Verrückt, verliebt, depressiv - Tina Keller - E-Book

Verrückt, verliebt, depressiv E-Book

Tina Keller

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Beschreibung

Benedikt ist fassungslos. Okay, er hat ein bisschen zu viel gear-beitet und einen kleinen Schwächeanfall erlitten – aber das ist nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste. Sein Arzt sieht das allerdings völlig anders: Burnout lautet die niederschmetternde Diagnose, die Benedikt geradewegs dorthin katapultiert, wo er niemals sein wollte: in eine Reha-Klinik im tiefsten Bayern; umzingelt von Losern, die mit ihrem Leben nicht klarkommen. Für Benedikt steht fest: Er wird sich auf keine dieser dubiosen Therapien einlassen und alles verweigern. Er ist schließlich kei-ne lebensunfähige Lusche, sondern ein starker Kerl, den nichts umhaut! Neben allerlei skurrilen Gestalten lernt er auch die bezaubernde Marie kennen, die ein paar Schicksalsschläge zu viel hat einste-cken müssen und zu der Benedikt sich sofort hingezogen fühlt. Doch Marie hat gerade ganz andere Probleme, als sich auf ein amouröses Abenteuer einzulassen – und schon gar nicht mit einem Typen, der eine Depression für Faulheit hält. Doch all die Begegnungen mit den Menschen, die so gnadenlos ehrlich mit sich selbst sind, verändern etwas in Benedikt und rühren in ihm Seiten an, die er vorher gar nicht kannte – und seine Mauer beginnt zu bröckeln …

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 – Benedikt

Kapitel 2 – Benedikt

Kapitel 3 – Marie

Kapitel 4 – Marie

Kapitel 5 – Benedikt

Kapitel 6 – Benedikt

Kapitel 7 – Marie

Kapitel 8 – Marie

Kapitel 9 – Benedikt

Kapitel 10 – Marie

Kapitel 11 – Benedikt

Kapitel 12 – Marie

Kapitel 13 – Benedikt

Kapitel 14 – Marie

Kapitel 15 – Benedikt

Kapitel 16 – Marie

Epilog – Marie

Impressum

Tina Keller

Verrückt

Verliebt

Depressiv

Ein (nicht nur)

humorvoller Liebesroman

Benedikt ist fassungslos. Okay, er hat ein bisschen zu viel gearbeitet und einen kleinen Schwächeanfall erlitten – aber das ist nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste. Sein Arzt sieht das allerdings völlig anders: Burnout lautet die niederschmetternde Diagnose, die Benedikt geradewegs dorthin katapultiert, wo er niemals sein wollte: in eine Reha-Klinik im tiefsten Bayern; umzingelt von Losern, die mit ihrem Leben nicht klarkommen. Für Benedikt steht fest: Er wird sich auf keine dieser dubiosen Therapien einlassen und alles verweigern. Er ist schließlich keine lebensunfähige Lusche, sondern ein starker Kerl, den nichts umhaut! Neben allerlei skurrilen Gestalten lernt er auch die bezaubernde Marie kennen, die ein paar Schicksalsschläge zu viel hat einstecken müssen und zu der Benedikt sich sofort hingezogen fühlt. Doch Marie hat gerade ganz andere Probleme, als sich auf ein amouröses Abenteuer einzulassen – und schon gar nicht mit einem Typen, der eine Depression für Faulheit hält. Doch all die Begegnungen mit den Menschen, die so gnadenlos ehrlich mit sich selbst sind, verändern etwas in Benedikt und rühren in ihm Seiten an, die er vorher gar nicht kannte – und seine Mauer beginnt zu bröckeln …

 

Kapitel 1 – Benedikt

Warum sitze ich in diesem beschissenen Zug auf dem Weg in eine beschissene Psycho-Klinik?

Verärgert blicke ich aus dem Fenster. Wieso habe ich mich von meinem Arzt zu dieser – ich darf diese Worte nicht mal denken! – psychosomatischen Reha überreden lassen? Er hat mich eingelullt mit seinem Gelaber, dass ich völlig überarbeitet sei und mir eine „Kur“ guttun würde und war dabei sehr überzeugend. Ich Trottel habe wirklich geglaubt, er würde mir so etwas wie einen Urlaub verschreiben. Am Ende wollte ich nur, dass er endlich Ruhe gab und habe eingewilligt. Aber von wegen Kur und Urlaub! Stattdessen bin ich jetzt vier Wochen mit irgendwelchen Verrückten eingesperrt!

Ausgerechnet ich, ein höchst erfolgreicher Anwalt! Mein Ziel ist es, Partner in der Kanzlei zu werden, in der ich seit fünf Jahren arbeite. Dafür muss man schon mal was tun. In den letzten Monaten habe ich rund um die Uhr geackert. Nicht ungewöhnlich in meinem Beruf, wenn man vorankommen will. Und das will ich. Das wollte ich schon immer. Ich bin ein Macher, ein Kämpfer, ein Sieger. Und manchmal hat man dann eben eine 60-Stunden-Woche. Vielleicht auch 70 Stunden, je nachdem. Das hat mir nie etwas ausgemacht.

Ich hatte an diesem verdammten Tag zu wenig gegessen und kaum etwas getrunken. Und da bin ich eben umgekippt, mitten in einer Konferenz. Meine Güte, das kann jedem passieren. Ich weiß nicht, warum alle so ein Trara darum gemacht haben. Mein Vorgesetzter hat mich quasi dazu gezwungen, zum Arzt zu gehen. Der hat was davon gefaselt, dass ich völlig überarbeitet sei und mich dringend erholen müsse.

Aber anstatt mir eine Auszeit in der Karibik zu empfehlen, bin ich jetzt auf dem Weg in die Klapsmühle. Fuck, ist das demütigend! Das darf in der Kanzlei niemand erfahren, sonst mache ich mich zum Gespött der Leute.

Wie konnte das nur passieren? Wie, verdammt noch mal, konnte das nur passieren?

„Wollten Sie nicht hier aussteigen?“

Der dicke Schaffner, mit dem ich mich vor ein paar Stunden kurz unterhalten habe, steckt den Kopf in mein Abteil.

„Ich wollte in Bad Krötenbach aussteigen“, antworte ich.

Bad Krötenbach! Wie sich das schon anhört! Warum muss man mich unbedingt ins tiefste Bayern schicken? Als ob es rund um Berlin kein Irrenhaus gäbe! Ganz Berlin ist ein Irrenhaus. Man müsste einfach nur einen Zaun darum bauen.

Der Schaffner nickt.

„Hatte ich das doch richtig in Erinnerung. Das hier ist Bad Krötenbach.“

Ich runzele die Stirn und sehe mich irritiert um.

„Aber hier gibt es keinen Bahnhof“, wende ich ein. „Hier sind nur Felder und ein paar Kühe.“

Gut, ich habe jetzt nicht das Grand Central Terminal in New York mit 67 Gleisen und 44 Bahnsteigen erwartet, aber hier ist wirklich … nichts.

„Das ist schon richtig. Geschwind, raus“, treibt der Schaffner mich an. „Sonst sind Sie gleich in Froschhausen und müssen wieder zurückfahren.“

Tja, da weiß man nicht, was sich bescheuerter anhört – Krötenbach oder Froschhausen. Ob es auch Lurchingen gibt?

Ich schnappe mir meine Tasche und springe aus dem Zug. Meine beiden Koffer habe ich vor einigen Tagen abholen lassen.

Dann stehe ich auf den Gleisen und frage mich, ob der Schaffner mich verarscht hat. Ich bin mitten in der Pampa.

Okay, Bayern, schon klar. Da erwarte ich nichts. Bayern gehört streng genommen nicht mal mehr zu Deutschland. Jedenfalls … Deutsch sprechen die schon mal nicht. Und wie die immer rumlaufen in ihren komischen Dirndln und kurzen Lederhosen …. Im Ausland denkt man dann allen Ernstes, das seien wir Deutschen. Schämen muss man sich als Berliner.

Ich drehe mich um und erblicke eine besorgniserregend dünne Frau mit zwei noch dünneren Zöpfen. Sie schlägt Haken wie ein Kaninchen und tänzelt mitten auf den Gleisen herum. Ist sie lebensmüde? Und soll ich sie jetzt da runterholen? Wobei … wie ich das einschätze, kommt der nächste Zug erst in ein paar Stunden.

„Hei di nei, hei di, hei da, ist das schön hier, hei da, ist das schön hier!“, kreischt die Dürre und lacht wie irre.

Oh Mann. Offenbar bin ich hier doch richtig. Diese Durchgeknallte ist ganz sicher auf dem Weg in die Psycho-Klinik. Oder sie ist dort ausgebrochen, wer weiß das schon. Ob sie gefährlich ist?

Ein riesiger, grobschlächtiger Mann, Typ „verzweifelter Bauer sucht irgendeine Frau, keinerlei Anforderungen“ kommt schwerfällig näher und starrt mich an, als hätte ich zwei Köpfe. Selbstverständlich bin ich tadellos und modisch gekleidet und trage keine Lederhose.

„Ssss…. Sssss….“, macht er mit flackernden Augen und mir läuft ein Schauer über den Rücken. Die beiden sind ja wirklich komplett verrückt.

„Ssss … sss“, zischelt er weiter. „Ssss… Seid’s ihr auch au…. au…. auf dem Weg in die H…. H….H…..“

In die Hölle? Ja, allmählich glaube ich das auch.

„He … he“, ruft die Frau und zieht an ihren Zöpfen. „Helios Klinik! Ja, da will ich auch hin. Hei, das ist fein. Hei, das ist fein.“

Sie springt aufgeregt in die Luft, während der Typ mit dem Kopf wackelt wie diese Hunde, die manchmal auf der Rückbank im Auto sitzen.

Hilfe! Ob in dieser Klinik alle so durchgeknallt sind?

Mir wird mulmig zumute. Was, wenn ich mit so einem Verrückten ein Zimmer teilen muss? Obwohl ich mich vehement dagegen gewehrt habe, kann es sein, dass ich die erste Woche in einem Zweibettzimmer untergebracht sein werde. Wer jetzt noch nicht plemplem ist – nach einer Woche mit so einem Wahnsinnigen ist man es garantiert.

Mein Blick wandert zu dem Hünen. Ein Kerl wie ein Baum, aber er geht gebückt wie ein alter Mann. Naja, der hat sicher auch seine Geschichte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie hören will.

„Ich muss auch in die Helios Klinik“, bringe ich mich ein. „Wir werden doch abgeholt, oder?“

„Ja! Wir werden abgeholt! Abgeholt werden wir! Hey, hey! Hei, ist das fein! Hei, ist das fein!“

Das Repertoire der Zöpfchen-Frau scheint begrenzt zu sein. Ich erfahre, dass sie Heiderose heißt und der Zwei-Meter-Mann Friedbert. Passt irgendwie.

Während Heiderose weiterhin herumhüpft wie ein Flummiball und mit ihrer DigiCam unter großem Geschrei alles fotografiert, was ihr vor die Linse kommt, halte ich Ausschau nach dem Wagen, der uns abholen soll. Ich entdecke ihn neben einem Wirtshaus, unverkennbar mit dem Schriftzug Helios Klinik. Da zwitschert der Fahrer wohl erst noch einen, bevor er uns angeheitert in die Klinik schaukelt.

„Das gibt’s ja wohl nicht“, empöre ich mich. „Wir stehen uns hier die Beine in den Bauch, während sich unser Chauffeur die Kante gibt. Dem werde ich was erzählen!“

Friedbert sieht mich erschrocken an.

„A… aber das k… k… kannst du d… d… doch nicht ma… ma… machen“, bringt er mühsam hervor.

Auch Heiderose reißt ihre großen blauen Augen auf und sieht aus, als hätte ich gerade verkündet, ich wolle den Fahrer erschießen.

„Das kannst du doch nicht machen“, wiederholt sie einwandfrei Friedberts Worte. „Dann ist der sauer auf uns und lässt uns hier stehen und wir müssen laufen. Mit all unserem Gepäck. Das ist viel zu weit. Lass das bloß.“

„Quatsch“, sage ich barsch. „Der wird dafür bezahlt, dass er uns hinbringt. Das ist sein Job.“

„Aber wenn er böse auf uns ist, rächt er sich bestimmt an uns“, sagt Heiderose weinerlich wie ein kleines Kind. „Wer weiß, was er uns dann antut.“

Ich starre sie an. Was hat die denn für wüste Fantasien? Entschlossen nehme ich Kurs auf das Wirtshaus und schreite in die gute Stube. Es sitzt nur ein einziger Gast am Tresen und ich gehe siegesbewusst auf ihn zu.

„Guten Tag, sind Sie der Fahrer der Helios Klinik?“, erkundige ich mich.

Überrascht blickt der Typ auf und nickt.

„Wir sind die neuen Gäste. Zwei andere Passagiere sind noch draußen“, informiere ich ihn.

Der Fahrer winkt dem Kellner unbeeindruckt zu.

„Machst du mir noch einen Klaren?“, ruft er.

Also echt, was ist denn das für ein Service? Er wusste garantiert, wann der Zug eintraf. Und dann muss er sich erst noch volllaufen lassen? Das geht ja wohl gar nicht! Außerdem sind wir schwer krank und man reizt uns besser nicht. Psychisch Kranke können schon mal austicken, besonders der Bär da draußen.

„Jo, i kum glei“, wendet er sich an mich.

Hallo? Er will jetzt ernsthaft noch seinen Klaren trinken und uns noch länger warten lassen?

„Ich würde vorschlagen, dass Sie jetzt kommen. Sofort. Wir haben eine weite, anstrengende Reise hinter uns“, informiere ich den faulen Fahrer. Aber mit ein paar Irren kann man es ja machen.

„Wir möchten so schnell wie möglich in die Klinik, sonst können wir sehr unangenehm werden“, erkläre ich genervt.

Wenn man schon als verrückt gilt, kann man sich auch so verhalten, oder?

Der Fahrer glotzt mich ungläubig an, trinkt dann sein Bier in einem Zug aus und stapft endlich nach draußen.

„Hei die nei, ich bin die Heiderose“, macht sich Heiderose bekannt, während Friedbert minutenlang seinen Namen stottert. Dann werden die drei neuen Gäste eingesackt und in die Psycho-Anstalt gekarrt.

Während der Fahrt singt Heiderose unaufhörlich und macht aus dem Auto heraus tausend verwackelte und unbrauchbare Fotos, während Friedbert vergeblich versucht, einen Satz zu bilden.

Mir wird schlecht. Ich habe von Anfang an gewusst, dass ich hier falsch bin. Meine beiden Mitfahrer sind ja total neben der Spur! Bei mir ist das natürlich völlig anders. Ich bin nur ein bisschen überarbeitet. Ich habe mit diesen beiden Freaks nichts, aber auch gar nichts gemeinsam. Ob man wegen guter Führung vorzeitig entlassen werden kann?

Nach einer halben Stunde haben wir unser Ziel erreicht. Die Klinik sieht von außen aus wie ein Hotel der gehobenen Klasse und ich atme erleichtert auf. Es hätte mir gerade noch gefehlt, dass ich vier Wochen in einem Krankenhaus mit diesem typisch widerwärtigen Geruch verbringen muss. Es ist auch so schon schlimm genug. Wie konnte ich diesem Verräter von Arzt nur seine blödsinnige Kur abnehmen!

Forsch nehme ich Kurs auf die Rezeption, doch wir sind nicht die einzigen Ankömmlinge. Überall hängen müde, ängstliche, verweinte Gestalten herum und trotz der Hitze fröstelt mich. Ich als vitaler, durchtrainierter, erfolgreicher – ach, ich könnte Hunderte von Eigenschaften aufzählen! – Anwalt passe überhaupt nicht hierher. Ich bin hier sowas von falsch, sieht das denn keiner?

Es nervt mich total, dass ich jetzt auch noch warten muss. Geduld war noch nie meine Stärke. Ziemlich angepisst nehme ich auf den rot gepolsterten Sesseln des Wartebereichs Platz und beobachte die Menschen, die durch die große Halle laufen. Sie unterhalten sich, lachen vergnügt und scheinen sich hier wie zu Hause zu fühlen. Eigentlich sehen sie ganz normal aus. Aber was sollen sie auch schon groß machen, das sie als Verrückte charakterisiert? Was hinter ihrer Stirn vorgeht, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Aber davon werde ich wahrscheinlich mehr mitkriegen, als mir lieb ist.

Ich zucke zusammen, als ich einen stark geschminkten Typen in Frauenklamotten erblicke, der eine lange, feuerrote Perücke trägt. So etwas gibt es hier also auch. Bilde ich mir das nur ein oder zwinkert er mir tatsächlich zu? Das hat mir gerade noch gefehlt, dass ein Transvestit mit mir flirtet. Oder ein Transsexueller. Ich habe den Unterschied nie so richtig verstanden.

Endlich ist es so weit und ich werde aufgerufen. Das wurde auch mal Zeit! Denken die eigentlich, ich habe nichts Besseres mit meiner Zeit anzufangen, als blöde hier rumzusitzen und zu warten?

Ich halte inne, als mir klar wird, dass es in den nächsten Wochen tatsächlich nicht in meinem Ermessen liegt, wie ich meine Zeit gestalten werde. Das werden andere für mich übernehmen. Schon ein bisschen beängstigend.

„Herzlich willkommen, lieber Benedikt. Ich hoffe, du wirst dich bei uns wohlfühlen. Ich bin die Monika“, begrüßt mich eine Frau mittleren Alters hinter der hölzernen Theke und lächelt mich an.

Das Credo der Klinik lautet, dass niemand aufgrund seines Berufs oder seiner Stellung über einem anderen steht. Darum duzen sich alle, von der Putzfrau bis zum Oberarzt. Daran muss man sich auch erstmal gewöhnen.

Ich erwidere vorsichtshalber nichts, denn ich glaube kaum, dass ich mich hier wohlfühlen werde. Ich werde mich erst dann wieder wohlfühlen, wenn ich dieses Etablissement verlassen habe.

„Ich nehme jetzt deine Daten auf und gebe dir dann die Karte zu deinem Zimmer. Du bist im Neubau untergebracht“, informiert Monika mich.

Ich habe mich vorher selbstverständlich erkundigt. Es gibt einen Altbau, der aus den 60er Jahren stammt und große Zimmer mit hohen Decken hat. Die meisten Leute sind ganz erpicht darauf, in diesem Altbau untergebracht zu werden, weil er viel gemütlicher ist. Da der Platz für die vielen Verrückten wohl nicht gereicht hat, wurde in den Neunzigern noch ein Neubau errichtet. Die Zimmer dort sind wesentlich kleiner und haben keine hohen Decken. Also habe ich mal wieder die Arschkarte gezogen. Ich seufze unwillig auf.

„Auch das noch“, meckere ich. „Habe ich denn wenigstens ein Einzelzimmer?“

Das gibt es auch nur im Neubau: Wenn man eine noch größere Arschkarte gezogen hat, muss man sich das Zimmer mit einem anderen Insassen teilen. Das hätte mir gerade noch gefehlt.

Monika tippt etwas in ihren Computer ein und schüttelt dann bedauernd den Kopf.

„Die ersten Tage hast du kein Einzelzimmer“, verkündet sie die frohe Botschaft. „Das heißt, du hast schon ein eigenes Zimmer, aber du teilst dir mit … warte mal … du teilst dir mit dem Friedbert das Bad. Den kennst du ja schon, gell? Ihr seid doch zusammen vom Bahnhof hierher gekommen.“

Ich schließe vor lauter Entsetzen die Augen. Auch das noch! Mir bleibt echt nichts erspart. Ausgerechnet Friedbert! Nach ein paar Tagen mit diesem Bauern werde ich genauso schlimm stottern wie er. Dann kann ich meinen Beruf aber an den Nagel hängen.

„Kann man das nicht ändern?“, frage ich und senke meine Stimme. „Ich würde mich auch … nun ja … erkenntlich zeigen. Es wäre mir wirklich sehr wichtig, dass ich ein Zimmer mit eigenem Bad habe. Das würde ich mir auch etwas kosten lassen.“

Monika lächelt mich freundlich an.

„So schlimm ist das nicht, lieber Benedikt. Manchmal ist es schön, wenn man am Anfang nicht allein ist“, ignoriert sie meinen Bestechungsversuch.

Ich knirsche mit den Zähnen. Ich will aber allein sein. Ich will mein Bad nicht teilen.

Ich hasse es hier jetzt schon.

Nachdem Monika meine Personalien aufgenommen hat, händigt sie mir diverse Formulare aus und schickt mich mit der Info, dass demnächst ein Arzt auftauchen wird, zurück in den Wartebereich. Jetzt muss ich schon wieder warten. Meine Geduld wird hier extrem auf die Probe gestellt.

„Hey, bist du neu hier?“, vernehme ich eine rauchige Stimme und drehe mich um.

Vor mir steht diese Transe, die mir eben zugezwinkert hat. Jetzt bin ich mir ganz sicher, dass ich mir das nicht eingebildet habe.

„Sieht so aus“, erwidere ich.

Ich habe noch nie etwas mit Transvestiten oder Transsexuellen zu tun gehabt. Und eigentlich will ich das auch nicht ändern. Ich meine, wie kommt man überhaupt auf die Idee, sich zu fragen, ob man ein Mann oder eine Frau sein will? Man ist eben das, was man ist. Punkt. Allein, sich darüber Gedanken zu machen, finde ich schon abartig. Warum muss man sein Geschlecht in Frage stellen? Man kann doch heutzutage machen und sein, was man will – egal, ob man ein Mann oder eine Frau ist. Darum muss man sich doch nicht sein Geschlechtsteil abschneiden lassen.

„Ich bin Doro“, stellt sich der Mann in Frauenklamotten vor und streckt mir seine Hand entgegen, die ich zögernd ergreife.

„Und wie heißt du?“

„Benedikt“, gebe ich Auskunft und starre auf die behaarten, kräftigen Arme – und dann auf die knallrot lackierten Fingernägel. Passt nicht so ganz zusammen und wirkt ziemlich skurril.

„Warum bist du hier?“, erkundigt Doro sich unbekümmert.

Ich zucke mit den Achseln.

„Das wüsste ich selbst gern“, seufze ich. „Eigentlich bin ich hier völlig fehl am Platze.“

„Oh, das wirst du schon noch herausfinden“, ist Doro zuversichtlich und lächelt mich gewinnend an. „Man bekommt hier ziemlich schnell wichtige Erkenntnisse.“

„Hm“, brumme ich.

Doro klimpert mit den langen, falschen Wimpern.

„Du bist ein sehr attraktiver Mann, Benedikt. Darf ich dich etwas fragen?“

Mir wird ein bisschen mulmig zumute. Was will diese Transe von mir?

„Nur zu“, ermuntere ich den Typen.

„Findest du mich hübsch?“, will „Doro“ wissen. „Könntest du dir vorstellen, dass du dich für mich interessieren würdest? Ich meine, für mich als Frau?“

Ich starre den Kerl, der sich Doro nennt, perplex an. Ist das jetzt ein Witz?

„Also, ich will dich jetzt echt nicht verletzen“, beginne ich meine Ansprache. „Aber wenn ich ehrlich sein soll – nein. Du siehst für mich überhaupt nicht aus wie eine Frau, sondern wie ein verkleideter Mann. Und da ich nicht schwul bin, könnte ich mich niemals zu dir hingezogen fühlen.“

Der schlecht geschminkte Transvestit reißt seine großen, dunklen Augen weit auf, die sich sofort mit dicken Tränen füllen.

„Tut mir leid, aber man sieht auf zehn Kilometern Entfernung, dass du ein Mann bist“, sage ich wenig mitfühlend. „Das Outfit kannst du höchstens im Karneval anziehen.“

Doro beginnt haltlos zu schluchzen. Also ehrlich, hat der Typ mal in den Spiegel geguckt?

„Was hast du mit ihr gemacht?“

Ein junges Mädchen mit schneeweißen Haaren kommt auf uns zugeschossen und funkelt mich giftig an.

„Er … ha… hat gesagt, ich se… sehe aus wie ein verkleideter Mann und wäre überhaupt nicht hübsch“, schluchzt Doro. „Und dass man so… sofort sieht, da… dass ich ein Ma… Mann wäre. Ich sähe aus wie im Ka… Karneval.“

Jetzt hört er sich fast genauso an wie Friedbert.

„Sag mal, spinnst du?“, schreit das weißhaarige Mädchen los. „Wie kannst du nur so etwas Gemeines zu Doro sagen? Hast du denn überhaupt kein Mitgefühl?“

„Was heißt Mitgefühl?“, erwidere ich herzlos. „Er hat mich nach meiner Meinung gefragt und ich habe sie ihm gesagt. Soll ich lügen und sagen, er sähe aus wie eine Frau und ich würde bei seinem Anblick sofort auf die Knie gehen? Wenn er mit der Wahrheit nicht klarkommt, soll er eben nicht fragen.“

„Ich bin kein ‚Er‘“, kreischt Doro wie von Sinnen los. „Ich bin eine ‚Sie‘! Sie, sie, sie, sie! Ich bin kein Mann! Ich bin eine Frau! Hörst du? Eine Frau!“

Ich habe ja gewusst, dass hier alle verrückt sind, aber dass es so schlimm ist, hätte ich nicht gedacht. Ich bin in einem Irrenhaus gelandet.

„Schon gut, Doro, wir lassen diesen Grobian jetzt allein“, bestimmt die Weißhaarige und legt den Arm um die Schulter des Mannes, der sich Doro nennt.

„Komm mit, wir gehen ganz weit weg. Vielleicht hören wir etwas meditative Musik, damit du dich beruhigst? Oder wir malen ein Mandala? Du kannst deinen Frust auch laut aus dir herausschreien und dabei auf den Boxsack einschlagen. Das hat dir beim letzten Mal sehr geholfen.“

Ich rolle mit den Augen. Wie ich befürchtet habe: Hier sind nur Wahnsinnige. Ich glaube, das werden ganz fürchterliche Wochen für mich werden. Ich werde versuchen, möglichst viel allein zu sein und mich selbstverständlich keiner dieser dubiosen Therapien unterziehen. Ich mache einfach mein Ding und werde alles ignorieren, was mir angeboten wird.

Sonst werde ich am Ende noch selbst meschugge.

Kapitel 2 – Benedikt

Am besten, ich gucke niemanden an und sage kein einziges Wort. Man soll doch immer ehrlich sein, gerade in einer psychosomatischen Klinik, oder? Was wollen die Leute eigentlich von mir? Soll ich ernsthaft behaupten, ein hässlicher Mann in Frauenkleidern würde anziehend auf mich wirken? Nein, das mache ich nicht. Wenn ich das tue, werde ich den Typen nie wieder los.

Ich wische mir über die Stirn. Ob es außer mir noch normale Menschen hier gibt? Oder sind hier alle verrückt?

Als mir ein junger Typ in ausgewaschenen, zerrissenen Jeans entgegenkommt, halte ich ihn für einen Praktikanten, der mir den Blutdruck messen soll. Er sieht aus, als sei er gerade aus dem Bett gekrabbelt. Seine dunklen Haare stehen wirr nach allen Seiten ab und er hat sich die letzten Tage offenbar nicht rasiert. Missbilligend sehe ich ihn an. Warum sagt ihm eigentlich keiner, dass er sich vernünftig anziehen und ein Mindestmaß an Pflege betreiben soll? Das kann man auch von einem Praktikanten erwarten.

„Hi, ich bin Peter, der Stationsarzt“, stellt sich der Typ vor.

Ich zucke zusammen. Wie bitte? Dieser schräge Typ ist der Stationsarzt? Jetzt wundert mich allerdings gar nichts mehr.

„Du bist Friedbert, richtig?“, fragt er mich allen Ernstes.

Gekränkt blicke ich ihn an. Wie kann er mich mit diesem Bauern verwechseln? Das ist aber keine gute Vorbereitung!

„Nein, ich bin Heiderose“, wage ich einen Scherz.

Peter beginnt aus vollem Hals zu lachen, während mir siedend heiß einfällt, dass ich solche Witze in einer Psycho-Klinik besser unterlassen sollte. Am Ende bescheinigt man mir noch eine ausgeprägte Schizophrenie oder Persönlichkeitsspaltung. Wer weiß, was diesen Freaks hier einfällt. Ich komme als erfolgreicher Anwalt hierher und verlasse die Klinik als arbeitsunfähiges Wrack. Ich muss echt aufpassen, was ich von mir gebe.

„Humor ist eine gute Ressource bei einem Burnout“, doziert Peter. „Gut, dass du ihn dir bewahrt hast.“

„Ich habe kein Burnout“, stelle ich klar. „Ich bin nur versehentlich hier gelandet.“

Peter nickt verständnisvoll.

„Ich verstehe, dass es dir schwerfällt, deine Diagnose zu akzeptieren“, sagt er freundlich. „Das geht vielen am Anfang so. Mach dir keine Sorgen darüber. Es kommt alles wieder ins Lot.“

Ich mache mir höchstens Sorgen, dass ich nach den vier Wochen tatsächlich eine psychische Krankheit habe. Wenn man es den Leuten nur lange genug einredet, glauben sie am Ende wirklich, sie wären irre. Ich muss mich unbedingt allem widersetzen, was diese Psycho-Doktoren mit mir machen wollen.

„Na, dann komm mal mit“, fordert Peter mich auf und ich folge ihm unauffällig. Wir laufen durch endlose Gänge, bis er endlich vor einer Tür stehen bleibt, die er öffnet.

Argwöhnisch sehe ich ihm dabei zu, wie er meinen Blutdruck misst, der wie erwartet die besten Werte hat. Dann stellt er mich auf die Waage. Ich bin immer noch 1,85 Meter groß und 80 Kilo schwer und habe kein Gramm Fett am Leib. Schließlich trainiere ich mindestens drei Mal in der Woche. Körperlich bin ich in bester Verfassung – und mental auch, obwohl das hier niemand glauben will.

Peter setzt sich auf einen Stuhl und legt zwanglos die Beine auf den Tisch.

„So, das war’s erst mal“, verkündet er gutgelaunt. „Deine Werte sind in Ordnung. Du bist für heute entlassen.“

Was ist los? Das ist ja wohl nicht sein Ernst, oder?

„Wie bitte? Ich kann gehen? Und dafür bin ich mitten in der Nacht aufgestanden?“, brause ich auf. „Die Klinik hat darauf bestanden, dass ich um 6 Uhr losfahre, damit ich um 14 Uhr hier bin. Als Grund gab man an, dass umfangreiche Untersuchungen durchgeführt werden sollten. War das jetzt die umfangreiche Untersuchung?“

Peter strahlt mich an und lässt sich von meinem barschen Ton nicht beeindrucken. Okay, er sitzt an der Quelle. Er kann jeden Tag so viele stimmungsaufhellende Medikamente einwerfen, wie er will. Und aufsässige Kommentare ist er von den Patienten, die hier Gäste genannt werden, sicher gewohnt.

„Ja, wir sind fertig“, erklärt er beschwingt. „Der Rest folgt morgen. Die gründliche Untersuchung macht Mascha. Das ist die Ärztin, die für dich zuständig ist. Bei dir steht heute noch Sightseeing auf dem Programm. Das bedeutet, dass dein Pate oder deine Patin dich in der Klinik herumführen wird.“

„Wer wird mich herumführen?“, frage ich perplex. „Was für ein Pate?“

„Dein Pate oder deine Patin ist jemand, der oder die schon länger hier ist und der oder die sich bereit erklärt hat, dich unter seine oder ihre Fittiche zu nehmen“, erklärt Peter mit leuchtenden Augen.

„Du kannst deinen Paten oder deine Patin immer ansprechen, wenn du Fragen oder Sorgen hast. Dein Pate oder deine Patin wird sich um dich kümmern und dir oder dich … ach nein, das war jetzt falsch … ähm … was habe ich gerade gesagt? Also, er oder sie wird dir in der ersten Zeit zur Seite stehen. So hast du immer einen Ansprechpartner oder eine Ansprechpartnerin oder Ansprechpartnerinnen … äh … dingsda.“

„Hm“, brumme ich unschlüssig und weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. Von dem dämlichen Gendern halte ich schon mal nichts.

„Alles Gute und einen schönen Aufenthalt oder eine schöne Aufenthaltin“, wünscht Peter mir und drückt mir mit seinem Zahnpasta-Lächeln kräftig die Hand. Dann hält er inne und schüttelt den Kopf.

„Quatsch“, resümiert er. „Dieses Gendern macht mich wahnsinnig. Gestern habe ich zu meiner Frau gesagt, sie soll mir die Salzstreuerin reichen. Es ist nicht immer einfach, politisch korrekt zu sein.“

„Dann lass es doch“, empfehle ich ihm und grinse.

Hier sind offenbar nicht nur die „Gäste“ plemplem.

Ich verlasse Peters Zimmer und wandere durch die langen Flure. Die Klinik wirkt immer noch wie ein schönes Hotel. Vielleicht kann ich mir einfach einbilden, ich hätte Urlaub? Ja, genau das werde ich tun. Ich werde Sport treiben, schwimmen, durch den Wald spazieren, mich ausruhen, essen, lesen und mich ansonsten von allem fernhalten, was nach Therapie aussieht.

Vor einer Art schwarzem Brett bleibe ich stehen. Das Urlaubsfeeling ist schlagartig dahin. Geschockt beginne ich zu lesen.

Stationsgruppe

Fokusgruppe

Abschiedsgruppe

Gemeinschaftstherapiegruppe

Vollversammlungsgruppe

Stabilisierungsgruppe

Frauengruppe

Männergruppe

Aktivgruppe

Aktivierungsgruppe

Spirituelle Gruppe

Mir schwirrt der Kopf. So viele Gruppen? Muss ich an allen teilnehmen? Und wo ist die „Ich-gehöre-gar-nicht-hierher“-Gruppe?

Des Weiteren ist im Angebot:

Mandala malen

Kunsttherapie

Bonding

Dynamische Meditation

Wandern

Klinische Sozialarbeit

Schwimmen

Aqua Fitness

Nordic Walking

Meditation

Rückengymnastik

Physiotherapie

Singen

Tanzen

Körperbewusstsein

Bogenschießen

Tennis

Tischtennis

Hochseilgarten

Gymnastik

Yoga

und und und ….

Ich erstarre. Urlaub? Mitnichten. Das ist anstrengender als mein Job! Wie soll ich es schaffen, von einer Gruppe zur nächsten zu springen und nebenbei zu malen, zu singen und zu tanzen?

„Mach dir keine Sorgen, das sieht nur am Anfang so verwirrend aus“, vernehme ich eine Stimme neben mir.

Ich drehe meinen rauchenden Kopf nach rechts und erblicke einen dünnen Mann mit einem Zopf in einem langen weißen Kleid. Er sieht aus wie Jesus.

Vielleicht der Oberarzt?

„Da kommst du ganz schnell rein, Bro. Das meiste ist freiwillig. Es ist toll hier. Du wirst dich wohl fühlen. Salem Aleikum.“

Jesus schwebt davon. Ich blicke ihm nach. Bin ich bei den Erleuchteten gelandet und kehre nach drei Wochen in einem Talar nach Berlin zurück und verkaufe dann am Ku’damm Der Wachturm?

Ich schreite durch eine Glastür und erblicke an einer Wand mindestens hundert Postfächer. Eins davon ist sicher für mich bestimmt, aber ich wüsste nicht, wer mir schreiben sollte. Natürlich habe ich niemandem erzählt, wo ich mich aufhalte. Ich würde mich in Grund und Boden schämen.

Auf der anderen Seite befindet sich der Aufzug, aber den brauche ich nicht. Da ich im zweiten Stock untergebracht bin, nehme ich natürlich die Treppe.

Ich beobachte ein junges Mädchen in einem langen, grünen Kleid, das vor der Aufzugtür steht, die sich gerade öffnet. Der Aufzug ist leer, doch das Mädchen steigt nicht ein. Als sich die Tür zum zweiten Mal öffnet, bleibt das Mädchen wieder stehen. Das passiert auch beim dritten und vierten Mal. Leidet sie unter Klaustrophobie?

Hilfsbereit schreite ich auf sie zu und tippe ihr auf die Schulter.

„Hast du ein Problem mit Aufzugfahren?“, erkundige ich mich. „Würde es dir weiterhelfen, wenn ich dich begleite?“

Das Mädchen sieht mich aus leeren Augen an.

„Die 13“, sagt sie unruhig. „Ich kann erst einsteigen, wenn sich die Tür zum 13. Mal öffnet. Die 13 ist meine Zahl. Vorher geht es nicht.“

„Wieso?“, frage ich perplex.

Ehrlich, was ist denn das für ein Quatsch?

„Es ist einfach so“, erklärt das Mädchen nervös. „Ich kann alles nur beim 13. Mal tun. Wenn ich Fernsehen gucken will, muss ich den Fernseher 13 mal ein- und ausschalten. Wenn ich etwas essen will, muss ich mir das Essen 13 mal auffüllen und wieder runternehmen. Alles geht nur bei der 13. Die 13 ist meine Zahl.“

Verrückt. Einfach verrückt. Einer ist hier verrückter als der andere.

„Es wäre einfacher, wenn du dir die Zwei ausgesucht hättest“, entgegne ich lapidar. „Kannst du das nicht ändern?“

Das Mädchen schaut mich an, als hätte ich ihr vorgeschlagen, statt der 13 die Tausend auszuwählen. Das wäre mal wirklich lustig zu beobachten.

„Ändern? Wie meinst du das?“, fragt sie gedehnt. „Ich kann das nicht einfach ändern. Wie stellst du dir das vor?“

„Naja, die 13 hast du dir doch auch ausgesucht“, antworte ich. „Du könntest dir eine komfortablere Zahl aussuchen, oder etwa nicht?“

Das Mädchen starrt mich ungläubig an.

„Jetzt habe ich vergessen zu zählen!“, jammert sie. „Du bist schuld! Du hast mich abgelenkt! Geh endlich weg! Bei welcher Zahl war ich denn jetzt?“

„Fünf“, tippe ich. „Nimm doch einfach die 5. Oder zwölf, dann kannst du gleich einsteigen.“

„Das kann ich eben nicht!“, kreischt das Mädchen los. „Ich kann doch nicht einfach irgendeine Zahl nehmen! Jetzt muss ich wieder ganz von vorne anfangen! Du hast mich völlig durcheinander gebracht.“

Ich scheine hier nur Unruhe zu stiften. Erst bringe ich einen Transsexuellen durcheinander und jetzt dieses Mädchen. Vielleicht sollte ich auf mein Zimmer gehen und es bis zu meiner Abreise nicht mehr verlassen.

Ich laufe die Treppe hoch und schüttele den Kopf. Wie soll man als normaler Mensch mit Leuten umgehen, die ganz offensichtlich eine Schraube locker haben? Hätte ich mit dem Mädchen vor dem Aufzug stehen bleiben und bis 13 zählen sollen oder was? Darf man diesen Leuten nicht sagen, dass sie sich merkwürdig verhalten? Muss man so tun, als sei das normal? Sorry, aber es ist nun mal nicht normal. Es ist absolut bescheuert. Und ich sehe überhaupt nicht ein, warum ich mit meiner Meinung hinterm Berg halten soll. Ich werde sagen, was ich denke – ganz egal, ob die Leute hier ausflippen. Auf keinen Fall werde ich mir den Mund verbieten lassen.

Mein Zimmer ist das zweitletzte auf der rechten Seite. Zu meiner Überraschung hängt an der Tür ein selbstgemaltes Plakat mit einer lächelnden Sonne und einer Berglandschaft. Darauf steht:

Herzlich willkommen, lieber Benedikt. Schön, dass du hier bist.Ich wünsche dir eine schöne Zeit mit vielen neuen Erkenntnissen auf dem Weg zu dir selbst.

Wer hat das denn für mich gemalt? Mein Pate oder meine Patin?

Ich stecke meine Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz und die Tür springt auf. Neugierig betrete ich das Zimmer. Als erstes erblicke ich einen riesigen Schrank und einen noch riesigeren Tisch. Wozu soll das denn gut sein? Den Platz hätten sie mal lieber in ein vernünftiges Bett investieren sollen, denn dieses hier ist erschreckend schmal. Ich vermute, man soll sich nicht zu zweit darin vergnügen – und das ist auch wirklich nicht möglich. Wenn ich mich auf dieser Pritsche umdrehe, lande ich garantiert auf dem Fußboden. Wehmütig denke ich an mein zwei Meter breites Boxspringbett.

Ein Stuhl, ein Nachttisch – das war‘s. Die Farben sind ein niederschmetterndes Braun und ein langweiliges Beige. Da hat der Innenarchitekt aber wirklich nicht nachgedacht. Sollte man bei depressiven Menschen nicht lieber fröhliche Farben wählen? Dieses Farbenspiel finde selbst ich deprimierend.

Ich seufze auf. Nein, das Steigenberger ist das hier nicht, eher Modell Jugendherberge. Von Luxus keine Spur. Aber ich bin schließlich nicht in einer kostspieligen Privatklinik, sondern in einer Klinik, die von der Krankenkasse bezahlt wird. Was soll man da schon erwarten?

Ich stelle meine Tasche auf den Nachttisch und sehe mich um. Es gibt keinen Fernseher und wenn ich das richtig verstanden habe, müssen wir unser Handy abgeben und dürfen auch nicht ins Internet. Wir sind komplett von der Außenwelt abgeschnitten, damit wir nicht abgelenkt werden, sondern uns mit uns selbst auseinandersetzen.

---ENDE DER LESEPROBE---