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Was ein alter Römer wohl über unsere Forderung nach mehr Work-Life-Balance sagen würde? Wie hoch war im antiken Athen die Arbeitslosenquote? Gab es in der Antike eine Urlaubsregelung, eine Rente im heutigen Sinn, Kinderbetreuung? Der Althistoriker Holger Sonnabend spürt diesen und weiteren Fragen rund um das Thema Arbeiten in der Antike nach und lädt dazu ein, sich in Sachen Job und Karriere von Griechen und Römern inspirieren zu lassen.
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Seitenzahl: 142
Texte aus der Antike
Reclam
RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 962305
2024 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH
Coverabbildung: Schreiner bei der Arbeit; Wandmalerei im Haus der Vettier in Pompeji (© akg-images / Bildarchiv Steffens)
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2024
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-962305-4
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014603-3
www.reclam.de
Intro
Kapitel 1: Ein Leben ohne Arbeit?
Kapitel 2: Schule und Uni als Grundlage für beruflichen Erfolg
Kapitel 3: Netzwerken und Vitamin B
Kapitel 4: Start-ups und Bilderbuchkarrieren
Kapitel 5: Zuwanderung und Greencards
Kapitel 6: Branchen mit guten Jobaussichten
Kapitel 7: Erfüllung im Job?
Kapitel 8: In der beruflichen Sackgasse
Kapitel 9: Typische Frauenberufe?
Kapitel 10: Sklavenarbeit
Kapitel 11: FAQs zur Arbeitswelt
Literaturhinweise
Abbildungsnachweis
Eine Wirtin beim Ausschenken: Grabstele der Sentia Amarantis. Emerita Augusta, 2./3. Jahrhundert. Extremadura, Museo Nacional de Arte Romano.
Es gilt doch vor allem, die Alten herabsteigen zu machen von dem phantastischen Kothurn, auf dem sie der Masse des Publikums erscheinen, sie in die reale Welt, wo gehasst und geliebt, gesägt und gezimmert, phantasiert und geschwindelt wird, den Lesern zu versetzen.
So sprach im 19. Jahrhundert, in der Ausdrucksweise seiner Zeit, der Historiker und Nobelpreisträger Theodor Mommsen. Übersetzt in moderne Sprache: Die Menschen der Antike müssen heruntergeholt werden von dem entrückten Podest, auf das man sie gerne stellt. Die Griechen, die Römer – alles marmorne Halbgötter? Nein. Sie müssen hineingestellt werden in die wirkliche Welt, wo – und da darf man bei Mommsens Worten bleiben – »gehasst und geliebt, gesägt und gezimmert, phantasiert und geschwindelt wird«. Gesägt und gezimmert – das bezieht sich auf die Handwerker, die auch in der Antike einen guten Teil der arbeitenden Bevölkerung ausmachten.
Arbeit ist ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Lebens, heute wie früher. Für manche ist sie sogar Lebensinhalt. Sie nennt man heute Workaholics. Für andere wiederum ist Arbeit eine zwar notwendige, jedoch lästige Unterbrechung der Freizeit. Für viele ist berufliche Karriere die Erfüllung aller Träume. Nicht wenige setzen andere Prioritäten, wollen ungebunden, unabhängig sein – wenn man es sich denn leisten kann.
Entsprechend vielfältig ist die Palette der modernen Begriffe, wenn von Arbeit die Rede ist: Work-Life-Balance, Arbeitszeitverkürzung, Zukunft der Arbeit, Arbeitslosigkeit, Generation Z, Fachkräftemangel, gutes Geld für gute Arbeit, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Arbeitsverträge, Jobcenter, Karriere, Homeoffice, Urlaub, Nine to Five, flexible Arbeitszeiten, Viertagewoche, Start-up – eine beliebige Auswahl, die Liste ließe sich endlos verlängern. Nicht ganz so reichhaltig, aber auch recht stattlich ist das verbale Repertoire an Begriffen, das die Antike parat hielt, wenn vom Arbeiten die Rede war. Die Griechen favorisierten Begriffe wie ergasia oder douleia. Die Römer sprachen besonders gerne von labor, opus oder, wenn sie das Beschwerliche an der Arbeit hervorheben wollten, von onus.
In diesem Buch wird die spannende Welt der Arbeit in der Antike in allen ihren Facetten vorgestellt, auch mit Blick auf die heutige Arbeitswelt. Und dies nicht in Gestalt eines Sachbuches, sondern als kommentierte Sammlung wichtiger Textstellen. Einige der Quellen sprechen für sich und werden daher ohne weitere Stellungnahmen präsentiert.
Nicht alles, aber vieles, was in der Gegenwart eine Rolle spielt, beschäftigte bereits Griechen und Römer. Und während wir heute durch die rasante digitale Revolution fast den Überblick darüber verlieren, was sich im Arbeitssektor so alles tut, liegt die Antike übersichtlich und geordnet als Erfahrungsschatz vor. Manches erscheint uns heute fremd, vieles aber auch vertraut und aktuell – und lädt dazu ein, im Spiegel der Antike uns selbst und das Verhältnis zur Arbeit besser kennenzulernen und zu justieren. Ähnlichkeiten mit der Gegenwart sind alles andere als zufällig. Ein Blick zurück nach vorn also.
Eine vorteilhafte Eigenschaft der Antike ist ihre Auskunftsfreudigkeit. Das gilt auch für das Thema Arbeit. Die Quellen sprudeln üppig und vermitteln ein anschauliches Bild davon, was Arbeit damals alles bedeuten konnte. Die meisten Texte stammen aus der Feder von Mitgliedern der Oberschichten. Sie hatten, wie sich zeigen wird, zur Arbeit, insbesondere zur körperlichen Arbeit, ein spezielles Verhältnis. Wer sich im Schweiße seines Angesichts abrackerte, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wurde aus der Sicht des gutsituierten Gutsherrn oder Unternehmers gern als Banause abqualifiziert. Doch zum Glück gibt es auch genügend Texte, aus denen die ›einfachen‹ Menschen sprechen und die ein willkommenes Korrelat zu den Ansichten der Eliten bilden. So ergibt sich ein breites Spektrum von Aspekten des Arbeitens in der Antike – von Aufsteigern, Karrieristen, Netzwerkern, von Frauen, die die Brötchen verdienten, und von Menschen, für die sich der Traum von einer gut bezahlten Arbeit, die auch noch Spaß machte, nicht erfüllte.
Geschichte hat gegenüber der Gegenwart einen unschlagbaren Vorteil: Sie ist bereits geschehen, man weiß, wie alles gelaufen ist. Also kann die Devise nur lauten: Nutzen wir das Potential, das Griechen und Römer zur Verfügung gestellt haben, und lassen wir uns von ihnen in Sachen Arbeit, Job, Karriere inspirieren – sei es im positiven oder auch im negativen Sinn.
Viele arbeiteten, viele nicht. Die nicht arbeiteten, waren diejenigen, die keine Arbeit fanden (die in moderner Terminologie also Arbeitslose waren) oder die es, weitaus komfortabler, nicht nötig hatten zu arbeiten. Und es gab auch welche, die nicht arbeiten wollten.
Die nicht arbeiten mussten, waren die Reichen und Wohlhabenden, die meistens von den Renditen ihrer großen Gutshöfe, Erbschaften, Immobilienbesitz oder sonstigen arbeitsfreien, dauerhaften Einnahmequellen lebten. Sie verbrachten, wie im 1. Jahrhundert n. Chr. der Römer Plinius der Jüngere, ihre Zeit in angenehmer Muße, beschäftigten sich mit Literatur und Philosophie, empfingen Freunde, gingen spazieren und ließen es sich überhaupt gut gehen. Dieser Plinius der Jüngere schreibt in einem Brief (9,36) an seinen Freund Fuscus:
Zur vierten oder fünften Stunde [10 oder 11 Uhr] – eine feste Einteilung der Zeit habe ich nicht – begebe ich mich, je nach Wetterlage, auf die Terrasse oder in die Wandelhalle, organisiere die weiteren Abläufe (des Tages) und lasse sie schriftlich festhalten. Danach setze ich mich in den Wagen, wo ich dasselbe mache wie im Gehen oder im Liegen. Die geistige Konzentration hält an, belebt durch die Abwechslung. Als Nächstes gönne ich mir ein kurzes Nickerchen und gehe danach wieder spazieren, wobei ich laut und deutlich eine griechische oder eine lateinische Rede lese […]. Danach wieder ein Spaziergang, dann Massage, Gymnastik und Bad. Bei Tisch lasse ich, wenn meine Frau oder Freunde da sind, aus einem Buch vorlesen. Nach Tisch Komödie oder Lautenspiel. Anschließend ein Spaziergang mit meinem Gefolge, in dem sich viele kluge Leute befinden. Der Abend wird mit abwechslungsreichen Gesprächen verbracht, und selbst der längste Tag vergeht ganz rasch. Gelegentlich ändert sich etwas an diesem Verlauf des Tages. Wenn ich lange im Bett geblieben oder spazieren gegangen bin, mache ich mich erst nach dem Schlaf oder der Lektürestunde auf den Weg, und dann nicht im Wagen, sondern zu Pferde – das kostet weniger Zeit und geht schneller. Manchmal kommen auch Freunde aus der Nachbarschaft, beanspruchen einen Teil des Tages für sich. Zuweilen, wenn ich abgespannt bin, sind solche Abwechslungen ganz willkommen. Gelegentlich gehe ich auch auf die Jagd, jedoch nie ohne eine Schreibtafel, damit ich, wenn ich nichts erbeute, nicht mit leeren Händen zurückkomme.
Otium cum dignitate – Müßiggang mit Würde oder mit Stil nannten die reichen Römer einen solchen arbeitsfreien Lebenswandel. Anders als gestresste, täglich hart arbeitende Menschen konnte man bei einer solchen Gestaltung seiner Tage leicht alt werden.
Im folgenden Textauszug berichtet Plinius der Jüngere über einen Freund namens Spurinna, der, 78 Jahre alt, als Pensionär den Tag so verbringt, wie er es immer gemacht hat (Brief 3,1):
Am frühen Morgen bleibt er erst einmal im Bett liegen. Zur zweiten Stunde [8 Uhr] verlangt er nach seinen Schuhen. Dann unternimmt er einen drei Meilen langen Spaziergang und trainiert dabei Geist und Körper. Wenn ihn Freunde begleiten, entwickeln sich lebhafte Gespräche, wenn nicht, lässt er sich etwas vorlesen […]. Dann nimmt er Platz zur Lektüre oder, besser noch, zu einem Gespräch. Danach steigt er in seinen Wagen, zusammen mit seiner Gattin, einer wunderbaren Frau, oder seinen Freunden […]. Nach sieben Meilen geht er eine Meile zu Fuß weiter, lässt sich erneut nieder oder kehrt in sein Zimmer zu seinem Schreibgerät zurück. Er schreibt nämlich lyrische Gedichte in beiden Sprachen [Griechisch und Latein] […]. Wenn die Stunde des Bades gekommen ist – im Winter zur neunten, im Sommer zur achten Stunde [3 bzw. 2 Uhr] –, spaziert er, wenn es windstill ist, ohne Kleidung in der Sonne herum. Anschließend heißt es: Bewegung beim Ballspiel, intensiv und lange, denn auch mit dieser Übung kämpft er gegen die Beschwernisse des Alters. Nach dem Essen begibt er sich zur Ruhe und wartet noch ein wenig mit dem Speisen. Inzwischen lässt er sich etwas Leichtes und Angenehmes vorlesen […]. Dann wird das Essen aufgetragen, ein ebenso stattliches wie frugales Mahl, auf Geschirr aus reinem und altem Silber […]. Häufig wird das Menü durch einen Komiker angereichert, damit der Appetit durch geistige Genüsse zusätzlich animiert wird. Man bleibt auch im Sommer bis in die Nacht hinein zusammen. Keinem wird bei der geselligen Atmosphäre, in der das Mahl stattfindet, langweilig.
Wann der alte Spurinna gestorben ist, wissen wir nicht. Er starb jedoch in dem Bewusstsein, ein standesgemäßes Leben geführt zu haben, das allerdings auch, zumindest in der zweiten Hälfte, nicht einer gewissen Eintönigkeit entbehrte. Das einzig Produktive in dieser Phase seines Lebens war das Gedichteschreiben. In seinem früheren Leben war er mal als Politiker und Verwaltungsfachmann tätig gewesen. Unter den Kaisern Vespasian (reg. 69–79) und Domitian (reg. 81–96) hatte er in Germanien verantwortungsvolle Tätigkeiten ausgeübt. Doch irgendwie sehnte er sich nach einem anderen, einem ruhigen Leben: Als er im Jahr 97 in eine Kommission berufen wurde, deren Aufgabe es war, Maßnahmen zur Reduzierung des Staatshaushaltes zu ergreifen, ließ er sich mit der Rücksicht auf seine angegriffene Gesundheit von dieser Aufgabe entbinden.
Den Tagesablauf des Kaisers Vespasian (reg. 69–79) beschrieb sein Biograph Sueton folgendermaßen (Vespasian 21):
Als Kaiser wachte er ganz früh, während es noch Nacht war, auf. Daraufhin las er Briefe und Berichte aller seiner Beamten, bevor er seine Freunde zu sich lud. Während man ihm seine Aufwartung machte, zog er sich selbst Schuhe und Kleider an. Waren alle anfallenden Geschäfte erledigt, unternahm er eine Spazierfahrt, um anschließend etwas zu ruhen. Eine von seinen Beischläferinnen […] lag dann neben ihm. Von seinen Privaträumen ging er erst ins Bad und dann ins Speisezimmer. Zu keinem anderen Zeitpunkt (des Tages) soll er zugänglicher und milder gestimmt gewesen sein, und die Bediensteten nutzten diese Augenblicke ganz besonders, um ihre Anliegen vorzutragen.
Wer nun der Meinung ist, es in Sachen Fleiß bei dem immer etwas behäbigen Kaiser Vespasian mit einem imperialen Ausnahmefall zu tun zu haben, muss diese Ansicht korrigieren, wenn er sich ansieht, wie andere Kaiser ihre Zeit verbrachten. Von Betriebsamkeit und Emsigkeit ist da häufig keine Spur zu finden. Wie in so vielen anderen Bereichen, so hatte auch in Sachen Arbeit der erste Kaiser Augustus (reg. 27 v. Chr. – 14 n. Chr.) den Kurs vorgegeben. Ruhe, so seine demonstrativ vorgelebte Botschaft, ist die erste Kaiserpflicht (Sueton, Augustus 78):
Nach dem Mittagessen gönnte er sich eine kurze Zeit der Ruhe, mit jener Kleidung und jenen Schuhen, die er gerade anhatte. Die Füße blieben frei, die Hand legte er über die Augen. Wenn er zu Abend gegessen hatte, machte er es sich auf einer Liege in seinem Arbeitszimmer bequem. Dort hielt er sich bis tief in die Nacht auf, indem er alles oder doch den größten Teil dessen, was vom Arbeitspensum des Tages übrig geblieben war, erledigte. Erst dann begab er sich zu Bett, schlief aber nicht länger als sieben Stunden. Und auch dies nicht durchgehend: In diesem Zeitraum wachte er drei- oder viermal auf. Wenn er einmal wach geworden war und dann, wie es häufig geschah, nicht mehr einschlafen konnte, holte er einen Vorleser oder einen Fabulator [Erzähler], schlief danach wieder ein und öfter bis Anbruch des Tages durch. Im Dunkeln wachte er niemals, ohne dass ihm jemand Gesellschaft leistete. Frühes Aufstehen mochte er nicht. War es wegen seiner dienstlichen Obliegenheiten oder wegen einer Opferzeremonie nicht zu vermeiden, früher wach zu werden, blieb er, um Unannehmlichkeiten zu vermeiden, im Speisesaal im oberen Stockwerk des Hauses eines Freundes. Aber auch so musste er häufig Schlaf nachholen. Er schlief auch, während man ihn durch die Straßen trug und wenn seine Sänfte abgestellt wurde.
Kaiser Augustus stellte unter Beweis: Ein Weltreich kann man auch im Schlaf regieren.
Harte körperliche Arbeit kam für die Reichen in der Antike, die von ererbtem oder selbst angehäuftem Vermögen oder von den Pachterträgen ihrer großen Güter lebten, selbstverständlich nicht infrage. Ihr Schreckensbild waren die »Banausen«, ein stigmatisierender Begriff, den die Griechen geprägt hatten: Der Banause war speziell der Arbeiter, der sich als Töpfer, Schmied, Bäcker oder in einer anderen schweißtreibenden handwerklichen Tätigkeit an einem Ofen abmühte. In seinem Oikonomikos, einem Buch über die Hauswirtschaft, schreibt im 4. Jahrhundert v. Chr. der griechische Schriftsteller Xenophon (4,2–3):
Die banausischen Arbeiten sind berüchtigt. In den Städten werden sie zu Recht geringgeschätzt. Sie schwächen die Körper der Arbeiter und die der Aufseher. Denn sie sind gezwungen, im Dunkeln (einer Werkstatt) zu sitzen, manche sogar dazu, den ganzen Tag am Feuer zu verbringen. Dadurch aber wird der Körper in Mitleidenschaft gezogen, und es lassen auch die Kräfte des Geistes nach. Doch vor allem rauben die banausischen Tätigkeiten die Muße, sich den Freunden und der Politik zu widmen. Aus diesem Grund sind diese Menschen nicht geeignet, Freundschaften zu pflegen oder ihre Heimat zu verteidigen.
Prägnanter kann die Haltung der Aristokraten und der bürgerlichen Eliten zur arbeitenden Bevölkerung nicht ausgedrückt werden: Wer arbeitet, wird verachtet. Mit solchen Menschen ist kein Staat zu machen, und man will sie auch nicht als Freunde haben. Dass die Reichen ohne die Banausen nicht ihren gehobenen Lebensstil pflegen könnten, wird geflissentlich übersehen. Die Produkte ihrer Arbeit werden genossen, die Produzenten selbst ins Abseits gestellt. Mit einem dicken Konto ließ sich natürlich gut räsonieren über die negativen Auswirkungen körperlicher Mühen auf die geistigen Kapazitäten. In dieses Horn stießen auch renommierte Intellektuelle wie die Philosophen Platon und Aristoteles. Banausen, so erklärte Letzterer kategorisch, hätten nicht das Recht, Bürger zu sein.
Etwas differenzierter werden die Situation und das Image der Handwerker im 5. Jahrhundert v. Chr. von dem griechischen Historiker Herodot beschrieben (Historien 2,167). Offenbar gab es in der Einschätzung handwerklicher Tätigkeiten bei den Griechen auch regionale Unterschiede. Auf diesen Aspekt kommt der für Alltagsfragen aller Art ungewöhnlich stark sensibilisierte Autor im Rahmen einer Darstellung der Sitten und Gebräuche in Ägypten zu sprechen: Viele Menschen in Ägypten würden, so behauptet er, keinerlei Handwerk betreiben und sich voll und ganz auf den Krieg konzentrieren. Von dieser etwas zweifelhaften Aussage aus richtet er den Blick zu den Griechen, die in vielen Dingen gelehrige Schüler der Ägypter gewesen seien:
Ob die Griechen nun auch diese Haltung von den Ägyptern übernommen haben, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Denn auch die Thraker, Skythen, Perser und Lyder – also praktisch alle Nichtgriechen – halten ihre Landsleute, die ein Handwerk erlernt haben, für minderwertiger als die anderen […]. Wer sich aber von jeder handwerklichen Tätigkeit fernhält, gilt als vornehm, und dies ist ganz besonders bei denjenigen der Fall, die sich ausschließlich dem Kampf widmen. Diese Einstellung haben alle Griechen angenommen, allen voran die Spartaner, während die Korinther mit Handwerkern die wenigsten Schwierigkeiten haben.
Sparta war ein Kriegerstaat par excellence, hier zählte als Pluspunkt auf der Skala der beruflichen Tätigkeiten nur der militärische Erfolg. Korinth war die Stadt der Kaufleute und Händler, hier standen handwerkliche Aktivitäten in einem höheren Ansehen.
Auch in der griechischen Metropole Athen soll es den Banausen besser gegangen sein. Der Historiker Thukydides lässt im späten 5. Jahrhundert v. Chr. in seinem Werk über den Peloponnesischen Krieg (2,40,1) Perikles, den führenden Politiker in Athen, in einer öffentlichen Rede das Loblied auf Staat und Gesellschaft im Schlagschatten der Akropolis singen:
Wir lieben die Kunst in maßvoller Art und Weise, und wir lieben den Geist ohne Müdigkeit. Reichtum dient bei uns dazu, Gutes zu tun, nicht, sich mit Worten zu brüsten. Das Eingeständnis, arm zu sein, ist bei uns keine Schande, wohl aber, wenn man nicht versucht, durch Arbeit die Armut abzuschütteln.
Worte aus der Abteilung Sonntagsreden? Konnte so ein Grieche sprechen? Nicht die körperliche Arbeit an sich ist erniedrigend, sondern wenn man es nicht schafft, sich aus der Armut zu befreien. Perikles, die Nummer Eins unter den Rednern in Athen, meinte genau das, was er sagte. Es handelt sich um einen Appell an die unteren Schichten, durch Arbeit ihr Los zu verbessern. Krempelt die Ärmel hoch, so die Forderung, und schafft euch eine goldene Zukunft!
Die Römer hatten zur körperlichen Arbeit eine ähnliche Einstellung wie ihre griechischen Kollegen. Repräsentativ sind in dieser Hinsicht die Aussagen des Redners, Politikers und Philosophen Cicero, der seine Worte so gewandt zu wählen verstand, dass er auf Rankings mit den besten Sprüchen aus der Antike immer einen Spitzenplatz einnimmt. Cicero war ein homo novus