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Um Szepter und Kronen - Historischer Romanzyklus E-Book

Oskar Meding

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Beschreibung

Dieses eBook: "Um Szepter und Kronen - Historischer Romanzyklus" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Oskar Meding (1828-1903) war ein deutscher Diplomat und Schriftsteller. Meding verfasste unter dem Pseudonym Gregor Samarow zahlreiche Romane, in denen er häufig Themen der jüngeren Geschichte behandelte: Politische Zeitromane und historische Romane aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges 1870-1871. Inhalt: Um Szepter und Kronen Europäische Minen und Gegenminen Zwei Kaiserkronen Kreuz und Schwert Held und Kaiser Aus dem Buch: "Nach meiner Überzeugung wird es ja dazu kommen," sagte der Graf, indem er ernst nach dem im Abendsonnenschein schimmernden Rhein hinüberblickte, "unsere Nachbarn dort jenseits des Stroms trachten ja mehr und mehr danach, daß dieses diplomatische Spiel und Widerspiel, welches seit 1866 zwischen dem Kaiser Napoleon und dem Grafen Bismarck geführt wird, endlich zu einer kriegerischen Entscheidung gedrängt werde, und wenn Deutschland in diesem Kriege siegreich sein sollte, wie ich sicher glaube und hoffe, dann wird, dann muß ja das alte Reich wieder erstehen und die alte nationale Kaiserherrlichkeit sich wieder erheben."

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Oskar Meding, Gregor Samarow

Um Szepter und Kronen - Historischer Romanzyklus

e-artnow, 2015 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-4744-1

Inhaltsverzeichnis

Um Szepter und Kronen
Europäische Minen und Gegenminen
Zwei Kaiserkronen
Kreuz und Schwert
Held und Kaiser

Um Szepter und Kronen

Inhaltsverzeichnis
Erster Band.
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Zweiter Band.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Dritter Band.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebenzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Vierter Band.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Achtundzwanzigstes Kapitel.
Neunundzwanzigstes Kapitel.

Erster Band.

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Es war um die neunte Abendstunde eines dunklen Aprilabends des Jahres 1866. Eine berliner Droschke fuhr in dem, diesen Kommunikationsmitteln eigenthümlichen Trab die Wilhelmsstraße herauf und hielt vor dem breiten durch zwei Gaslampen hell erleuchteten Thor des Hauses Nr. 76, des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten. Das Erdgeschoß dieses langgedehnten zweistöckigen Hauses war hell erleuchtet und man sah, wenn man scharf durch die grünen Vorsätze der Fenster blickte, in mehrere Bureauzimmer hinein, welche trotz der vorgerückten Abendstunde von eifrig arbeitenden Beamten erfüllt waren. Die Fenster des ersten Stocks zeigten theilweise eine matte Erleuchtung.

Aus der Droschke, welche vor diesem Hause hielt, stieg ein Mann von Mittelgröße, in dunklem Paletot und schwarzem Hut, näherte sich der Gaslampe, um in seinem Portemonnaie die zur Bezahlung der Droschke nöthige Münze zu finden, und läutete, nachdem er seine Rechnung mit dem numerirten Automedon ausgeglichen, stark an der neben dem Thor befindlichen Glocke. Fast unmittelbar darauf öffnete sich dieß Thor und der Einlaßbegehrende trat in eine breite Einfahrt, an deren Ende sich zwischen zwei mächtigen ruhenden Löwen die Aufgangstreppe in das Innere des Hauses befindet. An der Seite der Einfahrt über Manneshöhe öffnete sich ein in die Portierloge führendes Fenster und an demselben erschien der Kopf des Portiers mit der eigentümlichen gleichgültigen Miene, welche den Thürstehern großer Häuser überall eigen ist.

Der Portier blickte den Eintretenden durch das halbgeöffnete Fenster fragend an.

Dieser erhob jedoch nur flüchtig das Gesicht gegen das Fenster und schritt mit ruhigem, gleichmäßigen Schritt der Ausgangstreppe zu.

In dem hellen Licht, das bei dieser Bewegung des Eingetretenen aus dessen Antlitz fiel, sah man die Züge eines Mannes von etwa 60 Jahren, von gesunder, ein wenig gelblicher Gesichtsfarbe. Das scharfe, lebhafte dunkle Auge funkelte stechend und durchdringend, aber zugleich ruhig, wohlwollend und freundlich durch die Gläser einer feinen goldenen Brille. Eine scharfgeschnittene, feine Nase neigte sich in leichter Krümmung zu dem schmalen, festgeschlossenen, bartlosen Munde herab, unter welchem ein energisch gewölbtes Kinn dieses eigentümliche Gesicht abschloß, das man schwer wieder vergessen mochte, wenn man es einmal gesehen.

Kaum hatte der Blick jenes Auges unter dem goldenen Brillenreif hervor einen seiner blitzenden Strahlen nach dem Fenster der Portierloge geschossen, als der Kopf des Portiers wie durch einen Zauberschlag seine Physiognomie veränderte.

Der gleichgültige, vornehm herablassende Ausdruck verschwand urplötzlich, das Gesicht legte sich so zu sagen in dienstliche Falten und der Inhaber dieses Kopfes eilte an die nach der Aufgangstreppe führende Thüre seiner Loge, wo er in straffer Haltung, die den altgedienten Militär erkennen ließ, dem Eingetretenen gegenüber stehen blieb, welcher inzwischen die bis zum Vestibüle des Erdgeschosses führenden Stufen der großen Treppe hinaufgestiegen war.

»Der Herr Ministerpräsident zu Hause?« fragte der Eintretende leicht und mit jener einfachen vornehmen Freundlichkeit, welche, gleich fern von der Höflichkeit des Bittstellers und der gezwungenen Nonchalance des Parvenüs, den Mann charakterisirt, der gewohnt ist, auf den Höhen des Lebens sich in sicherer Natürlichkeit zu bewegen.

»Zu Befehl, Excellenz,« erwiederte der Portier im Tone dienstlicher Meldung. »Soeben ist der französische Botschafter fortgegangen und es ist Niemand mehr da. Der Herr Ministerpräsident werden allein sein.«

»Nun und wie geht es bei Ihnen? Noch immer rüstig und tüchtig zum Dienst?« fragte der Eingetretene freundlich.

»Danke unterthänigst für Eurer Excellenz gnädige Nachfrage, es geht ja noch immer, freilich etwas schwächer wird man schon, es ist nicht Jeder so fest wie Excellenz.«

»Nun, nun, wir werden Alle älter und gehen dem Ende entgegen, halten Sie sich tapfer — Gott mit Ihnen« — mit diesen freundlich und herzlich gesprochenen Worten stieg der ernste Mann mit der goldenen Brille die breite Treppe zum ersten Stockwerk hinauf, während der alte Portier ihm ehrerbietig und erfreut nachblickte und sich dann in seine Loge zurückzog.

Der Eingetretene fand in dem oberen Vorzimmer den Kammerdiener des Herrn von Bismarck-Schönhausen und wurde von demselben sogleich durch den großen matterleuchteten Vorsaal in das Kabinet des Ministerpräsidenten eingeführt, dessen Thüre der Kammerdiener mit den an seinen Herrn als Meldung gerichteten Worten öffnete: »Excellenz von Manteuffel!«

Herr von Bismarck saß vor dem großen mit Akten und Papieren überdeckten und durch eine hohe Lampe mit dunkler Kuppel erleuchteten Schreibtisch in der Mitte des Zimmers. Auf der andern Seite dieses Tisches befand sich ein Fauteuil, in welchen der Minister die ihn besuchenden Personen niedersitzen zu lassen pflegte.

Bei der Meldung des Dieners erhob sich Herr von Bismarck und trat seinem Besuch entgegen, während Herr von Manteuffel mit einem einzigen Blick seines scharfen Auges das Zimmer umfaßte und dann mit einem fast unmerkbaren halb wehmüthigen Lächeln die dargebotene Hand des Ministerpräsidenten ergriff.

Es war ein charakteristisches Bild von tiefem Inhalt, diese beiden sich gegenüberstehenden Männer in dem Sekundenatome der Gegenwart berührten sich die Vergangenheit und die Zukunft, das alte und das neue Preußen.

Beide Männer fühlten selbst etwas von diesem Eindruck: sie standen einen Augenblick stumm einander gegenüber.

Wir haben Herrn von Manteuffel bereits bei seinem Eintritt in das Hotel des auswärtigen Amtes charakterisirt, es bleibt nur noch hinzuzufügen, daß der abgenommene Hut leicht graues und dünn gewordenes, kurz geschnittenes Haar zeigte. Er stand ruhig da, die rechte Hand in der des Herrn von Bismarck, während er in den weichen weißen Fingern der linken den Hut hielt. Seine Züge hielten ihre stereotype Ruhe fest, der Mund war fast noch hermetischer geschlossen und eine abwehrende Zurückhaltung drückte dem ganzen ernst dastehenden Manne ihren Stempel auf.

Fast um eines Hauptes Länge über ihn hervorragend stand Herr von Bismarck vor ihm.

Seine mächtige Gestalt zeugte in ihrer Haltung dafür, daß er gewohnt war, die militärische Uniform zu tragen; sein kernig geformtes, stark markirtes Gesicht sprach in seinen tiefen Zügen von mächtigem, leidenschaftlichem innerem Leben, das graue, klare, durchdringende Auge richtete sich fest und gerade mit kaltem und kühnem Blick auf den Gegenstand, den es beobachten wollte, und unter der hohen und breiten, weit hinauf kahlen Stirn konnte man die in elementarischer Urkraft arbeitenden, durch eisernen Willen in logische Ordnung gezwungenen Gedanken errathen.

»Ich danke für Ihren freundlichen Besuch,« begann Herr von Bismarck nach einigen Sekunden, — »Sie haben hierher kommen wollen, statt mich bei sich zu empfangen, wie ich gebeten hatte.«

»Es ist besser so,« erwiederte Herr von Manteuffel, »in meinem Hotel hätte Ihr Besuch Aufsehen erregt, — auch ist man hier sicherer unbehorcht, und da ich vermuthe, daß ein ernster Gegenstand unsere Unterredung veranlaßt —«

»Ja, leider muß es eine ernste und außergewöhnliche Veranlassung sein, die mir die Freude verschafft, den bewährten Rath meines alten Chefs zu hören. Sie wissen, wie oft ich mich darnach sehne, und doch entziehen Sie sich stets jedem eingehenden Gedankenaustausch« — sagte Herr von Bismarck mit leichtem Anflug schmerzlichen Vorwurfs.

»Wozu sollte ein solcher führen?« entgegnete Herr von Manteuffel, in verbindlichem, aber kaltem Ton, — »selbst zu handeln und selbst zu verantworten ist mein Grundsatz gewesen, als ich an der Stelle stand, an der Sie jetzt stehen; fängt ein leitender Staatsmann erst an, Rath von rechts und links zu hören, so verliert er die Kraft, in fester Thatfreudigkeit auf dem Wege vorzuschreiten, den seine Vernunft und sein Gewissen ihm als den richtigen zeigen.«

»Nun wahrlich, meine Art ist es nicht, nach allen Seiten zu hören, und an Entschluß fehlt es mir nicht, meinen Weg zu gehen,« rief Herr von Bismarck lebhaft, »und,« setzte er mit leichtem Lächeln hinzu, »meine Freunde, die Herren Kammerredner, werfen mir ja täglich vor, daß ich von ihrem guten Rath nicht genügend Gebrauch mache; darum aber werden Sie mir zugeben, daß es Augenblicke geben kann, in welchen auch der festeste Sinn sich danach sehnt, die Ansicht und den Rath eines Meisters zu hören, der auf solche Thaten zurückblickt, wie Sie, mein verehrter Freund!«

»Und ein solcher Augenblick ist jetzt gekommen?« fragte Herr von Manteuffel ruhig, indem er sein scharfes Auge einen Augenblick forschend auf Herrn von Bismarck's bewegtem Gesicht ruhen ließ, ohne daß das im Tone innerster Ueberzeugung ausgesprochene Kompliment den geringsten Eindruck auf seinen Zügen erkennen ließ.

»Wenn jemals, so ist jetzt der Augenblick gekommen, in welchem auch dem härtesten Sinne der Zweifel näher treten mag als sonst. Sie kennen die Lage Deutschlands und Europas und wissen, daß die gewaltige Krisis kommen muß, von der vielleicht Jahrhunderte der Zukunft abhängen werden,« sagte Herr von Bismarck.

»Ich glaube, daß sie kommen wird — ob sie kommen mußte? — doch,« fügte Herr von Manteuffel nach einer kurzen Pause hinzu, »unsere Unterredung wird Gegenstände der höchsten Wichtigkeit betreffen und Sie kennen meine tiefe Abneigung gegen unberufene Einmischung in Dinge, die mich nicht angehen. Darf ich daher fragen: Weiß der König um diese Unterredung und ihren Gegenstand?«

»Seine Majestät weiß und wünscht, daß ich Sie um Ihren Rath bitte,« erwiederte Herr von Bismarck.

»Dann ist es meine Pflicht, meine unmaßgebliche Meinung zu sagen, soweit ich dieselbe mir bilden kann,« sagte Herr von Manteuffel ruhig, indem er sich auf den neben dem Schreibtisch stehenden Fauteuil niederließ, während Herr von Bismarck auf seinem Arbeitsstuhle Platz nahm. »Bevor ich mich jedoch über die Lage der Dinge aussprechen kann, muß ich wissen, welches Ihre Absichten sind, wo das Ziel Ihrer Politik liegt und durch welche Mittel Sie dasselbe zu erreichen hoffen. — Erlauben Sie,« fuhr er fort, indem er mit einer leichten, artigen Handbewegung eine beabsichtigte Bemerkung des Herrn von Bismarck zurückwies, »daß ich nach meiner ganz privaten und fernstehenden Beobachtung meine Meinung über Ihre Absichten ausspreche, Sie werden mir offen sagen, ob ich Recht habe oder mich täusche.«

Herr von Bismarck verneigte sich schweigend und richtete sein klares Auge mit dem Ausdruck gespanntester Aufmerksamkeit auf Herrn von Manteuffel.

»Sie wollen,« fuhr dieser ruhig fort, »nach der Ueberzeugung, die ich mir aus der Verfolgung der Ereignisse gebildet habe, die große deutsche Frage lösen, oder vielmehr beenden. Sie wollen Preußen an die Spitze der ökonomischen und militärischen Macht Deutschlands stellen und Denjenigen die Spitze des Schwertes zeigen, welche sich Ihnen entgegenstellen. Sie wollen mit einem Wort die lange chronische Krankheit, welche man die deutsche Frage nennt, zu einer akuten Krisis treiben und« — fügte er mit leichtem Lächeln hinzu — »durch das Arkanum von Blut und Eisen ein für allemal kuriren.« —

»Das will ich,« erwiederte Herr von Bismarck, ohne eine Bewegung zu machen und ohne den Ton zu erhöhen, aber seine Stimme vibrirte so eigentümlich, daß der Klang dieser drei Worte wie ein Waffenklirren durch das Zimmer zog, während seinem unverändert auf Herrn von Manteuffel gerichteten Auge ein elektrisches Leuchten entströmte.

So erklang, als Laokoon's Lanze das Pferd von Troja berührte, aus seinem Innern heraus das leise Klirren der griechischen Waffen, der erste Ton jenes furchtbaren Akkords, vor welchem die Mauern von Pergamus zusammenstürzten und der von den Saiten der Leier Homer's wiederklingend seit zweitausend Jahren die Herzen der Menschengenerationen erbeben läßt.

»Sie werden sich auch darüber nicht täuschen,« — fuhr Herr von Manteuffel fort, »daß Sie entschlossenem Widerstand gegenüberstehen, daß die Krisis da ist und daß Sie den Kampf aufnehmen müssen und zwar sehr bald, denn wenn mich nicht Alles täuscht, so drängt man auf der andern Seite ebenso zur Entscheidung.«

»Ich weiß es,« erwiederte Herr von Bismarck.

»Nun,« fuhr Herr von Manteuffel fort, »so handelt es sich denn um die Mittel des Kampfes. Sie haben zunächst die preußische Armee — ein sehr wesentliches, sehr schwer in die Wagschale fallendes Mittel, dessen Bedeutung ich gewiß am wenigsten verkennen möchte, — Sie haben in dieser Armee Vorzüge, welche ich nicht verstehe, aber nach militärischem Urtheil sehr bedeutend sind: das Zündnadelgewehr, die Artillerie, den Generalstab. — Aber es kommen bei diesem Kampf noch andere Faktoren in Betracht; die Allianzen und die öffentliche Meinung. Die Allianzen scheinen mir sehr zweifelhaft. Frankreich? Sie müssen am besten wissen, wie Sie mit dem schweigsamen Manne stehen, — England wird den Erfolg abwarten — Rußland ist sicher. Die öffentliche Meinung —«

»Gibt es eine solche?« warf Herr von Bismarck ein. Herr von Manteuffel lächelte fein und fuhr fort: »Die öffentliche Meinung unter gewöhnlichen Verhältnissen ist ein effektvolles Dekorationsstück, das seines lebhaften Eindrucks auf die corona des Publikums nicht verfehlt und bald Fiesco's wogendes Meer, bald die himmlische Lichtwolke in Egmont's Kerker darstellt — für die Maschinisten hinter den Coulissen, ist es eine Maschinerie, welche am rechten Faden zur rechten Zeit an rechter Stelle zu erscheinen hat, — ich glaube, wir kennen Beide die Coulissen und die Maschinerie. — Doch es gibt auch eine andere öffentliche Meinung, welche kommt und da ist wie der Wind, unfaßbar und unlenkbar wie er und furchtbar wie er, wenn er zum Sturme wird. — Der Kampf, welcher im Schooße der nächsten Zukunft liegt, ist ein Kampf von Deutschen gegen Deutsche, ein Bürgerkrieg, und in einem solchen Kampf verlangt die öffentliche Meinung ihr Recht, — sie ist ein mächtiger Alliirter und ein furchtbarer Feind, furchtbar am meisten dem Besiegten, dem sie schonungslos ihr vae victis entgegenruft. Die öffentliche Meinung aber ist gegen den Krieg, in Deutschland vielleicht noch weniger als in Preußen selbst, und gerade bei der Zusammensetzung der preußischen Armee ist das nicht gleichgültig.«

Herr von Bismarck fuhr lebhaft auf: »Sollten Sie es für möglich halten, daß —«

»Die preußische Armee ihrer Pflicht vergäße und zu marschiren sich weigerte?« fiel Herr von Manteuffel ein. »Nein, niemals, gewiß nicht — es mögen vereinzelte Unregelmäßigkeiten in der Landwehr vorkommen; sie werden vereinzelt, höchst vereinzelt bleiben, die Armee wird ihre Pflicht thun, sie ist die Inkarnation des Pflichtbewußtseins — werden Sie aber leugnen wollen, daß es ein gewaltiger Unterschied ist, ob die Pflicht mit Freude und Begeisterung oder mit Widerwillen und Abneigung gethan wird?«

»Die Freude und Begeisterung kommt mit dem Erfolg,« sagte Herr von Bismarck.

»Aber bis dahin?«

»Bis dahin muß eben die Pflichterfüllung aushalten und die Leitung ihre Schuldigkeit thun.«

»Gut,« sagte Herr von Manteuffel, »ich zweifle nicht, daß das geschehen wird; ich wollte nur konstatiren, daß ein in solchem Kampfe mächtiger und bedeutungsvoller Faktor nicht für, sondern gegen Sie ist.«

»Ich gebe Ihnen Recht für den Augenblick,« entgegnete Herr von Bismarck nach einer sekundenlangen Pause, »heute ist jene öffentliche Meinung gegen mich, die Sie so treffend mit dem Wehen des Windes verglichen, — allein sie wechselt auch eben so leicht wie jener. — Und doch kann ich Ihnen nicht ganz Recht geben. Freilich wohl, diese oberflächlich gebildete Welt, der seichte Liberalismus des Parkets und der Bierstuben spricht von jenem Deutschland, das in ihren Köpfen ein blauer Begriff ist, spricht von Bürger- und Bruderkrieg gegen Oesterreich — aber, glauben Sie mir, im preußischen Volke steckt das nicht, der Geist des preußischen Volkes geht aus der Armee hervor und durch die Armee klingt der hohenfriedberger Marsch — das Volk sieht den Staat Maria Theresia's als den Feind an des preußischen Geistes, den der alte Fritz der Monarchie eingehaucht. — Und jene Redner und Phraseologen? O, sie und ihre öffentliche Meinung fürchte ich nicht, sie werden wie die Wetterfahne vor dem Winde sich zum Erfolg wenden.«

»Auch ich gebe Ihnen theilweise, nur nicht ganz Recht,« sagte Herr von Manteuffel — »aber der Erfolg? Ist er sicher? Ist er vorbereitet? Wir haben zwei Faktoren berührt; kommen wir zum dritten, vielleicht zum wichtigsten — den Bündnissen. — Wie stehen Sie mit Frankreich, mit Napoleon III.?«

Bei dieser direkten und scharf accentuirten Frage, welche fast eben so sehr mit dem stahlscharfen Blicke als mit dem Laut der Worte gestellt wurde, zuckten Herrn von Bismarck's Lippen eine Sekunde fast unmerklich und es schien etwas, wie Unsicherheit, Zweifel oder Mißtrauen oder eine Mischung von alledem zusammen über den Spiegel seines Auges zu gleiten — dieß Alles verschwand aber eben so schnell und er antwortete ruhig und mit derselben metallischen Stimme wie vorher:

»Gut, — so gut als man mit dieser räthselvollen Sphinx stehen kann.«

»Haben Sie Zusagen, Verträge — oder weit besser als das —haben Sie ein persönliches Wort Napoleon's?« fragte Herr von Manteuffel.

»Sie inquiriren scharf,« antwortete Herr von Bismarck, doch — ich stehe ja vor meinem Meister; — so hören Sie denn, was in jener Richtung geschehen ist und wie die Frage dort steht.

»Schon vor zwei Jahren — im November 1864, sprach ich mit dem Kaiser bei Gelegenheit der dänischen Frage — er wünschte lebhaft die Restitution der nordschleswig'schen Distrikte an Dänemark — über die schlimme und bedenkliche Lage der preußischen Monarchie, welche in zwei getheilte Hälften gespalten ist; ich wies ihn darauf hin, wie falsch die Errichtung eines neuen Kleinstaates im Norden wäre und wie viel besser es für Dänemark sein würde, einen großen und mächtigen Staat zum Nachbar zu haben, als an seinen Grenzen den kleinen Hof eines Fürsten, der auf die dänische Krone Ansprüche macht. Der Kaiser hörte Alles an, schien mit einigen Worten meine Ansicht über die Nothwendigkeit einer bessern Begrenzung Preußens zu billigen, war jedoch wie gewöhnlich nicht dazu zu bringen, sich klar und bestimmt zu äußern; doch war es wohl bemerkbar, daß seine Verstimmung gegen Oesterreich bedeutend sei und daß er den wiener Hof einer großen Unzuverlässigkeit anzuklagen habe.«

»Und haben Sie ihm die Distrikte von Nordschleswig versprochen, wenn er Ihren Ideen zustimmte?« fragte Herr von Manteuffel.

»Er mag es glauben« — erwiederte Herr von Bismarck mit leichtem Lächeln — »indeß da er sich auf Zuhören und Kopfnicken beschränkte, so hielt ich es nicht für nöthig, bei meinen Bemerkungen aus einer allgemein objektiven Haltung herauszugehen.«

Herr von Manteuffel neigte schweigend den Kopf und Herr von Bismarck fuhr fort:

»Bei Gelegenheit des Vertrages von Gastein fanden einige Erörterungen statt, ohne daß es mir gelang, positivere Erklärungen zu bekommen, und ich ging im November 1865 nach Biarritz, aber auch dort war es unmöglich, den schweigsamen Mann aus seiner absoluten Reserve zu bringen. Ich wußte, daß damals sehr ernstlich mit Oesterreich negoziirt wurde, um einen Abschluß der italienischen Frage zu erreichen, vielleicht lag daran der Grund der kalten Zurückhaltung gegen mich, vielleicht auch — Sie kennen den Grafen Goltz?«

»Ich kenne ihn,« sagte Herr von Manteuffel mit feinem Lächeln.

»Sie werden also auch wissen, daß man damals in gewissen Kreisen das Gerücht zirkuliren ließ, Graf Goltz werde mich ersetzen — was damals in Paris vorging, war mir nicht klar; indeß es ging Etwas vor oder vielmehr es ging nicht wie ich wollte und wie es sollte. Ich handelte selbst. Auf der Rückkehr von Biarritz sprach ich den Prinzen Napoleon.«

»Ernstlich?« fragte Herr von Manteuffel.

»Ganz ernstlich,« erwiederte Herr von Bismarck, indem ein leichtes Lächeln über seine Lippen spielte, »und ich sah, daß Italien der Punkt war, an welchem die kaiserliche Politik gefaßt werden mußte. Der gute Prinz Napoleon wurde Feuer und Flamme, ich ließ in Florenz agiren und binnen Kurzem gestalteten sich feste Negoziationen, deren Resultat ich Ihnen heute vorlegen kann.«

Herr von Manteuffel drückte durch eine Bewegung seine große Gespanntheit auf diese Mittheilung aus.

Herr von Bismarck blätterte leicht in einem kleinen Fascikel von Papieren, die im Bereich seiner Hand auf dem Schreibtisch lagen, und fuhr fort:

»Hier ist der Vertrag mit Italien, den der General Govone verhandelte und der uns den Angriff gegen Oesterreich von Süden her mit aller italienischen Land- und Seemacht sichert.« —

»Und Frankreich?« fragte Herr von Manteuffel.

»Der Kaiser gesteht zu,« erwiederte Herr von Bismarck, »die Erwerbung von Holstein und Schleswig ohne die nordschleswig'schen Distrikte, er erkennt die Notwendigkeit an, die beiden Hälften der preußischen Monarchie zu verbinden, wozu Theile von Hannover und Kurhessen erworben werden müssen, und wird sich nicht dem preußischen Kommando über das 10. Bundesarmeekorps widersetzen.«

»Und was verlangt er?« fragte Herr von Manteuffel.

»Venetien für Italien.«

»Und für sich, für Frankreich?«

»Für sich« — erwiederte Herr von Bismarck — »Nichts.«

»Nichts?« sagte Herr von Manteuffel — »Nichts? Sollten Sie nicht Vermuthungen über seine vielleicht nicht ausgesprochenen Gedanken haben? So viel ich mich erinnere, hatte er auch nichts verlangt, als er nach dem italienischen Krieg Savoyen und Nizza nahm.« —

»Was seine Gedanken betrifft,« sagte Herr voll Bismarck, »so glaube ich vermuthen zu dürfen, daß ihm die Erwerbung von Luxemburg höchst wünschenswert ist und daß vielleicht in weiterer Perspektive ein näherer Anschluß Belgiens an Frankreich eine Rolle in seinen Kombinationen spielt. Sie wissen, daß etwas orleanistische Lust in Brüssel weht.«

»Und was hat Napoleon über Ihre Stellung zu diesen seinen Gedanken Grund zu glauben?« fragte Herr von Manteuffel weiter.

»Was er will,« warf Herr von Bismarck ziemlich leicht hin. »Wenn er nichts verlangt, habe ich doch keinen Grund, ihm etwas zu versprechen, und seine Wünsche — nun, — diese als thöricht und unerfüllbar zu bezeichnen, ist gewiß nicht meine Aufgabe.«

»Ich verstehe,« nickte Herr von Manteuffel.

»Hannover soll für die Abtretung seiner Gebietsteile in Lauenburg und Holstein entschädigt werden,« fügte Herr von Bismarck hinzu.

»Hat das der Kaiser Napoleon verlangt?« fragte Herr von Manteuffel etwas verwundert.

»Durchaus nicht,« — erwiederte Herr von Bismarck. »Nach der Tradition seiner Familie liebt er die Welfen nicht und, Sie sehen es, die Basis des ganzen Arrangements ist ja die preußische Suprematie in Norddeutschland; was also dort geschieht, ist ihm gleichgültig — nein, unser allergnädigster Herr legt den größten Werth darauf, daß Hannover in dem bevorstehenden Kampfe auf unserer Seite steht und daß die alten Familienbande, welche zwischen den beiden Häusern bestehen, in der Zukunft erhalten bleiben.«

»Und Sie selbst,« forschte Herr von Manteuffel, »wie denken Sie über die hannöverische Frage?«

»Stelle ich mich auf den rein objektiv politischen Standpunkt« — entgegnete Herr von Bismarck mit Offenheit — »so muß ich wünschen, daß Hannover gar nicht existirte, und muß bedauern, daß es unserer Diplomatie auf dem wiener Kongreß nicht gelungen ist, das englische Haus zur Abtretung dieser Sekundogenitur zu bringen — was vielleicht hätte gelingen können. Hannover ist ein Nagel in unserem Fleisch und selbst bei der besten Gesinnung lähmt es uns gewaltig. Herrscht aber dort, wie seit langer Zeit, böser Wille, so wird es uns geradezu gefährlich. — Wäre ich so sehr Macchiavellist, wie man es mir zuweilen vorwirft, so müßte ich mein ganzes Augenmerk darauf richten, Hannover zu erwerben. Und vielleicht wäre das so schwer nicht, als es scheint« — fuhr Herr von Bismarck, wie unwillkürlich einer in seinem Geiste auftauchenden Gedankenreihe folgend, fort — »weder die englische Nation noch das königliche Haus dort möchte sich viel darum kümmern und — doch wie Sie wissen, unser allergnädigster Herr ist sehr konservativ und hat eine tiefe Pietät für die hannöverisch-preußischen Traditionen, welche durch Sophie Charlotte und die Königin Louise verkörpert werden — und ich — nun, ich bin nicht minder konservativ und mir sind jene Traditionen nicht minder heilig, und ich gehe von Herzen und mit Ueberzeugung auf die Ideen des Königs ein, die Zukunft jenen Traditionen gemäß zu gestalten und die dauernde Existenz Hannovers möglich zu machen. Aber so wie bisher geht es freilich nicht, Garantieen müssen wir haben, und je mehr sich das Leben der Staaten in seiner Eigentümlichkeit accentuirt und konzentrirt, je mehr sich der Verkehr entwickelt und in seinen reichen Lebensadern zu einem Faktor, ja zur Basis der Politik wird, um so weniger kann Preußen dulden, daß in seinem Körper, seinem Herzen so nahe, ein fremdes, bei jeder Krisis vielleicht feindliches Element bestehe. — Ich kann Ihnen also mit vollem Ernst erwiedern: ich strebe ehrlich und aufrichtig darnach, Hannover zu gewinnen und ihm, wenn es seinerseits die alten Traditionen achtet und treu zu uns steht, eine sichere und ehrenvolle, ja glänzende Stellung in Norddeutschland zu schaffen. — Aber freilich muß man dort aufhören, uns fortwährend fühlen zu lassen, daß man ein Hinderniß ist.«

»Und haben Sie Aussicht, zur Verständigung mit Hannover zu gelangen — zum ernsten, festen Bündniß?« fragte Herr von Manteuffel.

»Ich hoffe es,« antwortete Herr von Bismarck nach einer augenblicklichen Pause. »Graf Platen war hier — Sie kennen ihn?«

Herr von Manteuffel lächelte.

»Nun,« fuhr Herr von Bismarck fort — »man hat nichts gespart, man hat ihn überschüttet mit Liebenswürdigkeit aller Art, man hat ihm das Großkreuz vom rothen Adler gegeben.«

»Nicht den schwarzen?« fragte Herr von Manteuffel.

»Bah, — man muß immer noch Pulver behalten — er war ja überglücklich; und dann — ich habe ihm eine Familienverbindung vorgeschlagen, die von Seiner Majestät selbst lebhaft gewünscht wird und durch welche vielleicht die ganze Frage mit einem Male in der freundlichsten Weise gelöst würde.«

»Ich weiß dieß zufällig,« warf Herr von Manteuffel ein — »glauben Sie, daß dieß Projekt reüssirt?«

»Man schien demselben in Hannover selbst günstig,« erwiederte Herr von Bismarck, »und in Norderney sowohl als auf der Marienburg — doch das wird sich zeigen, für's Erste lege ich allerdings mehr Gewicht auf die Politik. — «

»Und was hat Graf Platen in dieser Beziehung versprochen?«

»Die Neutralität — wie er es bereits früher gegen den Prinzen Ysenburg gethan —«

»Und der Vertrag darüber ist geschlossen?«

»Graf Platen konnte das natürlich nicht allein, auch schien er Geheimhaltung der ganzen Sache zu wünschen, um nicht vor der Zeit in Frankfurt und Wien Susceptibilitäten zu erregen; indeß hat er mir die bestimmtesten Versicherungen gegeben und sich zugleich persönlich so beißend über Beust und die wiener Staatskanzlei ausgesprochen, daß ich ihm glauben muß.«

»Verzeihen Sie mir,« warf Herr von Manteuffel ein, »daß ich diese hannöverische Frage — auf welche ich einen gewissen Werth lege, kurz — wenn Sie wollen, etwas skeptisch resümire. Dieselbe beschränkt sich, wie mir scheint, auf Verhandlungen ohne ein bestimmtes Resultat — auf Versicherungen und Versprechungen des Grafen Platen — wäre es nicht vielleicht besser gewesen, in Hannover selbst ernstliche Schritte zu thun — Georg V. ist kein Louis XIII. und Graf Platen — kein Richelieu.«

»Ich habe auch daran gedacht,« bemerkte Herr von Bismarck, — »Sie wissen, daß der hier von Hannover akkreditirte Herr von Stockhausen mit den Baudissins verwandt ist — der eine Baudissin, Schriftsteller, Feuilletonist etc., den Sie vielleicht haben nennen hören, hat den jungen Stockhausen, den Sekretär seines Vaters, mit Keudell in Verbindung gesetzt — vielleicht gelingt es ans diesem Wege, direktere Einwirkung in Hannover zu ermöglichen — ich kann jedenfalls nur wiederholen, daß ich alles Ernstes eine feste und definitive Freundschaft mit Hannover und die Erhaltung des dortigen Thrones wünsche und Alles aufbieten werde, um zu diesem Resultat zu kommen — gegen die Ansicht vieler Preußen, wie Sie wissen. — Mit Hannover hängt Kurhessen innig zusammen, der Kurfürst scheint den Weg des Königs von Hannover gehen zu wollen, übrigens macht mir diese Frage wenig Sorgen; sie ist keine dynastische, die Nachfolger sind uns sicher.«

»Und« — fragte Herr von Manteuffel weiter, »halten Sie es für möglich, im Falle eines Krieges gegen Oesterreich die Neutralität von Bayern und Württemberg zu erlangen?«

»Nein,« erwiederte Herr von Bismarck, »die österreichische Partei ist allmächtig in München, und der Prinz Reuß schreibt mir, daß namentlich seit dort etwas von der italienischen Allianz verlautet habe, eine bayerische Neutralität absolut unmöglich sei. Das Einzige, was sich vielleicht erreichen ließe, sei eine laue Kriegführung. Nun, ich glaube, die wird sich schon von selbst ergeben, der ganze Schwerpunkt wird immer in Böhmen liegen. — Da habe ich Ihnen nun im Wesentlichen so ziemlich die ganze Lage entwickelt. Wollen Sie über irgend einen Punkt noch aufgeklärt sein, so fragen Sie mich, — und nun bitte ich Sie um Ihre Meinung en connaissance de cause.«

Herr von Manteuffel sah einige Augenblicke schweigend zu Boden; dann erhob er sein Auge zu dem äußerst gespannten Antlitz seines Gegenübers und begann mit jener sanften, ruhigen Stimme und jenem leichtfließenden, eindringenden Ton, der ihm, obgleich er durchaus niemals ein öffentlicher Redner war, im persönlichen Verkehr eine so eigentümlich wirkungsvolle Beredsamkeit verlieh:

»Ich sehe allerdings, daß Sie alle Punkte in's Auge gefaßt haben, welche bei dem großen Kampfe in Betracht kommen, und daß Vieles geschehen ist, um die Chancen des Erfolges auf Ihre Seite zu bringen — allein ich sehe nur in einem einzigen Punkte etwas wirklich Fertiges, Vollendetes und Sicheres: dieser Punkt ist die preußische Armee. — Alles Uebrige in dem Gebäude ist unsicher und schwankend. Frankreichs Stellung ist keine vollkommen klare und feste, Deutschland scheint mir feindlich, denn — aufrichtig gesprochen — ich glaube nicht an Hannover, die Politik der Sicherheit und Vorsicht liegt nicht im Charakter des Königs und, ich wiederhole es, Hannover kann sehr gefährlich werden. Bedenken Sie, daß die Brigade Kalik noch in Holstein steht, bedenken Sie, daß Hannover und Hessen eine ziemlich starke Macht aufstellen können und daß Sie nicht viel übrig haben, um dorthin zu operiren. — Italien? — Seine Allianz ist sicher, wie Sie mir sagen; nun, ich will auch glauben, daß man dort Wort hält — glauben Sie, daß die italienische Armee auf Erfolge rechnen kann? Ich glaube es nicht. Mag Oesterreichs Militärverfassung so mangelhaft sein, wie sie will, auf dem italienischen Kriegstheater, in den Gebieten des Festungsvierecks wird Oesterreich die Italiener immer schlagen, jene Gebiete kennen die österreichischen Generalstäbe wie ein Schachbrett, und dort zu schlagen, dazu werden sie erzogen, darauf werden sie — wenn Sie wollen — dressirt — ich sehe also nur eine Niederlage für Italien voraus.«

»Aber,« warf Herr von Bismarck lebhaft ein, »schon der Umstand, daß Oesterreich gezwungen wird, auf zwei Kriegstheatern zu schlagen, wiegt wahrlich schwer genug. Wie viel Truppen wird man uns denn noch entgegenstellen können? Oesterreich wirft an den verschiedenen deutschen Höfen, wie man mir mittheilt, mit 800,000 Mann um sich — ich weiß aber bestimmt, daß bei Weitem nicht die Hälfte davon da ist.«

»Nun,« sagte Herr von Manteuffel, »lassen wir die Erörterung der Chancen, ich gebe zu, daß sie vorhanden sind, wesentlich aber in der Tüchtigkeit der Armee. — Aber eine zweite, ernste Frage. Ist der Krieg nöthig? Ist die Lage so, daß alles schwere Unheil, alle großen, großen Gefahren eines so gewaltigen Kampfes heraufbeschworen werden müssen? Sie wissen, auch ich will Preußen an die Spitze von Deutschland bringen, ich wünsche das als Preuße, ich will es aus Ueberzeugung als Deutscher und ich habe dafür als Minister gearbeitet, so viel ich es vermochte. Aber ich habe geglaubt, daß solche Entwicklungen durch die Zeit in organischem Wachsthum gereift werden müssen, und ich habe als den größten Feind preußischer Führung in Deutschland das Mißtrauen der Deutschen gefunden; dieß Mißtrauen, die Furcht der Fürsten für ihre Souveränetät und die Zukunft ihrer Dynastieen, die Furcht der Volksstämme für ihre autonomische Besonderheit stemmt sich Preußen entgegen und wird von Oesterreich stets geschickt benutzt, welches durch seinen fast zu großen Komplex gegen ein gleiches Mißtrauen gesichert ist. Ich habe es für die Aufgabe Preußens gehalten — und habe meinerseits darnach gestrebt, — uns das Vertrauen der Fürsten und Völker in Deutschland zu gewinnen. — Gelingt das, so ist die Führung unser und die Rolle Oesterreichs ausgespielt, denn ohne jenes Mißtrauen wendet sich der deutsche Geist, der Geist der Bildung und Aufklärung, der Geist des fortschreitenden nationalen Lebens uns zu. — Außerdem habe ich meine bestimmte Ansicht über preußische Kriege. Unsere Macht ist groß, — aber sie ist besonders und eigenthümlich, denn sie stellt, wenn sie voll entfaltet wird, das ganze Land auf das Schlachtfeld, und bei einer unglücklichen Wendung stehen wir der äußersten Katastrophe näher, als irgend ein anderer Staat. So lange unsere Macht droht, ist sie sehr stark; sie nimmt ab, wenn sie wirklich in Aktion tritt. Stehen wir Gewehr bei Fuß, so muß man immer mit uns rechnen und« — fügte Herr von Manteuffel mit dem Ausdruck einer gewissen ruhigen Befriedigung bei, — »der Pariser Frieden spricht ein wenig für diese meine Maxime. — Wo ist nun die Notwendigkeit, jenes Vertrauen, das schon durch die neue Aera erschüttert ist, tief zu zerstören, wo ist der Zwang, die mächtige reservirte Stellung Preußens durch das ungewisse Würfelspiel des Krieges schwer zu gefährden? — Sie werden,« fuhr er mit einem trüben Lächeln fort, »mich vielleicht für einen furchtsamen, engherzigen Pedanten halten, — aber da Sie mich um meine Meinung gefragt, dringend gefragt haben, so bin ich wohl berechtigt, meinerseits diese Fragen zu stellen.«

Herr von Bismarcks Gesicht hatte, während Herr von Manteuffel sprach, eine nervöse Bewegung gezeigt, eine steigende Ungeduld zitterte über seine Züge, ohne daß er jedoch eine Miene oder eine Bewegung der Unterbrechung gemacht hätte.

Als Herr von Manteuffel geendet, stand der Ministerpräsident lebhaft auf, näherte sich seinem Gaste und rief, indem er dessen Hand ergriff:

»O mein verehrter Freund, ich kenne ja diese Ihre Ansichten, ich kenne die edlen Gesinnungen, welche Sie bewegt und geleitet haben, so lange Sie das Ruder des preußischen Staates führten, ich kenne Ihre Gewissenhaftigkeit und Vorsicht, — glauben Sie mir, auch ich bin weit entfernt, leichtsinnig mit den Schicksalen des preußischen Staates, dieser kunstvollen Schöpfung jahrhundertelangen Fleißes, zu spielen! Glauben Sie mir, nicht ich bin es, der diesen Krieg provozirt, ich befinde mich im Stand der Nothwehr, und wenn ich auch nicht mit derselben pietätvollen Scheu, wie der König, davor zurückbebe, mich endlich mit diesem perfiden Oesterreich auf die Mensur zu stellen, so möchte ich doch um keinen Preis ohne Noth das Aeußerste herbeiführen. Aber ich weiß es, daß man in Wien den Krieg will, man will uns unsere berechtigte Stellung nicht einräumen, ja man will uns herunterdrücken und ersticken in der Maschinerie des Bundes — die Sie ja kennen und die auch Ihnen so viel Qual und Sorge gemacht hat. Dieser sächsische Beust und seine Freunde in Wien, der sanguinische Meysenbug, der ehrgeizige Pedant Biegeleben und der blaue Biedermann Max Gagern träumen von einem neuen deutschen Reich, in welchem ein Parlament von ihrer Mache den Kaiser Franz Joseph auf den deutschen Kaiserthron zurückführen soll — und der Kaiser selbst lebt und webt in diesen Ideen; sie haben ihm richtig mit dieser Komödie des frankfurter Fürstentages den Kopf verdreht. Sie bedenken nicht, die Thoren,« rief er lebhafter, indem er einige starke Schritte durch das Zimmer machte, »daß in Frankfurt nicht Der der Kaiser war, der unter dem Jubel des Straßenpublikums den boeuf historique serviren und die armen deutschen Fürsten« — fügte er bitter lächelnd hinzu — »in der Morgendämmerung zu einer matinée politique aus den Betten reißen ließ, bei der man das lauwarme Wasser der Beust'schen Weisheit genoß, — nein — wahrhaftig, Der war nicht der Kaiser, sondern Der war es, vor dessen kaltem Nein, vor dessen einfacher Abwesenheit der ganze Spuk sich in Dunst auflöste. — Und ich sollte ruhig abwarten, bis man einen vielleicht günstigeren Moment findet, um jene herrlichen Pläne auszuführen? — Und dann, mein verehrter Freund,« fuhr er fort, indem er wieder nahe vor Herrn von Manteuffel hintrat, welcher ihm mit unveränderter Ruhe zugehört hatte, »und dann — gibt es nicht Augenblicke, in denen der kühne Entschluß, die rasche That nothwendig sind, um Großes zu erreichen und schwere Gefahren abzuwenden? Weist uns nicht die Geschichte unseres Preußens auf solche Momente mehr als eine andere hin? — Was wäre aus Preußen geworden, wenn Friedrich der Große abgewartet hätte, bis die — den heutigen ganz ähnlichen Pläne Oesterreichs und Sachsens in günstigem Augenblick zur Reife gediehen wären, — wenn er nicht mit dem raschen, gewaltigen Griff seiner kühnen Hand zerstörend in das Gewebe des Neides und der Bosheit gegriffen hätte? — Wohin wäre Preußen gekommen ohne York's kühnen Entschluß? — O mein verehrter Freund!« rief Herr von Bismarck lebhaft, indem seine Gestalt sich breit und hoch ausdehnte, »mein Gefühl sagt es mir und mein Verstand widerspricht nicht, daß der Geist Friedrich's des Großen und der Geist von 1813 der Lebenshauch ist, der durch die preußische Geschichte weht, und daß der Zeiger der großen Weltuhr eine Stunde zeigt, in welcher dieser Geist lebendig werden muß, um Preußen vorwärts schreiten zu lassen — und nicht vorwärts gehen heißt hier rückwärts gehen, rückwärts auf unberechenbaren Bahnen. — Soll ich mit dieser Ueberzeugung im Herzen still sitzen und das Unheil kommen lassen, abwarten,« fügte er leiser hinzu, »bis vielleicht einmal eine Hand, weniger fest als die meinige, ein Sinn, weniger muthig als ich ihn in mir fühle, berufen sein könnte, der Gefahr gegenüber zu treten?«

Herr von Manteuffel hatte bisher, den Arm leicht auf den Schreibtisch gestützt und die Augen zu Boden geschlagen, unbeweglich seinen Platz behalten.

Er erhob sich jetzt und blickte dem Ministerpräsidenten, der in lebhafter Bewegung und mit fast ängstlicher Spannung an seiner Miene hing, voll und gerade in's Auge.

»Herr von Bismarck,« sagte er dann mit ruhiger Stimme, in welcher eine etwas wärmere Nüance leise durchklang, »Sie berühren da eine Saite, die, wie Sie wissen, bei jedem Preußen anklingt und deren Ton auch durch mein Leben zieht; wer wollte es leugnen, daß es Momente gibt, in denen nur die kühne That zum Heil führt, wer wollte es leugnen, daß Preußen durch das große und mächtige Ergreifen solcher Momente zu dem geworden, was es heute ist! — Ob wir in diesem Augenblick vor einem solchen Moment stehen, darüber kann kein Sterblicher mit Unfehlbarkeit entscheiden und ich möchte darüber nicht mit Ihnen rechten, — darüber nach Pflicht und Gewissen zu urtheilen und danach zu handeln ist die Sache Desjenigen, der in solchen Augenblicken an den Stufen des Thrones steht. Sie stehen an diesem Platz — und ich danke Gott, daß ich ihm heute fern bin, Sie haben, was geschehen wird, vor der Geschichte, vor Ihrem Vaterlande und Ihrem Könige zu verantworten. — Sie müssen also entscheiden, was Sie zu thun haben, und ich möchte um keinen Preis der Welt Zweifel in Ihre Entschlüsse werfen. — Nun aber noch eine Frage — erschrecken Sie nicht — es soll die letzte sein, vielleicht ist es die wesentlichste.«

Und Herr von Manteuffel trat noch einen Schritt näher zu Herrn von Bismarck und fragte, indem er seine Stimme zu leiserem Tone herabsinken ließ und dadurch gerade einen um so tieferen Nachdruck in dieselbe legte:

»Wenn nun die Würfel des Kriegsspiels gegen Sie fallen, wenn die Berechnung der Chancen sich als falsch erweist — täuschen können wir uns Alle — wenn dann die siegreichen Gegner die Macht gewonnen und zu den lange vorbereiteten Plänen die Erbitterung des Kampfes und der Hochmuth des Sieges hinzutritt, — welchen Plan haben Sie gefaßt, welche Vorbereitungen haben Sie getroffen, um dann Preußen vor den äußersten Gefahren, vielleicht vor dem Untergange zu schützen? Sie wissen, ich habe immer dem Grundsatz gehuldigt, ein guter General müsse zunächst an den Rückzug denken und denselben vorbereiten, deßhalb werden Sie meine Frage natürlich finden und begreifen, welche Wichtigkeit ich auf dieselbe lege.«

Herrn von Bismarck's bisher so lebhaft gespanntes und bewegtes Gesicht nahm eine stolze und kalte Ruhe an, um seinen Mund zuckte es in seltsamem Nervenspiel und aus seinem Auge blitzte es wie blanke Degenklingen. Mit jenem metallisch vibrirenden Ton der Stimme, der in gewissen Augenblicken durch seine Worte klingt, erwiederte er:

»Wenn ich es für möglich halten und daran denken könnte, daß die preußische Armee von Oesterreich geschlagen würde, dann wäre ich nicht preußischer Minister!«

Bei diesen, im Tone innigster Ueberzeugung ausgerufenen Worten trat Herr von Manteuffel langsam einen Schritt zurück und blickte mit dem Ausdruck des Erstaunens und des Nichtbegreifens in das leuchtende und zuversichtliche Antlitz des Ministerpräsidenten.

Dann wendete er sich langsam zur Seite, ergriff seinen Hut und indem er sich mit ruhiger Höflichkeit gegen Herrn von Bismarck verneigte, sprach er im Tone gewöhnlicher Salonunterhaltung:

»Ich glaube, der Zweck unserer Unterredung ist erreicht, wir haben das Thema erschöpft und ich darf Ihre so knapp gemessene Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.«

Herrn von Bismarck's lebhaft animirte Züge sanken bis zu dem Ausdruck schmerzlicher Wehmuth herab und er erwiederte mit traurigem Ton:

»Das Thema ist nicht erschöpft — sagen Sie lieber, daß Sie es nicht weiter diskutiren wollen, — da wir uns, wie ich wohl verstehe, in excentrischen Kreisen bewegen, die keinen Punkt mit einander gemein haben.«

»Wenn dieß der Fall ist,« sagte Herr von Manteuffel, »so würde ein weiteres Herumbewegen in den getrennten Sphären keinen Zweck und Nutzen haben, und — wie ich glaube,« setzte er leicht lächelnd hinzu, »in einem Punkt sind wir gewiß gleicher Ansicht: daß die Zeit zu kostbar ist, um sie mit unnützen Worten zu verlieren.«

»So leben Sie wohl,« sprach Herr voll Bismarck ernst, indem er Herrn von Manteuffel die Hand drückte, »Sie lassen mich um eine Hoffnung ärmer, um eine Stütze schwächer.«

»Sie bedürfen fremder Stützen nicht,« erwiederte Herr von Manteuffel, »und seien Sie überzeugt, was auch geschehen möge, meine innigsten Wünsche werden der Erhaltung und Entwicklung der Größe und des Ruhmes Preußens geweiht sein.«

Und mit leichter Verbeugung schritt er zur Thüre.

Herr von Bismarck begleitete ihn schweigend bis zum Vorzimmer und setzte sich sodann vor seinen Schreibtisch, wo er einige Minuten in tiefen Gedanken versunken sitzen blieb.

»Alle, Alle,« rief er dann plötzlich, indem er aufsprang und mit heftigen Schritten das Zimmer durchmaß, »Alle singen dasselbe Lied, Alle sprechen sie von der Verantwortung, von den Gefahren, von dem Elend des Krieges! — Aber fühle ich denn diese Verantwortung nicht, — sehe ich diese Gefahr nicht — bleibt denn mein Herz kalt bei dem Gedanken an die Kriegsnoth? Aber weil ich die Gefahr sehe, darf ich vor dieser Noth nicht zurückbeben, und weil ich die Ueberzeugung der Nothwendigkeit habe, muß ich die Verantwortung auf mich nehmen. Ich weiß es wohl, warum die Meisten mich von kühner That zurückhalten wollen, jene liberalen Parlamentaristen fürchten das Waffenklirren, ja, vielleicht fürchten sie sogar den Sieg — und alle die schwachen Geister, die sich an das Heute klammern möchten in feiger Trägheit, um nur dem Morgen nicht entgegen zu treten, — nun, sie wollen ja niemals etwas Rechtes und Festes, sie bleiben dieselben durch alle Jahrhunderte der Geschichte; — aber Er — er ist ein Mann der That und des Muthes, er kennt die Gefahr und fürchtet sie nicht — auch er scheut hier zurück. Das ist ernster, und ein Wort dieses Mannes läßt eine ganze Welt von Kammerrednern, Diplomaten und Bureaukraten federleicht in die Luft steigen . . . den Rückzug will er vorbereiten!« —

Herr von Bismarck stand einen Augenblick still und blickte sinnend vor sich nieder.

»Und hat er nicht Recht?« sprach er dann dumpf und finster — »wenn nun der Erfolg fehlte, wenn den Feinden die Macht würde, Preußen zu beugen — zu brechen, — was wäre die Folge? — abzutreten, wie ein leichtsinniger Spieler, verurtheilt von Allen, durch die ganze künftige Geschichte hindurch — ein Spott des miserablen Haufens — aber dann,« rief er lebhaft aus, indem sein Blick sich brennend aufwärts richtete, »die andere Seite, — zurückweichen mit dem Bewußtsein des Sieges im Herzen, den Augenblick verlieren und damit vielleicht jene ganze große, mächtige Zukunft Preußens, die ich so leuchtend vor mir stehen sehe —

Was du dem Augenblick verloren, bringt keine Ewigkeit zurück.«

Und wieder stand er still und blickte in tiefem Sinnen zur Erde.

»O wer mir Licht geben könnte in diesem Dunkel!« rief er dann heftig — »ich muß den Himmel über mir haben und die frische Luft in das Blut dringen lassen« — und er ergriff einen leichten Hut, verließ das Zimmer, stieg die Treppe herab, die aus seiner Wohnung in den Hof führt, durchschritt diesen Hof mit großen Schritten und vertiefte sich in die dunkeln Gänge des großen Gartens, dessen uralte mächtige Bäume die hintere Seite des Hotels des auswärtigen Amts umgeben.

Zu derselben Stunde saßen in einem eleganten und freundlich erleuchteten Salon desselben Gebäudes eine ältere und eine jüngere Dame, mit einer leichten weiblichen Arbeit beschäftigt. Zur Seite stand der Theetisch und die gesellige Flamme ließ das Wasser im Kessel jene eigentümlichen Weisen singen, welche für die Engländer im Verein mit dem Zirpen des Heimchens die Musik des Herdes, den Gruß der Heimat bilden.

Die Damen waren Frau von Bismarck, die Gemahlin des Ministerpräsidenten, und ihre Tochter, — bei ihnen saß der Legationsrath von Keudell, der nächste Vertraute seines Chefs.

Man sprach über die Ereignisse des berliner Tageslebens, über die Theater und was sonst das Interesse der Gesellschaft erregen konnte. Frau von Bismarck blickte öfter mit einiger Unruhe und besorgtem Ausdruck nach der Thüre.

»Wissen Sie, ob mein Mann noch Besuch hat, lieber Keudell?« wandte sich Frau von Bismarck an den Legationsrath, »ich bin immer in Besorgniß, daß die so übermäßige Anstrengung seiner Gesundheit ernstlich schadet, und ich bin wahrhaft erbittert auf jeden Besuch, der ihm die wenigen gemüthlichen Augenblicke verkürzt, die er Abends bei uns zubringt und die der Anspannung seiner Nerven etwas Erholung bringen.«

»So viel ich weiß,« erwiederte Herr von Keudell, »war Niemand mehr bei ihm und er wird wohl noch einige eilige Sachen abmachen.«

Die Thür öffnete sich und Herr von Bismarck trat herein. Er begrüßte seine Frau und Tochter herzlich, reichte Herrn von Keudell die Hand und setzte sich zu dem kleinen Kreise.

Fräulein von Bismarck bereitete und servirte den Thee, während ein Lakai dem Ministerpräsidenten ein geschliffenes Glas schäumenden bayerischen Bieres reichte, das derselbe in einem durstigen Zug halb leerte.

»Der Feldmarschall Wrangel war bei mir,« sagte Frau von Bismarck — »er wollte Dich auch besuchen, ich habe ihn aber davon abgehalten und ihm gesagt, Du wärst dringend beschäftigt.«

»Ich danke Dir,« erwiederte ihr Gemahl,— »ich hätte auch in der That heute kaum einen freundschaftlichen Besuch empfangen können. Die Geschäfte verwickeln sich mehr und mehr und man bedarf wirklich der größten Ruhe, um die Gedanken festzuhalten und — den Willen zu konzentriren,« setzte er halb nachdenklich hinzu, indem der präokkupirte Ausdruck, der schon bei seinem Eintritt an ihm sichtbar geworden war, noch schärfer hervortrat.

»Der Feldmarschall hat mir etwas Allerliebstes mitgebracht,« fuhr Frau von Bismarck fort, indem sie ein Briefcouvert ergriff, das auf dem Tisch vor ihr lag, »und ich habe mit ihm sehr über diesen originellen Einfall lachen müssen.«

So sprechend zog sie aus dem Couvert eine kleine Karte und reichte sie ihrem Manne.

Derselbe warf einen Blick darauf und der gedrückte und sorgenvolle Ausdruck seines Gesichts wich einem heitern, fröhlichen Lachen, in das er beim Anblick der Karte ausbrach.

»Ah!« rief er, »mein Porträt mit der kleinen Lucca — ist das schon im Publikum? — Nun, ich habe nichts dagegen; wir befinden uns Beide in sehr anständiger Gesellschaft!« Lächelnd betrachtete er das kleine Bild und fuhr fort: »Ich begegnete ihr neulich unter den Linden, begleitete sie eine Strecke und sie klagte bitter über Langeweile. ›Ich weiß nichts Anderes anzufangen, als mich photographiren zu lassen,‹ rief sie unmuthig aus. Ich offerirte ihr, dieß sonderbare Amüsement mit ihr zu theilen, und so entstand dieß kleine, allerdings höchst komische Bildchen — über das man recht viel schwatzen wird. Tant mieux — der Hund des Alcibiades!«

Frau von Bismarck betrachtete das Bild nochmals und ergötzte sich unter fröhlichem Lachen höchlich über die Gruppe, während ihr Gemahl bald wieder in sein dumpfes Brüten versank.

Nach einigen Augenblicken, als das Gespräch stockte, erhob er das Haupt, wendete sich an Herrn von Keudell und sagte:

»Ein wenig Musik, lieber Keudell, wollen Sie?«

Herr von Keudell stand auf und setzte sich an den an der andern Seite des Salons stehenden offenen Flügel.

Er griff einige Akkorde und begann dann mit meisterhaftem, wunderbar klarem und kräftigem Anschlag eine Art von Präludium, das, in unregelmäßigen Gängen fortschreitend, in kämpfenden Uebergängen Dissonanzen schuf und auflöste und der Gemüthsstimmung des Ministers zu entsprechen schien.

Herr von Bismarck erhob sich und ging in langsamen großen Schritten im Salon auf und ab, leise auftretend, um die Musik nicht zu stören und nichts von dem Eindruck zu verlieren, den dieselbe auf ihn machte.

Herr von Keudell spielte weiter und weiter und versank immer tiefer in die Welt der Töne. Allmälig wurden die mit einander kämpfenden Akkorde klarer, immer reiner lösten sich die Dissonanzen und nach einem einfachen Uebergang in leisen Tönen begann er die As-Dur-Sonate von Beethoven.

Kaum erklangen die ersten so einfachen und doch so gewaltig ergreifenden Töne des Themas, so hielt Herr von Bismarck einen Augenblick an, sein Auge erweiterte sich und ein leises Lächeln der Befriedigung, das seine Lippen umspielte, schien anzudeuten, daß Herr von Keudell etwas getroffen habe, was ihn wohlthuend ansprach.

Dann nahm er seinen Spaziergang durch den Salon wieder auf und während die herrlichen Variationen, welche des Tondichters gigantische Schöpfungskraft aus jenem einfachen Thema herauswachsen ließ, ihr mächtiges Tonbild aufrollten, malte sich auf dem Gesicht des Ministers ein gewaltiges inneres Ringen. Bald hielt er einen Augenblick wie unschlüssig an, halblaute Worte flüsternd, bald schritt er wieder kraftvoll vorwärts, das Auge wie losgelöst von der nächsten Umgebung in weite Fernen tauchend.

Frau von Bismarck verfolgte von Zeit zu Zeit den Gang ihres Gemahls und blickte mit besorgter Teilnahme auf seine unruhigen, leidenden Züge, ohne jedoch durch irgend ein Wort das Spiel des Herrn von Keudell zu unterbrechen.

Derselbe war indessen bis zu jenem wunderbar schönen Satze der Sonate gekommen, den Beethoven mit der Ueberschrift bezeichnet hat: Marcia funebre sulla morte d'un Eroe, und sein meisterhaftes Spiel ließ die tief erschütternden Akkorde dieses Marsches durch den Salon klingen.

Herr von Bismarck stand still. Seine mächtige Hand umspannte die Lehne eines Sessels, sein Auge richtete sich aufwärts, und mit einem Ausdruck, als ob eine Inspiration seinen Geist durchziehe, lauschte er den erschütternden Tönen.

Die so kunstvoll nachgeahmten gedämpften Trommeln wirbelten, die Trompetenstöße erklangen, und Herr von Keudell, fortgerissen von der Schönheit der Komposition, übertraf in seinem Vortrage sich selbst.

Frau von Bismarck hatte ihre Arbeit vor sich niedergelegt und lauschte sinnend.

Der Ministerpräsident stand unbeweglich. Breiter wölbte sich seine Brust, straffer spannten sich die mächtigen Muskeln seines Armes, flammender leuchteten die Blitze, die seine Augen emporschossen und die durch die Decke des Salons den dunkeln Nachthimmel mit seinen Sternen zu suchen schienen.

Da noch einmal klangen jene tiefen Trompetenstöße, die hellen Tonsalven sprühten auf und nach einer kurzen Pause ging Herr von Keudell zu dem Finale der As-Dur-Sonate über.

Herr von Bismarck blickte um sich, als ob er aus einem Traum erwache. Einen Augenblick stand er noch still und wie unbewußt flüsterte er die Worte:

»Und wenn ich untergehen soll, so soll auf solchen Tönen meine Seele aufsteigen. Würde je ein Dichter am Grabe eines Helden das fühlen können, was hier in Tönen wiederklingt, wenn es keine Männer gäbe, deren Herz die Zweifel zu bannen vermöchte? Jacta est alea!«

Und ohne an seine Umgebung zu denken, verließ er geräuschlos den Salon.

Herr von Keudell spielte die Sonate zu Ende.

Frau von Bismarck blickte ihrem Gatten ängstlich nach.

Als die Musik beendet, sagte sie zu dem Legationsrath, der den Flügel verlassen hatte und wieder zu ihr getreten war:

»Ich bin überzeugt, mein armer Mann ist krank, suchen Sie ihn doch zu überreden, daß er mehr an seine Gesundheit denkt!«

»Ich thue was ich kann, gnädigste Frau,« erwiederte Herr von Keudell — »allein Sie wissen, er ist schwer zu überreden in diesem Punkt. Uebrigens glaube ich nicht,« fügte er hinzu, »daß er jetzt leidend ist, oft kommen ihm Gedanken während der Musik, es wird ihm etwas eingefallen sein, und er wird sich entfernt haben, um es zu notiren.«

Herr von Bismarck war indeß festen Schrittes in sein Kabinet zurückgekehrt und hatte sich an seinen Schreibtisch gesetzt. Sein Gesicht zeigte keine Spur von Unentschlossenheit oder Bewegung, über der kalten Ruhe seiner Züge lag nur, wie ein ruhiges Licht, der klare Ausdruck eines festen, unbeugsamen Willens.

Er ergriff eine Feder und schrieb, ohne zu zögern und anzuhalten, eine Reihe von Notizen auf einen der auf seinem Tische bereit liegenden Bogen.

Nachdem er ungefähr eine halbe Stunde geschrieben, schellte er mit der neben ihm stehenden Glocke.

Sein Kammerdiener erschien an der Thüre.

»Ist Herr von Keudell noch im Hause?«

»Zu Befehl, Excellenz.«

»Ich lasse ihn bitten, einen Augenblick herüberzukommen.«

Einige Minuten später trat der Legationsrath herein.

»Lieber Keudell,« sagte Herr von Bismarck, »ich habe hier die Notizen für eine Instruktion an die Gesandten in Wien, Frankfurt und Paris aufgesetzt, wollen Sie so gütig sein, für deren schleunige Expedition Sorge zu tragen. Abeken wird mit seiner gewohnten Gewandtheit die Fassung ganz in meinem Styl machen. Usedom muß dieselbe Instruktion mit dem Zusatz erhalten, den ich am Rande bemerkt.«

»Ich werde Alles so schnell als möglich besorgen,« sagte Herr von Keudell sich verbeugend, »und morgen sollen die Expeditionen abgehen.«

Er hatte inzwischen einen Blick auf den Bogen geworfen, den er in seiner Hand hielt.

»Excellenz,« sagte er fast erschrocken, »das ist der Krieg.«

»Er ist es,« sagte Herr von Bismarck, — »und nun gute Nacht, lieber Keudell, — auf morgen; wir müssen schlafen, — ich bin wirklich sehr müde und meine Nerven verlangen Ruhe.«

Herr von Keudell zog sich zurück.

Eine halbe Stunde später lag das Hotel des auswärtigen Amtes in tiefer Stille, bedeckt von der nächtlichen Dunkelheit, wie die Hand der Vorsehung ihren dichten Schleier über die Geschicke der zukünftigen Tage legt.

Zweites Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

In der Gegend der hannöverischen Stadt Lüchow liegt jener reiche und eigenthümliche Landstrich, den man — abgesehen von den offiziellen Landeseintheilungen — allgemein mit dem Namen »das Wendland« bezeichnet. Es ist dieß einer jener Striche in Deutschland, in welchen der alte Wendenstamm mit der ihm eigentümlichen Zähigkeit sich rein erhalten hat und in seiner besonderen Art und Sitte fortlebt.

Es ist ein schönes, reiches, blühendes Land, dieses Wendland; nicht schön im Sinne pittoresker Landschaften, welche durch den Wechsel der Höhen und Tiefen überraschende Gruppirungen dem Auge darbieten — aber wohlthuend durch die reiche Ruhe, welche auf den weiten Ebenen liegt. Hohe und schöne Baumgruppen sind die einzige Abwechslung, welche die Gleichmäßigkeit der Wiesen und Felder unterbrechen, aus diesen Baumgruppen von seltener Schönheit und Mächtigkeit glänzt im gelblichen Sonnenstrahle, der diesen Gegenden eigen ist, hier die einfache Kirche eines stillen Dorfes, dort das Dach eines alten Edelsitzes, weiterhin der Umriß einer kleinen Stadt hervor, von welcher man schon beim fernen Anblick das Gefühl hat, es müsse sich friedlich da wohnen lassen, fern vom Geräusch der Welt, deren brausende und rauschende Wellen nur im langsamen Abrollen hier an diese ruhigen Wohnstätten stiller Menschen heranspülen. Dazwischen breiten sich große sandige Flächen mit gewaltigen Föhrenwaldungen aus, — eintönig und einsam, haben sie etwas voll der Schönheit des Meeres — weithin zieht sich der sandige einsame Weg, das Wild nähert sich weniger scheu den Landstraßen, eine neugierige Dohle begleitet den Wagen, die starken Pferde ziehen im langsamen, aber kräftigen Schritt dahin, man sieht nichts als Himmel, Föhren und Sand, und wenn man einem anderen Wagen begegnet, der in entgegengesetzter Richtung den Weg verfolgt, und den man schon aus der Ferne erblickt, so grüßt man die Reisenden, wechselt auch wohl ein paar Worte und freut sich der Begegnung. Naht man dann dem Ende der Föhrenwaldung und senkt sich der Schatten des reichen Laubholzes auf das sonnenmüde Haupt, zeigt sich die frische Fülle der bewohnten Gegenden dem Auge, so richtet man sich froher auf, tiefer athmet die Brust die weiche Luft ein, die Pferde schütteln die Köpfe und beginnen von selbst einen munteren Trab, und der Kutscher lockt durch sein fröhliches und kunstreiches Peitschenknallen die Dorfhunde aus den Gehöften hervor.

Kurz es ist ein Land, in dem noch das Reisen seine alten Mühen und Strapazen und seine alte Poesie erhalten hat, in dem noch in den Städten die alte Sitte, die alten Gewohnheiten leben, in dem auf den Edelsitzen die alte Gastfreundschaft Thor und Thür weit aufthut, wenn ein Reisender sich naht — bringt er doch einen Athemzug frischen Lebens aus jener großen Welt mit, der man so fern ist und deren Ereignisse nur wie Sagen herüberklingen in den ruhigen Kreislauf des friedlichen Lebens im Hause.

So ist das alte, einfache, schöne und treue Wendland. Seine Bewohner sind wie das Land. Gesund und kräftig wie die Natur, in der sie leben, einfach wie diese, reich, weil sie haben, was sie bedürfen, und keine Bedürfnisse suchen, die sie nicht befriedigen können, stark in ihren einfachen Gefühlen, klar in ihrem einfachen Denken, voll natürlicher, unbewußter Poesie, in ihren Herzen voll warmen reinen Blutes.

In einer jener langgedehnten einsamen Föhrenwaldungen ritt um die untergehende Sonne eines der ersten Tage des April 1866 auf der sandigen Landstraße ein junger Offizier in der Interimsuniform des hannöverischen Cambridge-Dragoner-Regiments. Er ließ sein schönes, schlankgebautes Pferd im langsamen Schritt vorwärts gehen und saß selbst nachlässig und gedankenvoll im Sattel, ohne auf den Weg zu achten, den das Pferd zu kennen schien. Ein leichter hellblonder Schnurrbart bedeckte die Oberlippe des jungen Mannes, sein blaues Auge sah träumerisch in die Ferne, als suchte es in den hellgoldenen Abendwolken, welche die untersinkende Sonne umlagerten, die Bilder, welche sein Inneres erfüllten und beschäftigten. Das kurzgeschnittene, leicht gelockte Haar quoll mit einer gewissen Koketterie unter der leichten Dienstmütze hervor und sein etwas bleiches Gesicht zeigte bei der Kraft jugendlicher Gesundheit jene eigentümliche Zartheit, welche jungen Leuten, die sehr schnell hoch aufgeschossen sind, noch einige Jahre nach vollendetem Wachsthum anhaftet.

Der junge Offizier mochte etwa eine Viertelstunde so langsam und träumerisch durch die Föhrenwaldung hingeritten sein, während der Schatten seines Pferdes immer länger hinter ihm herzog und die Stimmen der zum Neste flatternden Vögel ihn begleiteten.

Da wendete sich der Weg und plötzlich öffnete sich der Wald breit und ließ in einiger Entfernung einen schloßartigen alten Bau sehen, der, von hohen alten Bäumen umgeben, in den letzten Strahlen der Sonne dalag und von seinen großen Fenstern flammendes Licht auszuströmen schien.

Am Ende des Waldes begannen die Häuser eines Dorfes, welches sich seitwärts von jenem großen Gebäude in Halbkreisform — wie alle wendischen Dörfer — hinzog.

Hunde schlugen an. Der junge Offizier erwachte aus seiner langen Träumerei und richtete sich fest im Sattel auf. Das Pferd fühlte diese Bewegung und ohne weiteren Antrieb verließ es seine bisherige Gangart und trabte mit gespitzten Ohren auf dem durch das Dorf sich hinziehenden Wege der Anhöhe des Schlosses zu.

Die Häuser standen an dem schönen und warmen Frühlingsabende offen. An ihren Giebeln sah man die charakteristischen Pferdeköpfe, welche in allen niedersächsischen Gegenden eine Rolle spielen und deren Kultus von den Wenden hier übernommen, gerade von ihnen besonders gepflegt wird.

Alte und junge Bauern saßen vor den Thüren mit leichten häuslichen Arbeiten beschäftigt, auf den offenstehenden Dielen der Häuser waren die Frauen beschäftigt, ihre heutige Arbeit am Webstuhle zu beschließen, wobei sie jene eigentümlichen, wehmüthig monotonen Nationallieder sangen, welche überall dem Wendenstamme eigentümlich geblieben sind.

Der junge Offizier wurde an allen Häusern freundlich begrüßt und erwiederte die Grüße eben so freundlich, indem er einzelne der Bauern bei ihren Namen nannte, in einer Weise, aus der man abnehmen konnte, daß er hier bekannt und heimisch sei.

An der einen Seite des durch das Dorf gebildeten Halbkreises, nicht weit von dem Wege, der sich nach dem Schlosse hinaufzog, stand eine einfache, alte, aber nicht alterthümliche Kirche, daneben in einem sorgsam eingehegten und bereits sauber bestellten Garten, von einer Baumgruppe umgeben, das stille freundliche Pfarrhaus.

Ein Fußpfad führte von dem Pfarrgarten nach der großen zum Schlosse hinlaufenden Straße und auf diesem Pfade gingen zwei Personen der Landstraße zu.

Die eine dieser Personen war ein älterer Herr, der sich den Sechzigern nähern mochte. Sein schwarzer bis zum Halse mit einer Reihe von Knöpfen geschlossener Rock, die blendend weiße Kravate von feinem faltigem Batist, sowie jenes eigentümliche, hohe, viereckige Baret von schwarzem Sammet, welches nach dem Muster der auf uns gekommenen Bilder Luther's und Melanchthon's von den lutherischen Pfarrern in Hannover mit Vorliebe getragen wird, ließ auf den ersten Blick den geistlichen Herrn erkennen.

Sein stark markirtes volles Gesicht von rother gesunder Farbe trug bei der freundlichen, wohlwollenden Heiterkeit, die es ausstrahlte, den Ausdruck eines energischen Willens, einer festen, in sich abgeschlossenen, überzeugungsvollen Sicherheit, welche, abgetrennt von dem großen Strome des Lebens, sich in der stillen besonderen Entwickelung eine eigene Welt erbaut hat und in dieser Ruhe und Genügen findet.

Es war der Ortsgeistliche, Pastor Berger, der seit länger als zwanzig Jahren in der Gemeinde lebte.

Neben ihm ging seine einzige Tochter, welche seit dem vor zehn Jahren erfolgten Tode ihrer Mutter das stille Leben ihres Vaters allein theilte und auf welche dieser alle Sorgfalt liebevoller und ernster Erziehung verwendet hatte, um ihr durch den Aufschluß aller allgemein menschlichen Genüsse des Geistes und Gemüthes einen Ersatz zu bieten für die große Welt, die ihr fern lag, und ihr jenes stille und friedliche Glück zu bereiten, das ihn selbst erfüllte.