Von der Herrschaft des Fürsten - Eine christliche Staatslehre - Thomas von Aquin - E-Book

Von der Herrschaft des Fürsten - Eine christliche Staatslehre E-Book

Thomas von Aquin

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Beschreibung

Thomas von Aquins "De regimine principum" - "Von der Herrschaft des Fürsten" ist das bekannteste Werk über Staatsphilosophie des großen mittelalterlichen Geistlichen. Es erörtert in ausführlicher Weise die Grundlagen eines gerechten und wahren Königtums. Der Verfasser zeigt, wie sich ein kluger Herrscher in der Staatsführung verhalten muß, wägt auch andere Regierungsformen gegenüber der Fürstenherrschaft ab, und zeigt, wie ein verantwortungsvoller Staatslenker seinem Reich und Volk zu Wohlstand verhilft und diesen auch erhält. - So liefert der heilige Kirchenlehrer zeitlose Argumente einer guten, auf Vernunft und Humanität gegründeten Staatskunst: ein Anti-Machiavell, der jedwedem Tyrannentum entgegensteht.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Von der Herrschaft des Fürsten an den König von Zypern

I. Buch

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

II. Buch

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

Vorwort.

DER heilige Kirchenlehrer Thomas von Aquin verfaßte als Geschenk an den König von Zypern um das Jahr 1267-68 die Schrift De regimine principum - Von der Herrschaft des Fürsten. Er führt darin den Vorteil der Fürstenherrschaft gegenüber anderen Formen der Staatsregierung an, und legt dem Leser ausführlich dar, was einen wahren Fürsten ausmacht - heißt, was ihn vom Tyrannen oder selbstgefälligen Gecken in einem solchen Amt unterscheidet. Ausführlich beschreibt der Autor, was zu einem guten, funktionierenden Staatswesen vonnöten ist, was zu beachten ist bei einer Staatsgründung oder auch der Gründung einer Stadt; daß der Herrscher auf die Mehrung und Pflege der güterlichen und geistigen Bedürfnisse seines Volkes achten und zu ihm wie ein guter Hirte sein, oder wie ein Vater sorgen muß etc. - Es sind zeitlose Argumente einer guten, auf Vernunft und Humanität gegründeten Staatskunst: ein Anti-Machiavell, der jedwedem Tyrannentum entgegensteht.

Das eigentliche Werk wurde vom Autor nie vollendet: es bricht nach dem vierten Kapitel des zweiten Buches ab. Alle nachfolgenden Kapitel des zweiten Buches und auch ein noch vorhandenes drittes und viertes Buch sind spätere Vervollständigungen aus fremder Feder, die in der Qualität und Stil im Vergleich zum Originalverfasser stark abweichen, und so sehr leicht als Fälschung zu erkennen sind. Die vorliegende Ausgabe schließt also mit dem Ende des noch gesichert von Thomas stammenden vierten Kapitels des zweiten Buches.

Der Herausgeber.

Von der Herrschaft des Fürsten1an den König von Zypern.2

Thema des Werkes.

ALS ich darüber nachsann, was ich deiner königlichen Majestät als ihrer würdige und meinem Stand und Beruf angemessene Gabe darbringen könne, trat mir als die passendste Darbringung die entgegen, dem König ein Buch über die Königsherrschaft zu schreiben. Darin wollte ich den Ursprung derselben und den Beruf eines Königs nach dem Gebot der Heiligen Schrift, den Lehrsätzen der Philosophen und den Beispielen vielgepriesener Fürsten sorgfältig entwickeln, soweit dies das Maß meiner geistigen Befähigung verstattet. Anfang, Fortgang und Vollendung des Werkes erwarte ich dabei von der Hilfe dessen, welcher der König der Könige und Herr der Herrscher ist, durch den alle Könige ihre Königreiche haben, von Gott, dem großen Herrn und großen König über alle Götter.

1Thomae Aquinatis Opera. Parmae, Tom. XVI, S. 224 ff.

2 Wahrscheinlich Hugo III. aus dem Hause Lusignan.

I. Buch.

1. Kapitel.

Menschen, welche zusammenleben, müssen notwendig

von jemand ernstlich regiert werden.

WIR müssen damit beginnen, den Sinn des Begriffes König zu erklären. In allen Veranstaltungen, welche auf einen Zweck und ein Ziel gerichtet sind und bei denen man in verschiedener Weise verfahren könnte, braucht man eine Direktion, um gerades Weges zu dem verlangten Ziel zu kommen. Das Schiff, das unter dem Antrieb verschiedener Winde vielleicht nach verschiedenen Richtungen bewegt wird, würde nicht zu dem bestimmten Ziele gelangen, wenn es nicht absichtlich vom Steuermann nach dem Hafen dirigiert würde. Der Mensch nun hat ein Ziel, worauf sein ganzes Leben und Handeln gerichtet ist; denn er ist ein Wesen, das nach Vernunft handelt; ein solches Wesen muß aber augenscheinlich nach einem Zweckbegriff tätig sein. Hierbei kommt es vor, daß die Menschen in verschiedener Weise auf das vorgesteckte Ziel losgehen; die Verschiedenheit der menschlichen Bestrebungen und Tätigkeiten zeigt dies zur Genüge. Folglich braucht der Mensch etwas, das ihn zum Ziele leitet. Nun ist dem Menschen von Natur eingepflanzt das Licht des Verstandes, durch welches er in seinen Handlungen zum Ziele geleitet werden soll. Wäre es dem Menschen eigen, vereinzelt zu leben, wie dies bei vielen Tieren der Fall ist, so brauchte er keine andere Leitung zu seinem Ziele, jeder Einzelne wäre sein eigener König unter Gott als Oberkönig, sofern er durch das ihm verliehene Verstandeslicht in seinen Betätigungen sich selbst leitete. Es ist aber dem Menschen von Natur eigen, das für Gesellschaft und Staat angelegte lebendige Wesen zu sein und in Gesellschaft zu leben, in höherem Grade als alle anderen lebenden Wesen. Dies zeigt schon die natürliche Bedürftigkeit des Menschen. Anderen Tieren hat die Natur ihre Nahrung bereitgestellt, ihnen Haare zur Bedeckung, Zähne, Hörner, Krallen zur Verteidigung oder mindestens Schnelligkeit zur Flucht verliehen. Der Mensch ist mit nichts der Art ausgerüstet und von Natur versehen; stattdessen ist ihm der Verstand gegeben, damit er sich durch ihn mit Hilfe seiner Hände alles dies bereiten könne. Um dies zu bereiten, ist aber der einzelne Mensch nicht hinreichend, ein Mensch würde für sich allein nicht ausreichend das Leben zu führen imstande sein. Darum ist es dem Menschen natürlich, in Gesellschaft mit vielen zu leben. - Ferner ist den anderen lebenden Wesen ein natürlicher Sinn für alles das eingepflanzt, was ihnen nützlich oder schädlich ist, so z. B. erachtet das Schaf von Natur den Wolf für seinen Feind. Manche Tiere erkennen sogar kraft natürlicher Geschicklichkeit manche Heilkräuter und anderes zu ihrem Leben Notwendige. Der Mensch hingegen hat von dem, was zu seinem Leben notwendig ist, bloß im allgemeinen eine natürliche Erkenntnis; denn er soll durch den Verstand imstande sein, aus universalen Prinzipien zur Kenntnis des Einzelnen zu kommen, was dem menschlichen Leben notwendig ist. Es ist aber nicht möglich, daß der einzelne Mensch durch seinen Verstand alles hierhergehörige erreiche. Darum ist es für den Menschen notwendig, immer in einer Gesellschaft zu leben, damit einem vom anderen geholfen werde und die Verschiedenen sich mit Erfindung von Verschiedenem durch den Verstand abgeben, der eine mit Medizin, der andere mit dem, der andere mit jenem. Am augenscheinlichsten erhellt dies noch daraus, daß es Eigentümlichkeit des Menschen ist, Sprache zu haben, durch welche er einem anderen seine Vorstellungen ganz auszudrücken vermag. Andere lebende Wesen drücken ihre Zustände untereinander nur im allgemeinen aus, so der Hund seinen Zorn durch Bellen und andere Tiere ihre Zustände in anderer Weise. Demnach ist der Mensch mehr zur Mitteilung gemacht als irgendeins von den lebenden Wesen, welche als Herdenwesen erscheinen, wie Kraniche, Ameise und Biene. Dies hatte Salomo im Sinne, als er Prediger 4, 9 sagte: „Es ist besser zu zwei sein als allein; man hat den Vorteil gegenseitiger Gesellschaft.“

Wenn es nun dem Menschen natürlich ist, in Gesellschaft mit vielen zu leben, so muß unter den Menschen etwas sein, wodurch die Gesellschaft geleitet wird. Wären nämlich viele Menschen zusammen und sorgte jeder bloß für das, was ihm genehm ist, so würde die Gesellschaft nach entgegengesetzten Seiten auseinandergehen, falls eben niemand da ist, der die Sorge für das hat, was das Wohl der Gesellschaft betrifft. So würde ja auch der Leib des Menschen und der jedes lebenden Wesens sich auflösen, wenn es nicht eine gemeinsame Regierungskraft im Leibe gäbe, welche sich auf das gemeinsame Wohl aller Glieder richtet. Dies hat Salomo im Sinn, wo er sagt, Sprüche 11, 14: „wo kein Regent ist, zerstreut sich das Volk.“ Es beruht jenes aber auf einem Verstandesgrunde. Das Eigene und das Gemeinsame ist nicht identisch; durch das Eigene werden die Unterschiede, durch das Gemeinsame wird die Einheit gebildet. Was aber verschieden ist, hat auch verschiedene Ursachen. Es muß also außer dem, was jeden zu seinem eigenen Wohl treibt, noch etwas geben, was zum Gemeinwohl der Gesellschaft treibt. Deshalb findet sich auch in allen Veranstaltungen auf einen Zweck hin etwas Leitendes. In der Körperwelt werden durch den obersten Körper, nämlich den Himmel, andere Körper nach der Ordnung der göttlichen Vorsehung regiert, und alle Körper werden durch die vernünftige Kreatur regiert. Auch im einzelnen Menschen regiert die Seele den Leib und unter den Teilen der Seele selbst wird der affektvolle und der begehrende vom Verstande regiert. Ebenso ist unter den Gliedern des Leibes ein Hauptglied, welches alle anderen bewegt, entweder das Herz oder der Kopf. Also muß es in jeder Vielheit etwas Regierendes geben.

Man kann aber bei manchen Veranstaltungen zur Erreichung eines Zieles richtig und auch unrichtig verfahren. Daher findet man auch bei der Leitung der Gesellschaft eine richtige und eine unrichtige. Richtig wird ein jedes geleitet, wenn es zu seinem angemessenen Ziele geführt wird, unrichtig, wenn es zum nichtangemessenen Ziele geleitet wird. Anders aber ist das angemessene Ziel für eine Gesellschaft von Freien, anders für eine Gesellschaft von Sklaven. Frei nämlich ist, wer Selbstzweck ist, Sklave ist, wer mit dem, was er ist, einem anderen gehört. Wenn also eine Gesellschaft von Freien von ihrem Leiter auf das Gemeinwohl der Gesellschaft gerichtet wird, so wird das Regiment recht und gerecht sein, wie es Freien angemessen ist. Wenn aber das Regiment nicht auf das Gemeinwohl der Gesellschaft, sondern auf das Privatwohl des Regenten gerichtet ist, so wird das Regiment ungerecht und verkehrt sein. Daher droht auch der Herr solchen Regenten bei Ezechiel (Kap. 34, 2): „Wehe den Hirten, die sich selbst weideten“, d. h. die ihren Privatvorteil suchten; „sollten nicht die Herden von den Hirten geweidet werden?“, das Wohl der Herden müssen ja die Hirten suchen, und alle einzelnen Regenten das Wohl der ihnen untergebenen Gesellschaft.

Wenn nun ein ungerechtes Regiment durch einen geführt wird, der seinen Vorteil in dem Regiment sucht und nicht das Wohl der ihm untertanen Gesellschaft, so wird ein solcher Regent Tyrann genannt, ein Wort, welches von der Stärke abgeleitet ist, weil er nämlich durch Gewalt unterdrückt, nicht durch Gerechtigkeit regiert; daher hießen auch bei den Alten alle Mächtigen Tyrannen. Wird ein ungerechtes Regiment nicht durch einen geführt, sondern durch mehr als einen, und zwar durch wenige, so ist das eine Oligarchie, d. h. ein Regiment von wenigen, nämlich wenn einige wenige durch ihren Reichtum das Volk in Unterdrückung halten und sich bloß durch die Zahl von der Tyrannenherrschaft unterscheiden. Wird ein ungerechtes Regiment durch viele geübt, so heißt es Demokratie, d. i. Volksherrschaft, wenn nämlich das geringe Volk kraft seiner Masse die Reichen unterdrückt. In diesem Falle wird auch das gesamte Volk gleich einem Tyrannen sein.

Auf ähnliche Art kann man auch das gerechte Regiment einteilen. Wird es nämlich durch eine Menge geübt, so heißt es mit einem allgemeinen Namen Politie, z. B. wenn die Menge der Waffenführenden in einer Stadt oder einer Landschaft die Herrschaft hat. Wird es durch wenige geübt, aber durch tugendvolle Männer, so nennt man ein derartiges Regiment Aristokratie, d. h. die beste Herrschaft oder die der Besten. Steht aber das gerechte Regiment bei einem, so wird dieser im eigentlichen Sinne des Wortes König genannt. Daher sagt der Herr bei Ezechiel (37, 24): „Mein Knecht David wird König über alle sein, und er wird ihnen allen ein Hirte sein.“ Hieraus ergibt sich augenscheinlich, daß es zum Begriff des Königs gehört, einer zu sein, der die Leitung hat und Hirte ist, das Gemeinwohl der Gesellschaft, nicht sein Privatinteresse sucht.

Da es eine Bestimmtheit des Menschen ist, in Gesellschaft zu leben, weil er nicht ausreicht für die Bedürfnisse des Lebens, wenn er für sich allein bleiben wollte, so muß die Gemeinschaft unter der Gesellschaft um so vollkommener sein, je mehr sie in sich ausreicht für die Bedürfnisse des Lebens. Zwar hat man ein gewisses Ausreichen zum Leben auch in der Familiengemeinschaft eines Hauses, nämlich in Bezug auf die natürlichen Tätigkeiten der Ernährung und Erzeugung von Nachkommenschaft und anderes der Art. Ich sage aber eines