Von der praktischen Physik zur reinen Vernunft - Wolfgang Popp - E-Book

Von der praktischen Physik zur reinen Vernunft E-Book

Wolfgang Popp

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Beschreibung

Die Aufklärung hat die digital denkende praktische Vernunft aus der Vorherrschaft der analog vorgehenden reinen Vernunft befreit. Der Konflikt zwischen den unterschiedlichen Denkweisen wurde besonders deutlich in Physik und Philosophie. Immanuel Kant unterschied eine reine von einer praktischen Vernunft. Die unbewusste reine Vernunft vertritt die Interessen des Organismus, die bewusste praktische Vernunft steuert die Anpassung an die gegenwärtige Umwelt. Die reine Vernunft wird hörbar, wenn die praktische Vernunft Raum gibt. Gegen die eigenwillige Dominanz der praktischen Vernunft setzt die reine Vernunft ihre Anpassungsmechanismen ein, die Krankheit und Tod bringen, wenn die Anpassung nicht mehr erreicht werden kann. Um den Konflikt zwischen reiner und praktischer Vernunft geht es in diesem Buch.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

1. Teil

Die Vorstellungen von Physik bis zum Ausschluss der Existenz eines Äthers durch Albert Einstein

Das Elementarquant

Mein Eindruck von der Vorstellung Albert Einsteins (1879–1955)

Ein Plädoyer für die Wiedereinführung der Vorstellung eines Äthers

Die Rolle der Umwelt in der Physik

2. Teil

Der Begriff der Energie und die mit dem Begriff der Energie verbundene Vorstellung

Die Vorstellung von der Materie

Die elektromagnetische Schwingung im Licht der Äthertheorie

Das Feld

Die Spannung

3. Teil

Reine und praktische Vernunft

Wie wir zu reiner und praktischer Vernunft kommen

Reine und praktische Vernunft in der Hirnforschung

Reine und praktische Vernunft im Vergleich

Praktische und reine Vernunft von Mann und Frau

Reine und praktische Vernunft in der Medizin

Reine und praktische Vernunft in der Politik

Reine und praktische Vernunft in der Theologie

Nachwort

Quellenverzeichnis und Danksagung

Vorwort

Wenn Harald Lesch, Professor für Astrophysik und Naturphilosophie an der Hochschule, sich in einem seiner vielen Bücher darüber beklagt, dass Laien sich immer wieder berufen fühlen, ihm, dem Physiker und Naturphilosophen von Beruf, ihre naturphilosophische Vorstellung von Physik schriftlich zuzusenden, dann hat das nicht nur damit zu tun, dass Prof. Lesch sich als Adresse anbietet, weil er im Fernsehen der Allgemeinheit die Erkenntnisse der Astrophysik nahebringen möchte, sondern auch damit, dass ein verbreitetes Unbehagen darüber besteht, dass man immer mehr von der Natur weiß, sich selbst aber immer weniger in diese Natur einzubringen vermag. „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Ohne Kenntnis der Physik kann man über sich und seinen Organismus nicht nachdenken. Die moderne Physik hat sich abgeschottet. Sokrates ist mit seinen Fragen den Athenern, die von ihrem praktischen Wissen überzeugt waren, so auf die Nerven gegangen, dass sie ihn unter dem Vorwand, er beleidige die Götter, zum Tod durch den Giftbecher verurteilt haben.

Eine Reihe professioneller Physiker haben dieses Bedürfnis der Laien nach Verstehen der Physik erkannt und Bücher über Physik geschrieben, ohne Mathematik vorauszusetzen. Aber alle modernen Physiker betrachten naturgemäß Physik im Modus Wissenschaft, der Betrachtung der Dinge von außen. Sich in die innere Struktur physikalischer Phänomene hineinzuversetzen, um Physik gewissermaßen von innen her nachvollziehen zu können, wird nicht mehr angestrebt, vielleicht auch deshalb, weil die Entwicklung der Physik alle Brücken zum natürlichen Verstehen abgebrochen hat. Der Zugang zur Vorstellung, wie Natur, in der wir leben, von der wir ein Teil sind, letztendlich funktioniert, ist für den Nichtphysiker verschlossen, wie durch eine Feuerschutztüre, zu der man keinen Schlüssel hat. Der Schlüssel wäre die höhere Mathematik, über welche der Laie nicht verfügt. Dass dieser Schlüssel für den Physiker selbst funktioniert, darf angezweifelt werden.

Rentner haben viel Zeit, und das Nachdenken über das Gefüge der äußeren Natur und der Natur in sich ist eine Möglichkeit, diese Zeit sinnvoll zu nutzen. Reizvoll ist dann, die Ideen nicht einfach kommen und gehen lassen, sondern zu versuchen, sie in einer stimmigen Ordnung festzuhalten, wozu die Buchform zwingt. Mit dem Schreiben des vorliegenden Buches habe ich mir einen persönlichen Zugang zur Physik verschafft, ohne den Weg über die höhere Mathematik zu gehen. Er ist, wie schon der Titel sagt, ein sehr persönlicher Weg. Meditation ist keine Wissenschaft, sie bemüht sich, die Strukturen der Wissenschaft zu verstehen. Seit ich dieses Buch geschrieben habe, komme ich mit diesem beunruhigenden Gefühl besser zurecht und biete meinen Weg auch anderen an. Dass das Nachvollziehen dem Leser etwas bringt, setzt allerdings voraus, dass der Leser über eine Basis ähnlicher Prägungen, Erfahrungen und Ängste verfügt. Für die Entscheidung, ein Buch zu lesen, das immerhin fast 500 Seiten umfasst, rate ich zuerst das Nachwort zu lesen, um zu prüfen, ob das Nachvollziehen dieser Vorstellungen den Zeitaufwand rechtfertigen kann. Dieses Vorgehen hat sich mir bewährt im Umgang mit dem gegenwärtigen Tsunami an Informationen.

Einleitung

In dem Büchlein „Physik für die Westentasche“ von Harald Lesch und seinem Quot-Team, wird auf 122 Seiten im Taschenbuchformat ein Überblick über die Physik gegeben. Das Büchlein gibt die derzeitige Auffassung von Physik, geistreich komprimiert, aber auch herausfordernd wieder. Das Büchlein ist überaus anregend. Das Kapitel Felder im Büchlein Physik für die Westentasche endet: „Deswegen bleibt nur eine einzige Antwort, so merkwürdig sie auch klingen mag: Wellen wie Licht sind die Schwingungen von nichts!“. Diese Satz zeigt die ganze Fragwürdigkeit einer rein mathematischen Physik. Mit Null multipliziert wird alles Null. Die elektromagnetische Strahlung Licht als ein Nichts aufzufassen kann ja wohl nicht richtig sein. Da muss sich unter den Voraussetzungen, die zu diesem Schluss führen ein grundlegender Irrtum befinden. Diesen zu erkennen und richtig zu stellen war Voraussetzung für die gelingende Meditation. Hat man die Sprachlogik einmal verlassen, und sich der Mathematik ergeben, wie das mit der Vorstellung von der Dualität des Lichts geschehen ist, scheint es kein Zurück mehr zu geben, wenn der praktische Erfolg weitertreibt. Für die Vorstellung ist diese Aussage nicht nachvollziehbar. Der Zugang zur Physik über die Vorstellung wurde damit für den mathematischen Laien abgebrochen. Die Physiker haben aber auch sich selbst einen Weg des Denkens abgeschnitten, den das Rechnen nicht ersetzen kann. Auf der Basis der mathematischen Analyse festgestellter Fakten allein durch Rechnen in Neuland vordringen zu wollen, geht nicht. Es gibt eine Schranke zwischen dem Denken in Quantitäten und dem Denken in Qualitäten. Mathematik, so wertvoll sie ist für den Umgang mit dem, was man schon weiß, Ideen für das Vordringen in das noch nicht Gewusste kann sie nicht liefern. Ohne Befragung der Natur gäbe es die Äquivalente der Erscheinungsformen der Energie nicht. Um Fragen an die Natur zu stellen, welche die Natur beantworten kann, bedarf es der Vorahnung des Gesuchten, und das kann nur aus der reinen Vernunft kommen. Ihre Fragen kommen aus der Vorstellung, dass alles einen Zusammenhang haben müsse. Aus der Mathematik, dem nicht wegzudenkenden Hilfsmittel im Umgang mit dem Wissen, wird kein Lotse für den gedanklichen Weg in das Neuland. Ich will für mich zurückgehen zu dem Stand, auf dem die Physik die Möglichkeit, sich ihre Inhalte vorzustellen, verlassen hat.

Am Anfang aller Physik stand die Mechanik, die schon zur Zeit der ägyptischen Kultur einen hohen Stand der Entwicklung erreicht haben muss. Ohne deren Gesetze zu kennen, hätten die Ägypter wohl kaum die hohen Pyramiden aus großen und schweren Steinquadern errichten können, die heute noch nach Tausenden von Jahren unsere Bewunderung auslösen. Auch die Griechen haben in späterer Zeit ihren Göttern mächtige Tempel aus Stein errichtet, was auch nur unter weitgehender Kenntnis der Gesetze der Mechanik möglich war. Sie waren architektonisch anspruchsvoller. Archimedes war einer der ersten großen Physiker. Unsere Dome und Kathedralen bilden so etwas wie den Abschluss, die Kenntnis der Mechanik in den Dienst der Verehrung des allmächtigen Gottes zu stellen. Die Mechanik liefert die Grundlagen aller physikalischen Vorstellungen und prägt seit alters her die Vorstellungen von Generationen von Physikern. Die Gesetze der Mechanik sind über die sinnliche Erfahrung für jedermann so eindeutig nachvollziehbar, dass jeder Zweifel sich erübrigt. So überzeugend sie sind, so wenig können sie uns bei Fragen, die über mechanische Probleme unseres Körpers hinausgehen, helfen.

Im Laufe der Jahrhunderte sind Physiker in Bereiche vorgedrungen, welche außerhalb direkter sinnlicher Wahrnehmung liegen. Dass es einen solchen Bereich gibt, wurde über zunächst unerklärliche Erscheinungen offenbar. Über viele Experimente und deren Deutung gelang es, sich von diesem Bereich eine Vorstellung zu machen. Niemand hat ein Atom, die Energie, die Elektrizität oder den Magnetismus je gesehen. Wir können nicht sehen, was da im Raum passiert, aber wir versuchen uns eine Vorstellung davon zu machen, aus denen sich diese Folgen erklären lassen. Bausteine dieser Vorstellung sind die Erfahrungen, die wir über unsre Sinne im Umgang mit der Natur, aber auch mit uns selbst gemacht haben. Richtschnur für die Vorstellung kann nur die Übereinstimmung unserer Vorstellung sein, mit dem, was wir als Folge des unsichtbaren Geschehens wahrgenommen haben oder laufend wahrnehmen. Unserer Phantasie bietet sich ein freies Feld, das dann durch das Gebot der Stimmigkeit auf ganz wenige Vorstellungen zusammenschrumpft, die sich nach den unserem Denken vorgegebenen Gesetzen miteinander verknüpfen lassen.

Diese Kompression der Physik auf ein Format für die Westentasche mit wenigen Buchseiten hat meine Vorstellungen von Physik nicht nur herausgefordert, sondern auch positiv angeregt. In besonderer Weise hat mir die Erklärung der Entropie am Beispiel eines Blumenstraußes gefallen, der, vom Licht abgeschlossen, zu unansehnlicher Biomasse verfallen muss. Dieses Beispiel hat die Erinnerung an den Inhalt des Büchleins von Hermann Haken „Das Erfolgsgeheimnis der Natur“ wachgerufen. Darin werden die Bedingungen beschrieben, unter denen das ordnende Potential der Energie in Erscheinung tritt.

Ich will mir Physik vorstellen können, möglichst frei von Widersprüchen. Es war nicht nur die Atombombe, welche mir die Bedeutung der Physik nahebrachte. Als Arzt im Umgang mit dem hochkomplexen Organismus wurde mir bewusst, dass der Weg zu dessen Verständnis letztendlich nur über die Physik möglich sein wird. Die Vorstellungen, die sich durch das Umgehen mit der Krankheit nach und nach ergeben haben, funktionierten dann so, dass ich zu allen Krankheitsphänomen wenigstens einen gedanklichen Zugang bekam, ohne physikalische Vorstellungen fehlte aber die Erdung. Im Laufe meines Lebens hatten sich viele physikalische Wissensfragmente angesammelt, die aber nicht zusammenpassten.

Ich wollte eigentlich Physik studieren, bekam im naturwissenschaftlichen Bereich aber nur einen Studienplatz in Medizin. So wurde Physik zu einer Art Hobby. Was ich an Wissen angesammelt hatte, lag ziemlich ungeordnet nebeneinander, zumal die Vorstellung von der Dualität des Lichtes unverdaulich, wie ein Stein im Magen, mich von Jugend an begleitet hat. Jetzt im Alter, auf der Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung, wollte ich versuchen, in meine Vorstellung von Physik Ordnung hineinzubringen und meinen medizinischen Vorstellungen so zu einem Fundament zu verhelfen. Vom Komplizierten auszugehen, um das Einfache zu verstehen, ist zwar nicht der übliche Weg, bietet aber Möglichkeiten an für die Wahrnehmung des Grundsätzlichen.

Die fehlende Stimmigkeit lag aber nicht nur an mir, sondern auch in der derzeitig herrschenden physikalischen Vorstellung. Eigentlich gibt es derzeit keine stimmige physikalische Vorstellung, nur Mathematik. Mir war klar, dass ich Stimmigkeit nicht willentlich über den Verstand erzwingen konnte, dass ich gewissermaßen meinem Gehirn die Freiheit geben musste, nach seinen Bedingungen das Gewusste zu ordnen, ohne eine vorgefasste Meinung zu haben, nur der Stimmigkeit unterworfen. Es hieß aber auch, sich auf dieses Thema zu konzentrieren und allen sich verlockend anbietenden Nebenwegen zu entsagen. Jetzt im hohen Alter hatte ich zwar nicht mehr unbegrenzt Zeit vor mir, musste aber nicht mehr Geld verdienen, war vor allem unabhängig, so dass ich frei vom Zwang, mit der herrschenden Meinung zurechtzukommen, meinen Vorstellungen nachgehen konnte.

In jungen Jahren erlaubt das Gedächtnis dem Verstand, viele unterschiedliche Dinge im Gehirn nebeneinander, unverbunden nach seinen Regeln zu speichern. Man kann unglaublich viel an Fähigkeiten und Begriffen in das Gedächtnis hereinnehmen und braucht auch diese Fähigkeit, um in einer komplizierten Umwelt einen Platz für seine Selbstverwirklichung zu finden. Dies trifft im Besonderen für das Studium der Medizin zu, in der viel Unverbundenes unverstanden nebeneinander steht, in der aber die Frage nach dem Warum, durch das Leid der Patienten sehr intensiv gestellt wird. Im Alter braucht man Ordnung und Zusammenhang. Das Unverbundene fällt dem Gedächtnisschwund zum Opfer. Das A-priori-Denken der Vernunft wird stärker und das A-posteriori-Denken des Verstandes schwächer.

Es gibt in uns eine Instanz, die das unverbundene Nebeneinander als Spannung spüren lässt und den Zusammenhang will. Diese Instanz möchte den Zusammenhang von Wissensinhalten herstellen. Sie treibt zum philosophischen Denken. Gelingt es, einen Zusammenhang in unterschiedlichen Qualitäten zu finden, löst sich die Spannung. Lust wird empfunden. Daraus entsteht die Motivation zum philosophischen Weiterdenken. Diese philosophische Instanz wurde durch die eingangs zitierte Aussage vom Licht in hohem Maße herausgefordert, wenigstens in der eigenen Vorstellung einen Zusammenhang innerhalb der physikalischen Begriffe herzustellen. Von der Bemühung diesen Zusammenhang herzustellen, will ich berichten.

Am Anfang meiner Überlegungen stand keine fertige Vorstellung, die dann klar gegliedert dargestellt werden konnte, sondern nur der Wunsch, die Physik sollte für mich kein verschlossener Bereich bleiben. Ich will an dem umfangreichen Wissen, das Physiker der Natur entlockt haben, teilhaben und die physikalischen Begriffe für mich mit Vorstellungen verbinden, über die ich sie in meine Welt der Vorstellungen einbeziehen kann, um über die Physik, die Mutter aller Wissenschaften von der Natur, nachdenken zu können. Es war ein denkendes Schreiben und ein schreibendes Denken nur dem Gesetz der Stimmigkeit unterworfen, leider mit vielen Wiederholungen, aber das gehört zur Meditation, um die in einem Geschehen enthaltene Information sich bewusst zu machen, dazu. Das zu Papier bringen, sollte helfen, das Gedachte der Logik des Verstandes zu unterwerfen.

Eine Idee zu haben ist das Eine, diese mit anderen Ideen stimmig sprachlich zu formulieren ist das Andere. Das ist dann nicht mehr lustvolles Denken, sondern harte gedankliche Arbeit. Während bei Ersterem das Alter keine Rolle zu spielen scheint, ist bei Letzterem das Nachlassen der Möglichkeit zur Konzentration deutlich zu spüren.

Ich will über die Natur nachdenken können. Leben ist ein physikalischer Vorgang und die Umwelt, an die sich das Leben anpassen muss, ebenfalls. Mit eingangs zitierter Aussage wird einem der vorstellungsmäßige Zugang zur Physik genommen. Nicht absichtlich, sondern aus Not. Physiker leiden selbst wohl auch darunter keine passende naturphilosophische Vorstellung zu haben. An deren Stelle sind mathematische Strukturen getreten, deren Rückübersetzung in die Naturphilosophie dann die Tiefe der Problematik zeigt. Auch die Physiker unterliegen der Prägung durch ihre Altvorderen, und die Altvorderen mögen keine revolutionären Gedanken, auch sie leben im Raum ihrer Prägung. Ihnen ist ihre Prägung heilig. Von den Älteren wird man geprägt, in jeder Wissenschaft und in der Physik wohl mehr als in anderen Wissenschaften, denn was man an eigenem physikalischem Wissen zum Studium mitbringt, reicht nicht weit. Das passive Geprägtwerden durch die Eltern ist in den ersten drei Jahren von der Natur her vorgesehen. Es bestimmt in hohem Maße lebenslang die Vorstellungswelt des Menschen als Gesellschaftswesen. Von der Prägung als Gesellschaftswesen her, kommt wohl das Streben nach dem Zusammenhang. Die wissenschaftliche Prägung erfolgt in Schule und Studium. Da ist man abhängig von der Sichtweise seiner Lehrer. Die Bedeutung des Vorgangs des Geprägtwerdens der Vorstellungen äußert sich in der Schwierigkeit der Wissenschaftler mit einer neuen Vorstellung, die mit ihrer Prägung nicht übereinstimmt, zurechtzukommen. Auch experimentell untermauerte neue Vorstellungen haben es sehr schwer, angenommen zu werden. Die Geschichte der Physik ist voll von Beispielen. Von daher weiß ich, dass es für meine Vorstellungen in einer positivistisch geprägten Vorstellungswelt kaum Resonanz geben wird. So kann es nur um meine persönliche Stimmigkeit gehen, die dem Autor wichtig ist. Irgendwann schlägt das Pendel wieder einmal zurück und es gibt bei Kindern und Kindeskindern eine Resonanz.

Erst wenn man sich einen physikalischen Fundus an Faktenwissen zugelegt hat, kann man anfangen über Physik nachzudenken. Allerdings je mehr Wissen man hat, umso schwieriger wird es, dieses Wissen in einer eigenen stimmigen Vorstellung unterzubringen. Darin liegt eine gewisse Chance derer, die mit wenig Wissen belastet sind, aber auch das Risiko, sich zu verirren.

Mit der Aussage, Licht sei eine Schwingung von Nichts, setzt sich Harald Lesch mit seinem Team als Vertreter der modernen Physik ganz bewusst über die Grundsätze der Funktion unseres Vorstellungsvermögens hinweg und kokettiert auch noch damit. Objektivität wird als allerhöchste Instanz angesehen, ob die eigene Vorstellung da mitkommt, spielt eine nachgeordnete Rolle. Das mathematisch rationale Verstandesdenken dominiert das naturphilosophische Denken. Es gibt natürlich das objektive Geschehen unabhängig von dem, was sich in unserem Gehirn abspielt. Was aber in unserem Gehirn sich ereignet, ist nicht nur das Ergebnis von Wahrnehmungen durch unsere Sinnesorgane, sondern auch das Ergebnis der Verarbeitung dieser Eingänge durch unser Gehirn, und da gibt es zwei Schichten der Verarbeitung. Da gibt es das Denken auf Grund von Erfahrungen, die das Leben im Laufe seiner Evolution gemacht hat mit emotionalem Antrieb und nur der Stimmigkeit mit dem Ziel der Selbstverwirklichung unterworfen, und dann den viel späteren Erwerb der Verknüpfung der Sinneserfahrungen des Individuums, welche nach den Regeln der Logik erfolgt mit dem Anspruch auf Gewinn und Erfolg in der Konkurrenz. Im Vordergrund steht die bewusste Verarbeitung der Sinneseingänge durch den Verstand nach den im Gedächtnis des Großhirns gespeicherten Erfahrungen, als Basis des Handelns in der Gegenwart. Das In-die-Zukunft-Denken mit dem Ziel der Selbstverwirklichung und der Erhaltung der Art bleibt im Hintergrund.

Immanuel Kant hat erkannt, dass es diese zwei sehr unterschiedlichen Quellen menschlicher Gedanken gibt. Das In-die-Zukunft-Denken hat er als ein Vorgehen nach den Vorgaben der reinen Vernunft bezeichnet, während er das Bewältigen gegenwärtiger Herausforderungen als das Vorgehen nach den Vorgaben der praktischen Vernunft bezeichnet hat. Aus heutigem Wissen bietet sich die Unterscheidung an, dass die reine Vernunft über den Speicher von Erfahrungen der Art verfügt. Dieser Speicher ist abgelegt im Genom, unserem Bewusstsein nicht direkt zugänglich und betrifft Verhaltensweisen, welche die Existenz zum Inhalt haben. Reines Denken geht unbewusst in den tieferen Schichten unseres Gehirns seiner Funktion nach. Wenn sich ein Individuum gegen dessen Vorgaben verhält, steigt die Spannung in ihm an und es meldet sich das Gewissen. Wollte man diese Instanz lokalisieren, müsste man wohl in die Nervenzelle selbst eindringen und im Genom danach suchen. Von daher kommen auch die großen Fragen, die den Menschen plagen. Wenn es aus diesen Schichten zu einer Antwort auf eine solche Frage kommt, haben das die Fragesteller mit unterschiedlichen Vergleichen zu beschreiben versucht, als Offenbarung, als Gedankenblitz, als Erinnerung oder als Erleuchtung. Diese Schicht antwortet nicht direkt auf sprachlich oder mathematisch formulierte Fragen, wie es im Bereich des bewussten Verstandes üblich ist, sondern nur auf existentielle Infragestellungen des Individuums mit Erhöhung der inneren Spannung. Ihre Beantwortung erfolgt, wenn man von angeborenen augenblicklichen Überlebensreflexen absieht, nicht im direkten zeitlichen Zusammenhang mit der entstandenen Überlebensfrage, sondern erst wenn der Wille Raum gibt für das Auftauchen aus der Tiefe des Empfindens in den Sprachraum. Das Gehirn geht nach der angeborenen eigenen Logik der Art vor. Immanuel Kant hat diese Instanz als die reine Vernunft bezeichnet und ihre Begriffe als Begriffe a priori bezeichnet. Sie sind der Rahmen innerhalb dessen sich das Denken der praktischen Vernunft abspielen sollte. Die reine Vernunft untersteht dem Willen nicht. Der Wille wirkt auf die Funktion der reinen Vernunft eher blockierend. Nur im Lockerlassen hat die reine Vernunft Zugang zu unserem Bewusstsein und kann die Antwort auf sprachlicher Ebene auftauchen lassen. Das Verarbeiten von Erfahrungen durch unser Gehirn unterliegt den im Laufe der Evolution des Menschen herausgebildeten und in seinem Genom fixierten Gesetzmäßigkeiten, nach denen unser Denkapparat gebildet wurde und in jedem Individuum aufs Neue gebildet wird und funktioniert. Alle unsere Begriffe sind subjektive Projektionen dieses Denkapparates, herausgebildet aus Notwendigkeit, mit der Umwelt zurechtzukommen.

Erstaunlich ist, dass die Physik auch ohne naturphilosophisches Fundament sich so rasant weiterentwickeln konnte. Das verdankt sie ihrem Grundsatz, alle Erkenntnisse mathematisch zu strukturieren. Mathematik ist eine Verselbständigung des Denkmechanismus mit einer eigenen Logik, die sich von der Person gelöst hat und im Computer eine materielle Gestalt ihres Wesens gefunden hat. Die Mathematik half über die Problematik mit der Vorstellung vom leeren Raum hinweg. Jedoch ganz ersetzen lässt sich der Beitrag der naturphilosophischen Vorstellung, die nach der inneren Stimmigkeit strebt, nicht. Es besteht die Gefahr, sich vom Rückbezug auf die menschlichen Bedürfnisse völlig zu lösen. Die praktische Vernunft, gespeist von den aktuellen Erfahrungen mit der Umwelt, kann sich von der reinen Vernunft nicht völlig lösen. Ihre Ergebnisse in Form der Quantenmechanik und der allgemeinen Relativitätstheorie stehen sich unversöhnlich gegenüber (Dieter Lüst).

Dass man, befangen in einer nicht zutreffenden Grundvorstellung, zu einer mathematisch befriedigenden, scheinbar stimmigen Lösung eines Problems kommen kann, zeigt die Theorie des Ptolemäus (120–160 nach Chr.), der glaubte für die Vorgänge am Himmel eine mathematische Erklärung gefunden zu haben. Ptolemäus ging von der religiös fundierten Vorstellung aus, die Erde sei der Mittelpunkt des Kosmos. Sie wurde für mehr als tausend Jahre zur allgemein vertretenen Vorstellung des Zusammenspiels von Sonne, Mond und Erde, bis Kopernikus (1473–1543) die Sonne in den Mittelpunkt rückte. Aristarch (um 280 vor Chr.) hatte die gleiche Idee, aber seine Umwelt war nicht bereit, sie aufzunehmen.

Mathematik ist für mich reine Verstandeslogik und als solche ein wertvolles Instrument des Denkens, kann aber das Denken selbst nicht ersetzen. Das vergleichende Denken über die Qualitäten, das bleibt unserem Gehirn vorbehalten. Die Mathematik übernimmt das quantitative Denken. Mathematik macht extrem genaue Aussagen über die Proportionen zwischen physikalischen Begriffen, kann aber keine über die Inhalte dieser Proportionen machen, so es sich um echte, ursprüngliche Qualitäten handelt. Bei Qualitäten, die sich bei genauerem Hinsehen als unterschiedliche Quantitäten herausstellen, kann sie die Proportionen dieser Quantitäten herausfinden. Daraus darf man aber nicht den Schluss ziehen, dass die Mathematik ein Instrument sein könnte, die elementaren Qualitäten zu hinterfragen. Sie kann nicht an die Stelle des Denkens treten. Mathematik braucht immer eine Einheit, mit der sie dann als Menge exakt umzugehen vermag. Qualitäten sind Sache des Gehirns, Quantitäten Sache der Mathematik. Wer sich der Mathematik überlässt, hat das Denken seines Gehirns an den Mechanismus der Mathematik abgetreten. Mathematik geht mit Einheiten um, hat zum Inhalt und Wesen einer Einheit nur den quantitativen Zugang. Sie kann diese wieder nur in gleiche Teile zerlegen, aber ohne Zugang zu ihrem Wesen. Die Beschaffenheit des kleinsten Teilchens dieser Welt ist aber ein Grundproblem der Physik und kann nicht einfach ausgeklammert werden. Die praktische Vernunft definiert das kleineste Teilchen als die Kleinheit, in der es noch möglich ist, einer Körperlichkeit eine Eigenschaft zuzuordnen.

Allerdings muss man einräumen, dass man je mehr man in die Tiefe eines Fachgebietes vordringt immer weniger unterschiedliche Qualitäten vorfindet und die Ordnung zwischen diesen Qualitäten sich als eine mathematisch erfassbare Quantität herausstellt. Manche scheinbar unterschiedliche Qualitäten entpuppen sich als lediglich unterschiedliche Proportionen. In der Physik erwiesen sich die mehr als hundert bekannten unterschiedlichen Elemente der Materie als Grundlage aller Stofflichkeit, bestehend aus nur drei unterschiedlichen Individualitäten, den Neutronen, den Protonen und Elektronen zusammengesetzt. Chemie wurde zu einem Unterfach der Physik, wurde zu einer Physik der Elektronenschale der Atome. Die Vielfalt der biologischen Strukturen schrumpft zusammen auf den allen Lebewesen eigenen, genetischen Code, bestehend aus den zwei Purinbasen Thymin und Cytosin und den Pyrimidinbasen Adenin und Guanin. Thymin geht mit Adenin und Cytosin mit Guanin eine Wasserstoffbrückenbindung ein als Grundlage des Doppelstranges der DNA. In Verlängerung dieser Tendenz könnte man zu der Annahme kommen, dass am Ende nur noch Proportionen überbleiben, und nur noch die Frage nach der Qualität der Einheit bleibt.

Blaise Pascal (1623–1662) war nicht nur ein großer Mathematiker, sondern auch ein von einem übermächtigen Gefühl der Sündhaftigkeit und Nichtigkeit durchdrungener Mensch mit einem hohen religiösen Anspruch, der diese Begrenzung der Mathematik, obwohl oder gerade weil er ihr das Feld der Wahrscheinlichkeitsrechnung erschlossen hat, wie kaum ein anderer empfunden und formuliert hat. Er hielt sich an das Credo, quia absurdum. Nach Blaise Pascal gibt es eine Erkenntnis durch die Vernunft und eine Erkenntnis durch das Herz. Die wichtigsten Sachen erkennt man durch das Herz. Das Herz, als primäres Reaktionsfeld seelischen Geschehens, steht für das Betroffensein der tieferen Schichten menschlicher Existenz. Hier herrscht die Wahrnehmung der Abhängigkeit von einer höheren Macht vor und die Angst, mit ihr nicht zurechtzukommen. Allein sich dieser Macht in Gestalt eines Allmächtigen Gottes zu unterwerfen gibt die Geborgenheit, die der Mensch braucht. Diesen Bereich habe ich mir im Buch „Warum der Mensch Gott braucht“ zurechtgelegt. Aber schon Adam konnte der Versuchung nicht widerstehen, den Verstand, den Gott ihm gegeben hat, zu benützen, um zu versuchen, ihm über die Schulter zu schauen.

Noch etwas hat mich animiert, selbst mehr über Physik nachzudenken. Harald Lesch und sein Quot-Team haben es fertig gebracht, moderne Physik darzustellen, ohne den Namen und die Leistung Max Plancks auch nur zu erwähnen. So etwas kann nicht versehentlich geschehen. Dazu muss man sich schon sehr anstrengen. Dazu passt die fehlerhafte Darstellung des Photons auf Seite 10 des Büchleins. Hier wird die Länge einer Schwingungsphase als Grund für den unterschiedlichen Energiegehalt des Photons dargestellt. Nach Max Plank hat eine Schwingungsphase, ob lang oder kurzwellig immer den gleichen Energiegehalt des elektromagnetischen Elementarquants. Albert Einstein hat den mehr philosophischen Begriff zum mathematisch handhabbaren Photon umbenannt. Es gibt keinen unterschiedlichen Energiegehalt des Photons, er ist immer der des Elementarquants.

Die reine Vernunft ohne Kontrolle durch die praktische Vernunft hat das deutsche Volk in einen Krieg getrieben, den es total verlieren musste. Unser Weiterleben beruhte auf der Unterwerfung unter die Sieger. Alle unsere derzeit führenden Wissenschaftler sind nach dem Krieg geboren und wurden nach dem Krieg durch das angloamerikanische Denken geprägt. Um in Deutschland etwas werden zu können, musste man in Amerika gearbeitet haben und in New Scientist oder Nature veröffentlicht haben. Die angloamerikanische Denkweise wird derzeit in Deutschland nicht nur übernommen, sondern auch noch gesteigert. Es ist die Neigung zum positivistischen, pragmatischen Verstandesdenken. Die Befragung der Natur im Experiment wird dem philosophischen Nachdenken deutlich vorgezogen. Man möchte handfestes Wissen generieren und keine umfassende Theorie entwickeln. Die Wissenschaftssprache wurde Englisch und das mehr praktische Herangehen an die Probleme auch in Deutschland übernommen. Muss diese Unterwerfung so weit gehen, dass wir auch die Sichtweise der Sieger über die Leistungen unserer Wissenschaftler übernehmen, die natürlich ihre nationalen Größen in den Vordergrund rücken?

Es lässt aufhorchen, wenn ein prominenter amerikanischer Physiker, Sohn des Physik-Nobelpreisträgers Robert Hofstadter, der über die Mechanismen des Denkens forscht und Bücher schreibt, im Spiegel-Interview (Nr. 18, 2014) das Denken Max Plancks einfach der Person Albert Einsteins zuordnet und behauptet, Einstein hätte dafür den Nobelpreis bekommen. Das ist die Realität auf den Kopf gestellt. Einstein hat den Nobelpreis für die Deutung des lichtelektrischen Effekts bekommen, indem er das Plank’sche Elementarquant zum körperlichen Photon gemacht hat. Mit der Quantenphysik konnte er sich nicht anfreunden.

Auch sollten wir Deutsche unsere Sprache nicht so einfach aufgeben. Es wäre schön, wenn unsere Kultusminister sich in der Philosophie besser auskennen würden. Ludwig Wittgenstein (1889–1951) wurde bewusst, dass er nur über die Sprache zur Erkenntnis der Wirklichkeit kommen kann, so wie die Wirklichkeit auch nur sprachlich in unserem Gehirn sich widerspiegeln kann. Sprache und Sprachlogik enthält mehr gefühlte Wirklichkeit als die schönste Weltformel. Es mag praktisch sein, ist aber widersinnig, wenn deutsche Muttersprachler, die nach dem „Bachelor“ den „Master“ erreichen wollen, in englischer Sprache, meist von deutschen Muttersprachlern unterrichtet werden, so als ob in der Wissenschaft die Sprache keine Rolle mehr spielen würde. Gewiss, die Wissenschaftssprache ist englisch geworden, aber das A-priori-Denken erfolgt, wenn überhaupt, in der Muttersprache.

Das englisch-amerikanische, im Grunde skeptische Herangehen an die Probleme ist anders als das kontinentaleuropäische. Diese Unterschiedlichkeit hat sich im 19. und 20. Jahrhundert als sehr fruchtbar erwiesen. Das empirische Vorgehen der Unterscheidung des Richtigen vom Falschen durch das Experiment hat die Wissenschaft hervorgebracht. Die Unterscheidung braucht aber Angebote. Es müssen Ideen angeboten werden, und die kommen, wenn überhaupt, aus dem spekulativen Denken, das derzeit verteufelt wird. Was das spekulative Denken zu leisten vermag, haben uns die Griechen der Antike vorgeführt. Sie haben allerdings weniger Wissen und mehr Vorstellungen hinterlassen. Sie sind, ohne über die Menge von festem Wissen der Moderne verfügen zu können, gedanklich erstaunlich weit in das Wesen des unsichtbaren Geschehens vorgedrungen. Die innere Stimmigkeit ist ein strenger Prüfer, der das Richtige vom Falschen unterscheidet. So sehr man heutzutage das spekulative Denken der Romantik verteufelt, bei objektiver Würdigung müsste man zugeben, dass der Beitrag der romantischen Physiker aus der Evolution der Physik nicht wegzudenken ist.

Beim Studium der Philosophie wurde mir klar, dass ich die Gedanken eines Philosophen dann am besten nachvollziehen konnte, wenn mir klar wurde, durch welchen Philosophen er sich herausgefordert fühlte. Es gibt auch in der Philosophie so etwas wie ein Schwingen zwischen gegensätzlichen Vorstellungen, zwischen dem Argumentieren in Kategorien der reinen Vernunft und den Kategorien der praktischen Vernunft. Bei der Bearbeitung meiner religiösen Problematik habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich mir meiner eigenen Position dann am deutlichsten bewusst wurde, wenn ich mich mit der dominantesten Persönlichkeit, welche für die Gegenposition steht, auseinandersetzte. Im religiösen Bereich habe ich mir die Positionen des Richard Dawkins zur Herausforderung gemacht und im physikalischen Bereich soll es kein geringerer als Albert Einstein sein. Im Mittelpunkt meiner physikalischen Meditationen steht die Beschäftigung mit den Vorstellungen Albert Einsteins. Albert Einstein war sozusagen der Schrittmacher im Verlassen naturphilosophischer Denknotwendigkeiten mit seiner Aussage, es gäbe keinen Äther. Er dominiert mit seiner speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie das physikalische Denken des 20. Jahrhunderts bis in das 21. hinein. Deshalb musste diese Erörterung zu einer Auseinandersetzung hauptsächlich mit den Vorstellungen Albert Einsteins werden.

Weil ich für mich den Zugang zur Physik über das natürliche Denken zurückgewinnen wollte, habe ich mir Albert Einsteins Vorstellungen als Gegenposition ausgesucht. Seine eigene Darstellung in „Die Evolution der Physik“ (Albert Einstein, Leopold Infeld) war Ausgangspunkt.

Wie sich mir der Einfluss Albert Einsteins auf die physikalischen Vorstellungen darstellt, beschreibe ich in einem eigenen Kapitel. Es ist immer wieder faszinierend, wie derart dominante Persönlichkeiten ihr Fachgebiet revolutionieren, es voranbringen und dann auf Grund ihrer Dominanz auch wieder hemmen. Er hat große theoretische Entwürfe, aber auch einiges an Unverdaulichem hinterlassen, wie den gekrümmten, leeren Raum und die Dualität des Lichts. Albert Einstein hat festgestellt, es gibt keinen Äther, es gäbe nur den leeren Raum und die unterschiedlichen Körper in diesem leeren Raum. Auch das Licht sei eine körperliche Erscheinung. Er war ein extremer Vertreter des Denkens in Körperlichkeiten. Bei ihm konnte Energie nur als Bewegung von Körperchen in Erscheinung treten.

Zur Beschreibung meiner Vorstellung von Physik bietet sich die Einteilung an, zunächst die Entwicklung der Physik und der physikalischen Begriffe bis zu der Entwicklungsstufe, ab der die naturphilosophische Anschauung nicht mehr funktioniert, zu umreißen. Der Versuch von Michelson und Morley, der die Ätherfrage aktualisierte, nachdem Maxwell das Licht als eine elektromagnetische Schwingung des Äthers erkannt hatte, wird diskutiert.

In einem eigenen Kapitel wird die physikalische Erkenntnis Max Plancks beschrieben, welche faktisch die Revolution der Vorstellung vom Funktionieren physikalischer Vorgänge ausgelöst hat. Durch die Entdeckung und Deutung des elementaren Wirkungsquants der Energie funktionierte die mechanistische Analogie als Grundlage der Vorstellung vom Ablauf physikalischer Vorgänge nicht mehr. Die daraus sich ergebenden Folgerungen nehmen eine breiten Raum der Argumentation ein.

Die erste Verwendung des elementaren Wirkungsquants zur Klärung einer physikalischen Problematik erfolgte durch Albert Einstein. Er erklärte damit den lichtelektrischen Effekt. Er entwickelt eine Vorstellung, die zur Dualität des Lichts führen musste. Diese Deutung wird eingehend besprochen. Um den mit dieser Vorstellung verbundenen Konflikt mit der Logik aufzulösen, wird in einem eigenen Kapitel die Wiedereinführung der Vorstellung eines Äthers aus elektromagnetischen Individualitäten vorgeschlagen.

In einem zweiten Teil wird versucht, diese Vorstellung den feststehenden wissenschaftlichen Fakten zu unterlegen. Den Anfang macht ein Kapitel über die Anpassung an die Umwelt als zwingende Notwendigkeit auch für physikalische Erscheinungsformen. Ausgehend von der Vorstellung eines elektromagnetischen Äthers wird erst über den Begriff der Energie, dann über den der Materie und der Schwingung meditiert. Dem folgt ein eigenes Kapitel über den Feldbegriff, der nach Einstein an die Stelle des Äthers getreten ist. Ein Kapitel über den Begriff der Spannung schließt dann den faktischen Teil einer vorgestellten Ätherphysik ab.

Ziel der Meditation war, über physikalische Vorstellungen zu einer fundierten Vorstellung der Lebensvorgänge zu kommen, insbesondere zu der Funktion unseres Gehirns. Reine und praktische Vernunft und ihr Beitrag zur Beantwortung der Grundfragen menschlichen Lebens werden in einem dritten Teil diskutiert.

Nimmt man einen elektromagnetischen Äther an, ergibt sich der Begriff der Raumzeit von selbst. Die Frage, ob sich aus diesen Vorstellungen vom Funktionieren der Physik ein Weg anbietet, sich vorzustellen, wie Leben entstanden sein könnte, wird diskutiert.

Den Abschluss bildet eine Danksagung an die Autoren, denen ich Grundlage und Anregungen zu meinen Überlegungen verdanke.

1. Teil

Die Vorstellungen von Physik bis zum Ausschluss der Existenz eines Äthers durch Albert Einstein

Erste schriftliche Zeugnisse naturphilosophischen Denkens stammen aus der Zeit 600 vor Christus von den Griechen. In Griechenlands aufblühender Philosophie nimmt in auffälliger Weise das philosophische Denken nicht in Griechenland selbst, sondern außerhalb des Stammlands in den Kolonien seinen Anfang. Es gab philosophische Schulen im Osten in der heutigen Türkei in Milet und in Ephesos und im Westen im heutigen Unteritalien in Elea. In den Kolonien konnte die Vernunft ungestraft in den Bereich der Götter eindringen, weil man dort auf die Huld der Götter nicht so angewiesen war, wie im Stammland, das fortlaufend um seine Existenz kämpfen musste. Sokrates, gelernter Steinmetz, der in Athen als Philosoph wirkte, wurde wegen Leugnung der Götter zum Tode verurteilt. Von 600 bis etwa 200 vor Christus reichte die große Zeit der griechischen Philosophie. Dann übernahmen römische Philosophen die Führung. Römische Philosophie setzte griechische Philosophie fort, ohne wieder bei der Naturphilosophie anzufangen, und beschäftigte sich hauptsächlich mit der Rolle des Individuums im Staat.

Griechische Philosophie war zunächst Naturphilosophie. Es begann mit Thales von Milet (624–546 vor Christus). Thales war ein weitgereister Kaufmann, der orientalisches Wissen in Mathematik und Astronomie in sich aufnahm, nach Griechenland brachte und selbständig weiter dachte. Er soll über geometrische Kenntnisse die Höhe der Pyramiden bestimmt haben. Er wurde durch die richtige Voraussage einer Sonnenfinsternis berühmt. Für die griechischen Astronomen war die Gestalt der Erde keine Scheibe, sondern schon eine im Raum schwebende Kugel. Von Thales wissen wir, dass er das Wasser für das Grundelement der Natur gehalten hat. Betrachtete er nur die belebte Natur, hatte er recht, und in der unbelebten lag er nicht weit daneben, wenn man bedenkt, dass der Wasserstoff die Grundeinheit unseres periodischen Systems der Elemente ist. Eine erstaunliche gedankliche Leistung, diese Vorstellung aus dem damaligen geringen Wissen zu entwickeln.

In der Philosophie Heraklits aus Ephesos (544–484) auf kleinasiatischem Boden erreichte die Philosophie einen ersten Höhepunkt an Einsicht in das Naturgeschehen. Er sucht nach dem einen Gedanken, der ihm das Geheimnis der Welt aufschließt. In diese Richtung gehen seine prägnanten Aussprüche. Das Feuer ist für Heraklit die Ursubstanz als Grundform aller Bewegung. Das Feuer ist einer Art Urenergie. Wir können nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen. Alles fließt, nichts besteht. Das Gesetz, nach dem sich die Vielheit entfaltet, ist die Einheit der Gegensätze. Alle Entwicklung geschieht im polaren Zusammenspiel gegensätzlicher Kräfte. „Gott ist Tag und Nacht, Winter und Sommer, Krieg und Frieden, Überfluss und Hunger. Im Kampf zwischen Idee und Idee, Mensch und Mensch, Mann und Weib, Klasse und Klasse, Volk und Volk gestaltet sich die harmonische Ganzheit der Welt. Krieg ist der Vater aller Dinge. Jedes Ding bedarf zu seinem Sein seines Gegenteils. Mit dem Aufhören der schöpferischen Spannung würde totaler Stillstand und Tod eintreten. Es sei die Krankheit, welche die Gesundheit angenehm macht, und nur am Übel gemessen tritt das Gute in Erscheinung, am Hunger die Sättigung und an der Mühsal die Ruhe.“ Heraklit blickt nicht nur auf die stoffliche Welt, sondern auch in die tieferen Schichten der menschlichen Seele. „Mich selbst habe ich erforscht“, hat er geantwortet, als er nach der Herkunft seiner Vorstellungen gefragt wurde. Der Logos, ein von Heraklit eingeführter Begriff, leitet das Geschehen in der Welt. Man müsse sich gedanklich nach ihm richten. Heraklit ging von der Selbstwahrnehmung aus. Er war gewissermaßen der erste Psychologe. Er hat das Prinzip der Gegensätzlichkeit als Steigerung des Unterschieds, im Erkennen, im Denken und im Handeln als Antrieb aufgefasst. Alle Entwicklung geschieht im Zusammenspiel gegensätzlicher Kräfte. Das war der Gedanke, der ihm die Welt verständlich machte. Heraklit war der Philosoph, der die Bewegung aus der Spannung der Gegensätze kommen sah und die Bewegung als Bildner der Welt auffasste. Er war sozusagen der erste Dynamist.

In Kroton, im heutigen Unteritalien, wirkte Pythagoras (570–510). Er sieht in den Zahlenverhältnissen das eigentliche Geheimnis wie sich die Bausteine dieser Welt zueinander verhalten. Pythagoras war der Erste, der die Welt einen Kosmos nannte. Dieser Kosmos beruhe darauf, dass wie in der Musik alles in ihr nach Zahlenverhältnissen harmonisch zusammenspiele. Diese Vorstellung leitet er aus dem Verhalten unterschiedlich langer, gespannter Saiten ab und überträgt die Bedingungen für musikalische Harmonie der Töne auf die Ordnung der Welt. Er hat sich nicht als Sophos, einen Weisen, bezeichnen lassen, er wollte nur ein Philosophos genannt werden, ein Freund der Weisheit. Während die Mileter Philosophen nach einem Stoff suchten, aus dem alles besteht, ging es ihm um das Gesetz, nach dem alles zusammenspielt.

Unter den Eleaten in Elea, einer griechischen Kolonie in Unteritalien, gab es eine ganze Reihe herausragender Philosophen. Xenophanes (um 570) war der Erste, der sich nüchtern logisch mit dem Glauben an die vielen Götter und ihrem allzu menschlichen Verhalten auseinandersetzte. Das Höchste und Beste kann nur eines sein. Dieser eine Gott ist allgegenwärtig und den Sterblichen weder an Gestalt noch an Gedanken vergleichbar. Er lehrte ein unveränderliches Sein hinter allen mannigfaltigen Erscheinungen.

Ein radikal strenger Logiker ist Parmenides aus Elea (um 525), der sich mit den Lehren des Heraklits auseinandersetzte. Die Vernunft lehre, dass es nur ein Sein, nicht aber Nichtseiendes geben kann. Das Sein wird körperlich vorgestellt. Das Nichtseiende kann nicht gedacht werden. Das Seiende wird Raum erfüllend gedacht, daraus ergibt sich eine Leugnung des leeren Raumes. Weil es keinen leeren Raum gibt, ist auch Bewegung des Seienden nicht vorstellbar. Weil Bewegung ein Nichtseiendes voraussetzt, gibt es keine Bewegung. Weil es nur Seiendes gibt, kann es auch kein Werden und Vergehen geben, sondern nur das unveränderliche Sein, das mit dem Denken eins ist. Die Sinne, die ständige Veränderung melden, seien die Quelle allen Irrtums. Parmenides war der herausragende Philosoph, der von der Körperlichkeit ausging und das Bewegtsein als Urgrund des Geschehens ablehnte.

Um die Mitte des 5. Jahrhunderts vor Christus hat Leukipp gewirkt. Er stammte aus Milet oder Abdera und wirkte in Thrakien an der Nordküste der Ägäis. Nach Leukipp entsteht kein Ding planlos, sondern alles aus Sinn und Notwendigkeit. Dies ist eine erste Formulierung des Kausalgesetzes. Von der Atomlehre des Leukipp haben wir nur Kenntnis durch seinen Schüler Demokrit (460–380). Demokrit war ein überaus vielseitiger Gelehrter, welcher die Gedanken des Leukipp zu einem eigenen System ausbaute. Danach besteht die Welt aus einem Raum erfüllenden Vollen dem Seienden und einem nichtseienden Leeren, dem Raum. Das den Raum erfüllende Volle ist aber nicht Eines. Es besteht aus zahllosen, winzigen, nicht wahrnehmbaren Körperchen. Diese haben keine Leere in sich, sondern füllen ihren Raum vollständig aus. Sie sind auch nicht mehr teilbar, weshalb sie Atome genannt werden. Für alle Strukturen und Fähigkeiten gäbe es spezielle Atome. Es gäbe auch Seelenatome. So unmöglich sich das anhört, denkt man an die Milliarden Nervenzellen, welche unser Gehirn ausmachen, so liegt Demokrit auch hier richtig. Demokrit wird hierdurch gewissermaßen zum Vater des Denkens in Körperlichkeiten. Die Atome des Demokrit sind zwar geteilt worden, an ihre Stelle sind noch viel kleinere Körperlichkeiten getreten. Für alle Zustände suchen die Physiker auch heute noch nach Körperlichkeiten, welche diese Zustände darstellen. Dem Elektron als Träger der Elektrizität und dem Photon des Lichts soll ein Graviton zur Seite gestellt werden zur Erklärung der Schwerkraft, das sich aber bisher allen Nachweismethoden entzogen hat.

Eine Fülle von Vorstellungen zu Fragen, die uns noch heute beschäftigen, haben die Vorsokratiker hervorgebracht. Empedokles (492–432) versuchte sich in ihrer Vereinigung. Er bringt die Vorstellungen von der Substanz zusammen, indem er vier Elemente anerkennt, das Feuer, das Wasser, die Luft und die Erde. Die treibenden und formenden Kräfte führt er auf die Grundemotionen Liebe und Hass, Anziehung und Abstoßung zurück. Organismen in ihrer Kompliziertheit sind entstanden aus einfacheren Formen. Er erkennt den Vorgang der Entwicklung komplizierter Organismen aus einfachen Organismen. Er ist sozusagen ein erster Vorläufer der Darwin’schen Evolutionstheorie.

In der Blütezeit der griechischen Philosophie mit Sokrates (469–399) und Platon (427–347) rückt die Philosophie das Verhalten des Menschen und seine Erkenntnisfähigkeit in den Mittelpunkt des Interesses. Die Möglichkeiten, naturphilosophisch weiterzukommen, schienen ausgeschöpft zu sein. Die Erkenntnis des Sokrates „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ ergänzt Platon durch seine Lehre von den Ideen als einzig wahre und ewige Produkte der Vernunft. Platon prägte philosophische Begriffe. Nur in einem seiner vielen Dialoge, dem Dialog mit dem Timaios, hat Platon auch seine Einstellung zur Erkenntnismöglichkeit der Natur durch den Menschen dargelegt. Die Idee als Geschöpf des Geistes ist für ihn das unvergänglich Wirkliche. Mit unseren Sinnen können wir in der Natur nur Schattenbilder dieser Ideen wahrnehmen. Naturwissenschaft ausgehend von der Wahrnehmung durch unsere Sinne, kann nur zu Wahrscheinlichkeiten kommen. Eine Vorwegnahme des Dinges an sich und der A-priori-Begriffe der reinen Vernunft.

In Aristoteles, einem Schüler Platons (384 –322) begegnet uns wieder ein mehr vom praktischen Verstand als von der Naturphilosophie geleiteter Philosoph. Aristoteles stellt das sinnlich Wahrnehmbare als das Reale in den Vordergrund und verwendet das spekulative Denken nur zur Ausfüllung von Lücken in der Vorstellung. Er strebt nach sinnlich fundiertem Wissen. Er ist gewissermaßen mehr Wissenschaftler als Philosoph. Für ihn hat die Wahrnehmung der Sinne Vorrang. Er stellt eine Ordnung aller wahrgenommen Phänomene auf. Er hielt fest an dem Bild, das ihm seine Sinne vermittelten, und verabscheute die gedanklichen Konstruktionen von Leukipp und Demokrit. Für ihn gab es weder die Atome noch den leeren Raum. Für ihn bestand die ihn umgebende Natur aus dem Gegensatz zwischen der schweren Erde und dem nach oben drängenden Feuer. Wasser und Luft ordnete er dazwischen ein. Im Feuer sah Aristoteles, wie damals üblich, eine Substanz. Aristoteles war eigentlich der erste Wissenschaftler unter den Philosophen, der versuchte, alle Phänomen dieser Welt zu einem umfassenden Weltbild zusammenzufassen. Mit Aristoteles hat die Naturphilosophie eine Art umfassenden Abschluss gefunden, der bis weit in das Mittelalter über Patristik und Scholastik hinaus vorhalten sollte. Von der Verarbeitung der Sinneswahrnehmungen durch den Verstand geleitet, war für Aristoteles die Ruhe der Ausgangspunkt aller Vorstellungen. Die Natur setzte sich zusammen aus in sich ruhenden festen Körpern, die durch einen ersten Beweger in Bewegung versetzt wurden. Um die Bewegung in der Natur zu erklären, brauchte Aristoteles einen ersten Beweger, der selbst sich in Ruhe befindet. Damit schuf er verstandesmäßig den Raum für den Begriff Gott, so dass die Vorstellungen des Aristoteles durch Thomas von Aquin zur philosophischen Fundierung der christlichen Religion herangezogen werden konnten.

Mit dem Vordringen der christlichen Botschaft und ihrer Einführung als Staatsreligion des römischen Weltreiches 392 nach Christus durch Kaiser Konstantin den Großen gab es keinen Freiraum mehr für naturphilosophische Diskussionen. Die christliche Kirche mit ihrem Zentrum in Rom wachte streng über die Vorstellungen ihrer Gläubigen und die Reinhaltung des Glaubens. Die protestantische Reformation angetrieben durch Martin Luther 1517 erschütterte zwar die religiöse Autorität Roms, brachte aber für die Entwicklung der Wissenschaften keinen unmittelbaren Freiraum. Mittelbar aber doch, indem Luther ein unmittelbares Verhältnis zwischen dem Menschen und seinem Gott herstellte und die aus der Vermittlerposition sich ergebende Macht der Kirche über die Vorstellungswelt des Menschen einschränkte. Martin Luther und Melanchthon lehnten die Erkenntnis des Nikolaus Kopernikus entschieden ab. Als Nikolaus Kopernikus (1473–1543) erkannte, dass das komplizierte ptolemäische Planetensystem, das von der Erde als Mittelpunkt ausgeht, nicht zutrifft und man an Stelle der Erde die Sonne in den Mittelpunkt rücken müsse, wagte er es nicht, bei Lebzeiten als Domherr von Frauenberg im heutigen Polen mit dieser Erkenntnis vor die Öffentlichkeit zu treten. Erst als er spürte, dass sein Leben zu Ende geht, hat er seine Erkenntnis dem Papst Paul III. eröffnet. Wie recht er damit hatte, zeigte das Schicksal des Giordano Bruno, der sich lieber auf dem Scheiterhaufen verbrennen ließ als seiner Erkenntnis abzuschwören, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Auch Galileo Galilei (1564–1642) musste, um zu überleben, sich der Kirche beugen. Johannes Kepler (1571–1630), aus protestantischer Familie in Württemberg stammend, schloss aus den sehr sorgfältigen, astronomischen Aufzeichnungen des Tycho Brahe (1546–1601), dessen Assistent er war, dass die Bahn eines Erdumlaufes um die Sonne einer Ellipse gleicht, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht. In den drei Kepler’schen Gesetzen werden die Umlaufzeiten der Planeten erstmals in mathematischer Form beschrieben. Kepler erkannte, dass die Geschwindigkeit der Erde auf ihrer elliptischen Umlaufbahn abhängig ist vom Abstand zur Sonne. In Sonnennähe ist die Geschwindigkeit größer, was er in der Formulierung ausdrückte, der Strahl, der die Sonne mit den Planeten verbindet, überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächeninhalte. Sein drittes Gesetz lautete, das Quadrat der Umlaufzeit ist proportional dem Kubus der großen Halbachse seiner Bahnellipse. Allen drei Gesetzen lagen sehr genaue Beobachtungen der Himmelskörper des Tycho Brahe zu Grunde. Kepler suchte nach einer mathematischen Formulierung, welche die Beobachtungen erklärt, und wurde fündig, wie später Maxwell im Umgang mit den Beobachtungen von Faraday, wie Magnetismus und Elektrizität zusammenwirken, und noch später Max Planck mit den Messungen der Reichsanstalt, welche Menge an zugeführter Energie mit welcher Strahlenfrequenz von der Natur beantwortet wird. Exakte Messungen und Beobachtungen gingen immer dem Fortschritt mathematischer Naturerkenntnis voraus.

Dass der Himmel, das Reich Gottes, einfachen mathematisch-physikalischen Gesetzen unterworfen sei, war für viele Gläubige eine gewaltige Herausforderung ihres Glaubens an einen allmächtigen Gott. Dessen Macht durfte durch kein naturwissenschaftliches Gesetz eingeschränkt werden. Die Kirche sah in der Wissenschaft einen Angriff auf den zentralen Glaubensinhalt.

Nachdem lange Zeit die Religion dem Menschen auch die Fragen, die das Naturgeschehen stellt, beantwortet hatte, rührte sich im Zeitalter des Barock die praktische Vernunft. Die Allmacht Gottes wurde zwar noch nicht angezweifelt, aber man wollte jetzt auch das Geschehen in der Umwelt selbst nachvollziehen können. Die Vernunft drang mehr und mehr in Bereiche des allmächtigen Gottes vor. Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Körperlichkeit und dem die Körperlichkeit umgebenden Raum und die Frage, woher die Kraft kommt, die alles in Bewegung hält, trat in den Vordergrund der Fragen, mit denen sich die Philosophen beschäftigten. An vier herausragenden Persönlichkeiten und ihren Philosophien in dieser Zeit ist das festzumachen. Descartes (1596–1650), Spinoza (1632–1677), Leibniz (1646–1716) und Newton (1643–1727). Vorausgegangen sind Nikolaus Kopernikus (1473–1543), Johannes Kepler (1571–1630) und Galileo Galilei (1564–1642). Was diese Männer auszeichnete, war die Verbindung von philosophischem Streben nach Zusammenhang mit einer hoch entwickelten mathematischen Fähigkeit, Zusammenhängen eine mathematische Form zu geben. Die Philosophen im Zeitalter des Barock hatten den griechischen Naturphilosophen vor mehr als 2000 voraus, dass sie nach Faktoren suchten, über die eine mathematische Gesetzmäßigkeit innerhalb der Erscheinungen hergestellt werden konnte. Sie dachten quantitativ. Die griechischen Naturphilosophen beschäftigten sich hauptsächlich mit den unterschiedlichen Qualitäten der Erscheinungen, ohne nach Faktoren zu suchen, obwohl Pythagoras die Möglichkeit, die Natur über die Mathematik zu erfassen, schon erkannt hatte. Aber auch den Philosophen des Barock fehlten vor allem Instrumente der Zeitmessung. So konnte kein Bestand an Wissen aufgebaut werden, von dem ausgehend über den Zusammenhang nachgedacht werden konnte. Die Philosophen des Barock waren Mathematiker. Descartes, der die Differentialrechnung entwickelt hatte, entwarf ein erstes mechanistisch rationales Weltbild, an dem sich alle späteren Denker abarbeiteten. Descartes meinte, alle Naturerscheinungen ließen sich mit den beiden Begriffen Ausdehnung und Bewegung innerhalb eines senkrecht aufeinander stehenden Koordinatensystems erklären. Bei Descartes gab es keinen leeren Raum. Er dachte sich jeden Raum als von Materie erfüllt. Er nahm außer der sichtbaren Materie eine primäre Materie kleinster unsichtbarer Teilchen an, welche die großen Körper wirbelartig umspülen. So erklärte er sich die unterschiedliche Geschwindigkeit der Planeten, welche die Sonne umkreisen.

Für Spinoza gibt es nur eine unendliche, den Raum erfüllende göttliche Substanz. Diese Substanz zerlegt der Mathematiker Leibniz dann in Punkte. Leibniz verbindet den mechanistischen Atombegriff des Leukipp mit dem aristotelischen Begriff der Entelechie, der beseelten und formenden Kraft, und kommt zu seinem Begriff der Monade. Monaden sind Punkte. Das heißt, der eigentliche Urgrund des Seienden sind punktförmige Substanzen. Die Monaden sind Kraftzentren. Ein Körper ist nach Leibniz ein Komplex solcher punktueller Kraftzentren. Die Monaden sind Seelen unterschiedlicher Bewusstseinszustände. Es gibt einfältige Monaden und höchste göttliche Monaden. Die Monaden sind Individuen, so dass es keine zwei gleichen Monaden geben könne. Jede Monade hat ihren unverwechselbaren Platz im Universum und ist potentiell ein Spiegel des ganzen Universums. Alles, was mit und in der Monade geschieht, folgt aus ihr selbst. Ihr Wesen ist durch einen göttlichen Schöpfungsakt angelegt, der sie aus einer Urmonade hervorgehen ließ.

Leibniz und Newton stritten sich nicht nur darüber, wer zuerst die Infinitesimalrechnung erfunden hat, sie waren auch sehr unterschiedlicher Ansicht, was den Inhalt des Raums betrifft. Newton wollte nicht spekulieren. Für ihn hatte nur Geltung, was experimentell nachgewiesen werden konnte. Leibniz stellte sich den Raum als erfüllt von Monaden als kleinste, unsichtbare Teilchen vor. Newton lehnte es ab, mit erdachten Strukturen umzugehen, und sprach lieber von Fernwirkungen, wenn der Apfel vom Baum fällt. Newton erkannte, dass die Anziehung der Erde, die den Apfel vom Baum auf die Erde fallen lässt, keine spezielle Kraft der Erde sei, sondern die Folge einer allen festen Körpern zukommende Kraft der Anziehung anderer Körper. Die Stärke dieser Kraft entspricht dem Produkt der beteiligten Massen, die mit dem Quadrat der Distanz, je nachdem ob der Abstand verkleinert oder vergrößert wird, zu- oder abnimmt. Über die Mechanismen dieser Kraft, die unsichtbar über den Raum wirkt, wollte Newton nicht spekulieren und sprach lieber von einer Fernkraft. So konnte Newton die Ordnung im Kosmos teilweise mathematisch erklären. Eine erste Kraft, die über den leeren Raum wirkte, war mit der Schwerkraft durch Newton gefunden. Sie hält die Himmelskörper gegen die Fliehkraft auf ihren kreisförmigen Bahnen um das Zentralgestirn. Im Licht sah Newton eine Emanation der Massen, die als Körperchen mit Lichtgeschwindigkeit durch den leeren Raum eilen. Olaus Roemer (1644–1710), ein dänischer Astronom, hatte die Lichtgeschwindigkeit auf Grund astronomischer Beobachtung mit etwa 300 000 km in der Sekunde errechnet.

Eine weitere, gewissermaßen wissenschaftlich, experimentell gewonnene Erkenntnis einer Raumstruktur wurde durch die Beschäftigung mit dem Licht offenbar, als der Holländer Christian Huygens (1629–1695) erkannte, dass Licht alle Eigenschaften einer Wellenbewegung habe. Er musste ein alles durchdringendes Fluidum als Träger dieser Welleneigenschaft annehmen. Sein etwas jüngerer Zeitgenosse Isak Newton (1643–1727) glaubte dagegen weiter an Lichtteilchen und war der Meinung, dass es für die verschiedenen Farben eigene Teilchen geben müsse. Wenn er einen Lichtstrahl durch ein gläsernes Prisma schickte, konnte er das weiße Licht auffächern zu Farbbändern, die wir heute Spektralfarben nennen. Schickte er den aufgefächerten Lichtstrahl erneut durch ein Prisma, konnte er die die einzelnen Farben nicht weiter auffächern. Bei umgekehrtem Strahlengang, konnte er die farbigen Lichtstrahlen wieder zu einem weißen Lichtstrahl vereinigen.

Isaac Newton, mehr Wissenschaftler als Naturphilosoph, dessen Verstand den Philosophen in ihm dominierte, hat den Begriff der Fernwirkung von Kräften geprägt, welche durch die gegenseitige Anziehung von Massen in Erscheinung tritt. Nicht als eine natürliche Gegebenheit, sondern als einen Leerbegriff für ein Geschehen, das wir nicht wahrnehmen können. In seiner mathematischen Formel steht im Zähler das Produkt der Massen und im Nenner das Quadrat der Distanz zwischen den Massen. Eine Formel, welche auch für die Ausbreitung der Intensität aller Zustände des Raumes, die von einem Zentrum ausgehen, gilt. Sie erinnert an die Abhängigkeit des Inhalts der Fläche eines Kreises vom Quadrat ihres Radius neben dem Faktor Pi. Isaac Newton hat den Astronomen mit seiner Gravitationsformel ein Instrument in die Hand gegeben, über das sich erklären lässt, warum es zu keinem Ausbrechen der Planeten aus ihrer Bahn um die Sonne kommt. Mit der Erfindung der Infinitesimalrechnung und der mathematischen Fassung der Anziehungskraft zwischen Massen hat Isaac Newton so Grundlegendes beigetragen, dass seine Vorstellungen von Physik die Vorstellung der Physiker bis zum Anbruch des 20. Jahrhunderts geprägt haben. Newton hat in seinen wissenschaftlichen Arbeiten den Begriff der Fernwirkung einer Kraft verwendet, was er aber wirklich dachte, kommt in einem Brief an Richard Bently zum Ausdruck. „Vielleicht ist das Universum gar nicht so leer. Vielleicht wirken dort tatsächlich Kräfte, Kräfte wie die Gravitation, die ihre Fühler kreuz und quer durch das ausschicken, was uns als leerer Raum erscheint. Die Idee, dass … ein Körper aus der Ferne durch ein Vakuum ohne Vermittlung von etwas anderem auf einen anderen Körper einwirke, scheint mir so absurd, dass meiner Meinung nach kein Mensch … bei klarem Verstand je auf sie verfallen kann.“ Als der Theologe Bently Genaueres wissen wollte, schwächte Newton seine Aussage als die Gedanken eines alten Mannes ab, ohne diesen Gedanken weiterzuführen. Zur Zeit Newtons musste man noch sehr vorsichtig das Revier der Religion respektieren. Man muss bedenken, dass die Kirche damals noch ihr Revier des Glaubens gegen die vordringende Wissenschaft mit allen Mitteln bis hin zum Scheiterhaufen verteidigte. Das Schicksal des Giordano Bruno (1548–1600) und der Konflikt des Galileo Galilei (1564–1642) mit der Kirche waren jedem Physiker bekannt. Man hütete sich, den Verdacht der Kirche auf sich zu lenken. Konsequenterweise übernahm er die Wellenvorstellung des Lichts nicht, weil ihm die Äthervorstellung suspekt erschien. „Ich erfinde keine Hypothesen.“ Für Newton blieb Licht eine korpuskulare Emanation, die den leeren Raum mit Lichtgeschwindigkeit durchmisst. So lange man nicht sicher wissen konnte, was den Raum ausfüllt, blieb für ihn der Raum leer.

In einer nächsten Runde der Diskussion um die Beschaffenheit des Lichts und des Raums gelang dem englischen Arzt und Physiker Thomas Young (1773–1829) ein Experiment, das die Frage, ob Licht die Wellenbewegung eines unbekannten Fluidums oder eine korpuskulare Emanation sei, entschied. Geht Licht durch einen sehr engen Doppelspalt hindurch, kommt es auf einem Schirm zu Interferenzerscheinungen wie bei Wasserwellen in Form von Summation und Löschung durch deren Zusammenwirken. Unabhängig von Young kam der französische Physiker Augustin Jean Fresnell über einen ähnlichen Versuch zur gleichen Vorstellung. Die Theorie von den Lichtkörperchen Newtons, welche den leeren Raum durchmessen, schien damit erledigt zu sein. Am Spalt versagte sie.

Immanuel Kant (1724–1804), der Königsberger Philosoph, der Königsberg in Ostpreußen lebenslang nicht verlassen hat, kannte aber gedanklich keine Grenzen. Er war Sohn eines Sattlermeisters, klein und von schmächtiger Gestalt. Für einen handwerklichen Beruf war er nicht geeignet. Sieben Jahre war das Friederizianum in Königsberg seine Schule. Dort wurde Lateinisch unterrichtet. In einer, vor allem durch seine Mutter pietistisch geprägten Familie aufgewachsen, jedoch naturwissenschaftlich-philosophisch interessiert, begann er das Studium mit Theologie, wechselte aber bald in das naturwissenschaftlich-philosophische Fach. Nach dem Studium verdiente er neun Jahre seinen Lebensunterhalt als Hauslehrer auf Adelsgütern rund um Königberg, bis er sich nach seiner Promotion 1755 als Privatdozent an der Universität Königsberg niederließ, um Vorlesungen in seiner Lieblingsdisziplin Logik und Metaphysik zu halten. Er las aber auch mathematische Physik, Geographie, Anthropologie, natürliche Theologie, Moral und Naturrecht. Er war ein ungemein vielseitiger Geist.

Da er sich seiner schwächlichen Konstitution bewusst war, verordnete er sich ein sehr regelmäßiges, überaus festgelegtes Arbeitsleben im Dienste seiner Liebe zur Metaphysik. Von frühmorgens bis abends war der Tag eingeteilt. Um 6 Uhr morgens begann sein Tag. Sein Diener hatte den Auftrag, ihn aus dem Bett zu holen, auch wenn ihm einmal nicht nach Aufstehen war. Bis zum Frühstück Arbeit am Schreibtisch. Dann kamen seine Vorlesungen. Er nahm sich Zeit zum Mittagessen, zu dem er sich eine anregende Tischgesellschaft einlud. Nach einem bei jedem Wetter in seiner Route festgelegten Spaziergang kam dann wieder die Arbeit am Schreibtisch. Bis 22 Uhr abends war der Tag fest eingeteilt. Die einmalig große Leistung Immanuel Kants war die Entkräftung der Hume’schen Argumentation, es könne keine Metaphysik geben, durch die Erkenntnis von der Existenz einer reinen und einer praktischen Vernunft.

Von den naturphilosophischen Studien Immanuel Kants wurden am bekanntesten die „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ und die „Physische Monadologie“. Seine Theorie der Entstehung des Kosmos ging als die Kant-Laplace-Theorie in die Geschichte der Wissenschaft ein. Er nimmt einen Anfangszustand der Materie in kleinsten Teilen gleichmäßig überall im Raum verteilt an. Sich anziehend und wieder abstoßend, fanden diese kleinsten Teilchen zuletzt ein Gleichgewicht in der Kreisbewegung als der Form geringster gegenseitiger Hemmung als Himmelskörper im Raum. Was das Wesen der Materie ausmacht, ihre Körperlichkeit oder Undurchdringlichkeit, ist eine Folge in ihr waltender Kräfte. Es gibt keinen Stoff, nur Kraft. Ein genialer gedanklicher Vorgriff auf die Entwicklung der Zukunft. Die Kant-Laplace-Theorie wurde erst im 20. Jahrhundert durch die Urknall-Theorie von Stephen Weinberg ersetzt.

Verliebt in die Metaphysik, wie er von sich bekannte, sah sich Immanuel Kant in besonderer Weise durch die englische Philosophie herausgefordert. Für John Locke (1632–1704) kam der Mensch mit einem von Erfahrungen leeren Gehirn auf die Welt, weil er noch keine Sinneseindrücke haben konnte und Denken nur auf Grund von Sinnerserfahrungen vorstellbar sei. Das war die Gegenposition zum Rationalismus eines Descartes, der glaubte, auf die subjektive Erfahrung verzichten und allein durch vernünftiges, mathematisches Denken alle Probleme lösen zu können. Nach Locke gäbe es im Gehirn nichts, was es zu objektiver Vorstellung ohne Erfahrung fähig machen würde. Er unterschied subjektive Erfahrungen über das Sehen, das Hören und den Geschmack von objektiven Erfahrungen, wie Ausdehnung, Festigkeit und Bewegung. Darüber hinaus gäbe es keine Möglichkeit, dass der Verstand, gewissermaßen aus sich heraus, etwas von der Welt erkenne. Berkeley (1684–1753) hat dieses Denken weiterentwickelt, indem er die objektiven Erfahrungen Lockes auch zu den subjektiven rechnete. Für ihn gibt es nur das Sein durch die Wahrnehmung. David Hume (1632–1704), steigerte diese empirische Vorstellung zur totalen Skepsis. So etwas wie die Kausalität wäre bloße Einbildung. Real sei nur die Wahrnehmung des Vorher und des Nachher. Es bestehe kein Grund anzunehmen, dass das Vorher mit dem Nachher in Zusammenhang stünde. Das zu beobachtende Nacheinander, ohne dass wir eine innere Verbindung zwischen dem Vorher und dem Nachher sehen können, berechtige uns nicht, auf die Existenz eines kausalen Zusammenhangs zu schließen. Es gibt keine Sicherheit, dass es nicht einmal auch anders ablaufen könnte. Real ist nur, was man direkt sehen könne. David Hume misstraut allen Schlüssen des Verstandes, insbesondere der Metaphysik. „Es gibt nichts im Gehirn, was nicht vorher in den Sinnen war.“ Die englischen, skeptischen Philosophen haben aus dem Zustand der ursprünglichen Leere an eigenen Erfahrungen des Gehirns ihre totale Ablehnung metaphysischen Denkens abgeleitet. Müsste man das akzeptieren, wäre jeder Metaphysik der Boden entzogen, was insbesondere Immanuel Kant in besonderer Weise betroffen hätte.

Immanuel Kant sah sich so gezwungen, sich mit der Struktur des menschlichen Denkens zu befassen. Ihm standen keine objektiven Kenntnisse der Hirnphysiologie zur Verfügung. Man wusste damals noch nicht einmal, dass die Zelle die Grundstruktur aller Organe ist, geschweige denn, dass von den Milliarden Zellen des Gehirns noch einige Milliarden mehr Impulse leitende Fortsätze für die Verbindung zwischen den Nervenzellen sorgen.

Wie einst schon Heraklit, konnte Immanuel Kant seine Schlüsse nur aus der Selbstbeobachtung und Eigenanalyse ziehen. Es ist das Verdienst Immanuel Kants, zwei unterschiedliche Ebenen des Denkens erkannt zu haben. Er untersuchte alle seine ihm zur Verfügung stehenden Begriffe darauf hin, ob sie Produkte eigener Erfahrungen seien oder ihm unabhängig von eigenen Erfahrungen zuteil geworden seien, und kam zu dem Ergebnis, dass es angeborene und erworbene Denkstrukturen geben müsse, und nannte die angeborenen A-priori-Erfahrungen und die erworbenen A-posteriori-Erfahrungen. Der angeborenen Denkstruktur steht seit Immanuel Kant die erworbene Denkstruktur gegenüber. Die angeborene hat er als die reine Vernunft und die erworbene als die praktische Vernunft bezeichnet.

Um der Bedeutung dieser Erkenntnis gerecht zu werden, sollte man den Gegensatz sprachlich aus dem adjektivischen Bereich von a priorischer und praktischer Vernunft in den substantivischen Bereich anheben und die a priorische Art zu denken als Vernunft und das A-posteriori-Denken als Denken des Verstandes bezeichnen. Die Vernunft ist angeboren und der Verstand ist erworben.

Immanuel Kant (1724–1804), in einem durch die Mutter pietistisch geprägten Elternhaus aufgewachsen, sollte Theologie studieren, wandte sich aber bald der Philosophie zu. Er wurde durch Knutzen in die Leibniz-Wolff’sche Philosophie eingeführt. Christian Wolff (1679–1745). Knutzens Philosophie war eine rationalistische Vernunftphilosophie, die sich von der Erfahrung gelöst hatte. Voltaire, der seiner revolutionären Ansichten wegen wiederholt nach England flüchten musste, brachte von dort das vom Verstand geleitete Denken nach Frankreich. Die andere Persönlichkeit, welche den Boden für die Französische Revolution bereitet hat, Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) fand bei Immanuel Kant eine so starke Resonanz, dass er sich ein Bild Rousseaus ins Zimmer hängte. Es war die gedankliche Freiheit, die Immanuel Kant so faszinierte. Rousseau hat die prägenden Eltern früh verloren und war völlig auf seine eigenen Erfahrungen angewiesen, sich in der Welt zurechtzufinden. Seine Bücher, aus einer hohen inneren Spannung mit Leidenschaft geschrieben, hatten eine starke Ausstrahlung. Der Mensch sei von Natur aus gut und würde nur durch die herrschende Erziehung schlecht gemacht.

Durch die Schriften David Humes, die Kants Freund Hamann ihm nahebrachte, wurde Kant aus dem dogmatischen Schlummer geweckt, wie er sich ausdrückte. Die Radikalität, mit der Hume die Leistungen der angeborenen Vernunft abwertete, um an die erste Stelle die direkte Sinneserfahrung zu setzen, gab der Metaphysik, der Immanuel Kant in Liebe zugetan war, keine Chance. Für Immanuel Kant lag das Problem in den Gesetzen, nach denen der Denkapparat funktioniert. Im Aufdecken dieser Gesetze sah er die Chance für die Rechtfertigung der Metaphysik. In seiner Kritik der reinen Vernunft kam er zu dem Ergebnis, dass es Gesetzmäßigkeiten unabhängig von den Erfahrungen gibt, die sich aus der Struktur des denkenden Apparates ergeben. Er bezeichnete diese Erfahrungen als A-priori-Erfahrungen, als vor den Sinneserfahrungen vorhanden. Aus diesen Strukturen des Denkapparates ergäbe sich eine Wissensstruktur vor allen Sinneserfahrungen. Dieses Wissen sei unangreifbar für den Verstand und daher gewissermaßen ewig. Gegen dieses Wissen ist keine Argumentation möglich.