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Eine bessere Welt ist möglich - das ist die tiefe Überzeugung von Leonardo Boff, die er mit einer immer stärker werdenden weltweiten Bewegung teilt. "Es sind Werte, die die Menschen bewegen. Es sind Tugenden, die unser Handeln auf das Leben der Menschen und der Erde, unseres gemeinsamen Hauses, hin ausrichten. Für die Menschheit beginnt die Ära eines Weltethos, das sich in ganz neuen Tugenden verwirklicht: Gastfreundschaft, Zusammenleben, Respekt, Toleranz, Tischgemeinschaft und ein Leben in Frieden . .. Es wird auf der Welt keinen Frieden geben, solange es leere Mägen und einen Mangel an Solidarität und Mitleid mit den Allerbedürftigsten gibt" (Leonardo Boff)
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Seitenzahl: 453
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Leonardo Boff Tugenden für eine bessere Welt
Leonardo Boff
Tugenden für eine bessere Welt
Aus dem Portugiesischen übersetzt von Bruno Kern
Butzon & Bercker Publik-Forum Edition
Originalausgabe: Leonardo Boff Virtudes para um mundo possível Vol. I: Hospitalidade: Direitos e deveres de todos Vol. II: Convivência, Respeito e Tolerância Vol. III: Comer e Beber Juntos e Viver em Paz Petrópolis 2006 © Leonardo Boff
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Gesamtprogramm von Butzon & Bercker finden Sie im Internet unter www.bube.de
ISBN 978-3-7666-1285-4
E-BOOK ISBN 978-3-7666-4107-6
EPUB ISBN 978-3-7666-4108-3
© 2009 Butzon & Bercker GmbH, 47623 Kevelaer, Deutschland, www.bube.de www.religioeses-sachbuch.de
In Gemeinschaft mit Publik-Forum Verlagsgesellschaft mbH, Oberusel
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Christoph Kemkes, Geldern
Umschlagfoto: © Doug Olson – Fotolia.com
Satz: Schröder Media GbR, Dernbach
Einleitung
ERSTER TEIL GASTFREUNDSCHAFT: RECHT UND PFLICHT ALLER
I. Die planetarische Phase der Erde und der Menschheit
1. Der Blick zurück: das Paradigma des Feindes und der Konfrontation
2. Der Blick nach vorn: das Paradigma des Gastes und des Bundes
3. Der leidenschaftliche Ruf der Propheten und Visionäre
II. Die Rückkehr aus der großen Zerstreuung
1. Ein Stern stirbt, und die Erde entsteht
2. Bruchstücke vereinigen und trennen sich
3. Das schönste Kind: das Leben
4. Die Trockenheit: Geburtsstätte des Menschen
5. Die Zerstreuung der Menschen und die Entstehung der Zivilisationen
6. Die Rückkehr aus dem Exil: die Globalisierung
III. Der Mythos der Gastfreundschaft
IV. Auslegung des Mythos von der Gastfreundschaft
1. Ursprüngliche Erfahrungen und Mythos
2. Menschliche Existenz und Mythos
3. Gastfreundschaft, Zusammenleben, Tischgemeinschaft und Mythos
4. Die Dimensionen der Gastfreundschaft
V. Die Gastfreundschaft in den modernen Gesellschaften
1. Unbedingte und bedingte Gastfreundschaft
2. Grenzen der Nationalstaaten – Grenzen der Gastfreundschaft?
VI. Der Mangel an Gastfreundschaft in der Geschichte
1. Die vielen Anderen
2. Die Vernichtung der kulturell Anderen
3. Die neuen Anderen
VII. Die Befreiung des Anderen: Grundlage für die Gastfreundschaft
1. Die zentrale Stellung des Anderen in der jüdisch-christlichen Tradition
2. Die Menschenrechte und die Kultur des Friedens
3. Die uneingeschränkte Demokratie als Integration des Anderen
VIII. Die Gastfreundschaft im Kontext der Globalisierung
1. Grundhaltungen und Verhaltensweisen im Sinne der Gastfreundschaft
2. Politik möglicher Formen von Gastfreundschaft
Zusammenfassung
ZWEITER TEIL ZUSAMMENLEBEN, RESPEKT UND TOLERANZ
Einleitung
I. Das Zusammenleben
1. Geburtshelfer eines Volkes
2. Wie lebt man mit den Anderen zusammen, die völlig anders sind?
3. Was ist das Zusammenleben?
4. Zusammenleben: psychosoziale und kosmische Dimension
II. Der Respekt
1. Ein Gleichnis für den unbedingten Respekt
2. Was ist der Respekt?
3. Eine Ethik des Respekts allem Sein gegenüber
III. Die Toleranz
1. Ein Gleichnis zum Thema Toleranz
2. Chaos und Kosmos, Unordnung und Ordnung vermengen sich
3. Was ist die Toleranz?
4. Toleranz angesichts von Fundamentalismus und Terrorismus?
5. Toleranz und interreligiöser Dialog
Zusammenfassung
DRITTER TEIL GEMEINSAM ESSEN UND TRINKEN UND IN FRIEDEN LEBEN
Einleitung
I. Zusammen essen und trinken: die Tischgemeinschaft
1. Erzählungen rund um die Tischgemeinschaft
2. Tischgemeinschaft: Beginn der Menschwerdung
3. Der Hunger als ethisches und politisches Problem
4. Das Geschäft mit dem Hunger: Nahrungsmittel als Ware
5. Ökologische Landwirtschaft als möglicher Ausweg
6. Gentechnik: Markt, Ethik und Weltanschauung
7. Wasser: lebensnotwendig oder Wirtschaftsgut?
8. Die Voraussetzungen für die Tischgemeinschaft
9. Solidarisch und verantwortungsvoll konsumieren
10. Die letzte Wirklichkeit: Tischgemeinschaft Jesu und im Reich Gottes
II. Kultur des Friedens in einer Welt im Konflikt
1. Einstein und Freud: Ist es möglich, die Aggression einzudämmen?
2. Zeichen für eine friedliebende Menschheit
3. Hindernisse auf dem Weg zum Frieden und ihre Überwindung
4. Ein verantwortlicher Realismus
5. Der unmögliche Friede
6. Ein Friede, der möglich ist
7. Der Friede Gottes
Schluss: Die Seligpreisungen der Tugenden
Anmerkungen
Literatur
Welche Tugenden sind unbedingt erforderlich, wenn wir gewährleisten wollen, dass die Globalisierung ein menschliches Antlitz bekommt?
Wir gehen von der Voraussetzung aus, dass wir uns in einer Situation der Krise, nicht aber der Tragödie befinden. Krise bedeutet immer Läuterung, und sie setzt konstruktive Energien frei. Krise heißt Übergang und Überschreitung. Wir vollziehen gerade den Übergang von einer Geschichtsauffassung, die mit Nationalstaaten, sozialen Klassen und einzelnen Persönlichkeiten verbunden ist, hin zu einer Geschichte der planetarischen Gemeinschaft der Gattung Mensch. Um diesen Übergang angemessen zu verstehen, müssen wir ihn in die Evolutionsgeschichte, die Entstehungsgeschichte des Lebens, des Menschen und des Planeten (Biogenese, Anthropogenese, Planetogenese) einordnen.
Jeder Übergang birgt Risiken, aber ebenso Chancen in sich. Es gibt die echte Chance, dass – als eine verheißungsvolle Zukunft für alle – eine erdumspannende menschliche Gesellschaft entsteht, die in ihrem Wesen eins ist, aber eine Vielfalt von Ausdrucksformen kennt. Es gibt aber auch das Risiko, dass jedes Volk nur für sich selbst lebt und sich in sich selbst abkapselt und dabei aus dem Auge verliert, dass wir alle eine einzige große Familie bilden – die Menschheitsfamilie innerhalb der Familie des Lebens, der wir – als ein Glied einer Kette – angehören. Die Gefahr ist noch nicht gebannt, dass die bereits existierenden Massenvernichtungswaffen der Biosphäre schweren Schaden zufügen können und das Projekt einer planetarischen Menschheit scheitern lassen.
Abgesehen von den Risiken und Chancen hat jeder Übergang zwei Seiten: Kontinuität und Erneuerung. Er setzt etwas fort, was von früher herstammt, und darin ist er mit der Tradition verbunden, mit all ihren Werten und Unwerten, die sie in sich trägt. Doch der Übergang bedeutet auch einen Bruch mit der Tradition und einen Neubeginn. Kontinuität und Erneuerung sind immer zugleich vorhanden, und das macht die Dramatik der Überganssituation aus. Was wird letztlich überwiegen: die Kontinuität oder die Erneuerung? Wenn die Kontinuität die Oberhand gewinnt, dann verschärft sich die Krise und es entstehen zerstörerische Kräfte. Wenn sich dagegen die Erneuerung durchsetzt, dann entsteht Hoffnung und es erschließt sich ein neuer Weg.
Konkret gesprochen: Wir befinden uns schon inmitten einer neuen Situation, der planetarischen Phase. Es kommt nun darauf an, ihr Beständigkeit zu verleihen, damit sie die Vergangenheit hinter sich lassen kann und tatsächlich das Neue ins Werk setzt, den Sprung nach vorne und nach oben vollzieht und damit den Prozess unumkehrbar macht.
Wir müssen uns an die Vorstellung gewöhnen, dass wir Passagiere eines besonderen Raumschiffes sind, eines weißen und blauen Raumschiffes, das unser gemeinsames Haus, die Erde, bildet. Sie ist mit begrenzten Ressourcen ausgestattet, sie ist überbevölkert und sie ist bedrohlichen Gefahren ausgesetzt. Diese Gefahren werden nur dann gebannt, wenn wir unser Handeln an Tugenden orientieren, die wir in diesem Buch unter den Stichworten Gastfreundschaft, Zusammenleben, Toleranz, Respekt vor dem Anderen, Tischgemeinschaft und Kultur des Friedens behandeln werden. Sie müssen einhergehen mit den Tugenden des ökologischen Zeitalters: der Fürsorge, der gemeinsamen Verantwortung, der Kooperation und der Ehrfurcht. Auf diese Weise werden die Bedingungen dafür geschaffen, dass das Neue entstehen kann.
Andererseits wächst das Bewusstsein dafür, dass Wissenschaft, Technik, Ökonomie und Finanzmärkte, so unverzichtbar sie auch sind, nicht genügen, um der Globalisierung ein menschliches Antlitz zu verleihen. Der Prozess der Globalisierung selbst verlangt nach einer spirituellen, ethischen und ästhetischen Dimension, die den übrigen Dimensionen die Richtung weist und Sinn verleiht. Diese Dimensionen sind einander nicht entgegengesetzt, sondern vielmehr miteinander verflochten und voneinander abhängig. Unsere ökologischen, ökonomischen, politischen, sozialen, ethischen und spirituellen Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind unauflösbar miteinander verbunden. Deshalb wird nur eine ganzheitliche Sichtweise und werden nur umfassende Lösungsvorschläge dieser komplexen planetarischen Realität gerecht.
Wir wissen, dass wir mit dieser Komplexität nur richtig umgehen können, wenn wir die folgende Ordnung berücksichtigen: Das Wohl des Einzelnen ordnet sich dem Gemeinwohl unter, die Wirtschaft ordnet sich der Politik unter, die Politik orientiert sich an der Ethik und die Ethik bezieht ihre Inspiration aus einer Spiritualität, das heißt aus einer neuen Sichtweise des Universums von dem Standort aus, den der Mensch in ihm einnimmt, und vom Geheimnis des Lebens aus.
Seit Jahrhunderten schon haben wir die Bereiche der Wirtschaft und der Politik überbetont, während die Sphären der Ethik und Spiritualität blass und blutleer blieben. Dieses Ungleichgewicht ist eine der Ursachen für die zivilisatorische Krise und für den Verlust der utopischen Sinngebung und des utopischen Horizontes der menschlichen Geschichte.
Unser Engagement in Theorie und Praxis will die Ethik und die Spiritualität als das Fundament wiedergewinnen, auf dem eine planetarische Zivilisation errichtet werden kann, die nachhaltig ist und für die Biosphäre, die Gemeinschaft des Lebens, und die gesamte Menschheit eine wirklich lebenswerte Zukunft bereithält.
Wir rücken vier Tugenden in das Blickfeld, ohne die unserer Meinung nach kein Zusammenleben wirklich menschlich und keine Globalisierung wirklich gemeinwohlfördernd und verheißungsvoll ist: die Gastfreundschaft, das Zusammenleben, die Toleranz und die Tischgemeinschaft.
Der erste Teil behandelt die Gastfreundschaft im dramatischen Kontext der weltweiten Migrationsbewegungen: Die geographischen Grenzen von Nationalstaaten geraten unter Druck von Seiten der Menschen, die im Allgemeinen bessere Lebensbedingungen suchen oder denen es bloß um das nackte Überleben geht.
Der zweite Teil wird sich den Fragen des Zusammenlebens und der Toleranz widmen und dabei die verschiedenen zeitgenössischen Theorien besprechen, die sich der veränderten weltweiten Situation stellen, die von Angst, Bedrohung durch den Fundamentalismus und Terrorismus gekennzeichnet ist.
Der dritte Teil behandelt die beunruhigende Situation der Tischgemeinschaft: Dazu gehören die Themen des weltweiten Hungers, der kommerziellen Kontrolle des Saatgutes und der gentechnischen Manipulation des Lebens.
Das Ziel dieser drei Kardinaltugenden ist die Errichtung der ersehnten Kultur der aktiven Gewaltlosigkeit und des Friedens.
Die Tugenden bilden die Welt der Vorbilder und Werte. Als solche beinhalten sie unübersehbar ein utopisches Element. Es liegt im Wesen der Utopie, dass sie uns vor immer weitere und offenere Horizonte stellt. Wie schon gesagt, besteht ihre Aufgabe darin, uns dazuzuveranlassen, uns vom Fleck zu bewegen und vorwärtszuschreiten. Die Tugenden gleichen den Sternen: Wir erreichen sie niemals, doch sie geben den Steuermännern Orientierung und erleuchten unsere Nächte. Sie können uns zu immer neuen schöpferischen Handlungsweisen inspirieren, damit die Utopie nicht nur Utopie bleibt. Wir können stets wachsen und besser werden.
Die Herausforderung besteht nun darin, inspiriert von diesen Tugenden die historischen Vermittlungen und die besten gesellschaftlichen und juridischen Voraussetzungen dafür zu finden, dass sie innerhalb der von der gegebenen Situation vorgegebenen Grenzen und Bedingungen nicht verleugnet und verraten, sondern auf die bestmögliche Weise in die Tat umgesetzt werden.
In diesem Sinne werden wir uns sehr bemühen, dass unser ethisch-spiritueller Diskurs stets konkrete Vermittlungsschritte, Haltungen und klare Positionen thematisiert, damit aus dem Traum ein Prozess der stetigen Veränderung wird.
Diese Kardinaltugenden für eine Globalisierung mit ethischen Mindeststandards stellen nicht nur eine Sehnsucht und ein Projekt dar. Sie werden von Gruppen reflektiert und in die Tat umgesetzt, die nach Alternativen zur herrschenden Weltordnung suchen, von internationalen Bewegungen, denen es um die Ökologie, die Erhaltung der Natur, die Verteidigung und Förderung der sozialen und ökologischen Menschenrechte geht, von Bewegungen, die von den Grundsätzen der Erdcharta inspiriert sind, von weltweiten Bewegungen wie etwa dem Weltsozialforum und dem Bündnis für eine verantwortliche, plurale und vereinte Welt.
Innerhalb dieser Bewegungen entsteht – bei all ihren Grenzen und Widersprüchen – ein Ethos der Fürsorge, der Akzeptanz von Unterschieden, der Toleranz, des Teilens und der solidarischen Produktionsformen sowie des solidarischen Konsumverhaltens. Die Werte nehmen historische Gestalt an und vermitteln uns die Hoffnung, dass tatsächlich ein anderes Modell der Welt und der Globalisierung möglich ist. In Anlehnung an den Dichter Fernando Pessoa können wir sagen: „Wir wollen uns die Welt so vorstellen können, wie sie niemals war.“
Wir alle müssen die Gastfreundschaft füreinander pflegen, denn wir sind alle Gäste auf dieser Erde und haben hier keine ständige Bleibe, wie es die jüdisch-christlichen Schriften zum Ausdruck bringen. Wir müssen verstärkt das Zusammenleben pflegen, weil wir dasselbe gemeinsame Haus bewohnen und kein anderes haben. Wir müssen die Toleranz füreinander gerade hinsichtlich der Dinge pflegen, die wir schwer verstehen und ertragen können. Es kommt darauf an, Respekt vor der Andersheit der Anderen zu haben. Es ist notwendig, dass es Tischgemeinschaft gibt, das heißt, dass wir uns gemeinsam zu Tisch setzen und miteinander die Freude teilen, dass wir als Familie, als Geschwister, zusammen sind und die Großzügigkeit der Mutter Erde genießen. Was wären denn Gastfreundschaft, Zusammenleben, Respekt und Toleranz wert ohne Tischgemeinschaft, wenn wir vor Hunger und Durst sterben würden und keinen gemeinsamen Tisch hätten, an dem wir in Solidarität miteinander satt werden könnten?
Wenn aus diesen Tugenden Grundhaltungen werden und daraus eine kulturelle Atmosphäre entsteht, dann schafft dies die Bedingungen für eine notwendige und heilsame Globalisierung, für eine Globalisierung, die die zerstreuten Stämme vereint, die verlorenen Söhne zurückbringt, die Mutter Erde auf die beste Weise bewahrt und uns die Quelle erschließt, aus der alle Gaben für uns entspringen, aus der die Seligkeit und das Glück des Lebens selbst, das kein Ende haben will, hervorgehen.
Petrópolis, Ostern 2005
Wir treten gerade in eine neue Phase des Evolutionsprozesses der Erde und der Menschheit ein, in die planetarische Phase. Die auf die Kontinente zerstreuten und auf ihre jeweiligen Nationalstaaten begrenzten Völker beginnen sich nun innerhalb des Gemeinsamen Hauses, des Planeten Erde, zu bewegen.
Es wächst das Bewusstsein, dass wir nur diesen einen, kleinen und mit begrenzten Ressourcen ausgestatteten Planeten haben, auf dem wir leben können. Wir müssen ihn mit Sorgfalt behandeln, damit er alle Menschen, die gesamte Kette des Lebens und aller Lebewesen beherbergen kann. Wir möchten, dass er noch einer langen Geschichte entgegensieht.
Wir entdecken auch etwas, was uns zutiefst bewegen kann: die Perspektive der Astronauten von ihrem Raumschiff aus. Aus dieser Perspektive ist es nicht mehr möglich, Erde und Menschheit, Erde und Biosphäre zu unterscheiden. Sie bilden eine einzige, große und komplexe Wirklichkeit. Wir haben denselben Ursprung und dasselbe Schicksal. Deshalb begreifen wir uns als ein einziges Subjekt angesichts der Zukunft.
Dieses Faktum führt nach und nach zu einem neuen Bewusstsein. Vom ethnisch und durch soziale Klassen bestimmten Bewusstsein gelangen wir zum Bewusstsein der Gattung homo sapiens et demens. Wir entdecken uns selbst als Mitglieder der großen Menschheitsfamilie und der Gemeinschaft des Lebens, Brüder und Schwestern, Cousins und Cousinen anderer Vertreter der immensen Vielfalt des Lebens: von Pflanzen und Tieren, aus denen die Biosphäre besteht – jene feine Schicht, die die Erde umhüllt und das System Leben bildet. Sie ist nur der am deutlichsten sichtbare Teil des Planeten Erde selbst, der als lebendiger Großorganismus verstanden werden muss, als Große Mutter, Pachamama und Gaia.
Von diesem neuen Moment unserer gemeinsamen Geschichte fühlen sich alle berührt. Wir alle beginnen uns zu fragen: Worin besteht die Rolle einer jeden einzelnen menschlichen Person, der Kulturen, der Nationen und Religionen? Konkret gesprochen: Werden unsere Traditionen, unsere regionalen Kulturen, unsere Überzeugungen, unsere Künste und unsere Religionen, mit einem Wort: all das, was unsere Identität ausmacht, noch in irgendeiner Weise zählen? In welcher Weise müssen wir uns verändern, um auf der Höhe der Zeit zu sein und mit dieser neuen Phase mithalten zu können, die jetzt heraufkommt? Was müssen wir sein?
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