Wahrnehmendes Beobachten in Krippe und Kindertagespflege - Marjan Alemzadeh - E-Book

Wahrnehmendes Beobachten in Krippe und Kindertagespflege E-Book

Marjan Alemzadeh

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Beschreibung

Das vorliegende Buch stellt das prozessorientierte Beobachtungsverfahren "Wahrnehmendes Beobachten" in Krippe und Kindertagespflege vor. Dabei geht es um das tagtägliche Erfassen frühkindlicher Lern- und Bildungsprozesse, indem man sich den Kindern mit ihren Vorstellungen und Denkweisen nähert und ihre Absichten und Interessen erfasst. Ziel ist es auf Grundlage der Beobachtungen die pädagogische Arbeit an den individuellen Möglichkeiten und Ressourcen der Kinder auszurichten. Neben einer theoretischen Verortung des Verfahrens finden sich eine Vielzahl praktischer Beispiele zum einen mit dem Fokus auf kindlichen Bildungsprozessen und zum anderen auf den Interaktionsprozessen zwischen Kind und pädagogischer Fachkraft in Alltagssituationen. Mit Videosequenzen zum Streamen!

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Seitenzahl: 431

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Alle Videos stehen Ihnen unter folgendem Link zur Verfügung:https://www.wahrnehmendes-beobachten.de/beispiele

Zitiervorschlag:Alemzadeh, M. (Hg.) (2024): Wahrnehmendes Beobachten in Krippe, Kita und Kindertagespflege.Eine Partizipatorische Didaktik. 2. Aufl. Freiburg im Breisgau: Herder.

2., überarbeitete Auflage 2024

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2021

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Sabine Ufer, Leipzig

Layout, Satz & Gestaltung: Sabine Ufer, Leipzig

Fotos: siehe Bildquellenverzeichnis

E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN (Print) 978-3-451-39835-3

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83365-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-83367-0

Inhalt

Vorwort

Einleitung: Wahrnehmendes Beobachten in der Krippe

Teil 1: Theoretische Einbettung

1.1 Die Entstehung und Entwicklung des Wahrnehmenden Beobachtens

Marjan Alemzadeh, Gerd E. Schäfer, Antje Steudel & Julia Tiedeken

1.2 Partizipatorische Didaktik in der Krippe

Marjan Alemzadeh

1.3 Fotodokumentation: Mit Licht und Schatten explorieren

Marjan Alemzadeh mit Fotos von Diana Schiborr

1.4 Grundlegendes zum Wahrnehmenden Beobachten

Gerd E. Schäfer

1.5 Die praktische Anwendung des Wahrnehmenden Beobachtens

Marjan Alemzadeh

1.6 Der Dokumentationskreislauf

Claudia Fleck

1.7 Anregende Bildungsräume in der Krippe schaffen, die Selbstbildungspotenziale herausfordern

Angelika von der Beek

Teil 2: Praktische Beispiele

2.1 Wahrnehmende Beobachtungen mit dem Fokus auf frühkindliche Bildungsprozesse

2.1.1 Tjorben baut in die Höhe

Nina Langer, Jennifer Rißmann & Petra Figur

2.1.2 Das Sammeln von Erfahrungswissen beim Tonen

Madita Döring & Angela Franzen

2.1.3 Katharina malt an der Staffelei

Bettina Uhlig & Marjan Alemzadeh

2.1.4 Matti, der Treppenmeister!

Michael Heutz

Theoretische Reflexion der Interaktionsgestaltung zwischen Matti und seinem Erzieher und weiterführende Gedanken zur Bedeutung von Bewegung

Kathrin Meiners

2.1.5 „Meins! Nein, meins!“

Julia Seidel, Marjan Alemzadeh & Petra Best

2.1.6 Wir telefonieren miteinander

Annegret Neuhof, Marjan Alemzadeh & Petra Best

2.1.7 Freudiges Spritzen und Forschen an der Wasserrinne

Sabrina Werner, Sarah Luckhardt & Marjan Alemzadeh

2.2 Wahrnehmendes Beobachten in Alltagssituationen mit dem Fokus auf Interaktionsprozesse

2.2.1 Waschen nach dem Mittagsschlaf

Marjan Alemzadeh, Samira Woods & Ayla Ünal

2.2.2 Alltägliche Herausforderungen – Gemeinsam Regenkleidung anziehen

Majelle Scholz & Marjan Alemzadeh

2.2.3 Im Morgenkreis: Wenn Sonne und Mond scheinen

Leonie Mohr, Paula Valentin & Marjan Alemzadeh

2.3 Wahrnehmendes Beobachten in schwierigen Situationen

2.3.1 Paul kann nicht einschlafen

Claudia Fleck, Marjan Alemzadeh & Marymar del Monte

2.3.2 Ella möchte nicht gewickelt werden

Claudia Fleck & Marjan Alemzadeh

Schlusswort

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Bildquellenverzeichnis

Vorwort

Das Wahrnehmende Beobachten hat sich in den vergangenen 20 Jahren zum differenzierten praktischen und theoretischen Kern einer Pädagogik des Innehaltens in einer Kultur des Lernens entwickelt. Innehalten der pädagogischen Fachkräfte, um sich der Stimme und Mitwirkung der Kinder – in all ihrer Verschiedenheit – zu versichern; Kultur des Lernens, weil die Unterstützung kindlicher Bildungsprozesse sowohl individueller pädagogischer Haltungen als auch sozialer Abstimmungen, institutioneller Voraussetzungen, gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und politischer Weichenstellungen bedarf. Das Lernen der Einzelnen wird eingebettet in ein Lernen der Vielen und in ein wechselseitiges Lernen voneinander.

Ein „Zuhören“ der Erwachsenen mit allen Mitteln öffnet als notwendige Vorleistung einen Raum, in dem sich Kinder mit ihren jeweils gegebenen Möglichkeiten überhaupt zu „Gehör“ bringen können. Verständigungs- und Aushandlungsprozesse zwischen dem, was Kinder, und dem, was Erwachsene wollen, bauen darauf auf. Es geht um die Entstehung und Sicherung eines wechselseitigen Resonanzraumes, in dem Erwachsene Kindern, Kinder Erwachsenen zuhören können. Vielfaches Zuhören Erwachsener, Resonanz der sozialen Umwelt, zwischenmenschliche Verständigung sowie eine Kultur des Lernens bilden beim Wahrnehmenden Beobachten eine Einheit, die in diesem Buch sowohl alltagspraktisch als auch vor dem Hintergrund theoretischer Bezüge entwickelt wird.

Darüber hinaus zeigt dieses Buch, wie sich eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen einem Universitätsinstitut (der Universität zu Köln), ehemaligen Mitarbeiter:innen, Studierenden und engagierten Fachkräften aus dem Bereich Kindertagesstätten über zwei Jahrzehnte fortentwickelt und auf zahlreiche weitere Personen und Institutionen ausgedehnt hat. Es belegt ebenso, dass diese Zusammenarbeit durch soziale und gesellschaftliche Resonanzräume unterstützt und herausgefordert wurde.

Schließlich werden hier auch Ausschnitte aus einem pädagogischen Alltag dokumentiert, der kindliches Interesse und die soziokulturellen Möglichkeiten in unserer Gesellschaft miteinander zu vermitteln versucht. Weder Kompetenzen noch Kindorientierung weisen einer Pädagogik des Innehaltens und der Verständigung den Weg, sondern Kultur als Möglichkeit der Kinder, wenn sie Gelegenheit bekommen, sich daran zu beteiligen und darüber mit anderen auszutauschen.

Mich erfüllt es mit einer tiefen Befriedigung zu erleben, dass sich das Projekt des Wahrnehmenden Beobachtens selbst als Projekt einer Kultur des Lernens zwischen Hochschulen und pädagogischen Handlungsfeldern entwickelt hat. Natürlich waren auch Fehlschläge nicht vermeidbar. Sie boten Anlässe, daraus zu lernen. Für die Mitwirkung an dieser Arbeit, ihre Ausdauer und Kontinuität bin ich allen Beteiligten, von denen einige auch an diesem Buch mitgewirkt haben, von ganzem Herzen dankbar. Sie alle aufzuzählen ist schier unmöglich: Wenn ich versuche, sie in mir aufzulisten, fallen mir immer wieder weitere ein.

Das vorliegende Buch markiert ein Innehalten, um sich einige Ergebnisse dieses gemeinsamen 20-jährigen Lernens bewusst zu machen, sie zu hinterfragen und Ausgangsbedingungen für weitere Entwicklungen festzuhalten.

Würzburg, im September 2020

Gerd E. Schäfer

Einleitung: Wahrnehmendes Beobachten in der Krippe

In diesem Buch „Wahrnehmendes Beobachten in Krippe und Kindertagespflege. Partizipatorische Didaktik“ werden vielfältige Beispiele zum Wahrnehmenden Beobachten im U3-Bereich dokumentiert, die in den letzten acht Jahren in verschiedensten Kontexten entstanden sind. Das Wahrnehmende Beobachten ist aus meiner Sicht das zentrale Element einer Partizipatorischen Didaktik – weshalb es mir eine große Herzensangelegenheit ist, diese Form des achtsamen Miteinander-Seins mit Kindern in die Welt zu tragen. So lehre ich das Wahrnehmende Beobachten sowohl an der Hochschule als auch in Fort- und Weiterbildungen für pädagogische Fachkräfte. Ich besuche regelmäßig selbst Kindertagesstätten, Krippen und auch Kindertagespflegestellen, in denen ich wahrnehmend beobachte und immer wieder dazulerne. Das von mir entwickelte Partizipatorische Eingewöhnungsmodell ist auf dieser Grundlage entstanden. Ich erhalte immer wieder von Menschen, die Fort- und Weiterbildungen zum Wahrnehmenden Beobachten besucht haben, tolle Wahrnehmende Beobachtungen aus ihrer Praxis.

In diesem Buch möchte ich Ihnen einen Einblick in diese vielen Beispiele geben, die ganz unterschiedlich entstanden sind. Zum Teil sind es meine eigenen Videoaufnahmen, die ich in Einrichtungen gemacht habe und zu Übungszwecken in meinen Seminaren einsetze. Einige Studierende haben diese Wahrnehmenden Beobachtungen so toll ausgearbeitet, dass ihre schriftlichen Ausarbeitungen Teil dieses Buches geworden sind. Zum Teil sind es aber auch Wahrnehmende Beobachtungen von Praktiker:innen, die mich so begeistert und die wir gemeinsam intensiv reflektiert haben, um tiefgründiger das Verhalten von Kindern, Eltern und pädagogischen Fachkräften zu verstehen. Auch sie sind Teil des Buches geworden. Ich konnte einige sehr geschätzte Kolleg:innen dafür gewinnen, ihre Perspektive als Fachmenschen für bestimmte Bereiche mit in die Analyse der Beobachtungssequenzen einzubringen. Die Qualität der Auswertungen ist dadurch, dass verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen an dem Prozess des Beobachtens, Schreibens und Reflektierens involviert waren, aus meiner Sicht sehr gestiegen.

So finden Sie nun eine Fülle von Beispielen, an denen pädagogische Fachkräfte, vor allem Erzieher:innen, ehemalige Studierende der Universität Gießen aus dem Bachelorstudiengang „Bildung und Förderung in der Kindheit“ und aus dem Masterstudiengang „Inklusive Pädagogik und Elementarbildung“, Studierende der Hochschule Rhein-Waal aus dem Bachelorstudiengang „Kindheitspädagogik“, Kolleginnen, die ebenfalls als Referentinnen in der Fort- und Weiterbildung zu diversen Themen in der frühkindlichen Bildung tätig sind oder an Hochschulen lehren und forschen, mitgewirkt haben. Deshalb spricht dieses Buch auch all diese Zielgruppen an: Es richtet sich an alle Menschen, die in der Praxis mit Kindern arbeiten, es zukünftig tun werden oder aber auch selbst in der Lehre, Weiterbildung oder Forschung tätig sind. Es kann auch für Eltern eine hilfreiche Lektüre sein, um kindliche Bildungsprozesse besser nachvollziehen zu lernen.

Die vielen differenzierten Beispiele verdeutlichen praxisnah, was es bedeutet, eine pädagogische Haltung zu entwickeln: die Kinder und ihre Anliegen ernst zu nehmen und zum Ausgangspunkt pädagogischen Handelns zu machen.

Die doppelte Perspektive des Wahrnehmenden Beobachtens, die versucht, sowohl die kindliche Perspektive als auch die Perspektive des Beobachters zu verstehen, ist vor allem in den Situationen, in denen wir den Fokus auf Interaktionsprozesse legen, sehr bedeutsam. Ich freue mich vor allem darüber, in diesem Buch auch erstmalig aufzuzeigen, wie Wahrnehmendes Beobachten in schwierigen Situationen dazu beitragen kann, pädagogische Situationen besser zu verstehen. Dies kann aus meiner Sicht zukünftig dazu beitragen, als pädagogische Fachkraft bei Dilemma-Situationen im Team alternative Handlungsweisen zu entwickeln, um die Rechte der Kinder zu wahren und sich selbst als pädagogische Fachkraft weiterzuentwickeln.

Im ersten Teil des Buches werden die Entstehung des Wahrnehmenden Beobachtens und die theoretischen Grundlagen ausführlich beschrieben und erklärt. Das Kapitel „Partizipatorische Didaktik in der Krippe“ zeigt auf, dass Wahrnehmendes Beobachten Teil eines Bildungsverständnisses ist, das in eine Kultur des Lernens eingebettet ist und nicht losgelöst als Beobachtungsmethode funktioniert. Es stellt vielmehr eine pädagogische Haltung dar, die die Selbstbildungsprozesse der Kinder stärken möchte, durch Beziehungs-, Sach-, Struktur- und Kulturpotenziale, die es den Kindern ermöglichen, in ihrem eigenen Rhythmus, aber in enger Beziehung zu den Pädagogen eigenen Fragen, Themen und Anliegen nachzugehen und zu wachsen. Hierzu gehört es auch, anregende Bildungsräume zu schaffen, die die Selbstbildungspotenziale der Kinder herausfordern. Im zweiten Teil des Buches werden dann in drei Unterkapiteln zahlreiche praktische Beispiele aus dem Krippen- und Tagespflegebereich vorgestellt – mit dem Fokus auf frühkindliche Bildungsprozesse, Alltagssituationen und Interaktionsprozesse in schwierigen Situationen. Wenn zu einem Beispiel die Wahrnehmende Beobachtung auch als Videobeobachtung vorliegt, finden Sie hinter dem Titel ein Videosymbol. Am Ende des Beispiels gibt es dann einen Link und einen QR-Code, mit dem Sie schnell und einfach zur Videoszene gelangen.

Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre und auf der Reise durch die unterschiedlichen Situationen und hoffe, dass sie Ihnen viele neue Erkenntnisse bringen. Wenn auch Sie spannende Wahrnehmende Beobachtungen haben, die Sie mit mir teilen möchten, freue ich mich über eine Kontaktaufnahme per E-Mail: [email protected]

Ich möchte an dieser Stelle vielen Menschen danken. Mein größter Dank gilt wie immer den Kindern, von denen ich in diesem Leben schon so viel lernen durfte und täglich wieder lernen darf – nicht zuletzt durch meine eigenen beiden Kinder Samuel und Amara. Darüber hinaus danke ich natürlich allen Menschen, die an diesem Buch mitgewirkt und einen aktiven Beitrag geleistet haben! Insbesondere danke ich Gerd E. Schäfer, bei dem ich das Wahrnehmende Beobachten gelernt habe und es seitdem zu meinem eigenen wichtigsten Erkenntnisinstrument weiterentwickeln und ausbauen durfte. Ich danke dir für deine Beiträge in diesem Buch und deine Zeit, die du jahrelang investiert hast, um das Wahrnehmende Beobachten als wichtigste Grundlage für eine Partizipatorische Didaktik zu entwickeln und bekannt zu machen. Auch für deine Rückmeldungen zu meinen Texten in diesem Buch und dein Vertrauen danke ich dir herzlich.

Ich danke all den wunderbaren Menschen, die aktiv an diesem Werk mitgeschrieben und einen hervorragenden Beitrag geleistet haben – sie alle werden im Autorenverzeichnis kurz vorgestellt. Ich danke allen Kollegen und Kolleginnen, die Textteile des Buches gelesen und mir Rückmeldungen gegeben haben. Insbesondere möchte ich meiner Kollegin Helen Weinbach danken, mit der ich gemeinsam an der Hochschule Rhein-Waal den Studiengang B.A. Kindheitspädagogik leite. Ich danke dir, Helen, für dein authentisches Interesse an diesem Buch und deine Zeit, um Teile des Buches aufmerksam zu lesen und mir differenzierte Rückmeldungen zu geben. Auch Claudia Fleck möchte ich hier hervorheben, die immer wieder Textteile gelesen und kommentiert hat; auch deine Feedbacks, Claudia, haben zu einer Präzisierung der Texte beigetragen, vielen Dank!

Darüber hinaus möchte ich mich natürlich bei allen Einrichtungen bedanken, in denen ich filmen und fotografieren durfte – insbesondere bei der Kindertageseinrichtung und Familienzentrum „Am Kaiserberg“ der Evangelischen Michaelsgemeinde Wieseck in Gießen. Ein besonderer Dank gilt dabei der Kindheitspädagogin Anna Binder, die wir in ihrer täglichen Arbeit mit den Krippenkindern mehrere Wochen filmen durften. Ich danke ebenfalls der Krippe Rominger, dass ich Videoaufnahmen, die dort während einer Beratung entstanden sind, für dieses Buch nutzen darf. Diana Schiborr von der Großtagespflege Krea Kids der Kreativitätschule in Bergisch Gladbach danke ich sehr für die hervorragenden Fotos, die sie mir für die Foto-Dokumentation „Mit Licht und Schatten explorieren“ zur Verfügung gestellt hat. Indem sie alle bereit waren, mich als Gast und Beobachterin zu empfangen, und dafür gesorgt haben, dass diese Beobachtungen veröffentlicht werden dürfen (herzlichen Dank auch an alle Eltern für die Einverständniserklärungen), tragen sie dazu bei, das Wahrnehmende Beobachten vielen Menschen zugänglich zu machen. Auch dem Alternativen Wohlfahrtverband SOAL e.  V. in Hamburg gilt mein großer Dank für eine wunderbare Zusammenarbeit, in der ein konstruktiver Dialog immer im Mittelpunkt steht. Die vielen Rückmeldungen der Praktiker:innen haben die Weiterentwicklung des Wahrnehmenden Beobachtens immer mit geprägt.

Meinen studentischen Mitarbeiterinnen Mara Janßen und Sarah Luckhardt gilt ebenfalls ein großer Dank für ihre Unterstützung bei der Entstehung dieses Buches!

Außerdem danke ich aus tiefstem Herzen meiner Familie, insbesondere meinem Mann und meinen Kindern, die mich immer wieder auch in den Abendstunden und am Wochenende entbehren mussten, damit ich am Schreibtisch dieses Werk voranbringen konnte. Sie wissen, dass es mir eine Herzensangelegenheit ist, und haben mich immer in meinem Tun unterstützt, bestärkt und mir oft den Rücken freigehalten. Meinen Eltern danke ich sehr für ihren Mut, dass sie damals aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet sind, um meiner Schwester und mir ein Aufwachsen in einem demokratischen Land zu ermöglichen. Auch sie haben mich stets in meinem Vorhaben unterstützt. DANKE.

Bergisch Gladbach, im Dezember 2020

Marjan Alemzadeh

Teil 1: Theoretische Einbettung

1.1 Die Entstehung und Entwicklung des Wahrnehmenden Beobachtens

MARJAN ALEMZADEH, GERD E. SCHÄFER, ANTJE STEUDEL & JULIA TIEDEKEN

Wahrnehmendes Beobachten wurde im engen Austausch mit der Praxis entwickelt. In verschiedenen Modellprojekten suchten Pädagog:innen, die in elementarpädagogischer Praxis oder an Hochschulen tätig waren, zusammen Wege der praktischen Umsetzung aktueller Bildungstheorien. Verbindend war dabei folgende Auffassung zur Praxis und Theorie frühkindlicher Bildungsprozesse (Schäfer 2003, 2011, 2019): In allen Projekten ging es nicht um die rein theoretische Implementierung bestimmter Auffassungen, sondern gemeinsam mit den beteiligten Menschen und Einrichtungen sollten Möglichkeiten einer zeitgemäßen Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen gefunden werden, die einer Partizipatorischen Didaktik gerecht werden.

Praxis und Theorie befruchteten sich dabei wechselseitig. Anhand des in der Praxis gewonnenen Materials wurden theoretische Überlegungen überprüft und neue Theorieansätze entwickelt, denen dann in weiteren Untersuchungen und Projekten nachgegangen wurde. Dabei spielte die Beobachtung eine entscheidende Rolle.

Die Entwicklung des Konzepts vom Wahrnehmenden Beobachten lässt sich schwerpunktmäßig in vier Phasen unterteilen, die allerdings nicht scharf voneinander getrennt werden können. Vielmehr handelt es sich um allmähliche Verschiebungen:

Phase 1: In den ersten Projekten ging es noch um ein tastendes Versuchen empathischen Beobachtens, was sich auch in begrifflichen Unklarheiten und Schwankungen ausdrückte. In dieser Zeit lag noch ein einseitiger Fokus auf dem Beobachten der Kinder.

Phase 2: Nun wurde der Versuch einer theoretischen Verankerung und praktischen Konsolidierung unternommen. Als Grundlage diente das Dissertationsprojekt „Bildungsprozesse in Kindertageseinrichtungen – Beobachtendes Wahrnehmen als Grundlage pädagogischen Handelns“ von Antje Steudel.

Phase 3: Die vor allem praxisbezogene Ausarbeitung des Konzepts bildete einen Schwerpunkt im Qualitätsentwicklungsprojekt des Alternativen Wohlfahrtsverbands SOAL e.V. in Hamburg (siehe S. 16 f.). Parallel dazu wurden vergleichbare Bemühungen im Projekt einer Lernwerkstatt Natur in Mülheim an der Ruhr (siehe S. 15 f.) unternommen. In beiden Projekten rückten zunehmend auch die didaktischen Schritte, die aus dem Wahrnehmenden Beobachten hervorgingen, in den Mittelpunkt.

Phase 4: Diese Phase ergab sich mit dem Projekt einer zweieinhalbjährigen Weiterbildung für Fach- und Leitungskräfte im Land Tirol/Österreich (siehe S. 19). Wahrnehmendes Beobachten wird hier zu einer pädagogischen Übungspraxis als Grundlage einer pädagogischen Haltung, die wechselseitige Beteiligung und Verständigung ins Zentrum frühpädagogischen Handelns stellt.

Phase 1: Wir tasten uns heran

Das Projekt „Bildung im Elementarbereich – Wirklichkeit und Phantasie“

Das Projekt „Bildung im Elementarbereich – Wirklichkeit und Phantasie“ fand in Thüringen statt und wurde vom dortigen Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit finanziell gefördert. Inhaltlich ging es um die Untersuchung frühkindlicher Bildungsprozesse in Kindertageseinrichtungen. Verbunden damit war die Unterstützung der pädagogischen Fachkräfte bei der Suche nach angemessener Begleitung dieser Bildungsprozesse. Vier thüringische Kindertageseinrichtungen wurden in einem Projektzeitraum von circa drei Jahren, von Oktober 2001 bis Dezember 2004, durch ein modular aufgebautes Fortbildungsprogramm begleitet. Die einzelnen Module hatten verschiedene inhaltliche Schwerpunkte und unterschiedliche organisatorische Strukturen (vgl. von der Beek, Schäfer & Steudel 2006).

Im Modul Bildungsprozesse ging es darum, die konkreten alltäglichen Erfahrungen der Kinder in den Mittelpunkt der erwachsenen Aufmerksamkeit zu rücken, um sie einer reflektierenden Auseinandersetzung zugänglich zu machen. Auf dieser Basis sollte dann eine Erweiterung des pädagogischen Handelns angestrebt werden. Vor diesem Hintergrund stetiger, reflektierter Rückmeldungen der Praktiker:innen konnte so – im Verbund mit theoretischen Hintergründen – das Wahrnehmende Beobachten entwickelt werden. Es sollte sich den Blickwinkeln der Kinder annähern, die individuelle und soziale Lebenslage der handelnden Erzieher:innen einbeziehen und die Spezifität fachlich pädagogischen Handelns widerspiegeln.

Dazu wurden die vier beteiligten Einrichtungen jeweils vier Mal im Jahr für einen Tag von einer Projektmitarbeiterin besucht, die am Vormittag am Kita-Alltag teilnahm. Dabei beobachtete sie offen wahrnehmend die Kinder in ihren Bildungsprozessen und erhielt gleichzeitig einen Eindruck von der Arbeit der Fachkräfte. So hatten die Erzieher:innen Gelegenheit, die beobachtende Haltung selbst zu erleben und als Orientierungsrahmen für ein eigenes Beobachten zu nutzen. Am Nachmittag fanden dann Gespräche mit dem jeweiligen Team der Einrichtung statt. Im Mittelpunkt standen dabei zunächst die Beobachtungen der Projektmitarbeiterin, mit der Zeit aber verstärkt die Beobachtungen der Erzieher:innen, deren Ergebnisse den Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung der pädagogischen Arbeit in der Einrichtung bildeten.

Das Projekt „Professionalisierung Frühkindlicher Bildung“

Dieses Projekt wurde im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen von 2002 bis 2005 in Zusammenarbeit mit dem (damaligen) Sozialpädagogischen Institut NRW durchgeführt. Nach der Veröffentlichung der Bildungsvereinbarung NRW (vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen 2003), in der trägerübergreifende Grundsätze der Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen formuliert wurden, sollten mit dem Projekt Hilfen für die Praxis bei der Umsetzung der Vereinbarung ermöglicht werden (vgl. Schäfer & Strätz 2005).

In dem Projekt wurden die beteiligten Einrichtungen in einem Beratungsprozess durch Projektmitarbeiter:innen begleitet. Für die Einrichtungen ging es dabei um eine Weiterentwicklung ihrer Bildungsarbeit im Hinblick auf die Grundsätze der Bildungsvereinbarung. Dem Wahrnehmendem Beobachten kam auch in diesem Entwicklungsprozess eine zentrale Rolle zu: Sowohl auf einer theoretisch-systematischen Ebene als auch auch in seiner praktischen Umsetzung konnte die Methode anhand der Rückmeldungen aus der Praxis weiterentwickelt werden.

Dazu wurden die Einrichtungen von den Projektmitarbeiter:innen regelmäßig besucht, wobei die Gestaltung des Tages nach einer ähnlichen Struktur wie im Thüringer Projekt erfolgte. Vormittags beobachteten die Projektmitarbeiter:innen die Bildungsprozesse der Kinder. Nachmittags wurde im Team über diese wie auch die eigenen Beobachtungen der Erzieher:innen und über allgemeine Fragen zu Beobachtung und Dokumentation sowie zur konzeptionellen Weiterentwicklung der Einrichtung gesprochen.

Die Ausgangslage der Projekte

Im Konzept des Wahrnehmenden Beobachtens – der Begriff war damals noch nicht festgelegt, es wurde auch vom beobachtenden Wahrnehmen gesprochen – dominierte damals der Aspekt des Beobachtens aus einer einfühlenden Perspektive. Das Ziel war, ein besseres Verständnis für die jeweiligen kindlichen Wahrnehmungs- und Handlungsperspektiven zu gewinnen.

Wenn man dabei nicht nur das Verhalten der Kinder in den Blick nahm, sondern ihre wahrscheinlichen oder möglichen Empfindungen, Fantasien, Gedanken oder Äußerungen, dann war dies nicht ohne den Aspekt der Selbstwahrnehmung der Fachkräfte möglich. Vieles davon ließ sich nämlich nur im empathischen Miterleben erfassen und damit über das, was die Beobachter:innen beim Beobachten am eigenen Leib erfuhren. Im Laufe der Beobachtungen entwickelten sich daher nicht nur die Fähigkeiten, mit Aufmerksamkeit den vielfältigen Pfaden kindlicher Tätigkeiten zu folgen, sondern auch die Sensibilität dafür, was diese Wahrnehmungen in den Beobachter:innen selbst an Empfindungen, Gefühlen und Handlungsimpulsen hervorriefen.

Im Laufe der Zeit wurde immer deutlicher, wie das, was beobachtet und wahrgenommen wurde, und das, was die Fachkräfte selbst erlebten, empfanden und erinnerten, miteinander zusammenhing. Es war zu erkennen, dass es nicht die objektive Beobachtung gab, sondern nur eine Beobachtung dessen, was im Wahrnehmungs-, Erlebens- und Interessenhorizont der jeweiligen Fachkräfte aufscheinen konnte. Mithin wurden neue Blickwinkel und Aspekte oftmals nur sichtbar, wenn es gelang, die Aufmerksamkeitsrichtung der Erzieher:innen im gemeinsamen reflexiven Nachspüren über das Beobachtungsmaterial zu verändern.

Selbstwahrnehmung und Wahrnehmung der Kinder spielen also zusammen. Es ist schwer möglich, nur die Perspektive der Kinder wahrzunehmen, da wir meist in einer Interaktion sind und unsere Biografie stark darüber mitbestimmt, was wir als interessant am kindlichen Tun bemerken. Und genau dieses Zusammenspiel von Selbst- und Fremdwahrnehmung führte dazu, schließlich am Begriff des Wahrnehmenden Beobachtens festzuhalten.

Vor diesem Hintergrund gab es zwei Schwerpunkte für die Weiterentwicklung des Konzepts:

1. einen theoretischen, in dem es um eine weitere Klärung dieses Konzepts einer Beobachtung mit zwei Brennpunkten geht, und

2. die praktische Umsetzung in der Alltagspraxis wie in der Fort- und Weiterbildung.

Diese beiden Schwerpunkte wurden in den folgenden Projekten verstärkt in den Blick genommen.

Phase 2: Theoretische und praktische Konsolidierung

„Bildungsprozesse in Kindertageseinrichtungen – Beobachtendes Wahrnehmen als Grundlage pädagogischen Handelns“

In diesem von einer Stiftung unterstützen Dissertationsprojekt beschreibt und begründet Antje Steudel (2009) das Wahrnehmende Beobachten als Werkzeug pädagogischer Praxis – wie es zentraler Bestandteil der Bildungsvereinbarung in NRW ist – vor einem theoretischen und pädagogisch praktischen Hintergrund.

Dabei werden Brücken in die Theorie (u. a. zur Phänomenologie, Ethnographie, Psychoanalyse und Balintgruppenarbeit) geschlagen. Beobachtung wird als Prozess erkennbar, in dem wahrgenommene Phänomene als Ergebnisse eines gemeinsamen Handlungsprozesses von Beobachter:in und Beobachtetem entstehen. Das begründet, dass die Beobachter:innen nicht neutral sein können, sondern Teil des Beobachtungsgeschehens sind und damit in die Beobachtung mit einbezogen werden müssen. Das heißt, sie müssen sich, so gut es geht, im pädagogischen Prozess auch selbst wahrnehmen.

Diese auch theoretisch untermauerte, doppelte Beobachtungsperspektive hat dann in der Folge dazu geführt, dafür den Begriff des Wahrnehmenden Beobachtens festzuschreiben. Denn er bringt diese doppelte Perspektivität besser zum Ausdruck als der Begriff des beobachtenden Wahrnehmens. Letzterer suggeriert die Verdopplung einer Perspektive, als würde das Wahrnehmen selbst noch einmal beobachtet, während der Begriff doch ein Beobachten des äußeren Geschehens, bei gleichzeitigem Wahrnehmen des inneren Geschehens der Beobachter:innen, meint.

Nach der Beleuchtung der theoretischen Zusammenhänge, die die Diskussion um den geeigneten Begriff vorbereitet haben, werden in Steudels Arbeit die Grundgedanken auf die konkrete pädagogische Arbeit übertragen, an Beispielen exemplarisch dargestellt und reflektiert. Das Ergebnis dieser Praxis sind keine Entwicklungsberichte oder pädagogischen Evaluationsergebnisse, sondern Geschichten, in denen das soziale Zusammenspiel von Kindern und Erwachsenen in seinen bildungsrelevanten Aspekten deutlich wird. Die Autorin erweitert damit das Wahrnehmende Beobachten explizit um narrative Erzählungen und Dokumentationsverfahren, die es möglich machen, das Erleben von Kind und Erwachsenen in einer Geschichte zusammenzufassen. Solche Geschichten weisen zwar eine Nähe zu den Bildungs- und Lerngeschichten des Deutschen Jugendinstitutes auf, unterscheiden sich aber von diesen gerade dadurch, dass sowohl die Beteiligung der Kinder als auch der Erwachsenen an diesem Geschehen gleichermaßen in diese Geschichten einfließt.

Mit diesen theoretischen Klärungen und praktischen Ausdifferenzierungen konnte das Wahrnehmende Beobachten nun in den folgenden Projekten weiter ausgearbeitet werden.

Phase 3: Ausdifferenzierung in zwei weiteren Praxisprojekten

Das Projekt Kultur des Lernens-SOALQE

In enger Kooperation zwischen WeltWerkstatt e.V. und dem Alternativen Wohlfahrtsverband SOAL e.V. in Hamburg wurde das Wahrnehmende Beobachten seit 2004 weiterentwickelt und ins Zentrum einer Qualitätsentwicklung für Kindertageseinrichtungen, genannt Kultur des Lernens-SOALQE, gestellt. Dieses Verfahren entstand, als sich Anfang der 2000er Jahre in Hamburg Kitas in freier Trägerschaft, organisiert beim Alternativen Wohlfahrtsverband SOAL e.V. (www.soal.de), auf die Suche nach Qualitätsentwicklung machten. Claus Reichelt, bis 2016 Geschäftsführer des Verbandes und heute noch Referent, suchte Kontakt zu Wissenschaftler:innen, die ein Verständnis von Bildung und Pädagogik vertraten, das dem Menschenbild von SOAL e.V. entsprach. Er fand die Mitarbeitenden der WeltWerkstatt Köln e.V.1 mit Gerd E. Schäfer, Angelika von der Beek, Antje Steudel und Hilke Eden, die theoretische Grundlagen und mit ihren Projekten in Thüringen und Nordrhein-Westfalen Erfahrungen in der Umsetzung einbrachten. Mit Wedigo Wolfram vom Institut für Selbstreflexive Pädagogik in Stuttgart wurde das Gründungsteam für das Projekt komplett.2

Im Projekt Kultur des Lernens-SOALQE stehen Beteiligung, Verständigung und Beziehungsorientierung im Mittelpunkt des Geschehens, und die Module tragen dazu bei, eine Partizipatorische Didaktik umsetzen zu lernen. Dabei wird viel Wert auf die eigenen Erfahrungsprozesse gelegt, die die pädagogischen Fachkräfte innerhalb des Qualitätsentwicklungsverfahrens auf unterschiedlichen Ebenen machen können.

In Abstimmung mit den Praktiker:innen wurde gemeinsam ein modular aufgebautes Verfahren entwickelt, an dem seit 2004 inzwischen mehr als 80 Einrichtungen teilnahmen und -nehmen. Die inhaltlich aufeinander aufbauenden Module strukturieren den etwa dreijährigen Prozess und orientieren sich an eigens formulierten Rechten der Kinder:

• Kinder haben ein Recht auf Erzieher:innen, die ihr pädagogisches Verhalten und ihren Umgang untereinander reflektieren. Modul 1: Pädagogisches Selbstverständnis

• Kinder haben ein Recht auf Erzieher:innen, die ihre biografischen Lebenserfahrungen hinterfragen. Modul 2: Reflexion der eigenen Bildungsbiografie

• Kinder haben ein Recht auf eigene Bildungsprozesse, die von Erwachsenen anerkannt werden, obwohl sie häufig rätselhaft und fremd erscheinen. Modul 3: Wahrnehmendes Beobachten

• Kinder haben ein Recht auf Themen, Umgebungen und Materialien, die entdeckendem Lernen Raum geben. Modul 4: Raumgestaltung und Konzepte

• Kinder haben ein Recht auf Erzieher:innen, die ein vertieftes Interesse an einem Bildungsbereich haben. Modul 5: Bildungsbereiche und Fachmenschen

• Kinder haben ein Recht auf Nachhaltigkeit ihrer Bildungsprozesse. Modul 6: Zertifizierung und fortlaufender Weiterentwicklungsprozess

Diese Module wurden in weitere, sogenannte Rote-Faden-Veranstaltungen integriert, in denen das grundlegende Bildungsverständnis mit den Verantwortlichen für den QE-Prozess der beteiligten Einrichtungen vor den wissenschaftlichen Hintergründen reflektiert und diskutiert werden konnte.

Die Rechte der Kinder setzen dabei den Orientierungsrahmen für die Pädagogik und das zwischenmenschliche Miteinander in der Kita. Sie sollen sichern, dass alle daran beteiligten Menschen mit ihren Interessen und Bedürfnissen wahrgenommen werden sowie Räume und Möglichkeiten für eigene Entwicklung haben.

Das Wahrnehmende Beobachten bildet dabei den praktischen Kern, in dem die pädagogische Haltung, die pädagogische Praxis und die pädagogische Reflexion immer wieder zusammentreffen und auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden können.

In Anlehnung an die UN-Charta der Rechte der Kinder versteht sich die Qualitätsentwicklung KULTUR des Lernens-SOALQE auch als ein Verfahren, das bewusst gesellschaftspolitische Diskussionen um die Bedeutung nachhaltiger pädagogischer Prozesse in einer globalisierenden Welt sucht. Es unterliegt einem steten Wandel, um sich den ändernden Bedingungen in Kita und Gesellschaft anzupassen.

Das gesamte Projekt ist stark geprägt durch eine Theorie-Praxis-Verknüpfung auf allen Ebenen. So lernen die Theoretiker:innen durch den engen Kontakt mit den Praktiker:innen immer wieder, welche Themen die Praxis gerade bewegen, welche Umsetzungsschwierigkeiten es gibt, wo Bedarf nach Weiterentwicklung entsteht, aber auch, was besonders gut läuft, wie die Umsetzung der Konzepte gelingt und was von der Praxis als bereichernd erlebt wird. Einen praktischen Einblick geben die Wahrnehmenden Beobachtungen und Dokumentationen in Teil 2 dieses Buches (wie auch in anderen Veröffentlichungen, z.B. in Schäfer 2019). Die Praktiker:innen wiederum profitieren von den theoretischen Reflexionen, gerade weil sie auf diese Weise in die Lage kommen, ihr Tun vor sich selbst und den Eltern auch theoretisch transparent darstellen zu können.

Dass beides gelingen kann, ist wiederum dem Wahrnehmenden Beobachten geschuldet, denn jeder praktische Fall bedeutet die tägliche Aufgabe einer nachvollziehbaren theoretischen Klärung, und jeder theoretische Zugriff muss sich durch plausible Bezüge zur Praxis legitimieren.

Das Wahrnehmende Beobachten bildet den Prüfstein, an dem Praxis durch brauchbare Theorien durchsichtig gemacht und geeignete Theorien an praktischen Bezügen konkretisiert werden können. Wir nennen das dialogische Empirie.

Das Projekt Lernwerkstatt Natur

Das Projekt Lernwerkstatt Natur (Schäfer, Alemzadeh, Eden & Rosenfelder 2009; Schäfer & Alemzadeh 2012; Alemzadeh 2014) wurde von Mai 2006 bis Dezember 2011 als gemeinsames Projekt der Universität zu Köln und der Stadt Mülheim an der Ruhr realisiert. Die konzeptionelle Planung, die praktische Durchführung der pädagogischen Arbeit in der Lernwerkstatt Natur sowie die wissenschaftliche Begleitung des Projektes lagen in den Händen der wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen des Lehrstuhls Frühe Kindheit und Familie der Universität zu Köln, unter der wissenschaftlichen Leitung von Gerd E. Schäfer. Träger der Lernwerkstatt Natur war und ist die Stadt Mülheim an der Ruhr. Sie stellte das Grundstück für das Gebäude, den Holzhof und das Gelände im Witthausbusch unentgeltlich zur Verfügung. Der Witthausbusch, eine innerstädtische Parkanlage mit Wildgehege, Bachläufen, Teichen, großen Wiesenflächen und dem Schirrhof mit Tiergehege, war ein außerordentlich geeigneter Standort für das Projekt. Dort wurde das „base camp“ – ein Glashaus – als fester Standort gebaut. Die administrative Begleitung innerhalb der Stadtverwaltung Mülheim an der Ruhr lag beim Jugenddezernat.

Die erste Projektphase (Mai 2006 – Mai 2008) wurde von der Deutschen Telekom Stiftung sowie vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert. Die zweite Projektphase (Juni 2008 – Dezember 2011) wurde durch die Deutsche Telekom Stiftung, das Ministerium für Generationen, Familien, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen und die Leonhard- Stinnes-Stiftung finanziert. Seit Dezember 2011 liegt die gesamte Verantwortung des Projekts in den Händen der Stadt Mülheim an der Ruhr, beim Amt für Kinder, Jugend und Schule als Teil des Dezernates für Jugend, Schule und Kultur und wird eigenständig weitergeführt. Die Lernwerkstatt Natur wurde von Kindertagesstätten aller Träger besucht. Im Verlauf des Projektes gab es zwei verschiedene Phasen:

• In der ersten Projektphase lag der Schwerpunkt der Arbeit auf der Beobachtung kindlicher Bildungsprozesse.

• In der zweiten Projektphase wurde die Fort- und Weiterbildung der teilnehmenden Erzieher:innen zu einem weiteren Schwerpunkt.

In der zweiten Projektphase beinhaltete das Projekt eine Weiterbildung für die pädagogischen Fachkräfte, die sich durch die Teilnahme am Projekt im Bildungsbereich ‚Natur/Naturwissen‘ qualifizieren und die Weiterbildung mit einem Zertifikat abschließen konnten. In den Jahren 2009 und 2010 wurden zwölf Einrichtungen ausgewählt, die sich schriftlich beworben hatten. Aus diesen besuchten jeweils zwei Erzieher:innen im Verlauf eines Jahres drei Mal für jeweils eine Woche mit einer festen Gruppe von 20 Kindern die Lernwerkstatt.

Die Weiterbildung umfasste drei Wochen praktische Arbeit mit den Kindern aus der eigenen Einrichtung in der Lernwerkstatt „base camp“. Dabei standen das Erkennen und Begleiten von Bildungsprozessen im Vordergrund. Darüber hinaus gab es sechs ganztägige Weiterbildungsveranstaltungen zu folgenden Themen:

• Theorie frühkindlicher Bildung,

• Einführung in Theorie und Praxis des „Wahrnehmenden Beobachtens“,

• Kommunikation im pädagogischen Alltag,

• Theorie und Praxis verschiedener Zugänge zum Naturwissen.

Eine kontinuierliche Nachbereitung der Praxiswochen mit einer/einem Projektmitarbeiter:in der Lernwerkstatt Natur fand nach jeder Lernwerkstatt-Woche in der jeweiligen Kita bei einem zweistündigen Besuch statt. Dabei standen die pädagogische und konzeptionelle Arbeit sowie Reflexionsgespräche, wie bestimmte Inhalte und Arbeitsweisen aus der Lernwerkstatt für die eigene Einrichtung genutzt werden könnten, im Mittelpunkt. Ein weiterer Schwerpunkt der Gespräche lag auf der gemeinsamen Reflexion der entstandenen Wahrnehmenden Beobachtungen und Dokumentationen.

In der ersten Projektphase besuchten 60 Kindertageseinrichtungen und damit 1.350 Kinder die Lernwerkstatt Natur. In der zweiten Phase waren es 24 Kindergärten und rund 480 Kinder.

Das Modellprojekt Lernwerkstatt Natur hat es den wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen ermöglicht, das Wahrnehmende Beobachten tagtäglich in der Praxis anzuwenden und auszuprobieren sowie der Frage nachzugehen, was es konkret bedeutet, sich als Bildungsbegleiter des Kindes zu verstehen. Entlang der täglichen pädagogischen Arbeit entwickelte sich das Wahrnehmende Beobachten stetig weiter. Das Dissertationsprojekt von Marjan Alemzadeh widmete sich der Herausarbeitung pädagogisch-didaktischer Praktiken aus dem elementarpädagogischen Alltag der Lernwerkstatt Natur, die zu lang anhaltenden Spiel- und Interaktionsprozessen führten. Sie zeigte in ihrer Arbeit auf, dass diese wesentlich zu der Entwicklung einer Partizipatorischen Didaktik beitragen und eng mit der Praxis Wahrnehmenden Beobachtens verknüpft sind.

Während der Fokus in den ersten Projekten darauf lag, dass sich pädagogische Fachkräfte in einer aufmerksamen Zurückhaltung üben, um den kindlichen Initiativen Raum zu geben, hat das Projekt Lernwerkstatt Natur – ausgehend von den täglichen Wahrnehmenden Beobachtungen und Dokumentationen – dazu beigetragen, auch Antworten darauf zu geben, welche pädagogische Handlungsweisen dazu beitragen können, auf kindliche Initiativen, Tätigkeiten und Ausdrucksmöglichkeiten sinnvoll zu antworten (vgl. Alemzadeh 2014).

Phase 4: Ein Übungsfeld für pädagogische Haltungen

Wahrnehmendes Beobachten in Fort- und Weiterbildung in Tirol

Die Summe der praktischen Arbeit in den Projekten, ihre ständige kollegiale Evaluation durch Praktiker:innen und Wissenschaftler:innen sowie die Fortbildungsarbeit in den Projekten, einschließlich der langjährigen Qualitätsentwicklung bei SOAL, waren die Grundlage, ein neues Projekt zu wagen: die Durchführung eines Weiterbildungskurses im Land Tirol/Österreich.

Der Weiterbildungskurs orientierte sich an den Modulen, die für das Hamburger Qualitätsentwicklungsverfahren Kultur des Lernens-SOALQE entwickelt wurden. Es war der Versuch, die bisherige jahrelange kontinuierliche und schrittweise Entwicklungsarbeit nun in ein unabhängiges Weiterbildungsprojekt zu übertragen. Die Weiterbildung wurde von Referent:innen aus der Qualitätsentwicklung Kultur des Lernens-SOALQE durchgeführt und erstreckte sich über rund zweieinhalb Jahre. Daran nahmen circa 20 Fachkräfte aus Schulen, Fachberater sowie Leitungskräfte in Kindertageseinrichtungen teil. Im Zentrum stand wiederum das Wahrnehmende Beobachten, durch das sich die empathische Wahrnehmung der Kinder, die Selbstwahrnehmung der Fachkräfte und die didaktische Arbeit in den Einrichtungen verbinden ließen. Dieses Projekt kann als die Summe der bisherigen Konzeptarbeit an einer Kultur des Lernens und ihrer Umsetzung an einem Fortbildungsverfahren betrachtet werden. In besonderer Weise trat dabei die Bedeutung des Wahrnehmenden Beobachtens als Übungsfeld für die Wandlung pädagogischer Haltungen in den Aufmerksamkeitsfokus.

WeltWerkstatt e.V.3

Die WeltWerkstatt e.V. wurde im Jahr 2007 auf Initiative von Gerd E. Schäfer gegründet. Hier finden viele Mitarbeiter:innen aus den vorgestellten Projekten zusammen, aber auch andere Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen, die daran Freude haben, im regen Austausch das Bildungsverständnis weiterzudenken und zu entwickeln.

Ziel von WeltWerkstatt e.V. ist die Entwicklung einer frühpädagogischen Praxis, die es Kindern ermöglicht, schöpferisch und problemlösend zu lernen und ihre eigenen Fragen und Interessen zum Ausgangspunkt ihres Lernens zu machen. Dazu möchte WeltWerkstatt den Einrichtungen eine Orientierung geben. Aus einer Vielzahl von Angeboten macht sie diejenigen nutzbar, die den Kindern ein Höchstmaß an Eigenbeteiligung am Prozess ihrer Bildung ermöglichen. Vor diesem Hintergrund fasst WeltWerkstatt e.V. elementardidaktische Ansätze und dazu passende wissenschaftliche Modelle zusammen. Die Partizipatorische Didaktik ist ein Ergebnis des intensiven Zusammendenkens auf verschiedenen Ebenen. Das Bildungsverständnis nach Gerd E. Schäfer und die darauf basierende Partizipatorische Didaktik werden sowohl an Hochschulen in Studiengängen der Kindheitspädgogik, an Berufsschulen in der Ausbildung von Erzieher:innen gelehrt als auch in Fort- und Weiterbildungen an pädagogische Fachkräfte weitergegeben. Deshalb werden aktuelle Fragestellungen zum Wahrnehmenden Beobachten auch immer wieder in einem Arbeitskreis von WeltWerkstatt e.V. diskutiert, die dann wiederum zu Überarbeitungen, wie sie in diesem Buch vorgestellt werden, beitragen.

Das Wahrnehmende Beobachten ist in enger Zusammenarbeit mit der Praxis und aus der Praxis entstanden. Es wird stets weiterentwickelt, um auf die Bedürfnisse der Kinder, der pädagogischen Fachkräfte und die aktuellen Weiterentwicklungen frühpädagogischer Fragestellungen zu antworten. Wahrnehmendes Beobachten dient der Praxisforschung – mit den Zielen:

• pädagogische Praxis bewusst zu gestalten;

• kindlichen Bildungsprozessen in ihren individuellen, sozialen und institutionellen Entstehungszusammenhängen nachzugehen, sie zu verstehen, pädagogisch zu unterstützen und gegebenenfalls herauszufordern;

• pädagogische Praxis an kindliche Bedürfnisse und Interessen anzupassen;

• pädagogisches Handeln zu professionalisieren und einen forschenden Habitus zu entwickeln.

Wie dies geschehen kann, wird in den nächsten Kapiteln ausführlich beschrieben.

Literatur

Alemzadeh, M. (2014): Interaktionen im frühpädagogischen Feld. Ethnographische Bildungsforschung zu Interaktions- und Spielprozessen und deren Bedeutung für eine Didaktik der frühen Kindheit am Beispiel der Lernwerkstatt Natur. PhD thesis, Universität zu Köln. Verfügbar unter: http://kups.ub.uni-koeln.de/5744/.

Alemzadeh, M. (2022): Die Lernwerkstatt KLEX als Ort für Erfahrungslernen und pädagogische Professionalisierung. In: M. Obermaier, P. Isele & J. Höke (Hrsg.): Forschendes Lernen in Arbeitsfeldern der Kindheitspädagogik. Grundlagen – Ansätze – Praxen (S. 137–153). Paderborn: Schöningh.

Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2003): Bildungsvereinbarung NRW. Fundament stärken und erfolgreich starten. Düsseldorf.

Schäfer, G. E. (2003): Bildung beginnt mit der Geburt. Förderung von Bildungsprozessen in den ersten sechs Lebensjahren. Weinheim: Beltz.

Schäfer, G. E. (Hrsg.) (2011): Bildung beginnt mit der Geburt. Für eine Kultur des Lernens in Kindertageseinrichtungen. 4. Aufl. Berlin: Cornelsen.

Schäfer, G. E. (2014): Was ist frühkindliche Bildung? Kindlicher Anfängergeist in einer Kultur des Lernens. 2. Aufl. Weinheim & Basel: Juventa.

Schäfer, G. E. (2019): Bildung durch Beteiligung. Zur Praxis und Theorie frühkindlicher Bildung. Weinheim & Basel: Beltz Juventa.

Schäfer, G. E. (2021): Bedeutung von Alltagserfahrungen in der frühkindlichen Bildung. In: Fröbel e.V. & Alice Salomon Hochschule Berlin (Hrsg.). Kita-Fachtexte.

Schäfer, G. E. & Alemzadeh, M. (2012): Wahrnehmendes Beobachten. Beobachtung und Dokumentation am Beispiel der Lernwerkstatt Natur. Weimar & Berlin: verlag das netz.

Schäfer, G. E. & Strätz, R. (2005): Beobachtung und Dokumentation in der Praxis. Arbeitshilfen zur professionellen Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen. Kronach: Link DKV.

Schäfer, G. E., Steudel, A. & von der Beek, A. (2006): Bildung im Elementarbereich – Wirklichkeit und Phantasie. Weimar & Berlin: verlag das netz.

Schäfer, G. E. & von der Beek, A. (2013): Didaktik in der frühen Kindheit. Von Reggio lernen und weiterdenken. Weimar & Berlin: verlag das netz.

Schäfer, G. E., Alemzadeh, M., Eden, H. & Rosenfelder, D. (2009): Die Natur als Werkstatt. Weltwissen anfassen. Weimar & Berlin: verlag das netz.

Steudel, A. (2009). Bildungsprozesse in Kindertageseinrichtungen – Beobachtendes Wahrnehmen als Grundlage pädagogischen Handelns. Dissertation, Humanwissenschaftliche Fakultät, Universität zu Köln.

von der Beek, A. (2014): Bildungsräume für Kinder von Null bis Drei. 6. Aufl. Weimar & Berlin: verlag das netz.

1 Siehe www.weltwerkstatt.de.

2 Um einen Einblick in das aktuelle Team zu bekommen, siehe www.soal.de.

3 Ich danke vor allem Hilke Eden und Diana Rosenfelder für all die Gespräche über viele Jahre, die zur Weiterentwicklung des Konzeptes beigetragen und mich immer wieder zum Weiterdenken angeregt haben!

1.2 Partizipatorische Didaktik in der Krippe4

MARJAN ALEMZADEH

Angeregt durch die didaktischen Überlegungen in der Reggio-Pädagogik (Reggio Children 2001; Rinaldi 2001, 2006) wurde im Rahmen verschiedener Projekte und in einem intensiven Theorie-Praxis-Dialog5 auch für den deutschsprachigen Raum eine kindzentrierte, Partizipatorische Didaktik, basierend auf dem Bildungsverständnis von Gerd E. Schäfer, entwickelt. Diese Didaktik wird im Folgenden für den Bereich der Krippe dargestellt. Sie ist Teil einer Kultur des Lernens, die mindestens fünf Perspektiven zusammenträgt (Schäfer 2019, S. 86):

• Selbstbildungspotenziale

• Beziehungspotenziale

• Sachpotenziale

• Strukturpotenziale

• Kulturpotenziale

Diese Potenziale greifen ineinander über und sind nicht losgelöst voneinander zu begreifen, sondern beeinflussen sich vielmehr gegenseitig. Das Zusammenwirken dieser Potenziale kann im großen Maße darüber entscheiden, inwiefern kindliche Selbstbildungsprozesse vollzogen werden können. Im Zentrum der Kultur des Lernens steht eine Didaktik der frühen Kindheit, die an den kindlichen Bedürfnissen und Interessen ausgerichtet ist und Kindern Partizipation ermöglicht.

Selbstbildungspotenziale

Das Bildungsverständnis

In unserem Bildungsbegriff wird der „Verwirklichung von Selbsttätigkeit“ (Schäfer 2011b, S. 14) und der aktiven Auseinandersetzung mit der Welt eine zentrale Rolle zugeschrieben. In Bildungsprozessen setzen sich Kinder mit ihrer Um- und Mitwelt auseinander. Bei dieser Auseinandersetzung entwickeln sie zugleich ein Bild bzw. Bilder von sich selbst und von der Welt. Bildung wird demnach als Wechselwirkung zwischen dem Ich und der Welt verstanden.

„Das Subjekt braucht ein Gegenüber, durch das es sich bilden kann“ (Schäfer 2011b, S. 13 f.). Selbstbildung vollzieht sich somit immer nur in der Auseinandersetzung mit einer kulturellen und sozialen Welt, entlang Ereignissen und Erfahrungen, die Kinder (und auch Erwachsene) in ihren sozialen und kulturellen Lebenszusammenhängen erleben und machen (vgl. Schäfer 2005, 2011b). Dabei entwickelt jedes Kind eigene Handlungs- und Denkmöglichkeiten, die für die individuelle Lebensgeschichte dieses Kindes wichtig sind und dazu beitragen, aktuelle Aufgabenstellungen zum jeweiligen Zeitpunkt seiner Biografie zu bewältigen (vgl. Schäfer 2019, S. 87).

Im Zentrum einer Partizipatorischen Didaktik steht daher immer die Frage, von welchen Ressourcen Kinder jeweils ausgehen, wenn sie die Welt erfassen und kennenlernen wollen. Diese Frage hängt sehr stark mit den individuellen, biografischen Erfahrungen eines Kindes zusammen. Denn jedes Kind, jeder Mensch hat eine ganz eigene Art und Weise und andere Bedingungen, sich die Welt handelnd und denkend zu erschließen und in ihr zu (inter-)agieren. Diese individuellen Ressourcen sind die Grundlage der Selbstbildungspotenziale.

Als Selbstbildungspotenziale werden Handlungs- und Denkmöglichkeiten bezeichnet, „die ein Individuum im Verlaufe seiner Biografie entwickelt hat, um sich in der Welt zu orientieren, darin leben, handeln und denken zu können. Sie gehen von den Möglichkeiten aus, die mit der Geburt gegeben sind, und erweitern sich in dem Maße, in dem sie in konkreten Lebenssituationen tatsächlich angewendet werden“ (Schäfer 2012, S. 23).

Grundvoraussetzung dafür, dass Kinder ihre Selbstbildungsprozesse entfalten können, ist das Erfahren tragfähiger Beziehungen. Das lebenslange Streben eines Menschen nach emotionalen Beziehungen fängt pränatal an und setzt sich bis ins hohe Alter fort. Aus der Bindungstheorie wissen wir, dass Bindung die Voraussetzung für Exploration ist (vgl. Ainsworth 1964, 2003; Bowlby 2016, 2018; Brisch 2014). Bereits ein Säugling setzt vielfältige Kommunikationsweisen über seine Körpersprache, durch Blickkontakt und erste Laute ein, um zu signalisieren, was er gerade benötigt. Die Bezugspersonen stehen in den ersten Monaten und Jahren an erster Stelle für das Kind.

Erst wenn Kinder sich sicher und geborgen fühlen, also ihre emotionalen Bedürfnisse befriedigt sind, weil ihre Signale beachtet und beantwortet werden, wenden sie sich darüber hinaus ihrer Umwelt zu. Die Art und Weise, wie die allerersten Beziehungen gestaltet werden, tragen wesentlich dazu bei, wie Kinder in die Welt hinausgehen. Neben Beziehungen, in denen Kindern mit ihren Bedürfnissen und Interessen feinfühlig begegnet wird,6 brauchen sie eine Sicherheit gebende Umgebung, die durch ihre Vielfalt, Offenheit und Flexibilität die mannigfaltigen kindlichen Zugangs- und Ausdrucksweisen ermöglicht und zulässt, damit jedes Kind seine individuellen Potenziale entfalten kann.

Kinder unter drei Jahren äußern sich nur zu einem kleinen Teil über die verbale Sprache und teilen uns viel öfter in anderen Ausdrucksweisen mit, was sie gerade beschäftigt oder was sie brauchen – zum Beispiel über ihre Körpersprache, durch ihre Art des Weinens, über ihr Spiel oder gestalterische Tätigkeiten. Eine Partizipatorische Didaktik versucht anhand Wahrnehmenden Beobachtens, die vielen Stimmen der Kinder zu hören, mit denen sie sich ausdrücken, um ihnen antworten zu können. So können Kinder ihre individuellen und auch gemeinschaftlich geteilten Wege und Möglichkeiten entwickeln, sich die Welt anzueignen, und dabei Aufgaben und Probleme lösen, die sich ihnen aufgrund ihrer Erfahrungen in ihrer Umwelt stellen. Nimmt man „das Kind als Akteur seiner Entwicklung“ ernst, so kann man beobachten, wie es die Welt entdeckt, sich Fragen stellt und auf die Suche nach Antworten geht.

Die wahrnehmende Beobachtung nimmt eine zentrale Stellung ein, wenn man sich als Bildungsbegleiter:in des Kindes versteht – als eine Person, deren Aufgabe es ist, eine anregende Umgebung zu schaffen, als Dialogpartner:in zu fungieren, kindliche Bildungsprozesse zu begleiten, anzustoßen und herauszufordern. Die Wahrnehmende Beobachtung dient dann zur differenzierten Grundlage für die pädagogische Arbeit mit den Kindern (vgl. Alemzadeh 2016).

Anfänge kindlichen Denkens sind sinnliche Erfahrungen, von denen ausgehend das Selbst- und Weltbild entsteht. Dieses ist umso reichhaltiger und differenzierter, je vielseitiger die Erfahrungsmöglichkeiten sind, die die Umwelt bietet (vgl. Schäfer 2003). Die kindliche Neugier, die als Grundlage des Explorationsverhaltens bezeichnet werden kann, bestimmt, wie sich das Kind mit seiner Umwelt auseinandersetzt. Es kommt nun darauf an, wie die pädagogischen Fachkräfte auf das explorative Verhalten der Kinder eingehen.

Besonders im Kleinkindalter sind es die alltäglichen Dinge, die die Kinder selbstständig entdecken möchten, um ihre Selbstwirksamkeit und Autonomie zu erleben: Was passiert, wenn ich alle Gegenstände vom Tisch herunterwerfe? Was passiert, wenn ich das Glas so lange befülle, bis kein Wasser mehr hineinpasst? Was passiert, wenn ich die Rutsche hochklettere, statt sie herunterzurutschen? Diese Neugierde, die in den ersten Lebensjahren besonders stark ausgeprägt und uns Menschen angeboren ist, um unsere Umwelt zu erforschen und zu verstehen (vgl. Deci & Ryan 1993), bezeichnet Gerd E. Schäfer als den kindlichen Anfängergeist (Schäfer 2008, 2019). Damit bringt er zum Ausdruck, dass frühkindliche Bildungssituationen vor allem dadurch geprägt sind, dass kleine Kinder auf ein Lernen aus eigenen Erfahrungen angewiesen sind, da sie „in allen Bereichen der Welt- und Lebenserfahrung Neulinge sind“ (Schäfer 2019, S. 68). Das Erfahrungslernen der kleinen Kinder findet aufgrund ihrer Basisausstattung statt, dazu gehören:

• „die Möglichkeiten der körperlichen Bewegung und der sinnlichen Erfahrung;

• die Möglichkeit, emotionale Bedeutungen der täglichen Lebensereignisse zu erfassen und zu differenzieren;

• eine elementare Kommunikationsfähigkeit von Anfang an, basierend auf einer elementaren Fähigkeit der mimischen Nachahmung;

• die Speicherung ihrer Lebenserfahrungen in Mustern, die wiedererkannt und typisiert werden können;

• ein ständiges Bedürfnis, Neues und Unbekanntes zu entdecken;

• Kreativität im Sinne eines explorierenden Lernens – Spiel.

Auf dieser Basis dienen die ersten Lebensjahre dazu, das unmittelbar bedeutsame, soziale und sachliche Lebensumfeld, in dem sich das Kind bewegt, in all seinen Eigenschaften und Möglichkeiten kennenzulernen“ (Schäfer 2019, S. 69). Dies geschieht vorwiegend über das Explorieren, weshalb es wichtig ist, die Lernumgebung auf eine Weise zu gestalten, dass Kinder in ihrer Umgebungswelt soweit wie möglich mit eigenen Mitteln explorieren können. Explorieren bedeutet durch Selbsttätigsein auszuprobieren, was man mit einer Sache machen kann.

Deci und Ryan (1993) betonen drei Grundbedürfnisse, die zum optimalen Explorieren gegeben sein müssen: Autonomie, Kompetenzerleben und soziale Eingebundenheit (vgl. ebd., S. 229). Werden diese Grundbedürfnisse befriedigt, fällt es dem Kind leicht, seine Umwelt zu erkunden und somit seine Neugier auszuleben. Werden diese jedoch nicht beachtet, wird das Kind nicht selbstständig motiviert sein, zu explorieren.7 Es muss sich in Erkundungssituationen als kompetent und autonom erleben und bei dem Bedürfnis nach Unterstützung auf soziale Partner zurückgreifen können (vgl. Mackowiak, Lengning & Trudewind 2014).

Beziehungspotenziale

Bei frühkindlichen Bildungsprozessen handelt es sich immer auch um Beziehungsprozesse. Eine Beziehung ist das Ergebnis vieler verschiedener Interaktionen, die sich im Alltag vollziehen. Gerd E. Schäfer spricht von Bildung durch Beteiligung und macht darauf aufmerksam, dass jede Situation eines gemeinsamen Handelns von Erwachsenen mit Kindern die Frage nach der Beteiligung des Kindes stellt. „Erwachsene müssen bereit sein, Kindern einen Rahmen vorzuhalten, innerhalb dessen sie sich beteiligen können. Dieser Rahmen kann enger oder weiter sein und hängt stark davon ab, welches implizite oder explizite Bild Erwachsene von Kindern haben“ (Schäfer 2019, S. 74).8 Nimmt man Kinder bei der Gestaltung der Beziehungsprozesse ernst, so muss man ihre verbalen und nonverbalen Signale ernst nehmen und den Kommunikationsanteil des Kindes als gleichwertig akzeptieren. Damit dies gelingen kann, wird Verständigung als professionelle Aufgabe erachtet.

„Verständigung ist aus dieser Sicht etwas, worum sich zunächst vornehmlich die Erwachsenen bemühen müssen. Verständigung kann gelingen oder misslingen. Die Voraussetzungen dafür müssen immer wieder neu hergestellt werden. In Bezug auf Verständigung mit jungen Kindern sind dabei zwei professionelle Perspektiven wichtig:

• das Maß der Einfühlung eines Erwachsenen in Tätigkeit und Verhalten der Kinder;

• das Maß an Bereitschaft von Erwachsenen, den Kindern einen eigenen Entscheidungsraum vorzuhalten.

Von Verständigung zu sprechen macht nur da Sinn, wo Erwachsene den unterschiedlichen Stimmen der Kinder zuhören, auf ihre Äußerungsformen eingehen und so antworten, dass der jeweils möglichen Autonomie der Kinder Rechnung getragen wird. Verständigung ist also in erster Linie abhängig von der Bereitschaft und dem Bemühen der Erwachsenen, sich auf die Perspektive von Kindern einzulassen“ (ebd., S. 83), ohne sich selbst dabei außer Acht zu lassen.

Es geht um eine Beziehung, in der beide Beziehungspartner Raum haben. Hierbei spielt das Wahrnehmende Beobachten eine wichtige Rolle, bei dem es zum einen darum geht, sich auf die Perspektive des Kindes einzulassen, gleichzeitig zum anderen darauf zu achten, welche Prozesse in einem selbst ausgelöst werden.9

Diese Art des Miteinanders benötigt ein hohes Maß an Selbstreflexion. Denn: Um mit anderen Menschen achtsam umzugehen, muss ich auch mit mir selbst achtsam umgehen; um die Bedürfnisse anderer zu erkennen, muss ich zunächst meine eigenen Bedürfnisse erkennen – was uns zwei Beispiele in diesem Buch besonders deutlich machen werden (siehe Kapitel 2.3).

Die Forschungen der letzten Jahre lassen keinen Zweifel daran, dass Kinder für ihre Entwicklung in den ersten Lebensjahren auf tragfähige Beziehungen angewiesen sind, die von Feinfühligkeit geprägt sind. Feinfühligkeit meint dabei,

• den Signalen des Kindes gegenüber aufmerksam zu sein und diese zu bemerken,

• sie ohne Verzerrung wahrzunehmen und richtig zu deuten,

• die Signale zu beantworten und in der Lage zu sein, sich in die kindliche Situation hineinzuversetzen und

• prompt auf die kindlichen Signale zu reagieren (vgl. Ahnert 2015).

Es geht um eine Haltung, die von Regina Remsperger anknüpfend an die Arbeiten von Ainsworth als „Sensitive Responsivität“ und von Dorothee Gutknecht als „Professionelle Responsivität“ bezeichnet wird (Gutknecht 2012). Im Zentrum steht „eine situationsspezifische feinfühlige und auf Fachwissen gestützte Abstimmung“ mit Kindern (Gutknecht, Kramer & Daldrop 2017, S. 6). Gemeint ist eine Haltung, die geprägt ist durch ein aufmerksames, interessiertes und engagiertes pädagogisches Verhalten, das einhergeht mit einem von Kontinuität, Interesse und emotionaler Beteiligung geprägten kindlichen Interaktionsverhalten (Remsperger 2011).

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Kinder im Interaktionsverlauf interessiert „bei der Sache“ bleiben und ihre Gedankengänge, Äußerungen und Handlungen weiterentwickeln, wenn ihnen mit solch einer Haltung, die auch durch das Wahrnehmende Beobachten entwickelt werden kann, begegnet wird (Remsperger 2011; Alemzadeh 2014).

Was aber, wenn kein responsives Verhalten bei den Erwachsenen erkennbar ist? Professionelle Responsivität ist in der Krippe keine Selbstverständlichkeit (vgl. Gutknecht 2012). Zum einen geht es um die wichtige Kompetenz, kindliche Signale differenziert lesen zu lernen – hierbei helfen neben dem Wahrnehmenden Beobachten auch Methoden wie das Baby-Lesen (Derksen & Lohmann 2009) oder die Marte Meo Videoanalyse, die dazu beitragen können, dass pädagogische Fachkräfte Signale von Babys und Kleinkindern besser verstehen lernen.

Studien aus der Eltern-Kind-Forschung zeigen darüber hinaus, dass die Feinfühligkeit von eigenen biografischen Erfahrungen aus der frühesten Kindheit und der psychischen Verfassung abhängt (vgl. z.B. Derksen & Lohmann 2009; Brisch 2008). Dies könnten sehr wohl auch mögliche Ursachen für eine mangelnde Responsivität im Beruf sein; wie die Studie von Boll & Remsperger-Kehm (2021) zu grenzverletzendem Verhalten gezeigt hat. Umso wichtiger ist es deshalb, in der Aus- und Weiterbildung gezielt Biografiearbeit zu leisten, eigene Kindheitserfahrungen professionell aufzuarbeiten und Werkzeuge an die Hand zu bekommen, mit denen man eigene belastende Erfahrungen aufarbeiten kann oder weiß, wie man sich dabei professionell unterstützen lassen kann. Beim Wahrnehmenden Beobachten sind wir uns dieser Doppelperspektive bewusst: Wir versuchen, die kindlichen Signale differenziert wahrzunehmen, wohlwissend, dass diese immer auch eigene innere Prozesse auslösen können, die es ebenfalls wahrzunehmen gilt, um professionell handeln zu können.

Die Studie von Remsperger (2011) zeigt, dass sich in den meisten untersuchten Videoszenen in Kindertagesstätten ein Wechselspiel zwischen feinfühligen und wenig feinfühligen Reaktionen feststellen lässt. Dabei geht aus bisherigen Forschungen vor allem hervor, dass wenig feinfühliges Verhalten meist mit schlechten Rahmenbedingungen einhergeht, die zu Ablenkungen, Unruhe und höheren Umgebungsgeräuschen führen können. Auch zeigt sich wenig feinfühliges Verhalten, wenn mehrere Kinder gleichzeitig die Aufmerksamkeit der Erzieher:innen einfordern, die Fachkräfte jedoch aufgrund hohen Personalmangels alleine in der Gruppe sind oder Organisatorisches zu erledigen haben und sich dementsprechend nicht richtig auf die Kinder einlassen können.10 Was bisher weniger gut erforscht ist, ist die Auswirkung eigener biografischer Themen, die sich häufig auf die Interaktionsprozesse mit Kindern auszuwirken scheinen und darüber mitentscheiden, ob wir uns in bestimmten Situationen sensitiv-responsiv verhalten oder nicht. Deutlich wird, dass Stress – egal, ob er aufgrund äußerlicher Rahmenbedingungen, die zu Überforderung oder Erschöpfung führen, oder unbearbeiteter belastender Erfahrungen zum Beispiel aus der eigenen Kindheit entsteht – eine große Auswirkung darauf hat, ob wir responsiv mit anderen Menschen umgehen können oder nicht. Denn ist der Stress einmal entstanden, müssen wir uns zunächst selbst regulieren, bevor wir uns der wichtigen Aufgabe widmen können, Kinder zu ko-regulieren, insbesondere in Situationen, in denen Kinder emotional erregt sind. Um eine Stress reduzierende, achtsame und responsive Pädagogik umsetzen zu können, müssen wir also Wege finden, die den pädagogischen Fachkräften ein entspannteres Arbeiten ermöglichen und somit dazu beitragen können, responsiv auf die Kinder einzugehen, was wiederum bei diesen für Stressreduktion sorgt (vgl. Ahnert 2015).

Beziehungsgestaltung auf der Grundlage gemeinsam geteilter Erfahrungen

Situationen gemeinsam geteilter Erfahrungen sind für eine Pädagogik der frühen Kindheit von großer Bedeutung, da sowohl Verständigungsprozesse als auch intuitives Verstehen11 daraus hervorgehen (vgl. hierzu auch Nentwig-Gesemann & Nicolai 2014). Wie es gelingen mag, sowohl zwischen Peers als auch zwischen pädagogischer Fachkraft und Kindern gemeinsam geteilte Erfahrungen herzustellen, wurde im Projekt Lernwerkstatt Natur ethnographisch erforscht (vgl. Alemzadeh 2014). Dabei kam heraus, dass jeder gemeinsam geteilten Erfahrung eine Wahrnehmung und eine erste Verständigung darüber zugrunde liegen, worum es in der Situation gehen könnte. Durch diese Annäherung vollzieht die pädagogische Fachkraft nach, welche Erfahrung im Mittelpunkt des Geschehens stehen könnte, und bringt sich erst dann durch eine weitere pädagogische Handlungsweise ein. Beide, die pädagogische Fachkraft und das Kind, konstruieren in jeder Situation die gemeinsam geteilte Erfahrung neu.

Während der gemeinsam geteilten Erfahrung findet ein komplexer Austauschprozess statt: Die pädagogische Fachkraft verständigt sich immer wieder mit dem Kind darüber, worum es gerade gehen könnte, und versucht wahrzunehmen, wie das eigene Handeln sich auf die Prozesse des Kindes auswirkt.

Dabei auf ein Gleichgewicht zwischen Aktivität und Zurückhaltung zu achten, um der Aktivität des Kindes bzw. der Kinder stets viel Raum zu lassen, scheint hierbei ein wichtiger Aspekt zu sein. Dies wird über den spiralförmigen Prozess des Wahrnehmenden Beobachtens und die Reflexion über die Auswirkungen des eigenen Beitrags zu erreichen versucht. Im Idealfall resultiert der nächste Schritt des pädagogischen Handelns aus einem Verständigungsprozess mit dem Kind. Eine wesentliche Erkenntnis der Analysen war, dass die didaktischen Praktiken der Pädagog:innen auf zwei Ebenen stattfinden: auf einer kommunikativ-expliziten und auf einer handlungspraktisch-impliziten. Beide Ebenen scheinen für eine Didaktik der frühen Kindheit eine wichtige Rolle zu spielen.

Wahrnehmendes Beobachten als Grundlage für Verständigung und pädagogisches Handeln

Wahrnehmendes Beobachten wird somit zum Herzstück einer kindzentrierten, Partizipatorischen Didaktik, die auf die Tätigkeiten und Interessen des Kindes achtet. Denn: Beteiligung und Verständigung benötigen ein Wahrnehmen und Einbeziehen dessen, was Kinder von sich aus einbringen. Wahrnehmendes Beobachten ermöglicht es, kindliche Bedürfnisse und Bildungsprozesse wahrzunehmen, um auf Initiativen der Kinder sinnvoll zu antworten. Diese Haltung signalisiert den Kindern: Ich nehme dich wahr, ich interessiere mich für dich, für dein Tun, deine Fragen, deine Gedanken und Ideen. Gleichzeitig ist es ein alltägliches Instrument, mit dessen Hilfe man die pädagogische Arbeit an den Möglichkeiten und Ressourcen der Kinder und der pädagogischen Fachkräfte ausrichten kann.