Warten auf die Löwen. Storys - Stefan Beuse - E-Book

Warten auf die Löwen. Storys E-Book

Stefan Beuse

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Beschreibung

In sechs Storys schreibt Stefan Beuse von Verlusten, von Abschieden und vom Neubeginn, und er tut dies so, dass die Magie hinter dem scheinbar Alltäglichem zu leuchten beginnt. »Wahrscheinlich haben die Löwen gemerkt, dass es in ihrem Gehege keine Antilopen gibt«, sagte ich. »Vielleicht kommen sie deshalb nicht raus. Vielleicht haben sie einfach keine Lust, sich für dumm verkaufen zu lassen.«

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Seitenzahl: 56

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Über das BuchIn sechs Storys schreibt Stefan Beuse von Verlusten, von Abschieden und vom Neubeginn, und er tut dies so, dass die Magie hinter dem scheinbar Alltäglichem zu leuchten beginnt. »Wahrscheinlich haben die Löwen gemerkt, dass es in ihrem Gehege keine Antilopen gibt«, sagte ich. »Vielleicht kommen sie deshalb nicht raus. Vielleicht haben sie einfach keine Lust, sich für dumm verkaufen zu lassen.«Über den Autor

Stefan Beuse

Warten auf die Löwen

Storys

CulturBooks Verlagwww.culturbook.de 

Impressum Originalausgabe © CulturBooks Verlag 2013 Gärtnerstr. 122, 20253 Hamburg Tel. +4940 31108081, [email protected] Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Kirsten Reimers

Inhalt

Der Wal
Warten auf die Löwen
Im Nebel
Könige
Verschlusszeit
Kachelklopfer

Der Wal

Row, row, row your boat Gently down the stream Merrily merrily merrily merrily Life is but a dream.(Englisches Kinderlied)

I.

»Ich versteh dich nicht«, sagte er. »Es ist so laut bei euch.«

»Es – ist – doch – noch – gar – nichts – da!« diktierte sie, als käme er aus einem anderen Land.

»Das kann man so oder so sehen«, sagte er, und sie sagte irgendwas, in dem das Wort Zellhaufen vorkam.

»Ist das Daddy?«, hörte er Laura im Hintergrund.

Catrin reagierte nicht.

»Ist das Daddy, ist das Daddy?«

»Ich wollte es auch nur noch mal sagen«, sagte er.

»Was?«

»Dass ich mir nicht mehr so sicher bin.«

»Das fällt dir aber früh ein.«

Er stellte sie sich vor, wie sie mit ihrem Martiniglas dasaß, die Beine übereinandergeschlagen, und genervt den Rauch am Handy vorbei in die Nacht blies.

»Gibst du sie mir mal?«

»Wen?«

»Laura.«

Es rauschte ein bisschen. Wahrscheinlich hielt sie die Hand vor das Mikrofon.

»Daddy?«

Seit einiger Zeit nannte sie ihn Daddy, er hätte gern gewusst, woher sie das hatte.

»Wie geht’s meiner Prinzessin?«

»Gut geht’s mir. Wir haben heute einen Delphin gesehen, ganz nah!«

»Einen Wal«, hörte er Catrins Stimme im Hintergrund.«

»Ja, einen Wal, direkt bei uns am Strand!«

»Was? Und wie ist der da hingekommen?«

»Die Männer haben versucht, ihn wegzukriegen, aber er war zu schwer, da haben sie Wasser über ihn geschüttet.«

»Und jetzt?«, fragte er. »Liegt er noch da?«

»Weiß nicht«, sagte sie, »wann kommst du?«

»Sobald es geht, mein Engel. Daddy muss hier noch was erledigen, aber dann komm ich zu euch.«

»Jetzt!«

»Jetzt nicht. In den nächsten Tagen. Was ist das für Musik bei euch?«

»Weiß nicht. Die ham da ne Leinwand aufgebaut, darüber läuft Schrift, und die Leute sollen sich davorstellen und singen, aber das hat noch keiner gemacht außer dem Dickmops aus dem Zimmer neben uns.«

Sie kicherte. Catrin zischte ihr etwas zu, das er nicht verstand.

»Gibst du mir Mama noch mal, mein Engel?«

»Nein.« Sie kicherte wieder.

»Bitte.«

»Nur, wenn du jetzt kommst.«

»Ich kann nicht. Ich hab doch gesagt, ich versprech dir, dass ich so bald wie möglich ...«

»Hallo?«

»Hallo.«

»Ich bin’s wieder. Hör zu, wir haben doch darüber geredet. Ich war heute beim Arzt. Ich hab das Zeug gekriegt. Alles wie geplant. Der Arzt sagt, es ist noch ganz klein. Kaum zu erkennen. In zwei Tagen ist alles vorbei, dann krieg ich die zweite Dosis, und dann ...«

»Ist Laura noch bei dir?«

»Nein, warum?«

»Ich will nicht, dass sie das hört.«

»Sie steht an der Bühne.«

»Was macht sie?«

»Keine Ahnung. Guckt sich was an. Hör mal, das Gespräch wird teuer, und wir ...«

»Steht sie vor der Leinwand?«

»Herrgott, David, warum willst du denn das wissen?«

»Liest sie den Text? Steht sie vor der Leinwand und liest den Text?«

»Ich glaube ... ja. Weißt ja, wie sie ist. Sie kann noch nicht so schnell lesen.«

»Der Text geht schneller weiter, als sie ihn lesen kann, ja?«

»Ja. David, ist wirklich alles okay?«

»Ich denke schon.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Ich mein nur, weil du vorhin ...«

»War nur so ’n Gefühl.«

»So ’n Gefühl?«

»Dass ich mir kurz nicht mehr so sicher war.«

»Ich dachte, wir hätten diese Entscheidung gemeinsam getroffen.«

»Sind deine Eltern bei dir?«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Weiß nicht. Dachte nur, es säße vielleicht jemand bei euch am Tisch.«

»Nein. Hier sind nur Laura und ich.«

»Du hast gesagt, sie ist nicht mehr ...«

»Das ist sie auch nicht. Sie steht immer noch vor der Bühne und liest den Text.«

Er stellte sie sich vor, wie sie vor der Leinwand stand und einen Text las, der viel zu schnell für sie war.

Ein neues Lied fing an. Er brauchte ein bisschen, um es zu erkennen, weil die Musik ohne Gesang war.

»Das ist ›Twinkle, Twinkle, Little Star‹, richtig?«

»Ja. Herrgott noch mal.«

»Klingt komisch ohne Gesang, findest du nicht?«

»David, was zum Teufel willst du eigentlich?«

»... wie Suppe, die darauf wartet, dass die Zutaten endlich kommen, oder? Aber dann kommen sie nicht, und die Suppe ist einfach nur ...«

»Okay. Die Verbindung wird schlecht. Lass uns morgen telefonieren, ja?«

»Okay.«

Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Dieses Lied ... das ist in Englisch, oder? ›Twinkle, Twinkle, Little Star‹ ist ein englisches Lied, hab ich recht?«

Sie seufzte wie jemand, der es aufgegeben hatte, jemand anderen bekehren zu wollen. »Kann sein ... ja. Vermutlich hast du recht.«

David fing an zu lachen. Er wusste nicht wieso, aber er musste plötzlich lachen. »Sie kann’s gar nicht lesen«, sagte er, und ein Gefühl schoss in ihm hoch wie ein großer, heißer Baum. »Sie steht vor den Wörtern und kann sie nicht lesen!«

»David?«

Er wusste genau, was kam.

»Ich leg jetzt auf.«

»Was sagt Daddy?«, hörte er Laura im Hintergrund. Ihre Stimme klang, als käme sie vom anderen Ende der Welt. »Kommt er?«

Die Verbindung wurde getrennt.

David ging in die Küche und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Er versuchte, den Kronkorken an der Kante der Spüle abzuschlagen, und diesmal klappte es. Er hatte das mal gesehen und fand, dass es gut ausgesehen hatte. Manchmal, wenn Catrin nicht im Haus war, probierte er es aus, aber es hatte noch nie geklappt. Das hier war das erste Mal.

Er nahm einen Schluck und kickte den Kronkorken über die Fliesen. Der Verschluss machte ein silbriges Geräusch, bevor er mit einem leichten Scheppern gegen die Fußleiste prallte.