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In diesem Buch geht es um einen Kater, der nicht untergehen konnte. Um ein Geisterschiff, einen Spionage-Wal, um Freibeuter und eine geheimnisvolle Flaschenpost, um die Strandräuber von Sylt und den Fluch einer alten Burg am Meer. Wir wagen uns auf den Nordatlantik, auf die Weihnachtsinsel, ins Loch des Teufels und mitten hinein in den Alptraum eines Kapitäns. 51 Geschichten vom Meer, für eine Reise in Gedanken. Wie Polaroids von der See. Ein kleiner Lesegenuss zwischendurch: romantisch, abenteuerlich – aber immer spannend. Und auch herrlich altmodisch. Wer das Meer mag, wird dieses Buch lieben. Unsinkable Sam ist der erste Band der neuen Reihe "Abenteuer von den Meeren". Ab sofort regelmäßig im Handel.
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Seitenzahl: 153
Stefan Kruecken
ABENTEUER VON DEN MEEREN
UNSINKABLE SAM
Originalausgabe
Alle Rechte vorbehalten
© 2024 by Ankerherz Verlag GmbH, Hollenstedt
© Texte: Stefan Kruecken
© Fotografie: University of British Columbia. Library.
Rare Books and Special Collections
Illustrationen: Bart Sparnaaij, Berlin
Titelgestaltung: Selina Bauer, Berlin
Buchgestaltung und Satz: Selina Bauer, Berlin
Korrektorat: Sarah Schroepf, Losheim am See
Druck und Bindung: UnitedPress Tipografija, SIA, Riga, Lettland
Gedruckt auf FSC-zertifiziertem, holz- und säurefreiem Papier.
Printed in Latvia.
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet unter http://d-nb.de abrufbar.
Ankerherz Verlag GmbH, Hollenstedt
www.ankerherz.de
ISBN 978-3-945877-58-6
eISBN 978-3-945877-90-6
1
EIN UNSINKBARER KATER NAMENS SAM
Unsinkable Sam
Die Welle
Der Held von Büsum
Harry the Haddock
Gemeinsam einsam
Jetski-Romeo
Gustav, Eisern
Ein Killer auf Sylt
Ullapool
Verliebt in eine alte Lissi
2
FREIBEUTER
Jean Bart
Low Lights Tavern
Der Spionage-Wal
Wie reiche Nachbarn einen Leuchtturm dimmten
Die Strandräuber von Sylt
Das Geheimnis der „Raptor“
Der traurige Fischer von Favignana
Die Retter von Helgoland
Devil's Hole
Sylt 112
3
FLASCHENPOST
Die Flaschenpost
Das Wunder auf dem Ärmelkanal
Schritte an Deck
Todesfalle Luftmatratze
Probleme der Welt in einer Tüte Fish & Chips
Der Albtraum eines Kapitäns
Fiddichside Tale
Poyais
Ballyglass
Brief an Sara
4
GEISTERSCHIFF
Mitten aus dem Ostsee-Sturm
Weihnachtsinsel
Der Fluch von Bamburgh Castle
Der Trotz der irischen Fischer
Rungholt
Geisterschiff
Prospect of Whitby
Abgeschnitten auf Helgoland
Blau
Der kleine Frieden von Barfleur
5
MEERJUNGFRAU
Die Strandung der „Adrar“
Ein schweres Los
Schanghait!
Der Stolz von Rotterdam
Nordmeer
Der Sauerkraut-Befehl
Damit andere leben
Salen Pier
Britannia
Streit der Meerjungfrauen
Das Glück von Cala Bona
Ich wünsche mir, dass dieses Buch wirkt wie 51 kleine Ausflüge ans Meer. Kurze Reisen in Gedanken, die das „Meerweh“ lindern. Geschichten, die gegen dieses Gefühl helfen, das jeder kennt, der Salzluft zum Atmen braucht. Eine Sehnsucht, die ich immer dann spüre, wenn ich einige Zeit nicht an einen Strand kann.
Es geht um einen Kater, der nur angeblich unsinkbar war, und um einen besonders sturköpfigen Kapitän aus Hamburg. Wir besuchen die Strandräuber von Sylt und gehen dem Fluch von Bamburgh Castle auf den Grund. Wilde Stürme toben auf See, ein Freibeuter lässt die Säbel klirren, und Irlands Fischer zeigen keine Angst vor bösen Armumdrehern in ihrem Fanggebiet. Um Romantik geht es, um gestern, aber auch um die Wirklichkeit unserer Zeit. Meerjungfrauen spielen eine Rolle, ein Schiff voller Geister und die Superjacht von Jeff Bezos.
Genau, es geht um viel Meer.
Ich wünsche viel Vergnügen!
UNSINKABLE SAM//DIE WELLE//DER HELD VON BÜSUM//HARRY THE HADDOCK//GEMEINSAM EINSAM//JETSKI-ROMEO//GUSTAV, EISERN//EIN KILLER AUF SYLT//ULLAPOOL//VERLIEBT IN EINE ALTE LISSI
Manches an der Geschichte dieses Katers, der als unsinkbar galt, seiner Crew aber dennoch kein Glück brachte, klingt verdächtig nach Seemannsgarn. Manches daran erscheint unlogisch, manches wirkt, als wolle man eine Folge „Tom & Jerry“ als knallharte Tierdoku verkaufen, doch anderseits:
Vielleicht ist doch vieles, womöglich alles wahr an der Legende des „Unsinkbaren Sam“, dem Kater, der zum Helden werden sollte?
Fangen wir vorne an.
Historiker wissen, dass Katzen an Bord von Schiffen schon immer beliebte Reisebegleiter waren. Katzen galten als Verbündete von Seeleuten. Seit der Zeit der Pharaonen segelten sie mit. Man glaubt, dass die phönizische Handelsflotte die ersten domestizierten Katzen im Jahr 900 vor Christus nach Europa brachte; durch Handelsschiffe verbreiteten sie sich überall auf der Welt.
Auf See war der Job der Katzen klar geregelt: Sie hielten die Population von Mäusen in Schach, die den Proviant wegnagten. Sie kümmerten sich auch um Ratten, die Seuchen übertrugen. Wer keine Katze an Bord mitnahm, ging ein törichtes Risiko ein, befand Jean-Baptiste Colbert, französischer Staatsmann und Begründer des Merkantilismus. Ein Schiff, auf dem nicht mindestens zwei Katzen für Ordnung sorgten, hielt er für nicht „reisetauglich“ und ließ diese Erkenntnis auch in Handelsverträge aufnehmen.
Eine ähnliche Einschätzung liest man im „Black Book of the Admirality“, dem sehr alten Regelwerk der englischen Seefahrt. Waren Teile der Ladung durch Ratten angefressen worden? Wachte keine Katze an Bord? Stupid! Dann haftete der Eigner für die Schäden. Manche Versicherungen verlangten sogar die Anwesenheit von Fellträgern auf See.
Miau Security.
Viele Entdecker waren überzeugt, dass vierbeinige Kammerjäger in ihre Crew gehörten. Als auf einer langen Heimreise von Vasco da Gama der Proviant knapp wurde, war für die Katzen allerdings die Reise vorbei. James Cook muss ein regelrechtes Rudel mitgenommen haben, denn der Engländer verschenkte auf Tahiti nach Überlieferung des Naturforschers Johann Reinhold Forster zwanzig Katzen an die einheimischen Insulaner. Ernest Shackleton nahm „Mrs. Chippy“ mit auf seine „Endurance“-Expedition. Nachdem das Schiff vom Packeis eingeschlossen wurde, begann für die Crew der beschwerliche Marsch durch die Eiswüste. Für die Katze nicht. Shackleton ließ sie erschießen.
Manche Katzen brachten es sogar zu einer gewissen Berühmtheit, beispielsweise „Trim“, Schwarzer Kater an Bord des britischen Forschungsschiffs „HMS Reliance“. Kommandant Matthew Flinders, der von 1801 bis 1803 die Küsten Australiens kartierte, widmete seinem innig geliebten Kater ein eigenes Buch („A Biographical Tribute to the Memory of Trim“). Ein Happy End hatte die Geschichte der ersten Hauskatze, die nachweislich den Subkontinent umrundete, dabei nicht: Das Schiff lief auf ein Riff, und die Mannschaft wartete zwei Monate lang auf Rettung, die schließlich in Form des Ostindienfahrers „Cumberland“ heransegelte. Nächster Stopp: Mauritius. Unter dem Vorwand der Spionage wurde die gesamte Crew verhaftet. Nur „Trim“ gelang die Flucht aus dem Gefängnis, doch zum Bedauern seines Kommandanten verschwand der Kater spurlos. Selbst eine Belohnung in Höhe von zehn spanischen Dollar, annonciert in der Inselzeitung, brachte ihn nicht zurück. Flinders' trauriges Versprechen, dem Kater ein Ehrenmal zu setzen, wurde erst knapp zweihundert Jahre später umgesetzt. Statuen des Katers „Trim“ stehen heute nahe einer Bibliothek in Sydney, in Flinders' englischer Geburtsstadt Donington sowie im „Australia House“ von London. Letztere wurde sogar vom britischen Thronfolger Prinz William persönlich enthüllt.
Um Katzen ranken sich einige Legenden, bei denen man den Eindruck hat, dass die Grenzen zur Dichtung fließend sind. Eine solche Story beschreibt das Buch „Hamburger Geschichten“, erschienen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, das ich in einem kleinen Antiquariat entdeckte. Die Geschichte spielt 1736 im Mündungsgebiet der Elbe vor Cuxhaven. Ein Dreimaster war bei schwerer See auf eine Sandbank gesegelt und musste aufgegeben werden. Die Mannschaft sah die Ursache in einem Fehler des Lotsen und zog die Messer. Zwar gelang es dem Kapitän des Havaristen, einen Mord zu verhindern; im Rettungsboot fand sich für den Lotsen aber kein Platz mehr. Der Mann, sein Name war Peter Bull, band sich in seiner Verzweiflung an ein abgerissenes Spill (eine drehbare Vorrichtung zum Einholen von Trossen oder Ankerkette), mit dem er davontrieb. Im letzten Augenblick sprang die Schiffskatze auf seinen Kopf und verkrallte sich in seinen Haaren.
Vermutlich war es keine besonders angenehme Situation, als Schiffbrüchiger ohne Hoffnung, aber mit einer Katze in den Haaren auf der Nordsee zu treiben. Nach einigen Stunden, so die Legende, trieben Spill, Lotse und Katze nahe der Kugelbake. Lotse Bull erkannte Männer auf dem Deich, doch war zu unterkühlt und entkräftet, um sich bemerkbar zu machen. Diese Aufgabe übernahm nun die mitreisende Katze. Lautes Miauen und Fauchen! Die Männer retteten das Duo. Bull wurde seiner Aufgaben als Lotse entbunden, mochte nicht mehr zur See fahren und wurde Gehilfe des Strandvogts von Duhnen. Das Spill bewahrte er als Andenken auf – und die Katze wich nie wieder von seiner Seite. „Denn neben Gott verdanke er ihr das Leben“, so steht es in diesem kleinen braun eingebundenen Buch.
Aberglaube war verbreitet in einer Zeit, in der sich Menschen gewisse Phänomene nicht erklären konnten. Zumal es Ereignisse gab, die sich auch heute nicht recht erklären lassen. Der Fall „Emmy“ zum Beispiel.
„Emmy“ hieß die Schiffskatze der „Empress of Ireland“, einem Passagierdampfer und Postschiff, das im Liniendienst von Liverpool nach Quebec City in Kanada dampfte. Die orangene Tabby „Emmy“ verpasste nie eine Reise. Doch als das Schiff Ende Mai 1914 in Quebec ablegen wollte, herrschte Aufregung: „Emmy“ war verschwunden! Matrosen entdeckten sie auf dem Dach eines Schuppens an Pier 27, schafften es aber nicht, sie an Bord zurückzulocken. Die „Empress of Ireland“ legte also ohne ihren Glücksbringer ab – und es steht zu vermuten, dass manchem Seemann nicht wohl dabei war.
Am nächsten Morgen wurde das Schiff im dichten Nebel über dem Mündungsgebiet des Sankt-Lorenz-Stroms vom norwegischen Kohlefrachter „SS Storstad“ schwer gerammt. Sie sank schnell. Mehr als tausend Menschen verloren das Leben.
Auch über die „Titanic“ soll eine Bordkatze gestromert sein, die wegen einer bösen Vorahnung abmusterte. „Jenny“ lebte in der Küche des neuen Ocean-Liner der „White Star Line“ und wurde vom Personal mit Abfällen gefüttert, unter anderem von einem Küchenjungen namens Jim Mulholland. Die trächtige Katze brachte, bevor das Schiff vor der Jungfernfahrt die Docks von Southampton erreichte, mehrere Junge zur Welt. Dort soll der Küchenjunge beobachtet haben, dass sie ihren Nachwuchs über die Gangway an Land trug. Andere Quellen besagen hingegen, dass die Katze an Bord war, als die „Titanic“ am 14. April 1912 den Eisberg rammte. Die Evakuierung ihrer Kätzchen durch „Titanic-Jenny“ dürfte wohl der Abteilung Seemannsschnack gehören.
Klar ist aber, dass die Rolle von Katzen als Maskottchen auf Schiffen geübt war, als der Zweite Weltkrieg begann. Was zur moralischen Erbauung der Crews beitrug, kam zum Einsatz. Populär wurde beispielsweise „Blackie“, Schiffskater des Schlachtschiffs „Prince of Wales“, mit dem Großbritanniens Premierminister Winston Churchill den amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt in Neufundland besuchte. Ein Foto, auf dem sich Churchill nach dem Glücksbringer bückt, druckten fast alle Zeitungen des Königreichs. „Blackie“ hieß nach der Streicheleinheit „Churchill“ und überlebte später eine Versenkung. Seine Spur verliert sich in Singapur.
Von „Peebles“ an Bord der „HMS Western Isles“ gibt es reichlich niedliche Katzenfotos, die lange vor der Existenz von Instagram funktionierten. Die Katze begrüßte Besucher der Offiziersmesse mit „Pfotenfaust“ und hatte noch andere Kunststücke im Repertoire, weshalb die Crew sie regelrecht verehrte. An Bord der „Hermione“ gab es Kater „Convoy“, der eine eigene kleine Hängematte in der Mannschaftsunterkunft bezog und offiziell im Logbuch geführt wurde. Das Schiff, das Konvois auf dem Nordatlantik schützte, sank nach dem Treffer eines deutschen Torpedos. Alle Seeleute an Bord starben, auch „Convoy“.
Schiffskater „Rastus“ von der „HMS Gorleston“ verteidigte sein Schiff gegen eine aufdringliche Möwe, die es wagte, unangemeldet über das Vorschiff zu stolzieren. Weil Fauchen keine Wirkung zeigte, biss „Rastus“ dem Vogel in den Fuß, der daraufhin mitsamt Kater abhob. „Rastus“ klatschte ins Hafenbecken, schwamm aber an Land und lief unter begeistertem Johlen der Crew zurück an Bord. Die Anekdote wurde nach Kriegsende im „Nautical Magazine“ aufgeschrieben.
Und es gibt weitere Katzen, die während des Weltkriegs für Schlagzeilen sorgten: „Minnie“ erlebte 1944 den D-Day an Bord der „HMS Argonaut“, und Kater „Smokey“ war dabei, als die deutschen Besatzer 1945 die Kanalinseln räumten. Was sogar in der Berichterstattung der BBC auftaucht.
Kommen wir damit zu Sam, dem berühmtesten aller Seekater.
Es war Mai 1941, die Schlacht auf dem Nordatlantik in vollem Gange. Nach einem Seegefecht mit der Royal Navy sank die „Bismarck“, Stolz des Dritten Reichs. Von 2104 Besatzungsmitgliedern überlebten nur 116, und als am Tag nach dem Untergang der englische Zerstörer „HMS Cossack“ aufkreuzte, fand die Crew nur noch einen Überlebenden.
Einen Kater.
Er hockte angeblich auf einem Trümmerteil. Wie kam er dorthin? Hatte ihn ein Matrose daraufgesetzt, kurz bevor alles vorbei war? Die Matrosen der „HMS Cossack“ fischten das Fellbündel jedenfalls auf und tauften es „Oscar“. Er gewöhnte sich nach anfänglicher Skepsis („Oscar“ wurde zunächst als „Nazi-Kater“ geschmäht) rasch an die neue Umgebung und etablierte sich als neues Maskottchen. Der Zerstörer eskortierte in den nächsten Wochen Frachter über den Nordatlantik, bevor er ins Mittelmeer abkommandiert wurde.
Am 27. Oktober, ziemlich genau fünf Monate nach dem Versenken der „Bismarck“, erschütterte eine schwere Explosion das Schiff. Torpedotreffer! Ein deutsches U-Boot hatte zugeschlagen. Versuche, die „HMS Cossack“ zu retten und in den Hafen von Gibraltar zu schleppen, scheiterten. 159 Crewmitglieder starben. Zwischen den Überlebenden hockte in einem der Rettungsboote: Oscar, der Kater.
Nachdem er nachweislich zwei Untergänge innerhalb so kurzer Zeit überlebt hatte, verpasste ihm die Royal Navy einen neuen Namen und eine neue Mission. Aus „Oscar“ wurde „Sam“, der Unsinkbare.
Man wies ihm den Flugzeugträger „HMS Ark Royal“ zu, Flaggschiff der Flotte. Das, kleine Pointe, maßgeblich an der Versenkung der „Bismarck“ beteiligt war. Sam sollte die Moral der Crew stützen. Warum es niemanden zu kümmern schien, dass der Kater zuvor zweimal Glück im Unglück gehabt hatte?
Wenige Wochen später, es war der 14. November, stampfte der Flugzeugträger von Malta zurück zum Stützpunkt in Gibraltar. Man ahnt bereits, was passierte: Exakt, Torpedotreffer! Auch diesmal gab es Versuche, das schwer beschädigte Schiff irgendwie in den Hafen zu bekommen, doch auch diesmal scheiterten sie. Die „Ark Royal“ lief langsam voll, bekam Schlagseite und ging unter. Immerhin gab es keine Toten.
Unter den Geretteten befand sich selbstverständlich: Sam, der Bordkater.
An dieser Stelle, nach drei dokumentierten Untergängen, war seine Karriere als „Glücksbringer“ allerdings beendet. Drei Untergänge innerhalb von 171 Tagen? Niemand mochte Sam mehr an Bord wissen. Nur noch eine Reise trat er an, von Gibraltar in den Norden Irlands. Er zog in ein Heim für pensionierte Seeleute in Belfast. Zehn Jahre nach Ende des Krieges soll Sam, die Legende der See, gestorben sein. Sein Porträt hängt heute im „Royal Maritime Museum“ in Greenwich bei London.
Doch selbst daran gibt es Zweifel: Ist der Kater auf dem Pastellgemälde wirklich „Unsinkable Sam“? Stimmt die Farbe? Oder ist das eine andere Katze?
Die Legende lebt weiter.
Der Sturm trug einen Namen, der klang wie ein finsterer Fürst in einem Historiendrama auf Netflix. Ciarán, aus dem Irischen, eine Ableitung von „ciar“, was „dunkel“ meint. Mit Windgeschwindigkeiten von mehr als zweihundert Stundenkilometern zog der Orkan im November 2023 über die französische Atlantikküste, Englands Süden und die Kanalinseln.
Was zurückblieb, waren mindestens sieben Tote im Norden Europas, schwere Verwüstungen unter anderem auf Jersey und eine Messung, die mir nicht aus dem Kopf geht. Vor dem Departement Finistère, also vor dem westlichsten Zipfel der Bretagne, wurde eine 21 Meter hohe Welle gemessen.
Wirklich: 21 Meter.
Eine ganze Menge Schiffe waren trotz des Sturms im Seegebiet unterwegs, wie Daten des „Automatic Identification System“ (AIS) zeigen, mit denen Schiffsbewegungen sichtbar gemacht werden. Frachter und Tanker, die nach Westen liefen, waren mit langsamer Fahrt unterwegs. „Sturm abreiten“, nennen das die Seeleute. Also den Bug in den Wind halten und etwas versetzt die Wellen anlaufen, mit einem Tempo, das den Pott einerseits noch steuerfähig hält, dem Wind dabei aber so wenig Angriffsfläche wie möglich bietet.
Knapp vierzig Frachter suchten Schutz in der Bucht nahe des Städtchens Barfleur. Aufgereiht wie an mehreren Perlenschnüren wetterten sie den Orkan hinter einer Landzunge ab. Vermutlich war das die angenehmste Art, mit Ciarán fertigzuwerden.
Eine Welle von 21 Metern Höhe wäre einst als Seemannsgarn abgetan worden. 21 Meter. Erst im späten 20. Jahrhundert begannen Wissenschaftler, die Berichte der Seeleute ernst zu nehmen. Einige Katastrophen führt man heute auf Monsterwellen zurück, wie etwa den Untergang des Hamburger Lashcarriers „München“ von Hapag-Lloyd, der im Dezember 1978 auf dem Atlantik sank. Die Crew funkte noch ein „Mayday“ – da war der Frachter schon gesunken.
Die größte Welle, die wissenschaftlich belegt ist, maß man auf der norwegischen Ölplattform Draupner E in der Neujahrsnacht 1995. 26 Meter war sie hoch. Eine Theorie besagt, dass diese gewaltige Welle weiterlief und vor der Insel Borkum den Seenotrettungskreuzer „Alfried Krupp“ zum Kentern brachte. Zwei Seenotretter, beide Familienväter, starben in jener Nacht.
Das Problem mit Wellen jenseits einer Höhe von 16,5 Metern ist, dass sie im Konzept der Seefahrt nicht vorgesehen sind. Schiffbauer arbeiten mit der Annahme, dass Wellen maximal 15 Meter hoch werden können. Einen Meter Sicherheitsaufschlag gibt es obendrauf, aber dann ist Schluss. Für mehr sind Schiffe nicht ausgelegt.
Was aber macht ein Kapitän, wenn die Welle höher kommt? Dann braucht es seemännisches Können und eine gehörige Portion Glück.
Und vielleicht auch ein Gebet.
Ein alter Freund war gestorben und hatte sich gewünscht, auf der Nordsee bestattet zu werden. Vor Büsum in Dithmarschen sollte seine letzte Reise enden. Ich war früh dran, suchte einen Parkplatz, nicht weit weg von einigen aufgebockten Kuttern, an denen gekärchert und gestrichen wurde, und spazierte durch den Hafen.
Ich kam an einer weiteren kleinen Werft und an einer Fischräucherei vorbei. Fast alles hat in Büsum mit der Fischerei zu tun, sogar das Wappen des Ortes. Es zeigt einen kleinen Leuchtturm und die Umrisse eines Kutters. Ursprünglich war Büsum eine Insel mit mehreren Dörfern. Heute ist der Ort vor allem für seine Krabben bekannt und bei Touristen beliebt.
Ein kleines, weiß gestrichenes Gebäude fiel mir auf. „Museum am Meer“ stand über der Tür. Ich zahlte den Eintritt, nahm die Treppe in den ersten Stock und erwartete eigentlich nicht viel. Im Raum stand ein altes Schiffsmodell in einem Glaskasten. Dahinter ein alter Stuhl in einem Glaskasten. Auf einem anderen Glaskasten klebte, mit Tesafilm angebracht, ein Blatt Papier. Und darauf las ich die Geschichte eines Mannes, der zum Helden wurde.
Januar 1887. Ein arktisch kalter Jahresstart, vor dem Hafen von Büsum stapelte sich das Eis in Schollen. Es war ein Sonntag, schon später Nachmittag, als mehrere Kinder begannen, „Eisschippern“ zu spielen. Ein gefährliches Spiel, das im Wesentlichen daraus bestand, von einer Scholle zur anderen zu springen.
Sie spielten, lachten und bemerkten dabei nicht, dass sich eine größere Eisscholle löste. Sie trieb Richtung Nordsee. Drei Kinder – sie sollen nach Angaben eines Zeitungsberichts zwischen 10 und 14 Jahre alt gewesen sein – riefen nun um Hilfe. Die anderen Kinder rannten in den nahen Hafen, um Rettung zu holen. Wenig später sammelten sich viele Einwohner Büsums am Strand.
Die Eisscholle trieb mit jeder Minute, die verging, weiter hinaus, bis sie nur mit einem Fernglas auszumachen war. Verzweiflung machte sich breit am Strand. Auch die Eltern der Kinder, die in Lebensgefahr aufs Meer hinaustrieben, waren eingetroffen.
Drei Männer rannten los, um ein Boot zu holen. Der Seehundjäger und Fischer Hans Reiher, der Fischer Wilhelm Külper und jemand, dessen Namen nicht überliefert wurde. Sie ließen es zu Wasser und begannen zu rudern. Das Problem: Auf dem Weg in offenes Wasser, in dem die Eisscholle trieb, mussten sie viele kleine Schollen überwinden. Unter größter Anstrengung wuchteten sie das Boot also mehrfach hoch, schleppten es über das Eis, ließen es wieder zu Wasser.