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Die mitreißende Geschichte von Gottes ursprünglichem, ewig gültigen Plan. Tief im Wort Gottes verborgen finden wir eine einmalige, wundersame Geschichte. Ein Drama, das schon vor Grundlegung der Welt begann, eine epische Erzählung, die mitten aus dem Herzen Gottes kommt und nichts weniger als den Sinn des Lebens und Gottes große Mission auf der Erde offenbart. Ur-Schrei stellt anhand von drei miteinander verwobenen Erzählsträngen die wesentlichen Ziele vor, die Gott mit der Menschheit von der Schöpfung bis zur Offenbarung verfolgt. Wir erhalten ein Gesamtbild dessen, was Gottes eigentliches und tiefstes Herzensanliegen ist. Diese Entdeckung wird für immer unsere Sicht auf unser Leben, die Gemeinde und unseren herrlichen Gott verändern.
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Seitenzahl: 380
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Frank Viola
Ur-Schrei
Gottes Herzensanliegenseit ewigen Zeiten
GloryWorld-Medien
© 2009 Frank Viola
David C. Cook, 4050 Lee Vance View, Colorado Springs, Colorado 80918 U.S.A.
Originaltitel: „From Eternity to Here“
1. E-Book-Auflage 2017
© der deutschen Ausgabe 2010 GloryWorld-Medien, Xanten, Germany, www.gloryworld.de
Alle Rechte vorbehalten
Bibelzitate sind, falls nicht anders gekennzeichnet, der Elberfelder Bibel, Revidierte Fassung von 1985, entnommen.
Weitere Bibelübersetzungen:
[MN]: Die Heilige Schrift, übers. von Hermann Menge, Stuttgart, 1994
[EÜ]: Einheitsübersetzung 1980
[ZÜ]: Zürcher 2007
[NL]: „Neues Leben. Die Bibelübersetzung“, Holzgerlingen, 2002
Das Buch folgt den Regeln der Deutschen Rechtschreibreform. Die Bibelzitate wurden diesen Rechtschreibregeln angepasst.
Übersetzung: rdeLektorat / Satz: Manfred MayerUmschlaggestaltung: Kerstin & Karl Gerd Striepecke, www.vision-c.deFoto: istockphoto
ISBN (pdf): 978-3-95578-145-3
ISBN (Druck): 978-3-936322-45-3
Hier kommt ein Buch, das Sie das uralte Flüstern jenes Gottes vernehmen lässt, der „die Welt so sehr geliebt hat“, ein Flüstern, das inmitten all des Lärms und Wirrwarrs und der Schäbigkeit des Christentums meist kaum zu hören war. Hören Sie hin – vernehmen Sie einen Gott, der die Menschheit so sehr liebt, dass er nicht anders kann, als mitten in das Elend hineinzugehen, das wir aus der Welt gemacht haben, und uns dabei zu helfen, das Ursprüngliche wieder in den Blick zu bekommen.
Shane ClaiborneAutor, Aktivist und Sünder in Wiederherstellung
Frank lässt den Irrgarten kirchlicher Etiketten hinter sich, um an das Herz dessen zu gelangen, was Gemeinde wirklich ist und wie Gott sie sieht. Ausgehend von den biblischen Metaphern für die Gemeinde, die er aus dem ganzen Reichtum der Schrift heraus auslegt, vermittelt Frank uns ein neues Bild der Gemeinde als Braut Christi, Haus Gottes, Leib Christi und Familie Gottes. Ich empfinde in Franks einzigartigem Beitrag Leidenschaft und Romantik, wie sie Gottes Absichten mit seinem Volk tragen – etwas, das vielen „missionalen“ Büchern abgeht, geschrieben von Menschen, die ungesunderweise nur bestimmte Sachziele verfolgen. Frank erinnert uns daran, dass die Gemeinde glamourös ist und dass es Gott um mehr geht, als dass wir seinen Job erledigen.
Andrew Jones, Zellgruppen-Missiologe
Einige Bücher liest man und stellt sie dann ins Regal. Bei Klassikern ist das anders. Ein Buch wird dann zum Klassiker, wenn es neue Generationen anspricht, die noch nicht einmal auf der Welt waren, als es geschrieben wurde. „Ur-Schrei“ ist zweifellos ein Buch für die gegenwärtige Stunde. Aber es wird für künftige Generationen ein Klassiker sein. Dieses Buch fasst die Wahrheit in eine schlichte Sprache, die das Herz und nicht nur den Kopf anspricht.
Dr. Ralph W. Neighbour, Autor von „Unterwegs zum Ziel“
Kunstvoll webt Viola seine eigene Geschichte in das Drama der Erlösungssehnsucht Gottes, wodurch Gottes Liebe sowohl zu einer persönlichen „Sache“ als auch zu einer existentiellen Angelegenheit, die uns alle angeht. Er erzählt die „uralte Geschichte“ für die Menschen von heute wieder neu. Das Buch ist ein großes Werk narrativer Theologie, zu dem jeder Leser leicht Zugang findet.
Alan Hirsch, Missionsstratege und Autor
Von allen TNT-Sprengsätzen, die Frank Viola an einer schläfrigen Kirche des Status quo angebracht hat, hat diese Granate das größte Detonationspotential, um die Kirche dazu zu bringen, dass sie sich des Evangeliums nicht mehr schämt, und um Gottes volle Kraft zum Heil der Menschen freizusetzen.
Leonard Sweet, Autor und Professor für Theologie
Frank hat einen Volltreffer gelandet, indem er uns die wahren Grundlagen glaubensvollen Lebens offenlegt. Von jeher hat Gott uns dazu geschaffen, in Beziehung zu leben und mehr zu sein als zu tun. Er schuf keine Religion, sondern ein Volk, das in seiner übernatürlichen Gegenwart leben soll und nicht in leblosen Dogmen, die trennen. Ich empfehle dieses Buch jedem, der der systematischen Matrix unserer Zeit entfliehen und in der Wirklichkeit des herrlichen Reiches Christi leben möchte.
Robert RicciardelliGründer von Visionary Advancement Strategies
„Ur-Schrei“ nimmt Sie mit auf eine Führung durch die Bibel, indem es drei miteinander verwobene Erzählstränge verfolgt, die sich von der Genesis bis zur Offenbarung durchziehen. Das Buch hilft neuen Bibellesern, das Gesamtbild zu erfassen, und erinnert erfahrene Christen an das, was wirklich zählt.
Brian McLaren, Autor und Aktivist
Dieser poetische Entwurf Frank Violas ist in der Tat ein meisterhaftes Kunstwerk – ganz sicher ein mystischer Klassiker unserer Tage. Mit brennendem Herzen empfehle ich Ihnen „Ur-Schrei“.
Dr. James W. Goll, Autor und prophetischer Lehrer
Dank
Vorwort
Einleitung: Gottes Geschichte enthüllen
TEIL 1: EINE VERGESSENE FRAU: DIE BRAUT CHRISTI
1 Die verborgene Romantik der Bibel
2 Eine Frau im Inneren eines Mannes
3 Die erste Eva, aus der Nähe betrachtet
4 Das Geheimnis der Zeitalter
5 Die zweite Eva, aus der Nähe betrachtet
6 Was Gott frustriert
7 Gefallen und doch geliebt
8 Extravagante Liebe
9 Die Zubereitung der Braut
10 Die Hochzeit aller Hochzeiten
11 Die Ehefrau Gottes
TEIL 2: GOTTES EWIGE SUCHE NACH EINEM HAUS
12 Die Geschichte eines obdachlosen Gottes
13 Gottes Suche in der Zeit von Adam bis Jakob
14 Gottes Suche in der Zeit von Mose bis Salomo
15 Gottes Suche in der Zeit von Jesus bis Johannes
16 Aus der Stadt der Gebundenheit fliehen
17 Aus der Stadt der Religion ausziehen
18 Aus der Wüste der Vergeudung ausziehen
19 Gottes Bauplatz
20 Gott findet sein Zuhause
TEIL 3: EINE NEUE SPEZIES: DER LEIB CHRISTI UND DIE FAMILIE GOTTES
21 Invasion aus einem anderen Universum
22 Die neue Spezies in den Evangelien
23 Die neue Spezies in der Apostelgeschichte
24 Die neue Spezies im Galater- und Römerbrief
25 Die neue Spezies im 1. Korintherbrief
26 Die neue Spezies im Kolosser- und Epheserbrief
27 Wie sieht das heute aus?
Nachwort: Eines Mannes Weg in eine tiefe Ekklesiologie
Literaturverzeichnis
Über den Autor
Für alle Nachfolger Jesu,
die in ihrem tiefsten Inneren wissen,
dass am christlichen Glauben
mehr dran sein muss.
Zu den bahnbrechenden Werken, die in vergangenen Jahren die ewigen Herzensanliegen Gottes herausgearbeitet haben, gehören Watchman Nees „The Glorious Church“, T. Austin-Sparks „The Stewardship of the Mystery“, DeVern Fromkes „Ultimate Intention“, Mary McDonoughs „God’s Plan of Redemption“, Manfred Hallers „Christus – das Geheimnis Gottes“, Gene Edwards’ „Gottes Liebesgeschichte“ und John Kennedys „Secret of His Purpose“. Vieles in diesem Buch verdankt sich den Vorarbeiten, die in Gestalt der erwähnten Titel vorliegen. Es versucht auf diesen Grundlagen aufzubauen und dehnt sie gewissermaßen in den Bereich unserer postmodernen Welt aus. Als einziges verbindet dieses Buch die drei Haupterzählungen, die die Bibel heranzieht, um die ewigen Ziele Gottes in einem Werk zu entfalten.
Darüber hinaus verdanke ich viele der in diesem Buch dargebotenen Einsichten der überragenden Gelehrsamkeit eines C. F. D. Moule, Dietrich Bonhoeffer, Ernest Best, F. F. Bruce, Harold Hoehner, Joel Green, John A. T. Robinson, Stanley Grenz und Markus Barth. Ferner stehe ich in der Schuld der Autoren bzw. Redner Gregory Boyd, Lance Lambert, Mike Bickle, Steve Carpenter und Rick Godwin sowie meiner Freunde Frank Valdez, Jon Zens, Brian McLaren, Tom Wright, Stephen Kaung, Hal Miller und Bill Freeman. Zu danken habe ich auch Mike Biggerstaff, Charles Wilhelm und den Lektoren des Verlages David C. Cook für ihre hilfreichen Anmerkungen zum Manuskript.
Es war im Jahr 1992, dass mein Leben als Christ sich für immer veränderte. Sämtliche Predigten, die ich seit meiner Kindheit gehört hatte, verblassten und verschwanden. Sie wurden durch etwas unvergleichlich Besseres völlig in den Schatten gestellt. Durch die Gnade Gottes erhaschte ich einen wunderbaren Einblick in das, was Paulus „den ewigen Vorsatz“ nennt (Eph 3,11).
Zum ersten Mal in meinem Leben als Christ entdeckte ich, dass ich in etwas Größeres und Herrlicheres eingebunden war, als ich mir jemals hätte träumen lassen. Es ging im christlichen Leben nicht mehr nur darum, Seelen zu gewinnen, den Armen zu helfen, Theologie und Glaubenslehre zu studieren, mit der Bibel zurande zu kommen, durch die Fragen der Endzeit durchzublicken, mehr zu beten, ein treuer Gottesdienstbesucher zu sein, Lobpreis und Anbetung zu pflegen, im geistlichen Kampf zu stehen, mit Geistesgaben umzugehen, Gottes Stimme zu hören, Jesus nachzuahmen und sich in guten Werken zu engagieren. Auch ging es nicht mehr um all die anderen endlosen Aktivitäten, die mir als Mittelpunkt des Willens Gottes beigebracht worden waren.
Ich entdeckte, dass es in all diesen Dingen letztlich um etwas ging, das weit darüber hinausreichte, den Leuten eine himmlische Feuerversicherungspolice zu verkaufen, die letzte große Ernte einzubringen oder die Welt für Jesus zu verändern.
Christsein hatte einen völlig neuen Sinn bekommen, einen Sinn, der mit etwas zu tun hatte, das zum innersten Herzschlag Gottes gehörte. Es ging im Leben als Christ nicht mehr um mich und um das, was ich tun konnte oder tun sollte. Genauso wenig drehte es sich primär um andere. Die Bedürfnisse der Menschen wurden zweitrangig. Eine Seite war umgeblättert worden. Mit einem Mal ging es nur noch um Gott und sein höchstes Ziel. Alles drehte sich nur noch um Gottes zeitloses Sehnen – ein Sehnen, das „aus ihm und durch ihn und zu ihm hin“ ist (Röm 11,36).
Ich betrat eine neue Welt, in der ich mit den Augen Gottes zu sehen anfing und die Dinge aus seinem Blickwinkel und nicht mehr aus meinem eigenen ansah. Ich entdeckte etwas von dem, was es bedeutet, das Unsichtbare zu sehen. Dieser Blick aus der Perspektive Gottes nahm mich so mit, dass alles andere dadurch vom Tisch gewischt wurde. Ich fing an, mit anderen als meinen physischen Augen zu sehen, und entdeckte, dass sich die Wirklichkeit jenseits des Materiellen befindet.
… da wir nicht das Sichtbare anschauen, sondern das Unsichtbare; denn das Sichtbare ist zeitlich, das Unsichtbare aber ewig (2 Kor 4,18).
Hatte ich damit den Stein der Weisen entdeckt? Gewiss nicht. Kenne ich jetzt alle Antworten? Nicht im Entferntesten. Aber es war eine Tür zu einer neuen Reise aufgegangen, auf der ich mich bis zum heutigen Tag befinde.
Vor dieser „Erleuchtung“ hatte ich schon Dutzende von Malen die Bibel gelesen. Ich hatte unzählige Predigten gehört und massenweise Bücher und Kommentare gelesen. Und trotz allem musste ich erkennen, dass mir die Hauptsache total entgangen war. Was den zentralen, alles überlagernden Traum Gottes anging, in dem sich alles andere vereinte, war ich immer vollkommen ahnungslos. Als Folge dieser Erkenntnis musste ich in meinem Leben als Christ nochmals von vorne anfangen. Ich drückte sozusagen die „Löschen“-Taste meines Christseins und sah zu, wie sich all meine religiösen Aktivitäten in nichts auflösten. Dann wählte ich die „Strg-Alt-Entf“-Kombination und fuhr meine geistliche CPU neu hoch.
Was genau war denn nun so revolutionär? Was war es, das mir aufging?
Ich hatte die Leidenschaft entdeckt, die Gott antreibt. Und dieser Leidenschaft entsprang ein göttlicher Vorsatz oder Plan, ein zeitloses Ziel, das mit meinen individualistischen Anstrengungen, ein guter Christ zu sein oder „in den Himmel zu kommen“, herzlich wenig zu tun hatte.
Mit der Zeit ging mir auf, dass dieser zeitlose Plan Gottes sich von der Ewigkeit ins Jetzt und dann wieder vom Jetzt bis in die Ewigkeit erstreckt. Dieser Plan ist so genial, dass ein kurzer Blick darauf genügt, um den menschlichen Geist vor unvergleichlicher Herrlichkeit zu blenden. Wenn wir diesen Plan, dieses Ziel erblicken, hat das die Kraft, uns von allem freizumachen, was nicht zählt: von allen Dingen, die kein Leben in sich haben und den Leib Christi zertrennen und zerteilen.
Gottes alles bestimmendes Ziel vor Augen zu haben, hat die Kraft, uns von jenem ichzentrierten Evangelium freizusetzen, das heute landauf, landab aufgetischt wird. Darüber hinaus entdeckte ich, dass dieser Plan sich wie ein roter Faden durch die gesamte Bibel zieht und alles, was sie lehrt, zu einer einzigen ergreifenden Erzählung miteinander verwebt.
Jener anfängliche Blick auf das von Gott verfolgte, zeitlose Ziel hat sich in mir zu einer sich immer weiter entfaltenden Offenbarung entwickelt, die meinem Leben auf dieser Erde einen neuen Sinn und eine neue Richtung gegeben hat. Um es anders zu sagen: Als ich Gottes Ziel und Plan erkannte, fand ich mein eigenes Lebensziel. Indem ich mit seiner tiefsten Leidenschaft in Berührung kam, entdeckte ich meine eigene Leidenschaft. Bis heute brennt dieses ewige Ziel in meinem Herzen.
Aber jetzt kommt das Tragische. Es gibt nur wenige Christen, die heute über Gottes ewiges Ziel sprechen. Im Chor der zahllosen christlichen Bücher, die Jahr für Jahr die Regale der Buchhandlungen füllen, gibt es nur relativ wenige, denen es darum geht, das zeitlose Ziel unseres Gottes zu enthüllen. Und die wenigen, die das tun, sind nur selten spannend zu lesen. Das gilt auch für die Massen von Missionsbüchern, die in den letzten Jahren geschrieben wurden.
Unter allen Büchern, die ich zu Papier gebracht habe, ist dies dasjenige, in dem ich über die zentrale Bürde meines Lebens und Dienstes spreche. Was ich sonst noch über die radikale Wiederherstellung der Gemeinde geschrieben habe („The Untold Story of the New Testament Church“, „Pagan Christianity?“ und „Reimagining Church“1), hat mit der praktischen Umsetzung jener zeitlosen Einsichten zu tun, die auf den vorliegenden Seiten zu finden sind. Folglich kann man dieses Buch zu Recht als „Flaggschiff“ meiner Veröffentlichungen und als Fundament für alle meine schon erschienenen Schriften betrachten.
Während ich dies schreibe, gerät der Boden in Bewegung, auf dem die Glaubensfamilie der Christen steht. Zusehends verändert sich die geistliche Landschaft. Was die gemeindliche Praxis angeht, braut sich eine Revolution zusammen. Gottes Volk denkt ganz neu über Gestalt und Auftrag der ekklesia nach. Ich glaube, diese Revolution ist von Gott, aber ich fürchte, es mangelt ihr an Tiefgang, Fokus und letztlich Dauerhaftigkeit, sofern sie nicht von einem Blick auf Gottes zeitloses Ziel angefacht wird.
Um es auf den Punkt zu bringen: Dieses Buch befasst sich ganz neu mit der Mission Gottes, und zwar auf vierfache Weise:
1. Es definiert Gottes Mission von Gottes ewiger Zielsetzung her. Dabei dreht sich alles um die Leidenschaft Gottes, und nicht um die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Mithin ist Gottes Mission nicht menschen-, sondern gottzentriert.
2. Es betont nicht die Pflichten des einzelnen Jüngers, sondern legt den Akzent darauf, dass die Mission Gottes mit der Gemeinde steht und fällt, der Gemeinschaft der Gläubigen. Mithin ist Gottes Mission korporativ, nicht individualistisch.
3. Es verdeutlicht, dass der Antrieb einer „missionalen“ Existenz nicht in frommen Pflichten, Schuld- und Verdammungsgefühlen oder Ehrgeiz besteht, ebenso wenig wie er aus dem menschlichen Willen und dem Wunsch erwächst, Gutes zu tun und Gott zu gefallen. Viel zu oft lautet die Botschaft, die Bücher und Predigten uns vermitteln: „Du tust nicht genug für Gott. Gott ist mit dir und deinem Dienst nicht zufrieden. Es gibt so viel Arbeit zu tun. Also streng dich mehr an und tu mehr!“ Ich halte solche Empfindungen für grob irreführend; sie widerspiegeln weit mehr menschliches als göttliches Denken. In diesem Buch finden Sie eine brandneue Sicht sowohl des Motivs als auch der Quelle unseres geistlichen Dienstes.
4. Im heutigen „missionalen“ Denken herrscht weithin die Sichtweise D. L. Moodys vor, die Gemeinde sei ein freiwilliger Zusammenschluss der Erretteten. Wie die folgenden Seiten zeigen werden, ist die Gemeinde etwas, das weit über alles hinausreicht, was den meisten von uns je in den Sinn gekommen ist.
Dieses Buch besteht aus drei Teilen, von denen jeder eigentlich ein Buch für sich ist. Und doch passen sie zusammen wie die Stücke eines Puzzles. Keiner von ihnen ist ohne die anderen vollständig.
Daraus ergibt sich, dass viele der Themen, die ich im ersten Teil einführe, in Teil 2 und 3 weiter ausgeführt und auch ausbalanciert werden. Ferner werden einige der Fragen, die ich am Anfang des Buches aufwerfe, am Ende beantwortet. Deshalb sollte man das ganze Buch durchlesen, um die gesamte Botschaft sauber zu erfassen.
Weiter ist jeder Teil in einem eigenen Stil abgefasst und richtet sich an eine jeweils eigene Zielgruppe. So werden diejenigen, die eher von der rechten Hirnhälfte gesteuert sind, die ersten beiden Teile bevorzugen. Menschen, die mehr von der linken Hirnhälfte herkommen, finden sich eher von Teil 3 angesprochen.
In den ersten beiden Teilen bediene ich mich einer „christozentrischen Schriftauslegung“, also jener Auslegungsmethodik, mit der die Schreiber des Neuen Testaments das Alte ausschöpften und die auch heutige kanonkritische Forscher benutzen. Sollten Sie damit nicht vertraut sein, empfehle ich Ihnen die Lektüre meines Artikels: „Beyond Bible Study: Finding Jesus Christ in Scripture“.2
Möge der Herr allen, die sich auf diese Seiten einlassen, einen Geist der Weisheit und der Offenbarung jener ultimativen Zielsetzung schenken, die unseren Gott antreibt. Und möge er sie mit seiner Herrlichkeit blenden.
Frank Viola
Gainesville, Florida
April 2008
1 Siehe Seite 297 für die deutschen Ausgaben der genannten Werke.
2 Dieser Artikel kann kostenlos von der Seite www.ptmin.org/beyond.pdf heruntergeladen werden.
Daran könnt ihr, wenn ihr es lest, meine Vertrautheit mit dem Geheimnis Christi erkennen, das in früheren Zeitaltern den Menschenkindern nicht kundgetan worden ist, wie es jetzt seinen heiligen Aposteln und Propheten offenbart worden ist (Eph 3,4-5 MN).
Was ich auf den folgenden Seiten mitteilen werde, sind drei Erzählungen, die miteinander verwoben die große Geschichte des zeitlosen Ziels oder Vorsatzes Gottes zu Gehör bringen. Alle drei Erzählungen sind durch und durch biblisch; ja, sie verkörpern die ganze biblische Geschichte und durchziehen die Schrift wie ein gleichmäßiger Strom.
Die erste ist die Geschichte eines Gottes, der ein ewig junger Romantiker ist, getrieben von einem alles verzehrenden Verlangen. Die zweite handelt von einem Gott, der von Ewigkeit her auf der Suche nach einem Ruheort, einer Wohnung, einem Zuhause war. Und die dritte offenbart einen Gott aus einer anderen Wirklichkeit, der den Planeten Erde besucht, um hier eine himmlische Kolonie zu gründen, die sein Dasein sichtbar zum Ausdruck bringt.
In der biblischen Ökonomie ergibt 1+1+1 nicht 3, sondern 1. Die Geschichte des ewig gültigen Vorsatzes Gottes ist ein einziges grandioses Drama.
Miteinander verwoben, verkörpern diese drei Erzählungen die „Geschichte Gottes“, das mitreißende Drama des zeitlosen Planes Gottes für die Erde, die große erzählende Auslegung, die uns hilft, die Bibel, das christliche Leben und unsere Welt besser zu verstehen.
Bei den meisten von uns geht das Leben ohne viel Stillstand, aber auch ohne große Veränderungen seinen Gang. Dieses Buch ist geschrieben, damit Sie mal auf die Bremse treten. Es möchte Ihnen ein Navigator durch die Auseinandersetzung mit einer schrecklich wichtigen Frage sein: Was ist mein Lebensziel und meine Leidenschaft? Und wie passt das mit Gottes Zielen und seiner Leidenschaft zusammen?
Aus dem Epheserbrief wissen wir, dass der dreieinige Gott hauptsächlich mit folgenden Dingen beschäftigt ist:
einem Haus und einer Familie für Gott den Vater (vgl. 2,19-22);
einer Braut und einem Leib für Gott den Sohn (vgl. 5,25-32; 1,22-23; 2,15-16; 3,6).
Der Heilige Geist geht vom Vater aus (vgl. Joh 15,26) und ist damit das Leben Gottes selbst (vgl. Röm 8,2.9). Genauer gesagt ist der Geist das Band der Liebe, die wie flüssige Leidenschaft innerhalb der Gemeinschaft des dreieinigen Gottes fließt (vgl. Röm 5,5; 15,30; 2 Kor 13,14). Folglich teilt der Geist Haus, Familie, Braut und Leib mit Vater und Sohn.
Der erste Teil dieses Buches widmet sich der Vorstellung der Braut. Im zweiten Teil geht es um das Haus, im dritten um den Leib und die Familie. Interessanterweise sind alle diese Bilder verschiedene Aspekte ein und derselben Realität. Zusammengenommen verkörpern sie Gottes grandiose Mission auf der Erde.
Diese Abfolge ist biblisch begründet. Sie ist das Herzstück der biblischen Geschichte, die Metaerzählung (die übergeordnete Geschichte) der Heiligen Schrift. Durch den Geist verschafft der Vater seinem Sohn eine Braut. Dann baut er ein Haus, in dem er, der Sohn und die Braut im Geist zusammenwohnen. Vater, Sohn und Braut leben als Großfamilie in diesem Haus und haben Nachkommenschaft durch den Geist. Diese Nachkommenschaft bildet eine Familie, eine neue Menschheit namens „Leib Christi“.
Wenn Sie nicht gerade ein neuer Christ sind, sind Ihnen Begriffe wie „Braut Christi“, „Leib Christi“, „Haus Gottes“ und „Familie Gottes“ nur allzu vertraut. Vielleicht finden Sie sie sogar abgedroschen und ermüdend. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass unsere ermüdende Vertrautheit mit diesen Wörtern ihre Schärfe abgeschliffen und ihre Wirkungskraft zunichtegemacht hat.
Man hat die Christenheit beständig mit biblischer Terminologie angefüttert. Wir sprechen Bibeldeutsch flüssig; es ist unsere Stammessprache. Dabei haben wir jedoch Wirklichkeit und Macht, die hinter unseren Begriffen stehen, weitgehend eingebüßt.
Deshalb hoffe ich, dass Ihnen beim Lesen dieses Buches neues Leben in jene altvertrauten Begriffe eingehaucht wird, und ich bete, dass der Heilige Geist Sie mit Ihrer ursprünglichen, ehrfurchtgebietenden Schönheit erfüllt, damit Ihnen auf dramatische, wenn nicht überwältigende Weise neu die Augen aufgehen für den zeitlosen Plan, der Ihr Gott verfolgt. Denn dieser Vorsatz ist der eigentliche Grund Ihrer Existenz.
… nach dem ewigen Vorsatz, den er verwirklicht hat in Christus Jesus, unserem Herrn (Eph 3,11).
Das war sein unabänderlicher Plan, und nun wurde er durch Christus Jesus, unseren Herrn, erfüllt (Eph 3,11 NL).
TEIL 1: EINE VERGESSENE FRAU: DIE BRAUT CHRISTI
Weder Revolution noch Reformation können eine Gesellschaft letztendlich verändern; vielmehr muss man eine neue, mächtige Geschichte erzählen. Diese Geschichte muss so überzeugen, dass sie die alten Mythen vom Tisch wischt und zur Lieblingsgeschichte wird; sie muss so umfassend sein, dass sie alle Bruchstücke unserer Vergangenheit und Gegenwart zu einem verständlichen Ganzen zusammenfügt; ja sie muss sogar die Zukunft ein Stück weit erhellen, damit wir den nächsten Schritt tun können … Willst du eine Gesellschaft verändern, so musst du eine alternative Geschichte erzählen.
Ivan Illich, österreichischer Philosoph
Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr wisst …
Epheser 1,18
Schon ehe alles begann, war sie da – die eleganteste Frau des Universums und ebenso alt wie Gott. Sie existierte schon vor den Engeln. Ihre Ursprünge reichen weiter zurück als die Urzeiten. Sie ist ewig jung.
Das Wort „atemberaubend“ reicht nicht aus, um sie angemessen zu beschreiben. Sie ist genauso schön wie das Angesicht Gottes. Sie ist unfassbar, hypnotisierend und unwiderstehlich. Die meisten von uns können sich die Herrlichkeit, mit der sie strahlt, in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen. Ein einziger Blick auf ihre unvergleichliche Schönheit könnte Ihr Herz erobern und Ihr ganzes Sein vereinnahmen. Sie ist unwiderstehlich attraktiv.
Diese Frau ist das Maß aller Freiheit, ja, sie verkörpert sie. Und sie wurde für die Liebe geschaffen.
Sie ist das Herzstück von Gottes ewigem Plan. Sie ist seine größte Leidenschaft, ja seine heilige Obsession. Sie ist der eigentliche Grund für die Schöpfung, in der Sie und ich leben. Und Ihr Herr ist außer sich vor Liebe zu ihr.
Und doch wurde sie trotz ihrer Schönheit vollkommen vernachlässigt, ja vergessen. Mit wenigen Ausnahmen blieb sie den meisten von uns verborgen. Aus diesem Grund schreibe ich den ersten Teil dieses Buches: um sie ins Rampenlicht zu rücken.
Von Anfang an hatte Gott ein Geheimnis. Vor aller Zeit hat der Allmächtige seinen hohen, heiligen Vorsatz in ein Mysterium eingeschlossen, das er in seinem Sohn verbarg. Sehr lange Zeit wusste kein Mensch, worin dieser Vorsatz bestand. Er war tief in Gott verborgen. Es war ein Geheimnis, das Geheimnis der Zeitalter (vgl. Röm 16,25; Kol 1,26; Eph 3,4-5.9).
Adam wandelte mit Gott, aber er kannte das Geheimnis nicht. Abraham war Gottes Freund, aber er kannte das Geheimnis nicht. Mose war Gottes Prophet, aber er kannte das Geheimnis nicht – ebenso wenig wie David, Jesaja oder Jeremia.
Nicht nur den Sterblichen war das Geheimnis verborgen, sondern auch den Engeln. Gabriel und Michael kannten es nicht, ebenso wenig Luzifer oder seine dämonischen Horden (vgl. 1 Kor 2,7-8; Eph 3,9-10).
Wieso hielt Gott seinen Vorsatz so lange geheim? Vermutlich, weil er nicht wollte, dass sein Vorsatz vor der Zeit durchkreuzt würde. Gottes Vorsatz verkörpert seinen Traum, seine Leidenschaft, seinen ureigenen Herzschlag. Also ließ er ihn verschleiert, bis die Zeit erfüllt war.
Zuerst wurde das heilige Geheimnis von Schreibern des Alten Testaments in Form von Geschichten, Urbildern, Metaphern und Symboliken kundgetan. Aber auch wenn Könige, Propheten und Weise es kundtaten, verstanden sie es dennoch nicht.
Und dann, eines Tages, geschah es. Gott zog den Vorhang zur Seite und offenbarte das Geheimnis. Er erwählte einen Mann namens Paulus von Tarsus, um es der Welt zu enthüllen (vgl. Kol 1,25-29; Eph 3,1-11). Mit großem Eifer spricht der Apostel in seinen Briefen, besonders im Epheser- und Kolosserbrief, von diesem Geheimnis. Er geht buchstäblich bis an die Grenzen menschlicher Sprachfähigkeit, um seine unvergleichlichen Tiefen und unausdenklichen Höhen darzustellen. Gemeinsam mit anderen Aposteln und Propheten des 1. Jahrhunderts war Paulus „Verwalter der Geheimnisse Gottes“ (vgl. 1 Kor 4,1; Kol 1,25-26; Eph 3,2-9).
An dem Tag, an dem Gott den Vorhang hob und das Geheimnis preisgab, erstarrte sein Feind vor Schrecken. Satan hatte nicht vorhergesehen, weder geträumt noch gedacht, dass so etwas möglich sein könnte. Obwohl Gott sein Geheimnis im 1. Jahrhundert offenbarte, ist es für viele Christen noch heute ein Buch mit sieben Siegeln. In jeder Generation muss der Heilige Geist dem Volk Gottes die Augen öffnen, damit das Geheimnis begriffen wird. So erfährt Paulus’ bedeutendes Gebet aus Epheser 1,17-23 nach wie vor Erhörung.
Das göttliche Geheimnis hängt ganz und gar mit der Frau zusammen, von der ich weiter oben sprach. Diese erstaunliche Dame füllt die Seiten der Heiligen Schrift. Sie taucht schon in den allerersten Anfängen der Bibel auf, sie ist überall in ihrem Mittelteil zu finden, und wir finden sie am Schluss. Die Schriften gewähren uns einen erhabenen Blick auf diese Frau, die an der Seite ihres makellosen Gemahls steht. Jedes Buch der Bibel verströmt ihren Duft.
Den Auftakt der biblischen Geschichte bilden in 1. Mose 1 und 2 eine Frau und ein Mann. Am Abschluss der biblischen Geschichte in Offenbarung 21 und 22 stehen ebenfalls eine Frau und ein Mann. Die Bibel beginnt mit einer Vermählung und endet mit einer Vermählung. Sie beginnt mit einer Ehe und endet mit einer Ehe. Sie beginnt mit einem Jungen und einem Mädchen und endet mit einem Jungen und einem Mädchen.
Im Kern ist Ihre Bibel eine Liebesgeschichte.
Ja, sie ist die größte Liebesgeschichte aller Zeiten. Sie ist das klassische romantische Märchen. Diejenigen, die mich gut kennen, könnten Ihnen erzählen, dass ich ein Riesenfan von Liebesgeschichten bin. Liebesfilme sind meine Lieblingsstreifen. Diese Filme können starke Gefühle hervorrufen, ja ihre Betrachter zu Tränen rühren. Und doch verblasst die tollste Liebesgeschichte, die sich je ein Mensch ausgedacht hat, im Vergleich zu der epischen Romanze, die sich durch Ihre Bibel zieht.
Bitte achten Sie besonders auf den folgenden Satz: Jede von den Hirnen sterblicher Männer und Frauen konstruierte Liebesgeschichte, jede Romanze, die es in der Geschichte der Menschheit je gegeben hat – ob nun wahr oder erfunden –, ist nichts weiter als ein Widerschein, ein blasses Abbild, eine vage Nacherzählung, ein verzerrtes Spiegelbild von Gottes ewiger Liebesgeschichte.
Gott ist der Verfasser der unglaublichsten Liebesgeschichte, die jemals geschrieben wurde, einer Geschichte, die das Maß aller romantischen Literatur ist, die nach ihr zu Papier gebracht wurde. Jedes große Epos folgt der Grundlinie, die die in der Heiligen Schrift verborgene Geschichte gezogen hat. Aber keines kann sie überbieten.
Sie und ich wurden in ebendiese Romanze, die Romanze aller Zeitalter, hineingeboren.
Die himmlische Romanze, die ich meine, beginnt in 1. Mose 2. Richten wir unser Augenmerk nunmehr auf den siebten Schöpfungstag und beobachten wir den Auftakt des Dramas.
Und Gott vollendete am siebten Tag sein Werk, das er gemacht hatte, und er ruhte am siebten Tag von all seinem Werk, das er gemacht hatte … Und Gott, der HERR, sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht. Und Gott, der HERR, bildete aus dem Erdboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels, und er brachte sie zu dem Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde; und genau so wie der Mensch sie, die lebenden Wesen, nennen würde, so sollte ihr Name sein. Und der Mensch gab Namen allem Vieh und den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber für Adam fand er keine Hilfe, ihm entsprechend. Da ließ Gott, der HERR, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, sodass er einschlief. Und er nahm eine von seinen Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch; und Gott, der HERR, baute die Rippe, die er von dem Menschen genommen hatte, zu einer Frau, und er brachte sie zum Menschen. Da sagte der Mensch: Diese endlich ist Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch; diese soll Männin heißen, denn vom Mann ist sie genommen. Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und sie werden zu einem Fleisch werden.
1. Mose 2,2.18-24
Die Schöpfung ist fertig, aber Gott nicht. Jedenfalls noch nicht.
Die Erde wimmelt von Leben: pflanzliches Leben, Vogelleben, Fischleben, Tierleben. Aber Adam, Gottes erster Mensch, ist allein. Vollkommen allein.
Der Sabbat geht zu Ende; jetzt ist es Sonntag, der erste Tag der Woche, der achte Tag der Schöpfung. An diesem Tag stellt Gott Adam eine beängstigende Aufgabe: Er soll allen Vögeln und Landtieren Namen verleihen. Adam fängt also an, die Tiere zu benennen. Als eine Kreatur nach der anderen an ihm vorbeigeht, kommt er nicht umhin zu bemerken, dass jede von ihnen einen Gefährten hat. Jedes Tier hat ein zweites an seiner Seite, das ihm gleicht und doch anders ist. Jede Lebensform hat einen Gegenpol.
Der Hirsch hat seine Ricke, der Löwe seine Löwin. Adam beobachtet, wie die Tigerin an der Seite des Tigers geht, ebenso wie Leopardin und Leopard. Jedes Tier spaziert mit seinem Gefährten an einem einsamen Menschen vorbei, der kein solches Gegenstück hat.
Die Folge? Schmerzhafte Pein macht sich in Adams Seele breit. Mehr denn je geht ihm auf, dass er allein ist, sehr allein. Es gibt niemanden wie ihn.
Von allen Kreaturen, die an jenem Tag an Adam vorbeizogen, hatte keine eine Hand wie seine eigene, die er hätte halten können. Während ein Tier nach dem anderen an ihm vorüberging, hoffte, ja wartete Adam auf eines, das wie er war. Aber ein solches Tier tauchte einfach nicht auf. Der achte Tag näherte sich seinem Ende.
Alle Kreaturen, die Gott gebildet hatte, waren an Adam vorübergezogen, und seine Einsamkeit war nur umso größer geworden. Schmerzlich wurde ihm bewusst, dass er die einzige Kreatur unter Gottes Himmel war, die keinen Gefährten hatte. Von seiner Art war er der einzige im ganzen Universum. Und denken Sie daran: Die Schöpfung war abgeschlossen.
Waren Sie jemals einsam? Haben Sie je die Qual durchlebt, allein zu sein? Fühlen Sie sich mal für einen Moment da hinein und stellen Sie sich die unvergleichliche Einsamkeit vor, die Adam auf dem Planeten Erde gefühlt haben muss, nachdem er erschaffen worden war. Auf dem gesamten Globus gab es außer ihm kein einziges menschliches Wesen.
Aber Adam war nicht nur das einzige Geschöpf ohne Gegenüber, sondern hatte noch etwas anderes an sich, was er mit keiner anderen Kreatur teilte. Etwas tief in ihm verlangte verzweifelt nach Befreiung und Erlösung. Etwas, das in seiner Brust pochte, sehnte sich danach, freigelassen zu werden. Wissen Sie, was dieses Etwas war?
Es war Leidenschaft.
Gott hatte eine intensive Leidenschaft in Adams pochende Brust gelegt, die ihn ganz in Beschlag nahm. Oder eine überwältigende Liebe, falls Ihnen das besser gefällt. Aber Adam war allein. Wo also sollte er mit jener Leidenschaft hin? Es war ihm nicht möglich, seine Leidenschaft über eine Lebensform zu ergießen, die von seiner eigenen abwich. Er ersehnte einen menschlichen Gefährten, eine Ergänzung, ein Geschöpf wie er selbst, dem er seine Leidenschaft widmen könnte. Tragischerweise existierte im ganzen Universum kein solches Wesen, sodass die Leidenschaft, die in den Tiefen von Adams Brust gefangen war, keinen Auslass fand. Es gab für sie keinen Weg.
Deshalb war Adam zutiefst frustriert. Er war ein von Leidenschaft verzehrter Mann. Doch gab es niemanden, den er mit seiner Leidenschaft hätte überhäufen können. Gott erkannte Adams tiefes Dilemma. Und er spürte es auch. Denn auf unergründliche Weise konnte sich der Allmächtige mit Adams Verlegenheit identifizieren. Woher wir das wissen? Adam war im Bild der Gottheit geschaffen worden. Mithin war es kein Versehen Gottes, dass Adam allein war. Diese seine Einsamkeit war übersät mit den Fingerabdrücken des Göttlichen.
Angesichts der Einsamkeit und Frustration Adams sprach Gottes Donnerstimme den Satz: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“
Damit sagte Gott im Grunde: „Adam, es tut dir nicht gut, allein zu sein. Ich will dir jemand zur Seite geben, den du mit der Leidenschaft beschenken kannst, die ich dir ins Herz gelegt habe. Ich gebe dir ein Gegenüber. Ich gebe dir jemanden, der zu dir passt. Du wirst eine Frau Adam haben, eine, die wie du sein wird, aber nicht mit dir identisch.“
Noch einmal: die Schöpfung ist abgeschlossen. Der siebte Tag ist vorüber. Wir nähern uns schon dem Ende des achten Tages, des ersten Tages der Woche.
Es ist Abend. Da tut Gott etwas Außergewöhnliches: Er lässt seinen Menschen in einen tiefen, todesähnlichen Schlaf fallen. Vielleicht war das das erste Mal, dass der noch nicht gefallene Mensch überhaupt schlief. Falls es so war, wäre ein tiefer Schlaf keine geringfügige Erfahrung für Adam gewesen.
Und nun verrate ich Ihnen ein Geheimnis: Im Inneren Adams war eine Frau verborgen.
Bitte stellen Sie sich Adam vor, wie er wie hypnotisiert, fast wie tot, auf dem Boden liegt und schläft. Beobachten Sie seinen reglosen Leib, wie der Allmächtige sich zu ihm hinabbeugt und seine Seite öffnet. Die Engel im Himmel schirmen ihre Augen ab vor dem, was jetzt geschehen soll. Aus dem innersten Wesen Adams bringt Gott der Herr ein weiteres Wesen zum Vorschein. Er entnimmt Adam einen Teil Adams und formt daraus einen weiteren Adam. Gott entnimmt dem ersten Menschen einen zweiten, er baut einen zweiten Menschen aus einem Teil des ersten. Und dieser zweite Mensch trägt in seinem klopfenden Herzen all das, was auch Teil des ersten Menschen ist, einschließlich seiner Leidenschaft.
Sein allerherrlichstes Werk vollbrachte Gott, während Adam schlief. Diese Episode enthält eine wichtige Erkenntnis: Wenn der Mensch ruht, ist Gott an der Arbeit.
Also formte Gott aus der Seite Adams eine Frau (vgl. 1 Mo 2,22). Diese Frau ist kein Teil der ursprünglichen Schöpfung. Sie erscheint erst nach der Schöpfung, am achten Tag. Mithin ist diese Frau eine neue Schöpfung.1
Adams drastischer operativer Eingriff ist vorüber, und er erwacht aus Gottes Narkose. Nachdem er sich den Schlaf aus den Augen gewischt hat, sieht er sich um. Was er erblickt, lässt sich nicht in Worte fassen. Ihm direkt vor Augen steht ein lebendes, atmendes, pulsierendes Wesen. Ein anderer Mensch. Aber nicht nur ein anderer Mensch – sie ist Adam in anderer Form.
Sofort fällt ihm auf, dass sie eine Hand hat wie die seine, eine Hand zum Festhalten. Sie hat Lippen genau wie seine, nur voller und einladender. In dieser Sekunde erkennt Adam, dass er nicht mehr allein ist. Er hat ein Gegenüber, das zu ihm passt. Er hat eine Gefährtin. Augenblicklich sind die zwei hypnotisch voneinander angezogen. Adam verliebt sich bis über die Ohren in sie und sie in ihn.
Dem hebräischen Text zufolge sprach Adam, als er dieses neue Geschöpf sah, folgende Worte: „Endlich … Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch!“ (1 Mo 2,23). „Endlich bin ich nicht mehr allein!“ „Endlich hat die Leidenschaft meines Herzens einen Auslass!“ „Endlich hat die Liebe, die in meiner Brust pulsiert, ein Zuhause!“
„Endlich …“
Adam hatte mutterseelenallein auf dieser Erde gestanden. Er war das einsamste Wesen auf dem Planeten gewesen. Einsam und allein. Doch jetzt, am ersten Tag nach der Schöpfung, stand er jemandem gegenüber, der so war wie er. Sie war Adam in anderer Form. Und schlagartig erkannte Adam, dass seine Einsamkeit vorüber war. Seine Leidenschaft hatte jetzt jemanden, dem sie gelten konnte. Endlich konnte sie aus ihm ausbrechen.
Adam liebte seine neue Braut. Und weil er sie leidenschaftlich liebte, erwachte auch in ihrer Brust eine Leidenschaft für ihn. Deshalb ergoss die erste Frau mit einer noch ungefallenen, reinen Leidenschaft, die in ihrer Brust pochte, ihre Liebe über den ersten Mann.
Jetzt würde ich gern eine Frage in den Raum stellen: Woher nahm die Frau die Fähigkeit zur leidenschaftlichen Liebe? Antwort: von Adam, denn sie kam aus ihm. Musste die Frau sich zwingen, Adam zu lieben? Nicht im Geringsten. Ihre Leidenschaft war schlicht die natürliche Reaktion auf die Leidenschaft, die Adam für sie empfand. Ja, es war seine eigene Leidenschaft, die auf ihn zurückfiel. Im Brustkorb und in den Adern der ersten Frau pulsierte die Leidenschaft ihres Mannes. Denn sie war aus Adam höchstselbst gemacht.
So hatte also Gottes erster Mensch endlich einen Gefährten bekommen. Mit Sicherheit war es wahre Liebe auf den ersten Blick. Auf der Stelle wurde die Frau seine Braut. Aber es kam ein Höhepunkt, an dem sie mehr sein würde als eine Braut. Sie würde seine Frau werden, denn die zwei würden sich vereinen. Damit würde sich die zurückgehaltene Leidenschaft, die Adams Brust durchflutete, voll und ganz erfüllen.
1 Eva erscheint nicht vor 1. Mose 2 auf der Bildfläche – nach Beendigung der Schöpfung. 1. Mose 1,27 und 5,2 implizieren, die Frau sei zu der Zeit im Inneren des Mannes gemacht worden, als dieser erschaffen wurde. Später habe Gott dann „Adam aufgespalten“ und die Frau dem Mann entnommen. Davor aber bildeten beide zusammen Adam.
Als Mann und Frau schuf er sie, und er segnete sie und gab ihnen den Namen Mensch [Adam], an dem Tag, als sie geschaffen wurden.
1. Mose 5,2
Betrachten wir die erste Frau, Adams Braut. Sie ist über alle Vorstellungskraft herrlich, atemberaubender, als die meisten von uns es sich ausmalen könnten. Sie trägt Züge, die wir gewohnheitsmäßig übersehen, wenn wir die ersten Seiten der Bibel lesen. Sehen wir uns deshalb jetzt ein paar davon näher an:
• Sie war Adam in anderer Form, denn sie wurde aus ihm genommen (vgl. 1 Mo 2,23).
• Sie nahm Adams Namen an. Gemäß 1. Mose 5,2 nannte Gott Mann und Frau „Adam“. Nach dem Sündenfall gab Adam seiner Braut den Namen „Eva“. Vor dem Fall aber nahm sie den Namen ihres Mannes an.
• Sie war Gottes Meisterstück. Adams Gegenstück war schöner als Adam selbst. Interessanterweise schafft ein Künstler sein Meisterstück immer als Letztes. Diese Frau war Gottes Meisterstück, sein opus magnum, wenn Sie so wollen. Sie war der krönende Abschluss der gesamten Schöpfung Gottes.
• Sie gab sich Adam vollkommen hin, genau wie Adam sich ihr völlig hingab. Denken Sie darüber nach! Es gab gar keine andere Frau, sodass Adam sich unter mehreren eine hätte aussuchen können. Er hatte keine anderen Optionen. Sie war alles, was er hatte. Folglich hatte Adam keinen Blick für irgendeine andere Frau. Niemals schweiften seine Blicke von ihr weg, denn es gab keine andere Frau, die ihn hätte ablenken können. Genauso hatte Eva Augen nur für Adam. Es gab keinen anderen Mann, den sie hätte lieben können. Die völlige Hingabe, die einer dem anderen entgegenbrachte, war unerschütterlich.
• Sie war ungeschaffen. Sie wurde aus Adams eigenem Körper geformt. Sie war Fleisch von seinem Fleisch und Gebein von seinem Gebein. Ihre DNA stimmte mit der Adams überein. Sie war aus ihm, auf ihn ausgerichtet und für ihn. Sie besaß die Gene ihres Mannes.
• Sie war makellos. Adam wurde vor dem Sündenfall geschaffen. Er trat ins Leben, noch ehe überhaupt von Sünde die Rede war. Mithin war er vollkommen. Er war unschuldig und sündlos. Er trug an nichts die Schuld, brauchte sich keiner Sache zu schämen. Er war unberührt von irgendwelchen Minderwertigkeitskomplexen. Was war mit seiner kostbaren Braut? Wenn Gott Eva aus Adams Seite entnommen hatte, war sie dann nicht ebenfalls vollkommen? War sie nicht makellos? Oder betrat sie diese Erde voller Kopfzerbrechen über ihre Schuld und mit einer Seele, die vor Verdammungsgefühlen zitterte? Absolut nicht. Sie war genauso vollkommen wie ihr Mann. Sie hatte keinen Makel. Es gibt keine Worte, um zu beschreiben, wie schön Eva gewesen sein muss. Sie war atemberaubend, reiner als rein und schöner als die Schönheit selbst. Wie Adam war sie in Licht gekleidet und mit Herrlichkeit gekrönt (vgl. Ps 8,5). Sie war die vollkommene Frau.
• Sie war Adams Körper. Sie war aus seiner Seite genommen, Teil seiner eigenen Anatomie. Mithin besaß sie dasselbe Leben wie Adam. Sie war untrennbar von ihm und doch anders als er.
• Adam war Evas Lebensquelle, die Basis ihrer Existenz. Eva konnte nur existieren, weil ein Teil Adams in ihr war. Ohne Adam hatte sie keine Existenz.
• Sie war ganz und gar für Adam gemacht. Gott hatte Adam mit einem Verlangen erschaffen, seine Leidenschaft auszuleben. Adam sehnte sich danach, zu lieben und geliebt zu werden. Eva war die Antwort auf dieses Verlangen.
• Sie war immer in ihm. Sie war schon in Adam präexistent, ehe sie auf der Erde erschien. Adam durchstreifte diese Erde mitsamt einem Mädchen, das in ihm verborgen war. Sein Körper war der Schoß, aus dem sie eines Tages hervorgehen sollte.
• Sie war die Steigerung Adams. Als sie aus seiner Seite hervorging, wurde Adam gesteigert. Als sie gebildet wurde, wurde Adams Leben größer. Als sie entstand, multiplizierte sich Adam. Schließlich würde sie Adams Kinder austragen und die Erde mit seinem Ebenbild erfüllen.
• Sie lebte in wechselseitiger Abhängigkeit mit Adam. Gott entnahm sie Adams pleura, seiner Seite. Gott „spaltete den Menschen (Adam) auf“ und entnahm ihm den sanfteren, zarteren Teil – er machte also die Frau zu seiner „besseren Hälfte“. Gemeinsam verkörperten sie das vollkommene Ebenbild Gottes.
• Sie war Adams Herrlichkeit. In 1. Korinther 11,7 sagt Paulus, die Frau sei „des Mannes Abglanz“ (oder „Herrlichkeit“). Das bedeutet, Eva spiegelte Adam wider. Die Frau war das „Herrlichkeitsbild“ des Mannes. Sah man sie, sah man ihn.
• Eva bedeutet „Mutter alles Lebenden“ (vgl. 1 Mo 3,20). Sie war die Mutter allen menschlichen Lebens.
Das ist sie also, die uralte romantische Geschichte. Der erste Mann und seine herrliche Braut. Und die überwältigende Leidenschaft für den anderen, die in beider Herzen war.
Aber es gibt einen Spannungspunkt in dieser Geschichte, den ich noch nicht erwähnt habe. Ich habe Ihnen gar nicht die Geschichte von Adam und Eva erzählt, sondern eine noch viel größere Geschichte …
„Deswegen wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und die zwei werden ein Fleisch sein.“ Dieses Geheimnis ist groß, ich aber deute es auf Christus und die Gemeinde.
Epheser 5,31-32
Neben romantischen Filmen liebe ich auch das gute alte Spannungskino. Am liebsten habe ich Streifen, die die Spannung so aufbauen, dass mir ganz schwindlig ist, wenn sich zum Schluss das Geheimnis endlich auflöst – dann, wenn endlich alles klar wird. Ich genieße es, mich von der Cleverness eines Regisseurs verblüffen zu lassen, der die verborgenen Spannungspunkte zu kaschieren weiß, bis sich das Geheimnis in der Schlussszene auflöst.
Unter der Fülle klassischer Mysterien, die die Vorstellungskraft fantasiereicher Menschen erschaffen hat, ist das größte Geheimnis dasjenige, dessen Drehbuch von Gott selbst stammt. Der Allmächtige hat sich nicht nur Romantik pur einfallen lassen, sondern auch das größte Mysterium in der Geschichte des Universums, nämlich das Geheimnis seines ewigen Planes.
Um mit den Worten Winston Churchills zu sprechen: Unser Gott verbarg seinen ewigen Vorsatz in „einem Rätsel innerhalb eines Geheimnisses, umgeben von einem Mysterium“. Gott war – in einer zeitlosen Vergangenheit vor aller Zeit und jeglicher Schöpfung: Gott und Gott allein. Niemand sonst existierte. Es gab nichts sonst. Im Schoß des Vaters verborgen war Gott der Sohn. Und sie waren eins. Auch der Geist war zugegen und teilte die Einheit von Vater und Sohn.
Im Zentrum der Gottheit pulsierte die wahre Substanz der Gottheit: eine leidenschaftliche Liebe (vgl. Joh 17,24; 1 Joh 4,16).
Alle Dinge gehen aus Gott dem Vater hervor. Er ist die Quelle von allem, einschließlich der Leidenschaft göttlicher Liebe. Augustinus sagte einst: „Wenn Gott Liebe ist, muss es in ihm einen Liebhaber, einen Geliebten und einen Geist der Liebe geben; denn keinerlei Liebe ist vorstellbar ohne Liebhaber und Geliebten.“
In der Zeitlosigkeit vergangener Ewigkeiten hatte der Vater jemanden, den er mit der Leidenschaft seines Wesens überströmen konnte, nämlich seinen Sohn. Der Vater war der Liebhaber, der Sohn der Geliebte. Der Vater war die Quelle, der Sohn der Empfänger und Erwiderer. Folglich liebte der Vater den Sohn, und der Sohn gab dem Vater diese Liebe wieder zurück (vgl. Joh 17,24; 14,31).
Der Sohn hingegen hatte kein Geschöpf, das er mit der Leidenschaft seines Seins hätte überströmen können. Das heißt, es gab niemanden, für den er die Quelle jenes reißenden Stroms der Leidenschaft hätte sein können, der sein eigenes Herz durchflutete. Zwar übergoss der Sohn gewiss den Vater mit seiner Leidenschaft, aber er war nicht deren Quelle. Mit anderen Worten: der Sohn seinerseits hatte kein Gegenüber. Oder, wie Augustinus es sagt: Er hatte keinen „Geliebten“.
In diesem hochspeziellen Sinn war Gottes Sohn allein, genauso allein wie Adam.
Adam aber ist die Gestalt, die auf den Kommenden hinweist (Röm 5,14b EÜ).
Der Letzte Adam [Christus] wurde lebendig machender Geist (1 Kor 15,45b EÜ).
Natürlich hatte der Sohn seinen Vater. Und auch der Geist war zugegen. Und doch gab es einen Aspekt der Leidenschaft des Sohnes, der über die Gottheit hinaus freigesetzt werden wollte.
Tief im Inneren des schlagenden Herzens des Sohnes Gottes gab es eine intensive, alles verzehrende Leidenschaft. Genau wie Gott der Vater sehnte sich auch Gott der Sohn danach, jemand anderem die Quelle jener Leidenschaft zu sein. Er sehnte sich danach, der Liebhaber zu sein und nicht nur der Geliebte. Aber ein Wesen, das er so hätte lieben können, gab es nicht. Weil Adam im Bilde Gottes geschaffen worden war, welches Christus ist, spürte er in seiner Einsamkeit die Intensität seines Schöpfers. Schließlich hatte er, Adam, dasselbe Drama durchlebt wie Gott der Sohn vor aller Zeit. Der erste Mensch hatte tatsächlich etwas von der unerfüllten Liebe Gottes verspürt.