Unterrichtswissenschaften - Werner Moriz - E-Book

Unterrichtswissenschaften E-Book

Werner Moriz

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Beschreibung

Dieses Buch dient als Arbeitsgrundlage für die berufspädagogische Lehrer/innenausbildung an der Pädagogischen Hochschule Steiermark und vermittelt sowohl Basiswissen des Lehrens und Lernens als auch berufspädagogische Handlungskompetenzen.

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Der Autor:

Dr. Werner Moriz (geb. 1962) ist als Bildungswissenschafter an der Pädagogischen Hochschule Steiermark tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Leistungsfeststellung und -beurteilung, in der Unterrichtsevaluation sowie im Bereich des E-Learnings.

„Unterricht bedeutet planmäßiges, absichtvolles und zielgerichtetes Handeln und bedarf pädagogischer Professionalität.“

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

Allgemeines

1.1 Entwicklung der Pädagogik

1.2 Berufspädagogik heute

1.3 Das österreichische Schulsystem

Die Humanwissenschaften

2.1 Menschenbild

2.2 Natur- versus Humanwissenschaften

2.3 Abgrenzung der Humanwissenschaften

2.4 Forschungsmethoden der Humanwissenschaften

Begriffsdefinitionen

Lerntheorien

4.1 Behavioristische Lerntheorie

4.2 Die Kognitionstheorie

4.3 Der Konstruktivismus

Didaktische Theorien

5.1 Bildungstheoretische Didaktik

5.2 Lern- bzw. Lehrtheoretische Didaktik

5.3 Kybernetisch–Informationstheoretische Didaktik

5.4 Curriculare Didaktik

5.5 Lernzielorientierte Didaktik

5.6 Kritisch-Kommunikative Didaktik

Lehrplan versus Curriculum

6.1 Die Lehrplantheorie von Erich Weniger

6.2 Die Curriculumstheorie nach Saul B. Robinsohn

6.3 Der Lehrplan

6.4 Resümee

Inhalte

7.1 Auswahl der Inhalte

7.2 Strukturierung der Inhalte

7.3 Bedachtnahme auf die Zugänglichkeit der Inhalte

Lehr- und Lernziele (Intentionalität)

8.1 Wozu Zielüberlegungen?

8.2 Allgemeinheitsgrad von Lernzielen

8.3 Verhaltens- bzw. Lernbereiche

8.4 Lernzielstufen

8.5 Lernzielformulierungen heute

Unterrichtsmittel und -medien

9.1 Unterrichtsmittel

9.2 Unterrichtsmedien

Unterrichtsmethoden

10.1 Funktionen von Unterrichtsmethoden

10.2 Einteilung der Unterrichtsmethoden

10.3 Bedeutung der Unterrichtsmethoden

Unterrichtsplanung

11.1 Stufenmodelle des Unterrichts

11.2 Praktische Unterrichtsplanung

Leistungsfeststellung und -beurteilung

12.1 Die Leistungsbeurteilung

12.2 Die Leistungsfeststellung

12.3 Schulnoten als Urteil – Beurteilungsfehler

Unterrichtsevaluation

13.1 Was ist Evaluation?

13.2 Kennzeichen einer systematischen Evaluation

13.3 Techniken und Verfahren zur Evaluation

13.4 Ausgewählte Forschungsergebnisse

Führungsstile

14.1 Die Führungsstile von Kurt Lewin

14.2 Gegenüberstellung der Führungsstile

14.3 Die Typologien von H. H. Anderson

14.4 Zusammenschau der Führungsstile

Reformpädagogik

15.1 Der Daltonplan – a way of life

15.2 Die Freinet-Pädagogik

15.3 Der Jenaplan

15.4 Die Montessoripädagogik

15.5 Exemplarisches Lernen

Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Vorwort

Liebe Leser und Leserinnen! Dieses Buch entstand aus den Bemühungen der letzten Jahre, berufspädagogische Inhalte, vornehmlich einführende Aspekte in die Humanwissenschaften und Kerngebiete der Unterrichtswissenschaften, vorlesungs- und seminargerecht aufzubereiten und den Studierenden zugänglich zu machen. Die Lehrer/innenbildung in der Berufspädagogik muss dabei systembedingt andere Schwerpunktsetzungen beinhalten als im Pflichtschulbereich. Einerseits unterscheiden sich diese Bereiche in den Inhalten und in der altersmäßigen Struktur der Schüler und Schülerinnen, die von den angehenden Lehrern und Lehrerinnen unterrichtet werden - so haben die Humanwissenschaften der Berufspädagogik als primären Ansatzpunkt Jugendliche und junge Erwachsene von vierzehn Jahren aufwärts. Andererseits bestehen Unterschiede durch die strukturellen Gegebenheiten der angehenden Lehrer und Lehrerinnen, denn diese können erst nach einer fundierten Berufsausbildung sowie einer entsprechenden Berufspraxis in die Lehrtätigkeit eintreten und aus diesem Grund erst zu einem altersmäßig späteren Zeitpunkt ihr Studium absolvieren.

Nicht zuletzt aus diesem Grund stellt sich der Zugang zu den Humanwissenschaften für diese Studierenden häufig als nicht unproblematisch dar, denn diese Zielgruppe benötigt einen deutlich konstruktivistischeren Ansatz in der Lehrer/innenbildung. Zum einen versuchen die Humanwissenschaften Aspekte zu erklären, über die sowohl aktive (als Erziehende) als auch passive (als Erzogene) Vorerfahrungen vorhanden sind, und zum anderen besteht bei den meisten Studierenden eine zumindest zweijährige Unterrichtspraxis, in der sich bestimmte Verhaltensweisen und Strategien internalisiert und bewährt haben. Es wird zwar manches im eigenen Unterrichtsverhalten als falsch erkannt, jedoch in der Praxis beibehalten, weil jede Verhaltensänderung und Abweichung von Routine nach dem Grundsatz - never change a running system – als unangenehm empfunden wird.

Ein weiterer Aspekt ist der, dass bei bereits im Beruf stehenden und in den Lehrerberuf eintretenden jungen Menschen häufig die fachlich/inhaltliche Komponente bei allen Überlegungen, die den Unterricht betreffen, überwiegt und die pädagogische oft als eher „lästig“ und als notwendiges Übel gesehen wird. Erst im Laufe der Unterrichtsjahre verlagert sich, begründet durch eine zunehmende Sicherheit in den eigenen Gegenstandsbereichen, die Schwerpunktsetzung zu Gunsten methodischer und schülerzentrierter Überlegungen und Strategien.

Weiters ergibt sich bei der Beschäftigung mit diesen Wissenschaften unweigerlich das Problem, dass es sich hierbei um keine Naturwissenschaft, sondern um Humanwissenschaften handelt, in denen es keine eindeutigen Gesetze, Regeln und dergleichen gibt. Aus diesem Grund ist es kaum möglich, allgemeingültige Handlungsanweisungen in Form von Rezepten für den problemlosen Umgang mit Schülern und Schülerinnen zu geben, denn der Mensch lässt sich nun einmal nicht in Formeln und Schemata fassen. Die Humanwissenschaften bleiben aus diesem Grund eine deutungsbedürftige und ungenaue Wissenschaft, und das begründet sich in ihrem ureigensten Gegenstandsbereich - dem Menschen.

Manche Studierende sind auch der Meinung, dass sich die Theorien der Humanwissenschaften zwar rein theoretisch gut anhören, aber nicht in die Praxis überführbar seien. Dieser Transfer kann aber nur aus innerem Antrieb und einer gewissen Offenheit hinsichtlich der Gegebenheiten stattfinden. Auf alle Fälle ist es notwendig, sich als Lehrer/in mit der Problematik der Humanwissenschaften, deren Denkmodellen und Methoden auseinander zu setzen. Wie weit etwaige Grundhaltungen übernommen werden, ist eine individuelle Frage, die jeder und jede nur für sich selbst beantworten kann.

Nach dem Motto „Kein Vorwort ohne Danksagung“, möchte ich mich an dieser Stelle bei meiner Frau Alexandra für ihr großartiges Verständnis und meinen Kindern Marie, Simon und Rosa Anna für die vielen Unterbrechungen, die sich aber letztendlich durchaus positiv auf die Entstehung dieses Buches ausgewirkt haben, bedanken.

Graz,

Dr. Werner Moriz

Einleitung

Die Beschäftigung mit den Humanwissenschaften in der Lehrer/innenbildung bedarf einer gewissen Offenheit hinsichtlich der Gegebenheiten und Problemlagen ihrer jeweiligen Zielgruppe. Für die Berufspädagogik sind dies, wie bereits erwähnt, vor allem Jugendliche von vierzehn Jahren aufwärts und junge Erwachsene, die eine berufsbildende mittlere oder höhere Schule oder eine Berufsschule besuchen. Systemimmanent weist natürlich auch die berufpädagogische Lehrer/innenbildung Unterschiede zur allgemeinen Lehrer/innenbildung auf, denn diese Studierenden müssen bereits über eine fundierte Berufsausbildung mit entsprechender Berufspraxis verfügen.

Beiden Sparten gemein ist, dass sie meist mit der Pädagogik Neuland betreten. Aus diesem Grund neigen Studierende häufig dazu, die fachlich/inhaltliche Seite ihres neuen Tätigkeitsfeldes über zu bewerten und die pädagogische zu vernachlässigen. Letztendlich steht aber die pädagogische Gesamtqualifikation, die sowohl inhaltlich-fachliche als auch pädagogische Aspekte inkludiert, im Zentrum der neuen Tätigkeit. Es genügt also nicht nur, ein guter Fachmann bzw. eine gute Fachfrau zu sein, sondern es wird eine doppelte Professionalität verlangt – eine fachliche und eine pädagogische, die wir im Begriff pädagogische Professionalität subsumieren wollen. Voraussetzung dafür stellt eine fundierte Ausbildung fachlicher und pädagogischer Natur, die Umsetzung der Theorie in die Praxis und die Internalisierung des nun praktischen auf Theorie basierenden Handelns!

Im Bezug auf die Professionalitätsentwicklung des Lehrers/der Lehrerin in Österreich wurden unter dem Titel „Entwicklung von Professionalität im internationalen Kontext“ von einer vom Ministerium beauftragten Arbeitsgruppe unter der Leitung des Innsbrucker Erziehungs- und Bildungswissenschafters Michael Schratz fünf Domänen, die professionelles Handeln repräsentieren:

Professionalitätsbewusstsein: Diese Domäne kennzeichnet sich darin, dass Lehrer und Lehrerinnen ihr eigenes Expertentum nach außen widerspiegeln und den zur Verfügung stehenden Gestaltungsspielraum ausschöpfen. Ziel ist es, sich als Lehrer/in gegen diffuse Anforderungen abzugrenzen und selbstbewusst die eigene Profession zu vertreten.

Reflexions- und Diskursfähigkeit: Hier entwickelt der Lehrer/die Lehrerin die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Selbstkritik. Er/sie kann sich auf die Metaebene begeben, Schlüsse ziehen, Alternativen entwickeln und das eigene Tun öffentlich argumentieren und begründen.

Kollegialität: Als Ansatzpunkt gegen das Einzelkämpfertum in der Schullandschaft soll diese Domäne die Dialog-, Team- und Kommunikationsfähigkeit des Lehrers/der Lehrerin pflegen, um in einer Kultur der Offenheit gemeinsam Wissen und Können weiterzuentwickeln.

Differenzfähigkeit: Nachdem die Heterogenität im Schulwesen mittlerweile unbestrittenes Faktum ist, zielt diese Domäne auf die Fähigkeit unterschiedliche Lernvoraussetzungen zu erkennen, Stärken zu fördern und an Defiziten zu arbeiten. Hier stehen vor allem die individuelle Falldeutung und die Moderation von Heterogenität im Mittelpunkt.

Personal Mastery: Die persönliche Könnerschaft kennzeichnet sich dadurch, übergeordnete Zusammenhänge zu erkennen und angeeignetes Wissen in Können überzuführen und umzusetzen. Die eigene Persönlichkeit wird dabei als Lernaufgabe verstanden der Lehrer/die Lehrerin findet offen und kritisch gegenüber Neuem seinen/ihren eigenen Weg.

Erfüllt man diese Voraussetzungen - die Professionalität im fachlich/inhaltlichen sowie im pädagogischen Bereich - ist man für die Anforderungen des Lehrer/innendaseins gewappnet und kommt dem Aufgabenprofil des Lehrers/der Lehrerin nahe. Neben dem Unterricht sind dies nach Theo Dietrich vor allem zu erziehen, zu beurteilen und zu beraten. Im Folgenden seien diese Aufgaben des Lehrers und der Lehrerin kurz dargestellt (vgl. Dietrich, 1998, S. 158 ff):

Der/die Lehrer/in hat die Aufgabe des Lehrens. Dabei geht es aber nicht bloß darum, Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, sondern im Lernprozess soll auch „Verständnis für das Gelernte“, „Problembewusstsein“ und „problemlösendes Denken“ entwickelt werden. Aus diesem Grund genügt es nicht, dass Lehrer/innen „nur“ die Lehrinhalte beherrschen, sondern auch die Theorien des Lehrens und Lernens in die Praxis umzusetzen in der Lage sind.

Als zweite Aufgabe steht die Erziehung im Vordergrund, denn Unterricht hat immer auch erzieherische Funktion. Zentral sind dabei die Entwicklung von Kritikfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein, die Förderung von Selbstbestimmung und Kooperationsfähigkeit, von Durchsetzungswillen und Kompromissbereitschaft, die als Erziehungsaufgaben an die Lehrer/innen herangetragen werden.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt stellt das Beurteilen dar. Dem Ausbildungsauftrag unserer Schulen, der damit verbundenen Auslese sowie der Vergabe von Qualifikationen, kommt in der gegenwärtigen Zeit immer größere Bedeutung zu. Die Schwierigkeit einer gerechten Beurteilung ist zentrales Thema der Unterrichtswissenschaft. Hier geht es um die Entwicklung von Verfahren, die gruppenübergreifende Maßstäbe zulassen, und damit um die Möglichkeiten der Objektivierung des Lehrer/innenurteils.

Als vierter Punkt wird die Beratung angeführt, die sich abgesehen von beiläufigen Ratschlägen, die Lehrer/innen bei Gelegenheit punktuell erteilen, immer mehr zu einer Bildungs-, Erziehungs- und Berufsberatung entwickelt. Nachdem unsere Gesellschaft immer differenzierter und spezialisierter wird, ist die richtige Berufswahl – nach Begabung aber auch nach Aktualität des Berufes - eine der schwierigsten Entscheidungen für junge Menschen.

Last but not least nennt Theo Dietrich Innovation als fünfte grundlegende Aufgabe der Lehrer/innen. Jeder Lehrer und jede Lehrerin ist dazu aufgerufen, zur Verbesserung der erzieherischen und unterrichtlichen Verhältnisse beizutragen. Dies bedarf allerdings einer fortwährenden kritischen und reflexiven Auseinandersetzung mit den Aufgaben, die das Berufsfeld und auch die Gesellschaft stellen.

In der Lehrer/innenbildung taucht immer wieder die Frage nach den erforderlichen bzw. erwünschten Persönlichkeitsmerkmalen von Lehrer/innen auf. Diese Frage beherrscht die Pädagogik schon seit geraumer Zeit. So wurde im zwanzigsten Jahrhundert diesbezüglich eine Vielzahl von Untersuchungen durchgeführt, von denen hier einige angeführt seien:

Eduard Spranger (1882-1963) unterschied sechs Strukturtypen bzw. Seelentypen: den theoretischen, den ökonomischen, den ästhetischen, den sozialen, den politischen und den religiösen Menschen (vgl. Spranger, 1921). Darauf aufbauend ging Georg Kerschensteiner (1854-1932) davon aus, dass die Lehrerpersönlichkeit vorwiegend zum Typus des sozialen Menschen tendieren muss (vgl. Kerschensteiner, 1952).

Christian Casselmann (1889-1979) unterschied zwei Grundtypen - den logotropen1 und den paidotropen2 Lehrertypus (vgl. Casselmann, 1953). Er stellte unter anderem fest, dass logotrope und autoritativ veranlagte Naturen bei der Anwendung von Selbsttätigkeitsmethoden immer unglücklich sind und damit auch wenig Erfolg haben. Bei paidotropen Typen war genau das Gegenteil der Fall.

Die ersten Untersuchungen über wünschenswertes Lehrerverhalten fanden bereits nach dem ersten Weltkrieg statt. 1932 führte Martin Keilhacker zum Thema „Der ideale Lehrer nach Auffassung der Schüler“ eine Untersuchung durch. Er wertete dabei etwa 4000 Aufsätze von Schüler/innen im Alter von 8 bis 20 Jahren aus (vgl. Keilhacker, 1932, S. 63 ff). R. B. Aibauer wiederholte diese Untersuchung 1954 mit einer Stichprobe von etwa 3.000 Volks- und Berufsschüler/innen und kam zum selben Ergebnis. Als wesentliche Grundvoraussetzungen für den Erfolg im Lehrberuf gelten: Neigung zum Lehren; Einfühlungsvermögen in den Schüler; keine Launenhaftigkeit; die Fähigkeit Disziplin zu halten; die Fähigkeit interessant und produktiv zu unterrichten; die Echtheit der Lehrperson; die Akzeptanz der Schüler/innen, Geduld; Allgemeinbildung und Fachkenntnisse; sowie die Fähigkeit die Aufmerksamkeit gleichzeitig auf den Gegenstand und den/die Schüler/in zu richten.

Stellt man nun die Gretchenfrage, ob man nun zum/zur guten Lehrer/Lehrerin geboren sein muss oder ob dieser Beruf auch erlernbar sei, kommt man unweigerlich zum Schluss, dass man die beruflichen Aufgaben des Lehrer/innenseins im Tun, also im Vollzug, während der Ausbildung und der Berufsausübung erlernt. Ebenso sicher ist aber, dass dafür bestimmte Voraussetzungen erforderlich sind. Wer kontaktscheu ist, dirigistische Züge hat und mit anderen Menschen autoritativ umgeht, oder wer von einer tief sitzenden Lebensangst niedergedrückt wird oder pessimistisch eingestellt ist, oder wer stark erregbar ist und leicht in Wut gerät, der wird sich im Lehrer/innenberuf schwer tun.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass auf Basis konstitutiver Berufsfähigkeit eine Ausbildung erfolgen muss, die sich an der beruflichen Tätigkeit orientiert. Ein guter Lehrer oder eine gute Lehrerin wird man nur dann, wenn man bestimmte Grundfähigkeiten mitbringt, sie weiterentwickelt und sich außerdem vieles aneignet, was zur Berufsausübung gehört, seien es die fachlichen Gegenstände, also die Grundlagen für die Unterrichtsfächer und die Verfahrensweisen ihrer Übermittlung, seien es Kenntnisse, die die Führung der Schüler/innen zur Mündigkeit hin betreffen. Lehrer/innensein hat also immer als Voraussetzung, dass die Grundbedingungen der Zuwendungsfähigkeit, des Einflussnehmenwollens und einer weiteren Aufmerksamkeitshaltung in Ansätzen vorhanden sind. Die anderen Eignungsmerkmale bedürfen aber auch einer speziellen und intensiven, auf das Berufsfeld hin ausgerichteten Ausbildung, die die Basis für professionelles Unterrichten darstellt. Die oben gestellte Frage, ob man zum/zur Lehrer/in geboren sein muss, müsste nun invers beantwortet werden:

„Nein - man muss nicht zum/zur guten Lehrer/in geboren werden, aber man kann zum/zur Nichtlehrer/in geboren sein.“

Aus diesem Grund empfehle ich jedem(er) Studierenden, sich die für ihn/sie wichtigen Erkenntnisse herauszufiltern und in seinem/ihrem Unterricht umzusetzen.

Erfüllt man die oben angeführten Anforderungen, stellt sich dennoch die Frage nach einem Grundgeheimnis für ein erfülltes Lehrer/innendasein. Vorweg – ich kann diese Frage nicht beantworten – aber dennoch Kriterien anführen, die zumindest die Wahrscheinlichkeit eines diesbezüglichen Gelingens erhöhen. Dazu greife ich auf den amerikanischen Psychologen Carl Rogers3 zurück, der in seinem Personenzentrierten Therapieansatz drei grundlegende Aspekte, die gleichzeitig ein pädagogisches Konzept darstellen, postulierte:

Zum einen die Kongruenz des/der Lehrers/Lehrerin. Rogers versteht darunter die Echtheit. Der/die Lehrer/in sollte möglichst authentisch in der Klasse agieren und sich nicht zum „Schauspielern“ verleiten lassen. So wird ein ernster Lehrer zumindest ebenso akzeptiert wie ein humorvoller, sofern das Verhalten echt ist, und Echtheit führt zur Akzeptanz durch die Schüler/innen. Natürlich ist aber auch die Akzeptanz und Wertschätzung der zu Unterrichtenden ein wesentlicher Bestandteil des Lehrer-Schülerverhältnisses. Lapidar gesagt ist es unumgänglich, die Altersgruppe zu mögen, die man unterrichtet. Als dritten Aspekt nennt Rogers die Empathie, die einerseits Kenntnis und Verständnis, andererseits aber auch Interesse an den Problemlagen der Jugendlichen bedingen (Forschungsergebnisse der Jugendforschung, Soziologie, Psychologie, etc.).

1 Logotrop: Vorwiegend dem Lehrstoff zugewandt.

2 Paidotrop: Vorwiegend dem/der Schüler/in zugewandt.

3 Carl R. Rogers (1902 – 1987): Er lebte in den USA und gilt als Mitbegründer der Humanistischen Psychologie sowie als Gründer des Personzentrierten Ansatzes, aus dem letztlich unter anderem die wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie hervorgegangen ist. Auf der Basis des Personzentrierten Ansatzes entwickelte er Theorien zur Psychotherapie, Beratung, sowie ein pädagogisches Konzept.

1 Allgemeines

1.1 Entwicklung der Pädagogik

Die allgemeine Pädagogik blickt auf eine lange Geschichte zurück, die ihre Ursprünge bereits in der Antike findet. In diesem Teil des Buches wird vornehmlich auf die Entstehungsgeschichte der Pädagogik im Allgemeinen und der Berufspädagogik im Speziellen eingegangen. Es wird weiters versucht, die unterschiedlichen Menschenbilder, die großen Persönlichkeiten der Pädagogik sowie deren Bedeutung für die heutige Schule herauszuarbeiten.

1.1.1 Die Antike

Seit jeher sind die Grundlagen einer Staatsbildung und Entstehung von Kultur: die Entwicklung einer Schrift, die Weitergabe von Tradition durch die „Alten“ und eine Ausbildung für die „Jungen“. In der griechischen Antike4 waren Bildung und Unterricht zunächst überhaupt nicht institutionalisiert und dienten ausschließlich dem Adel zum Erhalt des höfischen Standeswesens. Mit der Entstehung des komplizierten Rechts- und Staatswesens wurden höhere Qualifikationen erforderlich, die die Sophisten5 gegen Bezahlung in Vorträgen vermittelten. Gegen die Sophisten - vor allem gegen ihre Vorgangsweise - wandten sich die Philosophen Sokrates (470-399), Platon (427-347) und Aristoteles (383-321). Sie versuchten, durch gezielte Fragetechnik zu selbstständigem Denken anzuregen. Gelehrt wurden die sieben freien Künste: Grammatik, Rhetorik, Dialektik (Logik), Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik. Ziel aller Bildungsbemühungen in der Antike war die Erziehung zu guten Staatsbürgern, die zu politischem Handeln fähig waren Primat der Politik (vgl. Gonschorek/Schneider, 2000, S. 73 ff). Mit der Konzeption der Paideia entstand die erste große Bildungstheorie mit den zentralen Bestimmungsstücken: Emanzipation zur Befreiung, Suche nach der Wahrheit und der Erschließung des Ganzen durch Denken. Das war der Beginn erziehungswissenschaftlicher Überlegungen. Bei den Römern waren die Ziele von Erziehung durch die militärisch-politische Orientierung vornehmlich zweckgebunden und staatsbezogen. Mit der Übernahme der griechischen Sprache und Literatur wurde auch die Paideia im Sinne einer reinen Menschenbildung übernommen.

1.1.2 Mittelalter

Die einzige Gemeinsamkeit des Mittelalters6 mit der griechischen Antike liegt darin, dass dort ebenfalls die sieben freien Künste gelehrt wurden, die damit tausend Jahre hindurch die Bildungsinhalte darstellten. Die schulische Bildung war im Mittelalter ausschließlich an das Schrifttum gebunden und deshalb nur einer kleinen Gruppe – dem Klerus7 – zugänglich. Die Wissenschaften beschränkten sich hauptsächlich auf die Auslegung und Interpretation von Bibeltexten, und man ging von der Annahme aus, dass bereits alles entdeckt sei, was es zu wissen gab Primat der Kirche (vgl. Gonschorek/Schneider, 2000, S. 75 f). Es herrschte die Meinung: „Was nicht sein soll, darf nicht sein!“ Dieses als Scholastik bezeichnete Zeitalter lähmte die Entwicklung der Wissenschaften und verhinderte größere Fortschritte. Um 1100 entstanden die ersten Zünfte, die den Grundstein für die Handwerksausbildung mit dem klassischen Dreischritt, Lehrling – Geselle – Meister, legten.

1.1.3 Neuzeit, Humanismus und Aufklärung

Mit Beginn der Neuzeit um 15008 gewannen die Naturwissenschaften mit der Erfindung des Buchdruckes durch Johannes Gutenberg (1400-1468), der Begründung des heliozentrischen Weltbildes durch Nikolaus Kopernikus (1473-1543), der Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus (14461506), der Begründung des Experiments durch Galileo Galilei (1564-1642), uvm. an Bedeutung und fanden auch in die schulische Bildung Einzug. Dies bedeutete das Ende der mittelalterlichen Scholastik. Etwa zur gleichen Zeit entstand auf der Basis des italienischen Humanismus9 der Humanistische Bildungsbegriff, der erstmals den Menschen in den Mittelpunkt aller Überlegungen stellte Primat des Menschen. Zentrale Intentionen waren eine umfassende Bildung, ein harmonisches Welt-