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Klimaerwärmung, die Zerstörung der Ozeane, Pandemie, Überbevölkerung, Trinkwasserknappheit – unsere Welt kennt heute viele existenzielle Probleme. Für Leonardo Boff ist es daher allerhöchste Zeit zum Handeln – und zwar gesellschaftlich und weltweit. Damit ein wirklicher Wandel möglich wird, der die Erde retten kann, müssen gesellschaftliche Strukturen aufgebrochen und erneuert werden. Als einzig mögliche Haltung, die dies Wirklichkeit werden lassen kann, sieht Leonardo Boff die der universalen Geschwisterlichkeit: Wir Menschen sollten uns nicht mehr als "Krone der Schöpfung", sondern als Mitgeschöpfe verstehen, die mit Pflanzen und Tieren und dem ganzen Kosmos eine Einheit bilden.
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Seitenzahl: 69
Leonardo Boff
Universale Geschwisterlichkeit
Gesellschaftsordnung der Zukunft
Vier-Türme-Verlag
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Printausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2022
ISBN 978-3-7365-0426-4
E-Book-Ausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2022
ISBN 978-3-7365-0482-0
Alle Rechte vorbehalten
E-Book-Erstellung und Gestaltung: Dr. Matthias E. Gahr
Lektorat: Marlene Fritsch
Covermotiv: Gerd Altmann (geralt), Pixabay.com
www.vier-tuerme-verlag.de
Einleitung
Was die Welt und die Natur bedroht
In diesem Buch möchte ich darlegen, wie realistisch die Verwirklichung der universalen Geschwisterlichkeit ist, wie sie Franziskus von Assisi und Papst Franziskus in Rom vorschlagen. Wenn wir allerdings an unserer gegenwärtigen Kultur festhalten, wird diese Geschwisterlichkeit weiterhin unmöglich sein. Auf die Hindernisse werde ich näher eingehen.
Gegenwärtig haben wir es mit zwei entscheidenden Themen zu tun:
Es reicht nicht mehr zu sagen: »Eine andere Welt ist möglich«, der Slogan muss vielmehr lauten: »Eine andere Welt ist nötig!«Diese nötige andere Welt muss die verschiedenen Kulturen und die Natur integrieren. Beide sind ernsthaft bedroht. Einige dieser Bedrohungen seien hier benannt.Da ist zunächst ein möglicher Atomkrieg zu nennen. In den Arsenalen der Militärmächte gibt es etliche Hundert nukleare Sprengköpfe und Atombomben verschiedener Größe und von tödlicher Wirkung. Hinzu kommen extrem lebensbedrohende chemische und biologische Waffen. Dieser Militärapparat ist von solch verheerender Wirkung, dass er dem Experiment Mensch ein Ende bereiten und jene äußerst empfindliche Schicht, die das Leben in sich birgt (die Biosphäre), zerstören kann.
Dazu kommt zweitens die zunehmende Erderwärmung aufgrund der Treibhausgase wie CO2, Methan und andere für das Leben und den Weiterbestand der Welt schädliche Gase. Als lebendiges, übergreifendes, sich selbst regulierendes System bringt die Natur stets Leben hervor und erneuert es. Wir nähern uns der Marke von etwa zwei Grad Celsius erhöhter Durchschnittstemperatur seit Beginn der Industrialisierung. Wenn wir die Treibhausgase nicht drastisch reduzieren, kann es, wie viele renommierte Wissenschaftler behaupten, einen plötzlichen sprunghaften Anstieg der Erderwärmung von bis zu vier Grad Celsius geben.
Die Wissenschaftler warnen uns: Wenn das passiert, ist es sehr unwahrscheinlich, dass das uns bekannte Leben, auch das menschliche, fortbesteht. Es wird das eintreten, was in der Bibel »Gräuel der Verwüstung« genannt wird.
Drittens ist auf die Trinkwasserknappheit hinzuweisen. Lediglich drei Prozent des Wassers auf unserem Planeten ist trinkbar. Der Rest ist Salzwasser. Und von diesen drei Prozent sind wiederum nur 0,7 Prozent dem menschlichen Gebrauch zugänglich. Davon sind siebzig Prozent für die Landwirtschaft bestimmt und zwanzig Prozent dienen industriellen Zwecken (vgl. Helmut Lehn/Oliver Parodi, Wasser: elementare und strategische Ressource des 21. Jahrhunderts. Eine Bestandsaufnahme, in: Umweltwissenschaften und Schadstoffforschung 21/3 (2009), 272–281). Nur das, was dann noch übrig bleibt, steht den Menschen und Tieren als Trinkwasser zur Verfügung. Ein erheblicher Teil davon ist nicht direkt zugänglich, weil er sich in tiefliegenden Aquiferen befindet oder in gefrorener Form die Gletscher der Gebirge sowie die Polarkappen bildet.
Seit Trinkwasser zu einer Ware geworden ist, die auf dem Markt gehandelt wird, ist es für einen großen Teil der Menschheit erst recht nicht mehr zugänglich. Eine solche Vermarktung ist ein Attentat auf das Leben selbst, denn Wasser ist von der Natur der Sache her ein Gemeingut, etwas Natürliches und Unersetzliches. Es ist bereits abzusehen, dass es in einigen Regionen der Welt Kriege mit vielen Toten geben wird, um den Zugang zu Trinkwasserquellen zu sichern.
Die vierte Bedrohung liegt in der Gefahr, die sogenannten neun planetarischen Grenzen zu überschreiten. Eine Gruppe renommierter Wissenschaftler hat die Bedingungen zusammengetragen, die die Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Systems Erde und des Systems Leben regulieren. Sie veröffentlichten hierzu in der Zeitschrift Science eine detaillierte Studie unter dem Titel: Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet (»Planetarische Grenzen: Leitideen für menschliche Entwicklung auf einem sich verändernden Planeten«). Diese Grenzen dürfen nicht überschritten werden. Andernfalls würde der gesamte Planet destabilisiert, und unsere Zivilisation wäre einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt. Konkret handelt es sich um folgende neun Punkte:
KlimaveränderungenBeeinträchtigung der Unversehrtheit der Biosphäre (Verlust der Artenvielfalt und Auslöschung von Spezies)Ausdünnung der OzonschichtÜbersäuerung der OzeaneStörung biochemischer Prozesse (Phosphor- und Stickstoffzyklus)Veränderungen in der Landnutzung (zum Beispiel Abholzung)Weltweite TrinkwassernutzungKonzentration von Aerosolen in der Atmosphäre (mikroskopisch kleine Partikel in der Atmosphäre, die das Klima und die lebenden Organismen beeinflussen)Eintrag neuer Stoffe (zum Beispiel organische Umweltgifte, radioaktive Materialien, Nanopartikel und Mikroplastik)Das Überleben unserer Gesellschaften und der Natur selbst hängt davon ab, dass wir diese Grenzen und die Wechselwirkungen zwischen dem Festland, den Ozeanen und der Atmosphäre respektieren und beachten. Vier der neun Grenzen wurden bereits überschritten. Sie betreffen die Klimaveränderungen, den Verlust der Unversehrtheit der Biosphäre, die veränderte Landnutzung und die biogeochemischen Zyklen (Phosphor und Stickstoff). Zwei davon, nämlich der Klimawandel und die Integrität der Biosphäre, zählen zu den fundamentalen Grenzen, die, sobald sie definitiv überschritten sind, zum Zusammenbruch unserer Zivilisation führen können. Da es sich bei diesen neun Punkten ausnahmslos um systemische Grenzen handelt, gilt: Wenn man die wichtigsten davon überschreitet, können alle anderen aufgrund eines Domino-Effekts zerstört werden. Dies hätte zur Folge, dass der Planet nicht mehr in diesem Maß bewohnbar ist. Mithilfe von Technik und Wissenschaft haben einige Milliardäre für sich persönlich Inseln oder rettende Häfen errichtet, die ihr Überleben mit großer Wahrscheinlichkeit gewährleisten würden, wiewohl auch diese weiterhin bedroht wären. Die übrigen Menschen und die unzähligen außermenschlichen Spezies wären der äußersten Gefahr ausgesetzt, allmählich zu verschwinden, weil sie nicht über die Fähigkeiten verfügen, sich solchen Veränderungen anzupassen.
Die fünfte Bedrohung ist nicht minder ernst: die Überlastung der Erde (Earth Overshoot). Der Verbrauch an natürlichen Gütern und nützlichen Effekten (»Wohltaten der Natur«, wie das die Andenvölker nennen, und nicht einfach »Ressourcen«, wie es im Jargon der Händler heißt) hat ein solches Niveau erreicht, dass wir anderthalb Erden bräuchten, um unsere konsumistische Kultur aufrechtzuerhalten. Wenn wir so weitermachen, werden wir noch vor dem Ende des Jahrhunderts zwei Erden benötigen. Man hat errechnet: Wenn das Konsumniveau der reichen Länder auf alle Menschen ausgeweitet und so verallgemeinert würde, dann bräuchten wir vier bis fünf Planeten – was natürlich völlig unmöglich ist. Hier wird deutlich, dass unser Leben auf der Erde seine Nachhaltigkeit eingebüßt hat. Die Erde erträgt die systematische Ausplünderung ihrer Ressourcen und Kapazitäten nicht länger. Die Alternative ist: Entweder wir leben innerhalb der tragfähigen Grenzen der Erde und geben ihr Zeit zur Regeneration oder sie wird so reagieren, wie sie es jetzt schon tut.
Am 22. August 2020 wurde der Erdüberlastungstag (Earth Overshoot Day) offiziell festgestellt. Das heißt: Bis zu diesem Tag haben wir bereits alles verbraucht, was uns die Erde in einem Jahr zur Verfügung stellen kann. Ab diesem Tag leben wir sozusagen auf Pump. Seit 2001 verschiebt sich dieser Erdüberlastungstag jedes Jahr um drei Tage nach vorn. Wann wird diesem unglaublichen Tempo Einhalt geboten? Wir bewegen uns auf eine kollektive Katastrophe zu, die gefährliche Wetterereignisse, Dürren, den Hunger und Tod von Millionen Menschen, insbesondere Kinder, und Opfer jeglicher Art von Mangelerscheinungen mit sich bringt.