Von Bagdad nach Stambul - Karl May - E-Book

Von Bagdad nach Stambul E-Book

Karl May

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Beschreibung

Überarbeitete Ausgabe in Neuer Deutscher Rechtschreibung Scheik Mohammed Emin fällt einem Überfall der Kurden zum Opfer. Sein Sohn trennt sich von der Gruppe, um die Angreifer zu verfolgen. Kara Ben Nemsi und Halef erkranken schwer an der Pest, als sie einer Todeskarawane begegnen, erreichen aber schließlich Damaskus. In den Ruinen von Baalbek treffen sie auf einen alten Feind. Der vorliegende Text ist im »Deutschen Hausschatz« unter dem Titel »Die Todes-Karavane«, »In Damaskus und Baalbeck«, »Stambul« und »Der letzte Ritt« erschienen. Null Papier Verlag

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Karl May

Von Bagdad nach Stambul

Reiseerzählungen

Karl May

Von Bagdad nach Stambul

Reiseerzählungen

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024 EV: Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 1880/81 1. Auflage, ISBN 978-3-954187-19-5

null-papier.de/353

Inhaltsverzeichnis

Karl May und die Ori­gi­na­le

Zum Buch

Un­ter Die­ben

Ein Über­fall

Im Kamp­fe ge­fal­len

In Bag­dad

Die To­des­ka­ra­wa­ne

In Da­mas­kus

In Stam­bul

In Ed­re­neh

Ein Nach­wort

Karl May bei Null Pa­pier

Durch die Wüs­te

Durchs wil­de Kur­dis­tan

Von Bag­dad nach Stam­bul

In den Schluch­ten des Bal­kan

Durch das Land der Ski­pe­ta­ren

Der Schut

Karl May und die Ori­gi­na­le

Will­kom­men in der Welt von Karl May: Ein klas­si­sches Erbe neu prä­sen­tiert

Lie­be Le­se­rin, lie­ber Le­ser

In der Welt der li­te­ra­ri­schen Klas­si­ker gibt es we­ni­ge Na­men, die so sehr mit Aben­teu­er und fer­nen Län­dern ver­bun­den sind wie Karl May. Mit sei­nen fes­seln­den Er­zäh­lun­gen aus dem Wil­den Wes­ten und dem Ori­ent hat Karl May nicht nur Ge­ne­ra­tio­nen von Le­sern be­geis­tert, son­dern auch eine li­te­ra­ri­sche Land­schaft ge­schaf­fen, die bis heu­te nach­hallt. Sei­ne Fi­gu­ren, ins­be­son­de­re Win­ne­tou und Old Shat­ter­hand, sind mehr als nur Cha­rak­tere auf dem Pa­pier – sie sind Sym­bo­le für Mut, Freund­schaft und die Su­che nach Ge­rech­tig­keit.

Als Ein­zel­ver­le­ger habe ich es mir zur Auf­ga­be ge­macht, Karl Mays Wer­ke in ih­rer reins­ten und au­then­tischs­ten Form zu prä­sen­tie­ren. Ich ar­bei­te mit den Erst­ver­öf­fent­li­chun­gen sei­ner Wer­ke, um si­cher­zu­stel­len, dass der ur­sprüng­li­che Cha­rak­ter und Stil von Mays Schrif­ten so treu wie mög­lich er­hal­ten bleibt. Mein Ziel ist es, die­se klas­si­schen Tex­te so zu über­ar­bei­ten, dass sie die Qua­li­tät und den Geist der Ori­gi­nal­aus­ga­ben wi­der­spie­geln, wäh­rend sie gleich­zei­tig den heu­ti­gen Le­se­ge­wohn­hei­ten an­ge­passt sind.

Will­kom­men zu­rück zu den Wur­zeln von Karl Mays li­te­ra­ri­schem Erbe, prä­sen­tiert mit ei­nem tie­fen Re­spekt für sei­ne Ar­beit und ei­nem Auge für die Be­dürf­nis­se des heu­ti­gen Le­sers.

Treue zu den Erst­ver­öf­fent­li­chun­gen

Bei der Über­ar­bei­tung der Tex­te lege ich größ­ten Wert dar­auf, Karl Mays ori­gi­na­le Er­zähl­stim­me zu be­wah­ren. Ich ver­mei­de es, in­halt­li­che Än­de­run­gen vor­zu­neh­men oder mo­der­ne In­ter­pre­ta­tio­nen ein­zu­fü­gen, die vom ur­sprüng­li­chen Geist der Ge­schich­ten ab­wei­chen könn­ten. Statt­des­sen kon­zen­trie­re ich mich dar­auf, sprach­li­che Glät­tun­gen durch­zu­füh­ren, wo es not­wen­dig ist, um die Les­bar­keit zu ver­bes­sern und gleich­zei­tig die Authen­ti­zi­tät zu wah­ren.

Bar­rie­re­frei­heit und Zu­gäng­lich­keit

Es ist mir wich­tig, dass Karl Mays Wer­ke von al­len ge­nos­sen wer­den kön­nen. Da­her ge­stal­te ich die E-Books so, dass sie mit ver­schie­de­nen Tech­no­lo­gi­en zur Un­ter­stüt­zung des Le­sens kom­pa­ti­bel sind, um si­cher­zu­stel­len, dass auch Men­schen mit Seh­be­hin­de­run­gen oder an­de­ren Ein­schrän­kun­gen Zu­gang ha­ben.

Beglei­ten Sie mich auf die­ser Rei­se zu­rück zu den Wur­zeln

Ich lade Sie ein, Karl Mays Welt durch die­se neu­en Edi­tio­nen wie­der­zuent­de­cken, die so­wohl die Tie­fe als auch das Aben­teu­er sei­ner Ge­schich­ten mit ei­ner Fri­sche und Klar­heit prä­sen­tie­ren, die Sie viel­leicht noch nicht er­lebt ha­ben. Tau­chen Sie ein in die klas­si­schen Er­zäh­lun­gen, die Karl May zu ei­nem der meist­ge­le­se­nen Au­to­ren sei­ner Zeit mach­ten.

May und sei­ne Zeit

May war und ist ei­ner der er­folg­reichs­ten Schrift­stel­ler deut­scher Spra­che. Ge­ne­ra­tio­nen von Le­ser ha­ben ihn für sich ent­deckt, egal, wie stark und aus wel­chen Grün­den er im­mer wie­der von Tu­gend­wäch­tern oder be­sorg­ten El­tern in die li­te­ra­ri­sche Schmud­de­le­cke ge­drängt wur­de.

Es gibt wohl kei­nen Deut­schen, der sei­ne Fi­gu­ren nicht kennt: Win­ne­tou oder Had­schi Ha­lef Omar, Old Shat­ter­hand oder Kara Ben Nem­si. Vie­le wer­den so­gar die Na­men der Pfer­de oder der Waf­fen der Pro­tago­nis­ten ken­nen. Nicht zu­letzt die far­ben­präch­ti­gen Fil­me der 1960er Jah­re ha­ben Mays Fi­gu­ren auch eine ki­ne­ma­to­gra­fi­sche Un­ters­terb­lich­keit ver­passt – soll­te das je­mals not­wen­dig ge­we­sen sein. Und wo sonst hät­te ein Fran­zo­se einen ame­ri­ka­ni­schen Urein­woh­ner, ein Ame­ri­ka­ner einen deut­schen Aben­teu­rer und ein Ber­li­ner einen Ori­en­ta­len spie­len kön­nen?

Zu ei­ner Zeit, als es noch kei­nen or­ga­ni­sier­ten Mas­sen­tou­ris­mus und kein In­ter­net gab, brach­te May dem Le­ser die wei­te Welt bis vor die Haus­tür oder un­ter die ver­ber­gen­de Bett­de­cke. Sei­ne Tex­te präg­ten, ob ge­recht­fer­tigt oder nicht, die Vor­stel­lung des Wil­den Wes­tens und des Ori­ents für Ge­ne­ra­tio­nen.

Am bes­ten, Sie, lie­ber Le­ser, lie­be Le­se­rin, füh­len sich ein­fach nur gut un­ter­hal­ten.

In die­sem Sin­ne Ihr Jür­gen Schul­ze, Neuss

Karl May

Zum Buch

Scheik Mo­ham­med Emin fällt ei­nem Über­fall der Kur­den zum Op­fer. Sein Sohn trennt sich von der Grup­pe, um die An­grei­fer zu ver­fol­gen. Kara Ben Nem­si und Ha­lef er­kran­ken schwer an der Pest, als sie ei­ner To­des­ka­ra­wa­ne be­geg­nen, er­rei­chen aber schließ­lich Da­mas­kus. In den Rui­nen von Baal­bek tref­fen sie auf einen al­ten Feind.

Die­ser Band ist der drit­te Teil des sechs­bän­di­gen »Ori­ent­zy­klus«.

Un­ter Die­ben

Im Sü­den von den großen sy­ri­schen und me­so­po­ta­mi­schen Wüs­ten­ein­öden liegt, vom Ro­ten Meer und vom Per­si­schen Golf um­ge­ben, die Halb­in­sel Ara­bi­en, wel­che ihre äu­ßers­te Kan­te weit in das stür­me­rei­che ara­bisch-in­di­sche Meer hin­ein er­streckt.

An drei Sei­ten ist die­ses Land von ei­nem zwar schma­len, aber au­ßer­or­dent­lich frucht­ba­ren Küs­tensau­me ein­ge­fasst, wel­cher nach in­nen zu ei­ner wei­ten, wüs­ten Ho­chebe­ne em­por­steigt, de­ren teils trüb­se­li­ge, teils gro­tes­ke Land­schafts­bil­der be­son­ders im Os­ten durch hohe, un­weg­sa­me Ge­birgs­stö­cke ab­ge­schlos­sen wer­den, zu de­nen ganz haupt­säch­lich die öden Ber­ge von Scham­mar zu zäh­len sind.

Die­ses Land, des­sen Qua­drat­mei­len­zahl man heu­te noch nicht ge­nau an­zu­ge­ben ver­mag, wur­de im Al­ter­tum ein­ge­teilt in »Ara­bia Pe­traea«, in »Ara­bia De­ser­ta« und in »Ara­bia Fe­lix«, zu Deutsch: in das pe­traei­sche, wüs­te und glück­li­che Ara­bi­en. Wenn noch öf­ters jetzt ge­wis­se Geo­gra­fen der An­sicht sind, dass der Aus­druck »Pe­traea« ab­zu­lei­ten sei von dem grie­chisch-la­tei­ni­schen Wort, das »Stein, Fels« be­deu­tet, und des­halb die­sen Teil des Lan­des das »stei­nich­te« Ara­bi­en nen­nen, so be­ruht das auf ei­ner irr­tüm­li­chen Auf­fas­sung; die­ser Name ist viel­mehr zu­rück­zu­füh­ren auf das alte Pe­tra, wel­ches die Haupt­stadt die­ser nörd­lichs­ten Pro­vinz des Lan­des war. Der Ara­ber nennt sei­ne Hei­mat »Dschis­rat el Arab«,1 wäh­rend sie bei den Tür­ken und Per­sern »Ara­bis­tan« ge­nannt wird. Die jet­zi­ge Ein­tei­lung wird ver­schie­den an­ge­ge­ben; die no­ma­di­sie­ren­den Ein­woh­ner las­sen je­doch nur den ein­zi­gen Un­ter­schied der Stäm­me gel­ten.

Über die­sem Lan­de wölbt sich ein ewig hei­te­rer Him­mel, von wel­chem des Nachts die Ster­ne rein und klar her­nie­der­bli­cken; durch die Berg­schluch­ten und über die zum großen Teil noch un­er­forsch­ten Wüs­te­ne­be­nen schweift der halb­wil­de Sohn der Step­pe auf pracht­vol­lem Pferd oder auf un­er­müd­li­chem Ka­mel. Sein Auge ist über­all, denn er lebt mit al­ler Welt in Streit und Un­frie­den, nur mit den An­ge­hö­ri­gen sei­nes Stam­mes nicht. Von ei­ner Gren­ze bis zur an­de­ren zieht bald der sanf­te Hauch ei­ner rei­nen, mil­den, bald der rau­schen­de Odem ei­ner trü­ben, wil­den Poe­sie, wel­cher den Wan­de­rer über­all um­weht, wo er nur im­mer wei­len mag. So kommt es, dass man be­reits vor lan­gen Jahr­hun­der­ten Hun­der­te von ara­bi­schen Dich­tern und Dich­te­rin­nen kann­te, de­ren Lie­der im Mun­de des Vol­kes leb­ten und die mit Hil­fe des Grif­fels für spä­te­re Zei­ten fest­ge­hal­ten wur­den.

Als Stamm­va­ter der ech­ten Ara­ber oder Jok­ta­ni­den gilt Jok­tan, der Sohn Huds, wel­cher ein Ab­kömm­ling Sems im fünf­ten Glie­de war, und des­sen Nach­kom­men das glück­li­che Ara­bi­en und die Küs­te Te­ha­ma bis hin­ab zum Per­si­schen Golf be­wohn­ten. Jetzt su­chen vie­le Stäm­me eine Ehre dar­in, von Is­ma­el, dem Soh­ne Ha­gars, ab­zu­stam­men.

Die­ser Is­ma­el soll, wie die Sage be­rich­tet, mit sei­nem Va­ter Abra­ham nach Mek­ka ge­kom­men sein und dort die hei­li­ge Kaa­ba er­rich­tet ha­ben. Das Wah­re aber ist, dass die Kaa­ba von dem Stam­me der Ko­re­i­schi­ten ge­stif­tet oder we­nigs­tens aus­ge­baut wur­de. Un­ter den Hei­lig­tü­mern, die sie be­saß, wa­ren der Brun­nen Zem-Zem und der an­geb­lich vom Him­mel ge­fal­le­ne schwar­ze Stein die be­rühm­tes­ten.

Hier­her pil­ger­ten die ver­schie­de­nen Stäm­me der Ara­ber, um da ihre Stamm- oder auch wohl Haus­göt­zen auf­zu­stel­len und ih­nen ihre Op­fer und Ge­be­te dar­zu­brin­gen. Da­her war Mek­ka den Ara­bern das, was Del­phi den Grie­chen und Je­ru­sa­lem den Ju­den ge­we­sen ist; es bil­de­te den Mit­tel­punkt für die weit­hin zer­streu­ten No­ma­den, die sich ohne den­sel­ben in al­len Rich­tun­gen ver­lo­ren hät­ten.

Da sich die­ser hoch­wich­ti­ge Punkt im Be­sitz der Ko­re­i­schi­ten be­fand, so war die­ser Stamm der mäch­tigs­te und an­ge­se­hens­te Ara­biens und in­fol­ge­des­sen auch der reichs­te, weil die von al­len Sei­ten her­bei­kom­men­den Pil­ger nie ohne Ge­schen­ke oder wert­vol­le Han­dels­wa­ren an­zu­lan­gen pfleg­ten.

Ein ar­mer An­ge­hö­ri­ger die­ses Stam­mes, Na­mens Abd Al­lah,2 starb im Jah­re 570 nach Chris­tus, und ei­ni­ge Mo­na­te spä­ter, am 20. April 571, der auf einen Mon­tag fiel, ge­bar sei­ne Wit­we Ami­na einen Kna­ben, wel­cher spä­ter Mo­ham­med3 ge­nannt wur­de. Es ist sehr wahr­schein­lich, dass der Kna­be vor­her einen an­de­ren Na­men ge­tra­gen hat und erst dann, als sei­ne pro­phe­ti­sche Wirk­sam­keit ihn zu ei­nem her­vor­ra­gen­den Mann mach­te, den Ehren­na­men Mo­ham­med er­hielt. Die­ser Name wird auch Mu­ham­med, Mo­hammad und Mu­hammad ge­schrie­ben, und aus Ehr­furcht vor dem Pro­phe­ten wagt es nie ein Gläu­bi­ger, ihn in die­ser Fas­sung zu tra­gen; das Wort wird dann meist in Me­hem­med ver­wan­delt.

Dem Kna­ben wa­ren von sei­nem Va­ter nur zwei Ka­me­le, fünf Scha­fe und eine abys­si­nische Skla­vin hin­ter­las­sen wor­den, wes­we­gen er sich zu­nächst auf den Schutz sei­nes Groß­va­ters Abd-al-Mo­ka­lib und nach des­sen Tode auf die Un­ter­stüt­zung sei­ner bei­den On­kel Zu­heir und Abu Ta­leb an­ge­wie­sen sah. Da die­se Män­ner aber nicht viel für ihn tun konn­ten, so muss­te er sich sein Brot als Schaf­hir­ten­jun­ge ver­die­nen. Spä­ter wur­de er Ka­mel­trei­ber und Bo­gen- und Kö­cher­trä­ger, wo­bei sich wahr­schein­lich sein krie­ge­ri­scher Sinn ent­wi­ckelt hat.

Als er fünf­und­zwan­zig Jah­re zähl­te, trat er in den Dienst der rei­chen Kauf­manns­wit­we Cha­di­dscha, der er mit sol­cher Treue und Auf­op­fe­rung diente, dass sie ihn lieb ge­wann und ihn zu ih­rem Ge­mahl mach­te. Das große Ver­mö­gen sei­ner Frau ging ihm aber spä­ter ver­lo­ren. Er leb­te nun bis zu sei­nem vier­zigs­ten Jah­re als Kauf­mann und Händ­ler. Er kam auf sei­nen wei­ten Rei­sen mit Ju­den und Chris­ten, mit Brah­ma­nen und Feu­er­an­be­tern zu­sam­men und gab sich Mühe, ihre Re­li­gio­nen ken­nen zu ler­nen. Er litt an der Epi­lep­sie und in Fol­ge des­sen an ei­ner Ver­stim­mung des Ner­ven­sys­tems, wel­che ihn sehr zu Hal­lu­zi­na­tio­nen ge­neigt mach­te. Sei­ne re­li­gi­ösen Grü­belei­en wa­ren der Hei­lung die­ser Krank­heit nicht sehr för­der­lich. Er zog sich schließ­lich gar in eine Höh­le zu­rück, wel­che in der Nähe von Mek­ka auf dem Ber­ge Hira lag. Hier hat­te er sei­ne ers­ten Vi­sio­nen.

Der Kreis der Gläu­bi­gen, wel­cher sich um ihn ver­sam­mel­te, be­stand zu­nächst nur aus sei­ner Frau Cha­di­dscha, aus sei­nem Skla­ven Zaïd, aus den bei­den Mek­ka­nern Oth­man und Abu Bakr und aus sei­nem jun­gen Vet­ter Ali, der spä­ter den Ehren­na­men Areth-Al­lah4 er­hielt und zu den un­glück­lichs­ten Hel­den des Is­lam ge­hört.

Die­ser Ali, des­sen Name auf Deutsch »der Hohe, der Er­ha­be­ne« be­deu­tet, war im Jah­re 602 ge­bo­ren und stand bei Mu­ham­med in sol­chem An­se­hen, dass er des­sen Toch­ter Fa­ti­ma zur Ge­mah­lin er­hielt. Als der Pro­phet im Krei­se sei­ner Fa­mi­lie zum ers­ten Mal sei­ne neu­en Glau­bens­sat­zun­gen vor­trug und dann frag­te: »Wer un­ter Euch will mein An­hän­ger sein?« da schwie­gen alle; nur der jun­ge Ali, be­geis­tert von der ge­wal­ti­gen Poe­sie des so­eben ge­hör­ten Vor­tra­ges, rief in lau­tem, ent­schlos­se­nem Ton: »Ich will es sein und nim­mer von Dir las­sen!« Das hat ihm Mu­ham­med nie­mals ver­ges­sen.

Er war ein tap­fe­rer, ver­we­ge­ner Kämp­fer und hat­te großen Teil an der so un­ge­mein schnel­len Aus­brei­tung des Is­lam. Den­noch wur­de er, als Mu­ham­med ohne letzt­wil­li­ge Ver­fü­gung starb, über­gan­gen, und man wähl­te Abu Bakr, den Schwie­ger­va­ter Mo­ham­meds, zum Ka­li­fen.5 Die­sem folg­te im Jah­re 634 ein zwei­ter Schwie­ger­va­ter des Pro­phe­ten, Na­mens Omar, wel­chem wie­der Oth­man, ein Schwie­ger­sohn Mo­ham­meds, nach­folg­te. Die­ser wur­de im Jah­re 656 von ei­nem Sohn Abu Ba­krs er­sto­chen. Man be­schul­dig­te Ali der An­stif­tung die­ses Mor­des, und als er von sei­ner Par­tei er­wählt wur­de, ver­wei­ger­ten ihm vie­le von den Statt­hal­tern die Hul­di­gung. Er kämpf­te vier Jah­re lang um das Ka­li­fat und wur­de im Jah­re 660 von Abd-er-Rah­man er­sto­chen. Er liegt in Kufa be­gra­ben, wo ihm auch ein Denk­mal er­rich­tet wor­den ist.

Von hier an da­tiert sich die Spal­tung, wel­che die Mus­li­me in zwei geg­ne­ri­sche Heer­la­ger, in die Sun­ni­ten und die Schi­iten, teilt. Die­se Spal­tung be­zieht sich we­ni­ger auf die is­la­mi­schen Glau­bens­sät­ze als viel­mehr auf die Per­so­nal­fra­ge der Nach­fol­ger­schaft. Die An­hän­ger der Schia be­haup­ten näm­lich, dass nicht Abu Bakr, Omar und Oth­man, son­dern nur al­lein Ali das Recht ge­habt hät­te, der ers­te Stell­ver­tre­ter des Pro­phe­ten zu sein. Die zwi­schen den bei­den Par­tei­en dann aus­ge­bro­che­nen Strei­tig­kei­ten über die At­tri­bu­te Got­tes, das Fa­tum, die Ewig­keit des Koran und die eins­ti­ge Ver­gel­tung sind nicht als so we­sent­lich zu be­trach­ten.

Ali hin­ter­ließ zwei Söh­ne, Hassan und Hu­sain. Der Ers­te­re wur­de von den Schi­iten zum Ka­li­fen er­wählt, wäh­rend die An­hän­ger der Sun­na Mua­wi­jah I., den Grün­der der Omayya­den-Dy­nas­tie, er­ko­ren. Die­ser Letz­te­re ver­leg­te sei­ne Re­si­denz nach Da­mas­kus, mach­te das Ka­li­fat erb­lich und er­zwang be­reits zu sei­nen Leb­zei­ten die Aner­ken­nung sei­nes Soh­nes Ya­zid, der sich spä­ter als ein sol­cher Wü­te­rich zeig­te, dass sein An­den­ken selbst von den Sun­ni­ten mit Fluch be­legt wird. Hassan konn­te sich ge­gen Mua­wi­jah nicht be­haup­ten und starb im Jah­re 670 in Me­di­na an Gift.

Sein Bru­der Hu­sain wi­der­setz­te sich der Aner­ken­nung Ya­zids. Er ist der Held ei­ner der tra­gischs­ten Epi­so­den aus der Ge­schich­te des Is­lam.

Die Hand des Ka­li­fen Mua­wi­jah ruh­te schwer auf den Pro­vin­zen, und sei­ne Statt­hal­ter un­ter­stütz­ten ihn da­bei aus al­len Kräf­ten. So be­fahl zum Bei­spiel Zi­jad, der Statt­hal­ter zu Bas­ra, dass nach Son­nen­un­ter­gang sich bei To­dess­tra­fe nie­mand auf der Stra­ße se­hen las­sen dür­fe. Am Abend nach der Be­kannt­ma­chung die­ses Be­feh­les wur­den über zwei­hun­dert Per­so­nen au­ßer­halb ih­rer Woh­nun­gen an­ge­trof­fen und un­ver­züg­lich ge­köpft; am nächs­ten Tage war die Zif­fer schon weit ge­rin­ger, und am drit­ten Abend war kein ein­zi­ger Mensch zu se­hen. Der grim­migs­te al­ler Omayya­den war Ha­d­jasch, der Statt­hal­ter von Kufa, des­sen Ty­ran­nei 120.000 Men­schen das Le­ben kos­te­te.

Noch schlim­mer als Mua­wi­jah zeig­te sich sein Sohn Ya­zid. Zur­zeit die­ses Scheu­sals hielt sich Hu­sain in Mek­ka auf, wo er aus Kufa Bo­ten emp­fing, wel­che ihn auf­for­der­ten, zu ih­nen zu kom­men, da sie ihn als Ka­li­fen an­er­ken­nen woll­ten. Er folg­te dem Ruf – zu sei­nem Ver­der­ben.

Mit kaum hun­dert Ge­treu­en lang­te er vor Kufa an, fand aber die Stadt be­reits von sei­nen Fein­den be­setzt. Er ver­leg­te sich auf er­folg­lo­ses Un­ter­han­deln. Die Le­bens­mit­tel gin­gen ihm aus; das Was­ser ver­trock­ne­te in dem Son­nen­brand; sei­ne Tie­re stürz­ten, und sei­nen Beglei­tern schau­te der blas­se Tod aus den ein­ge­sun­ke­nen fie­ber­fun­keln­den Au­gen. Er rief ver­ge­bens Al­lah und den Pro­phe­ten um Hil­fe und Ret­tung an; sein Un­ter­gang stand »im Bu­che ver­zeich­net«. Obeïd ’Al­lah, ein Heer­füh­rer Ya­zids, drang bei Ker­be­la auf ihn ein, massa­krier­te sei­ne gan­ze Beglei­tung und ließ auch ihn selbst um­brin­gen. Man fand ihn aus Man­gel an Was­ser be­reits dem Tode nahe; aber man hat­te kein Mit­leid mit ihm, und er wehr­te sich ver­ge­bens mit der letz­ten Kraft sei­nes schwin­den­den Le­bens – man schnitt ihm den Kopf ab, der auf eine Lan­ze ge­steckt und im Tri­umph her­um­ge­tra­gen wur­de.

Dies ge­sch­ah am 10. Mu­har­ram, und bis auf heu­te ist die­ser Tag bei den Schi­iten ein Tag der Trau­er. In Hin­dos­tan trägt man ein Bild von Hoss­eins Kopf auf ei­ner Lan­ze her­um, wie es nach sei­nem Tode ge­sch­ah, und ahmt mit ei­nem aus ed­len Me­tal­len ge­fer­tig­ten Huf­ei­sen den Lauf sei­nes Ren­ners nach. Am 10. Mu­har­ram er­tönt ein We­he­schrei von Bor­neo und Ce­le­bes über In­di­en und Per­si­en bis zum Ma­ghreb6 Asi­ens, wo die Schia nur noch zer­streu­te An­hän­ger hat, und dann gibt es in Ker­be­la eine dra­ma­ti­sche Vor­stel­lung, wel­che an Sze­nen der wil­des­ten Verzweif­lung sei­nes Glei­chen sucht. Wehe dem Sun­ni­ten, wehe dem Gi­aur, der an die­sem Tage sich in Ker­be­la un­ter der bis zur Tob­sucht auf­ge­reg­ten Rot­te der Schi­iten se­hen las­sen woll­te! Er wür­de in Stücke zer­ris­sen! – – –

Die­se his­to­ri­sche Ein­lei­tung mag zum bes­se­ren Ver­ständ­nis des Nach­fol­gen­den die­nen.

Wir hat­ten am Zab den Ent­schluss ge­fasst, den Fluss ent­lang bis zu den Schir­ban- und dann den Zi­bar-Kur­den zu rei­ten. Bis zu den Schir­ba­ni hat­ten wir Emp­feh­lun­gen vom Bey zu Gum­ri und vom Me­lek in Li­zan er­hal­ten, und von da aus hoff­ten wir auf wei­te­re Un­ter­stüt­zung. Die Schir­ba­ni nah­men uns gast­freund­lich auf, von den Zi­ba­ri aber wur­den wir sehr feind­se­lig emp­fan­gen; doch ge­lang es mir spä­ter, mich ih­rer Teil­nah­me zu ver­si­chern. Wir ka­men glück­lich bis zum Akrafluss, stie­ßen aber hier bei der wil­den Berg­be­völ­ke­rung auf eine so große Bös­wil­lig­keit, dass wir nach ver­schie­de­nen schlim­men Er­fah­run­gen uns nach Süd­ost wen­den muss­ten. Wir über­schrit­ten den Zab öst­lich des Gha­ra Sur­gh, lie­ßen Pir Ha­san links lie­gen und sa­hen uns ge­nö­tigt, da wir den dor­ti­gen Kur­den kei­nes­wegs trau­en durf­ten, längs des Dsche­bel Pir Mam nach Süd­ost zu hal­ten, um dann nach rechts um­zu­bie­gen und ir­gend­wo zwi­schen dem Diya­leh und klei­nen Zab den Ti­gris zu er­rei­chen. Wir hoff­ten, bei den Dscher­boa-Ara­bern gast­lich auf­ge­nom­men zu wer­den und si­che­re Weg­wei­ser zu fin­den, er­fuh­ren aber zu un­se­rem Leid­we­sen, dass die­sel­ben sich mit den Obeï­de und Beni-Lam ver­bün­det hat­ten, um alle Stäm­me zwi­schen dem Ti­gris und That­har die Spit­zen ih­rer Spee­re füh­len zu las­sen. Nun wa­ren die Sham­mar zwar mit dem einen Fer­kah der Obeï­de, des­sen Scheich Es­lah al Ma­hem7 war, be­freun­det, aber die­ser Mann konn­te sei­ne Ge­sin­nung ge­än­dert ha­ben, und von den an­de­ren Fer­kah wuss­te Mo­ham­med Emin ge­nau, dass sie den Had­de­dihn feind­lich ge­sinnt wa­ren. Un­ter die­sen Um­stän­den war es am ge­ra­tens­ten, un­se­re Rich­tung zu­erst nach Su­li­ma­nia zu neh­men und uns dann wei­ter zu ent­schei­den. Hat­ten wir Amad el Ghan­dur be­freit und glück­lich bis hier­her ge­bracht, so woll­ten wir nun lie­ber einen Um­weg ein­schla­gen, als uns wie­der in neue Ge­fah­ren be­ge­ben.

So ge­lang­ten wir nach län­ge­rer Zeit und man­cher­lei An­stren­gun­gen und Ent­beh­run­gen glück­lich an das nörd­li­che Za­gros­ge­bir­ge.

Es war Abend, und wir la­ger­ten am Ran­de ei­nes Tschi­mar­wal­des.8 Über uns wölb­te sich ein Fir­ma­ment, des­sen Glanz nur in die­sen Ge­gen­den in sol­cher Rein­heit und Kraft zu be­ob­ach­ten ist. Wir be­fan­den uns in der Nähe der per­si­schen Gren­ze, und die Luft Per­si­ens ist ja we­gen ih­rer Klar­heit be­rühmt. Das Licht des Pla­ne­ten war so stark, dass ich, trotz­dem der Mond we­der im Ka­len­der noch am Him­mel stand, die Zei­ger mei­ner Ta­schen­uhr auf drei Schrit­te Ent­fer­nung ganz deut­lich er­ken­nen konn­te. Le­sen hät­te ich, selbst bei klei­ner Schrift, ganz gut ver­mocht. Die Strah­len des Ju­pi­ter wa­ren so stark, dass sei­ne Tra­ban­ten selbst dann mit ei­nem Fern­rohr mit aus­ge­schraub­ten Glä­sern wohl schwer­lich zu ent­de­cken ge­we­sen wä­ren, wenn man den Kör­per des Pla­ne­ten mit dem Ran­de des Roh­res zu be­de­cken ver­sucht hät­te. So­gar te­le­sko­pi­sche Gestir­ne ka­men zum Vor­schein. Der sie­ben­te Stern des Sie­ben­ge­stirns war ohne be­deu­ten­de An­stren­gung des Au­ges zu er­ken­nen. Die Klar­heit ei­nes sol­chen Fir­ma­ments macht einen tie­fen Ein­druck auf das Ge­müt, und ich lern­te ein­se­hen, warum Per­si­en die Hei­mat der Astro­lo­gie ist, die­ser un­frei ge­bo­re­nen Mut­ter der ed­len Toch­ter, wel­che uns die leuch­ten­den Wel­ten des Him­mels ken­nen lehrt.

Un­se­re Lage ließ uns vor­zie­hen, im Frei­en zu über­nach­ten. Wir hat­ten uns im Lau­fe des Ta­ges von ei­nem Hir­ten ein Lamm ge­kauft und brann­ten uns jetzt ein Feu­er an, um das Lamm gleich in der Haut zu bra­ten, nach­dem wir es aus­ge­nom­men und mit dem Mes­ser ge­scho­ren hat­ten.

Un­se­re Pfer­de gras­ten in der Nähe. Sie wa­ren in der letz­ten Zeit ganz un­ge­wöhn­lich an­ge­strengt wor­den, und es wäre ih­nen eine mehr­tä­gi­ge Ruhe zu gön­nen ge­we­sen, was sich lei­der aber nicht er­mög­li­chen ließ. Wir selbst be­fan­den uns alle wohl, mit Aus­nah­me ei­nes Ein­zi­gen. Dies war Sir Da­vid, der un­ter ei­nem großen Är­ger zu lei­den hat­te.

Er war näm­lich vor ei­ni­gen Ta­gen von ei­nem Fie­ber be­fal­len wor­den, das un­ge­fähr vier­und­zwan­zig Stun­den lang an­hielt. Dann war es wie­der ver­schwun­den, aber mit die­sem Ver­schwin­den hat­te sich bei ihm je­nes schau­der­haf­te Ge­schenk des Ori­ents ent­wi­ckelt, das der La­tei­ner Fe­bris Alep­pen­sis, der Fran­zo­se aber Mal d’Alep­po oder Bou­ton d’Alep nennt. Die­se »Alep­po­beu­le«, die nicht nur Men­schen, son­dern auch ge­wis­se Tie­re z.B. Hun­de und Kat­zen heim­sucht, wird stets von ei­nem kur­z­en Fie­ber ein­ge­lei­tet, nach wel­chem sich ent­we­der im Ge­sicht oder auch auf der Brust, an den Ar­men und Bei­nen eine große Beu­le bil­det, die un­ter Aus­si­ckern ei­ner Feuch­tig­keit fast ein gan­zes Jahr steht und beim Ver­schwin­den eine tie­fe, nie wie­der ver­schwin­den­de Nar­be hin­ter­lässt. Der Name die­ser Beu­le ist üb­ri­gens nicht zu­tref­fend, da die Krank­heit nicht nur in Alep­po, son­dern auch in der Ge­gend von An­tio­chia, Mos­sul, Diyar­bakır, Bag­dad und in ei­ni­gen Ge­gen­den Per­si­ens auf­tritt.

Ich hat­te die­se ver­un­stal­ten­de Beu­le schon öf­ter ge­se­hen, noch nie­mals aber in der un­ge­wöhn­li­chen Grö­ße, wie bei un­se­rem gu­ten Mas­ter Lind­say. Nicht ge­nug, dass bei ihm die au­ßer­or­dent­li­che An­schwel­lung im dun­kels­ten Rot er­glänz­te, war sie auch noch so im­per­ti­nent ge­we­sen, sich just die Nase zu ih­rem Sitz aus­zu­wäh­len – die­se arme Nase, die oh­ne­hin schon an ei­ner ganz ab­nor­men Di­men­si­on zu lei­den hat­te. Un­ser Eng­län­der trug das Übel nicht etwa mit Er­ge­ben­heit, wie es sei­ne Pf­licht als Gent­le­man und Ver­tre­ter der very gre­at and ex­cel­lent Na­ti­on ge­we­sen wäre, son­dern er ver­riet einen Är­ger und eine Un­ge­duld, de­ren Aus­brü­che oft das Zwerch­fell der Zu­hö­rer in Mit­lei­den­schaft zo­gen.

Auch jetzt saß er am Feu­er und be­fühl­te fort­wäh­rend mit bei­den Hän­den die un­ver­schäm­te Pus­tel.

»Mas­ter!« sag­te er zu mir. »Her­se­hen!«

»Wo­hin?«

»Hm! Dum­me Fra­ge! Auf mein Ge­sicht na­tür­lich! Yes! Ist wie­der ge­wach­sen?«

»Was? Wer?«

»’s death! Die­se Beu­le hier! Viel ge­wach­sen?«

»Sehr! Sieht ge­ra­de wie eine Gur­ke.«

»All de­vils! Schau­der­haft! Ent­setz­lich! Yes!«

»Vi­el­leicht wird es mit der Zeit ein Fow­ling-bull, Sir!«

»Wollt Ihr eine Ohr­fei­ge ha­ben, Mas­ter? Ste­he so­fort zu Diens­ten! Woll­te, Ihr selbst hät­tet die­ses arm­se­li­ge Swel­ling9 auf Eu­rer Nase!«

»Habt Ihr Schmer­zen?«

»Nein.«

»So seid froh!«

»Froh? Zounds! Wie kann ich froh sein, wenn die Leu­te den­ken, mei­ne Nase hät­te die Snuff-box gleich mit auf die Welt ge­bracht! Wie lan­ge wer­de ich die­ses Ding ha­ben?«

»Ziem­lich ein Jahr, Sir!«

Er mach­te ein Paar Au­gen, dass ich vor Schreck bei­na­he zu­rück­ge­wi­chen wäre, zu­mal das Ent­set­zen ihm den Mund so weit auf­riss, dass die Nase samt der Snuff-box (Schnupf­ta­baks­do­se) ge­ra­de­wegs hät­te hin­ein­spa­zie­ren kön­nen.

»Ein Jahr? Ein gan­zes Jahr? Zwölf gan­ze Mo­na­te?«

»So un­ge­fähr.«

»Oh! Ah! Hor­ri­ble! Fürch­ter­lich, ent­setz­lich! Gibt es kein Mit­tel? Pflas­ter? Sal­be? Brei auf­le­gen? Weg­schnei­den?«

»Nichts, gar nichts.«

»Aber jede Krank­heit hat ihr Mit­tel!«

»Die­se nicht, Sir. Die­se Beu­le ist nicht im Min­des­ten ge­fähr­lich; aber wenn man ver­sucht, sie zu zer­tei­len oder gar zu rit­zen und zu schnei­den, dann kann sie sehr schlimm wer­den.«

»Hm! Was dann, wenn sie fort ist? Sieht man es noch?«

»Das ist ver­schie­den. Je grö­ßer die Beu­le, de­sto grö­ßer auch das Loch, das zu­rück­bleibt.«

»My sky! Ein Loch?«

»Lei­der!«

»O weh! Schau­der­haf­tes Land hier! Mi­se­ra­ble Ge­gend! Wer­de ma­chen, dass ich nach Old Eng­land kom­me! Well!«

»Nehmt Euch Zeit, Sir!«

»Wa­rum?«

»Was wür­de man in Alt­eng­land sa­gen, wenn Sir Da­vid Lind­say sei­ner Nase er­laubt, sich eine Fi­lia­le an­zu­le­gen!«

»Hm! Habt recht, Mas­ter! Die Stra­ßen­jun­gen wür­den mir nachtrol­len. Wer­de also hier blei­ben und mich – – –«

»Sih­di!« un­ter­brach ihn Ha­lef. »Bli­cke nicht um!«

Ich saß mit dem Rücken ge­gen den Wald­rand und dach­te mir na­tür­lich so­fort, dass der klei­ne Had­schi hin­ter mir et­was Ver­däch­ti­ges be­merkt habe.

»Was siehst Du?« frag­te ich ihn des­halb.

»Ein Paar Au­gen. Gera­de hin­ter Dir ste­hen zwei Tschi­mars, und zwi­schen ih­nen gibt es einen wil­den Birn­busch. Dort steckt der Mann, des­sen Au­gen ich ge­se­hen habe.«

»Siehst Du sie noch?«

»War­te!«

Er be­ob­ach­te­te so un­auf­fäl­lig wie mög­lich den Busch, und ich in­stru­ier­te un­ter­des­sen die an­de­ren, sich ganz so un­be­fan­gen wie vor­her zu ver­hal­ten.

»Jetzt!« sag­te Ha­lef.

Ich er­hob mich und gab mir den An­schein, als ob ich dür­res Holz für das Feu­er su­chen woll­te. Da­bei ent­fern­te ich mich so weit von dem La­ger, dass ich nicht mehr ge­se­hen wer­den konn­te. Dann drang ich in den Wald­rand ein und schlich mich zwi­schen den Bäu­men wie­der zu­rück. Es wa­ren nicht fünf Mi­nu­ten ver­gan­gen, so be­fand ich mich hin­ter den bei­den Tschi­mar-Bäu­men und fand da al­ler­dings Ge­le­gen­heit, das schar­fe Auge Ha­lefs zu be­wun­dern. Zwi­schen den Bäu­men und dem Busch kau­er­te eine mensch­li­che Ge­stalt, wel­che un­ser Trei­ben am La­ger­feu­er be­ob­ach­te­te.

Wa­rum ge­sch­ah dies? Wir be­fan­den uns hier in ei­ner Ge­gend, wo in mei­len­wei­tem Um­kreis kein Dorf zu fin­den war. Al­ler­dings gab es rund­her­um ver­schie­de­ne klei­ne kur­di­sche Stäm­me, wel­che sich be­kämpf­ten, und es moch­te wohl auch zu­wei­len ge­sche­hen, dass ir­gend ein per­si­scher No­ma­den­stamm über die Gren­ze kam, um einen Raub aus­zu­füh­ren. Da­bei gab es ge­nug Um­her­zie­hen­de, Über­res­te von ver­nich­te­ten Stäm­men, wel­che Ge­le­gen­heit such­ten, sich ei­nem an­de­ren Stamm an­zu­schlie­ßen.

Ich durf­te nicht trau­en; da­her schob ich mich ganz lei­se an den Mann her­an und fass­te ihn dann rasch bei der Keh­le. Er er­schrak so sehr, dass er ganz steif wur­de und sich auch gar nicht wehr­te, als ich ihn in die Höhe nahm und an das Feu­er trug.

Dort leg­te ich ihn nie­der und zog den Dolch.

»Mann, rüh­re Dich nicht, sonst er­stech ich Dich!«

Es war mir gar nicht so grim­mig um das Herz, aber der Frem­de nahm mei­ne Dro­hung ernst auf und fal­te­te bit­tend die Hän­de.

»Herr, Gna­de!«

»Das soll auf Dich an­kom­men. Be­lügst Du mich, so bist Du ver­lo­ren. Wer bist Du?«

»Ich bin ein Tur­ko­ma­ne vom Stamm der Be­jat.«

Ein Tur­ko­ma­ne? Hier? Sei­ner Klei­dung nach konn­te er al­ler­dings die Wahr­heit ge­sagt ha­ben. Auch wuss­te ich, dass es frü­her Tur­ko­ma­nen zwi­schen dem Ti­gris und der per­si­schen Gren­ze ge­ge­ben hat­te, und es stimm­te, dass es der Stamm Be­jat ge­we­sen war. Die lu­ri­sche Wüs­te und die Ebe­ne Ta­pe­spi wa­ren der Schau­platz ih­rer Um­her­zie­he­rei­en ge­we­sen. Aber als Na­dir-Sch­ah in das Eja­let Bag­dad ein­fiel, schlepp­te er die Be­jat nach Kho­rassan. Er nann­te die­se Pro­vinz we­gen ih­rer Lage und Be­schaf­fen­heit ›das Schwert Per­si­ens‹ und be­müh­te sich, sie mit tap­fe­ren, krie­ge­ri­schen Be­woh­nern zu be­völ­kern.

»Ein Be­jat?« frag­te ich. »Du lügst!«

»Ich sage die Wahr­heit, Herr.«

»Die Be­jat woh­nen nicht hier, son­dern im fer­nen Kho­rassan.«

»Du hast recht; aber als sie einst die­se Ge­gend ver­las­sen muss­ten, blie­ben den­noch Ei­ni­ge zu­rück, de­ren Nach­kom­men sich jetzt so ver­mehrt ha­ben, dass sie über tau­send Krie­ger zäh­len. Wir ha­ben un­se­re Som­mer­plät­ze in der Ge­gend von den Rui­nen von Kiz­zel-Ka­ra­ba und an den Ufern des Kuru-Tschai.«

Es fiel mir ein, da­von ge­hört zu ha­ben.

»Be­fin­det Ihr Euch jetzt hier in der Nähe?«

»Ja, Herr.«

»Wie vie­le Zel­te habt Ihr?«

»Wir ha­ben kei­ne Zel­te.«

Das muss­te mir auf­fal­len. Wenn ein No­ma­den­stamm sein La­ger ver­lässt, ohne sei­ne Zel­te mit­zu­neh­men, deu­tet dies ge­wöhn­lich auf einen Raub- oder Kriegs­zug hin. Ich frag­te wei­ter:

»Wie vie­le Män­ner seid Ihr heu­te?«

»Zwei­hun­dert!«

»Und Frau­en?«

»Wir ha­ben sie nicht bei uns.«

»Wo la­gert Ihr?«

»Nicht weit von hier. Wenn Du dort um die Ecke des Wal­des gehst, bist Du bei uns.«

»Habt Ihr hier un­ser Feu­er be­merkt?«

»Wir sa­hen es, und der Khan schick­te mich ab, um zu er­fah­ren, wel­che Män­ner sich hier be­fin­den.«

»Wo­hin geht Ihr?«

»Wir ge­hen nach dem Sü­den.«

»Wel­cher Ort ist Euer Ziel?«

»Wir wol­len in die Ge­gend von Sin­na.«

»Das ist ja per­sisch!«

»Ja. Un­se­re Freun­de dort ge­ben ein großes Fest, zu dem wir ge­la­den sind.«

Das fiel mir auf. Die­se Be­jat hat­ten ih­ren Wohn­sitz an den Ufern des Kuru-Tschai und bei den Rui­nen von Kiz­zel-Ka­ra­ba, also in der Nähe von Kifri; die­se Stadt aber lag weit im Süd­wes­ten von un­se­rem heu­ti­gen La­ger­platz, wäh­rend Sin­na zwei Drit­tel der­sel­ben Ent­fer­nung im Süd­os­ten von uns lag. Wa­rum wa­ren die Be­jat nicht di­rekt von Kifri nach Sin­na ge­gan­gen? Wa­rum hat­ten sie einen so be­deu­ten­den Um­weg ge­macht?

»Was tut Ihr hier oben?« frag­te ich da­her. »Wa­rum habt Ihr Eu­ren Weg um das Dop­pel­te ver­län­gert?«

»Weil wir durch das Ge­biet des Pa­scha von Su­li­ma­nia hät­ten zie­hen müs­sen, und er ist un­ser Feind.«

»Aber Ihr be­fin­det Euch doch eben­so auf sei­nem Ge­biet!«

»Hier oben sucht er uns nicht. Er weiß, dass wir aus­ge­zo­gen sind, und glaubt, uns im Sü­den von sei­ner Re­si­denz zu fin­den.«

Das klang wahr­schein­lich, ob­wohl ich noch im­mer kein rech­tes Ver­trau­en zu dem Mann hat­te. Ich sag­te mir je­doch, dass die An­we­sen­heit die­ser Be­jat uns nur von Vor­teil sein könn­te. Un­ter ih­rem Schutz konn­ten wir un­an­ge­foch­ten bis nach Sin­na kom­men, und dann war für uns kei­ne Ge­fahr mehr zu be­fürch­ten. Der Tur­ko­ma­ne kam mei­ner dar­auf be­züg­li­chen Fra­ge ent­ge­gen:

»Herr, wirst Du mich wie­der frei­las­sen? Ich habe Euch ja nichts ge­tan!«

»Du hast nur ge­tan, was Dir be­foh­len wur­de; Du bist frei.«

Er at­me­te er­leich­tert auf.

»Ich dan­ke Dir, Herr! Wo­hin sind die Köp­fe Eu­rer Pfer­de ge­rich­tet?«

»Nach Sü­den.«

»Ihr kommt von Mit­ter­nacht her­un­ter?«

»Ja. Wir kom­men aus dem Lan­de der Ti­ja­ri, Ber­wa­ri und Chalda­ni.«

»So seid Ihr sehr mu­ti­ge und tap­fe­re Män­ner. Wel­chem Stam­me ge­hört Ihr an?«

»Die­ser Mann und ich, wir sind Emi­re aus Frank­his­tan, und die an­de­ren sind un­se­re Freun­de.«

»Aus Frank­his­tan! Herr, wollt Ihr mit uns zie­hen?«

»Wird Dein Khan mir sei­ne Hand öff­nen?«

»Er wird es. Wir wis­sen, dass die Fran­ken große Krie­ger sind. Soll ich ge­hen und ihm von Euch sa­gen?«

»Gehe und fra­ge ihn, ob er uns emp­fan­gen will!«

Er stand auf und eil­te da­von. Die an­de­ren zeig­ten sich mit dem, was ich ge­tan hat­te, ein­ver­stan­den, und be­son­ders Mo­ham­med Emin freu­te sich dar­über.

»Ef­fen­di«, sag­te er, »ich habe von den Be­jat oft ge­hört. Sie le­ben mit den Dscher­boa, Obeï­de und Beni-Lam in im­mer­wäh­ren­dem Un­frie­den, und dar­um wer­den sie uns nütz­lich sein. Den­noch wol­len wir nicht sa­gen, dass wir Had­de­dihn sind; es ist bes­ser, sie wis­sen es nicht.«

»Auch jetzt müs­sen wir vor­sich­tig sein, denn noch wis­sen wir nicht, ob der Khan uns freund­lich auf­neh­men wird. Holt die Pfer­de her­bei, und legt Euch die Waf­fen be­reit, um für alle Fäl­le ge­rüs­tet zu sein!«

Die Be­jat schie­nen un­sert­we­gen eine un­ge­wöhn­lich lan­ge Be­ra­tung zu hal­ten, denn ehe sie ein Le­bens­zei­chen von sich ga­ben, war un­ser Lamm ge­bra­ten und auch ver­zehrt. End­lich hör­ten wir Schrit­te. Der Tur­ko­ma­ne, der bei uns ge­we­sen war, er­schi­en mit noch drei Ka­me­ra­den.

»Herr«, sag­te er, »der Khan sen­det mich. Ihr sollt zu ihm kom­men und uns will­kom­men sein.«

»So geht vor­an und führt uns!«

Wir stie­gen zu Pfer­de und folg­ten ih­nen, die Ge­weh­re in der Hand. Als wir die Wal­de­cke hin­ter uns hat­ten, war von kei­nem La­ger­platz et­was zu be­mer­ken; nach­dem wir aber einen dich­ten Ge­büsch­strei­fen durch­schnit­ten hat­ten, er­reich­ten wir einen rings von Sträu­chern ein­ge­fass­ten Platz, auf dem ein mäch­ti­ges Feu­er brann­te. Die­ser La­ger­ort war sehr gut ge­wählt, da er von au­ßen her nicht leicht be­merkt wer­den konn­te.

Das Feu­er diente nicht zum Er­wär­men der Leu­te, son­dern zur Zu­be­rei­tung des Nacht­mahls. Zwei­hun­dert dunkle Ge­stal­ten la­gen im Gras um­her, und et­was ab­seits der fla­ckern­den Flam­me saß der Khan, der sich bei un­se­rem Er­schei­nen lang­sam er­hob. Wir rit­ten hart an ihn her­an und spran­gen von den Pfer­den.

»Frie­de sei mit Dir!« grüß­te ich ihn.

»Mi ne­wa­het kjer­dem – ich ma­che mein Kom­pli­ment!« ant­wor­te­te er, in­dem er sich ver­beug­te.

Das war per­sisch. Vi­el­leicht woll­te er mir da­mit be­wei­sen, dass er wirk­lich ein Be­jat sei, des­sen Haupt­stamm man in Kho­rassan su­chen müs­se. Der Per­ser ist der ori­en­ta­li­sche Fran­zo­se. Sei­ne Spra­che ist bieg­sam und wohl­klin­gend, wes­halb sie auch die Hof­spra­che der meis­ten asia­ti­schen Fürs­ten ge­wor­den ist. Aber das höf­li­che, schmei­cheln­de und oft krie­chen­de We­sen des Per­sers hat nie einen vor­teil­haf­ten Ein­druck auf mich ge­macht; die ge­ra­de, raue Ehr­lich­keit des Ara­bers tat mir woh­ler.

Auch die an­de­ren wa­ren auf­ge­sprun­gen, und alle Hän­de streck­ten sich dienst­fer­tig aus, um sich un­se­rer Pfer­de zu be­mäch­ti­gen; doch hiel­ten wir die Zü­gel fest, da wir noch kei­nes­wegs wuss­ten, ob dies gast­freund­lich oder hin­ter­lis­tig ge­meint war.

»Gebt ih­nen ru­hig die Pfer­de! Sie sol­len sich dar­um küm­mern«, sag­te der Khan.

Ich woll­te mir so­fort Ge­wiss­heit ver­schaf­fen; da­her frag­te ich nun auch in per­si­scher Spra­che:

»Hes­ti ir­schad en­giz – ge­währst Du uns Si­cher­heit?«10

Er ver­neig­te sich zu­stim­mend und hob die Hand.

»Mi sau­kend chor­dem – ich be­schwö­re es! Setzt Euch zu mir, und lasst uns re­den!«

Die Be­jat nah­men die Pfer­de; nur das mei­ni­ge blieb in der Hand Ha­lefs, der recht gut wuss­te, was mir lieb und an­ge­nehm war. Wir an­de­ren nah­men bei dem Khan Platz. Die Flam­me leuch­te­te hell auf uns her­über, so­dass wir ein­an­der ganz ge­nau er­ken­nen konn­ten. Der Be­jat war ein in den mitt­le­ren Jah­ren ste­hen­der Mann von sehr krie­ge­ri­schem Aus­se­hen. Sei­ne Züge wa­ren of­fen und Ver­trau­en er­we­ckend, und die ach­tungs­vol­le Ent­fer­nung, in wel­cher sich sei­ne Un­ter­ge­be­nen von ihm hiel­ten, ließ auf einen ehr- und selbst­be­wuss­ten Cha­rak­ter schlie­ßen.

»Kennst Du be­reits mei­nen Na­men?« er­kun­dig­te er sich.

»Nein«, ant­wor­te­te ich.

»Ich bin Hei­der Mir­lam,11 der Nef­fe des be­rühm­ten Hassan Ker­kusch-Bey. Hast Du von ihm ge­hört?«

»Ja. Er re­si­dier­te in der Nähe des Dor­fes Dsche­ni­jah, wel­ches an der Post­stra­ße von Bag­dad nach Tauk liegt. Er war ein sehr tap­fe­rer Krie­ger, aber er lieb­te den­noch den Frie­den, und je­der Ver­las­se­ne fand gu­ten Schutz bei ihm.«

Er hat­te mir sei­nen Na­men ge­sagt, und nun er­for­der­te es na­tür­lich die Höf­lich­keit, ihm auch den mei­nen zu nen­nen. Da­rum fuhr ich fort:

»Dein Kund­schaf­ter wird Dir be­reits ge­sagt ha­ben, dass ich ein Fran­ke bin. Man nennt mich Kara Ben Nem­si – – –«

Er konn­te trotz der be­kann­ten ori­en­ta­li­schen Selbst­be­herr­schung einen Aus­ruf des Er­stau­nens nicht un­ter­drücken:

»Ajah – oh! Kara Ben Nem­si! So ist die­ser an­de­re Mann, der eine rote Nase hat, der Emir aus Ing­lis­tan, wel­cher Stei­ne und Schrif­ten aus­gra­ben will?«

»Hast Du von ihm ge­hört?«

»Ja, Herr; Du hast mir nur Dei­nen Na­men ge­nannt, aber ich ken­ne Dich und ihn. Der klei­ne Mann, wel­cher Dein Pferd hält, ist Had­schi Ha­lef Omar, vor dem sich so vie­le Gro­ße fürch­ten?«

»Du hast es er­ra­ten.«

»Und wer sind die bei­den an­de­ren?«

»Das sind Freun­de von mir, wel­che ihre Na­men in den Koran leg­ten.12 Wer hat Dir von uns er­zählt?«

»Du kennst Ibn Ze­dar Ben Huli, den Scheich der Abu Ham­med?«

»Ja. Er ist Dein Freund?«

»Er ist nicht mein Freund und nicht mein Feind. Du brauchst Dich nicht zu sor­gen; ich habe ihn nicht an Dir zu rä­chen.«

»Ich fürch­te mich nicht!«

»Das glau­be ich. Ich traf mit ihm bei Eski Kifri zu­sam­men, und da er­zähl­te er mir, dass Du Schuld bist, dass er Tri­but zu zah­len hat. Sei vor­sich­tig, Herr! Er wird Dich tö­ten, wenn Du in sei­ne Hän­de fällst.«

»Ich be­fand mich in sei­ner Hand, ohne dass er mich ge­tö­tet hat. Ich war Ge­fan­ge­ner; aber er konn­te mich nicht fest­hal­ten.«

»Ich habe es ge­hört. Du hast den Lö­wen ge­tö­tet, ganz al­lein und in der Dun­kel­heit, und bist dann mit der Haut des­sel­ben da­von­ge­rit­ten. Glaubst Du, dass auch ich Dich nicht hal­ten könn­te, wenn Du mein Ge­fan­ge­ner wä­rest?«

Dies klang ver­däch­tig, doch ich ant­wor­te­te ru­hig:

»Du könn­test mich nicht hal­ten, und ich wüss­te auch nicht, wie Du es an­fan­gen soll­test, um mich ge­fan­gen zu neh­men.«

»Herr, wir sind Zwei­hun­dert, Ihr aber seid nur Fünf!«

»Khan, ver­giss nicht, dass zwei Emi­re aus Frank­his­tan un­ter die­sen Fünf sind, und dass die­se Zwei so viel zäh­len wie zwei­hun­dert Be­jat!«

»Du sprichst sehr stolz!«

»Und Du fragst sehr un­gast­lich! Soll ich an der Wahr­heit Dei­nes Wor­tes zwei­feln, Hei­der Mir­lam?«

»Ihr seid mei­ne Gäs­te, ob­gleich ich die Na­men die­ser bei­den Män­ner nicht ken­ne, und sollt Brot und Fleisch mit mir es­sen.«

Ein rück­sichts­vol­les Lä­cheln um­spiel­te sei­ne Lip­pen, und der Blick, wel­chen er auf die bei­den Had­de­dihn warf, sag­te mir ge­nug. Mo­ham­med Emin war in­fol­ge sei­nes pracht­vol­len, schnee­wei­ßen Bar­tes un­ter Tau­sen­den zu er­ken­nen.

Auf einen Wink des Khan wur­den ei­ni­ge vier­e­cki­ge Le­der­stücke her­bei­ge­bracht. Auf die­sen ser­vier­te man uns Brot, Fleisch und Dat­teln, und als wir ein We­ni­ges da­von ge­nos­sen hat­ten, wur­de uns für un­se­re Pfei­fen Ta­bak ge­reicht, für wel­chen uns der Khan ei­gen­hän­dig Feu­er gab.

Jetzt erst konn­ten wir uns als sei­ne Gäs­te be­trach­ten, und ich gab Ha­lef einen Wink, mein Pferd zu den üb­ri­gen Ros­sen zu brin­gen. Er tat dies und nahm dann auch bei uns Platz.

»Wel­ches ist das Ziel Eu­rer Wan­de­run­gen?« er­kun­dig­te sich der Khan.

»Wir rei­ten nach Bag­dad zu«, ant­wor­te­te ich vor­sich­tig.

»Wir zie­hen nach Sin­na«, hob er wie­der an. »Wollt Ihr mit uns rei­ten?«

»Wirst Du es er­lau­ben?«

»Ich wer­de mich freu­en, Euch bei mir zu se­hen. Komm, rei­che mir Dei­ne Hand, Kara Ben Nem­si! Mei­ne Brü­der sol­len Dei­ne Brü­der sein und mei­ne Fein­de Dei­ne Fein­de!«

Er reich­te mir sei­ne Hand ent­ge­gen, und ich schlug ein. Er tat das­sel­be auch mit den an­de­ren, die sich mit mir herz­lich freu­ten, hier so ganz un­er­war­tet einen Freund und Be­schüt­zer ge­fun­den zu ha­ben. Wir soll­ten es spä­ter zu be­reu­en ha­ben. Der Be­jat mein­te es nicht böse mit uns; aber er glaub­te, an uns eine gute Er­wer­bung ge­macht zu ha­ben, die ihm großen Nut­zen brin­gen wer­de.

»Wel­che Stäm­me trifft man von hier bis Sin­na?« er­kun­dig­te ich mich.

»Hier ist ein frei­es Land, wo bald die­ser und bald je­ner Stamm sei­ne Her­den wei­det; wer der Stär­ke­re ist, der bleibt.«

»Zu wel­chem Stam­me seid Ihr ge­la­den?«

»Zu dem der Dschi­af.«

»So freue Dich Dei­ner Freun­de; denn der Stamm der Dschi­af ist der mäch­tigs­te des gan­zen Lan­des! Die Scheich-Is­ma­el, Zen­ge­neh, Ke­lo­ga­wa­ni, Kel­ho­re und so­gar die Schen­ki und Hol­la­li fürch­ten ihn.«

»Emir, warst Du be­reits ein­mal hier?«

»Noch nie­mals.«

»Aber Du kennst ja alle Stäm­me die­ser Ge­gend!«

»Ver­giss nicht, dass ich ein Fran­ke bin!«

»Ja, die Fran­ken wis­sen al­les, selbst das, was sie nicht ge­se­hen ha­ben. Hast Du auch vom Stam­me der Beb­beh ge­hört?«

»Ja. Er ist der reichs­te Stamm weit und breit und hat sei­ne Dör­fer und Zel­te in der Um­ge­bung von Su­li­ma­nia.«

»Du bist recht in­for­miert. Hast Du Freun­de oder Fein­de un­ter ih­nen?«

»Nein. Ich bin noch nie mit ei­nem Beb­beh zu­sam­men­ge­trof­fen.«

»Vi­el­leicht wer­det Ihr sie ken­nen­ler­nen.«

»Wer­det Ihr ih­nen be­geg­nen?«

»Vi­el­leicht, ob­wohl wir ein Tref­fen ger­ne ver­mei­den.«

»Kennst Du den Weg nach Sin­na ge­nau?«

»Ganz ge­nau.«

»Wie weit ist es von hier bis da­hin?«

»Wer ein gu­tes Pferd hat, der rei­tet in drei Ta­gen hin.«

»Und wie weit ist es bis Su­li­ma­nia?«

»Du kannst es schon in zwei Ta­gen er­rei­chen.«

»Wann brecht Ihr mor­gen auf?«

»So­bald die Son­ne er­scheint. Möch­test Du zur Ruhe ge­hen?«

»Wie es Dir an­ge­nehm ist.«

»Der Wil­le des Gas­tes ist Ge­setz im La­ger, und Ihr seid müde, denn Du hast die Pfei­fe be­reits fort­ge­legt. Auch der Amas­dar13 macht schon sei­ne Au­gen zu. Ich gön­ne Euch die Ruhe.«

»Be­ja­hend schi­rin­kar – die Be­jat ha­ben an­ge­neh­me Sit­ten. Er­lau­be, dass wir un­se­re De­cken aus­brei­ten!«

»Tut es. Al­lah ara­med schu­ma­ra – Gott gebe Euch Schlaf!«14

Auf einen Wink von ihm wur­den Tep­pi­che ge­bracht, aus de­nen er sich ein Ru­he­la­ger be­rei­te­te. Mei­ne Ge­fähr­ten mach­ten es sich so be­quem wie mög­lich; ich aber ver­län­ger­te die Zü­gel mei­nes Pfer­des durch den Las­so, des­sen Ende ich mir um das Hand­ge­lenk band, und leg­te mich dann au­ßer­halb des La­ger­krei­ses nie­der. So konn­te der Rap­pe wei­den, und ich war sei­ner si­cher, zu­mal der Hund an mei­ner Sei­te wach­te.

So ver­ging eine Wei­le.

Ich hat­te die Au­gen noch nicht ge­schlos­sen, als sich mir je­mand nä­her­te. Es war der Eng­län­der, der sei­ne bei­den De­cken ne­ben mir nie­der­leg­te.

»Schö­ne Freund­schaft das«, brumm­te er. »Sit­ze da, ver­ste­he kein Wort! Den­ke, es soll mir er­klärt wer­den! Da aber macht sich der Kerl aus dem Stau­be. Hm! Dan­ke sehr!«

»Ver­zeiht, Sir! Euch hat­te ich wahr­haf­tig ver­ges­sen!«

»Mich ver­ges­sen! Seid Ihr blind, oder bin ich nicht groß ge­nug?«

»Na, in die Au­gen fallt Ihr schon, be­son­ders seit Ihr den Leucht­turm im Ge­sicht habt. Also was wollt Ihr wis­sen?«

»Al­les! Üb­ri­gens mit dem Leucht­turm, das lasst sein, Mas­ter! Was habt Ihr denn mit die­sem Scheich oder Khan be­spro­chen?«

Ich er­klär­te es ihm.

»Well, das ist güns­tig. Nicht?«

»Ja. Drei Tage lang si­cher sein oder nicht, das ist ein Un­ter­schied.«

»Ihr habt also ge­sagt: nach Bag­dad? Meint Ihr das wirk­lich, Mas­ter?«

»Es wäre mir al­ler­dings das Liebs­te, aber es geht nicht.«

»Wa­rum nicht?«

»Wir müs­sen zu den Had­de­dihn zu­rück, denn Ihr habt Eure Die­ner noch dort, und so­dann fällt es mir auch sehr schwer, mich von Ha­lef zu tren­nen. We­nigs­tens ver­las­se ich ihn nicht eher, als bis ich ihn ge­sund und si­cher bei sei­nem jun­gen Wei­be weiß.«

»Rich­tig! Yes! Bra­ver Kerl! Zehn­tau­send Pfund wert. Well! Möch­te auch sonst gern wie­der hin.«

»Wa­rum?«

»We­gen Fow­ling-bulls.«

»Oh, Al­ter­tü­mer sind in der Nähe von Bag­dad auch zu fin­den; zum Bei­spiel in den Rui­nen bei Hil­lah. Dort hat Ba­by­lon ge­stan­den, und es gibt da Trüm­mer­fel­der von ei­nem Um­kreis von meh­re­ren geo­gra­fi­schen Mei­len, ob­gleich Ba­by­lon nicht so groß ge­we­sen ist, wie Ni­ni­veh.«

»Oh! Ah! Hin­rei­ten! Nach Hil­lah! Nicht?«

»Dar­über lässt sich noch nichts sa­gen. Die Haupt­sa­che ist zu­nächst, dass wir den Ti­gris glück­lich er­rei­chen. Das Wei­te­re wird sich dann fin­den.«

»Schön! Wir ge­hen aber hin! Yes! Well! Good night!«

»Gute Nacht!«

Der gute Lind­say dach­te heu­te nicht, dass wir eher und un­ter ganz an­de­ren Um­stän­den, als er jetzt mein­te, nach je­nen Ge­gen­den kom­men wür­den. Er wi­ckel­te sich in sei­ne De­cke und ließ bald ein lau­tes Schnar­chen ver­neh­men. Auch ich schlief ein, ge­wahr­te aber vor­her, dass vier Män­ner von den Be­jat sich zu Pfer­de setz­ten und fort­rit­ten.

Als ich er­wach­te, grau­te der Tag, und ei­ni­ge der Tur­ko­ma­nen wa­ren be­reits mit ih­ren Pfer­den be­schäf­tigt. Ha­lef, der auch schon mun­ter war, hat­te am Abend das We­g­rei­ten der vier Be­jat be­merkt und mel­de­te es mir nun. Dann frag­te er:

»Sih­di, warum sen­den sie Bo­ten fort, wenn sie es ehr­lich mit uns mei­nen?«

»Ich glau­be nicht, dass die­se Vier ge­ra­de we­gen uns fort­ge­rit­ten sind. Wir wä­ren ja auch so schon voll­stän­dig in der Ge­walt des Khan, wenn er Übles ge­gen uns vor­hät­te. Sor­ge Dich nicht, Ha­lef!«

Ich dach­te mir, dass die Rei­ter we­gen der Ge­fähr­lich­keit der Ge­gend als Kund­schaf­ter vor­aus­ge­schickt wor­den sei­en, und hat­te da­mit auch wirk­lich das Rich­ti­ge ge­trof­fen, wie ich auf mei­ne Er­kun­di­gung bei Hei­der Mir­lam selbst er­fuhr.

Nach ei­nem sehr spär­li­chen Früh­stück, wel­ches nur aus ei­ni­gen Dat­teln be­stand, bra­chen wir auf. Der Khan hat­te sei­ne Leu­te in ein­zel­ne Trupps ge­teilt, die sich in Ab­stän­den von ei­ner Vier­tel­stun­de folg­ten. Er war ein klu­ger, vor­sich­ti­ger Mann, der für die Si­cher­heit der Sei­nen nach bes­ten Kräf­ten sorg­te.

Wir rit­ten ohne Rast bis Mit­tag. Als die Son­ne am höchs­ten stand, mach­ten wir Halt, um un­se­ren Pfer­den die nö­ti­ge Ruhe zu gön­nen. Wir wa­ren wäh­rend un­se­res Rit­tes auf kei­nen ein­zi­gen Men­schen ge­sto­ßen und hat­ten an be­stimm­ten Stel­len, an Bü­schen, Bäu­men oder am Bo­den Zei­chen der vier vor­aus­ge­sand­ten Rei­ter ge­fun­den, die uns da­durch die Rich­tung an­ga­ben, der wir fol­gen muss­ten.

Die­se Rich­tung war mir rät­sel­haft. Von un­se­rem gest­ri­gen Rast­platz aus hat­te Sin­na im Süd­os­ten ge­le­gen, aber an­statt in Fol­ge des­sen die­se Rich­tung ein­zu­hal­ten, wa­ren wir fast ge­nau noch süd­lich ge­rit­ten.

»Du woll­test zu den Dschi­af?« er­in­ner­te ich den Khan.

»Ja.«

»Die­ser wan­dern­de Stamm be­fin­det sich jetzt in der Ge­gend von Sin­na?«

»Ja.«

»Aber wenn wir so wei­ter­rei­ten, kom­men wir nie nach Sin­na, son­dern nach Ban­na oder gar Nwei­z­gieh!«

»Willst Du si­cher rei­sen, Herr?«

»Das ver­steht sich!«

»Wir auch. Und aus die­sem Grund ist es rat­sam, dass wir die feind­li­chen Stäm­me um­ge­hen. Wir wer­den noch bis heu­te Abend sehr scharf zu rei­ten ha­ben und dann kön­nen wir uns aus­ru­hen; denn wir müs­sen mor­gen er­war­ten, dass der Weg nach Os­ten frei wird.«

Die­se Er­klä­rung woll­te mir nicht ganz ein­leuch­ten; aber es war mir nicht mög­lich, sei­ne Grün­de zu wi­der­le­gen, und so schwieg ich.

Nach ei­ner zwei­stün­di­gen Ruhe bra­chen wir wie­der auf. Un­ser Ritt war sehr scharf, und ich be­merk­te, dass er uns oft im Zick­zack führ­te; es gab also vie­le Punk­te, von de­nen uns die vier Kund­schaf­ter fern­hal­ten woll­ten.

Ge­gen Abend muss­ten wir eine hohl­we­g­ähn­li­che Ver­tie­fung durch­rei­ten. Ich be­fand mich an der Sei­te des Khans, der bei der vor­ders­ten Ab­tei­lung war. Wir hat­ten die­se Stel­le fast zu­rück­ge­legt, als wir auf einen Rei­ter tra­fen, des­sen be­stürz­tes Ge­sicht uns ver­riet, dass er nicht ge­dacht hat­te, hier an die­sem Ort Frem­den zu be­geg­nen. Er dräng­te sein Pferd zur Sei­te, senk­te die lan­ge Lan­ze und grüß­te:

»Sal­lam!«

»Sal­lam!« ant­wor­te­te der Khan. »Wo­hin geht dein Weg?«

»In den Wald. Ich will mir ein Berg-Schaf15 er­ja­gen.«

»Zu wel­chem Stam­me ge­hörst du?«

»Ich bin ein Beb­beh.«

»Wohnst du, oder wan­derst du?«

»Wir woh­nen zur­zeit des Win­ters; im Som­mer aber füh­ren wir un­se­re Her­den zur Wei­de.«

»Wo wohnst du im Win­ter?«

»In Nwei­z­gieh. Im Süd­os­ten von hier. In ei­ner Stun­de kannst du es er­rei­chen. Mei­ne Ge­fähr­ten wer­den euch gern will­kom­men hei­ßen.«

»Wie vie­le Män­ner seid ihr?«

»Vier­zig, und bei an­de­ren Her­den sind noch mehr.«

»Gib mir dei­ne Lan­ze!«

»Wa­rum?« frag­te der Mann er­staunt.

»Und dei­ne Flin­te!«

»Wa­rum?«

»Und dein Mes­ser! Du bist mein Ge­fan­ge­ner!«

»Ma­schal­lah!«

Die­ses Wort war ein Aus­ruf des Schre­ckens. So­gleich aber blitz­te es in sei­nen schar­fen Zü­gen auf; er riss sein Pferd em­por, warf es her­um und spreng­te zu­rück.

»Fan­ge mich!« hör­ten wir noch den Ruf des schnell han­deln­den Man­nes.

Da nahm der Khan sei­ne Flin­te zur Hand und leg­te auf den Flie­hen­den an. Ich hat­te kaum Zeit, den Lauf zur Sei­te zu schla­gen, so krach­te der Schuss. Na­tür­lich ging die Ku­gel an ih­rem Ziel vor­über. Der Khan hob die Faust ge­gen mich, be­sann sich aber so­fort ei­nes Bes­se­ren.

»Khy­jan­gar!16 Was tust du?« rief er zor­nig.

»Ich bin kein Ver­rä­ter«, ant­wor­te­te ich ru­hig. »Ich will nicht ha­ben, dass du eine Blut­schuld auf dich lädst.«

»Aber er muss­te ster­ben! Wenn er uns ent­kommt, so müs­sen wir es bü­ßen.«

»Lässt du ihm das Le­ben, wenn ich ihn dir brin­ge?«

»Ja. Aber du wirst ihn nicht fan­gen!«

»War­te!«

Ich ritt dem Flüch­ti­gen nach. Er war nicht mehr zu se­hen; aber als ich die Schlucht hin­ter mir hat­te, be­merk­te ich ihn. Vor mir lag eine mit weißem Cro­cus und wil­den Nel­ken be­wach­se­ne Ebe­ne, jen­seits wel­cher die dunkle Li­nie ei­nes Wal­des sicht­bar wur­de. Wenn ich ihn den Wald er­rei­chen ließ, so war er wohl für mich ver­lo­ren.

»Rih!« rief ich, in­dem ich mei­nem Rap­pen die Hand zwi­schen die Ohren leg­te. Das bra­ve Tier war längst nicht mehr bei vol­len Kräf­ten; auf die­ses Zei­chen hin aber flog es über den Bo­den, als ob es wo­chen­lang aus­ge­ruht habe. In zwei Mi­nu­ten war ich dem Beb­beh um zwan­zig Pfer­de­län­gen nahe ge­kom­men.

»Halt!« rief ich ihm zu.

Die­ser Mann war sehr mu­tig. Statt wei­ter zu flie­hen oder zu hal­ten, warf er sein Pferd auf den Ha­ken her­um und kam mir ent­ge­gen. Im nächs­ten Au­gen­blick muss­ten wir zu­sam­men­pral­len. Ich sah ihn die Lan­ze he­ben und griff zu dem leich­ten Stut­zen. Da nahm er sein Pferd um ei­ni­ge Zoll nur auf die Sei­te. Wir saus­ten an­ein­an­der vor­über; die Spit­ze sei­nes Spee­res war auf mei­ne Brust ge­rich­tet; ich pa­rier­te glück­lich, nahm aber so­fort mein Pferd her­um. Er hat­te eine an­de­re Rich­tung ein­ge­schla­gen und such­te zu ent­kom­men. Wa­rum be­dien­te er sich nicht sei­ner Flin­te? Auch war sein Pferd zu we­nig schlecht, als dass ich es un­ter ihm hät­te er­schie­ßen mö­gen. Ich nahm den Las­so von der Hüf­te, be­fes­tig­te das eine Ende des­sel­ben am Sat­tel­knopf und leg­te dann den lan­gen, un­zer­reiß­ba­ren Rie­men in die Sch­lin­gen. Er blick­te sich um und sah mich nä­her kom­men. Er hat­te wohl noch nie von ei­nem Las­so ge­hört und wuss­te also auch nicht, wie man die­ser so ge­fähr­li­chen Waf­fe ent­ge­hen kann. Zur Lan­ze schi­en er kein Ver­trau­en mehr zu ha­ben, denn er nahm sein lan­ges Ge­wehr, des­sen Ku­gel ja nicht zu pa­rie­ren war. Ich maß die Ent­fer­nung scharf mit dem Auge, und ge­ra­de, als er den Lauf er­hob, schwirr­te der Rie­men durch die Luft. Kaum hat­te ich mein Pferd zur Sei­te ge­nom­men, so fühl­te ich einen Ruck: ein Schrei er­scholl, und ich hielt an – der Beb­beh lag mit um­schlun­ge­nen Ar­men am Bo­den. Ei­nen Au­gen­blick spä­ter stand ich bei ihm.

»Hast du dir weh­ge­tan?«

Die­se mei­ne Fra­ge muss­te un­ter den ge­gen­wär­ti­gen Um­stän­den al­ler­dings wie Hohn klin­gen. Er such­te sei­ne Arme zu be­frei­en und knirsch­te:

»Räu­ber!«

»Du irrst! Ich bin kein Räu­ber; aber ich wün­sche, dass du mit mir rei­test.«

»Wo­hin?«

»Zum Khan der Be­jat, dem du ent­flo­hen bist.«

»Der Be­jat? Also ge­hö­ren die Män­ner, wel­che ich traf, zu die­sem Stam­me! Und wie heißt der Khan?«

»Hei­der Mir­lam.«

»Oh, nun weiß ich al­les. Al­lah möge euch ver­der­ben, die ihr doch nur Die­be und Schuf­te seid!«

»Schimp­fe nicht! Ich ver­spre­che dir bei Al­lah, dass dir nichts ge­sche­hen soll!«

»Ich bin in dei­ner Ge­walt und muss dir fol­gen.«

Ich nahm ihm das Mes­ser aus dem Gür­tel und hob die Lan­ze und die Flin­te vom Bo­den; sie wa­ren ihm beim Sturz ent­fal­len. Dann lös­te ich den Rie­men und stieg schnell zu Pfer­de, um auf al­les ge­fasst zu sein. Er schi­en kei­nen Ge­dan­ken an Flucht zu he­gen, son­dern pfiff sei­nem Pferd und schwang sich auf.

»Ich traue dei­nem Wort«, sag­te er. »Komm!«

Wir ga­lop­pier­ten ne­ben­ein­an­der zu­rück und fan­den die Be­jat am Aus­gang der Ver­tie­fung auf uns war­ten. Als Hei­der Mir­lam den Ge­fan­ge­nen er­blick­te, klär­te sich sein fins­te­res Ge­sicht auf.

»Herr, Du bringst ihn wirk­lich!« rief er.

»Ja, denn ich habe es Dir ver­spro­chen. Aber ich habe ihm mein Wort ge­ge­ben, dass ihm nichts ge­sche­hen soll. Hier sind sei­ne Waf­fen!«

»Er soll spä­ter al­les wie­der ha­ben, jetzt aber bin­det ihn, da­mit er nicht ent­flie­hen kann!«

Die­sem Be­fehl wur­de so­gleich Ge­hor­sam ge­leis­tet. Un­ter­des­sen war die zwei­te un­se­rer Ab­tei­lun­gen her­an­ge­kom­men, und ihr wur­de der Ge­fan­ge­ne mit dem Be­geh­ren über­ge­ben, ihn zwar gut zu be­han­deln, ihn aber eben­so gut zu be­wa­chen. Dann wur­de der un­ter­bro­che­ne Ritt fort­ge­setzt.

»Wie ist er in Dei­ne Ge­walt ge­kom­men?« frag­te der Khan.

»Ich habe ihn ge­fan­gen«, ant­wor­te­te ich kurz; denn ich war ver­stimmt über sein Ver­hal­ten.

»Herr, Du zürnst«, mein­te er; »Du wirst aber noch er­ken­nen, dass ich so han­deln muss­te.«

»Ich hof­fe es!«

»Die­ser Mann darf nicht aus­plau­dern, dass die Be­jat in der Nähe sind.«

»Wann wirst Du ihn ent­las­sen?«

»So­bald es ohne Ge­fahr ge­sche­hen kann.«

»Be­den­ke, dass er ei­gent­lich mir ge­hört. Ich hof­fe, dass mein ihm ge­ge­be­nes Wort nicht zu Schan­den wer­de!«

»Was wür­dest Du tun, wenn das Ge­gen­teil ge­schä­he?«

»Ich wür­de ein­fach Dich –«

»Tö­ten?« fiel er mir ins Wort.

»Nein. Ich bin ein Fran­ke, das heißt, ich bin ein Christ; ich töte nur dann einen Men­schen, wenn ich mein Le­ben ge­gen ihn ver­tei­di­gen muss. Ich wür­de Dich also nicht tö­ten, aber ich wür­de die Hand, mit wel­cher Du Dein Ver­spre­chen mir be­kräf­tigt hast, zu Schan­den schie­ßen. Der Emir der Be­jat wäre dann wie ein Kna­be, der kein Mes­ser zu füh­ren ver­steht, oder wie ein al­tes Weib, auf des­sen Stim­me nichts ge­ge­ben wird.«

»Herr, wenn mir das ein an­de­rer sag­te, so wür­de ich la­chen; Euch aber traue ich es zu, dass Ihr mich mit­ten un­ter mei­nen Krie­gern an­grei­fen wür­det.«

»Al­ler­dings tä­ten wir das! Es ist kei­ner un­ter uns, der sich vor Dei­nen Be­jat fürch­ten möch­te.«

»Auch Mo­ham­med Emin nicht?« er­wi­der­te er lä­chelnd.

Ich sah mein Ge­heim­nis ver­ra­ten, aber ich ant­wor­te­te gleich­mü­tig:

»Auch er nicht.«

»Und Amad el Ghan­dur, sein Sohn?«

»Hast Du je­mals ver­nom­men, dass er ein Feig­ling sei?«

»Nie! Herr, wä­ret Ihr nicht Män­ner, so hät­te ich Euch nicht bei uns auf­ge­nom­men; denn wir rei­ten auf We­gen, wel­che ge­fähr­lich sind. Ich wün­sche, dass wir sie glück­lich vollen­den!«

Der Abend brach her­ein, und eben, als es so dun­kel wur­de, dass es die höchs­te Zeit zum La­gern war, ge­lang­ten wir an einen Bach, wel­cher aus ei­nem La­by­rinth von Fel­sen in das Freie sich er­goss. Dort la­ger­ten die vier Be­jat, wel­che uns vor­aus­ge­rit­ten wa­ren. Der Khan stieg ab und trat zu ih­nen, um sich län­ge­re Zeit lei­se mit ih­nen zu un­ter­hal­ten.

Wa­rum tat er so heim­lich? Hat­te er et­was vor, was nur sie al­lein wis­sen durf­ten? End­lich be­fahl er sei­nen Leu­ten, ab­zu­stei­gen. Ei­ner der Vier schritt uns vor­an, in das Fel­sen­ge­wirr hin­ein. Wir führ­ten die Pfer­de hin­ter uns und ge­lang­ten nach ei­ni­ger Zeit in eine große, ganz von Fel­sen ein­ge­schlos­se­ne freie Run­dung. Die­ser Ort war das si­chers­te Ver­steck, wel­ches je­mals ge­fun­den wer­den konn­te, frei­lich viel zu klein für zwei­hun­dert Mann und de­ren Pfer­de.

»Blei­ben wir hier?« frag­te ich.

»Ja«, ant­wor­te­te Hei­der Mir­lam.

»Aber nicht alle!«

»Nur vier­zig; die an­de­ren wer­den in der Nähe la­gern.«

Die­se Ant­wort muss­te mich zu­frie­den­stel­len; nur wun­der­te es mich, dass trotz der Si­cher­heit un­se­rer Lage kein Feu­er an­ge­zün­det wur­de. Dies fiel auch den Ge­fähr­ten auf.

»Schö­ner Platz!« sag­te Lind­say. »Klei­ne Are­na. Nicht?«

»Al­ler­dings.«

»Aber feucht und kalt hier am Was­ser. Wa­rum nicht Feu­er an­zün­den?«

»Weiß es nicht. Vi­el­leicht sind feind­li­che Kur­den in der Nähe.«

»Was aus ih­nen ma­chen? Nie­mand kann uns se­hen. Hm! Ge­fällt mir nicht!«

Er warf einen zwei­fel­haf­ten Blick auf den Khan, der mit dem sicht­li­chen Be­stre­ben, von uns nicht ge­hört zu wer­den, zu sei­nen Leu­ten sprach. Ich setz­te mich zu Mo­ham­med Emin, der auf die­se Ge­le­gen­heit ge­war­tet zu ha­ben schi­en, denn er frag­te mich so­fort:

»Emir, wie lan­ge blei­ben wir bei die­sen Be­jat?«

»So lan­ge es Dir be­liebt.«

»Ist es Dir recht, so tren­nen wir uns mor­gen von ih­nen.«

»Wa­rum?«

»Ein Mann, der die Wahr­heit ver­schweigt, ist kein gu­ter Freund.«

»Hältst Du den Khan für einen Lüg­ner?«

»Nein; aber ich hal­te ihn für einen Mann, der nicht al­les sagt, was er denkt.«

»Er hat Dich er­kannt.«

»Ich weiß es; ich habe es an sei­nen Au­gen ge­se­hen.«

»Nicht bloß Dich, son­dern auch Amad el Ghan­dur.«

»Das ist leicht zu den­ken, da mein Sohn die Züge sei­nes Va­ters trägt.«

»Macht Dir dies viel­leicht Sor­gen?«

»Nein. Wir sind Gäs­te der Be­jat ge­wor­den, und sie wer­den uns nicht ver­ra­ten. Aber warum ha­ben sie die­sen Beb­beh ge­fan­gen ge­nom­men?«

»Da­mit er un­se­re An­we­sen­heit nicht ver­ra­ten kann.«

»Wa­rum soll sie nicht ver­ra­ten wer­den, Emir? Was ha­ben zwei­hun­dert be­waff­ne­te und gut be­rit­te­ne Rei­ter zu fürch­ten, wenn sie kei­nen Tross bei sich ha­ben, we­der Weib noch Kind, we­der Kran­ke noch Grei­se, we­der Zel­te noch Her­den? In wel­cher Ge­gend be­fin­den wir uns, Ef­fen­di?«

»Wir sind in­mit­ten des Ge­bie­tes der Beb­beh.«

»Und er woll­te zu den Dschi­af? Ich habe wohl be­merkt, dass wir im­mer ge­gen Mit­tag rit­ten. Wa­rum teilt er heu­te die Leu­te in zwei La­ger? Emir, die­ser Hei­der Mir­lam hat zwei Zun­gen, ob­wohl er es ehr­lich mit uns meint. Wenn wir uns mor­gen von ihm tren­nen wol­len, wel­chen Weg schla­gen wir dann ein?«

»Wir ha­ben die Ber­ge des Za­gros zu un­se­rer Lin­ken. Die Distrikts­haupt­stadt Ban­na liegt ganz in un­se­rer Nähe, wie ich ver­mu­te. Geht man an ihr vor­über, so kommt man nach Ameh­da­bad, Bija, Su­re­ne und Bayen­der­eh. Hin­ter Ameh­da­bad öff­net sich ein Pass, wel­cher durch ein­sa­me Schluch­ten und Tä­ler nach Kiz­zel­zieh führt. Dort hat man die Hü­gel von Gir­zeh und Ser­sir zur Rech­ten, eben­so die kah­len Ber­ge von Kur­ri-Kaz­haf; man ge­langt an die bei­den Was­ser­läu­fe Bis­tan und Ka­rad­scho­lan, wel­che sich mit dem Kiz­zel­zieh ver­ei­ni­gen und in den Ki­u­pri­see fal­len. Ha­ben wir die­sen er­reicht, so sind wir ge­bor­gen. Die­ser Weg ist frei­lich be­schwer­lich.«

»Wo­her weißt du das?«

»Ich habe in Bag­dad mit ei­nem Bul­bas­si-Kur­den ge­spro­chen, wel­cher mir die­se Ge­gend so gut be­schrieb, dass ich mir eine klei­ne Kar­te an­fer­ti­gen konn­te. Ich glaub­te nicht, sie brau­chen zu kön­nen, habe sie aber doch hier in mein Gün­tes­te17 ge­zeich­net.«

»Und du meinst, dass es gut ist, die­sen Weg ein­zu­schla­gen?«

»Ich habe mir auch an­de­re Orte, Ber­ge und Flüs­se auf­ge­zeich­net, hal­te die­sen Weg aber für den bes­ten. Wir könn­ten ent­we­der nach Su­li­ma­nia oder über Mik und Do­wei­za nach Sin­na rei­ten, wis­sen aber nicht, wel­che Auf­nah­me wir dort fin­den.«

»So bleibt es da­bei: – wir tren­nen uns mor­gen von den Be­jat und zie­hen über die Ber­ge nach dem See von Ki­u­pri. Wird dich dei­ne Kar­te nicht täu­schen?«

»Nein, wenn mich der Bul­bas­si nicht ge­täuscht hat.«

»Lass uns also ru­hen und schla­fen! Die Be­jat mö­gen tun, was ih­nen be­liebt.«

Wir tränk­ten un­se­re Pfer­de am Bach und sorg­ten für das not­wen­di­ge Fut­ter. Dann leg­ten sich die an­de­ren gleich zur Ruhe, wäh­rend ich den Khan auf­such­te.

»Hei­der Mir­lam, wo sind die an­de­ren Be­jat?«

»In der Nähe. Wa­rum fragst du?«

»Bei ih­nen ist der ge­fan­ge­ne Beb­beh, den ich se­hen möch­te.«

»Wa­rum willst du ihn se­hen?«

»Es ist mei­ne Pf­licht, weil er mein Ge­fan­ge­ner ist.«

»Er ist nicht dei­ner, son­dern mein Ge­fan­ge­ner; denn du hast ihn mir über­ge­ben.«

»Dar­über wol­len wir uns nicht strei­ten; aber ich möch­te doch nach­se­hen, wie er sich be­fin­det.«

»Er be­fin­det sich gut. Wenn Hei­der Mir­lam dies sagt, so ist es wahr. Sor­ge dich nicht um ihn, Herr, son­dern set­ze dich zu mir und lass uns eine Pfei­fe Ta­bak rau­chen!«

Ich folg­te sei­nem Wor­te, um ihn nicht zu er­zür­nen, ver­ließ ihn aber sehr bald wie­der, um mich nie­der­zu­le­gen. Wa­rum soll­te ich den Beb­beh nicht se­hen? Schlecht be­han­delt wur­de er nicht; da­für bürg­te mir das Wort des Khan. Die­ser aber wur­de je­den­falls von ei­nem Grun­de ge­lei­tet, den mein man­gel­haf­ter Scharf­sinn nicht zu ent­de­cken ver­moch­te. Ich be­schloss, mor­gen in al­ler Frü­he den Beb­beh auf mei­ne ei­ge­ne Ge­fahr hin frei­zu­las­sen und dann mich von den Be­jat zu tren­nen. So schlief ich ein.

Wenn man vom Mor­gen­grau­en bis zum spä­ten Abend auf dem Pferd hängt, so wird man selbst als Ge­wohn­heits­rei­ter müde. Das war auch bei mir der Fall. Ich schlief gut und fest, und ich wäre si­cher vor dem Mor­gen nicht auf­ge­wacht, wenn nicht das Mur­ren mei­nes Hun­des mich ge­weckt hät­te. Als ich die Au­gen auf­schlug, war es sehr dun­kel; den­noch er­kann­te ich einen Mann, wel­cher auf­recht in mei­ner Nähe stand.

Ich griff zum Mes­ser.

»Wer bist du?«

Bei die­ser Fra­ge er­wach­ten auch die Ge­fähr­ten und nah­men die Waf­fen zur Hand.

»Kennst du mich nicht, Herr?« er­klang die Ant­wort. »Ich bin ei­ner der Be­jat.«

»Was willst du?«

»Herr, hilf uns! Der Beb­beh ist ent­flo­hen!«

Ich sprang so­fort auf und die an­de­ren mit.

»Der Beb­beh? Wann?«

»Ich weiß es nicht. Wir ha­ben ge­schla­fen.«

»Ah! Hun­dert­und­sech­zig Mann ha­ben ihn be­wacht, und er ist ent­flo­hen?«

»Sie sind ja nicht da!«

»Die­se Hun­dert­und­sech­zig sind fort?«

»Sie kom­men wie­der, Herr.«

»Wo­hin sind sie?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wo ist der Khan?«

»Auch mit fort.«

Da fass­te ich den Mann bei der Brust.

»Mensch, habt ihr viel­leicht eine Schur­ke­rei ge­gen uns vor? Das soll­te euch schlecht be­kom­men!«

»Lass mich, Herr! Wie kön­nen wir dir Schlim­mes tun! Du bist ja un­ser Gast!«

»Ha­lef, un­ter­su­che, wie vie­le Be­jat sich noch hier be­fin­den!«

Es war so dun­kel, dass man den Platz nicht zu über­bli­cken ver­moch­te. Der klei­ne Had­schi er­hob sich, um mei­nen Be­fehl aus­zu­füh­ren.

»Es sind noch vier hier«, er­klär­te so­gleich der Be­jat, »und ei­ner steht drau­ßen am Ein­gang, um ihn zu be­wa­chen. Drü­ben aber im an­de­ren La­ger wa­ren wir zu zehnt, um den Ge­fan­ge­nen zu be­wa­chen.«

»Wie ist er euch ent­kom­men? Zu Fuß?«

»Nein. Er hat sein Pferd mit­ge­nom­men, nebst ei­ni­gen Waf­fen von uns.«

»Das ist ein Be­weis, dass ihr sehr klu­ge und auf­merk­sa­me Wäch­ter seid. Aber warum kommt ihr zu mir?«

»Herr, fan­ge ihn wie­der!«

Bei­na­he hät­te ich laut auf­ge­lacht. Eine nai­ve­re Zu­mu­tung konn­te mir ja gar nicht ge­stellt wer­den. Ich ließ die­se Auf­for­de­rung ganz un­be­ach­tet und er­kun­dig­te mich nur wei­ter:

»Ihr wisst also nicht, wo der Khan mit den an­de­ren ist?«

»Wir wis­sen es wirk­lich nicht.«

»Aber er muss doch einen Grund ha­ben, fort­zu­ge­hen!«

»Den hat er.«

»Wel­cher ist es?«

»Herr, wir sol­len ihn dir nicht sa­gen.«

»Gut. Wir wol­len ein­mal se­hen, wer jetzt zu be­feh­len hat, der Khan oder ich – – –«

Ha­lef un­ter­brach mich, in­dem er mel­de­te, dass wirk­lich nur noch vier Be­jat zu be­mer­ken sei­en.

»Sie ste­hen dort in der Ecke und hö­ren uns zu, Sih­di!« sag­te er.

»Lass sie ste­hen! Aber sag, sind dei­ne Pis­to­len ge­la­den, Had­schi Ha­lef Omar?«

»Hast du sie je­mals un­ge­la­den ge­se­hen, Sih­di?«

»Nimm sie her­aus, und wenn die­ser Mann die Fra­ge, wel­che ich ihm jetzt zum letz­ten Male vor­le­gen wer­de, nicht be­ant­wor­tet, so jagst du ihm eine Ku­gel durch den Kopf. Ver­stan­den?«

»Habe kei­ne Sor­ge, Sih­di; er soll zwei Ku­geln er­hal­ten an­statt eine!«

Er nahm die Waf­fen aus dem Gür­tel und ließ die vier Häh­ne spie­len. Ich frag­te den Be­jat aber­mals:

»Wes­halb hat sich der Khan ent­fernt?«

Die Ant­wort ließ nicht einen Au­gen­blick auf sich war­ten.

»Um die Beb­beh zu über­fal­len.«

»Die Beb­beh? So hat er mich also be­lo­gen! Er sag­te, dass er die Dschi­af be­su­chen wol­le.«

»Herr, Khan Hei­der Mir­lam sagt nie eine Lüge! Er will wirk­lich zu den Dschi­af, wenn ihm der Über­fall ge­lun­gen ist.«

Jetzt fiel mir ein, dass er mich ge­fragt hat­te, ob ich mit den Beb­beh Freund oder Feind sei. Er hat­te mir sei­nen Schutz an­ge­dei­hen las­sen und mir doch auch mei­ne Un­be­fan­gen­heit be­wah­ren wol­len.

»Lebt Ihr mit den Beb­beh in Un­frie­den?« frag­te ich wei­ter.

»Sie mit uns, Herr. Wir wer­den ih­nen da­für heu­te ihre Her­den, ihre Tep­pi­che und Waf­fen weg­neh­men. Hun­dert­und­fünf­zig Män­ner wer­den die­se Beu­te heim­schaf­fen, und fünf­zig wer­den mit dem Khan zu den Dschi­af ge­hen.«

»Wenn die Beb­beh es er­lau­ben«, füg­te ich hin­zu.

Trotz der Dun­kel­heit be­merk­te ich, dass er den Kopf stolz em­por­warf. »Die­se? Die Beb­beh sind Feig­lin­ge! Hast Du nicht ge­se­hen, dass die­ser Mann heu­te vor uns ge­flo­hen ist?«

»Ei­ner vor Zwei­hun­dert!«

»Und Du al­lein hast ihn ge­fan­gen!«

»Bah! Ich fan­ge un­ter Um­stän­den eben­so gut zehn Be­jat. Zum Bei­spiel: Du und die­se Vier, die Wa­che drau­ßen und die Neun drü­ben im an­de­ren La­ger, Ihr seid jetzt mei­ne Ge­fan­ge­nen. Ha­lef, be­wa­che den Aus­gang. Wer die­sen Platz ohne mei­ne Er­laub­nis be­tre­ten oder ver­las­sen will, den er­schießt Du!«

Der wa­cke­re Had­schi ver­schwand so­fort nach dem Aus­gang hin; der Be­jat sag­te ängst­lich: »Herr, Du scher­zest!«

»Ich scher­ze nicht. Der Khan hat mir das Wich­tigs­te ver­schwie­gen, und auch Du hast nur des­halb ge­spro­chen, weil ich Dich ge­zwun­gen habe. Da­rum sollt Ihr mir da­für bür­gen, dass ich hier si­cher bin. Kommt her­bei, Ihr Vie­re!«

Sie folg­ten mei­nem Be­fehl.

»Legt Eure Waf­fen hier zu mei­nen Fü­ßen nie­der!« – Und als sie zö­ger­ten, füg­te ich hin­zu: »Ihr habt von uns ge­hört! Meint Ihr es ehr­lich mit uns, so ge­schieht Euch nichts und Ihr er­hal­tet Eure Waf­fen wie­der; wei­gert Ihr Euch aber, mir zu ge­hor­chen, so kann Euch kein Dschinn und Scheïtan hel­fen!«

Jetzt ta­ten sie, was ich von ih­nen ver­langt hat­te. Ich übergab die Ge­weh­re den Ge­fähr­ten und in­stru­ier­te Mo­ham­med Emin, wie er sich nun wei­ter zu ver­hal­ten habe. Dann ver­ließ ich den Platz, um dem Lauf des Ba­ches in das Freie zu fol­gen.

Drau­ßen fand ich zwi­schen Stei­nen die Wa­che, wel­che mich gleich er­kann­te.

»Wer hat Dich her­ge­stellt?« frag­te ich.

»Der Khan.«

»Wozu?«

»Da­mit er, wenn er kommt, gleich weiß, dass al­les in Ord­nung ist.«