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Meike Winnemuth macht es kurz und persönlich, dafür ist sie bekannt. Egal ob sie über chronische Partypanik, männliche Unterarme (behaart!) oder über bestmögliche Selbstverwirklichungschancen philosophiert, es kommen wundervolle Würdigungen der wahren Schönheit des hundsnormalen Lebens heraus – garantiert mit Suchtfaktor!
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Seitenzahl: 245
Das Buch
Meike Winnemuths Geschichten setzen den scheinbar kleinen Dingen des Alltags ein Denkmal und feiern die Schönheit des hundsnormalen Lebens.
Übers Lieben, Genießen, Verzweifeln und Trödeln.
Übers Einsehen, Aussehen und Ausprobieren.
Von sterbenden Autos, Wärmflaschen und Bahnhöfen,
von männlichen Unterarmen (behaart!),
von heimlichen Tränen im Kino und Tagen am Meer.
Die Autorin
Meike Winnemuth, 1960 in Schleswig-Holstein geboren, ist freie Journalistin und Autorin. Zuletzt erschien ihr Bestseller »Das große Los. Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr«.
Weitere Informationen zu unserem Programm und Leseproben ausgewählter Titel unter www.knaus-verlag.de
Meike Winnemuth
Um es kurz zu machen
Über das unverschämte Glück, auf der Welt zu sein
Knaus
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1. Auflage
Copyright © der Originalausgabe 2015
beim Albrecht Knaus Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
Innenillustrationen: © Inka Hagen
Umschlaggestaltung: Favoritbüro, München
Foto Umschlagvorderseite: Gunter Glücklich
ISBN 978-3-641-17406-4
www.knaus-verlag.de
Inhalt
LIEBEN
Entzückend !
Kompliment!
Das Loben der Anderen
Über männliche Unterarme
Am Meer
Unter die Räder gekommen
Gegen die Achtsamkeit
Wasser marsch: Über das Weinen im Kino
HASSEN
Die Hölle, das sind immer die anderen
Fahrradkorbmüll
Timing
Junggesellinnen-Partys
Sylt. Ein neuer Versuch
Leben auf der Erbse
Über deutsches Bescheidwissertum
Immer zweimal mehr wie du
Über Badewannen in Hotelzimmern
Kinderschlepper
TRÖDELN
Schwänzen
Leben oder Gelebtwerden
Ist gerade ganz schlecht
Erst das Vergnügen, dann die Arbeit
Ich bin überhaupt nicht müde
Tempo!
Jetlag to go
GENIESSEN
Don’t Yuck My Yum
Mitbringsel
Kochen
Do not disturb
Kochsouvenirs
Kühlschrank-Cuisine 1
Kühlschrank-Cuisine 2
Urlaubslektüre
ABSPECKEN
Entoptionalisierung
Die obligatorische Zahnpastatuben-Kolumne
Fressen & Moral
Steckerwahn
First World Problems
Warum Geld glücklich macht 1
Warum Geld glücklich macht 2
Mitnehmsel
AUSPROBIEREN
Osnabrück
Genauer betrachtet
Kaufmannsladen spielen
Über das Liegeradfahren
Auf der Damenwies’n
Über das Kreuzfahren
Hier geht’s lang: über das Verirren
Spektakulär!
AUSSEHEN
Über die Schönheit als solche
Spanx
Frauenkörper
Männerkörper
Aufbrezeln
Nagellack
Oben drauf
Unten drunter
Hightech-Training
EINSEHEN
Weniger müssen müssen
Is mir egal, ich lass das jetzt so
Sex mit 40
Edgar
Die Zwei-Minuten-Regel
Süchtig
Grün wird’s nicht
Mupfel
Fehler
Vergänglichkeit
Der 95-Jahres-Plan
Textnachweis
LIEBEN
Lieben … also wirklich! Wollen wir wirklich ausgerechnet mit diesem ausgelatschten Begriff beginnen? Ginge es nicht eine Nummer kleiner? Denn es ist ja tatsächlich so, dass derzeit alles, was früher nur gemocht wurde, heute mit dem Begriff Liebe geadelt wird. »Ich liebe Spaghetti.« »Ich liebe das Dschungelcamp.« »Ich liiiiiiebe Yoga.« Kann man machen, klar. Aber sollte man sich nicht ein paar Euphoriestufen aufheben für wirklich Wichtiges?
Auch in den folgenden Texten geht es vornehmlich um Liebesobjekte aus dem Reich des Banalen: um sterbende Autos, Wärmflaschen und Bahnhöfe, um Patagonisches Eisenkraut und männliche Unterarme (behaart!), um heimliche Tränen im Kino und Tage am Meer.
Es geht aber auch darum, gerade dieses Kleine, Nebensächliche liebevoll zur Kenntnis zu nehmen. Es zu bemerken, sich dran zu freuen. Es zu lobpreisen. Und damit das Großeganze, das Leben, das uns all dieses wunderbare Kleinzeug auf dem Silbertablett serviert, gleich mit. Denn könnte es nicht vielleicht so sein, dass all diese Antipasti sich am Ende als Hauptmahlzeit entpuppen? Wenn man immer nur auf das große Ding wartet, das den Begriff »Liebe« verdient, sind all die liebenswerten, entzückenden, albernen, rührenden Momente einfach so vorbeigeflitzt und ungeliebt verpufft.
Entzückend !
Eine meiner Lieblingsmalerinnen ist die New Yorkerin Maira Kalman, die viele Titelbilder meiner Lieblingszeitschrift New Yorker gestaltet und lange eine Online-Kolumne meiner Lieblingszeitung New York Times geschrieben und gemalt hat. (Völlig richtig geraten, New York ist eine meiner Lieblingsstädte.) Als eines meiner Lieblingsmuseen, das Cooper-Hewitt, nach langer Renovierung wieder öffnete, wurde Kalman gebeten, ihre Lieblingsstücke aus der umfangreichen Sammlung auszusuchen und zu präsentieren.
Es waren Dinge, die bei ihr einen »gasp of delight« auslösten, wie sie schreibt, die sie vor Entzücken nach Luft schnappen ließen. Entzücken ist ja eines der Wörter, die so aus der Mode gekommen sind, dass sie nur noch zu Ironie taugen, aber wenn man sich Kalmans Auswahl anschaut, kann man nicht anders, als seinerseits entzückt zu sein: eine ägyptische Stickerei mit dem Porträt eines wahnsinnig schlecht gelaunten Herrn, ein griechischer Kantharos-Becher mit Schlaufenhenkeln, eine glühbirnenförmige Tischlampe von Ingo Maurer, eine Sèvres-Tasse, ein Glas von Lobmeyr und so weiter. Anlässlich der Ausstellung hat Maira Kalman ein neues Buch gemalt, »My Favorite Things«, in dem es um diese und andere Lieblingsdinge geht, um Betten, Leitern, kaputte Stühle, Nickerchen unter Bäumen und die Hose von Arturo Toscanini, die sie auf einer Auktion ersteigert hat.
Seitdem begegnen mir überall andere Listen mit Lieblingsdingen: Der Astronaut Alexander Gerst nannte Pizza und den Geruch von Herbstwald als das, was er im Weltall am meisten vermisst habe. Der französische Philosoph Roland Barthes schrieb eine entzückende Liste, auf der sich flache Kissen, zu kaltes Bier, Toast, frisch gemähtes Gras, Händel, langsame Spaziergänge, Birnen, Twombly, Brecht, Verne, lose politische Überzeugungen und Kleingeld finden. Die amerikanische Essayistin Susan Sontag listete unter anderem Venedig, Tequila, Trommeln, Nelken, Socken, rohe Erbsen, grobes Salz, große langhaarige Hunde, Stummfilme, Streifen, Brücken, Dürer und Rolltreppen auf.
Natürlich habe ich sofort selbst damit angefangen, Lieblingsdinge zu notieren. Dinge, die ich aus einem brennenden Haus retten würde (meine kleine Goethe-Büste, auf der wunderbarerweise »Goehte« eingraviert ist, ein Kopftüchlein mit Pudeln drauf, das ich als Kind getragen habe, einen Plastiksparschäler mit Wellenschliff aus Bangkok), und Dinge, die bei mir immer wieder einen gasp of delight auslösen. Dill. Zimt. Blau. Shazam. Gummistiefel. Dickes Stanniol um Weinflaschenhälse. Kiesel. Kohlmeisen. Granatäpfel. Nachmittage. Der Öjendorfer Park an einem sonnigen Herbsttag. Das Gefühl von reifen Pfirsichen unter prüfenden Fingerspitzen. Platanen. Rittersporn. Patagonisches Eisenkraut. Bahnhöfe. Dass die Pfoten meines Foxterriers wie Popcorn riechen. Quallen, aber nur in Aquarien. Dry Martinis in der Wiener Loos-Bar. Wärmflaschen. Gießkannen. Mit Rückenwind den Berg runterradeln. Goldberg-Variationen, von Glenn Gould gespielt. Überlange Daunendecken. Münzen mit Loch in der Mitte. Holzplankenwege durch Dünen. Backsteinkirchen, in denen Schiffsmodelle von der Decke hängen.
Irgendjemand sagte mal, wir bestehen aus den Dingen, die wir an uns heranlassen. Wenn man erst mal angefangen hat, die alle aufzulisten, ist die Welt plötzlich voller Lieblingsdinge. Und voll Entzücken. Ich habe keine Ahnung, wofür oder wogegen das eine Therapie ist, aber es ist eine verdammt gute.
Kompliment!
Heute Morgen bin ich darauf gekommen, dass ich möglicherweise schuld bin am Untergang des Abendlandes.
Nicht wegen hartnäckiger Kinderlosigkeit, nicht wegen gelegentlichen Schwarzfahrens (»Eben war der Fahrschein noch da, ehrlich«), sondern weil ich keine Komplimente annehmen kann. Wenn mir jemand was Nettes sagt, antworte ich vollautomatisch: »Quatsch, ich muss dringend mal wieder zum Friseur«, oder: »Ach, das olle Ding – Schlussverkauf bei H&M«, oder: »Ich hatte bloß Glück«, oder: »Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, ja dann wäre der Text wirklich gut geworden.«
Bescheidenheit, sagen Sie? Dachte ich auch immer. Immer schön den Ball flach halten, fand ich, soll nur keiner glauben, ich sei so eine, die sich was einbildet. Bis mir klar wurde: Das ist keine Bescheidenheit. Das ist eine Unverschämtheit. Jemand überreicht mir ein entzückendes kleines Geschenkpäckchen (mit Schleife!), und ich pfeffere es ihm ins Gesicht zurück. Und sage dabei auch noch: Du hast kein Urteilsvermögen, du hast keinen Geschmack, du hast keine Ahnung, denn sonst würdest du ja gemerkt haben, dass ich nur ein Würstchen bin mit zu dünnen Haaren und der Unart, immer Sätze mit Dreifachaufzählungen zu schreiben, du Depp. Ist das bescheiden? Ist das nett? Ist es nicht. Über Geschenke freut man sich und sagt »danke«, statt dem Schenkenden mit Schmackes vors Knie zu treten.
Moment, jetzt kommt noch die Sache mit dem Abendland. Der arme Mensch wird mir in Zukunft nie wieder ein Kompliment machen. Er wird vielleicht, wenn ihm so was öfter passiert mit Frauen (Sie sind doch auch so eine, oder?), überhaupt keine Komplimente mehr machen. Er wird, wie das mit Teufelskreisen nun mal so ist, deswegen auch selbst weniger Komplimente bekommen. Und am Ende ist die ganze Welt ein einziges Hamburg, wo alle steif und stumm nebeneinander herleben und sich höchstens noch erzählen, wie mies doch die Stimmung sei. Die Erde wird ein paar Grade kälter werden, und wir haben es wieder mal verbockt.
Deshalb lautet mein Plan zur Rettung der Welt: lächeln. Nicken. Danke sagen. Und das Geschenk erwidern. »Danke, das freut mich zu hören.« – »Wie nett von dir, das ist meine Lieblingsfarbe.« – »Das ist das Schönste, was man mir seit Langem gesagt hat.«
Wichtig dabei: Es gibt keine unverdienten Komplimente. Schön, es war der Friseur und nicht ich, aber ich habe ihn ausgesucht. Es unterscheidet die Lebens-Profis von den Lebens-Dilettanten, dass sie sich manchmal auch für etwas feiern (und feiern lassen), wofür sie nicht geschuftet haben. Es wird auch wieder andere Momente geben: Man ist toll, und kein Schwein guckt.
Toller Text? Ach, das olle Ding. Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, ja dann …
Das Loben der Anderen
Es ist so verdammt einfach, die Welt blöd zu finden. Die Bahn hat schon wieder Verspätung, der Kaffee ist zu teuer, wieso macht sich die Kuh so breit auf dem Sitz? Und was hat der Typ bloß für ein unmögliches Hemd an! Es gibt nicht wenige Menschen, die sich glücklich jeden Tag versauen, indem sie diesen leicht säuerlichen, schmaläugigen Blick auf ihre Umgebung werfen, fast schon auf der Lauer nach Dingen, die sie ärgern oder wurmen könnten. Das Wetter, die Politik, das plärrende Kind – wie nervig! Und wie herrlich, sich darüber aufzuregen!
Wir leben in einer Kritikgesellschaft, einer ausgesprochenen Meckerkultur. Schon in der Schule ging es vor allem darum, Fehler anzustreichen: Nicht das Gelingen wird belohnt, sondern das Scheitern bestraft. Wenn etwas gut läuft, scheint das nicht weiter der Rede wert. Oder wie der Psychiater Fritz Simon sagt: »Das deutsche Prinzip lautet: Solange alles funktioniert, gibt es keine Reaktion. Nicht geschimpft ist gelobt genug.«
Dass es auch anders geht, habe ich gelernt, als ich für ein paar Monate nach Brooklyn zog. Die New Yorker sind Meister des beiläufigen Lobens, des Kompliments im Vorübergehen. »Great pedicure, honey«, sagt eine Frau beim Blick auf meine Füße und ist schon um die nächste Hausecke verschwunden. »I like your shirt«, höre ich in der U-Bahn, »excellent choice«, sagt der Buchhändler, wenn ich ihm den neuen Ian McEwan auf den Kassentisch lege. Dieses dauernde wohlwollende Kommentieren war für mich zuerst ein Schock, die klassisch deutsche Reaktion ein misstrauisches »Was wollen die von mir?«. Die Antwort: nichts. Die sagen nur, was ihnen gefällt. Und das macht allen Beteiligten unwahrscheinlich gute Laune: Diejenigen, denen was Schönes auffällt, freuen sich drüber, diejenigen, denen es gesagt wird, noch viel mehr. Eigentlich ganz einfach.
In Deutschland dagegen haben Komplimente fast immer den Beigeschmack manipulativer Unehrlichkeit. Lob scheint hier lediglich Mittel zum Zweck zu sein – und grundsätzlich nur von oben nach unten erfolgen zu dürfen. In Lobratgebern für Eltern und Führungskräfte wird der korrekte Einsatz von Lob zur Leistungssteigerung, zur »Wertschöpfung durch Wertschätzung« (zynische Managementtrainer sprechen gern vom Milka-Effekt – glückliche Kühe geben mehr Milch …) oder als pädagogisches Instrument gelehrt: Bitte stets die Leistung, nicht die Person loben, und bitte immer hübsch angemessen, nicht zu viel, nicht zu wenig. Das Ganze läuft dann auch noch gern unter dem gruselig seelenlosen Begriff »Feedback«. Kein Wunder, dass wir ein derart verkrampftes Verhältnis zum Lob haben – und dass gleichzeitig der Frust über fehlende Anerkennung hier gut doppelt so groß ist wie im europäischen Durchschnitt, wie eine Studie kürzlich ergab.
Seit Brooklyn habe ich mir jedenfalls angewöhnt, alles Schöne und Gelungene ganz ohne irgendwelche Absichten zu kommentieren. Dafür gibt es jeden Tag hundert Gelegenheiten. Einer Supermarktkassiererin sage ich: »Unglaublich, wie schnell Sie sind«, einer Frau im Café neben mir, was für tolle Schuhe sie hat, einem Mann in seinem Vorgarten, wie schön seine Rosen sind; ein Autofahrer, der mich einfädeln lässt, bekommt ein Winken. Viele reagieren verunsichert, einige wenige fühlen sich fast unsittlich belästigt, aber die große Mehrheit freut sich einfach nur, ebenso wie ich. Denn das Loben der anderen betreibe ich aus völlig egoistischen Motiven: Erst mit freundlichem Blick auf die Welt stellt man fest, wie großartig sie eigentlich ist, wie viel täglich klappt, wie schön das Leben in all seinen Kleinigkeiten ist. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich ständig mit seligem Lächeln durch die Straßen hüpfe. Bitte! Ich bin Norddeutsche! Wir hüpfen aus Prinzip nicht. Aber das genaue Hinschauen (und das tollkühne Aussprechen, wenn man sich über etwas freut) sorgt für ein warmes, flauschiges Gefühl der Zufriedenheit, das sonst auf legalem Weg nur schwer zu erreichen ist. Müssen Sie unbedingt mal probieren.
Und: Danke, dass Sie diesen Text bis hierher gelesen haben. Leser wie Sie kann man sich nur wünschen. (Ah, das tat gut.)
Über männliche Unterarme
Ich war mal in einen Mann verliebt, den ich eigentlich nicht sonderlich attraktiv fand. Er war fassförmig, hatte einen rötlichen Bart und blasse, wimpernlose Augen. Das Beste, was ich über ihn sagen konnte, war, dass er nicht Boris Becker war.
Aber dann fuhr ich eines Tages mit ihm Auto. Er kurbelte das Fenster herunter (ganz recht: er kurbelte. Dazu kommen wir später), er legte seinen kräftigen Arm auf die Laibung, und die Haare auf seinem Unterarm leuchteten im Gegenlicht der Spätnachmittagssonne wie gesponnenes Gold. Er klopfte mit den Fingern den Takt zu einem Autoradiolied, und unter den goldenen Haaren bewegten sich feine Muskelstränge, die ehrlich verdient waren, weil sie vom Holzhacken und nicht vom Hantelheben stammten.
Gott sei Dank saß er am Steuer, ich hätte nämlich Mühe gehabt, die Augen auf der Straße zu behalten. Es war der verdammt noch mal schönste Unterarm, den ich je gesehen habe, und er hatte gleich zwei davon. Und er präsentierte sie auf die bestmögliche Weise: in weißen aufgekrempelten Hemdsärmeln, nicht zweimal umgeschlagen wie bei Präsidentschaftskandidaten und Vorstandsvorsitzenden, die locker wirken wollen, sondern dreimal, wie es sich gehört. Er trug eine Uhr mit Lederarmband und schlichtem, nicht zu großem Ziffernblatt. Er trug sie links. Es war perfekt.
Wenn man eine Unterarmfetischistin ist wie ich, hatte man es bislang im Vergleich zu Menschen mit anderen Obsessionen relativ leicht. Die Enthaarungswelle beschränkt sich bei den dafür anfälligen Männern auf die Bereiche Brust, Rücken und primäre Geschlechtsorgane. Höchstens noch auf die Beine, wenn sie Triathleten oder etwas ähnlich Unsympathisches sind. Die Unterarme haben sie bisher in Ruhe gelassen, und selbst in mittelmäßigen Sommern bin ich eigentlich immer auf meine Kosten gekommen.
Doch seit einigen Jahren ist der Anblick eines anbetungswürdigen Unterarms seltener geworden. Ich meine diesen fast viereckigen, zupackenden, sehnigen Unterarm, der aussieht, als ob er einen mühelos retten könnte, falls man, wie das halt hin und wieder passiert, an einer Klippe über einem Abhang hinge. Ein Unterarm, der einem Halt gäbe, der alles im Griff hätte, der die Ärmel hochgekrempelt hat, der … (setzen Sie hier Ihre Lieblingsmetapher ein, Sie wissen genau, was ich meine).
Das Problem ist: Der Unterarm verkümmert. Männer haben elektrische Fensterheber in ihren Autos und gepolsterte Lenkräder, Gurkengläser öffnen sie mit kraftübertragendem Spezialgerät. Neuerdings benutzen sie kleine ergonomische Kissen vor der Computertastatur, um eine Sehnenscheidenentzündung zu vermeiden. Die meisten, die ich kenne, könnten sich an einer Klippe circa so lange halten wie ich, nämlich gar nicht, und eine Kartoffel bestenfalls in die Hand nehmen – von Zerquetschen keine Rede. Nichts haben sie mehr im Griff außer Golfschläger (und, so vermute ich, gelegentlich ihr von Haaren freigelegtes primäres Geschlechtsorgan), es entgleitet ihnen alles. Das Armdrücken am Kneipentisch, für Unterarm-Voyeure befriedigender als jeder Trikottausch, ist ebenfalls aus der Mode gekommen.
Und nun? Nun kann ich nur die Hände falten und hoffen, dass die Vernunft den Männern irgendwann sagt, wie viel lohnender es ist, an ihren Unterarmen zu arbeiten als an ihren Sixpacks. Wer sieht die schon im Alltag? Ein beiläufig hochgekrempelter Ärmel in einem Meeting hingegen… oh my.
Das Hochkrempeln ist übrigens essenziell für die Wirkung. Verboten sind karierte Kurzarmhemden, gestreifte Kurzarmhemden, weiße Kurzarmhemden … machen wir’s kurz: alle Kurzarmhemden. Verboten sind Tanktops. Problematisch sind T-Shirts. Der letzte Mann, der im T-Shirt gut ausgesehen hat, war Marlon Brando in »Endstation Sehnsucht«, aber man kann es natürlich gern mal wieder probieren.
Und wenn wir schon beim Träumen vom perfekten Unterarm sind: Schön wäre eine Narbe in Ellbogennähe, gern von einem Armbruch (möglichst kein Duschunfall, idealerweise eine Jugenddummheit). Der sollte schon einiges mitgemacht haben, dieser Arm, und das sollte man ihm auch ansehen.
Die Kraft und die Herrlichkeit, die sieht man ja sowieso.
Am Meer
Wenn es mir mies geht, wenn ich nicht mehr weiter weiß, wenn ich eine wichtige Entscheidung treffen muss, wenn ich mal wieder an allem zweifle – mit anderen Worten: in allen nur denkbaren Lebenskrisen –, fahre ich ans Meer. Ich pflege meine Krisen verlässlich in der Zeit von November bis März zu haben, das Meer kenne ich also fast nur in seiner schönsten Version: ohne Menschen in Badehosen, ohne Kitesurfer und ohne Kurtaxe. Meist genügt ein Wochenende, an dem ich dick eingepackt endlose vergrübelte Strandwanderungen in Gummistiefeln mache, mir dabei von Herzen leidtue und ein bisschen vor mich hin heule. Was nicht weiter auffällt, es ist ja eh keiner da und mir peitscht der Schneeregen sowieso horizontal ins Gesicht. Am Ende des zweiten Tages habe ich in der Regel meinen Halleluja-Moment wie den vor ein paar Jahren, als ich, frisch von der Liebe meines Lebens verlassen, nach vier Stunden Gewaltmarsch an der Westküste des Darß hysterisch lachend in den Sand fiel. Weil plötzlich alles ganz einfach war: Na klar! Ich bin frei! Ich werde für ein paar Monate nach New York ziehen! Das wollte ich schon immer, und jetzt kann ich es!
»Das Meer reinigt uns von allen Krankheiten«, hat Euripides vor gut 2500 Jahren geschrieben, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Über die Heilkraft des Meeres ist in den letzten Jahrzehnten viel geforscht worden, von der Thalassotherapie über den Einsatz von entspannenden Brandungsgeräuschen bei der Zahnarztbehandlung bis zur Verwendung von Meerwasser in Schnupfensprays ist bekannt, was die Verbindung von Salz und Mineralien, Kälte und Aerosolen alles bewirken kann. Meeresrauschen wird bei Meditationsübungen eingesetzt, das gleichmäßige Kommen und Gehen der Wellen entspricht dem des Atems. Am Meer atmet man automatisch langsamer und deshalb tiefer. Der Blutdruck sinkt, der Puls gleich mit, das Hirn wird durchgepustet, der Kopf freigespült.