Vampyriade - Norman Liebold - E-Book

Vampyriade E-Book

Norman Liebold

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Beschreibung

Was als Live-Rollenspiel beginnt, endet mit der verzweifelten Flucht vor sich selbst auf einem Dachboden, wo Von Wolffengang seine dunkle Geschichte niederschreibt im Bewußtsein, daß entweder seine Hörigkeit ihn zwingt, alle Menschlichkeit hinter sich zu lassen und zum reißenden Monster zu werden, oder daß Ludovika, die Vampirin, kommen wird, um ihn ein weiteres Mal in ihre Abgründe hinabzuziehen. Die Liebesgeschichte zwischen Ludovika, einer zutiefst mißtrauischen, verfluchten Kreatur, und Wolffengang, der auf seltsame Weise anders ist als andere Menschen und langsam zum Vampir wird, ist eine psychologische Metapher auf Haßlieben, die sich freizügig, unterhaltsam und mit ironischen Untertönen der Topoi der Horrorliteratur bedient.

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Norman Liebold

Vampyriade

Editio Codicis Wolffengangiensis

mit Zeichnungen des Autors

AMATOR VERITAS

Digitale Version der überarbeiteten authorsierten Fassung 2008 (Ersterscheinung 1999)

Amator Veritas Buch Nr. IX
Illustrationen von Norman Liebold.
Copyright © 2008
Norman Liebold und Amator Veritas Verlag, Hennef.
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und elektronische Medien, sowie der Übersetzung auch einzelner Teile.
ISBN-13 (Print): 978-3-937330-03-7
ISBN-13 (eBook): 978-3-937330-50-1
www.norman-liebold.com
www.amator-veritas.de

Jenen, die aus dem Spiegel schauend zu wissen glauben,wen sie sehen.

Zur Edition

Sehr geehrter Leser, mit diesem Buch lege ich Ihnen die von mir sorgsam editierte Fassung des Wolffengangschen Manuscriptes vor. Es ist meine wissenschaftliche Pflicht als Germanist, über Herkunft und Art der Handschrift genauestens Rechenschaft abzulegen und mich für seine Echtheit zu verbürgen.

Herkunft des Manuscriptes

Im Jahre 1999 verbrachte ich, noch Student der Germanistik, die Semesterferien in Weimar, das zu diesem Zeitpunkt Kulturhauptstadt war. Meinen Lebensunterhalt verdiente ich mir damit, dass ich beim Umbau und der Renovierung des so genannten Hababusch Hostels in der Geleitstraße mitarbeitete, und um Kosten zu sparen, hatte ich mich im ungenutzten Dachboden desselben Hauses einquartiert. Die Matratze, die mir zum Schlafen diente, befand sich auf einigen über Dachbalken gelegten Brettern. Als ich schließlich zum Semesterbeginn abreiste und den Dachboden aufräumte, entdeckte ich ein zusammengerolltes, in Packpapier eingeschlagenes und versiegeltes Bündel beschriebener Blätter, das offenbar von jemandem im Winkel zweier aufeinander stoßender Dachbalken versteckt worden war.

Das Gebäude des Hababusch Hostels in der Geleitstraße ist sehr alt, und natürlich war meine germanistische Faszination sofort geweckt. Mit der Bitte, den Fund zu wissenschaftlichen Untersuchungen nutzen zu dürfen, wandte ich mich an den Leiter des Hauses, der nichts dagegen einzuwenden hatte, ja froh war, etwas weniger „Gerümpel dort oben herumliegen“ zu haben.

Der Packen Pergament erwies sich, vorsichtig geöffnet, als ein umfangreiches Manuscript, das mir als Germanist ebenso wie als Menschen größte Rätsel aufgab. Aus wissenschaftlichen Gründen ebenso wie mehr noch aus Menschlichen entschloss ich mich, es zu editieren nach meinen besten Möglichkeiten.

Beschreibung des Manuscriptes

Das Wolffengangsche Manuscript besteht aus 267 beidseitig beschriebenen einzelnen Bögen im Format 293 mal 213 Millimeter, wovon die ersten zwanzig Seiten die offensichtlich herausgerissenen Seiten eines oder mehrerer Schulhefte aus der Zeit des sozialistischen Regimes in Ostdeutschland sind, wie sie gebündelt und teilweise beschrieben auf dem Dachboden lagerten. Die übrigen 247 Seiten bestehen aus echtem Pergament, dessen Datierung sich mittels C14-Methode und aufgrund der Herstellungsart sich zwischen 1450 und 1495 festlegen läßt. Um die Bögen ist ein großes Stück Packpapier moderner Art geschlagen worden, das mit Garn umwickelt und durch handelsübliches Siegelwachs versiegelt worden ist.

Während die ersten zwanzig Seiten mit einer Kugelschreibermiene beschrieben worden sind, sind die Pergamentseiten mit Eisengallus-Tinte und stählerner Bandzugfeder ausgeführt.

Im Text befinden sich zahlreiche Zeichnungen von ornamenthaftem Charakter. Sie sind mit derselben Tinte geschaffen worden und beziehen sich offensichtlich auf den Inhalt.

Analyse der Handschrift

Die Schrift mutet altertümlich an, einige Buchstaben wie das „s“ das „z“ und das „d“ sind im späten Mittelalter verbreitet gewesen, doch lassen die übrigen Buchstaben wie auch das Schriftbild auf eine moderne lateinische Schrift schließen. Die Schrift ist sicher und regelmäßig und wird nur zum Ende hin etwas fahriger. Sie weist bemerkenswerte Ober- und Unterlängen auf, die sich zwischen den Zeilen mitunter verstricken. Im Großen und Ganzen eine sehr unübliche und eigene Schrift, die jedoch auch aufgrund der Grammatik eindeutig in dieses Jahrhundert verwiesen werden muss.

Textgestalt

Der Text des Manuscriptes ist durch Initialen stark gegliedert. Sechs viertelseitige, aufwendig ausgeführte Initialen unterteilen den Text in sechs große Abschnitte, die mit einzelnen Titeln überschrieben sind. Diese großen Abschnitte sind wiederum in je vier Unterkapitel unterteilt, die durch kleine Schmuckornamente von einander abgetrennt sind. Der Text wird an zahlreichen Stellen durch Zeichnungen unterbrochen, die mit „WFG“ signiert sind und sich auf den jeweiligen Inhalt beziehen.

Zur Edition

Die Textgestalt wurde für diese Edition möglichst wenig abgewandelt. Die Gliederung ebenso wie die Überschriften sind übernommen. Da das Manuscript offensichtlich als Roman geschrieben worden ist, wurde eine dem entsprechende äußere Gestalt gewählt. Die Initialen und Illustrationen sind vollständig beigefügt und an den entsprechenden Textstellen bzw. in deren unmittelbarer Nähe platziert.

Norman Liebold, Aachen 1999

Das Manuscript

Rollenspiel

Der ich dies schreibe, sitze in altem Dachgestühle fern allem, was ich je gekannt.

Eine fremde Stadt ist dies, mit unbekannten Gesichtern in der Nacht, die mich fürchten machen. Es sind so viele, und keines kenne ich. Keines will mir die Geschichten erzählen, die unter diesen Mienen vergraben sind. Keines will mir sagen, ob da nicht Geschichten sind, so ungeheuerlich und daimonenvoll wie die, die ich aufzuschreiben mich niedersetzte

Warum ich sie schreibe?

Vielleicht, weil ich nicht einfach nur dahocken kann in diesem Gebälk, in das ich mich verkrochen habe, um all die Stunden nur gegen die Unterseite der Schindeln zu starren.

So mag das Schreiben dieser meiner Geschichte einfach der Ablenkung dienen, um nicht gänzlich verrückt zu werden im Dahocken, die Augen Verdrehen und dem Warten.

Des Anfangs wohl bin ich des Nachts noch auf die Straßen gegangen, die Kopfsteingeflasterten, eng Verwinkelten, habe mich gar in ein Filmtheater gesetzt. Doch die vielen Gesichter, die Fremden, die mir nichts sagten, unter deren Larve Dämonisches hockt vielleicht, sie ließen mich gesenkten Kopfes, oder, versteckter, mühevoll stolz forschenden Blickes hindurch hetzen, bis ich die knarrende alte Tür hinter mir zu riegeln und wieder atmen konnte.

Gewiss, kein rechtes Atmen, ein Atmen in bedrängter Brust, schwer und mühsam, dass man mitunter kaum noch die Lust verspürt, es weiterhin zu tun, ja es aufgibt. Still und nicht atmend im Sessel, modrig stinkend, hockt und dann doch laut nach Atem ringt, sich selbst verachtend, diesen Organismus, der da schnappt und röchelt und tierisch-gierig die Luft einsaugt.

Vielleicht bin ich verrückt, gut denn, ich hoffe, ich bin verrückt, sage es laut: Sagt, bin ich nicht verrückt?

Hocke seit einer Woche, vielleicht seit einem Monat im dunklen Dachgebälk, traue mich nicht auf die Straße, fliehe jedem Sonnenstrahl und krieche unter einen Haufen alte Decken, wenn ich Schritte höre auf der Stiege.

Paranoia, Agoraphobie, Menschenscheu, alles, was man haben will, mehr noch: Manchmal fange ich Vögel und Spinnen, vom Hunger getrieben, und fresse sie.

Aber ich wollte eine Geschichte erzählen, eine seltsame, grauenvolle Erzählung, von der ich nicht weiß, ob sie wahr ist oder eine Ausgeburt meines spinnerten Gehirns.

Ich habe mich verkrochen, aber ich weiß wohl, nicht lange noch wird es dauern, und entweder sie findet mich, oder aber ich selbst, von jenem seltsamen Wahne getrieben, gehe hinaus und suche sie.

Schon jetzt zieht es mir in allen Knochen, besonders aber im Blute nach ihr hin, und wäre ich ein Tier, so wäre nicht die Qual zu wissen, dass es mein Verderben sein wird, ja, ich wünsche mir, ein Tier zu sein, ein Tier oder verrückt: Wie beruhigend der Gedanke, in einer Zelle zu sitzen ohne Fenster, mit Stahl und undurchdringlich Mauerwerk, sie hindernd einzudringen und mehr noch, mich selbst in Gewahrsam haltend, mich selbst daran hindernd, sie zu suchen!

Aber dem ist nicht so, und so ist‘s ein stilles, verzehrendes Warten, ein Warten, in dem der Sog in Blut und Gebein mit jedem mühsel‘gen Atemzuge stärker wird, es schon absehbar ist, wann ich nicht mehr zu widerstehen vermag, diesem Drang zu folgen und sie zu suchen.

Soweit ich dies absehen kann, ward ich vor nicht mehr als drei Monaten hineingezogen in jene andere Welt, die neben der Unseren existiert, obgleich ich nicht zu sagen weiß, ob sich dies nicht vielleicht schon vorbereitete. Ob dies vielleicht mehr als ein Zufall war, man mich vielleicht beobachtete und dann, an jenem Abend, lange Vorbereitetes in Gang setzte.

Doch neige ich eher zu der Annahme, dass es ein Zufall war, und mit jener ersten Begegnung all das geboren wurde, von dem zu erzählen ich die Feder ergriffen habe.

In H*, einem kleinen Ort im Vorgebirge, fand dazumal ein Spiel statt, ein Spiel jener Art, die seit einiger Zeit sehr in Mode gekommen ist.

Man mimt dort einen Charakter und versetzt sich für die Dauer des Spieles in eine andere Welt, sei es eine Welt der Raumfahrer und intergalaktischen Abenteuer, sei es eine mystische Welt voller Sagengestalten oder sei es, wie hier, die Welt der Vampyre.

Das Spiel folgt einem ausgeklügelten Regelsystem, dessen Zweck es ist, das Gemimte möglichst real erscheinen zu lassen, und eine Regel ist es, dass man während des Spieles in keinem Falle die Irrealität entlarven darf. Man hat sich ganz und gar in seinen Charakter zu versetzen, in seine Lebensgeschichte und seine Seinsart, und die anderen Spieler sind ebenso nicht als die Menschen zu behandeln, die sie sind, sondern nur und ausschließlich als die Gestalten, die sie vorgeben zu sein.

Die Illusion wird, sofern es sich um ein gutes Spiel handelt, nahezu perfekt. Und zuweilen glaubt man fast an die Realität der Scheinwelt und erlebt die Nervenkitzel und Gefühlsspannungen, die sie bedingt - letztendlich das Ziel des Spieles.

Denn wohl ist es so, dass die Spielenden die wirkliche Welt als zu fade empfinden. Oder auch, dass sie nichts mit sich und den Menschen anzufangen wissen. Wobei die künstliche Welt des Spieles dann Stoff und Grund für Gespräch, Nähe und Gemeinschaft liefert, denn die Geschichten, die in dem Spiele zum Leben erweckt werden, sind meist dramatischer Natur.

Das Spiel in H* war ein wirklich gutes Spiel, das damit begann, dass man eine Einladung erhielt, die nicht auf den Spieler bezogen war, sondern vielmehr auf die Person innerhalb der Welt des Spieles. Von jenem Moment an, da man aufbrach, verkleidet und geschminkt, begann auch das Spiel.

Ich für meinen Teil habe dergleichen Spielen gegenüber von jeher ein zwiespältiges Empfinden, das Gekünstelte stößt mich ab und auch jenes, was die Menschen dazu bringt, es zu spielen. Langeweile ist mir unbekannt, und die Welt ist für mich so angefüllt mit Geheimnisvollem und Dramatischem, dass diese Spiele mir oft lächerlich erscheinen, gerade eben, weil sie nicht echt sind.

Ein alter Freund seines Teils hat aber eine ganz eigene Einstellung dazu, er liebt dieses Spiel mit ganzer Seele und hat sich fast einen Kultus daraus gemacht, der zu den einflussreichsten seines Lebens gehört. Zuweilen schien es mir, als sei ihm jene unwirkliche, gespielte Welt wichtiger als das, was atmend ihn umgibt. Aber die Konsequenz, mit der er dies lebt, ja zuweilen gar sein reales Leben mit den selben Parametern betrachtet wie seine Leben im Spiele, ist zu bewundern.

Der eigentlichen Welt mit einer herben Resignation entsagend, die seinen Wünschen und Erwartungen nicht entspricht, lebt er im Schein der Werte und des sinnvollen Lebens während des Spieles und findet dort oft, was er anderswo vermisst.

Und ihm zuliebe, auch aus Achtung vor seiner Art zu leben und nicht weniger auch aus Neugier und Wissensdrang dieser gegenüber, war ich seinem Anerbieten gefolgt und nahm denn also an dem Spiele zu H* teil.

Ich reiste mit Einbruch der Dunkelheit, denn ich sollte einen Vampyr mimen, einen fahrenden Gesellen namens Nachtigall, der reisend Geschichten und Lieder sammelt und es in den vampyrischen Kreisen zu einiger Berühmtheit gebracht hatte. Insbesondere in den Kreisen der so genannten Toreador, einer Vampyrsippe, die den schönen Künsten zugeneigt ist, und deren Mitglied ich war.

Ich trug Reisekleider, wie ich sie, amüsant genug, auch sonst nicht anders trage, einen Umhang und auf den Rücken geschnallt meine lederne Tasche, die die Mandoline und die Flöten birgt. Mein Gesicht war weiß geschminkt, wie es die Regeln des Spieles empfehlen, um die blutarme Blässe des Vampyrs darzustellen, und ich hatte Symbole darauf gemalt, wie ich sie oft in meinen Zeichnungen verwende.

Abgesehen also von meinem Geschminktsein nahm ich mich nicht anders aus als sonst, gehe ich auf Reisen, ohne darum in irgendeiner Weise nicht den Anforderungen des Spieles zu genügen, denn meiner Art der Kleidung wird eine gewisse Altertümlichkeit nachgesagt, oder eine gewisse zeitlose Stilistik, da sie sich meistenteils an Praktikabilität orientiert und viel Leder und Leinen daran ist.

Der Zug fuhr durch die Nacht, und wie es in Verkleidungen, besonders unter einer Maske von Schminke, eigentümlich ist, empfand ich anders als sonst.

***

Die Erwartung und Spannung auf den Abend wirkte ihren Teil noch hinein und auch die erstaunt musternden Blicke der wenigen Mitreisenden, die nicht zu verdenken sind angesichts meines weiß geschminkten, von magischen Symbolen bedeckten Gesichtes.

In meinen Händen hielt ich die auf altem Bütten kalligraphierte Einladung mit großer Petschaft, die da lautete: Sehr verehrter und geachteter Herr Nachtigall, Euer Ruf ist Euch vorausgeeilt, und wir, der wir unseren Namen nicht nennen wollen, freuen uns, Euch einladen zu dürfen nach H*, wo wir eine Abendgesellschaft erlesenster Art abzuhalten die Ehre haben. Große Namen, auch der Toreador, werden hier versammelt sein, und wir hoffen, dass Euer Name sich hinzu gesellt. Seid in der Vollmondnacht des Oktober am Bahnhofe von H*, und Ihr werdet Geleit erhalten. Es grüßt ehrerbietig Einer, der nicht genannt werden möchte.

Die Einladung immer und immer wieder lesend, begann sich mein Geist langsam auf das Spiel einzustellen, dergestalt, dass mir dies alles mehr und mehr wirklich erschien.

War ich nicht irgendwo auch Nachtigall, der fahrende Sänger? Und, das war ein reizvoller Gedanke, was, wenn all dies tatsächlich real wäre, und das mit dem Spiel ein Missverständnis?

Hatten mein Freund und ich doch nichts anderes als eine obskure Einladung auf Bütten, fuhren nun auf das gerade wohl in ein uns fremdes Haus in einem uns unbekannten Ort, einem kleinen Nest von wenigen Häusern, wo nach acht Uhr sich niemand mehr auf der Straße zeigt, sprachen nicht auch die Dokumente, die uns auf ähnlich obskure Art zugespielt worden waren, von einer Überschneidung der vampyrischen und der menschlichen Welt?

Konnte dies nicht wahrlich ein Unterschlupf sein, eine Wohnstatt eines alten Vampyrs, der seinesgleichen zu sich einlädt? Konnte uns eine solche Einladung nicht unter seltsamen Umständen in die Hände gefallen sein, ebenso wie die Dokumente in jener alten Handschrift, die uns über die vampyrische Welt belehrte, damit wir - wie wir glaubten - besser darin spielen konnten?

So gab ich mich meinem Gedankenspiel hin und ward von einem Schauer nach dem anderen heimgesucht, der den Nacken herunter rieselte. Es war, als würde ich Verbotenes damit berühren, Unheimliches, Dinge, die man lieber ruhen lassen sollte, und ich war fasziniert von den Gefühlen, die mich überströmten.

Während ich so durch die Nacht fuhr und den Vollmond sah, rot glühend und riesengroß, wie er über den Horizont tauchte, nahm ich auch jene Handschrift zur Hand, die die Umstände und Gerüchte behandelte, die sich um H* rankten und um die vampyrische Welt.

H* befände sich am Rande eines Landstrichs, so las ich, der unter den Vampyren als Totes Landbezeichnet würde, ein Land, das unheimlich wäre und sein Name nur raunend ausgesprochen. Viele Gerüchte kreisten darum, auch dass Vampyre hier spurlos verschwunden seien. Die Bäume hätten krankhaft pervertierte Formen, die Vögel schrien wie verbannte Seelen. Und ein alter, ein uralter Vampyr, so hieß es, hauste hier. Die Einladungen wären an führende Vertreter der Vampyr-Sippen gesandt worden, und niemand wusste, zu welchem Zwecke das Treffen stattfinden sollte, etwas, dass die Unsterblichen reizte und neugierig machte, so dass man davon ausgehen konnte, sie alle aus Neugier kommen zu sehen.

All das, gerade weil der auf H* zu rollende Zug sich wirklich durch eine bergige Gegend quälte, wo der Wind die Bäume zu wunderlichen Krüppeln verbogen hatte, der Vollmond darüber stand und Nebel aus den Tälern quoll, war dazu angetan, ein unheimliches Gefühl in mir zu erzeugen, ein Ziehen in der Magengrube, ein zitterndes Erwarten.

Meine Situation hatte viel gemein mit der Nachtigalls, schon allein, weil ich niemanden dort kannte und auch ein Neuling war in dieser Art des Spiels. Und ein unterschwelliges Gefühl des Schicksals mischte sich mit darein, ein Gefühl, das sich nur zu sehr bewahrheiten sollte.

Der Zug hielt, das Kreischen der Bremsen hallte von stillen Bergen wider, und eine krächzende Stimme, elektronisch verzerrt von ausgedienter Lautsprecher-Technik, rief: „H*, hier H*“, und ich stieg aus.

Der „Bahnhof“ war nicht mehr als zwei Geleise, ein Häuschen und ein Dach von Beton, darunter man sich bei Regen stellen konnte. Ein asphaltierter Weg, spärlich beleuchtet von einer Straßenlampe, zog sich seitwärts durch das Gebüsch, um auf einen kleinen Platz zu führen, eine Wendeschleife für den Bus - in der Mitte ein erhöhtes Oval mit einem Schild, darauf ein „H“ gemalt war. Daneben ein kleiner Parkplatz für Pendler.

Ansonsten kein Haus, nur sich die Hügel emporziehende Weiden, hier und dort in Wald oder Gebüsch übergehend. Nebel schwebte in den Niederungen, silbern zum Leuchten gebracht vom Mond, der nunmehr bleich war wie Gebein und hoch am Himmel stand.

Weiter entfernt das gelbliche Glimmen eines beleuchteten Fensters zwischen Büschen, und über allem lag eine Stille, wie sie heute den Stadtmenschen geradezu erschreckt, so sehr ist er gewohnt, das Lärmen der Automobile zu hören.

Langsam, die Luft durch die Nase einsaugend, ging ich zu der Wendeschleife hinüber, setzte mich, eng in den Mantel gewickelt, nieder, lehnte mich gegen die Metallstange, daran das Haltestellenschild mit abblätternder Farbe im Wind ein leises Klappern von sich gab und drehte mir eine Zigarette.

Kaum dass ich den Rauch durch die Nüstern strömen ließ, mich umschaute und die versilberte, stille Landschaft betrachtete, hörte ich, ganz leis, ein näher kommendes Brummen. Motorengeräusch. Vielleicht ein Automobil. Vielleicht jenes, was in meiner Einladung als Geleit bezeichnet worden war.

Ganz weit hinten, auf einem Hügelkamm, erstrahlte der Nebel, glühte auf, zwei Scheinwerfer blitzten mir in die Augen, nicht größer als Sterne, das Brummen wurde kurz lauter, dann wieder leiser, und der Nebel verglühte und war wieder perlmutten unter dem Mond. So schwoll das Brummen mal an, mal war es leiser, doch dass es näher kam, daran war kein Zweifel.

So still war es hier, dass es mehr als eine Zigarettenlänge bedurfte, bis das Geräusch zum letzten Mal anschwoll, das Licht, sich fingergleich durch den Nebel tastend, an der Biegung sichtbar wurde, und der Wagen, mich blendend, auf die Wendeschleife fuhr und vor mir hielt.

Die Fahrertür öffnete sich, und eine seltsame Gestalt trat auf die Straße.

In einen schmerzhaft bunten Umhang gehüllt, die Haare orangerot gefärbt, das Gesicht hingegen kränklich weiß und zwischen den Lippen, den bläulich kalten, zwei spitze Zähne vorzeigend, trat sie auf mich zu, verneigte sich übertrieben und sprach mit kreischend affektierter Stimme: „Der Herr Nachtigall?“

Ich nickte.

„Hocherfreut!“ quietschte die Gestalt und machte Anstalten, mich zu umarmen, besann sich denn aber anders, meine hohe, schwarzbemäntelte Gestalt in ihrer eisigen Distanzierung begutachtend. Sie verneigte sich übertrieben.

„Zu Diensten“, sagte sie sarkastisch. „Konformus mein Name, Herr Konformus.“

Das „r“ rollte Herr Konformus ganz beachtlich. Ich dachte bei mir, dass er wohl Theater spielte im wirklichen Leben und konnte in mir beobachten, dass ich zum Einen ihm eine gewisse Sympathie entgegen brachte und eine gewisse Bewunderung für seine Rolle, die er sehr überzeugend zu spielen schien, wie auch gegen die Rolle selbst eine große Antipathie. Stellte sie doch grad jenen Typus Mensch dar, den ich von allen am meisten verabscheue.

„Ein wundervoller Abend, nicht wahr?“ fragte Herr Konformus mit abstoßender Zudringlichkeit. „Wie der Mond scheint und silbern sein Licht ausgießt!“

Ich beschränkte mich auf ein „Ihr fahrt mich zu jener Abendgesellschaft?“ und verletzte damit wohl den sozialen Drang Konformussens, denn er gab ein „Pah!“ von sich und meinte: „Mich deuchte, Nachtigallen lieben solch romantische Momente! Ich hoffe, Ihr singt besser, als Ihr sprecht!“

Sein Tonfall war beleidigt, ja eingeschnappt und reizte mich zum Lachen, reizte auch meine Anerkennung des Spielers hinter der Maske, und mich auf den Beifahrersitz packend hörte ich seine Tür geräuschvoll zuschlagen.

Mürrisch ließ er den Wagen an und stillschweigend fuhren wir durch manche Nebelbank und über so manchen Hügel mit wunderlich verdrehten Bäumen, bis wir endlich in eine Art Dorf kamen. Oder vielmehr eine Handvoll Häuser, die sich rechts und links der Straße hinzogen.

Hier und da glomm ein Fenster, aber niemand war auf der Straße. Nur ein Haus war hell erleuchtet, und davor hielten wir. Eine Anzahl Wagen war schon abgestellt.

Ausgestiegen und ins Licht getreten, kam uns ein junger Herr entgegen, schwarz mit Anzug angetan, das edel geschnittene, arrogant dreinblickende Gesicht weiß geschminkt. Er verneigte sich, zog die Brauen in die Höhe und sagte mit affektiertem Tone: „Ihr wünscht?“

„Nachtigall mein Name“, sagte ich, ebenso affektiert, und überreichte ihm die Einladung. „Bin ich hier am rechten Ort?“

Das Gesicht des jungen Mannes veränderte sich schlagartig, er verneigte sich nochmals, lächelte verbindlich und sprach, dass ich gewiss am rechten Orte sei, dass es ihn freue, mich hier zu sehen und er mich willkommen hieße.

„Mein Name ist Wunsch“, so sagte er. „Und wenn Ihr einen Wunsch habt, so sagt ihn nur, und ich werde zu Diensten sein.“

Er stellte sich vor als der, der die Aufgabe hätte, sich um die Gäste zu kümmern. Meiner Frage nach dem Gastgeber wich er aus, meinte, dass dieser sehr egozentrisch wäre und sich noch nicht zeigen mochte.

So hatte ich also die Bekanntschaft des Spielleiters gemacht, der über dem gesamten Spiele wachen würde und die Bewegungen in die rechten Bahnen zu leiten die Aufgabe hatte, und, aufgefordert, es mir doch drinnen bequem zu machen, verneigte ich mich ebenso vor ihm und trat ein.

Jene seltsame, unheimliche Gefühlslage, die mich während der Fahrt heimgesucht hatte, war abgeklungen. Innerlich war mir nach Grinsen zumut, die Sache begann mir Spaß zu machen.

Das Haus war eines jener Häuser, darin sich die Besserverdienenden ein Refugium einzurichten pflegen, in der Stadt arbeitend und auf dem Lande wohnend, ihren Kindern ein angenehmes Umfeld schaffend. Und drinnen, in der geräumigen Wohnstube mit dem obligatorischen Kamin, saßen die anderen Spieler beisammen, geschminkt und sichtlich unsicher.