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Ramana Maharshi gilt als einer der bedeutendsten Weisen des 20. Jahrhunderts. Die 40 Verse über die Wirklichkeit (Ulladu Narpadu) mit den 40 Ergänzungsversen (Anubandham) sind eines seiner Hauptwerke. Er erklärt darin, wie der Mensch von seinem Ego-Ich frei werden und zur lebendigen Erfahrung des wahren Selbst finden kann. Die 40 Verse sind keine systematische Darlegung der Lehre Ramana Maharshis, sondern erschließen sich dem Leser durch häufiges Wiederholen nach und nach. Eine Auswahl von Gesprächen, die Ramana Maharshi mit seinen Besuchern und Schülern führte, dienen als Kommentar. Die Bilder stammen von Miles Wright.
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Seitenzahl: 57
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Einführung
Eröffnungsverse zu Ulladu Narpadu
Ulladu Narpadu
Eröffnungsvers zu Ulladu Narpadu Anubandham
Ulladu Narpadu Anubhandam
Glossar
Literaturverzeichnis
Sri Ramana Maharshi schrieb wenig, und das auch nur, wenn andere ihn darum baten. So entstanden diese Vierzig Verse etwa 1928 auf Drängen von Muruganar hin. Ramana verfasste sie in seiner Muttersprache Tamil und nannte sie Ulladu Narpadu. Ulladu bedeutet, das was ist, was existiert, was wirklich ist, und Narpadu bedeutet vierzig. Deshalb kann man übersetzen: Vierzig Verse über die Wirklichkeit oder über das, was ist.
Ramana selbst erzählt folgendes über ihre Entstehungsgeschichte:
»Ich hatte bei verschiedenen Gelegenheiten einzelne Verse gedichtet. Muruganar meinte, man müsse verhindern, dass sie verloren gingen, und ich möge noch einige Verse ergänzen, damit es insgesamt vierzig Verse werden würden, die man dann unter einem geeigneten Titel veröffentlichen könnte. Er brachte knapp dreißig zusammen, und ich dichtete die übrigen, wann immer ich dazu in Stimmung war. Als wir die Vierzig beisammen hatten, löschte Muruganar aus der ersten Sammlung einen Vers nach dem anderen unter dem Vorwand, sie würden nicht recht zum Thema passen, und bat mich, dafür neue Verse zu schreiben. Als schließlich die Vierzig wieder voll waren, bemerkte ich, dass sie nur noch zwei Verse aus der ursprünglichen Sammlung enthielten und dass ich alle anderen neu gedichtet hatte. Ich hatte die Verse nicht geplant und sie nicht fortlaufend und systematisch geschrieben. Ich hatte lediglich bei verschiedenen Anlässen einige Verse gedichtet, und Muruganar und andere haben sie nachträglich in eine thematische Reihenfolge gebracht.«1
Es waren etwa zwanzig Verse, die Muruganar aus der alten Sammlung herausgenommen hatte. Diese wurden als Ergänzung zu den vierzig Versen (Ulladu Anubandham) zusammengefügt und später ebenfalls auf vierzig Verse erweitert. Sie sind zum Großteil keine eigenen Dichtungen Ramanas, sondern seine Übersetzungen von berühmten Sanskritversen aus dem Yoga Vasishta, von Shankara und aus anderen Werken, die er hilfreich fand.
Die Verse sind lose aneinandergereiht. Zuweilen ergeben einige Verse einen Zusammenhang, dann wieder wechselt unvermittelt das Thema. Der Grund dafür liegt in ihrer Entstehungsgeschichte. Dennoch ergeben sie ein rundes Ganzes der Lehre Ramanas und eignen sich hervorragend dafür, sie immer wieder zu überdenken. ›Wer bin ich?‹ und ›Die Quintessenz der spirituellen Unterweisung‹ (Upadesa Saram) sind weitere Werke Ramanas, die mit diesem Büchlein eng verwoben sind.
Ulladu Narpadu ist ein poetisches Werk im Venba-Mentrum, das Ramana gerne verwendete. Jeder Vers hat vier Zeilen, wobei die ersten drei Zeilen aus vier und die letzte Zeile aus drei Füßen bestehen. Es ist ein rhythmischer Text, der im Ramanashram regelmäßig rezitiert bzw. gesungen wird.
Als Grundlage meiner Übersetzung habe ich Robert Butlers sehr ausführliche Ausarbeitung aus dem Tamil verwendet, die sowohl Struktur der Sätze als auch Wortbedeutung ausführlich erklärt. Ich habe aber auch andere englische Übersetzungen hinzugezogen wie Lakshmana Sarmas ›Revelation‹, die Übersetzung von Prof. Swaminathan in den ›Collected Works‹ und einige weitere. Als Kommentar dienen Gespräche, die Ramana mit seinen Anhängern und Besuchern führte und in denen er seine Lehre immer wieder erläutert.
Es gibt zwei ältere Übersetzungen ins Deutsche. Die eine stammt von dem Indologen Heinrich Zimmer und ist in seinem Buch ›Der Weg zum Selbst‹ zu finden. Die andere stammt von Lucy Cornelssen (Mata Satyamayi): ›Über das Selbst: Vierzig Verse‹. Es liegt allerdings bislang noch keine deutsche Übertragung der vierzig Ergänzungsverse (Anubandham) vor.
In dieser zweiten Auflage wurde der Text leicht überarbeitet und die abstrakten Bilder von Miles Wright durch seine Bilder von Ramana ersetzt.
Gabriele Ebert
1 Mudaliar: Tagebuch, 7.12.1945
Kann es ein Existenzempfinden geben ohne etwas, das ist? Da diese Wirklichkeit frei von allen Gedanken im Herzen wohnt, wer könnte über sie, die ›das Herz‹ heißt, nachdenken und auf welche Weise? Über sie nachzudenken bedeutet, mit ihr im Herzen eins zu sein.
Dieser Vers ist sprachlich auffallend in seiner strengen Metrik und der Wiederholung der Silbe ›ul‹. Eine vereinfachte Umschrift hört sich so an:
ulladu aladu ulla unarvu ulladu o
ullaporul ullal ara ullatte ullataal – ullam enum
ullaporul ullal evan ullatte ullapadi
ullade ullal unar
ul – sein, ullal – Gedanke, ullam – Herz, ulladu – Wirklichkeit, das Seiende, das was ist
Reife Menschen, die in großer Todesfurcht leben, nehmen Zuflucht zu Füßen des Höchsten Herrn, der weder Geburt noch Tod kennt. Durch ihre Hingabe werden ihr Ego und ihre Anhaftungen ausgelöscht. Wie können sie, die im Unsterblichen ihre Bleibe gefunden haben und daher tot sind, noch an den Tod denken?
Während der erste Eröffnungsvers vom Pfad der Erkenntnis (Jnana) spricht, handelt der zweite Vers vom Pfad der völligen Hingabe an Gott (Bhakti), in dem der Bhakta seine Eigenexistenz aufgibt. Beide Pfade führen zum selben Ziel: zum Auslöschen des Ego-Ich und zum Sein in der unsterblichen Wirklichkeit.
1. Da wir die Welt wahrnehmen, steht es außer Frage, dass es eine Erste Ursache gibt, eine kreative Energie (Shakti), die sich mannigfach manifestiert. Das Bild, das aus Namen und Formen besteht, der Betrachter, die Leinwand und das Licht, das sie beleuchtet, all das ist das Selbst.
Es ist die Natur von uns Individuen, von uns getrennte Objekte und eine Welt wahrzunehmen. Dafür muss es eine erste Ursache geben. Um dieses Phänomen zu erklären, verwendet Ramana gerne das Bild vom Kino.
»Das Selbst umfasst alles. Es ist die Leinwand, die Bilder, der Zuschauer, der Schauspieler, der Vorführer, das Licht und alles andere.«2
2. Alle Religionen setzen drei Grundlagen voraus: [Gott, Mensch und Welt]. Die Debatte, ob sich eine erste Ursache als diese drei manifestiert oder ob diese drei auch drei verschiedene Dinge sind, dauert an, solange das Ego-Ich besteht. Doch der höchste Zustand ist, im wahren Selbst zu verbleiben, nachdem das Ego-Ich sein Ende gefunden hat.
Dass Gott, Mensch und Welt voneinander getrennt existieren steht der Behauptung entgegen, dass alle drei zwar getrennt wahrgenommen werden, aber eine gemeinsame Ursache haben. Ramana warnt vor solchen rein philosophischer Diskussionen, die zu nichts führen und der spirituellen Praxis abträglich sind.
»Die drei Wesenheiten sind der jiva (verkörperte Seele), Gott und die Bindung. Solche Dreiheiten gibt es in allen Religionen. Sie sind wahr, solange der Geist tätig ist. Sie sind reine Erfindungen des Geistes. Man kann von Gott nur sprechen, nachdem der Geist entstanden ist. Gott ist nicht vom Selbst verschieden. Das Selbst wird als Gott objektiviert. Mit dem Guru ist es dasselbe.«3
3. Wozu nützt die Diskussion, ob die Welt wirklich oder lediglich eine unwirkliche Erscheinung ist, ob ihr Bewusstsein eigen ist oder nicht, ob sie Glück oder Leid bedeutet? Der egolose Zustand, der diese dualistischen und nicht-dualistischen Überzeugungen überschreitet, in dem man die Welt lässt und sich selbst durch Ergründung erkennt, ist allen lieb und teuer.
Der Hinduismus kennt die Lehre des Nicht-Dualismus (Advaita) und des Dualismus (Dvaita) mit mehreren Zwischenformen, über die viel debattiert wird.
»Dvaita