Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Überarbeitete Ausgabe in Neuer Deutscher Rechtschreibung Scheik Mohammed Emin fällt einem Überfall der Kurden zum Opfer. Sein Sohn trennt sich von der Gruppe, um die Angreifer zu verfolgen. Kara Ben Nemsi und Halef erkranken schwer an der Pest, als sie einer Todeskarawane begegnen, erreichen aber schließlich Damaskus. In den Ruinen von Baalbek treffen sie auf einen alten Feind. Der vorliegende Text ist im »Deutschen Hausschatz« unter dem Titel »Die Todes-Karavane«, »In Damaskus und Baalbeck«, »Stambul« und »Der letzte Ritt« erschienen. Null Papier Verlag
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 803
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Karl May
Von Bagdad nach Stambul
Reiseerzählungen
Karl May
Von Bagdad nach Stambul
Reiseerzählungen
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024 EV: Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 1880/81 1. Auflage, ISBN 978-3-954187-19-5
null-papier.de/353
Inhaltsverzeichnis
Karl May und die Originale
Zum Buch
Unter Dieben
Ein Überfall
Im Kampfe gefallen
In Bagdad
Die Todeskarawane
In Damaskus
In Stambul
In Edreneh
Ein Nachwort
Durch die Wüste
Durchs wilde Kurdistan
Von Bagdad nach Stambul
In den Schluchten des Balkan
Durch das Land der Skipetaren
Der Schut
Willkommen in der Welt von Karl May: Ein klassisches Erbe neu präsentiert
Liebe Leserin, lieber Leser
In der Welt der literarischen Klassiker gibt es wenige Namen, die so sehr mit Abenteuer und fernen Ländern verbunden sind wie Karl May. Mit seinen fesselnden Erzählungen aus dem Wilden Westen und dem Orient hat Karl May nicht nur Generationen von Lesern begeistert, sondern auch eine literarische Landschaft geschaffen, die bis heute nachhallt. Seine Figuren, insbesondere Winnetou und Old Shatterhand, sind mehr als nur Charaktere auf dem Papier – sie sind Symbole für Mut, Freundschaft und die Suche nach Gerechtigkeit.
Als Einzelverleger habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, Karl Mays Werke in ihrer reinsten und authentischsten Form zu präsentieren. Ich arbeite mit den Erstveröffentlichungen seiner Werke, um sicherzustellen, dass der ursprüngliche Charakter und Stil von Mays Schriften so treu wie möglich erhalten bleibt. Mein Ziel ist es, diese klassischen Texte so zu überarbeiten, dass sie die Qualität und den Geist der Originalausgaben widerspiegeln, während sie gleichzeitig den heutigen Lesegewohnheiten angepasst sind.
Willkommen zurück zu den Wurzeln von Karl Mays literarischem Erbe, präsentiert mit einem tiefen Respekt für seine Arbeit und einem Auge für die Bedürfnisse des heutigen Lesers.
Treue zu den Erstveröffentlichungen
Bei der Überarbeitung der Texte lege ich größten Wert darauf, Karl Mays originale Erzählstimme zu bewahren. Ich vermeide es, inhaltliche Änderungen vorzunehmen oder moderne Interpretationen einzufügen, die vom ursprünglichen Geist der Geschichten abweichen könnten. Stattdessen konzentriere ich mich darauf, sprachliche Glättungen durchzuführen, wo es notwendig ist, um die Lesbarkeit zu verbessern und gleichzeitig die Authentizität zu wahren.
Barrierefreiheit und Zugänglichkeit
Es ist mir wichtig, dass Karl Mays Werke von allen genossen werden können. Daher gestalte ich die E-Books so, dass sie mit verschiedenen Technologien zur Unterstützung des Lesens kompatibel sind, um sicherzustellen, dass auch Menschen mit Sehbehinderungen oder anderen Einschränkungen Zugang haben.
Begleiten Sie mich auf dieser Reise zurück zu den Wurzeln
Ich lade Sie ein, Karl Mays Welt durch diese neuen Editionen wiederzuentdecken, die sowohl die Tiefe als auch das Abenteuer seiner Geschichten mit einer Frische und Klarheit präsentieren, die Sie vielleicht noch nicht erlebt haben. Tauchen Sie ein in die klassischen Erzählungen, die Karl May zu einem der meistgelesenen Autoren seiner Zeit machten.
May und seine Zeit
May war und ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller deutscher Sprache. Generationen von Leser haben ihn für sich entdeckt, egal, wie stark und aus welchen Gründen er immer wieder von Tugendwächtern oder besorgten Eltern in die literarische Schmuddelecke gedrängt wurde.
Es gibt wohl keinen Deutschen, der seine Figuren nicht kennt: Winnetou oder Hadschi Halef Omar, Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi. Viele werden sogar die Namen der Pferde oder der Waffen der Protagonisten kennen. Nicht zuletzt die farbenprächtigen Filme der 1960er Jahre haben Mays Figuren auch eine kinematografische Untersterblichkeit verpasst – sollte das jemals notwendig gewesen sein. Und wo sonst hätte ein Franzose einen amerikanischen Ureinwohner, ein Amerikaner einen deutschen Abenteurer und ein Berliner einen Orientalen spielen können?
Zu einer Zeit, als es noch keinen organisierten Massentourismus und kein Internet gab, brachte May dem Leser die weite Welt bis vor die Haustür oder unter die verbergende Bettdecke. Seine Texte prägten, ob gerechtfertigt oder nicht, die Vorstellung des Wilden Westens und des Orients für Generationen.
Am besten, Sie, lieber Leser, liebe Leserin, fühlen sich einfach nur gut unterhalten.
In diesem Sinne Ihr Jürgen Schulze, Neuss
Karl May
Scheik Mohammed Emin fällt einem Überfall der Kurden zum Opfer. Sein Sohn trennt sich von der Gruppe, um die Angreifer zu verfolgen. Kara Ben Nemsi und Halef erkranken schwer an der Pest, als sie einer Todeskarawane begegnen, erreichen aber schließlich Damaskus. In den Ruinen von Baalbek treffen sie auf einen alten Feind.
Dieser Band ist der dritte Teil des sechsbändigen »Orientzyklus«.
Im Süden von den großen syrischen und mesopotamischen Wüsteneinöden liegt, vom Roten Meer und vom Persischen Golf umgeben, die Halbinsel Arabien, welche ihre äußerste Kante weit in das stürmereiche arabisch-indische Meer hinein erstreckt.
An drei Seiten ist dieses Land von einem zwar schmalen, aber außerordentlich fruchtbaren Küstensaume eingefasst, welcher nach innen zu einer weiten, wüsten Hochebene emporsteigt, deren teils trübselige, teils groteske Landschaftsbilder besonders im Osten durch hohe, unwegsame Gebirgsstöcke abgeschlossen werden, zu denen ganz hauptsächlich die öden Berge von Schammar zu zählen sind.
Dieses Land, dessen Quadratmeilenzahl man heute noch nicht genau anzugeben vermag, wurde im Altertum eingeteilt in »Arabia Petraea«, in »Arabia Deserta« und in »Arabia Felix«, zu Deutsch: in das petraeische, wüste und glückliche Arabien. Wenn noch öfters jetzt gewisse Geografen der Ansicht sind, dass der Ausdruck »Petraea« abzuleiten sei von dem griechisch-lateinischen Wort, das »Stein, Fels« bedeutet, und deshalb diesen Teil des Landes das »steinichte« Arabien nennen, so beruht das auf einer irrtümlichen Auffassung; dieser Name ist vielmehr zurückzuführen auf das alte Petra, welches die Hauptstadt dieser nördlichsten Provinz des Landes war. Der Araber nennt seine Heimat »Dschisrat el Arab«,1 während sie bei den Türken und Persern »Arabistan« genannt wird. Die jetzige Einteilung wird verschieden angegeben; die nomadisierenden Einwohner lassen jedoch nur den einzigen Unterschied der Stämme gelten.
Über diesem Lande wölbt sich ein ewig heiterer Himmel, von welchem des Nachts die Sterne rein und klar herniederblicken; durch die Bergschluchten und über die zum großen Teil noch unerforschten Wüstenebenen schweift der halbwilde Sohn der Steppe auf prachtvollem Pferd oder auf unermüdlichem Kamel. Sein Auge ist überall, denn er lebt mit aller Welt in Streit und Unfrieden, nur mit den Angehörigen seines Stammes nicht. Von einer Grenze bis zur anderen zieht bald der sanfte Hauch einer reinen, milden, bald der rauschende Odem einer trüben, wilden Poesie, welcher den Wanderer überall umweht, wo er nur immer weilen mag. So kommt es, dass man bereits vor langen Jahrhunderten Hunderte von arabischen Dichtern und Dichterinnen kannte, deren Lieder im Munde des Volkes lebten und die mit Hilfe des Griffels für spätere Zeiten festgehalten wurden.
Als Stammvater der echten Araber oder Joktaniden gilt Joktan, der Sohn Huds, welcher ein Abkömmling Sems im fünften Gliede war, und dessen Nachkommen das glückliche Arabien und die Küste Tehama bis hinab zum Persischen Golf bewohnten. Jetzt suchen viele Stämme eine Ehre darin, von Ismael, dem Sohne Hagars, abzustammen.
Dieser Ismael soll, wie die Sage berichtet, mit seinem Vater Abraham nach Mekka gekommen sein und dort die heilige Kaaba errichtet haben. Das Wahre aber ist, dass die Kaaba von dem Stamme der Koreischiten gestiftet oder wenigstens ausgebaut wurde. Unter den Heiligtümern, die sie besaß, waren der Brunnen Zem-Zem und der angeblich vom Himmel gefallene schwarze Stein die berühmtesten.
Hierher pilgerten die verschiedenen Stämme der Araber, um da ihre Stamm- oder auch wohl Hausgötzen aufzustellen und ihnen ihre Opfer und Gebete darzubringen. Daher war Mekka den Arabern das, was Delphi den Griechen und Jerusalem den Juden gewesen ist; es bildete den Mittelpunkt für die weithin zerstreuten Nomaden, die sich ohne denselben in allen Richtungen verloren hätten.
Da sich dieser hochwichtige Punkt im Besitz der Koreischiten befand, so war dieser Stamm der mächtigste und angesehenste Arabiens und infolgedessen auch der reichste, weil die von allen Seiten herbeikommenden Pilger nie ohne Geschenke oder wertvolle Handelswaren anzulangen pflegten.
Ein armer Angehöriger dieses Stammes, Namens Abd Allah,2 starb im Jahre 570 nach Christus, und einige Monate später, am 20. April 571, der auf einen Montag fiel, gebar seine Witwe Amina einen Knaben, welcher später Mohammed3 genannt wurde. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Knabe vorher einen anderen Namen getragen hat und erst dann, als seine prophetische Wirksamkeit ihn zu einem hervorragenden Mann machte, den Ehrennamen Mohammed erhielt. Dieser Name wird auch Muhammed, Mohammad und Muhammad geschrieben, und aus Ehrfurcht vor dem Propheten wagt es nie ein Gläubiger, ihn in dieser Fassung zu tragen; das Wort wird dann meist in Mehemmed verwandelt.
Dem Knaben waren von seinem Vater nur zwei Kamele, fünf Schafe und eine abyssinische Sklavin hinterlassen worden, weswegen er sich zunächst auf den Schutz seines Großvaters Abd-al-Mokalib und nach dessen Tode auf die Unterstützung seiner beiden Onkel Zuheir und Abu Taleb angewiesen sah. Da diese Männer aber nicht viel für ihn tun konnten, so musste er sich sein Brot als Schafhirtenjunge verdienen. Später wurde er Kameltreiber und Bogen- und Köcherträger, wobei sich wahrscheinlich sein kriegerischer Sinn entwickelt hat.
Als er fünfundzwanzig Jahre zählte, trat er in den Dienst der reichen Kaufmannswitwe Chadidscha, der er mit solcher Treue und Aufopferung diente, dass sie ihn lieb gewann und ihn zu ihrem Gemahl machte. Das große Vermögen seiner Frau ging ihm aber später verloren. Er lebte nun bis zu seinem vierzigsten Jahre als Kaufmann und Händler. Er kam auf seinen weiten Reisen mit Juden und Christen, mit Brahmanen und Feueranbetern zusammen und gab sich Mühe, ihre Religionen kennen zu lernen. Er litt an der Epilepsie und in Folge dessen an einer Verstimmung des Nervensystems, welche ihn sehr zu Halluzinationen geneigt machte. Seine religiösen Grübeleien waren der Heilung dieser Krankheit nicht sehr förderlich. Er zog sich schließlich gar in eine Höhle zurück, welche in der Nähe von Mekka auf dem Berge Hira lag. Hier hatte er seine ersten Visionen.
Der Kreis der Gläubigen, welcher sich um ihn versammelte, bestand zunächst nur aus seiner Frau Chadidscha, aus seinem Sklaven Zaïd, aus den beiden Mekkanern Othman und Abu Bakr und aus seinem jungen Vetter Ali, der später den Ehrennamen Areth-Allah4 erhielt und zu den unglücklichsten Helden des Islam gehört.
Dieser Ali, dessen Name auf Deutsch »der Hohe, der Erhabene« bedeutet, war im Jahre 602 geboren und stand bei Muhammed in solchem Ansehen, dass er dessen Tochter Fatima zur Gemahlin erhielt. Als der Prophet im Kreise seiner Familie zum ersten Mal seine neuen Glaubenssatzungen vortrug und dann fragte: »Wer unter Euch will mein Anhänger sein?« da schwiegen alle; nur der junge Ali, begeistert von der gewaltigen Poesie des soeben gehörten Vortrages, rief in lautem, entschlossenem Ton: »Ich will es sein und nimmer von Dir lassen!« Das hat ihm Muhammed niemals vergessen.
Er war ein tapferer, verwegener Kämpfer und hatte großen Teil an der so ungemein schnellen Ausbreitung des Islam. Dennoch wurde er, als Muhammed ohne letztwillige Verfügung starb, übergangen, und man wählte Abu Bakr, den Schwiegervater Mohammeds, zum Kalifen.5 Diesem folgte im Jahre 634 ein zweiter Schwiegervater des Propheten, Namens Omar, welchem wieder Othman, ein Schwiegersohn Mohammeds, nachfolgte. Dieser wurde im Jahre 656 von einem Sohn Abu Bakrs erstochen. Man beschuldigte Ali der Anstiftung dieses Mordes, und als er von seiner Partei erwählt wurde, verweigerten ihm viele von den Statthaltern die Huldigung. Er kämpfte vier Jahre lang um das Kalifat und wurde im Jahre 660 von Abd-er-Rahman erstochen. Er liegt in Kufa begraben, wo ihm auch ein Denkmal errichtet worden ist.
Von hier an datiert sich die Spaltung, welche die Muslime in zwei gegnerische Heerlager, in die Sunniten und die Schiiten, teilt. Diese Spaltung bezieht sich weniger auf die islamischen Glaubenssätze als vielmehr auf die Personalfrage der Nachfolgerschaft. Die Anhänger der Schia behaupten nämlich, dass nicht Abu Bakr, Omar und Othman, sondern nur allein Ali das Recht gehabt hätte, der erste Stellvertreter des Propheten zu sein. Die zwischen den beiden Parteien dann ausgebrochenen Streitigkeiten über die Attribute Gottes, das Fatum, die Ewigkeit des Koran und die einstige Vergeltung sind nicht als so wesentlich zu betrachten.
Ali hinterließ zwei Söhne, Hassan und Husain. Der Erstere wurde von den Schiiten zum Kalifen erwählt, während die Anhänger der Sunna Muawijah I., den Gründer der Omayyaden-Dynastie, erkoren. Dieser Letztere verlegte seine Residenz nach Damaskus, machte das Kalifat erblich und erzwang bereits zu seinen Lebzeiten die Anerkennung seines Sohnes Yazid, der sich später als ein solcher Wüterich zeigte, dass sein Andenken selbst von den Sunniten mit Fluch belegt wird. Hassan konnte sich gegen Muawijah nicht behaupten und starb im Jahre 670 in Medina an Gift.
Sein Bruder Husain widersetzte sich der Anerkennung Yazids. Er ist der Held einer der tragischsten Episoden aus der Geschichte des Islam.
Die Hand des Kalifen Muawijah ruhte schwer auf den Provinzen, und seine Statthalter unterstützten ihn dabei aus allen Kräften. So befahl zum Beispiel Zijad, der Statthalter zu Basra, dass nach Sonnenuntergang sich bei Todesstrafe niemand auf der Straße sehen lassen dürfe. Am Abend nach der Bekanntmachung dieses Befehles wurden über zweihundert Personen außerhalb ihrer Wohnungen angetroffen und unverzüglich geköpft; am nächsten Tage war die Ziffer schon weit geringer, und am dritten Abend war kein einziger Mensch zu sehen. Der grimmigste aller Omayyaden war Hadjasch, der Statthalter von Kufa, dessen Tyrannei 120.000 Menschen das Leben kostete.
Noch schlimmer als Muawijah zeigte sich sein Sohn Yazid. Zurzeit dieses Scheusals hielt sich Husain in Mekka auf, wo er aus Kufa Boten empfing, welche ihn aufforderten, zu ihnen zu kommen, da sie ihn als Kalifen anerkennen wollten. Er folgte dem Ruf – zu seinem Verderben.
Mit kaum hundert Getreuen langte er vor Kufa an, fand aber die Stadt bereits von seinen Feinden besetzt. Er verlegte sich auf erfolgloses Unterhandeln. Die Lebensmittel gingen ihm aus; das Wasser vertrocknete in dem Sonnenbrand; seine Tiere stürzten, und seinen Begleitern schaute der blasse Tod aus den eingesunkenen fieberfunkelnden Augen. Er rief vergebens Allah und den Propheten um Hilfe und Rettung an; sein Untergang stand »im Buche verzeichnet«. Obeïd ’Allah, ein Heerführer Yazids, drang bei Kerbela auf ihn ein, massakrierte seine ganze Begleitung und ließ auch ihn selbst umbringen. Man fand ihn aus Mangel an Wasser bereits dem Tode nahe; aber man hatte kein Mitleid mit ihm, und er wehrte sich vergebens mit der letzten Kraft seines schwindenden Lebens – man schnitt ihm den Kopf ab, der auf eine Lanze gesteckt und im Triumph herumgetragen wurde.
Dies geschah am 10. Muharram, und bis auf heute ist dieser Tag bei den Schiiten ein Tag der Trauer. In Hindostan trägt man ein Bild von Hosseins Kopf auf einer Lanze herum, wie es nach seinem Tode geschah, und ahmt mit einem aus edlen Metallen gefertigten Hufeisen den Lauf seines Renners nach. Am 10. Muharram ertönt ein Weheschrei von Borneo und Celebes über Indien und Persien bis zum Maghreb6 Asiens, wo die Schia nur noch zerstreute Anhänger hat, und dann gibt es in Kerbela eine dramatische Vorstellung, welche an Szenen der wildesten Verzweiflung seines Gleichen sucht. Wehe dem Sunniten, wehe dem Giaur, der an diesem Tage sich in Kerbela unter der bis zur Tobsucht aufgeregten Rotte der Schiiten sehen lassen wollte! Er würde in Stücke zerrissen! – – –
Diese historische Einleitung mag zum besseren Verständnis des Nachfolgenden dienen.
Wir hatten am Zab den Entschluss gefasst, den Fluss entlang bis zu den Schirban- und dann den Zibar-Kurden zu reiten. Bis zu den Schirbani hatten wir Empfehlungen vom Bey zu Gumri und vom Melek in Lizan erhalten, und von da aus hofften wir auf weitere Unterstützung. Die Schirbani nahmen uns gastfreundlich auf, von den Zibari aber wurden wir sehr feindselig empfangen; doch gelang es mir später, mich ihrer Teilnahme zu versichern. Wir kamen glücklich bis zum Akrafluss, stießen aber hier bei der wilden Bergbevölkerung auf eine so große Böswilligkeit, dass wir nach verschiedenen schlimmen Erfahrungen uns nach Südost wenden mussten. Wir überschritten den Zab östlich des Ghara Surgh, ließen Pir Hasan links liegen und sahen uns genötigt, da wir den dortigen Kurden keineswegs trauen durften, längs des Dschebel Pir Mam nach Südost zu halten, um dann nach rechts umzubiegen und irgendwo zwischen dem Diyaleh und kleinen Zab den Tigris zu erreichen. Wir hofften, bei den Dscherboa-Arabern gastlich aufgenommen zu werden und sichere Wegweiser zu finden, erfuhren aber zu unserem Leidwesen, dass dieselben sich mit den Obeïde und Beni-Lam verbündet hatten, um alle Stämme zwischen dem Tigris und Thathar die Spitzen ihrer Speere fühlen zu lassen. Nun waren die Shammar zwar mit dem einen Ferkah der Obeïde, dessen Scheich Eslah al Mahem7 war, befreundet, aber dieser Mann konnte seine Gesinnung geändert haben, und von den anderen Ferkah wusste Mohammed Emin genau, dass sie den Haddedihn feindlich gesinnt waren. Unter diesen Umständen war es am geratensten, unsere Richtung zuerst nach Sulimania zu nehmen und uns dann weiter zu entscheiden. Hatten wir Amad el Ghandur befreit und glücklich bis hierher gebracht, so wollten wir nun lieber einen Umweg einschlagen, als uns wieder in neue Gefahren begeben.
So gelangten wir nach längerer Zeit und mancherlei Anstrengungen und Entbehrungen glücklich an das nördliche Zagrosgebirge.
Es war Abend, und wir lagerten am Rande eines Tschimarwaldes.8 Über uns wölbte sich ein Firmament, dessen Glanz nur in diesen Gegenden in solcher Reinheit und Kraft zu beobachten ist. Wir befanden uns in der Nähe der persischen Grenze, und die Luft Persiens ist ja wegen ihrer Klarheit berühmt. Das Licht des Planeten war so stark, dass ich, trotzdem der Mond weder im Kalender noch am Himmel stand, die Zeiger meiner Taschenuhr auf drei Schritte Entfernung ganz deutlich erkennen konnte. Lesen hätte ich, selbst bei kleiner Schrift, ganz gut vermocht. Die Strahlen des Jupiter waren so stark, dass seine Trabanten selbst dann mit einem Fernrohr mit ausgeschraubten Gläsern wohl schwerlich zu entdecken gewesen wären, wenn man den Körper des Planeten mit dem Rande des Rohres zu bedecken versucht hätte. Sogar teleskopische Gestirne kamen zum Vorschein. Der siebente Stern des Siebengestirns war ohne bedeutende Anstrengung des Auges zu erkennen. Die Klarheit eines solchen Firmaments macht einen tiefen Eindruck auf das Gemüt, und ich lernte einsehen, warum Persien die Heimat der Astrologie ist, dieser unfrei geborenen Mutter der edlen Tochter, welche uns die leuchtenden Welten des Himmels kennen lehrt.
Unsere Lage ließ uns vorziehen, im Freien zu übernachten. Wir hatten uns im Laufe des Tages von einem Hirten ein Lamm gekauft und brannten uns jetzt ein Feuer an, um das Lamm gleich in der Haut zu braten, nachdem wir es ausgenommen und mit dem Messer geschoren hatten.
Unsere Pferde grasten in der Nähe. Sie waren in der letzten Zeit ganz ungewöhnlich angestrengt worden, und es wäre ihnen eine mehrtägige Ruhe zu gönnen gewesen, was sich leider aber nicht ermöglichen ließ. Wir selbst befanden uns alle wohl, mit Ausnahme eines Einzigen. Dies war Sir David, der unter einem großen Ärger zu leiden hatte.
Er war nämlich vor einigen Tagen von einem Fieber befallen worden, das ungefähr vierundzwanzig Stunden lang anhielt. Dann war es wieder verschwunden, aber mit diesem Verschwinden hatte sich bei ihm jenes schauderhafte Geschenk des Orients entwickelt, das der Lateiner Febris Aleppensis, der Franzose aber Mal d’Aleppo oder Bouton d’Alep nennt. Diese »Aleppobeule«, die nicht nur Menschen, sondern auch gewisse Tiere z.B. Hunde und Katzen heimsucht, wird stets von einem kurzen Fieber eingeleitet, nach welchem sich entweder im Gesicht oder auch auf der Brust, an den Armen und Beinen eine große Beule bildet, die unter Aussickern einer Feuchtigkeit fast ein ganzes Jahr steht und beim Verschwinden eine tiefe, nie wieder verschwindende Narbe hinterlässt. Der Name dieser Beule ist übrigens nicht zutreffend, da die Krankheit nicht nur in Aleppo, sondern auch in der Gegend von Antiochia, Mossul, Diyarbakır, Bagdad und in einigen Gegenden Persiens auftritt.
Ich hatte diese verunstaltende Beule schon öfter gesehen, noch niemals aber in der ungewöhnlichen Größe, wie bei unserem guten Master Lindsay. Nicht genug, dass bei ihm die außerordentliche Anschwellung im dunkelsten Rot erglänzte, war sie auch noch so impertinent gewesen, sich just die Nase zu ihrem Sitz auszuwählen – diese arme Nase, die ohnehin schon an einer ganz abnormen Dimension zu leiden hatte. Unser Engländer trug das Übel nicht etwa mit Ergebenheit, wie es seine Pflicht als Gentleman und Vertreter der very great and excellent Nation gewesen wäre, sondern er verriet einen Ärger und eine Ungeduld, deren Ausbrüche oft das Zwerchfell der Zuhörer in Mitleidenschaft zogen.
Auch jetzt saß er am Feuer und befühlte fortwährend mit beiden Händen die unverschämte Pustel.
»Master!« sagte er zu mir. »Hersehen!«
»Wohin?«
»Hm! Dumme Frage! Auf mein Gesicht natürlich! Yes! Ist wieder gewachsen?«
»Was? Wer?«
»’s death! Diese Beule hier! Viel gewachsen?«
»Sehr! Sieht gerade wie eine Gurke.«
»All devils! Schauderhaft! Entsetzlich! Yes!«
»Vielleicht wird es mit der Zeit ein Fowling-bull, Sir!«
»Wollt Ihr eine Ohrfeige haben, Master? Stehe sofort zu Diensten! Wollte, Ihr selbst hättet dieses armselige Swelling9 auf Eurer Nase!«
»Habt Ihr Schmerzen?«
»Nein.«
»So seid froh!«
»Froh? Zounds! Wie kann ich froh sein, wenn die Leute denken, meine Nase hätte die Snuff-box gleich mit auf die Welt gebracht! Wie lange werde ich dieses Ding haben?«
»Ziemlich ein Jahr, Sir!«
Er machte ein Paar Augen, dass ich vor Schreck beinahe zurückgewichen wäre, zumal das Entsetzen ihm den Mund so weit aufriss, dass die Nase samt der Snuff-box (Schnupftabaksdose) geradewegs hätte hineinspazieren können.
»Ein Jahr? Ein ganzes Jahr? Zwölf ganze Monate?«
»So ungefähr.«
»Oh! Ah! Horrible! Fürchterlich, entsetzlich! Gibt es kein Mittel? Pflaster? Salbe? Brei auflegen? Wegschneiden?«
»Nichts, gar nichts.«
»Aber jede Krankheit hat ihr Mittel!«
»Diese nicht, Sir. Diese Beule ist nicht im Mindesten gefährlich; aber wenn man versucht, sie zu zerteilen oder gar zu ritzen und zu schneiden, dann kann sie sehr schlimm werden.«
»Hm! Was dann, wenn sie fort ist? Sieht man es noch?«
»Das ist verschieden. Je größer die Beule, desto größer auch das Loch, das zurückbleibt.«
»My sky! Ein Loch?«
»Leider!«
»O weh! Schauderhaftes Land hier! Miserable Gegend! Werde machen, dass ich nach Old England komme! Well!«
»Nehmt Euch Zeit, Sir!«
»Warum?«
»Was würde man in Altengland sagen, wenn Sir David Lindsay seiner Nase erlaubt, sich eine Filiale anzulegen!«
»Hm! Habt recht, Master! Die Straßenjungen würden mir nachtrollen. Werde also hier bleiben und mich – – –«
»Sihdi!« unterbrach ihn Halef. »Blicke nicht um!«
Ich saß mit dem Rücken gegen den Waldrand und dachte mir natürlich sofort, dass der kleine Hadschi hinter mir etwas Verdächtiges bemerkt habe.
»Was siehst Du?« fragte ich ihn deshalb.
»Ein Paar Augen. Gerade hinter Dir stehen zwei Tschimars, und zwischen ihnen gibt es einen wilden Birnbusch. Dort steckt der Mann, dessen Augen ich gesehen habe.«
»Siehst Du sie noch?«
»Warte!«
Er beobachtete so unauffällig wie möglich den Busch, und ich instruierte unterdessen die anderen, sich ganz so unbefangen wie vorher zu verhalten.
»Jetzt!« sagte Halef.
Ich erhob mich und gab mir den Anschein, als ob ich dürres Holz für das Feuer suchen wollte. Dabei entfernte ich mich so weit von dem Lager, dass ich nicht mehr gesehen werden konnte. Dann drang ich in den Waldrand ein und schlich mich zwischen den Bäumen wieder zurück. Es waren nicht fünf Minuten vergangen, so befand ich mich hinter den beiden Tschimar-Bäumen und fand da allerdings Gelegenheit, das scharfe Auge Halefs zu bewundern. Zwischen den Bäumen und dem Busch kauerte eine menschliche Gestalt, welche unser Treiben am Lagerfeuer beobachtete.
Warum geschah dies? Wir befanden uns hier in einer Gegend, wo in meilenweitem Umkreis kein Dorf zu finden war. Allerdings gab es rundherum verschiedene kleine kurdische Stämme, welche sich bekämpften, und es mochte wohl auch zuweilen geschehen, dass irgend ein persischer Nomadenstamm über die Grenze kam, um einen Raub auszuführen. Dabei gab es genug Umherziehende, Überreste von vernichteten Stämmen, welche Gelegenheit suchten, sich einem anderen Stamm anzuschließen.
Ich durfte nicht trauen; daher schob ich mich ganz leise an den Mann heran und fasste ihn dann rasch bei der Kehle. Er erschrak so sehr, dass er ganz steif wurde und sich auch gar nicht wehrte, als ich ihn in die Höhe nahm und an das Feuer trug.
Dort legte ich ihn nieder und zog den Dolch.
»Mann, rühre Dich nicht, sonst erstech ich Dich!«
Es war mir gar nicht so grimmig um das Herz, aber der Fremde nahm meine Drohung ernst auf und faltete bittend die Hände.
»Herr, Gnade!«
»Das soll auf Dich ankommen. Belügst Du mich, so bist Du verloren. Wer bist Du?«
»Ich bin ein Turkomane vom Stamm der Bejat.«
Ein Turkomane? Hier? Seiner Kleidung nach konnte er allerdings die Wahrheit gesagt haben. Auch wusste ich, dass es früher Turkomanen zwischen dem Tigris und der persischen Grenze gegeben hatte, und es stimmte, dass es der Stamm Bejat gewesen war. Die lurische Wüste und die Ebene Tapespi waren der Schauplatz ihrer Umherziehereien gewesen. Aber als Nadir-Schah in das Ejalet Bagdad einfiel, schleppte er die Bejat nach Khorassan. Er nannte diese Provinz wegen ihrer Lage und Beschaffenheit ›das Schwert Persiens‹ und bemühte sich, sie mit tapferen, kriegerischen Bewohnern zu bevölkern.
»Ein Bejat?« fragte ich. »Du lügst!«
»Ich sage die Wahrheit, Herr.«
»Die Bejat wohnen nicht hier, sondern im fernen Khorassan.«
»Du hast recht; aber als sie einst diese Gegend verlassen mussten, blieben dennoch Einige zurück, deren Nachkommen sich jetzt so vermehrt haben, dass sie über tausend Krieger zählen. Wir haben unsere Sommerplätze in der Gegend von den Ruinen von Kizzel-Karaba und an den Ufern des Kuru-Tschai.«
Es fiel mir ein, davon gehört zu haben.
»Befindet Ihr Euch jetzt hier in der Nähe?«
»Ja, Herr.«
»Wie viele Zelte habt Ihr?«
»Wir haben keine Zelte.«
Das musste mir auffallen. Wenn ein Nomadenstamm sein Lager verlässt, ohne seine Zelte mitzunehmen, deutet dies gewöhnlich auf einen Raub- oder Kriegszug hin. Ich fragte weiter:
»Wie viele Männer seid Ihr heute?«
»Zweihundert!«
»Und Frauen?«
»Wir haben sie nicht bei uns.«
»Wo lagert Ihr?«
»Nicht weit von hier. Wenn Du dort um die Ecke des Waldes gehst, bist Du bei uns.«
»Habt Ihr hier unser Feuer bemerkt?«
»Wir sahen es, und der Khan schickte mich ab, um zu erfahren, welche Männer sich hier befinden.«
»Wohin geht Ihr?«
»Wir gehen nach dem Süden.«
»Welcher Ort ist Euer Ziel?«
»Wir wollen in die Gegend von Sinna.«
»Das ist ja persisch!«
»Ja. Unsere Freunde dort geben ein großes Fest, zu dem wir geladen sind.«
Das fiel mir auf. Diese Bejat hatten ihren Wohnsitz an den Ufern des Kuru-Tschai und bei den Ruinen von Kizzel-Karaba, also in der Nähe von Kifri; diese Stadt aber lag weit im Südwesten von unserem heutigen Lagerplatz, während Sinna zwei Drittel derselben Entfernung im Südosten von uns lag. Warum waren die Bejat nicht direkt von Kifri nach Sinna gegangen? Warum hatten sie einen so bedeutenden Umweg gemacht?
»Was tut Ihr hier oben?« fragte ich daher. »Warum habt Ihr Euren Weg um das Doppelte verlängert?«
»Weil wir durch das Gebiet des Pascha von Sulimania hätten ziehen müssen, und er ist unser Feind.«
»Aber Ihr befindet Euch doch ebenso auf seinem Gebiet!«
»Hier oben sucht er uns nicht. Er weiß, dass wir ausgezogen sind, und glaubt, uns im Süden von seiner Residenz zu finden.«
Das klang wahrscheinlich, obwohl ich noch immer kein rechtes Vertrauen zu dem Mann hatte. Ich sagte mir jedoch, dass die Anwesenheit dieser Bejat uns nur von Vorteil sein könnte. Unter ihrem Schutz konnten wir unangefochten bis nach Sinna kommen, und dann war für uns keine Gefahr mehr zu befürchten. Der Turkomane kam meiner darauf bezüglichen Frage entgegen:
»Herr, wirst Du mich wieder freilassen? Ich habe Euch ja nichts getan!«
»Du hast nur getan, was Dir befohlen wurde; Du bist frei.«
Er atmete erleichtert auf.
»Ich danke Dir, Herr! Wohin sind die Köpfe Eurer Pferde gerichtet?«
»Nach Süden.«
»Ihr kommt von Mitternacht herunter?«
»Ja. Wir kommen aus dem Lande der Tijari, Berwari und Chaldani.«
»So seid Ihr sehr mutige und tapfere Männer. Welchem Stamme gehört Ihr an?«
»Dieser Mann und ich, wir sind Emire aus Frankhistan, und die anderen sind unsere Freunde.«
»Aus Frankhistan! Herr, wollt Ihr mit uns ziehen?«
»Wird Dein Khan mir seine Hand öffnen?«
»Er wird es. Wir wissen, dass die Franken große Krieger sind. Soll ich gehen und ihm von Euch sagen?«
»Gehe und frage ihn, ob er uns empfangen will!«
Er stand auf und eilte davon. Die anderen zeigten sich mit dem, was ich getan hatte, einverstanden, und besonders Mohammed Emin freute sich darüber.
»Effendi«, sagte er, »ich habe von den Bejat oft gehört. Sie leben mit den Dscherboa, Obeïde und Beni-Lam in immerwährendem Unfrieden, und darum werden sie uns nützlich sein. Dennoch wollen wir nicht sagen, dass wir Haddedihn sind; es ist besser, sie wissen es nicht.«
»Auch jetzt müssen wir vorsichtig sein, denn noch wissen wir nicht, ob der Khan uns freundlich aufnehmen wird. Holt die Pferde herbei, und legt Euch die Waffen bereit, um für alle Fälle gerüstet zu sein!«
Die Bejat schienen unsertwegen eine ungewöhnlich lange Beratung zu halten, denn ehe sie ein Lebenszeichen von sich gaben, war unser Lamm gebraten und auch verzehrt. Endlich hörten wir Schritte. Der Turkomane, der bei uns gewesen war, erschien mit noch drei Kameraden.
»Herr«, sagte er, »der Khan sendet mich. Ihr sollt zu ihm kommen und uns willkommen sein.«
»So geht voran und führt uns!«
Wir stiegen zu Pferde und folgten ihnen, die Gewehre in der Hand. Als wir die Waldecke hinter uns hatten, war von keinem Lagerplatz etwas zu bemerken; nachdem wir aber einen dichten Gebüschstreifen durchschnitten hatten, erreichten wir einen rings von Sträuchern eingefassten Platz, auf dem ein mächtiges Feuer brannte. Dieser Lagerort war sehr gut gewählt, da er von außen her nicht leicht bemerkt werden konnte.
Das Feuer diente nicht zum Erwärmen der Leute, sondern zur Zubereitung des Nachtmahls. Zweihundert dunkle Gestalten lagen im Gras umher, und etwas abseits der flackernden Flamme saß der Khan, der sich bei unserem Erscheinen langsam erhob. Wir ritten hart an ihn heran und sprangen von den Pferden.
»Friede sei mit Dir!« grüßte ich ihn.
»Mi newahet kjerdem – ich mache mein Kompliment!« antwortete er, indem er sich verbeugte.
Das war persisch. Vielleicht wollte er mir damit beweisen, dass er wirklich ein Bejat sei, dessen Hauptstamm man in Khorassan suchen müsse. Der Perser ist der orientalische Franzose. Seine Sprache ist biegsam und wohlklingend, weshalb sie auch die Hofsprache der meisten asiatischen Fürsten geworden ist. Aber das höfliche, schmeichelnde und oft kriechende Wesen des Persers hat nie einen vorteilhaften Eindruck auf mich gemacht; die gerade, raue Ehrlichkeit des Arabers tat mir wohler.
Auch die anderen waren aufgesprungen, und alle Hände streckten sich dienstfertig aus, um sich unserer Pferde zu bemächtigen; doch hielten wir die Zügel fest, da wir noch keineswegs wussten, ob dies gastfreundlich oder hinterlistig gemeint war.
»Gebt ihnen ruhig die Pferde! Sie sollen sich darum kümmern«, sagte der Khan.
Ich wollte mir sofort Gewissheit verschaffen; daher fragte ich nun auch in persischer Sprache:
»Hesti irschad engiz – gewährst Du uns Sicherheit?«10
Er verneigte sich zustimmend und hob die Hand.
»Mi saukend chordem – ich beschwöre es! Setzt Euch zu mir, und lasst uns reden!«
Die Bejat nahmen die Pferde; nur das meinige blieb in der Hand Halefs, der recht gut wusste, was mir lieb und angenehm war. Wir anderen nahmen bei dem Khan Platz. Die Flamme leuchtete hell auf uns herüber, sodass wir einander ganz genau erkennen konnten. Der Bejat war ein in den mittleren Jahren stehender Mann von sehr kriegerischem Aussehen. Seine Züge waren offen und Vertrauen erweckend, und die achtungsvolle Entfernung, in welcher sich seine Untergebenen von ihm hielten, ließ auf einen ehr- und selbstbewussten Charakter schließen.
»Kennst Du bereits meinen Namen?« erkundigte er sich.
»Nein«, antwortete ich.
»Ich bin Heider Mirlam,11 der Neffe des berühmten Hassan Kerkusch-Bey. Hast Du von ihm gehört?«
»Ja. Er residierte in der Nähe des Dorfes Dschenijah, welches an der Poststraße von Bagdad nach Tauk liegt. Er war ein sehr tapferer Krieger, aber er liebte dennoch den Frieden, und jeder Verlassene fand guten Schutz bei ihm.«
Er hatte mir seinen Namen gesagt, und nun erforderte es natürlich die Höflichkeit, ihm auch den meinen zu nennen. Darum fuhr ich fort:
»Dein Kundschafter wird Dir bereits gesagt haben, dass ich ein Franke bin. Man nennt mich Kara Ben Nemsi – – –«
Er konnte trotz der bekannten orientalischen Selbstbeherrschung einen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken:
»Ajah – oh! Kara Ben Nemsi! So ist dieser andere Mann, der eine rote Nase hat, der Emir aus Inglistan, welcher Steine und Schriften ausgraben will?«
»Hast Du von ihm gehört?«
»Ja, Herr; Du hast mir nur Deinen Namen genannt, aber ich kenne Dich und ihn. Der kleine Mann, welcher Dein Pferd hält, ist Hadschi Halef Omar, vor dem sich so viele Große fürchten?«
»Du hast es erraten.«
»Und wer sind die beiden anderen?«
»Das sind Freunde von mir, welche ihre Namen in den Koran legten.12 Wer hat Dir von uns erzählt?«
»Du kennst Ibn Zedar Ben Huli, den Scheich der Abu Hammed?«
»Ja. Er ist Dein Freund?«
»Er ist nicht mein Freund und nicht mein Feind. Du brauchst Dich nicht zu sorgen; ich habe ihn nicht an Dir zu rächen.«
»Ich fürchte mich nicht!«
»Das glaube ich. Ich traf mit ihm bei Eski Kifri zusammen, und da erzählte er mir, dass Du Schuld bist, dass er Tribut zu zahlen hat. Sei vorsichtig, Herr! Er wird Dich töten, wenn Du in seine Hände fällst.«
»Ich befand mich in seiner Hand, ohne dass er mich getötet hat. Ich war Gefangener; aber er konnte mich nicht festhalten.«
»Ich habe es gehört. Du hast den Löwen getötet, ganz allein und in der Dunkelheit, und bist dann mit der Haut desselben davongeritten. Glaubst Du, dass auch ich Dich nicht halten könnte, wenn Du mein Gefangener wärest?«
Dies klang verdächtig, doch ich antwortete ruhig:
»Du könntest mich nicht halten, und ich wüsste auch nicht, wie Du es anfangen solltest, um mich gefangen zu nehmen.«
»Herr, wir sind Zweihundert, Ihr aber seid nur Fünf!«
»Khan, vergiss nicht, dass zwei Emire aus Frankhistan unter diesen Fünf sind, und dass diese Zwei so viel zählen wie zweihundert Bejat!«
»Du sprichst sehr stolz!«
»Und Du fragst sehr ungastlich! Soll ich an der Wahrheit Deines Wortes zweifeln, Heider Mirlam?«
»Ihr seid meine Gäste, obgleich ich die Namen dieser beiden Männer nicht kenne, und sollt Brot und Fleisch mit mir essen.«
Ein rücksichtsvolles Lächeln umspielte seine Lippen, und der Blick, welchen er auf die beiden Haddedihn warf, sagte mir genug. Mohammed Emin war infolge seines prachtvollen, schneeweißen Bartes unter Tausenden zu erkennen.
Auf einen Wink des Khan wurden einige viereckige Lederstücke herbeigebracht. Auf diesen servierte man uns Brot, Fleisch und Datteln, und als wir ein Weniges davon genossen hatten, wurde uns für unsere Pfeifen Tabak gereicht, für welchen uns der Khan eigenhändig Feuer gab.
Jetzt erst konnten wir uns als seine Gäste betrachten, und ich gab Halef einen Wink, mein Pferd zu den übrigen Rossen zu bringen. Er tat dies und nahm dann auch bei uns Platz.
»Welches ist das Ziel Eurer Wanderungen?« erkundigte sich der Khan.
»Wir reiten nach Bagdad zu«, antwortete ich vorsichtig.
»Wir ziehen nach Sinna«, hob er wieder an. »Wollt Ihr mit uns reiten?«
»Wirst Du es erlauben?«
»Ich werde mich freuen, Euch bei mir zu sehen. Komm, reiche mir Deine Hand, Kara Ben Nemsi! Meine Brüder sollen Deine Brüder sein und meine Feinde Deine Feinde!«
Er reichte mir seine Hand entgegen, und ich schlug ein. Er tat dasselbe auch mit den anderen, die sich mit mir herzlich freuten, hier so ganz unerwartet einen Freund und Beschützer gefunden zu haben. Wir sollten es später zu bereuen haben. Der Bejat meinte es nicht böse mit uns; aber er glaubte, an uns eine gute Erwerbung gemacht zu haben, die ihm großen Nutzen bringen werde.
»Welche Stämme trifft man von hier bis Sinna?« erkundigte ich mich.
»Hier ist ein freies Land, wo bald dieser und bald jener Stamm seine Herden weidet; wer der Stärkere ist, der bleibt.«
»Zu welchem Stamme seid Ihr geladen?«
»Zu dem der Dschiaf.«
»So freue Dich Deiner Freunde; denn der Stamm der Dschiaf ist der mächtigste des ganzen Landes! Die Scheich-Ismael, Zengeneh, Kelogawani, Kelhore und sogar die Schenki und Hollali fürchten ihn.«
»Emir, warst Du bereits einmal hier?«
»Noch niemals.«
»Aber Du kennst ja alle Stämme dieser Gegend!«
»Vergiss nicht, dass ich ein Franke bin!«
»Ja, die Franken wissen alles, selbst das, was sie nicht gesehen haben. Hast Du auch vom Stamme der Bebbeh gehört?«
»Ja. Er ist der reichste Stamm weit und breit und hat seine Dörfer und Zelte in der Umgebung von Sulimania.«
»Du bist recht informiert. Hast Du Freunde oder Feinde unter ihnen?«
»Nein. Ich bin noch nie mit einem Bebbeh zusammengetroffen.«
»Vielleicht werdet Ihr sie kennenlernen.«
»Werdet Ihr ihnen begegnen?«
»Vielleicht, obwohl wir ein Treffen gerne vermeiden.«
»Kennst Du den Weg nach Sinna genau?«
»Ganz genau.«
»Wie weit ist es von hier bis dahin?«
»Wer ein gutes Pferd hat, der reitet in drei Tagen hin.«
»Und wie weit ist es bis Sulimania?«
»Du kannst es schon in zwei Tagen erreichen.«
»Wann brecht Ihr morgen auf?«
»Sobald die Sonne erscheint. Möchtest Du zur Ruhe gehen?«
»Wie es Dir angenehm ist.«
»Der Wille des Gastes ist Gesetz im Lager, und Ihr seid müde, denn Du hast die Pfeife bereits fortgelegt. Auch der Amasdar13 macht schon seine Augen zu. Ich gönne Euch die Ruhe.«
»Bejahend schirinkar – die Bejat haben angenehme Sitten. Erlaube, dass wir unsere Decken ausbreiten!«
»Tut es. Allah aramed schumara – Gott gebe Euch Schlaf!«14
Auf einen Wink von ihm wurden Teppiche gebracht, aus denen er sich ein Ruhelager bereitete. Meine Gefährten machten es sich so bequem wie möglich; ich aber verlängerte die Zügel meines Pferdes durch den Lasso, dessen Ende ich mir um das Handgelenk band, und legte mich dann außerhalb des Lagerkreises nieder. So konnte der Rappe weiden, und ich war seiner sicher, zumal der Hund an meiner Seite wachte.
So verging eine Weile.
Ich hatte die Augen noch nicht geschlossen, als sich mir jemand näherte. Es war der Engländer, der seine beiden Decken neben mir niederlegte.
»Schöne Freundschaft das«, brummte er. »Sitze da, verstehe kein Wort! Denke, es soll mir erklärt werden! Da aber macht sich der Kerl aus dem Staube. Hm! Danke sehr!«
»Verzeiht, Sir! Euch hatte ich wahrhaftig vergessen!«
»Mich vergessen! Seid Ihr blind, oder bin ich nicht groß genug?«
»Na, in die Augen fallt Ihr schon, besonders seit Ihr den Leuchtturm im Gesicht habt. Also was wollt Ihr wissen?«
»Alles! Übrigens mit dem Leuchtturm, das lasst sein, Master! Was habt Ihr denn mit diesem Scheich oder Khan besprochen?«
Ich erklärte es ihm.
»Well, das ist günstig. Nicht?«
»Ja. Drei Tage lang sicher sein oder nicht, das ist ein Unterschied.«
»Ihr habt also gesagt: nach Bagdad? Meint Ihr das wirklich, Master?«
»Es wäre mir allerdings das Liebste, aber es geht nicht.«
»Warum nicht?«
»Wir müssen zu den Haddedihn zurück, denn Ihr habt Eure Diener noch dort, und sodann fällt es mir auch sehr schwer, mich von Halef zu trennen. Wenigstens verlasse ich ihn nicht eher, als bis ich ihn gesund und sicher bei seinem jungen Weibe weiß.«
»Richtig! Yes! Braver Kerl! Zehntausend Pfund wert. Well! Möchte auch sonst gern wieder hin.«
»Warum?«
»Wegen Fowling-bulls.«
»Oh, Altertümer sind in der Nähe von Bagdad auch zu finden; zum Beispiel in den Ruinen bei Hillah. Dort hat Babylon gestanden, und es gibt da Trümmerfelder von einem Umkreis von mehreren geografischen Meilen, obgleich Babylon nicht so groß gewesen ist, wie Niniveh.«
»Oh! Ah! Hinreiten! Nach Hillah! Nicht?«
»Darüber lässt sich noch nichts sagen. Die Hauptsache ist zunächst, dass wir den Tigris glücklich erreichen. Das Weitere wird sich dann finden.«
»Schön! Wir gehen aber hin! Yes! Well! Good night!«
»Gute Nacht!«
Der gute Lindsay dachte heute nicht, dass wir eher und unter ganz anderen Umständen, als er jetzt meinte, nach jenen Gegenden kommen würden. Er wickelte sich in seine Decke und ließ bald ein lautes Schnarchen vernehmen. Auch ich schlief ein, gewahrte aber vorher, dass vier Männer von den Bejat sich zu Pferde setzten und fortritten.
Als ich erwachte, graute der Tag, und einige der Turkomanen waren bereits mit ihren Pferden beschäftigt. Halef, der auch schon munter war, hatte am Abend das Wegreiten der vier Bejat bemerkt und meldete es mir nun. Dann fragte er:
»Sihdi, warum senden sie Boten fort, wenn sie es ehrlich mit uns meinen?«
»Ich glaube nicht, dass diese Vier gerade wegen uns fortgeritten sind. Wir wären ja auch so schon vollständig in der Gewalt des Khan, wenn er Übles gegen uns vorhätte. Sorge Dich nicht, Halef!«
Ich dachte mir, dass die Reiter wegen der Gefährlichkeit der Gegend als Kundschafter vorausgeschickt worden seien, und hatte damit auch wirklich das Richtige getroffen, wie ich auf meine Erkundigung bei Heider Mirlam selbst erfuhr.
Nach einem sehr spärlichen Frühstück, welches nur aus einigen Datteln bestand, brachen wir auf. Der Khan hatte seine Leute in einzelne Trupps geteilt, die sich in Abständen von einer Viertelstunde folgten. Er war ein kluger, vorsichtiger Mann, der für die Sicherheit der Seinen nach besten Kräften sorgte.
Wir ritten ohne Rast bis Mittag. Als die Sonne am höchsten stand, machten wir Halt, um unseren Pferden die nötige Ruhe zu gönnen. Wir waren während unseres Rittes auf keinen einzigen Menschen gestoßen und hatten an bestimmten Stellen, an Büschen, Bäumen oder am Boden Zeichen der vier vorausgesandten Reiter gefunden, die uns dadurch die Richtung angaben, der wir folgen mussten.
Diese Richtung war mir rätselhaft. Von unserem gestrigen Rastplatz aus hatte Sinna im Südosten gelegen, aber anstatt in Folge dessen diese Richtung einzuhalten, waren wir fast genau noch südlich geritten.
»Du wolltest zu den Dschiaf?« erinnerte ich den Khan.
»Ja.«
»Dieser wandernde Stamm befindet sich jetzt in der Gegend von Sinna?«
»Ja.«
»Aber wenn wir so weiterreiten, kommen wir nie nach Sinna, sondern nach Banna oder gar Nweizgieh!«
»Willst Du sicher reisen, Herr?«
»Das versteht sich!«
»Wir auch. Und aus diesem Grund ist es ratsam, dass wir die feindlichen Stämme umgehen. Wir werden noch bis heute Abend sehr scharf zu reiten haben und dann können wir uns ausruhen; denn wir müssen morgen erwarten, dass der Weg nach Osten frei wird.«
Diese Erklärung wollte mir nicht ganz einleuchten; aber es war mir nicht möglich, seine Gründe zu widerlegen, und so schwieg ich.
Nach einer zweistündigen Ruhe brachen wir wieder auf. Unser Ritt war sehr scharf, und ich bemerkte, dass er uns oft im Zickzack führte; es gab also viele Punkte, von denen uns die vier Kundschafter fernhalten wollten.
Gegen Abend mussten wir eine hohlwegähnliche Vertiefung durchreiten. Ich befand mich an der Seite des Khans, der bei der vordersten Abteilung war. Wir hatten diese Stelle fast zurückgelegt, als wir auf einen Reiter trafen, dessen bestürztes Gesicht uns verriet, dass er nicht gedacht hatte, hier an diesem Ort Fremden zu begegnen. Er drängte sein Pferd zur Seite, senkte die lange Lanze und grüßte:
»Sallam!«
»Sallam!« antwortete der Khan. »Wohin geht dein Weg?«
»In den Wald. Ich will mir ein Berg-Schaf15 erjagen.«
»Zu welchem Stamme gehörst du?«
»Ich bin ein Bebbeh.«
»Wohnst du, oder wanderst du?«
»Wir wohnen zurzeit des Winters; im Sommer aber führen wir unsere Herden zur Weide.«
»Wo wohnst du im Winter?«
»In Nweizgieh. Im Südosten von hier. In einer Stunde kannst du es erreichen. Meine Gefährten werden euch gern willkommen heißen.«
»Wie viele Männer seid ihr?«
»Vierzig, und bei anderen Herden sind noch mehr.«
»Gib mir deine Lanze!«
»Warum?« fragte der Mann erstaunt.
»Und deine Flinte!«
»Warum?«
»Und dein Messer! Du bist mein Gefangener!«
»Maschallah!«
Dieses Wort war ein Ausruf des Schreckens. Sogleich aber blitzte es in seinen scharfen Zügen auf; er riss sein Pferd empor, warf es herum und sprengte zurück.
»Fange mich!« hörten wir noch den Ruf des schnell handelnden Mannes.
Da nahm der Khan seine Flinte zur Hand und legte auf den Fliehenden an. Ich hatte kaum Zeit, den Lauf zur Seite zu schlagen, so krachte der Schuss. Natürlich ging die Kugel an ihrem Ziel vorüber. Der Khan hob die Faust gegen mich, besann sich aber sofort eines Besseren.
»Khyjangar!16 Was tust du?« rief er zornig.
»Ich bin kein Verräter«, antwortete ich ruhig. »Ich will nicht haben, dass du eine Blutschuld auf dich lädst.«
»Aber er musste sterben! Wenn er uns entkommt, so müssen wir es büßen.«
»Lässt du ihm das Leben, wenn ich ihn dir bringe?«
»Ja. Aber du wirst ihn nicht fangen!«
»Warte!«
Ich ritt dem Flüchtigen nach. Er war nicht mehr zu sehen; aber als ich die Schlucht hinter mir hatte, bemerkte ich ihn. Vor mir lag eine mit weißem Crocus und wilden Nelken bewachsene Ebene, jenseits welcher die dunkle Linie eines Waldes sichtbar wurde. Wenn ich ihn den Wald erreichen ließ, so war er wohl für mich verloren.
»Rih!« rief ich, indem ich meinem Rappen die Hand zwischen die Ohren legte. Das brave Tier war längst nicht mehr bei vollen Kräften; auf dieses Zeichen hin aber flog es über den Boden, als ob es wochenlang ausgeruht habe. In zwei Minuten war ich dem Bebbeh um zwanzig Pferdelängen nahe gekommen.
»Halt!« rief ich ihm zu.
Dieser Mann war sehr mutig. Statt weiter zu fliehen oder zu halten, warf er sein Pferd auf den Haken herum und kam mir entgegen. Im nächsten Augenblick mussten wir zusammenprallen. Ich sah ihn die Lanze heben und griff zu dem leichten Stutzen. Da nahm er sein Pferd um einige Zoll nur auf die Seite. Wir sausten aneinander vorüber; die Spitze seines Speeres war auf meine Brust gerichtet; ich parierte glücklich, nahm aber sofort mein Pferd herum. Er hatte eine andere Richtung eingeschlagen und suchte zu entkommen. Warum bediente er sich nicht seiner Flinte? Auch war sein Pferd zu wenig schlecht, als dass ich es unter ihm hätte erschießen mögen. Ich nahm den Lasso von der Hüfte, befestigte das eine Ende desselben am Sattelknopf und legte dann den langen, unzerreißbaren Riemen in die Schlingen. Er blickte sich um und sah mich näher kommen. Er hatte wohl noch nie von einem Lasso gehört und wusste also auch nicht, wie man dieser so gefährlichen Waffe entgehen kann. Zur Lanze schien er kein Vertrauen mehr zu haben, denn er nahm sein langes Gewehr, dessen Kugel ja nicht zu parieren war. Ich maß die Entfernung scharf mit dem Auge, und gerade, als er den Lauf erhob, schwirrte der Riemen durch die Luft. Kaum hatte ich mein Pferd zur Seite genommen, so fühlte ich einen Ruck: ein Schrei erscholl, und ich hielt an – der Bebbeh lag mit umschlungenen Armen am Boden. Einen Augenblick später stand ich bei ihm.
»Hast du dir wehgetan?«
Diese meine Frage musste unter den gegenwärtigen Umständen allerdings wie Hohn klingen. Er suchte seine Arme zu befreien und knirschte:
»Räuber!«
»Du irrst! Ich bin kein Räuber; aber ich wünsche, dass du mit mir reitest.«
»Wohin?«
»Zum Khan der Bejat, dem du entflohen bist.«
»Der Bejat? Also gehören die Männer, welche ich traf, zu diesem Stamme! Und wie heißt der Khan?«
»Heider Mirlam.«
»Oh, nun weiß ich alles. Allah möge euch verderben, die ihr doch nur Diebe und Schufte seid!«
»Schimpfe nicht! Ich verspreche dir bei Allah, dass dir nichts geschehen soll!«
»Ich bin in deiner Gewalt und muss dir folgen.«
Ich nahm ihm das Messer aus dem Gürtel und hob die Lanze und die Flinte vom Boden; sie waren ihm beim Sturz entfallen. Dann löste ich den Riemen und stieg schnell zu Pferde, um auf alles gefasst zu sein. Er schien keinen Gedanken an Flucht zu hegen, sondern pfiff seinem Pferd und schwang sich auf.
»Ich traue deinem Wort«, sagte er. »Komm!«
Wir galoppierten nebeneinander zurück und fanden die Bejat am Ausgang der Vertiefung auf uns warten. Als Heider Mirlam den Gefangenen erblickte, klärte sich sein finsteres Gesicht auf.
»Herr, Du bringst ihn wirklich!« rief er.
»Ja, denn ich habe es Dir versprochen. Aber ich habe ihm mein Wort gegeben, dass ihm nichts geschehen soll. Hier sind seine Waffen!«
»Er soll später alles wieder haben, jetzt aber bindet ihn, damit er nicht entfliehen kann!«
Diesem Befehl wurde sogleich Gehorsam geleistet. Unterdessen war die zweite unserer Abteilungen herangekommen, und ihr wurde der Gefangene mit dem Begehren übergeben, ihn zwar gut zu behandeln, ihn aber ebenso gut zu bewachen. Dann wurde der unterbrochene Ritt fortgesetzt.
»Wie ist er in Deine Gewalt gekommen?« fragte der Khan.
»Ich habe ihn gefangen«, antwortete ich kurz; denn ich war verstimmt über sein Verhalten.
»Herr, Du zürnst«, meinte er; »Du wirst aber noch erkennen, dass ich so handeln musste.«
»Ich hoffe es!«
»Dieser Mann darf nicht ausplaudern, dass die Bejat in der Nähe sind.«
»Wann wirst Du ihn entlassen?«
»Sobald es ohne Gefahr geschehen kann.«
»Bedenke, dass er eigentlich mir gehört. Ich hoffe, dass mein ihm gegebenes Wort nicht zu Schanden werde!«
»Was würdest Du tun, wenn das Gegenteil geschähe?«
»Ich würde einfach Dich –«
»Töten?« fiel er mir ins Wort.
»Nein. Ich bin ein Franke, das heißt, ich bin ein Christ; ich töte nur dann einen Menschen, wenn ich mein Leben gegen ihn verteidigen muss. Ich würde Dich also nicht töten, aber ich würde die Hand, mit welcher Du Dein Versprechen mir bekräftigt hast, zu Schanden schießen. Der Emir der Bejat wäre dann wie ein Knabe, der kein Messer zu führen versteht, oder wie ein altes Weib, auf dessen Stimme nichts gegeben wird.«
»Herr, wenn mir das ein anderer sagte, so würde ich lachen; Euch aber traue ich es zu, dass Ihr mich mitten unter meinen Kriegern angreifen würdet.«
»Allerdings täten wir das! Es ist keiner unter uns, der sich vor Deinen Bejat fürchten möchte.«
»Auch Mohammed Emin nicht?« erwiderte er lächelnd.
Ich sah mein Geheimnis verraten, aber ich antwortete gleichmütig:
»Auch er nicht.«
»Und Amad el Ghandur, sein Sohn?«
»Hast Du jemals vernommen, dass er ein Feigling sei?«
»Nie! Herr, wäret Ihr nicht Männer, so hätte ich Euch nicht bei uns aufgenommen; denn wir reiten auf Wegen, welche gefährlich sind. Ich wünsche, dass wir sie glücklich vollenden!«
Der Abend brach herein, und eben, als es so dunkel wurde, dass es die höchste Zeit zum Lagern war, gelangten wir an einen Bach, welcher aus einem Labyrinth von Felsen in das Freie sich ergoss. Dort lagerten die vier Bejat, welche uns vorausgeritten waren. Der Khan stieg ab und trat zu ihnen, um sich längere Zeit leise mit ihnen zu unterhalten.
Warum tat er so heimlich? Hatte er etwas vor, was nur sie allein wissen durften? Endlich befahl er seinen Leuten, abzusteigen. Einer der Vier schritt uns voran, in das Felsengewirr hinein. Wir führten die Pferde hinter uns und gelangten nach einiger Zeit in eine große, ganz von Felsen eingeschlossene freie Rundung. Dieser Ort war das sicherste Versteck, welches jemals gefunden werden konnte, freilich viel zu klein für zweihundert Mann und deren Pferde.
»Bleiben wir hier?« fragte ich.
»Ja«, antwortete Heider Mirlam.
»Aber nicht alle!«
»Nur vierzig; die anderen werden in der Nähe lagern.«
Diese Antwort musste mich zufriedenstellen; nur wunderte es mich, dass trotz der Sicherheit unserer Lage kein Feuer angezündet wurde. Dies fiel auch den Gefährten auf.
»Schöner Platz!« sagte Lindsay. »Kleine Arena. Nicht?«
»Allerdings.«
»Aber feucht und kalt hier am Wasser. Warum nicht Feuer anzünden?«
»Weiß es nicht. Vielleicht sind feindliche Kurden in der Nähe.«
»Was aus ihnen machen? Niemand kann uns sehen. Hm! Gefällt mir nicht!«
Er warf einen zweifelhaften Blick auf den Khan, der mit dem sichtlichen Bestreben, von uns nicht gehört zu werden, zu seinen Leuten sprach. Ich setzte mich zu Mohammed Emin, der auf diese Gelegenheit gewartet zu haben schien, denn er fragte mich sofort:
»Emir, wie lange bleiben wir bei diesen Bejat?«
»So lange es Dir beliebt.«
»Ist es Dir recht, so trennen wir uns morgen von ihnen.«
»Warum?«
»Ein Mann, der die Wahrheit verschweigt, ist kein guter Freund.«
»Hältst Du den Khan für einen Lügner?«
»Nein; aber ich halte ihn für einen Mann, der nicht alles sagt, was er denkt.«
»Er hat Dich erkannt.«
»Ich weiß es; ich habe es an seinen Augen gesehen.«
»Nicht bloß Dich, sondern auch Amad el Ghandur.«
»Das ist leicht zu denken, da mein Sohn die Züge seines Vaters trägt.«
»Macht Dir dies vielleicht Sorgen?«
»Nein. Wir sind Gäste der Bejat geworden, und sie werden uns nicht verraten. Aber warum haben sie diesen Bebbeh gefangen genommen?«
»Damit er unsere Anwesenheit nicht verraten kann.«
»Warum soll sie nicht verraten werden, Emir? Was haben zweihundert bewaffnete und gut berittene Reiter zu fürchten, wenn sie keinen Tross bei sich haben, weder Weib noch Kind, weder Kranke noch Greise, weder Zelte noch Herden? In welcher Gegend befinden wir uns, Effendi?«
»Wir sind inmitten des Gebietes der Bebbeh.«
»Und er wollte zu den Dschiaf? Ich habe wohl bemerkt, dass wir immer gegen Mittag ritten. Warum teilt er heute die Leute in zwei Lager? Emir, dieser Heider Mirlam hat zwei Zungen, obwohl er es ehrlich mit uns meint. Wenn wir uns morgen von ihm trennen wollen, welchen Weg schlagen wir dann ein?«
»Wir haben die Berge des Zagros zu unserer Linken. Die Distriktshauptstadt Banna liegt ganz in unserer Nähe, wie ich vermute. Geht man an ihr vorüber, so kommt man nach Amehdabad, Bija, Surene und Bayendereh. Hinter Amehdabad öffnet sich ein Pass, welcher durch einsame Schluchten und Täler nach Kizzelzieh führt. Dort hat man die Hügel von Girzeh und Sersir zur Rechten, ebenso die kahlen Berge von Kurri-Kazhaf; man gelangt an die beiden Wasserläufe Bistan und Karadscholan, welche sich mit dem Kizzelzieh vereinigen und in den Kiuprisee fallen. Haben wir diesen erreicht, so sind wir geborgen. Dieser Weg ist freilich beschwerlich.«
»Woher weißt du das?«
»Ich habe in Bagdad mit einem Bulbassi-Kurden gesprochen, welcher mir diese Gegend so gut beschrieb, dass ich mir eine kleine Karte anfertigen konnte. Ich glaubte nicht, sie brauchen zu können, habe sie aber doch hier in mein Günteste17 gezeichnet.«
»Und du meinst, dass es gut ist, diesen Weg einzuschlagen?«
»Ich habe mir auch andere Orte, Berge und Flüsse aufgezeichnet, halte diesen Weg aber für den besten. Wir könnten entweder nach Sulimania oder über Mik und Doweiza nach Sinna reiten, wissen aber nicht, welche Aufnahme wir dort finden.«
»So bleibt es dabei: – wir trennen uns morgen von den Bejat und ziehen über die Berge nach dem See von Kiupri. Wird dich deine Karte nicht täuschen?«
»Nein, wenn mich der Bulbassi nicht getäuscht hat.«
»Lass uns also ruhen und schlafen! Die Bejat mögen tun, was ihnen beliebt.«
Wir tränkten unsere Pferde am Bach und sorgten für das notwendige Futter. Dann legten sich die anderen gleich zur Ruhe, während ich den Khan aufsuchte.
»Heider Mirlam, wo sind die anderen Bejat?«
»In der Nähe. Warum fragst du?«
»Bei ihnen ist der gefangene Bebbeh, den ich sehen möchte.«
»Warum willst du ihn sehen?«
»Es ist meine Pflicht, weil er mein Gefangener ist.«
»Er ist nicht deiner, sondern mein Gefangener; denn du hast ihn mir übergeben.«
»Darüber wollen wir uns nicht streiten; aber ich möchte doch nachsehen, wie er sich befindet.«
»Er befindet sich gut. Wenn Heider Mirlam dies sagt, so ist es wahr. Sorge dich nicht um ihn, Herr, sondern setze dich zu mir und lass uns eine Pfeife Tabak rauchen!«
Ich folgte seinem Worte, um ihn nicht zu erzürnen, verließ ihn aber sehr bald wieder, um mich niederzulegen. Warum sollte ich den Bebbeh nicht sehen? Schlecht behandelt wurde er nicht; dafür bürgte mir das Wort des Khan. Dieser aber wurde jedenfalls von einem Grunde geleitet, den mein mangelhafter Scharfsinn nicht zu entdecken vermochte. Ich beschloss, morgen in aller Frühe den Bebbeh auf meine eigene Gefahr hin freizulassen und dann mich von den Bejat zu trennen. So schlief ich ein.
Wenn man vom Morgengrauen bis zum späten Abend auf dem Pferd hängt, so wird man selbst als Gewohnheitsreiter müde. Das war auch bei mir der Fall. Ich schlief gut und fest, und ich wäre sicher vor dem Morgen nicht aufgewacht, wenn nicht das Murren meines Hundes mich geweckt hätte. Als ich die Augen aufschlug, war es sehr dunkel; dennoch erkannte ich einen Mann, welcher aufrecht in meiner Nähe stand.
Ich griff zum Messer.
»Wer bist du?«
Bei dieser Frage erwachten auch die Gefährten und nahmen die Waffen zur Hand.
»Kennst du mich nicht, Herr?« erklang die Antwort. »Ich bin einer der Bejat.«
»Was willst du?«
»Herr, hilf uns! Der Bebbeh ist entflohen!«
Ich sprang sofort auf und die anderen mit.
»Der Bebbeh? Wann?«
»Ich weiß es nicht. Wir haben geschlafen.«
»Ah! Hundertundsechzig Mann haben ihn bewacht, und er ist entflohen?«
»Sie sind ja nicht da!«
»Diese Hundertundsechzig sind fort?«
»Sie kommen wieder, Herr.«
»Wohin sind sie?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wo ist der Khan?«
»Auch mit fort.«
Da fasste ich den Mann bei der Brust.
»Mensch, habt ihr vielleicht eine Schurkerei gegen uns vor? Das sollte euch schlecht bekommen!«
»Lass mich, Herr! Wie können wir dir Schlimmes tun! Du bist ja unser Gast!«
»Halef, untersuche, wie viele Bejat sich noch hier befinden!«
Es war so dunkel, dass man den Platz nicht zu überblicken vermochte. Der kleine Hadschi erhob sich, um meinen Befehl auszuführen.
»Es sind noch vier hier«, erklärte sogleich der Bejat, »und einer steht draußen am Eingang, um ihn zu bewachen. Drüben aber im anderen Lager waren wir zu zehnt, um den Gefangenen zu bewachen.«
»Wie ist er euch entkommen? Zu Fuß?«
»Nein. Er hat sein Pferd mitgenommen, nebst einigen Waffen von uns.«
»Das ist ein Beweis, dass ihr sehr kluge und aufmerksame Wächter seid. Aber warum kommt ihr zu mir?«
»Herr, fange ihn wieder!«
Beinahe hätte ich laut aufgelacht. Eine naivere Zumutung konnte mir ja gar nicht gestellt werden. Ich ließ diese Aufforderung ganz unbeachtet und erkundigte mich nur weiter:
»Ihr wisst also nicht, wo der Khan mit den anderen ist?«
»Wir wissen es wirklich nicht.«
»Aber er muss doch einen Grund haben, fortzugehen!«
»Den hat er.«
»Welcher ist es?«
»Herr, wir sollen ihn dir nicht sagen.«
»Gut. Wir wollen einmal sehen, wer jetzt zu befehlen hat, der Khan oder ich – – –«
Halef unterbrach mich, indem er meldete, dass wirklich nur noch vier Bejat zu bemerken seien.
»Sie stehen dort in der Ecke und hören uns zu, Sihdi!« sagte er.
»Lass sie stehen! Aber sag, sind deine Pistolen geladen, Hadschi Halef Omar?«
»Hast du sie jemals ungeladen gesehen, Sihdi?«
»Nimm sie heraus, und wenn dieser Mann die Frage, welche ich ihm jetzt zum letzten Male vorlegen werde, nicht beantwortet, so jagst du ihm eine Kugel durch den Kopf. Verstanden?«
»Habe keine Sorge, Sihdi; er soll zwei Kugeln erhalten anstatt eine!«
Er nahm die Waffen aus dem Gürtel und ließ die vier Hähne spielen. Ich fragte den Bejat abermals:
»Weshalb hat sich der Khan entfernt?«
Die Antwort ließ nicht einen Augenblick auf sich warten.
»Um die Bebbeh zu überfallen.«
»Die Bebbeh? So hat er mich also belogen! Er sagte, dass er die Dschiaf besuchen wolle.«
»Herr, Khan Heider Mirlam sagt nie eine Lüge! Er will wirklich zu den Dschiaf, wenn ihm der Überfall gelungen ist.«
Jetzt fiel mir ein, dass er mich gefragt hatte, ob ich mit den Bebbeh Freund oder Feind sei. Er hatte mir seinen Schutz angedeihen lassen und mir doch auch meine Unbefangenheit bewahren wollen.
»Lebt Ihr mit den Bebbeh in Unfrieden?« fragte ich weiter.
»Sie mit uns, Herr. Wir werden ihnen dafür heute ihre Herden, ihre Teppiche und Waffen wegnehmen. Hundertundfünfzig Männer werden diese Beute heimschaffen, und fünfzig werden mit dem Khan zu den Dschiaf gehen.«
»Wenn die Bebbeh es erlauben«, fügte ich hinzu.
Trotz der Dunkelheit bemerkte ich, dass er den Kopf stolz emporwarf. »Diese? Die Bebbeh sind Feiglinge! Hast Du nicht gesehen, dass dieser Mann heute vor uns geflohen ist?«
»Einer vor Zweihundert!«
»Und Du allein hast ihn gefangen!«
»Bah! Ich fange unter Umständen ebenso gut zehn Bejat. Zum Beispiel: Du und diese Vier, die Wache draußen und die Neun drüben im anderen Lager, Ihr seid jetzt meine Gefangenen. Halef, bewache den Ausgang. Wer diesen Platz ohne meine Erlaubnis betreten oder verlassen will, den erschießt Du!«
Der wackere Hadschi verschwand sofort nach dem Ausgang hin; der Bejat sagte ängstlich: »Herr, Du scherzest!«
»Ich scherze nicht. Der Khan hat mir das Wichtigste verschwiegen, und auch Du hast nur deshalb gesprochen, weil ich Dich gezwungen habe. Darum sollt Ihr mir dafür bürgen, dass ich hier sicher bin. Kommt herbei, Ihr Viere!«
Sie folgten meinem Befehl.
»Legt Eure Waffen hier zu meinen Füßen nieder!« – Und als sie zögerten, fügte ich hinzu: »Ihr habt von uns gehört! Meint Ihr es ehrlich mit uns, so geschieht Euch nichts und Ihr erhaltet Eure Waffen wieder; weigert Ihr Euch aber, mir zu gehorchen, so kann Euch kein Dschinn und Scheïtan helfen!«
Jetzt taten sie, was ich von ihnen verlangt hatte. Ich übergab die Gewehre den Gefährten und instruierte Mohammed Emin, wie er sich nun weiter zu verhalten habe. Dann verließ ich den Platz, um dem Lauf des Baches in das Freie zu folgen.
Draußen fand ich zwischen Steinen die Wache, welche mich gleich erkannte.
»Wer hat Dich hergestellt?« fragte ich.
»Der Khan.«
»Wozu?«
»Damit er, wenn er kommt, gleich weiß, dass alles in Ordnung ist.«