Von Christus beauftragt - Wilfried Härle - E-Book

Von Christus beauftragt E-Book

Wilfried Härle

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Beschreibung

Vor etwa fünfzig Jahren öffnete sich die evangelische Kirche für die Ordination von Frauen. Das geschah begleitet von viel Streit, aber ohne eine fundierte theologische Begründung. Gleichzeitig erschien eine umfassende Studie des holländischen Jesuiten Haye van der Meer über das Priestertum der Frau (1962/1969), die zu dem Ergebnis kam, dass keiner der vorgebrachten Gründe ausreichend sei, der Frau die Priesterweihe zu verweigern. Bis heute blieb das jedoch fast ohne Folgen. Aber in den beiden letzten Jahren ist große Bewegung in dieses Thema gekommen: Die anglikanische Kirche hat die Priester- und Bischofsweihe für Frauen eingeführt. Die Lutherische Kirche in Lettland hat die Ordination von Frauen abgeschafft. Papst Franziskus hat Maria Magdalena als wahrhafte und gleichberechtigte Apostelin anerkannt. Wie verhält sich all das zu den biblisch-theologischen Grundlagen der christlichen Kirchen? Der renommierte Systematiker Wilfried Härle legt mit diesem Buch eine biblisch-theologische Begründung für die Ordination und Priesterweihe von Frauen vor, die der ökumenischen Beschäftigung mit diesem wichtigen Thema neue Anstöße geben wird. [Commissioned by Christ. A Biblical Plea for the Ordination of Women] Some 50 years ago the Evangelical Church allowed the ordination of women. The introduction lacked a well-founded theological reasoning and provoked plenty of disputes. At the same time the Dutch Jesuit Haye van der Meer published a comprehensive study on the priesthood of women (1962/1969), concluding that none of the arguments provided enough reason to deny women to be ordained as priests, which to this day has hardly had any impact. In the last two years, however, the discussion has gained momentum: the Anglican Church introduced the ordination of women as priests and bishops, whereas the Lutheran Church in Latvia abolished it. And moreover, Pope Francis recognized Mary Magdalene as a true and authentic evangelizer. How is all of this connected to the biblical and theological foundations of the Christian Churches? In this publication renowned systematic theologian Wilfried Härle (Heidelberg) presents a biblical-theological justification for the ordination of women, which will certainly provide fresh impetus to the ecumenical debate on this important topic.

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Gewidmet Papst Franziskus in tiefer Verehrung

Wilfried Härle

Von Christus

beauftragt

Ein biblisches Plädoyer für Ordination und Priesterweihe von Frauen

Wilfried Härle, Dr. theol., Jahrgang 1941, ist Professor em. für Systematische Theologie. Nach dem Studium der Evangelischen Theologie in Heidelberg und Erlangen, Promotion und Habilitation lehrte er von 1975 bis 2006 an den Universitäten Kiel, Groningen (NL), Marburg und Heidelberg. Parallel dazu war er achtzehn Jahre lang Mitglied und zwölf Jahre lang Vorsitzender der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD und drei Jahre lang Mitglied der Enquetekommission des Deutschen Bundestages für Ethik und Recht der modernen Medizin. Seit seiner Emeritierung ist er als Buchautor, Vortragsreisender und Seelsorger am Augustinum in Stuttgart-Killesberg tätig.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2017 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Cover: Kai-Michael Gustmann, Leipzig

Satz: makena plangrafik, Leipzig

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018

ISBN 978-3-374-05062-8 ISBN 978-3-89710-724-3

www.eva-leipzig.dewww.bonifatius.de

Vorwort

Warum schreibe ich als Systematischer Theologe im Ruhestand noch ein biblisches Plädoyer für Ordination und Priesterweihe von Frauen? Mir ist schon seit vielen Jahren bewusst, dass ein solches Buch nötig ist. Denn einige Aussagen der Bibel scheinen so eindeutig der Ordination und Priesterweihe von Frauen zu widersprechen, dass es wie eine Missachtung der Bibel wirken kann, wenn von evangelischen Kirchen, die sich doch auf den Grundsatz „allein durch die Schrift“ (sola scriptura) berufen, Frauen ordiniert werden.

Sieht man sich die Texte an, in denen evangelische Kirchenleitungen begründen, warum sie die Frauenordination nicht nur für vertretbar, sondern geradezu für notwendig halten, findet man dafür selten eine überzeugende Begründung, die sich mit dem biblischen Befund auseinandersetzt. Stattdessen wird häufig auf die veränderte Stellung der Frau in der modernen Gesellschaft oder auf den erreichten innerkirchlichen Konsens verwiesen. Solange diese Hinweise aber nicht verbunden sind mit einer fundierten biblischen Begründung wirken sie weder überzeugend noch für die Kirchen einladend, die sich bisher nicht für die Frauenordination oder Priesterweihe von Frauen entschieden haben oder diese Entscheidung sogar wieder rückgängig gemacht haben.

Beschäftigt man sich aber intensiv und gründlich mit dem biblischen Befund zu diesem Thema, kann man feststellen, dass sich aus der Bibel unter unseren gegenwärtigen Lebensbedingungen keine Ablehnung der Frauenordination bzw. Priesterweihe, sondern eine Begründung derselben ableiten lässt.

Zu dieser Einsicht bin ich schon seit Langem gekommen und habe dabei an vielen Stellen von der sachkundigen Vorarbeit von Exegeten und Systematischen Theologen profitiert. Allerdings war ich die ganze Zeit über auch der Auffassung, ein Buch, das diese Ergebnisse zusammenfasst und die notwendigen Schlussfolgerungen aus ihnen zieht, müsse unbedingt von einer Frau verfasst werden. Dass dies ein törichtes Vorurteil war, ist mir erst im Jahr 2016 bewusst geworden.

Auslöser dafür waren zwei konträre kirchliche Entscheidungen, die innerhalb von zwei Tagen stattfanden: einerseits das Dekret von Papst Franziskus vom 3. Juni 2016, den Gedenktag für Maria Magdalena in den Rang eines mit den übrigen Aposteln gleichrangigen Festes zu erheben, andererseits der Änderungsbeschluss der Lettischen Lutherischen Kirche vom 3. /4. Juni 2016, durch die Grundordnung der Kirche die bislang zugelassene Ordination von Frauen auszuschließen.

Diese beiden – von ihrer Größenordnung her unvergleichlichen und von ihrer Zielrichtung her unvereinbaren – Entscheidungen haben mir bewusst gemacht, dass ich nicht länger nach einer möglichen Autorin für ein solches Buch suchen, sondern es gefälligst selbst schreiben sollte, und zwar möglichst schnell. Solange solche Bücher von Frauen verfasst werden, wirken sie geradezu unvermeidlich wie Verteidigungsschriften in eigener Sache und geraten dadurch leicht in ein schiefes Licht. Diesen irreführenden Eindruck möchte ich durch meine Verfasserschaft als Mann vermeiden. Ich hoffe auch durch meine bisherigen Veröffentlichungen über den christlichen Glauben* gezeigt zu haben, dass mir die biblische Botschaft von der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus durch den Heiligen Geist ein Herzensanliegen ist.

Deshalb veröffentliche ich dieses biblische Plädoyer für die Ordination und Priesterweihe von Frauen in der Hoffnung, dass Theologen und Laien, die nach biblisch fundierten Entscheidungen in der Kirche suchen, darin eine Entscheidungshilfe finden, die ihnen und uns allen hilft, die Berufung Jesu Christi zu dem Dienst, durch den er seine Kirche baut und erhält, zu vernehmen und ihr in Gewissenhaftigkeit und Freude zu folgen. Dazu verleihe Gott seinen Segen.

Dafür, dass dieses Buch nun in deutscher (und etwa gleichzeitig auch in lettischer) Sprache vorliegt, habe ich vielfältig zu danken: an erster Stelle meiner aus Lettland stammenden Ehefrau Dr. Ilze Kezbere-Härle, die im Jahr 2003 in der Lettischen Lutherischen Auslandskirche von Erzbischof Elmars Ernsts Rozitis zur Pfarrerin ordiniert wurde. Sie hat mich zu und bei meiner Arbeit ermutigt und beraten und hat von Herzen gerne die Aufgabe der Übersetzung dieses Buches in die Lettische Sprache übernommen.

Zu danken habe ich ferner der Evangelischen Verlagsanstalt in Leipzig und dem St. Bonifatiusverlag (in den Personen von Frau Dr. Annette Weidhas und Frau Gisela Appelbaum), die – ohne zu zögern – bereit waren, dieses Buch in ökumenischer Kooperation zu veröffentlichen.

Danken möchte ich dem emeritierten Erzbischof der Lettischen Auslandskirche, Herrn Elmars Ernsts Rozitis, sowie dem Vizepräsidenten des Lutherischen Kirchenamtes in Hannover, Herrn Dr. Horst Gorski, und seinen Mitarbeitern für anfängliche Hilfe bei der Suche nach Literatur.

Zu danken habe ich schließlich Frau Silke Wedemeier von der Birkacher Filiale der Bibliothek der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, die mich bei der Beschaffung der erforderlichen Literatur unermüdlich und mit stets gleichbleibender Freundlichkeit unterstützt hat.

Ich widme dieses Buch Papst Franziskus, der durch seine Initiativen einen theologischen Weg beschritten hat, der biblisch-theologisch fundiert ist und längerfristig zu einem großen ökumenischen Fortschritt hinsichtlich der Frage der Weihe bzw. Ordination von Frauen führen kann.

Heidelberg/Ostfildern, Pfingsten 2017

Wilfried Härle

* Ich verweise dafür insbesondere auf meine „Dogmatik“, meine „Ethik“ und meine in den letzten Jahren bei der Evangelischen Verlagsanstalt in Leipzig erschienenen Bücher über den Glauben an Gott: „Warum Gott?“ sowie „ ,… und hätten ihn gern gefunden‘. Gott auf der Spur“.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Einleitung

1. Das Verhältnis von Mann und Frau aus biblisch-christlicher Sicht

1.1 Mann und Frau in den biblischen Schöpfungsaussagen

1.2 Mann und Frau beim Sündenfall

1.3 Mann und Frau in Christus Jesus

2. Die biblischen Aussagen zur Verkündigung von Frauen

2.1 Die Aussagen aus dem paulinischen Schrifttum

2.2 Die Aussagen aus den Evangelien und der Apostelgeschichte

2.3 Die Aussagen über die Geistbegabung und Verkündigung von Frauen

3. Das Allgemeine Priestertum

3.1 Der biblische Befund zum Allgemeinen Priestertum

3.2 Die Wiederbelebung des Allgemeinen Priestertums durch die Reformation

3.3 Das ordinierte Amt als Schutz des Allgemeinen Priestertums

4. Ordination – auch für Frauen?

4.1 Sinn und Bedeutung der Ordination

4.2 Das Sein in Christus und die Frauenordination

4.3 Die Bedeutung des Traditionsarguments hinsichtlich der Frauenordination

5. Was können wir hinsichtlich der Frauenordination von wem lernen?

Abkürzungen

Literaturverzeichnis

Bibelstellenregister

Einleitung1

Im Jahr 1969 wurde ich ordiniert, mit mir zusammen vier andere Personen, darunter erstmalig in meiner Kirche eine Frau. Das war zwar eine Neuigkeit, aber keine Sensation. Ich kann mich nicht daran erinnern und kann es auch nicht aus der damaligen Literatur belegen, dass in dieser Zeit eine fundierte theologische Argumentation für die Zulassung von Frauen zur Ordination stattgefunden hätte,2 sondern dieser Schritt hatte in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts in einem Großteil der reformatorischen Kirchen eine gewisse – vor allem gesellschaftlich bedingte – Selbstverständlichkeit erlangt. Ja, er erschien vielen als überfällig.

Einen differenzierten, fundierten Überblick über die Diskussion zur Frauenordination, wie sie bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in den verschiedenen Kirchen, Konfessionen und Ländern geführt wurde, gibt Kathleen Bliss.3 Besonders bemerkenswert ist an dieser Veröffentlichung die methodische Reflektiertheit, die z. B. in folgenden Passagen zum Ausdruck kommt:

„Warum wird nun heute die Frage der Ordination von Frauen so ernsthaft geprüft und lebhaft diskutiert – eine Frage, die jahrhundertelang niemand beschäftigte, ja, die nicht einmal in der Idee vorhanden war? Der Grund, warum die Kirchen, wenn auch nicht immer zu genau dem gleichen Zeitpunkt, fast unausweichlich vor diese Frage gestellt werden, liegt in dem radikalen Wechsel der Stellung der Frau in der Öffentlichkeit, die sich in den letzten 50 Jahren vollzogen hat. Die Kirchen selbst haben zu diesem Wandel beigetragen, nicht zuletzt dadurch, daß sie weithin mit Nachdruck für eine bessere Erziehung und höhere Bildung der Frauen eingetreten sind. Heute gibt es jedenfalls im weltlichen Raum kaum noch eine Ausbildung, zu der Frauen nicht zugelassen würden, und die sie nicht mit Erfolg durchmachen könnten; sie bekleiden verantwortliche Stellungen in den freien Berufen, in der Wohlfahrtspflege, in der Politik, im Geschäftsleben. Das sind Tatsachen – auch wenn sie längst nicht für alle Frauen zutreffen – und aus ihnen erwächst die Frage: Und was tut die Kirche? – Aber diese Frage wird nun in sehr verschiedener Form gestellt. Sie kann so lauten: ,Warum ist der Beruf des Pfarrers der einzige oder doch fast der einzige, der Frauen auf Grund ihres Geschlechts verschlossen bleibt?‘ Diese Fragestellung, das soll … deutlich gesagt sein, ist allerdings nicht die der Kirche selbst … Die Fragestellung in der Kirche würde eher so lauten: ,Die Kirche braucht alle Kräfte und Gaben ihrer Glieder; die Arbeit, die ihr aufgetragen ist, übersteigt bei weitem die Möglichkeiten ihrer führenden Amtsträger, d. h. der Geistlichen. Es genügt auch nicht, Menschen zu finden, die den guten Willen haben zu helfen. Was die Kirche braucht, sind Menschen, die etwas gelernt haben und etwas können. Und da sind nun Frauen, bei denen beides vorhanden ist: der gute Wille und eine Ausbildung für die Arbeit. Was tut nun die Kirche, um diese Kräfte zu nützen?‘ – Wenn eine Kirche sich anschickt, diese Frage zu beantworten, ist sie sofort genötigt, eine ganze Reihe von anderen grundsätzlichen Fragen mit zu bedenken: etwa die nach dem Wesen des geistlichen Amtes, oder nach der Stellung der Frau in der Kirche, bzw. nach ihrer Kultfähigkeit; des weiteren erhebt sich die Frage, ob und wieweit die apostolischen Anweisungen im Neuen Testament als allgemein gültige, gesetzliche Regelungen verstanden werden müssen, und zuletzt – aber diese Frage ist trotzdem nicht unerheblich – wieweit die in einem Volk und entsprechend in seiner Kirche vorhandene Sitte beachtet und geschützt werden muß.“ (a. a. O. S. 173 f.).

Dem waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Auseinandersetzungen vorangegangen, die sich vor allem auf die kirchliche Anstellung von Frauen bezogen, die ein Theologiestudium und ein Vikariat erfolgreich mit Examen abgeschlossen hatten und bei denen die Frage nach der Ordination ins Pfarramt anstand. Es gab damals unterschiedliche Kompromiss- bzw. Übergangslösungen: Eine „Lösung“ bestand darin, dass die examinierten Theologinnen ein Leben lang (Pfarr-)Vikarinnen blieben,4 eine andere darin, dass die Ordination zum Pfarramt für (diese) Frauen an den Verzicht auf Ehe und eine eigene Familie gebunden war, so dass eine eventuelle spätere Eheschließung den automatischen Verlust der Ordinationsrechte und des Pfarramtes zur Folge hatte.5

Dass man sich in der Zeit der beiden Weltkriege und danach intensiver mit der Zulassung von Frauen zum Pfarramt beschäftigte, hing naturgemäß auch damit zusammen, dass viele Pfarrer als Soldaten eingezogen waren und aus dem Krieg nicht zurückkamen, weil sie gefallen, vermisst oder in Gefangenschaft waren.6 Der dadurch bedingte Personalmangel war zweifellos eine Triebfeder, um sich damals dieser Thematik zu stellen.

Eine wichtige Vorreiterrolle spielte die Einführung der Frauenordination in der Lutherischen Kirche Dänemarks im Jahr 19487 sowie – nach und nach – in anderen skandinavischen und in den deutschen Lutherischen und Unierten Landeskirchen sowie in den Reformierten Kirchen. Die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK) beschäftigt sich seit einiger Zeit immer wieder intensiv mit dieser Frage, hat aber bis heute diesen Schritt noch nicht vollzogen.8

Wie sah es bei alledem mit den theologischen Argumenten für und gegen die Frauenordination aus?

Man muss rückblickend sagen: Eine umfassende theologische Auseinandersetzung über die Frauenordination, die im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in vielen reformatorischen Kirchen eingeführt wurde, hat damals im deutschsprachigen Bereich nur in Ansätzen stattgefunden. Zwar gab es massive Angriffe einzelner Theologen gegen die Frauenordination,9 aber dem standen keine ebenso ernsthaften und fundierten theologischen Plädoyers bzw. Begründungen für die Frauenordination gegenüber, geschweige denn, dass in einem theologischen Ringen zwischen den unterschiedlichen Auffassungen ein theologischer Konsens in den Kirchen entstanden oder gesucht worden wäre. Und daran hat sich – abgesehen von wenigen Ausnahmen10 – nicht sehr viel geändert. Die theologische Substanzarmut vieler Texte, die für die Frauenordination eintraten und eintreten, war und ist besorgniserregend. Dieses Defizit hat mehrere Seiten: Es wird nicht ernsthaft geprüft, welche biblisch-theologischen Argumente für und welche gegen die Frauenordination sprechen, wie diese Argumente sich zu einander verhalten, wie sie jeweils zu gewichten sind sowie ob und wie eine tragfähige theologische Basis im Blick auf die Einführung der Frauenordination gefunden werden könnte oder bereits besteht.

Das bisher Gesagte gilt bzw. galt jedenfalls für die reformatorischen Kirchen, zwischen denen durch die Leuenberger Konkordie von 1973 volle Kirchengemeinschaft entstand bzw. besteht und die inzwischen zur Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europas (GEKE) zusammengeschlossen sind.11

Es galt aber so nicht für manche Freikirchen, wie z. B. die Quäker, die Heilsarmee und Teile der Methodistenkirche, bei denen es schon sehr früh zu einer Öffnung für den Verkündigungsdienst von Frauen und für die Frauenordination kam. Und es galt erst recht nicht für die größte kirchliche Erneuerungsbewegung aller Zeiten, die in Gestalt charismatischer Gemeinden am 1. Januar 1900 ihren Anfang nahm und bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts (also innerhalb von 100 Jahren) bereits ca. 700 Millionen Anhänger zählte.12 In dieser Bewegung ist der Verkündigungsdienst von Frauen zu keinem Zeitpunkt ein grundsätzliches Problem gewesen.

Anders war es lange Zeit bei einem großen Teil der baptistischen Gemeinden,13 in der Altkatholischen Kirche und in der anglikanischen Kirchenfamilie. Sie haben sich in den zurückliegenden Jahren Schritt für Schritt, begleitet von intensiven theologischen und kirchenpolitischen Auseinandersetzungen, für die Frauenordination bzw. Priester- und Bischofsweihe von Frauen geöffnet. Die Kirche von England führte zunächst im Jahr 1992 die Priesterweihe für Frauen ein, im Jahr 2015 folgte auch die Bischofsweihe für Frauen.14Die Altkatholiken in Deutschland weihen seit 1996 Frauen zu Priesterinnen.

Anders ist es bis heute in der römisch-katholischen Kirche15 und in der Vielzahl der orthodoxen Kirchen16 sowie in der Neuapostolischen Kirche. Diese Kirchen haben sich wiederholt gegen die Priesterweihe von Frauen und deren Zulassung zum Priesteramt ausgesprochen und gedenken offenbar bis auf Weiteres bei dieser Entscheidung zu bleiben.17 Das klare „Nein“ zur Priesterweihe von Frauen ist aber bei Papst Johannes Paul II18 mit der erneuten19 Würdigung von Maria Magdalena als „Apostelin der Apostel“ verbunden, weil sie „früher als die Apostel Augenzeugin des auferstandenen Christus [war] … und deshalb auch als erste den Aposteln gegenüber von ihm Zeugnis gegeben“ hat. Das hat Papst Franziskus insofern aufgenommen und konstruktiv weitergeführt, als er durch ein Dekret vom 3. Juni 2016 verfügt hat, dass der bisherige Gedenktag der heiligen Maria Magdalena „denselben Grad eines Festes“ erhält, den die Apostelfeiern im Römischen Generalkalender erhalten haben. In der römisch-katholischen Kirche ist damit mehrfach von höchster Stelle aus festgestellt worden, dass eine Frau eine Apostelin sein kann: „Maria Magdalena war eine Apostelin“.20 Und daraus zieht Papst Franziskus nun praktische Konsequenzen für den kirchlichen Festkalender und für die theologische Weiterarbeit. Diese wichtigen Entscheidungen zeigen, dass auch in dieser Hinsicht in der römisch-katholischen Kirche noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Was daraus allerdings wann folgen wird, bleibt abzuwarten.21

Trotz der unterschiedlichen Größenverhältnisse dieser Kirchen, Kirchengemeinschaften und -bünde bleiben die unterschiedlichen Argumentationen und Entscheidungen in dieser Frage aufeinander nicht ohne Einfluss. Das kann schon deshalb nicht der Fall sein, weil die Amts- bzw. Ämterfrage unbestritten eines der neuralgischen und entscheidenden Themen für die ökumenische Auseinandersetzung, Verständigung und Annäherung der Kirchen ist. Insofern strahlt die theologische Auseinandersetzung über die Frage der Frauenordination jeweils auch auf andere Kirchen aus, und letztlich kann Kirchengemeinschaft oder organisatorische Einheit der Kirchen ohne theologische Einigung in der Frage der Frauenordination bzw. Priesterweihe für Frauen auch nicht erreicht werden. Sie ist nicht der einzige Punkt, sie ist aber einer der unverzichtbaren Punkte, an dem theologische Verständigung gesucht und gefunden werden muss, wenn Kirchengemeinschaft zwischen den christlichen Kirchen erreicht und praktiziert werden soll.

Welche Argumente wurden und werden gegen die Frauenordination und -weihe geltend gemacht? Wenn ich es richtig sehe, stützt sich diese Ablehnung vor allem auf drei Hauptargumente, die in zahlreichen Verästelungen und Überlagerungen auftauchen können:

– An erster Stelle steht das Argument der Tradition, das besagt, dass es so etwas wie ein Apostel- oder Priester- oder Pfarramt für Frauen in der christlichen Kirche von ihren Anfängen an22 nicht gegeben habe. Die Einführung eines solchen Amtes bzw. die Einführung der Frauenordination sei häretisch oder aus sich selbst heraus ungültig bzw. unmöglich.23 Dort, wo Frauen im Neuen Testament Apostelinnen genannt würden24, seien sie nur Abgesandte der Gemeinden oder Mitarbeiterinnen der Apostel.25

– Hinzu kommt an zweiter Stelle der Hinweis auf die Bedeutung des Mannseins Jesu Christi, aus dem gefolgert wird, dass nur Männer die Rolle des Hauptes (der „κεφαλή“) gegenüber der Gemeinde und damit auch gegenüber der Frau übernehmen und in Stellvertretung Christi („in persona Christi“) handeln können und sollen. Dieses Argument taucht teilweise in schöpfungstheologischer, teilweise in christologischer teilweise in sakramentstheologischer Zuspitzung auf.26 Es verbindet sich oft mit dem erstgenannten Argument und heißt dann: Da Jesus Christus nur Männer als seine Jünger bzw. Apostel berufen und eingesetzt habe, sei zu folgern, dass dies der zeitlos gültige Stifterwille Jesu Christi für das kirchliche Amt sei und dass die Kirche gar nicht frei sei, daran durch ihre Entscheidungen irgendetwas zu ändern.

– Das dritte Hauptargument besteht in dem Verweis auf das bekannte Wort aus 1Kor 14,33 f.27: „Wie in allen Gemeinden der Heiligen lasset die Frauen schweigen in der Gemeinde; denn es soll ihnen nicht zugelassen werden, dass sie reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt.“ Die Zusammenfassung diese Verse aus dem 1. Korintherbrief in dem Allgemeinspruch: „Mulier taceat in ecclesia“ / „Das Weib schweige in der Gemeinde“ wirkte und wirkt immer noch wie ein generelles Verbot der Frauenordination mit apostolischer Autorität. Und da Paulus zwei Verse später schreibt, „dass es des Herrn Gebot ist, was ich euch schreibe“ (1Kor 14,37), konnte und kann es sogar so scheinen, als sei dies eine Weisung Jesu Christi, obwohl es in der Bibel kein solches Wort Jesu Christi gibt.

Eine vergleichbar gewichtige theologische Argumentation oder Argumentationskette für die Frauenordination lässt sich bis in die neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein kaum irgendwo entdecken.28 Die bedeutendsten Arbeiten zum Thema stammen bis dahin m. E. von römisch-katholischen Autoren und Autorinnen29 und haben eher defensiven als offensiven Charakter, das heißt: Sie bemühen sich zu zeigen, dass die exegetischen, dogmatischen und kirchenrechtlichen Argumentationen gegen die Priesterweihe von Frauen nicht stichhaltig sind, aber sie setzen dem nur andeutungsweise eine theologische Argumentation für die Priesterweihe von Frauen entgegen. Im Blick auf die Forderung einer Öffnung der römisch-katholischen Kirche für die Priesterweihe von Frauen besteht bei diesen Autoren eine bemerkenswerte Zurückhaltung.

Im Bereich der Landeskirchlichen Gemeinschaften begann in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine intensive und teilweise theologisch hochkarätige Auseinandersetzung über die Frage nach dem Verkündigungsdienst der Frau. Diese Auseinandersetzung hält noch an und hat bislang zu keinem einmütigen Ergebnis geführte. Sie enthält aber m. E. aufgrund ihres biblischen Charakters die Chance zu einer Verständigung und zur Öffnung für den Verkündigungsdienst von Frauen.

Die am 3./4. Juni 2016 getroffene Entscheidung der Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands, die Ablehnung der Frauenordination in ihrer kirchlichen Verfassung festzuschreiben,30 bietet nun auch innerevangelisch einen zusätzlichen Anlass, die vor 50 Jahren nicht hinreichend gründlich geführte Diskussion über die Frauenordination nachzuholen und sowohl für die innerevangelische als auch möglichst für die ökumenische Meinungsbildung fruchtbar werden zu lassen. Das gilt, obwohl (und weil) in das Thema „Frauenordination“ weitere Aspekte hineinspielen, die in den verschiedenen christlichen Kirchen unterschiedlich gesehen, beurteilt und gewichtet werden. Dazu gehört zunächst schon der Unterschied zwischen Ordination und (Priester-) Weihe, sodann der zwischen Pfarramt und Priesteramt, schließlich auch der zwischen Allgemeinem Priestertum und Gemeinsamem Priestertum.31

Eine generelle Frage von großer, ja grundlegender Bedeutung lautet: Wer trägt eigentlich in dieser Auseinandersetzung die Beweislast, die Befürworter oder die Gegner der Frauenordination?32 Muss also gezeigt werden, dass die Frauenordination theologisch legitim ist, oder muss gezeigt werden, dass die Frauenordination theologisch illegitim ist? Diese methodologische Frage ist selbst schon eine Frage von großem theologischem Gewicht, und sie lässt sich in einer Auseinandersetzung, die auf Verständigung zielt, vermutlich nicht vorab eindeutig beantworten und entscheiden, weil andernfalls mit dieser methodologischen Vorentscheidung auch schon die Sachentscheidung inhaltlich präjudiziert wäre. Möglicherweise lässt sich diese Frage aber im Nachhinein beantworten, und dann könnte auch dies, wenn es im Konsens geschieht, ein großer Gewinn sein.

Eine weitere Frage von großem Gewicht lautet: Wie sind die Erfahrungen, die Kirchen mit der Einführung der Frauenordination gemacht haben und machen, zu beurteilen?33

Dass dies eine Frage von großem Gewicht ist, wird kaum jemand bestreiten. Aber sie lässt sich authentisch nur aus der Sicht der Kirchen beantworten, die sich für die Frauenordination entschieden haben. Man kann nicht von vornherein ausschließen, dass andere Kirchen andere Erfahrungen machen würden, wenn sie sich für die Frauenordination bzw. für die Priesterweihe von Frauen entschieden. Deshalb will ich diese Frage offenlassen – und zwar nicht nur vorläufig, sondern für diesen ganzen Diskurs, zumal sie nicht unmittelbar in ein biblisches Plädoyer für die Ordination und Priesterweihe von Frauen hineingehört.

In einer anderen Hinsicht sind jedoch methodische Vorüberlegungen und Vorentscheidungen vonnöten. Das wird sichtbar, wenn man überlegt, was als theologische Grundlage und damit als Maßstab für die Beantwortung der Frage: Frauenordination und Priesterweihe von Frauen – ja oder nein? in Betracht kommt. Je nachdem, wer diese Überlegung anstellt, muss man mit ganz unterschiedlichen Antworten auf diese Frage rechnen. Zählen wir die gängigsten Antworten auf, so ergeben sich wenigstens die folgenden fünf:

– Die neuzeitliche, insbesondere die gegenwärtige gesellschaftliche Situation, in der die Gleichberechtigung der Frau eine (fast) selbstverständliche Errungenschaft darstellt, scheinen geradezu die Einführung bzw. Beibehaltung der Frauenordination zu gebieten.

– Die biblischen Aussagen zu diesem Thema, die sich vor allem in folgenden paulinischen (und deuteropaulinischen) Briefen: 1Kor 14,34 f.; Eph 5,21–33 und 1Tim 2,11f. finden, scheinen die Einführung bzw. Beibehaltung der Frauenordination zu verbieten.

– Die kirchlichen Lehren von den Sakramenten und ihrer gültigen Spendung enthalten unterschiedliche Aussagen darüber, ob die Geschlechterrollen dabei eine relevante oder gar ausschlaggebende Bedeutung spielen. Insofern lassen sich auch daraus Argumente für die Beantwortung der Frage nach der Frauenordination gewinnen.

– Die Tatsache, dass die meisten christlichen Kirchen in ihrer Geschichte und Tradition die Frauenordination bzw. die Priesterweihe für Frauen nicht kennen34 und dass auch heute noch zahlenmäßig sehr starke Kirchen wie die römisch-katholische Kirche und die orthodoxen Kirchen Frauen nicht zum Priesteramt zulassen, scheint gegen die Frauenordination zu sprechen.35

– Die Erkenntnis von Person und Werk des menschgewordenen, gekreuzigten und auferstanden Jesus Christus ist daraufhin zu befragen, ob und in welcher Form sie Aussagen über die Legitimität und/oder Notwendigkeit der Frauenordination enthält oder diese erfordert.

Solche unterschiedlichen Ansätze führen naturgemäß zu unterschiedlichen, teilweise sogar gegensätzlichen Antworten in der Frage nach der Frauenordination. Wenn und solange diese Ansätze selbst nicht im theologischen Diskurs auf ihre theologische Legitimität hin überprüft werden, besteht kaum Hoffnung, in dieser Frage zu einer theologisch begründeten Verständigung zu kommen. Dabei lautet die entscheidende Frage, ob einem dieser Ansätze aus theologischen Gründen eine zentrale, entscheidende Rolle zukommt.

Die Beantwortung dieser Frage geschieht jedoch nicht in einem kirchlichen Niemandsland, sondern in einem konfessionellen Kontext. In meinem Fall heißt das: Sie geschieht im Kontext reformatorischer Theologie lutherischer Prägung. Dabei ist es ein Spezifikum der reformatorischen Bewegung, dass sie sich nicht als neue Kirchengründung verstand, sondern diese sogar um fast jeden Preis zu vermeiden suchte. Sie verstand sich auch nicht als zukunftsorientierte Weiterentwicklung der bisherigen christlichen Kirche(n). Sie versteht sich vielmehr als eine am Ursprung der Kirche orientierte Kirchen-Reform, die von der Absicht getragen ist, den ursprünglichen Ansatz der christlichen Kirche und Theologie angesichts von Missverständnissen und Abirrungen in Lehre und Leben der Kirche wieder zur Geltung zu bringen. Gerade als eine solche Rückbesinnung auf den Ursprung der Kirche in Jesus Christus wollte (und will) die Reformation dem Wesen und Auftrag, der Botschaft und der Gestalt der christlichen Kirche dienen. Dass ihr das nur teilweise gelungen ist, hat die konfessionelle Trennung im Abendland bewirkt, zu deren Folgen auch die unterschiedliche, ja gegensätzliche Beantwortung der Frage nach der Legitimität und Notwendigkeit der Ordination bzw. Priesterweihe von Frauen gehört.

Die vorliegende Untersuchung, die sich als eine biblisch-theologische Arbeit versteht, orientiert sich an der Heiligen Schrift als dem maßgeblichen Zeugnis von Gottes letztgültiger Selbstoffenbarung in Jesus Christus. Sie setzt in Kapitel 1 ein mit der Frage, welche Verhältnisbestimmung von