Vegetarische Aroma-Bibel - eBook - Karen Page - E-Book

Vegetarische Aroma-Bibel - eBook E-Book

Karen Page

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Beschreibung

Der Vorgängerband, "Das Lexikon der Aromen und Geschmackskombinationen", wurde mit Lob überschüttet und für seinen damals völlig neuartigen Ansatz der systematischen Aufschlüsselung von Geschmack und Aroma in Form von Listen zueinander passender Zutaten als revolutionär gepriesen. Nun legt die Autorin - ganz dem aktuellen Trend folgend - mit dem Pendant für die vegetarische Küche nach. Noch ausführlicher als im ersten Buch listet sie zu Hunderten von Zutaten von Açai bis Zucchiniblüten übersichtlich auf, welches die besten, interessantesten und lohnendsten Kombinationen sind, um aus den Zutaten ein Maximum an Geschmack und Nuancenreichtum herauszuholen. Denn vegetarisch soll nicht nur gesund und ökologisch bedeuten, sondern in erster Linie Kreativität, Geschmack und Genuss bringen. Mit praktischen Angaben zu Nährstoffgehalt, Austauschmöglichkeiten und Zubereitungstipps. Ein wertvolles Nachschlagewerk für ambitionierte Laien, unerlässlich für Profis und eine schnelle Inspiration für alle, die eine abwechslungsreiche vegetarische Küche lieben.

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VEGETARISCHE

Aroma

Bibel

»Und Gott sprach: Siehe, ich habe euch gegeben alles Samen tragende Kraut, das auf der Fläche der ganzen Erde ist, und jeden Baum, an dem Samen tragende Baumfrucht ist: Es soll euch zur Nahrung dienen.«

Genesis 1:29, Revidierte Elberfelder Bibel

»[Ich bin] der Ansicht, dass die vegetarische Lebensweise durch ihre rein körperliche Wirkung auf das menschliche Temperament das Schicksal der Menschen in sehr glücklicher Weise zu beeinflussen vermöchte.«

Albert Einstein, in einem Brief an Hermann Huth, 27. Dezember 1930

»Es gibt nichts, was auch nur annähernd an eine vollwertige, pflanzliche Ernährung heranreichen kann, wenn es um die gesundheitliche Förderung des Menschen geht. (…) Eine Ernährung, die auf vollwertigen pflanzlichen Nahrungsmitteln basiert, ist bei Weitem die gesündeste Ernährungsform.«

T. Colin Campbell, Autor des Buches »China Study«

Karen Page

VEGETARISCHE

Aroma

Bibel

Lexikon der vegetarischen Aromen-und Geschmackskombinationen

Mit einem Vorwortvon Katharina Seiser

Für Andrew,dem es sogar nach neunundzwanzig Jahrenimmer wieder gelingt, mich zu überraschen.

INHALT

VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE VON KATHARINA SEISER

EINFÜHRUNG

Die Wahl gesunder Lebensmittel

Die Zusammensetzung der täglichen Nahrung

Kein Verzicht auf Genuss

VEGETARISMUS IM LAUFE DER JAHRHUNDERTE

Einige wichtige Ereignisse in der Geschichte des Vegetarismus

MAXIMALES GESCHMACKSERLEBNIS: FÜR EINE NEUE, NACHHALTIGE KÜCHE

Fünf Trends für eine neue, nachhaltige Küche

Von der Randerscheinung zum Mainstream

Wachsende Vielfalt dank Globalisierung

Neue Herausforderungen an die Gastronomie

Die Flavour-Gleichung: Geschmack als umfassendes Konzept

Was der Mund erkennt

Was die Nase wahrnimmt

Die übrigen Sinne – Herz, Verstand und Seele

Plädoyer für eine nachhaltige, respektvolle Küche

VEGETARISCHE AROMEN- UND GESCHMACKSKOMBINATIONEN: DIE LISTEN

Danksagung

Die Experten

Die Autorin

VORWORT

Pasadena, Kalifornien, der extrem heiße Sommer 1999. Kurz vor der Rückreise nach Österreich nach einem Monat Amerika will ich noch Souvenirs kaufen. Meine Reiseerinnerungen bestehen stets aus Lebensmitteln, Geschirr und Kochbüchern. Drei von mir als typisch amerikanisch eingeschätzte Titel wandern ins Handgepäck: »The New Cook« von Donna Hay, »Cook Something« von Mitchell Davis und »Culinary Artistry« von Karen Page und Andrew Dornenburg. Bei Donna Hay musste ich schon im Flugzeug feststellen, dass sie Australierin ist. War mir ein bisschen peinlich, aber außer mir wusste ja niemand von meinem geografischen Fehlgriff. Das Buch fand ich trotzdem toll. »Cook Something« von Davis halte ich bis heute in Sachen Grundkochbuch für maßgebend in Bezug auf Benutzungsfreundlichkeit, Niederschwelligkeit und freundlich aufmunternden Schreibstil. Und »Culinary Artistry« wurde vom ersten Blick an zu einem meiner liebsten Kochbücher aller Zeiten – obwohl es gar keines ist. Es war der Vorläufer der zwölf Jahre später erschienenen und dann endlich gebührend gelobten »The Flavor Bible« (Deutsche Ausgabe: »Lexikon der Aromen und Geschmackskombinationen«) und der jüngsten »Bibel« von Karen Page: »The Vegetarian Flavor Bible«, die Sie nun auf Deutsch in Händen halten.

KOSTBARER INHALT

Dieses Buch besteht aus Listen. Listen von Zutaten und dazu passenden weiteren Zutaten. Seien es Gemüse, Früchte, Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Getreide, Teigwaren, Reis, Käse und andere Milchprodukte, Kräuter, Gewürze, Nüsse, Samen, Öle, Algen, Essige, Würzsaucen und -pasten, aber auch Länderküchen, in denen die jeweilige Zutat gern verwendet wird. Die jahrelange Arbeit von Karen Page, die hinter diesem Meisterwerk steht, will ich mir gar nicht vorstellen. Ich bin ihr nur unendlich dankbar dafür. Sie bietet mit ihren alphabetisch gelisteten Zutaten und Ideen zu den Hunderten von Einträgen nämlich eine Schatzkiste, die Generationen als Anregung dienen wird.

STETS ZUR HAND

Ich liebe Listen. Listen bringen Ordnung in meine Essensgelüste und Kochpläne. Die Listen in der »Vegetarischen Aroma-Bibel« helfen mir beim Kreieren schneller Alltagsgerichte wie thematischer Menüs gleichermaßen, weil sie wie ein Schloss mit unendlichen Zimmerfluchten immer neue Geschmacksräume öffnen. Und je nach Tagesverfassung oder Stimmung sehe ich sie – wie die Parkettböden, Stoffe und Möbel im Schloss – immer wieder in anderem Licht und Zusammenhang.

Manchmal bringt mich die »Aroma-Bibel« aber gar nicht auf Neues, sondern erinnert mich an Altbewährtes, das mir im Moment des Betrachtens meines frischen Gemüses und der Überlegungen, was ich damit anstellen könnte, überhaupt nicht einfällt. Sei es nur ein Gewürz, das da beispielsweise unter Karotten oder Butternusskürbis steht, die Bohnensorte beim Schwarz- oder Grünkohl, das zarte Würzkraut bei den Roten Beten: Dann bin ich dank dieses Buches plötzlich in Nordafrika mit einem Karottensalat, der nach frisch geröstetem Kreuzkümmel und Zimt duftet, oder ich würze die fein cremige Kürbissuppe mit weißem Miso, das ohnehin im Kühlschrank ist, und denke mir, da hätte ich wirklich selbst draufkommen können. Aus dem Grün- und Schwarzkohl mache ich einen lauwarmen Salat mit weißen Cannellinibohnen, Chili und viel winterlicher Zitrusfrische. Und wie war das mit dem Dill zu den Roten Beten? Ein cremiger Hummus aus den Knollen mit Joghurt und viel Dill und dazu frisches türkisches Fladenbrot mit Schwarzkümmel zum Beispiel?

Wenn es schnell gehen muss, hilft die Rubrik »Gutes Zusammenspiel«, die Sie bei fast allen Zutaten am Ende der alphabetischen Aufzählung finden. Hier stehen verlässlich funktionierende Kombinationen aus drei oder mehr Zutaten, die dann je nachdem beispielsweise als Pastagericht, vielleicht aber auch als Salat oder Suppe funktionieren. Die Lust aufs Kochen und Ausprobieren neuer Ideen und Kombinationen steigt ins Unermessliche!

VERFÜHRERISCHE LISTEN

Bei der »Vegetarischen Aroma-Bibel« kommt noch ein Faktor dazu: Gerade für Nicht-Vegetarierinnen (wie mich) ist dieses Buch von unschätzbarem Wert: Weil eben nicht die naheliegenden, bekannten oder üblichen Kombinationen mit Fleisch und Fisch auftauchen, sondern weil uns Karen Page mit ihren endlosen Möglichkeiten verführt, das Gemüse, das hier im Mittelpunkt steht, mit anderen harmonierenden Zutaten, überwiegend aus dem Pflanzenreich (aber auch mit Milchprodukten und Eiern) zu kombinieren.

Das ist auch der Grund, warum ich vegetarische und vegane Kochbücher schreibe und herausgebe: Je lustvoller und spielerischer – und im Ergebnis geschmackvoller – vegetarische Küche ist, desto weniger fällt irgendwem bei Tisch auf, dass gar kein Fleisch oder Fisch dabei war. Das ist schließlich das Ziel: Abwechslungsreich aus dem Vollen schöpfen und mit Genuss essen, ohne dass dabei allzu viel Schaden angerichtet wird. Weder an Tieren noch am Wohlergehen der Menschen, noch am Boden, der uns diese Vielfalt schenkt.

Lassen Sie sich von Karen Page zu einem neuen, weltoffenen Zugang zum Kochen verführen, stets ausgehend vom gerade verfügbaren frischen Produkt. Viel Vergnügen mit diesem Kochbuch, das keines ist, und trotzdem zu den wichtigsten seiner Art zählt!

Katharina Seiser,Herausgeberin der erfolgreichen Reihe vegetarischer Länderküchen (»Österreich vegetarisch« und bisher fünf weitere Bände) im Brandstätter Verlag, Autorin des Bestsellers »Immer schon vegan« und der »Jahreszeiten-Kochschule«

Wien, im Herbst 2017

VEGETARISMUS IM LAUFE DER JAHRHUNDERTE

»Die Götter ersannen Abhilfe:

Sie schufen ein dem menschlichen verwandtes Wesen (…).

Es sind dies die Bäume und Pflanzen

mit ihren Samen und Früchten.«

Platon

Zum ersten Mal in der Geschichte scheint das Interesse an Vegetarismus sich zu einem Mainstream-Thema zu entwickeln. Nachdem sich schon seit Tausenden von Jahren zahllose Menschen dieser Ernährungsweise verschrieben haben, ist sie auch heute noch nicht der Normalfall, auch wenn die Zahlen stetig steigen. Während 1983 laut einer Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung die Zahl der sich vegetarisch ernährenden Menschen bei gerade mal 0,6 Prozent lag, betrug im Jahr 2012 die Zahl der Vegetarier in Deutschland rund 8–9 Prozent und 2015 bereits rund 10 Prozent der Bevölkerung.1 Im gleichen Zeitraum wurde der Anteil der Veganer auf 1,1 Prozent geschätzt. Bezieht man in diese Überlegungen auch die Zahl der erwachsenen Menschen mit ein, die angeben, ihren Fleischkonsum reduzieren zu wollen (einem Bericht in »USA Today« von 2011 zufolge in den USA 47 Prozent), könnte man zu dem Schluss gelangen, dass der Wunsch, weniger Fleisch oder gar kein Fleisch mehr zu essen, endlich der Normalfall geworden ist. Vier aufeinanderfolgende Jahre mit zurückgehenden Zahlen beim Fleischkonsum in den USA, von 2006 bis 2010 – zum ersten Mal, seitdem darüber Statistik geführt wird. Und die Projektionen des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums, die von einem weiteren Rückgang ausgehen, machen deutlich, dass sich ein tiefgreifender Wandel vollzieht.

Sich vegetarisch oder sogar vegan zu ernähren, ist einfacher als jemals zuvor. Die Verbreitung ausschließlich vegetarischer Restaurants und die Anzahl vegetarischer Gerichte auf den Speisekarten vieler Restaurants von Imbissketten über Spitzenrestaurants bis hin zu den zahllosen asiatischen, indischen, mediterranen und anderen internationalen Restaurants machen es inzwischen auch Vegetariern einfach, auswärts zu essen. Gleichzeitig rückte das Thema in einer steigenden Zahl vegetarischer und veganer Kochbücher, in Blogs und anderen Medien ins Bewusstsein der breiten Bevölkerung. Auf Bauern- und Wochenmärkten gab es immer ein großes Angebot an Gemüse und Früchten; das Bewusstsein für regionale und saisonale, naturnah, ökologisch und biologisch produzierte gesunde Produkte hat sich inzwischen verstärkt. Selbst eine vegane Ernährung ist heute keine große Herausforderung mehr, wie die mittlerweile gute Verfügbarkeit pflanzlicher Getreidedrinks als Milchersatz, veganer Butter, Käsesorten usw. aufzeigt.

Vegetarismus und Veganismus sind heute nicht mehr die Domäne von Aussteigern, Alternativen, Hippies und Müsliessern, im Gegenteil, diese Themen sind topaktuell und dank des Vorbilds einflussreicher Persönlichkeiten sogar sehr trendy. Prominente aus Film und Fernsehen wie Oprah Winfrey, Jennifer Lopez, Gwyneth Paltrow, Tobey Maguire, Natalie Portman, Prince, Nina Hagen, Désirée Nosbusch, Danny De Vito, Hannes Jaenicke, Julia Roberts, Xavier Naidoo oder Dunja Hayali haben eine fleischlose Ernährungsweise in das Rampenlicht der Medien gerückt und dafür gesorgt, dass sie auch dort bleibt. Sogar im Magazin »BusinessWeek« wurden führende Vertreter aus Industrie und Politik vorgestellt, die Fleisch meiden, darunter der Twitter-Mitbegründer Biz Stone und Ex-Präsident Bill Clinton, der zwölf Kilo abgenommen hat, nachdem er nach verschiedenen Operationen auf eine vegane Lebensweise umgeschwenkt ist.

»Ich glaube, dass geistiger Fortschritt an einem gewissen Punkt von uns verlangt, aufzuhören, zur Befriedigung unserer körperlichen Bedürfnisse unsere Mitlebewesen zu töten.«

Mohandas Karamchand Gandhi

»Es wird lange dauern, bis die Menschheit begriffen hat, dass nicht nur die Völker der Erde ein Volk sind, sondern dass Menschen, Pflanzen und Tiere zusammen das Reich Gottes sind und dass das Schicksal des einen Bereichs auch das Schicksal des andern ist.«

Luise Rinser

Der Vegetarismus ist so alt wie die Menschheit selbst, und an überzeugenden, zeitlosen Argumenten, die für einen Verzicht auf Fleisch sprechen, mangelt es nicht. Ein Blick in die Geschichte zeigt die verschiedenen kulturellen, wirtschaftlichen, umweltbedingten, ethischen, medizinischen, ernährungsphysiologischen, praktischen, religiösen und sonstigen Faktoren, die den Vegetarismus mit begründet haben. Nach dem Vorbild der Lehre der Weltreligionen sowie griechischer und römischer Philosophen hat eine beeindruckende Zahl großer Persönlichkeiten der Geschichte – darunter Leonardo da Vinci, Einstein und Gandhi – ihr ganzes oder zumindest ihr Erwachsenenleben lang vegetarisch gelebt.

Die im 20. Jahrhundert aufkommende Ernährungswissenschaft hat den Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit belegt ebenso wie den Zusammenhang zwischen dem Verzehr von zu viel tierischem Eiweiß und zahlreichen chronischen Krankheiten, einschließlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bestimmten Krebserkrankungen, Übergewicht und Fettleibigkeit. Bahnbrechende Studien haben dazu beigetragen, diese Informationen zu verbreiten.

Auch Fragen des Tierwohls sind in den Fokus der breiten Öffentlichkeit gerückt. Bekannt ist der pointierte Ausspruch von Ex-Beatle Paul McCartney: »Wenn Schlachthäuser Glaswände hätten, würden alle Menschen vegetarisch leben.« Nur einen Klick entfernt sind heute dank Internet und YouTube abstoßende Bilder, die zeigen, wie es in Betrieben der Intensivhaltung von Tieren zugeht, in denen heute der überwiegende Teil des konsumierten Fleischs, der Eier und der Milchprodukte produziert wird. Bilder, die in hohem Maße zu einem wachsenden Bewusstsein für den Tierschutz beitragen. Fakten, Zahlen und Fotos dessen, was der Verzehr von Tieren für unsere natürlichen Ressourcen mit sich bringt – für unsere Luft, den Boden und das Wasser – sorgen dafür, dass man die Realität kaum noch ignorieren kann. Sogar Bill Gates setzt sich für Vegetarismus als einen Weg zur Rettung der Erde und zur Verhinderung der drohenden globalen Nahrungsmittelkrise ein, indem er in Unternehmen investiert, die Fleisch- und Ei-Ersatzprodukte entwickeln.

Wieso aber sind angesichts all dieser mächtigen Vorkämpfer und stichhaltigen Argumente nicht schon alle Menschen Vegetarier? Es gibt auf der anderen Seite in den Industrieländern mächtige kulturelle, wirtschaftliche und politische Kräfte, die den auf Fleisch und Milchprodukte ausgerichteten Status Quo erhalten wollen. So ist die Werbung für Fleischprodukte und Fast Food allgegenwärtig, und im gleichen Maße die Werbung für eine Vielzahl von Medikamenten, die Linderung der durch einen übermäßigen Verzehr eben jener Produkte verursachten Beschwerden versprechen. Die Politik setzt sich nicht selten mehr für die die Wirtschaft unterstützende Großindustrie ein als für die Gesundheit des Einzelnen. In der Viehhaltung verfütterte Agrarprodukte wie Mais und Sojabohnen werden mit Steuergeldern subventioniert, genau wie die Milch- und Fleischindustrie selbst.

Doch tagtäglich wird es immer offenkundiger, dass eine vegetarische Lebensweise besser ist für die eigene Gesundheit, für die Gesundheit anderer Lebewesen und für den Planeten als Ganzes. Um sich etwas Gutes zu tun, muss man gar kein Vollzeit-Vegetarier sein, aber wer sich näher damit befasst, wird – so wie es bei mir war – entdecken, dass die vegetarische Küche so gut schmeckt und man sich damit so viel besser, leichter und kraftvoller fühlt, dass auch Sie sich dafür entscheiden werden, diese Vorteile zu nutzen, indem sie ab und an und vielleicht immer öfter Fleisch von Ihrem Speiseplan streichen. Es ist Ihre ganz persönliche Entscheidung, was Sie essen – eine Entscheidung, die man vor dem Hintergrund des Wissens über die Auswirkungen des Verzehrs tierischer Produkte auf die persönliche Gesundheit, die der Familie und anderer Menschen wie auch des ganzen Planeten treffen sollte.

»Wer den Planeten retten möchte,

muss nur damit aufhören, Fleisch zu essen.«

Paul McCartney

Die Entscheidung, kein Fleisch oder weniger Fleisch zu essen, ist ein einfacher und doch wirksamer Ansatz, um Teil der Lösung von einigen der drängendsten Probleme der heutigen Zeit zu werden. Dabei fächert sich der Vegetarismus in ein Spektrum unterschiedlicher Ernährungsformen auf. Am einen Ende des Spektrums der Ernährungsformen stehen die Omnivoren (Allesesser), also Menschen, die sich sowohl auf der Basis tierischer als auch pflanzlicher Erzeugnisse ernähren. Gehen diese dazu über, eher selten und wenig ausgewähltes Fleisch oder Fisch zu essen, können sie sich als »Flexitarier« (Teilzeit-Vegetarier) bezeichnen. Jene, die kein Fleisch, sondern nur Fisch essen, heißen Pescetarier. Vegetarier, die auf Eier verzichten, nicht aber auf Milchprodukte, nennt man Lakto-Vegetarier, wohingegen Ovo-Vegetarier Eier zulassen, nicht aber Milchprodukte; Ovo-lakto-Vegetarier lassen beide Lebensmittelgruppen in ihrer Ernährung zu. Veganer schließlich, am anderen Ende des Spektrums, meiden sämtliche Lebensmittel tierischen Ursprungs (in der strengen Auslegung einschließlich Honig). Bei einer gesunden vegetarischen oder veganen Ernährung geht es genauso sehr um das, was man isst, als auch um das, was man nicht isst, weshalb sich die Bezeichnung der »vollwertigen pflanzlichen Ernährung« als Umschreibung dieses gesunden Ernährungsansatzes durchgesetzt hat.

Während sich in den USA lediglich 4 bis 5 Prozent der Menschen vegetarisch ernähren, tun dies laut dem Vegetarierbund Deutschland VEBU in Deutschland, Österreich, Italien und Großbritannien aktuell rund 10 Prozent der Bevölkerung; in der Schweiz sind 11 Prozent Vegetarier und 3 Prozent Veganer. Indien liegt mit einem Anteil von rund 40 Prozent Vegetariern an der Gesamtbevölkerung an der Spitze. Laut Planet Wissen soll es weltweit eine Milliarde Vegetarier geben. Und daneben wächst insbesondere auch die Gruppe der Flexitarier stetig. Laut einer Untersuchung des Marktforschungsinstituts TNS aus dem Jahr 2015 essen 56 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen bewusst seltener und weniger Fleisch.

Letztendlich hat jeder durch seine persönliche Entscheidung, was er Tag für Tag auf die Gabel nimmt, die Möglichkeit, die Zukunft der Ernährung und der Welt mitzugestalten. Die 1960er-Jahre lehrten uns, dass »das Private politisch ist« und dass die Art, wie wir leben, Ausdruck dafür ist, wer wir sind. In dem Spruch: »Man ist, was man isst«, ist dies prägnant zusammengefasst. Der folgende allgemeine Überblick (redaktionell bearbeitet und für die deutschsprachigen Länder ergänzt) soll einige wichtige Eckdaten der Geschichte des Vegetarismus aufzeigen anhand einer chronologischen Auflistung einiger bedeutender Vordenker, wichtiger Ereignisse und anderer Meilensteine, die seine Entwicklung maßgeblich beeinflusst haben.

EINIGE WICHTIGE EREIGNISSE IN DER GESCHICHTE DES VEGETARISMUS

Um 3000–2000 v. Chr.  Der Hinduismus, eine der ältesten Religionen der Welt, lehrt, dass der Mensch keinem Tier Leid zufügen soll, was in letzter Konsequenz zur friedlichen und barmherzigen Praxis des Vegetarismus (genannt Sadhana, was so viel bedeutet wie »spirituelle Praxis«) führt.

Um 500 V. Chr.  Der chinesische Weise Laotse (um 604–531 v. Chr.) verfasst das »Daodejing«, den grundlegenden Klassiker des Taoismus, eine der drei wichtigsten Religionen Chinas (neben Buddhismus und Konfuzianismus), zu dessen Grundprinzipien es gehört, keiner anderen Form von Leben Schaden zuzufügen.

»Du sollte deinen von Gott gegebenen Körper nicht zum Töten von Gottes Geschöpfen gebrauchen, seien es Menschen, Tiere oder andere.«

Aus dem hinduistischen »Yajur Veda« (12.32)

»Die Tiere teilen mit uns das Privileg, eine Seele zu haben.«

Pythagoras

Der griechische Philosoph Pythagoras (um 570–495 v. Chr.) begründet und führt eine einflussreiche religiös-philosophische Reformbewegung, zu deren Kernbestandteilen der Vegetarismus gehört. In Ovids »Metamorphosen« heißt es, er sei der Erste gewesen, der den Menschen aufgrund des Verzehrs von Tierfleisch verurteilte, dies weil das Tier als ebenso beseelt betrachtet wurde wie der Mensch. Bis im späten 19. Jahrhundert der Begriff »Vegetarier« geprägt wurde, wurden Menschen, die kein Fleisch verzehrten, oft auch »Pythagoräer« genannt.

»Das Essen von Fleisch zerstört den Samen des Mitgefühls.«

Buddha

» Hütet euch, ihr Sterblichen, euern Leib mit mörderischen Speisen zu entweihen! Gibt es doch Feldfrucht, gibt es doch Obst (…). Verschwenderisch schenkt die Erde ihren Reichtum, friedliche Nahrungsmittel, und bietet Speise ohne Mord und Blut.«

Pythagoras in Ovids »Metamorphosen«, Buch XV

Siddhartha Gautama (um 563–483 v. Chr.) erfährt nach jahrelanger Askese und Meditation das »Erwachen«, wird zum Buddha und begründet den Buddhismus, in dem das Mitgefühl mit allem Lebendigen und das Vermeiden der Erzeugung von Leid und Töten eine zentrale Rolle spielt. Ihm wird folgendes Zitat zugeschrieben: »Alle Lebewesen, seien sie groß oder klein, zwei- oder vierbeinig, ob sie schwimmen oder fliegen – sie alle haben das Recht zu leben. Wir dürfen andere Lebewesen nicht verletzen oder gar töten.« Demzufolge praktizieren Millionen von Anhängern des Buddhismus eine vegetarische Lebensweise.

Prinz Vardhamana (Nigantha Nataputta) oder Mahavira (um 540–510 v. Chr.) begründet den Jainismus, eine der wichtigsten Religionen Indiens, zu deren Grundsätzen es gehört, keine Tiere zu töten und auch Pflanzen möglichst nicht zu schädigen. Vegetarismus ist für ihre Anhänger Pflicht.

4. Jh. v. Chr.  Der griechische Philosoph Platon (429–347 v. Chr.) schreibt in seinem Werk »Politeia« (Der Staat) unter anderem über die Rolle des Vegetarismus. Er lässt darin Sokrates sagen, Fleisch sei ein Luxus, der zu Dekadenz und Krieg führe, weshalb die ideale Stadt vegetarisch sei. Zudem weist er auf die Problematik der für die Tieraufzucht benötigten großen Landflächen hin.

8 n. Chr.  Der römische Dichter Ovid (um 43 v. Chr. bis 17 n. Chr.) schreibt die »Metamorphosen«. Ein Teil davon ist eine Rede Pythagoras, in der dieser den Verzicht auf Fleisch und auf Tieropfer fordert.

Um 100 n. Chr.  Der griechische Philosoph Plutarch (um 46–120 n. Chr.), selbst Vegetarier, schreibt eine Reihe Essays zugunsten einer vegetarischen Lebensweise, darunter »Über das Fleischessen«. Percy Shelley (1792–1822), Dichter der Romantik, der diese im 19. Jahrhundert ins Englische übersetzt, wird daraufhin selbst Vegetarier.

Um 200 n. Chr.  Der griechische Philosoph Porphyrios (233–304), praktizierender Vegetarier, entfacht das Interesse an Platons Philosophie neu.

15. Jh. Leonardo da Vinci (1452–1519), der berühmteste Universalgelehrte aller Zeiten, ist einer der ersten bedeutenden Vegetarier seit der Antike, der sich aus ethischen und humanitären Gründen gegen den Verzehr von Fleisch ausspricht. Es heißt, er habe häufig lebende Vögel, die auf dem Markt in Florenz als Lebensmittel verkauft wurden, gekauft, um sie dann wieder freizulassen.

»Denn welche Art von Essen ist nicht teuer, für die ein lebendes Wesen sein Leben verliert?«

Plutarch

1683  Jakob Böhme (1575–1624) schreibt in »Der Weg zu Gesundheit, langem Leben und Glück«, dass alle menschliche Grausamkeit aufhöre, sobald der Mensch vom Fleischverzehr Abstand nehme. Askese und ein frommes Leben führten schließlich zur Erkenntnis Gottes, wobei das Töten von Tieren eine Barriere zwischen Gott und dem Menschen errichte.

»Die religiöse Ehrfurcht vor dem, was unter uns ist, umfasst natürlich auch die Tierwelt und legt den Menschen die Pflicht auf, die unter ihm entstehenden Geschöpfe zu ehren und zu schonen.«

Johann Wolfgang von Goethe

1699  Der Architekt und Gartenbauer John Evelyn (1620–1706) schreibt »Acetaria. A Discourse of Sallets«, das erste alphabetische Nachschlagewerk über Salatpflanzen, die er nach ihrer Eignung zum Rohessen oder zum Garen unterteilt.

1732  Unter der Führung des Auswanderers Johann Conrad Beissel (1691–1768) gründen deutsche Siedler in Pennsylvania das Ephrata Cloister, eine Klostergemeinde, in der Vegetarismus als Weg zu spirituellen Zielen gelebt wurde. Sie wurde 1813 aufgelöst.

»Ich hege keinen Zweifel darüber, dass es ein Schicksal des Menschengeschlechts ist, im Verlaufe seiner allmählichen Entwicklung das Essen von Tieren hinter sich zu lassen.«

Henry David Thoreau

1801  In London wird der erste Vegetarier-Verein gegründet, dem bald ähnliche Vereinigungen in anderen englischen Städten folgten.

»Wahre menschliche Kultur gibt es erst, wenn nicht nur die Menschenfresserei, sondern jede Art des Fleischgenusses als Kannibalismus gilt.«

Wilhelm Busch

1809  Reverend William Cowherd (1763–1816) gründet als Abspaltung von den Swedenborgianern in der Nähe von Manchester die Bible Christian Church (BCC) und verbreitet die Lehre einer fleischlosen Ernährung. Die BCC wird heute als Vorläufer des modernen Vegetarismus angesehen.

1813  Angeregt durch das Buch »Return to Nature or A Defence of the Vegetable Regimen« seines Freundes John Frank Newton (1766–1837) tritt Percy Shelley (1792–1822) in seinem Essay »A Vindication of Natural Diet« für den Vegetarismus ein und spricht sich gegen die Verschwendung sowohl tierischen Lebens als auch kostbarer Landflächen aus.

1829  Der amerikanische Prediger und frühe Verfechter einer vegetarischen Reformdiät Sylvester Graham (1794–1851) entwickelt das heute noch bekannte Grahambrot aus fein geschrotetemVollkornweizen und die »Graham Cracker« aus Vollkorngetreide. Er propagiert eine vegetarische Kost, vor allem basierend auf frischem Obst, Gemüse und Vollkorn; Fleisch und Gewürze sind tabu.

1842  Der Begriff des »Vegetarismus« erscheint zum ersten Mal in gedruckter Form (in »The Healthian« von Alcott House), um den ausschließlichen Verzehr pflanzlicher Kost zu beschreiben, entsprechend der damals gängigen Bedeutung des englischen Begriffs »vegetable«, das neben Gemüse auch Obst und Getreide einschloss.

1843  Gründungsjahr der Britischen und Ausländischen Gesellschaft für die Förderung der Menschlichkeit und des Verzichts auf Tierprodukte.

»Schon in früher Kindheit empfand ich einen tiefen Widerwillen, wenn ich Tiere zur Schlachtbank geschleppt werden sah und ich legte mir die Frage vor: Hat der Mensch ein Recht, harmlose und nützliche Tiere zu töten und sich von deren Fleische zu nähren?«

Gustav Struve, in »Pflanzenkost«

1847  In England wird die erste Gesellschaft für Vegetarier, die Vegetarian Society, gegründet. Nach nur einem Jahr ist die Zahl der Mitglieder von 150 auf 265 gestiegen. Bis zum Ende des Jahrhunderts hatten sich in vielen anderen Ländern ähnliche Vereinigungen gegründet, darunter USA (1850), Deutschland (1867), Österreich (1878), Frankreich (1879), Schweiz (1880), Neuseeland (1882), Ungarn (1884), Australien (1886), Indien (1889), Irland (1890), Chile (1891), Niederlande (1894), Schweden (1895), Dänemark (1896), Belgien (1897) und Italien (1899).

1859  DerApotheker und Heilpraktiker Theodor Hahn (1824–1883) propagiert die vegetarische Ernährung als die einzig wahre »Naturkost«. Er macht die fleischlose Ernährung in Verbindung mit der »Wasserkur« zur Grundlage der Behandlung seiner Patienten.

»Wenn der moderne Mensch die Tiere, deren er sich als Nahrung bedient, selbst töten müsste, würde die Anzahl der Pflanzenesser ins Ungemessene steigen.«

Christian Morgenstern

1867  Der evangelische Theologe Eduard Baltzer (1814–1887) gründet den ersten Vegetarier-Verein Deutschlands (Verein für natürliche Lebensweise, später umbenannt in Deutscher Verein für natürliche Lebensweise bzw. Deutscher Verein für naturgemäße Lebensweise), der rasch wächst.

»Es ist zweifellos vorteilhafter, Gemüse anzubauen, und daher denke ich, dass Vegetarismus ein löblicher Weg ist, der bestehenden barbarischen Gewohnheit ein Ende zu setzen. Dass wir von pflanzlicher Kost leben und unsere Arbeit sogar noch besser verrichten können, ist keine Theorie, sondern eine gut belegte Tatsache. (…) Angesichts dieser Tatsachen sollte alles unternommen werden, um das schamlose und grausame Schlachten von Tieren zu beenden, das sich auf unsere Moral nur zerstörend auswirken kann.«

Nikola Tesla, »The Problem of Increasing Human Energy«

1869 Gustav Struve (1805–1870) veröffentlicht sein Werk »Pflanzenkost – die Grundlage einer neuen Weltanschauung«, das die vegetarische Bewegung nachhaltig beeinflusst hat. Bereits 1868 hatte er mit Gesinnungsgenossen aus Stuttgart und Umgebung einen vegetarischen Verein gegründet, der noch heute besteht.

1877  Das »Erste Wiener Vegetarier-Speisehaus« öffnet im Zuge aufkommender lebensreformerischer Strömungen seine Pforten für die Anhänger fleischloser Gerichte oder, wie es in der Satzung des Ramharter’schen Speisehauses heißt, »im Zeichen Tierschutzbegeisterter und vom Vegetarismus faszinierter Wagnerianer«. Richard Wagner ist die Ikone der Vegetarier im 19. Jahrhundert. In seiner Schrift »Religion und Kunst« erklärt er den Vegetarismus zum Ernährungskonzept für Intellektuelle und betont, die Menschheit könne durch Verzicht auf Fleischgenuss zu einem höheren moralischen Dasein gelangen, wurde selbst aber nicht Vegetarier.

1882  In Berlin und Leipzig öffnen ebenfalls erste vegetarische Gaststätten.

1883 Howard Williams (1837–1931) schreibt das erste Buch über die Geschichte des Vegetarismus mit dem Titel »The Ethics of Diet«. Es wird über die Jahre Vegetarier von Leo Tolstoi bis Gandhi beeinflussen.

1892  Der überregionale Deutsche Vegetarier-Bund mit Sitz in Leipzig entsteht aus dem Zusammenschluss der beiden wichtigsten Vegetariervereine (1903 zählt er 1300 Mitglieder). Die vegetarische Bewegung hat im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung gewonnen.

1893  Von Anhängern der Lebensreformbewegung wird in Oranienburg bei Berlin die genossenschaftliche Obstbausiedlung Eden gegründet. 1908 entwickelte das Unternehmen Eden den ersten vegetarischen Fleischersatz und die erste pflanzliche Margarine. 1930 folgten »Eden Pflanzenfleisch« und Steinpilzpastete. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lebten fast 1000 Menschen im genossenschaftlich organisierten »Eden«.

1897  Der Schweizer Arzt und Pionier der Vollwertkost Maximilian Bircher-Benner (1867–1939), Erfinder des Birchermüesli, setzt seine vegetarischen Ernährungsrichtlinien in seiner renommierten Privatklinik am Zürichberg um, in der bis 1994 viele prominente Patienten Heilung finden.

»Es gibt in Fleisch oder Fleischprodukten nichts für die Ernährung des Menschen Notwendiges oder Wünschenswertes, was pflanzliche Erzeugnisse nicht auch liefern könnten.«

John Harvey Kellogg, in »The New Dietetics. What to Eat and How«

»Fleischnahrung (…) ist ganz einfach unsittlich, weil sie eine dem sittlichen Gefühl widersprechende Tat, das Morden, erfordert.«

Leo Tolstoi

Spätes 19. Jh.  Der Arzt John Harvey Kellogg (1852–1943) entwickelt Dutzende innovative fleischfreie Speisen (dies zu einer Zeit, als in den USA zu einem typischen Frühstück nicht selten Würstchen und Whiskey gehörten). Am bekanntesten sind seine Cornflakes und andere verzehrfertige Frühstücksflocken, die innerhalb eines Jahrzehnts die morgendliche Mahlzeit revolutionieren. Zu den Patienten in seinem Sanatorium zählen viele Prominente, darunter Thomas Edison, Henry Ford, John D. Rockefeller und Johnny Weissmüller. Kellogg wird in den USA der führende Vertreter des Vegetarismus seiner Zeit, und der Erfolg der W. K. Kellogg Company (geführt durch seinen Bruder Will Keith) ermutigt auch andere Firmen, Frühstückszerealien als Ersatz für fleischhaltige Frühstücksspeisen herzustellen.

»Der Arzt der Zukunft wird keine Medizin verschreiben, sondern seine Patienten darin anleiten, sich eigenverantwortlich um Körper und Ernährung, die Ursachen von Krankheiten sowie die Möglichkeiten zu deren Prävention zu kümmern.«

Thomas Edison, in »Fort Wayne Sentinel«, 31. Dezember 1902

1890  Als proteinreiches Nahrungsmittel und gesunde Eiweißquelle für ältere Patienten, die kein Fleisch kauen können, wird die aus gemahlenen Erdnüssen gewonnene Erdnussbutter eingeführt (von George Bayle erstmals kommerziell vertrieben; 1895 erwirbt John Harvey Kellogg das Patent auf das Verfahren).

1892 Leo Tolstoi (1828–1910) schreibt unter dem Titel »Der erste Schritt« seinen einflussreichen Essay über Vegetarismus. Er ernährte sich vegetarisch und erklärte Fleischnahrung für »unmoralisch, weil sie eine dem Gefühl der Moralität widersprechende Tat – den Mord – erfordert, und weil sie nur von der Feinschmeckerei und Gefräßigkeit verlangt wird«. Schon 1857 hatte er in seinem Tagebuch festgehalten: »Die Armut der Leute und die Leiden der Tiere sind furchtbar.«

1895  In New York wird im Hotel Byron das erste vegetarische Restaurant, Vegetarian Restaurant Number 1, unter der Führung der Vegetarian Society eröffnet. In London gibt es im Jahr 1897 bereits 13 vegetarische Restaurants.

1898  In Zürich eröffnet Ambrosius Hiltl das Vegetarierheim und Abstinenz-Café, das später in Hiltl umbenannt wird. Es gilt als das älteste, seit der Eröffnung bis heute durchgängig betriebene vegetarische Restaurant der Welt, heute mit mehreren Niederlassungen im Raum Zürich, einschließlich einem Laden mit der »ersten vegetarischen Metzgerei der Schweiz«, und ergänzt durch eine Kette weiterer vegetarischer Restaurants unter dem Namen tibits by Hiltl.

1899  Beeinflusst durch die Gedichte und Schriften von Percy Shelley schreibt der Tierschutzaktivist Henry Salt (1851–1939) sein zu einem Klassiker gewordenes Buch »The Logic of Vegetarianism«, das später Gandhi in seinem Engagement für den Vegetarismus bestärken wird. Salt gilt als der erste Schriftsteller, der in seiner Schrift »Animals’ Rights« von 1894 Tierrechte proklamiert, statt nur eine Reform des Tierschutzes zu fordern.

1900  Auf dem Monte Verità in Ascona gründet eine lebensreformerische Künstlerkolonie eine sogenannte »vegetabile Cooperative«, eine Siedlungsgemeinschaft auf zunächst veganer und später vegetarischer Grundlage.

»An erster Stelle steht der ethische Vegetarier, der sich aus moralischen oder philosophischen Gründen weigert, Fleisch zu essen. (…) Dann kommt der religiöse Vegetarier, der aufgrund der Vorschriften seiner Religion kein Fleisch isst. (…) An dritter Stelle steht der Vegetarier aus ästhetischen Gründen, der es lieber vemeidet, das graue, gekochte Fleisch eines toten Tieres zu essen. (…) Der vierte Typ ist der wissenschaftliche Vegetarier, der die Anatomie der Tiere verglichen hat und zu dem Schluss gekommen ist, dass der Mensch von Natur aus ein Pflanzenfresser ist und gar kein Fleisch essen sollte. (…) Und an fünfter Stelle stehen die Vegetarier aus Ernährungsgründen, die einfach deshalb kein Fleisch essen, weil es gesünder ist.«

Symon Gould, zitiert in »The New York Times Magazine«, 1945

1901  In Russland wird der erste Bund der Vegetarier gegründet. Nach der Revolution von 1917 wird der Vegetarismus in der Sowjetunion als illegal erklärt. Vegetarische Restaurants müssen schließen und die Vegetarierbünde werden aufgelöst.

1907 Magnus Schwantje (1877–1959), Pazifist, Tierrechtler und Vorreiter der deutschen Vegetarierbewegung, gründet die Gesellschaft zur Förderung des Tierschutzes und verwandter Bestrebungen, die 1919 ihren Namen in »Bund für radikale Ethik« ändert. In seiner »radikalen Ethik« verbinden sich zum ersten Mal explizit die Themen Tierethik und Vegetarismus.

1908  Die Internationale Vegetarier-Union wird in Dresden ins Leben gerufen mit dem Ziel, die Zusammenarbeit der verschiedenen weltweit entstandenen Zusammenschlüsse von Vegetariern zu fördern und alle zwei oder drei Jahre in einem anderen Land der Erde einen Welt-Vegetarier-Kongress abzuhalten.

1915 Albert Schweitzer (1875–1965), Arzt, Theologe und Philosoph, prägt den Ausdruck »Ehrfurcht vor dem Leben« als Inbegriff seiner lebenslangen Überzeugung, dass auch anderes als das menschliche Leben sowohl im eigenen Denken als auch im Handeln ethisch konsequent zu berücksichtigen ist. Er ging erst kurz vor seinem Tod zur vegetarischen Ernährung über.

»Das große Problem, ob wir Tiere töten und essen dürfen, wird uns langsam bewusst. (…) Meine Ansicht ist, dass wir, die wir für die Schonung der Tiere eintreten, ganz dem Fleischkonsum entsagen und auch gegen ihn reden. So mache ich es selber.«

Albert Schweitzer

1917  Nach dem Eintritt in den Ersten Weltkrieg wird von der US-Lebens-mittelbehörde zu »Meatless Mondays