Vorerst gescheitert - Karl-Theodor zu Guttenberg - E-Book

Vorerst gescheitert E-Book

Karl-Theodor zu Guttenberg

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Beschreibung

Erstmals seit seinem Rücktritt von allen Ämtern steht Karl-Theodor zu Guttenberg Rede und Antwort. Mit "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo spricht er offen und ausführlich über seinen aufsehenerregenden Fall und seine Zukunft. In einem Schlagabtausch unterhalten sich Giovanni di Lorenzo und Karl-Theodor zu Guttenberg über die Plagiats-Affäre und deren Folgen. Sie sprechen über zu Guttenbergs Herkunft und seine Familie, über die Zeit als politischer Überflieger im Wirtschafts- sowie im Verteidigungsministerium, über seinen Umgang mit den eigenen Fehlern, über die Zeit nach dem Rücktritt; und über die Voraussetzungen für die Rückkehr eines immer noch enorm populären Politikers. Es geht auch um die großen Themen der Zeit: der schlechte Zustand der deutschen Politik und Parteien und was dagegen getan werden müsste, die Macht und die Mechanismen der Medien sowie notwendige Schritte in der Europa- und Außenpolitik. Ein Buch, das die Person Guttenberg beleuchtet, neue Einsichten in seinen Fall bietet und gleichzeitig Ausblick auf das gibt, was eines der größten politischen Talente gegenwärtig und in Zukunft bewegt.

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Seitenzahl: 222

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Karl-Theodor zu Guttenberg im Gespräch mit Giovanni di Lorenzo

Vorerst gescheitert

Wie Karl-Theodor zu Guttenberg seinen Fall und seine Zukunft sieht

Impressum

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2011

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Redaktionelle Mitarbeit: Jan Patjens

ISBN (E-Book): 978-3-451-33911-0

ISBN (Buch): 978-3-451-30584-9

Inhaltsübersicht

Vorwort

Kapitel 1: Aufstieg und Fall

»Die größte Dummheit meines Lebens« – Die Dissertation

»Plötzlich bekam ich die volle Breitseite ab« – Der »Fall« und die Medien

»Ein Minister hat keine Holschuld« – Die Kundus-Affäre

»Mit Zähnen und Klauen gekämpft« – Die Reform der Bundeswehr

Kapitel 2: Herkunft und Prägung

»Unter dem Strich sehr heilsam« – Familienleben

»Ich habe keine Lebensvorbilder, höchstens Situationsvorbilder« – Biographische Orientierungspunkte

»Ich sah die latente Gefahr, überschätzt zu werden« – Faszination und Preis der Macht

Kapitel 3: Politik und Parteien

»Viele kennen noch nicht einmal das kleine Einmaleins« – Wirtschafts- und Finanzpolitik

»Die Union sitzt noch in der Mitte … Sie sitzt eben und steht nicht« – Alte Parteien, neue Parteien?

»Zynismus ist an der Tagesordnung« – Politik im globalen und europäischen Kontext

Kapitel 4: Gegenwart und Zukunft

»Das Wasser wird schnell kühler« – Nach dem Rücktritt

»Wer fällt, muss auch wieder aufstehen können« – Die nächsten Jahre

|7|Vorwort

Karl-Theodor zu Guttenberg sagt, er habe sich wenigstens seinen Abschied aus Deutschland etwas unauffälliger gewünscht. Es war ein Augusttag am Flughafen Tegel, vor dem Schalter von Air Berlin. Seine Frau war schon nach Amerika geflogen, nun wollte der Rest der Familie nachkommen, von New York aus weiter nach Connecticut fahren, wo das Ehepaar Guttenberg mit seinen beiden Töchtern mittlerweile schon seit einem Vierteljahr lebt. Das Problem waren zwei Hunde, einer davon eine mehr als 60Kilo schwere Dogge. Guttenberg, nur notdürftig durch eine Baseballmütze getarnt, versuchte, die Tiere in die für den Flug vorgeschriebenen Käfige zu bugsieren, aber die Hunde dachten nicht daran, sich auch nur einen Schritt in diese Richtung zu bewegen.

Inzwischen hatte sich, wie bei einem Boxkampf, eine stattliche Menge von Schaulustigen um ihn, seine beiden Töchter und die Hunde herum gruppiert, der ehemalige Bundesminister war längst erkannt worden. Guttenberg hatte ein Beruhigungsmittel dabei, aber er traute sich vor so vielen Menschen, die schon eifrig fotografierten, nicht, es den Hunden zu verabreichen. Er habe, sagt er, in diesem Moment nur eins gedacht: »Das ist die einzige Schlagzeile, die uns noch fehlt: Guttenberg schläfert seine Hunde ein.«

Also fragte er in die Runde, ob es geboten sei, das Mittel einzusetzen. »Mach’ mal«, kam es von einem Zuschauer zurück. In der Aufregung, sagt Guttenberg, |8|habe er es mit der Dosierung wohl übertrieben, die Dogge jedenfalls lag wie vom Schlag gerührt auf dem Boden und bewegte keine Pfote mehr. Zu dritt schoben sie dann die Hunde in die Käfige, wobei die Töchter dem Vater immer wieder zuraunten, wie peinlich diese Situation doch sei.

Diese Anekdote erzählte Karl-Theodor zu Guttenberg am dritten Tag unseres Interview-Marathons, der in der zweiten Oktoberhälfte in einem Londoner Hotel stattfand. Es war der einzige heitere Exkurs, und die Geschichte kam ihm auch erst über die Lippen, als wir schon auf dem Rückweg zum Flughafen Heathrow waren. Guttenberg hatte keine einzige inhaltliche Bedingung für das Gespräch gestellt (das notwendigerweise auch ein Streitgespräch geworden ist), aber er hatte mit Sicherheit unterschätzt, was es für ihn bedeuten würde, den Skandal um seine Dissertation, dazu noch den märchenhaften Aufstieg, der ihm vorausging, in allen Details noch einmal aufleben zu lassen. Man merkte das am Gesprächsfluss, der immer wieder stockte und neu belebt werden musste. Guttenberg sieht heute auch anders aus als zu Beginn dieses Jahres, als er noch Bundesverteidigungsminister war. Er trägt keine Brille mehr, vor allem aber wirkt er älter; in sein Gesicht hat sich ein harter Zug eingegraben.

Wiederholt äußerte er am Rande der Gespräche, ein paar Mal auch während des Interviews, dass er »gezeichnet«, ja sogar ein wenig »traumatisiert« sei. Um gleich wieder die Angst zu äußern, dass man ihm dies als larmoyant auslegen oder ihm gar vorwerfen könnte, er würde die in seinen Augen ungleich schlimmere Traumatisierung, die Bundeswehrsoldaten bei ihrem Einsatz in Afghanistan erfahren hätten, relativieren. Er weiß, |9|dass er jetzt kein Mitleid zu erwarten hat: Zu eklatant war sein Verstoß gegen die Gebote wissenschaftlicher Arbeit, zu verheerend der Umgang mit der Affäre, zu groß die Enttäuschung über ihn, auch in Kreisen, die ihn bis dahin bewundert hatten.

Guttenbergs erstes öffentliches Bekenntnis seit seinem Rücktritt am 1.März ist ein Versuch geworden, das Unbegreifliche an seiner Doktorarbeit besser fassbar zu machen. Es ist eine Reflexion seiner persönlichen und politischen Entwicklung, zu der auch jenseits der Dissertation einiges gehört, was bis heute Fragen aufwirft. Es ist aber auch das Zeugnis eines Mannes, der zu den größten politischen Talenten in Deutschland zählt und der nie aufgehört hat, ein homo politicus zu sein. Es ist unmöglich, dieses Interview so zu lesen, als wolle sich Guttenberg in Zukunft nicht mehr in die Politik einmischen. In welcher Form und wann genau er das tun wird, lässt er noch offen.

Kein Zweiter polarisiert inzwischen so sehr wie Guttenberg, in den Medien überwiegt deutlich die Ablehnung. Doch wer beobachtet hat, wie Deutsche sogar in London spontan auf ihn reagieren, kann gar nicht umhin festzuhalten, dass viele an seinem Werdegang Anteil nehmen und sich offenbar noch einiges von ihm versprechen.

Wer also die Rückkehr des Karl-Theodor zu Guttenberg auf die politische Bühne befürchtet, der fürchtet sich nach diesem Buch vermutlich völlig zu recht.

Giovanni di Lorenzo, im November 2011

|11|Kapitel 1

Aufstieg und Fall

»Die größte Dummheit meines Lebens« – Die Dissertation

Herr zu Guttenberg, seit Ihrem Rücktritt haben Sie alle Interviewanfragen abgelehnt. Nun haben Sie plötzlich eingewilligt und einen engen Zeitrahmen abgesteckt: Sie wollen, dass dieses Gespräch noch vor Jahresende erscheint. Warum diese Eile?

Es sind viele Menschen auf mich zugekommen, die mir gegenüber sehr positiv eingestellt sind, die aber noch viele Fragen an mich haben, vor allem mit Blick auf die Affäre um meine Dissertation. Mir war es wichtig, diese Fragen zu einem Zeitpunkt zu beantworten, an dem meine Erinnerung noch klar genug ist, bevor man also beginnt, die Dinge selbst zu verwischen.

Ist das für Sie jetzt eine Sache von Wochen?

Nein, keine Sache von Wochen. Aber es haben sich in den letzten Monaten Dinge aufgestaut, auch in der selbstkritischen Reflexion dessen, was geschehen ist. Ich wollte mich allerdings nicht früher äußern, weil ich zugegebenermaßen etwas Distanz brauchte.

Welche Fragen sind es denn, die Ihnen die Wohlmeinenden stellen?

Es ist vor allem die Frage, wie es bei jemandem, dessen politische Arbeit man sehr geschätzt hat, zu einer so unglaublichen Dummheit wie dieser Doktorarbeit kommen konnte. Die Menschen, auch Freunde und Bekannte, wollen wissen, was die Gründe dafür waren, dass jemand |12|einen solchen unbegreiflichen Fehler gemacht hat. Und ich hatte noch nicht die Möglichkeit, diese Fragen in aller Offenheit zu beantworten.

Was können Sie denn jetzt in aller Offenheit sagen?

Es steht völlig außer Frage, dass ich einen auch für mich selbst ungeheuerlichen Fehler begangen habe, den ich auch von Herzen bedauere. Das ist in dieser sehr hektischen Zeit damals auch ein Stück weit untergegangen. Ebenso, wie man sich damals bereits entschuldigt hat.

Sie reden von sich selbst in der dritten Person, Sie sprechen davon, dass »man sich damals bereits entschuldigt hat.« Ist es für Sie schwierig zu sagen: »Ich bitte um Entschuldigung«?

Nein, im Gegenteil. Das wurde mir schon mal vorgeworfen, dass ich die dritte Person gebrauche. Faktisch ist das ein ich. Das »man« soll auch keine Distanzierung bedeuten. Es ist ein anerzogener Sprachgebrauch, der sich bei mir wahrscheinlich über die Jahre hinweg eingeschliffen hat, der eine gewisse Form von Zurückhaltung zum Ausdruck bringen soll und den man zu Recht kritisieren kann. Tatsächlich bedauere ich, tatsächlich habe ich mich damals entschuldigt, da habe ich auch nicht von »man« gesprochen. Tatsächlich bin ich verantwortlich für das, was ich im Leben richtig und gelegentlich falsch gemacht habe.

Sie haben die Frage, die Ihnen so oft gestellt wird, noch nicht glaubhaft beantworten können: Wie konnte es zu dem kommen, was Sie einen »ungeheuerlichen Fehler« nennen?

Der Fehler war bereits relativ früh angelegt. Ich habe im Jahr 1999 mit einer Doktorarbeit begonnen, und schon damals war eine Doppelbelastung absehbar: Ich bin bereits |13|während des Studiums von der Familie erheblich mit in die Pflicht genommen worden, in unserem Unternehmen. Ich habe mit meinem Doktorvater Peter Häberle über diese Doppelbelastung gesprochen, und wir waren beide der Meinung, die Dissertation sei trotzdem zu schaffen. Im Jahr 2001 habe ich mich dann entschieden, in die Politik zu gehen, und bin diese Herausforderung mit voller Kraft angegangen. Darunter hat natürlich die Beschäftigung mit der Doktorarbeit sehr gelitten.

Was heißt das?

Das heißt, dass es nach einer Anfangsphase, in der ich mich intensiver mit der Dissertation beschäftigt habe, plötzlich Zeiträume von mehreren Monaten bis zu einem Jahr gab, in denen ich mich teilweise überhaupt nicht mehr mit dieser Arbeit befasst habe und im Grunde immer wieder von vorne anfangen musste. In dieser Zeit ist bereits ein grundlegender Fehler angelegt, nämlich meine Arbeitsweise.

Wie haben Sie gearbeitet?

Ich war ein hektischer und unkoordinierter Sammler. Immer dann, wenn ich das Gefühl hatte, dass etwas zu meinem Thema passt, habe ich es ausgeschnitten oder kopiert oder auf Datenträgern sofort gespeichert oder direkt übersetzt.

Wie sind Sie denn dabei vorgegangen? Haben Sie Copy und Paste gedrückt und die Bausteine abgespeichert? Oder haben Sie die Zitate eigenhändig eingetippt?

Ganz unterschiedlich, in allen Formen. Ich habe Dinge abgeschrieben und in den Computer eingegeben; ich habe Kopien gemacht, abgelegt und gesagt, das wird später |14|noch bearbeitet. Oder ich habe es sofort bearbeitet. Später habe ich gewisse Textstellen auch mal aus dem Internet herausgezogen, auch diese abgespeichert, wieder auf unterschiedlichen Datenträgern. Eigentlich war das eine Patchworkarbeit, die sich am Ende auf mindestens 80Datenträger verteilt hat.

80Datenträger?

Ich habe für jedes Kapitel eine Diskette angefertigt, ich habe unterschiedliche Ordner angefertigt, ich habe über die Jahre hinweg auf vier unterschiedlichen Computern gearbeitet, die an unterschiedlichen Orten waren. Übersetzungen habe ich manchmal auf langen Flügen vorgenommen. Ich habe auf Reisen an der Dissertation gearbeitet, manchmal in Universitätsbibliotheken oder wenn ich bei einem Think-Tank unterwegs war. Irgendwann hatte ich einen Wust an Informationen, der allerdings, abgesehen von den Gliederungspunkten, keinerlei innere Ordnung mehr hatte.

Und was genau war Ihrer Meinung nach der Fehler?

Ich habe insbesondere am Anfang, aber auch später den Fehler begangen, dass ich auf diesen Datenträgern sowohl an eigenen Texten gearbeitet als auch fremde Texte übernommen habe. Ich wollte diese Quellen später entsprechend aufarbeiten. Tatsächlich ist das nur sehr mangelhaft geschehen. Das ist etwas, was sich über die Jahre hinweg aufgebaut hat. Ich hatte einen großen Text- und Gedankensteinbruch, habe immer mal wieder von Datenträger zu Datenträger gewechselt, eigene und fremde Texte nach Themen aufgegliedert und an unterschiedlichen Stellen als Rohlinge geparkt. Ich habe nie chronologisch, sondern immer an einem |15|Kapitel gearbeitet. Dann war ein Jahr Pause, und ich habe im Grunde wieder von vorn begonnen. Der größte Fehler war, dass ich den Zitaten- und Fußnotenapparat nicht gleichzeitig oder wenigstens zeitnah abgeschlossen hatte. Ich wusste offensichtlich später auch nicht mehr, an welchem Text ich selbst bereits gearbeitet hatte, welcher Text mein eigener und welcher möglicherweise ein Fremdtext war, insbesondere beim Zusammenfügen dieser Bruchstücke. In juristischen Dissertationen ist es übrigens durchaus üblich, mit vielen Fremdtexten zu arbeiten, allerdings müssen die Quellen klar gekennzeichnet sein.

Haben Sie so von Anfang an gearbeitet, auch als Sie noch nicht in der Politik waren?

Ja, auch in den ersten eineinhalb bis zwei Jahren, als ich sehr viel Zeit und Kraft in die Doktorarbeit investiert habe und sie für mich Priorität hatte. Mit Blick auf diese Arbeitsweise kann man mir fraglos mehrere sehr berechtigte Vorwürfe machen, die ich mir selber auch mache.

Nämlich?

Der erste Vorwurf ist der, dass ich während meines vollen beruflichen Engagements komplett den Zeitpunkt verpasst habe zu sagen: Ich schaffe diese Arbeit nicht mehr. Ich hatte nicht die Kraft, mir das selbst und meinem Professor gegenüber einzugestehen.

Welches Verhältnis hatten Sie zu Ihrem Doktorvater?

Ich mochte und mag ihn sehr. Zwischen uns ist damals ein großes Vertrauensverhältnis gewachsen. Dass ich ihm Schmerzen zugefügt habe, ist etwas, das mich tief bewegt und erschüttert.

|16|Hatten Sie zwischendurch nie das Gefühl, dass Sie die Doktorarbeit nicht schaffen konnten?

Das Gefühl hatte ich zwischendurch durchaus, wenn ich merkte, dass ich jedes Mal von vorn beginnen musste. Aber ich habe den Hochmut besessen zu glauben, das schaffe ich. Ja, ich war so leichtsinnig zu glauben, dass ich das irgendwie hinbekomme, nachdem es mir ja auch gelungen war, einen einigermaßen erfolgreichen politischen Weg zu gehen. Und dann hatte ich vielleicht fälschlicherweise das Gefühl, das andere sei mit einem Federstrich auch machbar. Mir hat komplett die notwendige Selbstreflexion gefehlt. Ich hätte etwas aufgeben müssen, das bereits fehlerhaft angelegt war.

Was ist der zweite Vorwurf, den Sie sich machen?

Der zweite Vorwurf, der mit dem ersten zusammenhängt, ist, dass ich die Augen vor der Überforderung verschlossen habe. Das politische Leben hat mich nicht überfordert, wohl aber die parallele wissenschaftliche Arbeit. Das hätte ich sehen müssen. Nachdem ich in die Politik gegangen war, konnte ich, wenn überhaupt, nur noch in den Nachtstunden an der Dissertation arbeiten. Meine Arbeitsweise konnte man dann irgendwann nur noch chaotisch nennen. Insbesondere in der Endphase der Arbeit lag der Schwerpunkt nicht mehr auf der notwendigen wissenschaftlichen Sorgfalt, sondern auf Inhalt und Schlüssigkeit meiner Aussagen. Ich wollte mit dem Ineinanderfügen der unterschiedlichen Kapitel ein geschlossenes intellektuelles Ganzes abliefern. Ich hätte mir die wissenschaftliche Kärrnerarbeit antun müssen. Die sorgfältige Detailarbeit, gerade das korrekte Einarbeiten und Zitieren fremder Quellen, ist wiederholt unterblieben. Diese Arbeiten hätten niemals unter Zeitdruck stattfinden dürfen.

|17|Hat Ihnen die ganze Zeit über niemand dabei geholfen?

Mein Doktorvater hat sicher sein Bestes versucht. Allerdings hatte ich viel zu wenig Zeit, mich mit ihm rückzukoppeln. Wir hatten zwar ein von großer Herzlichkeit geprägtes Verhältnis und eine klassische Lehrer-Schüler-Bindung, aber wenn es hoch kam, haben wir uns vielleicht einmal im Jahr gesehen.

Ich meinte eigentlich: Hat jemand für Sie die Arbeit geschrieben, zumindest in Teilen?

Nein, wer sollte auch? Es gab in meiner unmittelbaren Umgebung keinen Juristen und niemanden, der sich mit der Materie befasst hätte. Das war ja ein Thema, mit dem ich immer wieder konfrontiert wurde – die europäische Verfassungsentwicklung, die Fragen des Gottesbezugs, haben mich in diesen Jahren politisch begleitet. Deshalb hatte ich immer wieder Ansatzpunkte, um zu sagen: Ich mach das Ding doch weiter! Ein wesentlicher Fehler war, dass ich mir nicht eingestanden habe, damit überfordert zu sein. Das hatte sicherlich auch mit Hochmut zu tun und mit einem gerüttelt Maß an Eitelkeit. All das ergibt eine ziemlich verheerende Kombination.

Die im Ernst sieben Jahre anhält?

Ja. Natürlich hatte ich nicht das Gefühl, dass das sieben Jahre lang andauert. Wenn Sie ein Jahr lang mal wieder nicht an etwas herumschreiben, sind Sie gar nicht damit befasst. Es kommt in Ihrem Kopf gar nicht vor, es kehrt erst in dem Moment wieder zurück, in dem Sie sich wieder darauf konzentrieren oder ein motivierendes Gespräch mit Ihrem Professor führen.

|18|Ist Ihnen bewusst, dass es selbst in Kreisen, die Ihnen wohlgesinnt sind, kaum jemand glauben kann, dass Sie Ihre Arbeit allein zusammengestöpselt haben?

Ich habe davon gelesen, und natürlich ist mir in der damaligen Zeit das Schmunzeln vergangen. Aber man hätte wahrscheinlich darüber schmunzeln müssen: Ich habe den Blödsinn wirklich selber verfasst, und ich stehe auch dazu.

Sie würden auch unter Eid und vor Gott sagen, dass das niemand für Sie geschrieben hat?

Ja, selbstverständlich. Das wiederum können meine Familie und mein unmittelbares Umfeld am allerbesten bezeugen.

Haben Sie vorsätzlich getäuscht?

Das ist der Vorwurf, der mich am meisten trifft, ein Vorwurf, dem ich begegnen will und begegnen muss: Wenn ich die Absicht gehabt hätte, zu täuschen, dann hätte ich mich niemals so plump und dumm angestellt, wie es an einigen Stellen dieser Arbeit der Fall ist.

Oliver Lepsius, der Nachfolger auf dem Lehrstuhl Ihres Doktorvaters, hat Sie schlicht einen Betrüger genannt.

Was übrigens bemerkenswert ist für einen Juristen. Es zeugt nicht von großer juristischer Kunstfertigkeit, einen Betrugsvorwurf zu zimmern, wenn jeder Jurist sofort weiß, es kann rechtlich kein Betrug sein, ganz egal, wie man zu Guttenberg steht. Ich war über diesen Herrn schon erstaunt.

Geht es hier wirklich um juristische Feinheiten?

Entschuldigung, ein Verfassungsrechtler kann doch nicht nach landläufiger Form verurteilen, er sollte schon |19|juristisch sauber bleiben. Ich habe ja eine juristische Arbeit geschrieben. Und niemand lässt sich gern Betrüger nennen, wenn es kein Betrug ist, was im Gegensatz zu Herrn Lepsius auch die Staatsanwaltschaft klar feststellt. Die ist allerdings auch unabhängig und nicht politisch getrieben.

Angesichts des unfassbar großen Anteils an abgeschriebenen Stellen in Ihrer Dissertation hat Herr Lepsius mit Blick auf Ihre öffentlichen Erklärungen geschrieben: »Entweder er lügt, oder er ist meschugge.«

Er hat sich mehrfach sehr krass ausgedrückt, und er hat auch davon gesprochen, man sei einem Betrüger aufgesessen. Ich kann mir nicht erklären, warum er als Jurist mit solchen Begriffen um sich wirft, außer, er will Aufmerksamkeit erregen. Das ist ihm fraglos gelungen. Es gibt böse Zungen, die sagen, das macht man, um Bundesverfassungsrichter zu werden und dabei von einer politischen Seite unterstützt zu werden.

Können Sie diesen fatalen Eindruck, den man von Ihnen gewonnen hat, wirklich nicht nachvollziehen? Sie sagen, Sie hätten einfach nur chaotisch gearbeitet. Aber Ihre Arbeit ist flüssig geschrieben, systematisch gegliedert und enthält eine schlüssige Argumentation. Von Ihrem Doktorvater haben Sie dafür sogar die Bestnote bekommen. Wie passt das zusammen?

Ich habe eben diese fatale Schwerpunktverlagerung vorgenommen, weg vom Detail, hin zum großen Ganzen, so dass die Arbeit in ihrer Gesamtheit einfach schlüssig dasteht. So bin ich auch mit all den Teilen der Arbeit umgegangen, die originär aus meiner Feder stammen. Auch an denen habe ich korrigiert. Wenn jemand |20|ein Buch schreibt, korrigiert er am Ende noch mal an seinen Fragmenten herum. Aber in diesem unglaublichen Wust von selbstgeschriebenen und fremden Fragmenten hätten die fremden Fragmente eben mit Quellenangaben sauber gekennzeichnet werden müssen.

Warum haben Sie das nicht gemacht?

Das habe ich bereits zu beantworten versucht. Und man muss auch da noch mal genau differenzieren. Es sind sehr viel mehr Quellen benannt, als letztlich behauptet worden ist. Es ist ein großer Unterschied, ob man wissenschaftlich unsauber arbeitet oder tatsächlich plagiiert. Es wird ja teilweise das Bild vermittelt, als gäbe es in dieser Arbeit Hunderte von Stellen ohne jegliche Quellenangabe.

»1218Plagiatsfragmente aus 135Quellen auf 371 von 393Seiten« – das ist der letzte Stand der Internet-Plattform GuttenPlag Wiki.

Ich möchte jetzt nicht meine wissenschaftlichen Fehler kleinreden, es sind viel zu viele. Aber es ist auch ein gewisses Maß an Kritikfähigkeit im Umgang mit solchen Plattformen vonnöten. Es ist schon ein Unterschied, ob man eine Stelle aus einem fremden Werk komplett übernimmt und den Autor dann nirgends auftauchen lässt, oder ob man den Autor tatsächlich ins Literaturverzeichnis übernimmt und ihn, wenn auch fehlerhaft, in den Fußnoten benennt. In diesem Fall haben Sie keine Täuschungsabsicht, sonst würden Sie den Autor doch gar nicht aufführen.

|21|Warum haben Sie die Fußnoten denn fehlerhaft gesetzt, und warum tauchen manche Autoren nur im Literaturverzeichnis auf?

Das hängt eben mit der beschriebenen Patchworkarbeit zusammen, damit, dass ich Dinge zusammengefasst, hin- und hergeschoben, immer wieder zusammengedröselt habe. Nach fünf, sechs Jahren konnte ich den Fußnotenapparat nicht mehr richtig überprüfen: Stimmt das jetzt, ist das jetzt genau der Bezugspunkt, ist das der Text?

Die beiden Zwischenberichte, die bei GuttenPlag im Februar und im März 2011 veröffentlicht wurden, sind sehr differenziert; da werden zum Beispiel unterschiedliche Plagiats-Kategorien definiert und unverifizierte Fundstellen ausgewiesen. Vor allem sind Beispiele aus Ihrer Doktorarbeit für alle sichtbar dokumentiert. Wenn man sich eine Weile umgeschaut hat, dann fragt man sich, wie aus so vielen Puzzleteilen »aus Versehen« eine wissenschaftliche Arbeit entstehen konnte.

Noch einmal: Wenn ich geschickt hätte täuschen wollen, hätte ich es vermieden, Textstellen so plump und so töricht in diese Arbeit zu übernehmen, dass sie sich für jeden betroffenen Autor sofort erschließen, der dann zum Beispiel einen Vergleich mit seinem Werk vornimmt, das im Literaturverzeichnis sogar benannt ist. Wer die ersten Zeilen seiner Einleitung komplett aus einem Zeitungsartikel abschreibt, dann aber gleichzeitig so doof ist, die Autorin dieses Textes im Literaturverzeichnis zu benennen, der handelt nicht absichtlich, sondern aus Überforderung und weil er den Überblick verloren hat!

Sie sprechen jetzt von der Politikwissenschaftlerin Barbara Zehnpfennig. Sie hat 1997 einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht, in dem es um die Frage ging, |22|ob der amerikanische Weg zur Union ein Vorbild für Europa sein könne. Sie lassen Ihre Dissertation mit dem leicht veränderten ersten Satz dieses Artikels beginnen, auch auf der zweiten Seite Ihrer Einleitung und später im Text tauchen Sätze von Frau Zehnpfennig auf.

Wenn ich hätte täuschen wollen, dann hätte ich den Teufel getan und diese Autorin im Literaturverzeichnis benannt oder ich hätte wenigstens den Text signifikant umgeschrieben. Das haben ja auch viele meiner Kritiker gesagt: Wenn der Mann einen Rest an Intelligenz hat, dann hätte er anders getäuscht.

Ist die Wahrscheinlichkeit denn so groß, dass so etwas auffliegt? In Ihrem Fall musste erst der Rechtswissenschaftler Andreas Fischer-Lescano kommen und sich Ihre Arbeit vornehmen.

Ja, die Wahrscheinlichkeit ist relativ groß, dass die Dissertation eines Abgeordneten, die in einem renommierten Verlag erschienen ist, irgendwann zum Beispiel einer Frau Zehnpfennig in die Hände fällt – allein schon, weil sie ja mit dem Thema befasst ist! Und sie wäre doch die Erste gewesen, die über die Einleitung stolpert. Dann würde sie hinten im Literaturverzeichnis nachschauen und sich selbst dort finden.

1999, als Sie mit Ihrer Doktorarbeit begannen, waren das Internet und seine Suchmaschinen noch nicht so verbreitet wie heute. Da war einem vielleicht noch nicht klar, dass in nur wenigen Jahren jeder Nutzer mit relativ einfachen Mitteln zum Plagiatsjäger werden kann.

Na ja, in den Jahren 2005 und 2006, als die Arbeit abgeschlossen wurde, war das sehr wohl bekannt.

|23|Wie sind die Sätze von Frau Zehnpfennig denn an den Anfang Ihrer Doktorarbeit gelangt?

Das glaube ich sogar noch rekonstruieren zu können! Ich war damals von dem Gedanken »e pluribus unum«, »Aus vielen eines«, elektrisiert, weil er in der amerikanischen Verfassungswirklichkeit eine gewaltige Rolle spielt und wunderbar für die europäische Verfassungsidee passt. Und ich hatte damals, ganz zu Beginn meiner Beschäftigung mit der Arbeit im Jahr 1999 oder 2000, mehrere Textfragmente bearbeitet, die mit »e pluribus unum« begannen. Außerdem hatte ich selbst ein Textfragment mit diesem lateinischen Zitat entworfen, mit den jeweiligen Fußnoten, mit allem, was dazugehört. Als ich dann fünf, sechs Jahre später diese Einleitung gestalten wollte, war der Artikel von Frau Zehnpfennig ein Teil dieser unterschiedlichen Texte, und die korrekte Zuordnung war mir offensichtlich nicht mehr möglich. Ich habe diese Sätze schlicht für meine eigenen gehalten.

Sie haben sie für Ihre eigenen gehalten?

Ja. Ich hatte zumindest immer das Gefühl, dass es sauber bearbeitete Texte sind. Das ist ja erst mal nichts Ungewöhnliches. In jeder juristischen Arbeit gibt es Fremdtexte, die bearbeitet sind und mit Fußnoten versehen werden. Nicht immer mit Anführungszeichen, sondern zum Beispiel mit einem »vgl.« versehen. Ich habe mir mittlerweile einige Textstellen, die ich übernommen habe, noch einmal angeschaut. Und dabei festgestellt, dass einige der Autoren, deren Passage ich übernommen habe, selbst nicht ganz korrekt gearbeitet haben. Ist das nicht bizzar?

Sie meinen, das ist akademische Praxis?

Nicht zwingend Praxis, aber es kommt öfter vor als |24|manche behaupten. Aber ich will nicht vom Ausmaß meines »Gestöpsels« – so sagten Sie, glaube ich – ablenken.

Würden Sie sagen, dass das, was Sie am Ende abgeliefert haben, eine Textcollage ist?

Ich verstehe, wenn man das objektiv so sieht.

Wenn Sie so ein Textfragment auf eine Ihrer Disketten gespeichert haben – haben Sie dann nie die Quellenangaben dazugeschrieben?

Vielfach ja, und teilweise habe ich die Angaben auch schon in den Fußnotenapparat geschrieben und zum Beispiel mit einem »vgl.« versehen, obwohl es sich eigentlich um ein wörtliches Zitat handelte und Anführungszeichen notwendig gewesen wären. Ich habe die ganze Zeit über zu schlampig gearbeitet – das Nacharbeiten der Fundstellen sollte später erfolgen. Ich tröstete mich damit, dass die Quellen ja weiterhin zur Verfügung standen.

Wenn Sie nicht die Absicht hatten, Ihre Quellen zu verschleiern, warum haben Sie in den Zitaten dann immer wieder einzelne Wörter verändert?

Das ist schlicht der Schlussredaktion geschuldet. Wenn man am Ende sagt, man möchte eine Arbeit als großes Ganzes abliefern, und man hat über die Jahre unterschiedlichste Fragmente zusammengestellt, dann geht man da zum Schluss eben noch mal sprachlich drüber, wie über einen Aufsatz.

Ging es Ihnen nicht eher darum, die Quelle leicht zu verfremden?

Unsinn! Wenn ich etwas verschleiern wollte, würde ich es so verfremden, dass es niemand merkt. Das dürfen Sie mir durchaus zutrauen.

|25|Hatten Sie nie den Gedanken, das ist eine so schöne Formulierung, die übernehme ich jetzt einfach mal, wird schon nicht auffallen? Ist Ihnen das völlig fremd?

Nein, natürlich ist mir dieser Gedanke nicht fremd. Aber ein schöner Gedanke sollte in einer wissenschaftlichen Arbeit sauber zitiert werden. Die Lust, von diesem und jenem Dinge zu übernehmen, die hatte ich nicht. Ich wollte einfach nur mit der Arbeit fertig werden und mich nicht mehr erneut mit all den Details befassen, weil ich geglaubt habe, das genügt und das reicht. Aber es reichte eben nicht.

Wissen Sie, dass fast die gesamte wissenschaftliche Gemeinde, die sich von Ihrem Fall sehr getroffen fühlt, Ihnen nicht glaubt?

Ich äußere mich doch hier zum ersten Mal umfassend über die Hintergründe. Zudem haben mich auch aus der – zu Recht sehr aufgebrachten – wissenschaftlichen Gemeinde zahlreiche aufmunternde Zurufe erreicht. Zurufe, die meinen bis dahin gegebenen Erklärungen Glauben schenkten und die meine Entschuldigung annahmen. Aber: Die bisher wirkungsvollste Verurteilung wurde wissenschaftlich verpackt und von manchen leider für ein unabhängiges Urteil gehalten.

Sie spielen auf die Kommission »Selbstkontrolle in der Wissenschaft« der Universität Bayreuth an, die zu dem Schluss gekommen ist, Sie hätten »die Standards guter wissenschaftlicher Praxis evident grob verletzt und hierbei vorsätzlich getäuscht«.

Ja. Und dazu muss man einige Dinge feststellen: Der erste Teil der Aussage ist grundsätzlich richtig, ebenso wie die daraus folgende Aberkennung des Doktortitels. Der zweite Teil, ich hätte vorsätzlich getäuscht, bringt höflich formuliert ein Ziel zum Ausdruck, das die Universität |26|