie willigte ein, seine Ehefrau zu werden. Aber er musste ihr zuvor versprechen, ihr nie zum Vorwurf zu machen, dass sie eine Nixe sei. »Nie im Leben!«, so versprach er ihr es. »Das schwöre ich bei ­allem, was mir heilig ist.«

So lebten sie eine Zeitlang sehr glücklich miteinander. Jan kümmerte sich um seinen Bauernhof, sagte seinen Knechten, was sie tun sollten, pflügte seine Felder, säte Getreide und versorgte sein Vieh; und Linda backte, kochte, machte die Wäsche und hielt Haus und Hof sauber und in Ordnung, wie es die anderen Frauen des Dorfes auch taten.

Eines Tages war Jan auf seinen Feldern unterwegs; Linda ging zur Quelle, um ihren Eimer mit Wasser zu füllen und stellte ihn danach an den Rand der Quelle und schaute zum Himmel hoch; lange blickte sie starr nach Norden, Osten Süden und Westen. Als sie dann nach Hause kam, befahl sie den Knechten ihres Mannes, sofort auf die Felder hinauszugehen, wo das Getreide immer noch grün war und die Ähren erst halb reif. Dort sollten sie alles Getreide abmähen und nach Hause bringen. Auch sie selbst ging von Feld zu Feld, um zu sehen, ob die Knechte ihren Auftrag auch ausführten, und in kurzer Zeit war das ganze Getreide, immer noch grün und halb reif, auf den Feldern aufgesammelt und eingebracht.

Jan war gerade auf dem Heimweg, als er einem Nachbarn begegnete, der ihm erzählte, was vorgefallen war. Dann traf er noch einen und dann noch einen, und jeder erzählte ihm von dem seltsamen Vorgang, den Linda angeordnet hatte, und dass nun das ganze Getreide unbrauchbar und vernichtet sei. Als er heimkam, war er deshalb voller Wut. Er fand seine Frau in der Scheune vor, wo sie inmitten all des grünen Getreides stand; sie hatte eine Schale aus Ton in der Hand und benetzte die Ähren mit Wasser. Da konnte sich Jan nicht länger beherrschen und wandte sich wütend an sie: »Du bist nichts anderes als eine seltsame Nixe! Was für einen Unfug hast du hier angerichtet?«

Da fiel die Schale aus Lindas Hand und zerbrach. Sie warf noch einen einzigen sorgenvollen Blick auf ihren Ehemann, rang ihre Hände betrübt und in Schweigen und dann ging sie hinter ihm durch die Tür und entschwand.

Drei Tage später zerschlug ein schrecklicher Hagelsturm ­alles Getreide, das noch auf den Feldern war, und dies derart heftig, dass nicht mehr zu erkennen war, was dort vorher gewachsen war.

Nun erst kam es Jan in den Sinn, dass Linda keine Frau wie die anderen war, sondern dass sie den Sturm vorausgesehen und zumindest versucht hatte, noch etwas vor dessen Gewalt zu retten. Dann rannte er zu der Scheune, wo das eingebrachte Getreide gelegen hatte. Und zu seinem großen Erstaunen sah er dort, dass der ganze Raum vom Fußboden bis zur Decke aufgestapelt war mit großen Getreideschichten; diese waren schwer mit ihren goldenen Ähren und so reif, als wären sie alle auf den Feldern he­rangereift. Nun machte Jan sich selbst große Vorwürfe und er war tief betrübt, dass er Linda aus seinem Haus vertrieben hatte. So strich er wieder und wieder durch den Wald zu der Quelle und rief nach ihr, aber all sein Rufen erhielt keine Antwort. Schließlich stand Jan jeden Tag und jede Nacht an der Quelle und wartete auf sie, blieb am Ende für immer da und ging nie mehr nach Hause. Aber Linda kam nie wieder zurück.

Nach Karel Jaromír Erben

Drei Haselnüsse für Aschenbrödel

Der Film gleichen Titels aus dem Jahr 1973, der zu einem Weihnachtsklassiker im deutschen Fernsehen geworden ist, ist eine originelle Bearbeitung des Aschenputtelmärchens von Božena Němcová. Das Motiv des Haselstrauches scheint die tschechische Märchensammlerin von den Brüdern Grimm übernommen zu haben.

In einer Stadt lebte einmal ein Ehepaar, das hatte drei Töchter. Die älteste hieß Baruschka, die zweite Dorotka und die dritte ­Anuschka. Die beiden älteren waren eitel und arbeitsscheu, den ganzen Tag saßen sie da und machten sich schön, wollten immer neue Kleider und teuren Schmuck; Anuschka wurde auch Aschenbrödel genannt, weil sie den ganzen Tag in Schmutz und Asche die Hausarbeiten verrichten musste, während ihre Schwestern auf der faulen Haut lagen und ihr gegenüber garstig und böse waren. ­Anuschkas Mutter war schon früh gestorben, und der Vater, der recht reich war, hatte dann eine Witwe geheiratet, die die beiden Stiefschwestern mit in die Ehe gebracht hatte. Aschenbrödel ­Anuschka hatte wohl nicht so weiße Wangen und so zarte Händchen wie ihr Stiefschwestern, war aber dennoch viel schöner und in ihrem ganzen Wesen angenehmer und herzlicher als sie. Die Stiefmutter aber mochte Anuschka nicht, sie schmeichelte ihren eigenen Töchtern, gab ihnen all die schönen Sachen, die sie sich nur wünschten, und tat ihnen jeden Willen, und hätte Aschen­brödel nicht ihren Vater gehabt, der sie sehr liebte, hätte sie im Haus noch sehr viel mehr ausstehen müssen als ein Hund. An Anuschka dachte die ungerechte Stiefmutter nicht; das arme Mädchen hatte nur raue Kleider an, die eher Lumpen glichen, und aus dem Haus gehen durfte sie auch nicht; sogar zur Kirche zu gehen, erlaubte ihr die Mutter nicht, stattdessen hielt sie sie an, vom Morgen bis zum Abend in Schmutz und Unrat zu schuften. Dabei beklagte sich das Mädchen nicht und war immer guter Dinge.

Eines Tages war in der nahen Hauptstadt Markt, und der Vater begab sich gleichfalls dahin. Bevor er ging, fragte er die Töchter, was er ihnen von dort mitbringen solle. Baruschka und Dorotka wollten eine ganze Menge von schönen und teuren Sachen und drängten den Vater, sie ihnen zu kaufen; die eine wollte Brokatkleider, die andere welche aus Seide, und auch Edelsteine, Bänder und anderen eitlen Schmuck und Tand wünschten sie sich zuhauf.

»Und was soll ich dir mitbringen?«, fragte der Vater schließlich auch seine liebe Anuschka, als sie gerade das Frühstück für alle auftrug.

»Lieber Vater, ich verlange nicht viel; bringt mir das mit, was Euch am Weg als erstes in das Gesicht streicht«, antwortete sie bescheiden.

Stiefmutter und Stiefschwestern aber lachten Aschenbrödel nur aus und hänselten sie.

»Das wird wohl nicht viel sein!«, hörte man da. Oder: »Sie braucht gar nichts zu haben, diese Aschenhockerin; für sie ist ein grober Kittel schon genug.«

Der Vater jedoch nahm sie in Schutz und tadelnd sprach er: »Sie ist doch ein Mädchen wie ihr auch und macht sich auch mal gern schön.«

»Ei, wer schaut sie denn schon an«, spottete die Mutter und schob Anuschka zur Tür hinaus.

Der Vater ging auf den Markt, kaufte dort für die Stieftöchter allerhand schöne und wertvolle Sachen und machte sich dann auf den Heimweg. Als er an einem Wäldchen vorbeikam, streifte er zufällig einen Haselstrauch, und ein Reis davon schlug ihm ins Gesicht. Da erinnerte er sich an Anuschkas seltsame Bitte, brach den Zweig mit den drei Haselnüssen ab und tat diese in seine ­Tasche. Als er nun nach Hause kam, kamen die Stieftöchter schon von Weitem angerannt und verlangten ihre schönen Kleider und Edelsteine; Anuschka aber war froh, dass der Vater wieder zu Hause war. »Da hast du, mein Kind, was du dir gewünscht hast, das ist mein Geschenk für dich«, sagte ihr der Vater, und freudig dankte sie ihm für die kleine Gabe und verbarg die drei Nüsse unter ihrem Mieder. Die Stiefmutter und ihre zwei Töchter aber lachten sie nur aus.

Als sie aber am Abend beim Brunnen Wasser in einen Eimer schöpfte, bückte sie sich zu sehr und die Nüsse fielen ins Wasser. »Nun sind die schönen Nüsse dahin. Wie bekomme ich sie nur wieder«, klagte sie bekümmert und beugte sich über das Brunnengeländer, um die Nüsse auf dem Grund des Brunnens zu sehen; aber der Brunnen war sehr tief, und die Nüsse weit weg. Da sprang auf einmal ein kleiner grüner Frosch auf den Rand des Brunnens und sagte:

»Was ist geschehen, Anuschka, dass du so weinst und klagst?«

»Wie soll ich nicht weinen und jammern«, antwortete sie ihm, »da mir die Nüsse, die ich heute vom Vater als Geschenk bekommen habe, in den Brunnen gefallen sind.«

»Höre auf zu weinen, ich bringe sie dir«, sprach so der Frosch, sprang in den Brunnen und war im Nu wieder oben und legte die drei Nüsse auf den Brunnenrand. Überglücklich dankte ihm Anuschka und nahm sich schnell die Nüsse.

»Weißt du auch, was in den Nüssen steckt?«, fragte dann der Frosch das erstaunte Mädchen.

»Was soll es denn wohl anderes sein als ein Kern?«, meinte sie.

»Keineswegs! In jeder der drei Nüsse befindet sich ein kost­bares Kleid, das dir genau passt. Wann immer du es möchtest, brich eine der Nüsse auf und ziehe dir dieses Kleid an.«

So sagte der hilfreiche Frosch und sprang dann wieder hi­nunter in den Brunnen. Doch Anuschka glaubte nicht so recht an das, was der Frosch ihr erzählt hatte.

»Wie hätte denn ein ganzes Kleid Platz in einer solch kleinen Nuss? Ich werde sie mir aufbewahren und keine einzige auf­knacken«, so dachte sie bei sich; dann versteckte sie sie wieder unter ihrem Mieder, nahm die Wassereimer und ging ihrer gewohnten harten Arbeit nach. Ehe sie sich schlafen legte, wickelte sie dann die Nüsse in ein Stück Leinwand und legte dieses in die Truhe.