Unterwegs in Hochheim - Dietmar Elsner - E-Book

Unterwegs in Hochheim E-Book

Dietmar Elsner

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Beschreibung

Der Autor spaziert oder radelt fast täglich durch Hochheim oder drum herum. Was er auf seinen Streifzügen alles erlebte, hat er in diesen Kurzgeschichten festgehalten. So wurde dieses Buch zu einer Art persönlichem Tagebuch mit zufälligen Eindrücken, humorvollen Geschichten und meist interessanten Gesprächen.

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Seitenzahl: 186

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

Der Autor

Vorwort

1 Brötchen aus der Kälte

2 Im Schnee

3 In die Stadt zum Metzger

4 Mitten durch den Ort

5 Krixi-Kraxi

6 Mode, Essen, Luft und Parken

7 Berliner Platz

8 Stadtpfarrkirche

9 Netto brennt

10 Das Mittelalter lockt

11 Zurück nach Hause

12 Zur Südstadt hinunter

13 Am Main entlang

14 Durch die Weinberge zurück

15 Im Brothaus

16 Opa ist da drin

17 Finanzamt Hofheim

18 Die Bestsellerautorin

19 Interview mit Nele Neuhaus

20 Wieder im Café

21 Hochzeit

22 Zurück nach Griechenland

23 Harley

24 Was wird besser

25 Rollo

26 Es ist heiß

27 Wasserkühlung

28 Rhabarberkuchen

29 Globalisierung

30 Warte nur, balde …

31 Am Strand

32 Es klappert

33 Grillfest

34 Um Hochheim herum

35 Weinfest mit WM

36 IKEA

37 Nach Kostheim

38 Mamma Mia

39 Sommerstadt

40 Stadtführung

41 Wilfried

42 Die Birke

43 Auf der Bank

44 Einschulung

45 Falkenberg

46 Frieden mit Demenz

47 Leute beobachten

48 Rad an Rad

49 Nüsse im Gewitter

50 Hochheimer Markt

51 Das war es erst einmal

Danksagung

Zum Buch

Dieses Buch ist kein Stadtführer, es ist eher ein persönliches Tagebuch, das zufällige Eindrücke, Geschichten und Gespräche über Hochheim festgehalten hat. Es enthält kein Hotelverzeichnis und keine Empfehlungen. Sehenswürdigkeiten tauchen auf oder auch nicht. Der Autor schrieb einfach auf, was er auf seinen Streifzügen erlebte und darüber dachte.

Der Autor

Dietmar Elsner lebt seit rund 20 Jahren in seiner Wahlheimatstadt Hochheim. Er ist IT Projekt- und Qualitätsmanager im Ruhestand, nun freier Journalist und Buchautor.

Er ist verheiratet, hat drei Kinder und wohnt in der sogenannten ‚Weststadt‘ Hochheims. Fast täglich besucht er die Stadt, meist um einen Kaffee zu trinken, danach umrundet er Hochheim auf dem Fahrrad und besucht die eine oder andere Nachbargemeinde.

Seine Homepage: http://www.dietmar-elsner.de

Vorwort

Orte sind wie Menschen, sie haben einen bestimmten Charakter. Manche haben auch einen gewissen Charme und eine angenehme Ausstrahlung.

Hochheim hat diese Eigenschaften und die Einwohner meist auch. Ich habe sie freundlich, höflich, hilfsbereit und humorvoll kennengelernt. Vor allem, wenn sie bei einem Glas Wein zusammensitzen.

Auf meinen Streifzügen durch Hochheim habe ich die vielen Leute um mich herum oft und möglichst genau beobachtet.

Zugegeben, das tun viele. Ich jedoch habe auch aufgeschrieben, was ich gesehen, gehört und mir dabei gedacht habe.

Mir gefällt es hier. Weil Hochheim ein bestimmtes Flair hat, weil es so friedlich, so schön ist und - weil ich die Hochheimer mag.

DIETMAR ELSNER

Im Herbst 2014

1 Brötchen aus der Kälte

Welcher Idiot kommt auf die Idee, bei fünf Grad Celsius mit dem Fahrrad Brötchen zu holen? Unter fünf Grad setze ich mich nicht aufs Rad. Oberhalb dieser Schmerzschwelle fahre ich, aber nur bestens verpackt. Im Detail: Ich ziehe dicke Handschuhe über die Finger, die schwarze Sturmhaube über den Kopf und stopfe einen Schal in den Kragen des Anoraks. Lange Unterhosen sind selbstverständlich.

Heute meinte es das Schicksal nicht gut mit mir. Beide Thermometer, eins auf der Nordseite und eins auf der Südseite des Hauses, zeigten genau 5,0 Grad an. Das ist keine Hilfe. Ist das nun oberhalb oder unterhalb der kritischen Entscheidungstemperatur?

Da ich kein Schwächling sein will und weil ich mich ständig als ausgesprochen fit bezeichne (jedenfalls für mein Alter), setze ich mich eben doch aufs Rad. Nun friere ich erbärmlich. Fahre ich schneller, werden die Wangen durch den Fahrtwind noch eisiger. Fahre ich langsamer, bin ich noch länger in der Kälte unterwegs. Man hat es nicht leicht.

Kein anderer Radfahrer ist unterwegs. Verständlich. Auch kein Hunde-Gassigeher ist auf der Straße. Jogger oder Walker sowieso um diese Uhrzeit nicht. Es ist Samstag und noch kurz vor sieben.

Am Kreisverkehr öffnet der Privatbäcker gerade seinen Laden. Also die Klappe seines alten Renault-Lieferwagens. Wir nennen seine Geschäftsräume aus Spaß gerne ‚Brotbüchse‘. Hoffentlich hat er einen Heizkörper neben seine Füße gestellt.

Fast alle Rollläden in den Wohnhäusern sind noch unten. Vernünftige Leute liegen jetzt im Bett. Um diese Uhrzeit vermutlich sogar im eigenen. Nach der letzten Kurve sehe ich endlich Licht aus einer Schaufensterscheibe fallen. Drinnen warten drei Verkäuferinnen auf mich.

Eine räumt dann noch ein wenig hin und her, die beiden anderen bemühen sich, mich zufrieden zu stellen, indem sie ein Sesam-, zwei Kaiser-, ein Dinkel-und ein Mehrkörnbrötchen in eine Papiertüte fallen lassen. Extra verpackt werden noch drei Buttercroissants, damit sie ihre Form und Größe behalten. Ich zahle und bekomme dreimal einen wunderschönen Tag gewünscht.

Auf der Rückfahrt bemerke ich, wie ich immer wacher werde. Plötzlich gefällt mir die kalte Luft, die um meine Nase streicht. Der dunkle Himmel erscheint mir nicht mehr schwarz, sondern dunkelblau und ich freue mich für den Mann in der Brotbüchse, weil mehrere Kunden bei ihm anstehen.

Zuhause werde ich schon erwartet, übergebe meiner Frau die duftenden Brötchen. Dann bekomme ich ein liebevolles Dankeschön und einen warmen Kuss auf die eiskalte Wange.

Der Frühstückstisch ist gedeckt, meine Frau gießt mir Kaffee ein. Er duftet mit den Brötchen um die Wette.

Was will man mehr? Das Leben kann so schön sein. Jedenfalls bei 23 Grad Zimmertemperatur.

4. Januar 2014

2 Im Schnee

Manchmal habe ich mit meinen 73 Jahren den Eindruck, ich wäre der Munterste in der ganzen Familie. Jedenfalls früh morgens, also jetzt. Es ist kurz nach sechs Uhr, meine Tochter schläft noch und meine Frau auch. Obwohl sie sich gerne als Frühaufsteherin bezeichnet, wird sie schnell ungehalten, wenn sie vor acht geweckt wird. Es sei denn, sie muss zur Arbeit fahren.

Schon vor Jahren schrieb ich einmal auf einen Zettel „Psst. Frühaufsteher schläft!“ und klebte ihn mit Tesa an ihre Türe. Das werde ich nie wieder tun.

Ich sitze auf der Bettkante in meinem Wohn-, Arbeits-und Schlafzimmer unter dem Dach unseres Reihenhauses, möchte nach dem Wetter sehen, stehe auf, lasse den Rollladen elektrisch hochfahren (Solarantrieb!) und staune. Draußen ist alles weiß. Schnee liegt auf den Dächern, den Bäumen, den geparkten Autos und auf der Straße. Ich entriegele das Fenster, hebe es an, fühle, wie die frische kalte Luft auf meine nackten Füße herunterfällt. Ich will mehr davon spüren. Ich will raus!

Nur langsam wird es draußen heller. Deshalb bleibe ich erst noch im Haus, schaue in die E-Mails, schreibe ein wenig, bis es draußen langsam hell wird. Meine Aktivitäten im Bad und am Kleiderschrank stören die beiden Tiefschläfer nicht. Bald stehe ich warm angezogen innen vor der Haustüre und prüfe, ob ich alles habe. Anorak, Mütze, lange Unterhosen, dicke Socken, Handschuhe? Alles O. K.

Ich möchte nicht planlos durch den Schnee stapfen, ich habe bereits ein Ziel im Kopf: Schneebilder könnte ich machen. Eine Fotoserie mit tollen Winterbildern fehlt mir noch in meiner Fotosammlung. Das milde Klima Hochheims lässt Schnee meist recht schnell schmelzen.

Damit mein knurrender Magen nicht die Vögel und Kaninchen verscheucht, bereite ich mir noch schnell ein Junggesellenfrühstück zu. Vor 50 Jahren, als ich noch (fast) allein lebte, erfand ich es, weil ich morgens meist keine Zeit mehr hatte und weil es in der Kantine sowieso was Besseres als bei mir zuhause gab.

Ich hole also in Gedenken an alte Zeiten ein großes Trinkglas aus dem Hängeschrank in der Küche, fülle kalten O-Saft ein, schütte Haferflocken darüber und warte, bis sie nach unten gesunken sind. Dann trinke ich die zwar gesunde, jedoch kalte Köstlichkeit, rühre immer wieder um und löffle schließlich die Reste aus dem Glas. Das klappert zwar, aber meine ‚Mädels‘ stört das nicht. Ich gehe von kuschelig warmem Tiefschlaf aus.

Ich ziehe die Schuhe wieder an, hänge mir noch die Kamera um den Hals und plane im Geiste schon meine Fototour: Erst durchs Wohngebiet, dann an den Tennisplätzen und dem Weingut vorbei zum Abenteuerspielplatz. Dann sehen wir weiter.

Draußen vor der Haustüre muss ich meinen Plan sofort wieder ändern. Der Nachbar rechts war noch früher wach als ich und hat bereits seinen Hauszugang und den Bürgersteig vom Schnee befreit. Er hat sogar noch weiter gekehrt, als sein Grundstück reicht. Etwa einen Meter in mein Revier hinein.

Dieses freie Stück sieht mich nun besonders vorwurfsvoll an. So als wollte es sagen: „Hier geht es weiter. So wird das gemacht. Keine Ausreden, das ist Bürgerpflicht. Und bitte nicht erst am Nachmittag.“

Ich hole tief Luft, atme laut durch die gespitzten Lippen aus, gehe wieder rein, lege meine Kamera ab und hole den großen Besen und die Schneeschaufel aus dem Keller. Der Schnee ist nass und staut sich auf der Schippe, ich werfe ihn abwechselnd nach rechts und links in den Vorgarten ohne Rücksicht auf die sowieso verschneiten Rosen und die Erika. Das ist harte Arbeit, ich schnaufe gehörig, er hat sich bestimmt absichtlich schwer gemacht, um mich zu ärgern. Aber ich halte durch. Den Schnee vom Bürgersteig werfe ich dann möglichst weit auf die Straße hinaus. Die Autos dürfen ihn dort plattdrücken.

Der Nachbar zu meiner Linken tritt gut gelaunt mit dem Besen und einer großen Tüte in den Händen aus der Haustüre und grüßt mich freundlich. Ich grüße ebenso zurück, mit Nachbarn sollte man sich immer gut stellen. Er macht es sich leicht, kehrt nur oberflächlich und streut dann großzügig Salz. Ich stütze mich mit beiden Händen auf den Stiel meiner Schaufel und schaue ihm zu. Er kommt immer näher und wirft dann nachbarlich großzügig mehrere Hände voll Salz auch noch auf ‚meinen‘ Bürgersteig. Ich bedanke mich.

Auch mein Nachbar macht eine Pause, stellt seinen Besen und die Tüte ab und wir beginnen ein Schwätzchen. Wir fangen mit dem Schnee an, machen weiter mit der Kälte, dem Wind, der rutschigen Straße, den zu fütternden Vögeln, leiten dann über zum älter werdenden Haus samt seinen genauso alten Wasserleitungen. Gerade als wir über die fehlende Brücke zum Spielplatz herziehen wollen, schaut seine Frau zur Haustüre heraus und ruft ihm zu: „Komm jetzt endlich. Das Frühstück ist fertig.“

Wir gehen beide hinein, natürlich getrennt. Er freut sich auf den heißen Kaffee, ich hänge mir wieder den Fotoapparat um und stapfe über die Danziger Allee hinweg in die kalte Landschaft.

Da die einzelnen Bilder nichts kosten, knipse ich einfach drauflos. Das ganze Stadtviertel ist momentan ein einziges Fotomotiv. Auf den Ästen liegt wie sorgfältig drapiert weißer Schnee. Von Dachrinnen hängen kleine Eiszapfen herab. Schnee hängt fotogen im Maschendrahtzaun des Tennisplatzes. Ich sollte wohl lieber mehr laufen, ständig stehe ich und schaue durch den Sucher. Das ist nicht gut für meine Füße, am rechten werden die Zehen unangenehm kalt.

Ein Elternpaar hat seine drei Kinder in rote Anoraks verpackt. Tief über die Stirn gezogene Strickmützen lassen gerade noch die Augen und die Nase frei. Sie sitzen lachend auf Plastikuntersätzen, Papa zieht an zwei Seilen, Mama filmt alle vier mit der Videokamera. Sie werfen mit Schnee, haben einen Riesenspaß, der ansteckt.

Ich knipse mit immer kälter werdenden Fingern mehrere Frauchen, Herrchen und Hunde. Der Spielplatz ist leer, unberührt liegen die Spielgeräte da, als ob sie unter einer Decke schlafen würden.

Die weißen Bänke, Schaukeln, Lokomotiven und Büsche erinnern mich an eine Hochzeitsgesellschaft, die still und geduldig auf das baldige Fest und die tobenden Kinder wartet. Ich habe fast ein schlechtes Gewissen, weil ich diese Unberührtheit mit meinen Fußspuren zerstöre.

Aber ich fotografiere immer weiter, alles sieht so seltsam fremd in dieser Verpackung aus. Auch am runden Tisch in der Mitte des kleinen Karussells hängen winzige dünne Eiszapfen, in denen sich das Licht eigenartig bricht. Das tief durchhängende Seil der Tarzanbahn sieht besonders verlassen aus. Tauben sitzen still im Baum darüber. Eine Krähe hackt mit dem Schnabel im Gras herum, hat etwas gefunden, nimmt es in den Schnabel und fliegt eilig davon.

Auch mein linker Fuß ist nun kalt und die Finger fühlen sich so an, als würden sie bald einfrieren. Der Kamera ist es egal. An einem Unterstand versuche ich die Filzstiftmalereien zu entziffern: „Selim, ich habe dich lieb“, kann ich lesen und ganz oben am Querbrett: „I LOVE MY MAMA.“

Zwei gut verpackte Frauen stapfen durch den Schnee. Ein Paar kommt ihnen entgegen, das eigentlich Hand in Hand gehen könnte, aber sie tun es nicht. Ganz im Gegenteil, sie laufen in so großem Abstand, dass die Frauen zwischen ihnen hindurchgehen. Sieht nach langjähriger Ehe aus.

Vor der Autobahnbrücke wird es mir dann endgültig zu kalt. Ich sehe auf die Uhr, fast eine Stunde bin ich schon unterwegs. Fotos hin oder her: Ich sehne mich jetzt nach einem gemütlichen Frühstück mit heiß aus der Tasse dampfenden Kaffee.

Im eigenen Vorgarten steht noch ein letztes Fotomodell. Auf der Zipfelmütze des kleinen hölzernen Schneemanns neben der Treppe liegt heute nicht nur aufgemalter, sondern echter Schnee. Das an einer dünnen Halskette hängende Schild behauptet: „Ich liebe Schnee.“ Ich glaube es ihm sofort.

Dann öffne ich erwartungsvoll die Haustüre. Und – es riecht tatsächlich nach Kaffee.

21. Januar 2014

3 In die Stadt zum Metzger

Es wird Frühling, die Wege rund um Hochheim sind zwar frei von Eis und Schnee, aber ich getraue mich heute nicht auf meine große Radrunde, das Wetter ist mir nicht sicher genug. Ich will lieber noch in der Stadt bleiben, damit ich mich notfalls vor dem Ertrinken retten und unterstellen kann.

Ein Ziel hab ich im Kopf, den Metzger. Bei ihm könnte ich den Kühlschrank ein wenig auffüllen. Auf dem Weg zur Garage sehe ich über Wiesbaden dunkle Wolken, die nicht dicht sind. Schräg an den Wolken hängende dunkle Vorhänge verraten es. Von Süden, von Rüsselsheim her, donnert es sogar, tiefschwarz brodelt es da drüben.

Ich vertraue dennoch auf das milde Klima Hochheims, wenigstens vorläufig. Üblicherweise fällt bei uns nur mäßiger Regen, wenn Radio und Fernsehen melden, dass in Rheinland-Pfalz umgestürzte Bäume auf Oberleitungen fallen oder in Wiesbaden das Kurhaus unter Wasser steht. Wie schon gesagt: Hochheim hat tatsächlich ein besonderes Klima. Das wissen die Winzer zu schätzen, die Weinkenner ebenfalls, das war schon den weinseligen Römern bekannt und ich hab es auch schon mitbekommen.

Außerdem ist meine schwarze Jacke einigermaßen regendicht und die Mütze müsste mich vor dem Schlimmsten, nämlich einem nassen Kopf, bewahren. Mutig fahre ich an den Vorgärten der Danziger Allee vorbei zum Weststadtzentrum. Ein ganzes Rudel Bären bewacht den Hintereingang. Sie schauen mich mit ihren Knopfaugen aus den Fenstern der Bärenapotheke an. Wenig furchterregend, eher freundlich und friedlich.

Nicht selten arbeiten Apotheker und Ärzte im selben Haus. Ich schaue in den Hauseingang neben der Apotheke, um zu zählen. Zwölf Ärzte kommen in diesem Haus auf eine Apotheke. In zwei Wartezimmern saß ich schon, meine Sehnsucht nach den anderen zehn hält sich in Grenzen.

Mit der bunten Ladenmischung unter dem Glasdach habe ich wenig zu tun, dafür kenne ich den Optiker besser. Vier Brillen (Universal-, Lese-, Fernseh- und Computerbrille) helfen mir, Hochheim drinnen und draußen scharf und deutlich zu betrachten.

Bei Rewe gehen die Kunden gemütlich ein und aus, nebenan holen sich Leute Geld aus den beiden Automaten und ich überlege, auf welchen Namen der Kreisverkehr getauft wurde. Ich erinnere mich noch an die alte Ampel, jetzt ist die Mitte der Kreuzung mit Geranien und Weinstöcken gefüllt. Ich grüble, aber der von den Bürgern demokratisch gewählte Name will mir einfach nicht einfallen.

Vor der Eisdiele stehen die Stühle auf der Terrasse übereinander gestapelt, drinnen warten die Pächter auf Kundschaft. Auch ich fahre vorbei, 15 Grad sind einfach kein Wetter für Stracciatella oder Zitroneneis. Links breitet sich die Shell-Tankstelle aus. Sie bietet neben Zeitungen, Magazinen, Bargeld von den Cash-Group-Banken, Süßigkeiten, heißem Automatenkaffee, Eiscreme, Bier und Limo draußen an den Zapfsäulen sogar Benzin an. Daneben in der Werkstatt ließ ich früher, bevor ich auf Ganzjahresreifen umstieg, zweimal jährlich meine Reifen wechseln. Shell ist in Hochheim der Preisführer, immer ein oder zwei Cent teurer als die beiden Freien in der Frankfurter Straße. Obwohl vermutlich alle drei den Sprit aus denselben Tanks beziehen. Der Name machts.

Hinter den Bäumen lugt die Antoniuskapelle hervor. Ich kenne sie von vielen Konzerten. Geduldig ertrug sie bereits viele Schülerkonzerte, aber auch Meister gaben hier schon ihr Bestes. Sänger mit klarer oder rauchig heiserer Stimme und aus Trompeten, Posaunen und Saxophonen bestehende Gebläse inszenierten laut und deutlich heißen Jazz neben dem Altar.

Um die Kapelle herum wohnen und lernen Behinderte und Nichtbehinderte. Hin und wieder besucht ein Bischof das Heim. Auch der von Journalisten gnadenlos in den Medien zerlegte und vom Papst in Klausur geschickte großzügig waltende Bauherr Tebartz van Elst las hier einmal eine Messe.

Im Glashaus, das den alten Wasserturm umschließt, stellen Bewohner des Antoniushauses ihre Werke aus. Meist sind es unter der Anleitung eines Künstlers abstrakt gemalte Bilder. Sie sind groß, bunt und sie gefallen mir. Wenn ich unsere Wände nicht schon mit Eigenproduktionen belegt, beziehungsweise behängt hätte, könnte ich mir durchaus vorstellen, eines zu erwerben.

Aus der breiten Einfahrt des Antoniushauses prescht gerade ein junger Rollstuhlfahrer, ich kann ihm in der Burgeffstraße kaum folgen, obwohl er seine Räder fast nur mit dem rechten Arm antreibt. In der linken Hand hält er eine Zigarette. An der Kauthstraße verliere ich ihn aus den Augen.

Am Rathaus bleibe ich stehen und schaue mir den Aushang vor den Eingangsstufen an. Das Beratungsbüro ‚Älter werden‘ informiert über Veranstaltungen und Hilfsangebote. Daneben hängen drei Traueranzeigen, ich denke über die Geburtsjahre nach: 1929 und 1939 weisen auf ein erfülltes Leben hin. 1965 lässt einen Schicksalsschlag vermuten, die Frau verließ Hochheim zu früh. Vielleicht wurde sie sogar noch hier in diesem Haus geboren. Bis 1968 war dieses Gebäude das Hochheimer Krankenhaus.

In der Kurve um den Le Pontet Platz, der zu Ehren der Partnerstadt angelegt worden war, fallen mir dunkle Gummispuren auf der Straße auf. Die Kurve nach rechts zu Rotkäppchen-Mumm ist für LKWs wohl reichlich eng und der Wein in den Tankwagen wiegt etliche Tonnen. Da radiert der Reifen auf dem Asphalt und lässt Gummi liegen.

Auf der rechten Straßenseite sehe ich die Bar mit einem eher untypisch geräumigen Eingang und dem sehr langen Hinterhaus. Ich sah auf einer alten Postkarte, dass man in den 50er und 60er Jahren hier über die drei Stufen ins Kino ging. Das Portal war damals mit dem Schriftzug ‚10 Jahre Capitol‘ geschmückt worden.

Da ich in jenen Jahren selbst Filmvorführer werden wollte, kann ich mir gut vorstellen, wie es da drinnen zuging. Ich sehe in meinem Kopfkino, wie aus den beiden Fenstern über dem Eingang hin und wieder der Filmvorführer herausschaut, während sich drinnen die Filmrollen im heißen Projektor drehen. Aus den Kontrolllautsprechern quäkt hinter ihm der Filmton.

Damals füllten Filme wie ‚Der dritte Mann‘, ‚Sissi‘, ‚Das Gewand‘, Quo vadis?‘, ‚High Noon‘ und ‚Die Brücke am Kwai‘ die Kinos.

Heute kann man in diesen Räumen mittels sky wenigstens noch Fußball gucken.

10. April 2014

4 Mitten durch den Ort

Die weitere Burgeffstraße dient vor allem der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Hochheimer. Zu beiden Seiten praktizieren Ärzte, die obligatorischen Apotheken sind nicht weit entfernt. Im Umkreis von 500 Metern fallen mir schon mal drei ein.

In der Nähe eines HNO-Arztes findet man nicht selten auch einen Hörgeräteakustiker. Sogar zwei ließen sich hier nieder, einer gegenüber auf der rechten Seite. Das Geschäft hat den beeindruckenden Namen ‚Hörwerk Acusticum‘. Die Konkurrenz ‚Hörgeräte Fachberatung Becker‘ ließ sich gleich um die Ecke nieder.

Liegt das schlechte Hören eigentlich immer am Alter? Meist schon, aber nicht immer. Dieses lästige „Wie bitte?“ oder „Kannst du das mal lauter sagen?“ werden wir in Zukunft noch öfter zu hören bekommen. Die Diskotheken und die dicht abschließenden Ohrhörer der Smartphones arbeiten erfolgreich daran. Ich glaube, die Hörgeräteakustiker müssen sich keine Sorgen um ihre Zukunft machen.

Meine Frau behauptet trotzdem, dass ich nicht gut höre. Aber das muss nicht immer an den Ohren liegen.

Die große bronzene Schnecke mit den lustigen Fühlern an der Ecke zur Weiherstraße ist kaum zu sehen. Sie wird tagsüber von den vielen ausgestellten Pflanzen des Blumenladens überwuchert.

In biege nach rechts in die Weiherstraße ein. Hier kann man beobachten, dass Hochheim eine ausgesprochen lebendige Stadt ist. Ständig verändert sich das Aussehen der Straße. Es herrscht ein reges Kommen und Gehen. Nicht nur bei den Menschen auf dem Bürgersteig, auch bei den Geschäften. Mein Chef sagte früher schon immer, dass das einzig Beständige der Wechsel sei. Hier muss ich ihm Recht geben. Vor ein paar Jahren noch sahen fast alle Schaufenster anders aus. Gut, dass es immer noch Leute gibt, die Träume haben und sich etwas getrauen. Jenseits von schnöden Marktanalysen und ängstlicher Bedarfsermittlung.

Die Drogerie und die Apotheke gab es noch nicht, weil das ganze Haus noch nicht gebaut war. Die jetzt mit Papier zugeklebten Fenster der Schleckerfiliale sehen besonders traurig aus. Wo bleibt ein risikofreudiger Nachmieter?

Die Buchhandlung Eulenspiegel, sie ist zu einer Art Kulturzentrum der Stadt geworden, zog weiter in größere Räume. Alles ist im Wandel, was tummelt, beziehungsweise tummelte sich nicht schon alles auf den paar Metern Weiherstraße: Nagelstudio, Boutique, Lampengeschäft, belgische Schokolade, Hochheimer Zeitung, Pizzeria, Mainzer Volksbank, Bauelemente, Musikschule, Naturkost Jean Wenz, Buch & Design, Augenoptiker, ein Psychologe, die Deutsche Angestellten Krankenkasse, der Fernseh- und Elektroladen, dann noch der bereits genannte Hörgeräteakustiker und - für mich das wichtigste - das Café Brothaus.

Vor der Volksbank bleibt eine Frau stehen, ihr Hund pinkelt an den mageren Baum, sie versucht ihr Smartphone auch noch mit der zweiten Hand zu bedienen, ihre Kontoauszüge machen sich selbständig und fliegen quer über die Straße. Ein Porsche fährt beinahe drüber, der Fahrer bleibt stehen, kurbelt die Scheibe herunter und macht die Dame erst einmal auf ihren Verlust aufmerksam.

Tja, die Smartphones …

Die BenutzerInnen bekommen bestimmt mit der Zeit einen Buckel, weil sie sich nicht die Umgebung, sondern ständig ihre allerneuesten Infos mit nach unten geneigtem Kopf anschauen müssen. Selbst vor den interessantesten Schaufenstern oder beim Überqueren der Straße bleibt mindestens ein Auge auf dem Display. Zwar hab ich auch ein solches Teil dabei. Aber ich bin altmodisch und telefoniere nur damit.

Drüben in der Frankfurter Straße wechseln die Geschäfte nicht ganz so häufig. Dafür wird eine echte Kuriosität geboten. Die Postfiliale zog ein, zog wieder aus und ist nun doch wieder in den gleichen Räumen zu finden.