Vom Blut des Adonis und den Wurzeln der Anemone - Simone Karlhuber - E-Book

Vom Blut des Adonis und den Wurzeln der Anemone E-Book

Simone Karlhuber

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Beschreibung

Kommt das Wort "Anemone" aus dem Griechischen oder aus den semitischen Sprachen? Und was hat Adonis, Aphrodites jugendlicher Liebhaber, damit zu tun? Die Untersuchung dieser Fragen führt bis zur ältesten uns bekannten Religion, der der Sumerer, zurück. Sie führt auch in den Libanon, zu den Ausgrabungen von Byblos, zur Afqa-Grotte und zu einem Fluss, dessen Wasser alljährlich vom Blut des Adonis rot gefärbt wird. Die Lektüre bietet vor allem sprach- und religionsgeschichtlich interessierten Leserinnen und Lesern spannende Details. Für leichtere Lesbarkeit liegt jedes Kapitel zusätzlich in einer "Light"-Fassung ohne wissenschaftlichen Apparat vor.

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Simone Karlhuber, geb. 1950, hat in Salzburg Latein und Französisch studiert und einige Jahrzehnte lang in Linz unterrichtet. Daneben hat sie dem Erwerb anderer Sprachen viel Zeit gewidmet und beschäftigt sich heute vor allem mit dem Arabischen. Der Etymologie, der Lehre von der Herkunft und Geschichte der Wörter, gilt seit jeher ihr besonderes Interesse.

Inhalt

Vorwort: Ein Valentinstag und seine Folgen

Der Adonismythos und seine Varianten: Den Durchblick haben nur die Götter!

Ō ton Adōnin! - Der Adoniskult

Die Kultorte des Adonis – fast eine Globalisierung

Byblos, die Heilige Stadt des Adonis

Afqa - „der Lebensquell und das Geheimnis des Libanon“

Wer war Adonis? Und wer die Frau, die ihn liebte?

Adonis: Korngott, Phallus, Schwein, Stern oder einfach nur schön?

Er hat es seit Jahrtausenden, „dieses Stirb und werde!“ Die Adonisrezeption

Mythos und moderner Mensch – ein Widerspruch?

Der Ausdruck „šaqā‘iqa n-nu‘mān“ und seine mögliche Entwicklung

Geschickt verschleierte Entlehnungen: Die Beziehung zwischen Altgriechisch und den semitischen Sprachen

„Anemone“: Griechischer Wind oder semitisches Blut? - Ein alter Gelehrtenstreit

Anemone – Die Blume: Kleiner Erholungsausflug in die Botanik

Bibliografie

Anhang:

Historische Karte von Vorderasien im 3. und 2. Jt. v. Chr.

Byblos (Ausgrabungsstätte)

Überblickstafel Semitische Sprachen

Je devais le faire pour que de cette quête, aussi vaine fût-elle, il reste une trace.

Vorwort: Ein Valentinstag und seine Folgen

Alles begann am 14. Februar 2005 – leicht zu merken, denn es war der Valentinstag und es ging um eine Blume. Beim Arabischlernen suchte ich die Übersetzung für „Anemone“ und stieß auf ein Wort, dessen Aussprache an das deutsche Wort erinnerte. Sofort schlug ich im etymologischen Wörterbuch nach und stellte fest, dass die Herkunft des Wortes ungeklärt ist. Das machte mich schon ein wenig neugierig. Am nächsten Tag las ich in einem Roman den Hinweis, dass Aphrodite die Blutstropfen des sterbenden Adonis in Anemonen verwandelt hatte. Damit kombinierte ich die wörtliche Übersetzung des arabischen Ausdrucks, „Blutsprossen“, und schon war mir klar: das Wort „Anemone“ kommt aus dem Semitischen!

Nun wollte ich wissen, warum nicht alle dieser Meinung waren, und begann zu recherchieren – zuerst im Internet, dann in den Linzer Bibliotheken, dann in Salzburg, Wien, in Paris und sogar in London. Meine Erlebnisse in der französischen Nationalbibliothek und in der British Library wären ein eigenes Kapitel wert.

Zwölf Jahre später ziehe ich einen Schlussstrich, obwohl die Menge an weiterer, wahrscheinlich auch noch interessanter Literatur die von mir gelesene um ein Vielfaches übertrifft. Ich habe sehr viele, auch qualitativ durchaus unterschiedliche Quellen benützt, mich meist einer Wertung enthalten und so buntes Material zu einer Frage zusammengetragen, die niemals schlüssig zu beantworten sein wird. Ich hoffe aber, dass die Details, die ich zutage gefördert habe, zur Unterhaltung vor allem sprachlich und mythologisch interessierter Leserinnen und Leser beitragen können.

Die beiden großen Themen dieser Arbeit sind der Adonismythos und die Herleitung des Wortes „Anemone“. Die Ergebnisse meiner Recherchen zu dem Mythos gehen weit über das hinaus, was für das Verständnis des etymologischen Teils notwendig ist, aber sie erschienen mir interessant genug, um sie hier versammelt vorzustellen. Nur ein sehr kurzes Kapitel habe ich schließlich botanischen Angaben zur Anemone gewidmet, einem Bereich, von dem ich sehr wenig verstehe, der aber doch nicht ganz fehlen durfte.

Ich bedanke mich herzlich für Hilfe aller Art bei Renate Hausner, Peter Bretterbauer, Thomas Krisch, Erich Prokosch, Friedrich Ortner und Ingrid Ramirer.

Was hier vorliegt, ist keine wissenschaftliche Arbeit im strengen Sinn. Damit habe ich unter anderem den von Chris Frith beschriebenen Frust vermieden:

„Das Verfassen eines wissenschaftlichen Artikels erinnert an das Schreiben von Gedichten in einer alten Versform. Alles, was man sagen möchte, muss in vorgegebene Abschnitte gezwängt werden: Einleitung, Material und Methoden, Ergebnisse, Diskussion. Man darf niemals ‚ich’ sagen, und das Passiv wird bevorzugt. Zwangsläufig bleiben dabei alle wirklich interessanten Sachen auf der Strecke.“ (Frith 2010, S. 96, Anmerkung 13)

Ich habe aber auch beim Lesen älterer Publikationen herzerfrischende Abweichungen vom heute geforderten objektiven Stil angetroffen. Die Sprachgelehrten des 19. Jahrhunderts waren zum Teil recht streitbare Typen, so zum Beispiel Paul de Lagarde, für dessen Stil ich hier ein (harmloses) Beispiel bringe, das zugleich die Schwierigkeiten etymologischer Bemühungen formuliert:

„Zwischen der Epoche, in der die Sprachen entstanden sind, und unseren Tagen liegt manches Jahr: über so weite Strecken unhistorischer Geschichte hinüberzublicken vermag kein menschliches Auge. Die Urzeit ist von unserer Zeit auf alle Fälle recht, und zwar wesentlich, verschieden gewesen, so daß wer heute lebt, sich in die Empfindungs- und Gedankenwelt der ersten Lebenden hineinzuversetzen nicht so leicht im Stand sein wird. Wer sind wir, die an der Leine, dem Ill, der Panke oder Pleiße Bücher über die Sprachen schreiben? … Man male es sich nur einmal aus: Karlchen Mießnicks Bruder oder gar Lehrer denkt in einer Berliner Stube darüber nach, warum der Löwe fünftausend Jahre vor Mießnick von den Arabern asad genannt worden ist.“ (Lagarde 1972, S.13)

Nun also – keine konkrete Antwort, aber dennoch ein Ergebnis, denn das war notwendig:

"Je devais le faire ... pour ... que de cette quête, aussi vaine fûtelle, il reste une trace." (Vigan 2013, S. 274)

Linz, im Februar 2017

Der Adonismythos und seine Varianten: Den Durchblick haben nur die Götter!

Hélène Tuzet (Mort et résurrection d’Adonis [= Tod und Auferstehung des Adonis], 1987, S. 35f.) hat die alten und jüngeren Elemente des Mythos mit ihren Varianten samt Quellenangaben aufgelistet. Ich gebe hier die Resultate ihrer Recherche wieder, die Quellenangaben beziehen sich jeweils auf den Erstbeleg für ein Element. Für genauere Quellenangaben habe ich noch Atallah 1966, Hard 2004, Gantz 1996, Pirrotta 2009 und zum Teil die Originaltexte zu Rate gezogen. Tuzet unterscheidet dabei ältere und jüngere Varianten, letztere sind nach den Eroberungszügen Alexanders entstanden. Meine eigenen Anmerkungen zu den einzelnen Abschnitten erläutern manche Details oder fügen noch eigene Entdeckungen hinzu. Am Ende des Kapitels findet sich ein Überblick über die antiken Quellen.

Die gängige Version in Kurzfassung:

Myrrha verliebt sich in ihren Vater Kinyras, den König von Zypern (Platon der Komiker, 5. Jh. v. Chr.), gelangt durch List in sein Bett (Panyassis von Halikarnass, 5. Jh. v. Chr., zitiert von Apollodorus ApB 3,14,4, 2. Jh. v. Chr.) und wird schwanger. Als ihr Vater die Wahrheit entdeckt, ergreift er voll Zorn sein Schwert, Myrrha flieht und irrt neun Monate durch die Länder Arabiens. Im Land Saba (Ovid Met. 10, 1. Jh. v. Chr.) wird sie in einen Myrrhenbaum verwandelt (Panyassis)1, aus dem Adonis geboren wird (Lykophron aus Chalkis, 3. Jh. v. Chr.). Najaden waschen das Kind mit den Tränen seiner Mutter und ziehen es auf (Ovid). Aphrodite verliebt sich in den schönen Jüngling und versteckt ihn in einer Kiste, die sie Persephone anvertraut. Später fordert Aphrodite ihn zurück, aber Persephone will ihn nicht herausgeben (Apollodorus ApB 3,14,4 - nach Panyassis?; cf. Astr. 2,7,3 laut Gantz 1996, S. 102). Zeus entscheidet, dass Adonis ein Drittel des Jahres bei der einen, ein Drittel bei der anderen Göttin verbringen und das letzte Drittel frei haben soll. Adonis schenkt das ihm zustehende Drittel ebenfalls Aphrodite (Panyassis/Apollodorus). Vergeblich warnt Aphrodite ihn vor den wilden Tieren, im blühenden Jugendalter (Sappho von Lesbos, Voigt 140, 7. Jh. v. Chr.) wird er auf der Jagd von einem Eber getötet (Bion, Totenklage für Adonis, Anf. 3. Jh. v. Chr.), vielleicht als Strafe für seine Hybris, nämlich das Nichtbeachten von Aphrodites Warnung (Ovid), vielleicht weil Artemis auf seine Jagdkünste eifersüchtig war (Euripides, Hippolytos 1419f., 5. Jh. v. Chr.) oder ihn selbst begehrte, vielleicht hat sich auch der eifersüchtige Ares in einen Eber verwandelt (Kyrill von Alexandria, Anf. 5. Jh. n. Chr.). Aus dem Blut des sterbenden Adonis entstehen die Anemonen (Bion), er wird von der Natur (Bion), von Aphrodite und anderen Gottheiten betrauert (Sappho). Er ist wieder in der Gewalt Persephones (Bion), darf aber jedes Jahr zu Aphrodite zurückkehren (Theokrit Id. 15, 3. Jh. v. Chr.). Er hat keine Kinder gezeugt.

Die Varianten:

Abstammung

Im ältesten zu einem Adonis erhaltenen Dokument werden Phönix und seine Tochter Alphesiboia als Eltern genannt, die Urahnen der Phönizier und der Meder (Hesiod, 8. Jh. v. Chr.)2. Apollodorus setzt diese Figur mit dem Adonis des hier behandelten Mythos gleich (ApB 3,14,4 laut Gantz 1996, S. 102).

In Hesiods Theogonie kommt Adonis aber nicht vor (Gantz 1996, S. 102).

Außerdem erwähnt Apollodorus die Variante von Panyassis: Panyassis von Halikarnass (5. Jh. v. Chr., Panyas. fr. 27 PEG laut Pirrotta 2009, S. 65) lässt Adonis von Theias, dem König von Assyrien, und seiner Tochter Smyrna abstammen. (Smyrna ist das griechische Wort für das semitische "Myrrhe"; Smyrna heißt die Tochter auch bei Hygin und Cinna.)

Antimachos von Kolophon (5. Jh. v. Chr.) nennt als Vater Agenor, den König von Syrien und Arabien.

Kinyras ist bei Pindar (Anf. 5. Jh. v. Chr.) Liebling Apolls und Priester und Liebhaber Aphrodites.

Jüngere Varianten:

Apollodorus (ApB 3,14,3, 2. Jh. v. Chr.) erzählt, bevor er die Varianten von Hesiod und Panyassis erwähnt, dass Kinyras von Kilikien nach Zypern eingewandert sei, dort Paphos gegründet und Pygmalions Tochter Metharme geheiratet habe, mit der er Oxyporus und Adonis gezeugt habe, und außerdem die Töchter Orsedice, Laogore und Braesia. In diesem Fall wäre Adonis ein eheliches Kind.

Als Spross von Aphrodite und auch von Persephone wird Adonis im Orphischen Hymnus 55 (2. Jh. n. Chr.) angerufen [offenbar im übertragenen Sinn gemeint, Anm.].

Eigene Anmerkungen:

Die Varianten deuten darauf hin, dass jede der bedeutenden Kultstätten in Mesopotamien, Phönizien und Zypern auch als Geburtsort des Gottes gelten wollte. Gleichzeitig erlauben sie Rückschlüsse auf die Wanderung des Mythos bzw. der Adonisverehrung.

Gottfried von Lücken hat zur Identität des Vaters eine eigene Theorie: Panyassis nennt den Assyrerkönig Theias. „Assyrer“ kann nach griechischem Sprachgebrauch auch Syrer oder Phönizier heißen. Theias entspricht grch. „Gott“, daher „El“. Lücken schließt daraus, dass der Vater des Adonis der historische König von Byblos Elibaal gewesen sein dürfte (nach einer Inschrift auf der Statue des Königs Osarkon von Ägypten im Louvre), datierbar auf das letzte Viertel des 10. Jh. v. Chr. Auch der bei Hesiod genannte Phoinix kann „der Phönizier“ heißen. Es kommt öfters vor, dass sich ein Sagenkreis an eine historische Persönlichkeit anschließt (Lücken untermauert das mit anderen Beispielen). Dass die meisten späteren antiken Schriftsteller Kinyras von Kypern als Vater des Adonis nennen, findet Lücken nicht stichhaltig. Er meint, falls das zuträfe, hätte Tacitus ihn sicher an der Stelle erwähnt, wo er von den Gräbern der Kinyraden spricht. (Lücken 1962, S. 242f.).

Mehrere Varianten gibt es auch zur Ursache von Smyrnas oder Myrrhas verbotener Liebe: sie wird von Aphrodite bestraft, weil sie sie nicht verehrt hat (z.B. bei Apollodorus ApB 3,14,4) oder weil ihre Mutter Kenchreis geprahlt hat, ihre Tochter sei schöner als die Liebesgöttin (z. B. bei Hyginus, Fabel 58, 2. Jh. n. Chr.). In der von Michael Köhlmeier (2010) erzählten Version ist Smyrna=Myrrha so hässlich, dass kein Mann sie anschaut, nur ihr Vater, und deshalb begehrt sie ihn. Bei Ovid hingegen gibt es eine Menge Freier, aber Myrrha liebt ihren Vater; warum, wird hier nicht erklärt. Von Aphrodites Rache sagt Ovid nichts, auch Cupido weist hier jede Schuld von sich und schiebt das Verhängnis auf die Parzen. Bei Servius (Kommentar zu Vergils Ecl. 10,18, 5. Jh. n. Chr.) verursacht der Zorn des Sonnengotts die inzestuöse Liebe.

Myrrha versucht der Qual und der Schande durch Selbstmord zu entgehen, aber ihre Amme rettet sie und verhilft ihr zu der Liebesnacht mit ihrem Vater. Die beiden nützen aus, dass Kenchreis, die Gattin des Kinyras, an den Thesmophorien teilnimmt, dem Fest der Demeter (Ceres), für das die feiernden Frauen neun Tage Keuschheit üben mussten (Ovid). Frazer (1977, S. 483) schreibt sogar: "Zunächst einmal soll er [Cinyras] seinen Adonis durch Blutschande mit seiner Tochter Myrrha auf einem Feste der Korngöttin gezeugt haben ...". Köhlmeier schildert, wie Myrrha sich verkleidet, damit Kinyras sie nicht erkennt.

Geburt

Kleitarchos von Alexandria (Anf. 3. Jh. v. Chr.) lässt den Inzest und die Geburt im Libanongebirge stattfinden.

In der späten Version von Servius (Comm Verg.Ecl. 10,18, 5. Jh. n. Chr.) reißt ein Eberzahn die Rinde des Myrrhenbaums auf.

Eigene Anmerkungen:

"In Antoninus‘ version, which may have been derived from Nicander, Theias became curious about the identity of his mistress after she had become pregnant, and shone a light on her one night. In the anguish of the moment, she gave birth to her child prenaturely, and prayed to be removed from he company of both the living and the dead; and Zeus responded by turning her into a myrrh-tree, which weeps resinous tears every year. Her father committed suicide for his own part." (Hard 2004, S. 199).

Deutsche Übersetzung:

"In der Version des Antoninus, die vielleicht von Nikander stammt, wurde Theias neugierig auf die Identität seiner Geliebten, nachdem sie schwanger geworden war, und ließ eines Nachts ein Licht auf sie scheinen. Im Stress des Augenblicks gebar sie ihr Kind vor der Zeit und bat darum, aus der Gesellschaft der Lebenden und der Toten entfernt zu werden; und Zeus entsprach dem, indem er sie in einen Myrrhenbaum verwandelte, der jedes Jahr Harztränen weint. Ihr Vater seinerseits beging Selbstmord."

Dazu die Quellenangabe in Anm. 280 (S. 627): „Ant. Lib. 34“, das ist Antoninus Liberalis laut S. 603. Antoninus Liberalis lebte im 2. Jh. n .Chr., Nikander im 2. Jh. v. Chr.

Das Licht und die Harztränen gibt es auch bei Ovid (Met. 10,473 und 500ff.).

Den Eberzahn übernimmt Michael Köhlmeier (2010) und erzählt die Geschichte so: Im Götterhimmel weiß niemand, wie ein Myrrhenstrauch entbinden soll. Aphrodite wendet sich an ihren Gatten Hephaistos, der der große Erfinder unter den Göttern ist. Er hat da einen Eber zur Hand, und das kam so: Ares hat ihm erzählt, dass er sich in eine Nymphe verliebt hat, was Hephaistos sehr freut, denn sonst ist Ares der Geliebte seiner Frau Aphrodite. Die Nymphe hat sich vor Ares gerettet, indem sie sich in ein Wildschwein verwandelt hat. Nun hat Hephaistos für Ares einen Eber konstruiert, in den er sich setzen kann, um an die Nymphe heranzukommen. Diesen Eber lässt Hephaistos über den Myrrhenstrauch rasen, so dass sein Zahn die Frucht zum Platzen bringt, aus der Adonis geboren wird. In diesem Fall verdankt Adonis also dem Eber nicht nur seinen Tod, sondern auch seine Geburt.

In der von Ranke-Graves erzählten kompilierten Version spaltet das Schwert des Kinyras den Baum, nachdem der Vater die fliehende Myrrha auf einem Hügel eingeholt hat (Ranke-Graves 2003, S. 59), allerdings müsste die Entwicklung des Embryos in diesem Fall ziemlich schnell verlaufen sein.

Auch ein Pfeil des Königs Theias kommt als Geburtshelfer in Frage ("Adonis" im englischen Wikipedia [7.5.2016]).

Bei Ovid (Met. 10,480-513; Vorlage für die gängige Version dieses Abschnitts) verläuft die Geburt des Adonis sanfter:

Kurz vorher richtet Myrrha, im Lande Saba, an die Götter folgenden Wunsch:

"Oh ihr Götter, ich weiß, dass ich Strafe verdient habe, aber um nicht lebend die Lebenden, noch tot die Toten zu kränken,

verstoßt mich aus beiden Bereichen und versagt mir Leben und Tod,

indem ihr mich verwandelt."

"..., sed ne violem vivosque superstes

mortuaque extinctos, ambobus pellite regnis

mutataeque mihi vitamque necemque negate!"

Die Götter erhören ihre Bitte und verwandeln sie in einen Myrrhenbaum (nach anderer Version in einen Myrtenbaum3).

Als Baum ist Myrrha nun nicht mehr in der Lage, die Geburtsgöttin Lucina (Eileithyia) anzurufen, die aber kommt der Leidenden zu Hilfe: sie legt ihre Hände an den Baum und spricht die entbindenden Worte, da reißt die Rinde, und Adonis kommt zur Welt. Die warmen, bitteren Tränen, die die Mutter vergießt, - das Harz der Myrrhe - halten die Erinnerung an sie für alle Zeit lebendig (Fehrer 2009).

Saba war Hauptquelle für Myrrhe und Weihrauch (Hard 2004, S. 199).

Der Streit der Göttinnen

Bei Hyginus überlässt Zeus Kalliope die Aufgabe, den Streit von Aphrodite und Persephone um den schönen Jüngling zu schlichten (Astr. 2,7,3 laut Gantz 1996, S. 730).

Eigene Anmerkungen:

Nur bei Apollodorus und Hygin wird der Streit der Göttinnen erwähnt (Gantz 1996, S. 730). Köhlmeier sieht hier das wiederkehrende Motiv Mutter gegen Ersatzmutter. Das kann zutreffen, wenn schon das kleine Kind versteckt wird (wie bei Apollod. ApB 3,14,4); wenn Adonis aber als Jüngling erst umworben wird (Hygin, Fabel 58) , macht der Tod (Persephone) der Liebe (Aphrodite) die Schönheit (Adonis) streitig.

Zeus gerät nicht gern zwischen die Fronten, wenn Göttinnen streiten, wir kennen das vom Urteil des Paris. Kalliope wird ausgewählt, weil sie die älteste und weiseste der neun Musen ist: ihr Name bedeutet ‚die Schönstimmige‘, sie ist die Muse der epischen Dichtung, der Elegie, der Wissenschaft, der Philosophie und des Saitenspiels. Und sie ist auch die Mutter des Orpheus, der in Ovids "Metamorphosen" vor Persephone, um seine Eurydike zurückzubekommen, unter anderem das Schicksal des Adonis besingt. (Wikipedia)

Zunächst spricht Kalliope Adonis den beiden Göttinnen im Wechsel für je ein halbes Jahr zu, Zeus erbarmt sich dann des jungen Mannes und drittelt das Jahr, damit er auch Erholungsphasen hat. Aphrodite überredet Adonis, das ganze Jahr bei ihr zu bleiben, und geht ihm zuliebe sogar auf die Jagd mit.

Laut Köhlmeier wird er in der Unterwelt in einen Käfig gesperrt, wo man ihn anschauen, aber nicht angreifen darf, und bei Aphrodite geht es ihm nicht viel besser. Köhlmeier vermutet, dass er sich während des freien Jahresdrittels gehen lässt und herumtreibt, in der vergeblichen Hoffnung, ein wenig von der für ihn verhängnisvollen Schönheit zu verlieren, zur Normalität zu gelangen, berührbar zu werden. (Köhlmeier 2010)

Aphrodite und Adonis

Die Liebesgeschichte und ihr tödliches Ende spielen sich bei Lukian von Samosata ("Göttergespräche", 2. Jh. n. Chr.) nicht in Zypern, sondern im Libanongebirge ab.

Theokrit (3. Jh. v. Chr.) sieht Adonis nicht als Jäger, sondern als Hirten. Er ist der erste, der Aphrodite als Geliebte des Adonis darstellt, obwohl das Motiv schon auf Vasen des späten 5. Jh. auftaucht (Gantz 1996, S. 102). In der Moschos (2. Jh. v. Chr.) zugeschriebenen Totenklage auf Bion wird dieser mit Adonis verglichen als Hirte, Musiker und Dichter.

Auch von Dionysos (Phanokles, 3. Jh. v. Chr.) und von Apollo (Ptolemaios Hephaistion, Anf. 2. Jh. n. Chr.) wird Adonis geliebt.

Sein androgynes Wesen wird im Orphischen Hymnus 55 angesprochen.

Eigene Anmerkungen:

Es gibt auch einen Bericht, dass Herakles Adonis verführt hat und durch Aphrodites Rache zu Tode gekommen ist (http://www.theoi.com/Olympios/AphroditeWrath2.html[13.5.2016]).

Tod

Adonis versteckt sich vor dem Eber in einem Lattichfeld oder einer Lattichwiese4, schreibt Nikander von Kolophon (2. Jh. v. Chr.).

Auch bei dem Komödiendichter Euboulos (4. Jh. v. Chr.) kommt der Lattich ins Spiel: hier bettet Aphrodite den sterbenden Adonis auf ein Lattichbett. Das steht laut Athenaios Naucratita (2,69c-d; 2./3. Jh. n. Chr.) in den "Astutoi" (Gantz 1996, S.102).

Bei Servius (5. Jh. n. Chr.) steht es ganz anders: Adonis besiegt den Eber und wird von Zeus mit einem Blitz getötet.

Außer den üblicherweise angeführten Rachedurstigen (Aphrodite, Artemis aus Eifersucht auf das Jagdglück des Adonis, Ares) wünschen noch einige andere Adonis den Tod, meist, um Aphrodite damit zu treffen: Dionysos (aus Eifersucht; bei Platon dem Komiker), Persephone (sie lässt bei Ausonius – 4. Jh. n. Chr. - Adonis in der Unterwelt auf einem Myrten-strauch kreuzigen), Apollo (in Gestalt eines Ebers, um Erymanthus zu rächen, so Ptolemaios Hephaistion), Hephaistos (Nonnos von Panopolis, Anf. 5. Jh. n. Chr.), die Musen (Lykophron, 3. Jh. v. Chr.), Zeus (bei Servius).

Eigene Anmerkungen:

Apollodorus (ApB 3,14,4) sagt, den Eber habe Artemis geschickt. Ihr Motiv war, dass sie eifersüchtig auf das Jagdglück des Adonis war oder dass sie den Tod des Hippolytus rächen wollte ("Adonis" im englischen Wikipedia, Stand 7.5.2016).

Möglicherweise spielt Euripides (5. Jh. v. Chr.) in seinem Drama "Hippolytos" (V.1419f.) auf den Tod des Adonis an, als er Artemis sagen lässt:

"Sei ruhig! Denn nicht über Grabes Nacht hinaus

Wird nach der Göttin Kypris Wunsch und Laune fort

Ihr Zorn auf deiner Asche lasten unbezahlt.

Ich streck ihr zur Vergeltung einen andern Mann,

Der ihr nun eben auf der Welt der liebste ist,

Mit diesen sichern Pfeilen eigenhändig hin."

(http://gutenberg.spiegel.de/buch/hippolytos-1507/4[5.6.2016])

Was Erymanthus betrifft: er war ein Sohn Apollos, der das Liebesspiel von Aphrodite und Adonis beobachtete und von der erzürnten Göttin geblendet wurde (engl. Wikipedia "Erymanthus" [12.5.2016]).

Köhlmeier denkt an den bereits vorhandenen künstlichen Eber, von Ares im Bündnis mit dem ebenfalls eifersüchtigen Hephaistos geschickt.

In der Version des Aphthonios in seinem Rhetoriklehrbuch Progymnasmata (4. Jh. n. Chr. oder später) tötet Ares Adonis ohne Verwandlung, in dieser Lesart dargestellt auf einem Fresko von Giulio Romano in der Camera di Psiche im Palazzo del Tè in Mantua (Rombach 2014, S. 202ff.).

Die Rolle der Muse Kalliope: Aphrodite veranlasste aus Zorn über Kalliopes Urteil, dass ihr Sohn Orpheus von Bacchantinnen zerrissen wurde. Kalliope rächt den Tod ihres Sohns, indem sie Ares gegen Adonis aufhetzt.

(http://www.theoi.com/Olympios/AphroditeWrath2.html[13.5.2016]). Hard (2004, S. 627, Anm. 288) verweist dafür auf die Astronomia des Hygin: Hyg. Astr. 2.6.

Maurus Servius Honoratus hat Kommentare zu Vergils Werken verfasst, darunter zur Ecloga 10,18. Er erzählt hier nach der üblichen Fassung eine komplizierte zweite Variante, wonach Aphrodite die Keuschheit eines Mädchens namens Erinoma ein Dorn im Auge war. Sie bewirkt, dass Zeus sich in Erinoma verliebt, als Rache verlangt Hera von Aphrodite, dass Adonis sich ebenfalls verliebt. Er entjungfert Erinoma, die daraufhin von Artemis vorübergehend in einen Pfau verwandelt wird. Als Adonis bewusst wird, dass Erinoma eine Geliebte des Zeus war, versteckt er sich. Den Eber, der durch eine List Merkurs auf ihn gehetzt wird (angeblich der verwandelte Ares), besiegt er, wird aber dann durch einen Blitz von Zeus getötet. (Servius 1881).

Metamorphosen

Tuzet geht auf Varianten zum Anemonenmotiv nicht ein, und dieses selbst betrachtet sie als oberflächliches Motiv, vielleicht von einem anderen Mythos inspiriert (Tuzet 1987, S. 246).

Eigene Anmerkungen:

Bei Ovid tritt Persephone nicht auf, in wenigen Versen geschieht der Übergang vom Neugeborenen zum Jüngling. Cupido ritzt versehentlich die Mutter mit einem Pfeil, sie verliebt sich in Adonis und vergisst alles andere darüber. Sie begleitet ihn sogar auf die Jagd und warnt ihn noch vor gefährlichen Tieren. Sie ist in den "Metamorphosen" nicht Zeugin seines Todes durch einen hier nicht näher definierten Eber, sondern gerade durch die Lüfte unterwegs nach Zypern, da hört sie von ferne sein Stöhnen und kehrt sofort um. Sie verspricht dem sterbenden Adonis, dass er der Unterwelt nicht ganz anheim fallen wird, sondern dass die Erinnerung an ihn lebendig bleiben wird durch ein alljährliches Fest und durch eine rote Blume, die aus seinem Blut entstehen wird. Diese Verwandlung bewirkt Aphrodite durch Besprengen mit Nektar. So verhindert die Liebesgöttin, dass die Königin der Toten Adonis für die Lebenden ganz auslöschen kann - ein Ausgleich zu der Tat der Persephone, die die Truhe geöffnet hat, durch die die Existenz des Knaben verborgen bleiben sollte. Durch die Erinnerung ist Adonis noch halb lebendig, halb lebendig ist er auch, wenn seine Seele (wie Ranke-Graves es ausdrückt) für die Hälfte des Jahres auf die Erde zurückkehrt. Adonis gehört immer gleichzeitig dem Leben und dem Tod an oder auch beiden nicht ganz - vielleicht ein Erbe seiner Mutter Myrrha, die sich gewünscht hat, weder dem Reich der Toten noch dem der Lebenden anzugehören.

In den meisten Quellen verwandelt sich das Blut des Adonis in Anemonen, bei Bion von Smyrna sind es Aphrodites Tränen, während aus dem Blut des Adonis Rosen entstehen:

"Thränen vergießet so viele die Papherin als von Adonis

Blut fließt: beiderlei Strom wird schnell auf der Erde zu Blumen;

Rosen gebieret das Blut und die Thräne gebiert Anemonen."

(Bion, Todesfeier für Adonis, 72-74, in der Übersetzung von Friedrich Notter, zitiert nach der Langenscheidtschen Bibliothek, 3. Band, 1855-1902, S. 159)

Für die Rosen ist sonst eher Aphrodite zuständig: Frazer hat gefunden, dass ihr Blut die Rosen rot gefärbt hat: "Auch die rote Rose sollte ihre Farbe demselben traurigen Ereignis verdanken, denn Aphrodite, die zu ihrem verwundeten Geliebten eilte, trat auf einen weißen Rosenbusch. Die grausamen Dornen zerrissen ihre zarte Haut, und ihr heiliges Blut färbte die weißen Rosen auf ewig rot." Damit soll die Damaszener Rose gemeint sein. (Frazer 1977, S. 489f.) Ihre Farbe reicht aber nicht an das Blutrot der Anemone heran. Vielleicht haben Göttinnen ja etwas bläuliches Blut?

Nachgewirkt hat dieses Motiv auch in den Marienlegenden. Es gibt mehrere Sagen über Marias Tränen; Oskar Dähnhardt hat sie gesammelt. Die deutlichste Parallele zum Adonismythos findet sich in dieser:

"8. Die karminrote wilde Nelke (dianthus silvestris, böhm. karafiátek planý), die an Rainen, Abhängen oder auch in Gärten wächst, ist entstanden, als Maria sowohl den Weg zur Todesstätte als auch den Ort des Leidens mit ihren Tränen netzte. Die Blumen tragen das Zeichen der Tränen an sich. (Böhmen.) " (Dähnhardt online 2016) Ich bin durch die folgende Stelle aus Božena Němcovás Roman "Großmutter" darauf aufmerksam geworden:

"Das sind Mariä Tränen. ... Tränen der Jungfrau Maria. Man erzählt sich von diesen Blumen: Als die Juden den Herrn Christus auf den Kalvarienberg führten, folgte ihm die Jungfrau Maria, obwohl ihr das Herz brechen wollte. Als sie auf dem Weg die blutigen Spuren von Christi Wunden sah, weinte sie bitterlich, und aus den Tränen der Muttergottes und dem Blut ihres Sohnes sollen auf dem Wege zum Kalvarienberg diese Blumen gewachsen sein" (Němcová 2005, S. 245). Die Blumen werden hier nicht definiert.

Doch zurück zu Adonis und Aphrodite:

Hard (2004, S. 200) erwähnt als eine Variante, dass auch die Anemone vorher weiß war, und für die Dornengeschichte zitiert er Lykophron [3. Jh. v. Chr.] (S. 627, Anm. 291).

Wiebke Frise schreibt: "Über seinem Grab aber ließ die Göttin violette Blumen sprießen, die seitdem, ebenso kurzlebig und vergänglich wie der Gott selbst, Adonisröschen genannt werden.“ (Friese 2009, S. 92)

Bei Menninghaus und im englischen Wikipediaartikel zur Anemone Coronaria wird Adonis selbst ("the deity") verwandelt (Menninghaus 2003, S. 18;

https://en.wikipedia.org/wiki/Anemone_coronaria, 8.5.2016).

Auch Servius berichtet, dass nach der Meinung vieler Adonis verwandelt wurde, und zwar - unter Wehklagen der Venus - in eine Rose (quem multi miseratione Veneris in rosam conversum dicunt).

Nach dem Tod

Bei Properz (2,13; 1. Jh. v. Chr.) ruft Aphrodite Adonis aus der Unterwelt zurück.

Sehr spät erst entsteht die Version, dass Aphrodite in die Unterwelt hinabsteigt, um Adonis zu suchen (Kyrillos von Alexandria, 5. Jh. n. Chr.).

Im Orphischen Hymnus teilt Adonis seine Zeit zwischen Olymp und Hades.

Die Plautusstelle (Menaechmi I,2,35), wonach laut Tuzet Aphrodite Adonis entführt wie Zeus den Ganymed, finde ich überinterpretiert. Es heißt dort:

"MENAECHMUS ...: Tell me -- did you ever see a picture painted on a wall, where the eagle is carrying off Ganymede, or Venus Adonis? [im Original in der seltenen Nebenform Adonios]

PENICULUS: Many a time."

(http://www.perseus.tufts.edu/hopper/text?doc=Pl.+Men.+1[13.5.15])

Zu Deutsch: "M.: Sag mir, hast du jemals ein Wandgemälde gesehen, wo der Adler Ganymed entführt, oder Venus Adonis? - P.: Schon oft."

Nachkommen

Während Adonis in der gängigen Version keine Kinder gezeugt hat (im Gegensatz zur Fruchtbarkeit des Ebers [Menninghaus 2003, S. 49f.])5, gibt es auch andere Berichte:

Aphrodite bekommt von Adonis Hystaspe, König der Meder (Chares von Mytilene, 4. Jh. v. Chr.) oder auch die weiße Beroe (Nonnos von Panopolis, Anf. 5. Jh. n. Chr.).

Eigene Anmerkungen:

Beroe ist die Gründerin von Beroia/Thrakien (Ranke-Graves 1997, S. 60).

Andere Adonis zugeschriebene Kinder:

Golgos (Gründer des kyprischen Golgi) und Priapos ( Ranke-Graves 1997, S.60).

Bei Servius gebiert die zurückverwandelte Erinoma einen Sohn namens Taleus.

Erwähnte antike Quellen für den Adonismythos, chronologische Auflistung:

Hesiod, 8. Jh. v. Chr.: Hesiod-Corpus, wahrscheinlich "Katalog der Frauen" ("Eoien"): Hes. fr. 139 MW

Sappho von Lesbos, 7. Jh. v. Chr.: Fragm. 117 B und 140 Voigt (Sappho 2009, S. 214 und 227)

Panyassis von Halikarnass, 5. Jh. v. Chr., zitiert von Apollodorus von Athen (in der diesem zugeschriebenen Bibliotheke ApB 3,14,4, 2. Jh. v. Chr.)

Euripides, 5. Jh. v. Chr.: Hippolytos 1419f.

Platon der Komiker, 5. Jh. v. Chr.: Komödienfragment "Adonis"

Antimachos von Kolophon, 5. Jh. v. Chr., zitiert von Probus, Kommentar zu Vergils Bukolika 10,18 (nach Soyez 1977, S. 11) Pindar, 5. Jh. v. Chr.

Euboulos, 4. Jh. v. Chr.: Astutoi Kleitarchos von Alexandria, Anf. 3. Jh. v. Chr., zitiert im Florilegium des Johannes Stobaios (5. Jh. n. Chr.) (nach Soyez 1977, S. 11)

Bion von Smyrna, Anf. 3. Jh. v. Chr.: Totenklage (oder Totenfeier) für Adonis; Text: Langenscheidtsche Bibliothek 18551902, Bd 3, S. 157-160

Theokrit, 3. Jh. v. Chr.: vor allem in Idyll 15; Text: siehe Theokrit 1989 und Theokritos 1883 Lykophron aus Chalkis, 3. Jh. v. Chr.: Er verbindet Byblos, die "Stadt der Myrrha", mit Adonis unter seinem zypriotischen Namen "Gauas", was vielleicht mit "Gilgamesch" zu assoziieren ist und auf die Sonnennatur des Adonis hinweisen könnte (nach Soyez 1977, S. 11)

Phanokles, 3. Jh. v. Chr.

Plautus, Menaechmi, 3./2. Jh. v. Chr.

Moschos, 2. Jh. v. Chr., in der ihm zugeschriebenen Totenklage auf Bion

Nikander von Kolophon, 2. Jh. v. Chr.

Orphischer Hymnus 55, wahrscheinlich 2. Jh. v. Chr.

Ovid, 1. Jh. v. Chr.: Met. 10

Properz, 1. Jh. v. Chr.

Gaius Helvius Cinna (1. Jh. v. Chr.; einer der Neoteriker): von seinem Epos "Smyrna" wissen wir nur durch die begeisterte Reaktion Ovids.

Ptolemaios Hephaistion, Anf. 2. Jh. n. Chr.

Antonius Liberalis, 2. Jh. n. Chr.

Athenaios, 2./3. Jh. n. Chr.

Ausonius, 4. Jh. n. Chr.

Aphthonios, 4. Jh. n. Chr. oder später

Macrobius, Saturnalia, 4./5. Jh. n. Chr.

Kyrill von Alexandria, Anf. 5. Jh. n. Chr.

Servius, 5. Jh. n. Chr.: Comm. Verg.Ecl. (oder „Buc.“) 10,18;

Text: siehe Servius 1881

„Die Hirtengedichte wurden bis zum dritten Jahrhundert Bucolica genannt, dies war wohl der ursprüngliche Titel. Die erst im 4. Jahrhundert bezeugte Bezeichnung „Eclogae“ für die bukolische Dichtung Vergils ist sicher nicht authentisch, hat sich aber im Lauf der Zeit durchgesetzt.“ (Wikipedia „Eclogae“ [14.1.2017])

Nonnos von Panopolis, 5. Jh. n. Chr.

2 „The earliest evidence for Adonis is contained in reports on the Hesiode corpus (probably the Catalogue in this case); he was apparently described there as a son of Phoinix, son of Agenor, and there may have been no exceptional story associated with his birth.“ (Hard 2004, S. 199; Anm. 284 (S.627): „Hes. fr. 139“)

Deutsche Übersetzung: "Der älteste Beleg für Adonis findet sich in den Berichten über das Corpus Hesiodeum (wahrscheinlich den Katalog in diesem Fall); er wird dort offenbar beschrieben als ein Sohn von Phönix, Sohn des Agenor, und es gab vielleicht keine außergewöhnliche Geschichte in Verbindung mit seiner Geburt."

3 Die Myrte ist ein immergrüner Strauch mit kleinen weißen Blüten. Myrtenzweige gelten als Symbol für Jungfräulichkeit (Brautschmuck!), Lebenskraft und viele gesunde Kinder, aber auch für die über den Tod hinausgehende Liebe. (Wikipedia)

4 Lattich ist eine Pflanzengattung, zu der auch der Gartensalat gehört.

5 In den Klagegesängen des Tammuzfestes wird Tammuz mit einer Tamariske verglichen, »die im Beete Wasser nicht getrunken, deren Wipfel auf dem Felde keinen Trieb hervorgebracht!« (IV, 450) (http://literaturlexikon.uni-saarland.de/?id=18#c4655 [2.12.11]

Ō ton Adōnin! - Der Adoniskult

Bei Ovid verspricht Venus dem sterbenden Geliebten immerwährendes Gedenken in zweierlei Form (Ov. Met. 10,726-728):

"... repetitaque mortis imago annua plangoris peraget simulamina nostri;

at cruor in florem mutabitur."

Übersetzung von Breitenbach (Ovid 1986, S. 345):

"... Das jährlich erneuerte Bild deines Todes

Wird sich vollziehen, nachformend den Jammer, der jetzt mich erschüttert.

Doch dein Blut wird zur Blüte sich wandeln."

Es wird also alljährlich eine Feier geben, und auch die aus dem Blut entstehenden Blumen werden die Erinnerung an Adonis wach halten.

Um welche Feier geht es da? Ovid bezieht sich auf die Adonien: Alljährlich feierten vor allem Frauen ein mehrtägiges Fest um den toten und wiederauferstandenen Adonis, in ähnlicher Weise vielleicht schon seit dem dritten Jahrtausend vor Christus, wenn man Adonis als Nachfolger des sumerischen Dumuzi sieht. Elemente des Ritus finden sich auch noch im christlichen Osterfest. Für diese Adonien wurden schnell auf- und verblühende Pflanzen in Gefäße gesetzt, das waren die sogenannten Adonisgärtlein. Ihr Verblühen symbolisierte den in der Jugendblüte dahingerafften Adonis, dessen Tod ausgiebig beklagt wurde. Nach dem Rhythmus des Klagerufs "Ō ton Adōnin!" (etwa: "Ach, der Adonis!") ist der Adonische Vers benannt (bestehend aus Daktylus + Trochäus). Das Abbild des Adonis wurde ins Wasser geworfen, am letzten Tag der Zeremonie wurde seine Auferstehung gefeiert. Mancherorts soll mit dem Kult auch Tempelprostitution verbunden gewesen sein.

Ablauf und Zeitpunkt dieser jährlichen Gedenkfeier variierten von Ort zu Ort.

Aus verschiedenen (dort angegebenen) antiken Quellen schöpft Movers die Beschreibung der Adonien in Byblos: Das Fest dauerte sieben Tage, die übliche Zeit, einen Toten zu betrauern. Es begann mit dem Verschwinden des Adonis, dem das Suchen der Frauen folgte, was der Suche der Aphrodite nach ihrem Geliebten entspricht. Und zwar suchten sie nach einem Holzbild des Adonis, das man in den Adonisgärtchen, Gefäßen mit Weizen, Gerste, Lattich und Fenchel, versteckt hatte. Das Hinwelken dieser Pflanzen in der Sonnenhitze symbolisierte den vom Feuergott Mars getöteten Jüngling. Das Wiederfinden war der Beginn der Trauerfeier. (Cf. Movers 1841, S. 200f.) "In dem großen phönizischen Heiligtum der Astarte zu Byblus wurde der Tod des Adonis gewöhnlich bei den schrill klagenden Tönen der Flöte mit Weinen, Jammern und Andiebrustschlagen betrauert. Am nächsten Tage glaubte man indessen, daß er wie-der zum Leben erwache und in Gegenwart seiner Gemeinde zum Himmel fahre. Die untröstlichen Gläubigen, die auf Erden zurückblieben, schoren sich den Kopf wie Ägypter beim Tode des göttlichen Stiers Apis. Frauen, die sich nicht entschließen konnten, ihre Locken zu opfern, mußten sich an einem bestimmten Tage des Festes Fremden hingeben und den Lohn für ihre Schande der Astarte weihen." (Frazer 1977, S. 489; er folgt hier der Schilderung Lukians von Samosata in dem Werk "De dea Syria", 2. Jh. n. Chr.)

Die "Gärten" des Adonis (kēpoi, adonaea) "waren Körbe oder Töpfe mit Erde, in die in der Hauptsache oder ausschließlich Frauen Weizen, Gerste, Salat, Fenchel und verschiedene Arten von Blumen säten und acht Tage lang pflegten. Von der Sonnenhitze begünstigt, schossen die Pflanzen rasch empor. Da sie indessen keine Wurzel hatten, welkten sie ebenso rasch dahin und wurden nach acht Tagen mit den Bildnissen des Adonis hinausgetragen und mit ihnen in die Quellen oder ins Meer geworfen." (Frazer 1977, S. 4976) Frazer und andere berichten auch von einem Nachleben dieses Brauches im Mittelmeerraum bis in die heutige Zeit. "... ‘gardens of Adonis‘, in which plants were germinated in very shallow soil in pots or potsherds, and so grew up with unnatural speed and withered just as quickly.“ (Hard 2004, S. 200) - Übersetzung: "... ‘Adonisgärten‘, in denen Pflanzen in sehr wenig Erde in Töpfen oder Scherben zum Keimen gebracht wurden und so unnatürlich schnell wuchsen und ebenso schnell welkten." Dazu zitiert Hard (S. 627, Anm. 293) Belegstellen bei Plutarch, Aristophanes, Plato und Theophrast. Deubner schreibt dazu: „Wichtiger [als die Erklärung der Klage] ist die Erklärung der Adonisgärtchen, bei denen nicht das schnelle Verwelken der rasch aufgesproßten Pflänzchen, sondern eben dieses Aufsprossen das Wesentliche ausmacht. Sie stellen einen sympathetischen Zauber dar, der in der Zeit, wo die Erde erschöpft ist, deren Fruchtbarkeit für das kommende Jahr sichern soll [Hinweis auf Frazer]. … Es paßt gut dazu, daß die Gärtchen ins Wasser geworfen wurden […], denn das ist ein Regenzauber, ...“ (Deubner 1966, S. 221f.).

Beim Fest von Byblos scheint es keine Gärten gegeben zu haben, auch keine anderen Praktiken des Ackerbaus (Detienne 2000, S. 150).

"In Alexandria wurden Bilder der Aphrodite und des Adonis auf zwei Ruhebetten aufgestellt. Daneben setzte man allerlei reife Früchte, Kuchen, Topfpflanzen und grüne Lauben, die aus Anis geflochten waren. An einem Tage wurde die Vermählung der Liebenden gefeiert, und am nächsten Morgen trugen Frauen in Trauerkleidung mit fliegenden Haaren und entblößter Brust das Bildnis des toten Adonis ans Meerufer und übergaben es den Wellen. Doch sie trauerten nicht ohne Hoffnung, denn sie sangen, der Verlorene werde wiederkehren.“ (Frazer 1977, S. 488f.)

Vom alexandrinischen Fest bekommen wir in Theokrits 15. Idyll (3. Jh. v. Chr.) einen ganz lebendigen Eindruck: wir hören den Dialog zweier syrakusischer Immigrantinnen, die sich zu Hause auf die Teilnahme am Fest (als Adoniazusen) vorbereiten und durch die Stadt zum Palast gehen. Sie begeistern sich beim Anblick eines Teppichs, in den ein Bild des Adonis gewebt wurde, dann hören sie einer Sängerin zu - hier ein Auszug aus ihrem Hymnus an Adonis:

"Neben ihm liegt anmutig, was hoch auf dem Baume gereifet; Neben ihm auch Lustgärtchen, umhegt von silbergeflocht‘nen Körben, auch goldene Krüglein, gefüllt mit syrischen Düften; Auch des Gebackenen viel, was Frau‘n in den Formen bereitet, Mischend das weißeste Mehl mit mancherlei Würze der Blumen,

Was sie mit lieblichem Öle getränkt und der Süße des Honigs... Achtzehn Jahre nur zählt ihr Geliebtester, oder auch neunzehn; Kaum schon sticht sein Kuß, noch säumet die Lippen ihm Goldhaar,

Jetzo mag sich Kypris erfreu‘n des schönen Gemahles.

Morgen tragen wir ihn, mit der tauenden Frühe versammelt,

Alle hinaus in die Flut, die herauf schäumt an die Gestade:

Und mit fliegendem Haare, den Schoß bis tief auf die Knöchel,

Offen die Brust, so stimmen wir hell den Feiergesang an:

Holder Adonis, du nah‘st bald uns, bald Acherons Ufern,

Wie kein anderer Halbgott, sagen sie."

(Theokritos 1883, S. 86f.)

Das Fest wurde hier in Alexandria als Schauspiel mit Chor und Akteuren in Heiligtümern oder zum Beispiel - wie bei Theokrit - im Palast der Königin Arsinoe gestaltet. (Detienne 2000, S. 151)

Aus Aristophanes‘ Lysistrata (V. 387-398) geht hervor, dass die Frauen in Athen dieses Fest auf den Dächern ihrer Häuser feierten.

Die rituelle Tonsur war in Byblos für beide Geschlechter vorgeschrieben, was auf den starken ägyptischen Einfluss in dieser Stadt zurückzuführen ist. Die Alternative, stattdessen Liebesdienste für Fremde zu leisten und den Erlös der Göttin zu opfern, ist nur für Byblos bezeugt (Soyez 1977, S. 39ff.). Grundsätzlich wird die Glaubwürdigkeit der Berichte über Tempelprostitution (auch "Heilige" oder "kultische Prostitution"), die man lange als gegeben angenommen hat, heute in Frage gestellt. Literaturangaben dazu findet man hier:

de.wikipedia.org/wiki/Tempelprostitution [16.7.2016].

Was den Zeitpunkt der Adonien betrifft, so gibt es dazu unterschiedliche Theorien; von Frühling bis Herbst ist alles vertreten.

Das phönizische Fest in Byblos "scheint im Frühling stattgefunden zu haben, denn sein Datum war festgelegt durch die Färbung des Adonisflusses, und diese geht, wie heutige Reisende beobachtet haben, im Frühling vor sich." Ein weiteres Argument für den Frühling sieht Frazer in der Tatsache, daß "die Anemone in Syrien etwa um Ostern blüht". (Frazer 1977, S. 489)

Brigitte Soyez, die mit Archäologen im Libanon unterwegs war, führt in ihrer Dissertation "Byblos et la fête des Adonies"