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"Ergründe, ergrabe, ergreife das Glück" - Goethe für fast alle Lebenslagen
Der Sinn des Lebens? Wenn einer mit beharrlicher Leidenschaft danach gesucht hat, dann Johann Wolfgang von Goethe. Stefan Bollmann destilliert aus Goethes Leben und seinen Werken ein so liebenswürdiges wie kurzweiliges Buch für alle, die es wie er nicht lassen können, nach dem Guten, Wahren und Schönen zu fragen. Goethe hat als Erster verstanden, dass der Sinn des Lebens die Summe dessen ist, wie wir jeden einzelnen unserer Tage gestalten. So gesehen und gelesen ist Goethe der beste und klügste aller vorstellbaren Ratgeber: Wie übersteht man die ersten 25 Jahre, ohne den Lebensmut zu verlieren? Warum kann die Zerstreuung zur Fokussierung führen? Von ihm erfahren wir aber auch, dass das Wichtigste am Reisen das Zurückkommen ist und wie man die Liebe neu entflammt.
Stefan Bollmann zeigt uns einen Goethe, den wir gerade in unserer unübersichtlichen Gegenwart dringender denn je brauchen. Ohne ihn wäre das Leben tatsächlich sinnlos.
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Seitenzahl: 315
Das Buch
Wer war Goethe? Die Antwort dieser unkonventionellen Besichtigung von Goethes Leben lautet: ein Avantgardist des eigenen Lebens. Goethe war das eigene Leben ungeheuer wichtig. Er tat, was ihm einfiel, ohne viel darauf zu geben, ob es anderen gefiel; hartnäckig schüttelte er ab, was ihm nicht gemäß war. Dafür hat Goethe vieles ausprobiert und auch zu unorthodoxen Strategien gegriffen. Goethe streitet für ein tätiges Leben. Er öffnet uns die Augen für die Bedeutung des gegenwärtigen Augenblicks und fragt, wie er sich auskosten lässt. Zugleich zeigt er, dass es kein Recht auf Glück gibt und Glück ohne Unglück nicht zu haben ist. Durch ihn erfahren wir, wie stimulierend eine auf unsere Bedürfnisse und Vorlieben zugeschnittene Umgebung für unsere Produktivität sein kann, denn jeder Mensch ist zumindest ein halber Künstler. Und er gibt uns schließlich den Glauben daran zurück, dass wir uns von Ideen und Hindernissen befreien können, die einem eigenen Leben im Wege stehen.
Der Autor
Stefan Bollmann, geboren 1958, promovierte nach einem Studium der Literatur, Geschichte und Philosophie über Thomas Mann. 1998 tauschte er den Beruf des Hochschullehrers gegen den des Lektors in Publikumsverlagen. Stefan Bollmann hat zahlreiche Bücher veröffentlicht. Mit seinen Bestsellern Frauen, die lesen, sind gefährlich (2005) sowie Frauen, die lesen, sind gefährlich und klug (2010), beide erschienen im Elisabeth Sandmann Verlag, ist er dem Wandel der Lesekultur nachgegangen und hat den Boom des Themas mit angestoßen, das er in Frauen und Bücher. Eine Leidenschaft mit Folgen (DVA 2013) noch umfänglicher betrachtet hat. Seine Bücher wurden in 16 Sprachen übersetzt und verkauften sich annähernd eine halbe Million Mal.
Zugang: Komm in den Goethe-Park und schau …
I. Wie man die Jugend übersteht – und ein eigenes Leben beginnt
II. Wie man eine Lebenskrise meistert – und dabei zum Autor wird
III. Wie man erwachsen wird – und warum sich der Aufwand lohnt
Goethes ungeschriebene Lehre vom Glück
IV. Wie man zu sich selbst findet – und zum Künstler wird
V. Wie man sein Liebesleben erneuert – und richtig über Sex spricht
Vom Auskosten des Augenblicks
VI. Wie man Ordnung in sein Leben bringt – und sich eine Produktive Umgebung schafft
VII. Wie sich Leidenschaft erklärt – und warum wir wieder ruiniert werden müssen
VIII. Wie man der eigenen Kreativität folgt – und über sich hinauswächst
Ausgang: Goethe, der Befreier
Anhang
Dass ein Leben ohne Mops sinnlos ist, wissen wir. Aber ohne Goethe?
Eine Freundin berichtete von ihrer Großmutter, einer bekannten, mittlerweile verstorbenen Goethe-Forscherin. Kein Besuch bei der an und für sich umgänglichen alten Dame verging, ohne dass den Enkeln Goethe nahegebracht wurde, in der Regel durch Vorlesen und Rezitieren der Originaltexte, von Gedichten, Dramen und Prosa: Die Nachmittage waren gefürchtet. So oder so ähnlich haben sich einst lebenslange Goethe-Phobien entwickelt. Für die Betroffenen galt: Ein Leben ohne Goethe mag sinnlos sein, aber lieber noch ohne Sinn leben als im Schatten von Großmutters Goethe.
Aus diesem Schatten sind wir herausgetreten. Goethe ist zwar weiterhin Goethe, der große Klassiker, der Autor des Werthers und des Fausts, der Wahlverwandtschaften und von Dichtung und Wahrheit sowie so vieler schöner Gedichte. Aber nicht mehr der große Sinn- und Taktgeber des Lebens, der uns allen vorgemacht hat, wie zu leben und was im Leben wichtig sei, das Leitbild, an dem wir uns orientieren und aufrichten. Und das ist gut so. Heute kann man Goethe wieder lesen, ohne sich zuvor durch Regalmeter von rühmender und interpretierender Literatur durchzuarbeiten, vor allem ohne Angst zu haben, vor dem Olympier nicht bestehen zu können, oder den inneren Zwang zu verspüren, Dynamit ans Denkmal zu legen.
Das gibt uns Gelegenheit, die Sache mit Goethe einigermaßen entspannt anzugehen. Wir müssen heute Goethe nicht mehr aus der Welt schaffen, wie Wilhelm Waiblinger, ein Stuttgarter Gymnasiast, 1821 in seinem Tagebuch meinte. Goethe lebte da noch, war Anfang siebzig und zog so viel Aufmerksamkeit auf sich, dass in den Augen Waiblingers für ihn als jungen Dichter nichts mehr übrigblieb. Es gibt aber auch keinen Grund mehr, den waghalsigen und kräftezehrenden, letztlich zum Scheitern verurteilten Versuch zu unternehmen, Goethe gleichen zu wollen, wie das der unausgesprochene Wunsch vieler Goetheaner und der versteckte Imperativ ihrer Goethe-Bücher war. Die Idee, mit der ich den Goethe-Park betreten und mir dort zwei Jahre lang meine Wege gebahnt habe, weicht von solchen Extremherausforderungen in entscheidender Weise ab.
Wenn wir von Goethe heute noch etwas lernen können, so meine ich, hat das einen einfachen Grund: Goethe hat ein eigenes Leben geführt, wie nur er es führen konnte. Es gleicht keinem anderen Leben, und genau das war auch seine Absicht. Goethe ist ein Pionier des eigenen Lebens, der erste und bemerkenswerteste, den Deutschland hervorgebracht hat. Der Clou seines exemplarischen und überaus erfolgreichen Lebens besteht nach dieser Überlegung nachgerade darin, dass wir es ihm nicht nachtun, Goethe nicht gleichen können und es deshalb auch gar nicht erst versuchen sollten. Was dabei herauskäme, wäre bestenfalls ein Goethe-Abklatsch und eben kein eigenes Leben mehr. Gewissermaßen ein Verrat an Goethes Idee, dass jeder sein eigenes Leben führen muss und dass genau darin – und in nichts anderem – der Sinn des menschlichen Lebens besteht.
Daraus folgt so schlicht wie nachdrücklich: Wollen wir Goethe nacheifern, dann müssen wir unseren eigenen Weg gehen. Dass wir uns dabei inspirieren lassen können von den Erfahrungen, die er gemacht, von den Widerständen, die er überwunden, und von den Einsichten, die er gehabt hat – wohlgemerkt zu einer anderen Zeit und in anderen Lebensverhältnissen –, steht außer Frage. Ansonsten wären die hier erprobten Wege ja gar nicht begehbar.
Ein eigenes Leben versteht sich nicht von selbst. Wer es führen will, bekommt es mit einer Welt voller Widerstände und Hindernisse zu tun. Beinahe unvermeidlich stellen sich Lebenskrisen ein. Die hier vorgeschlagenen Wege durch Goethes Leben beschreiben Möglichkeiten, wie man sie bewältigen kann. Auf ein eigenes Leben aus zu sein, muss nicht unbedingt heißen, es sich mit der Welt zu verderben. Goethes Leben steht geradezu für das Gegenteil: Dass es einem trotzdem, vielleicht sogar gerade deswegen gelingen kann, sich mit der Welt zu arrangieren und es zu etwas zu bringen. Dafür hat Goethe vieles ausprobiert und auch zu unorthodoxen Strategien gegriffen.
Goethe streitet für ein tätiges Leben. Zugleich zeigt er, dass es zwar kein Recht auf Glück gibt und Glück ohne Unglück nicht zu haben ist. Er öffnet uns die Augen für die Bedeutung des gegenwärtigen Augenblicks und fragt, wie er sich auskosten lässt. Durch ihn erfahren wir, wie stimulierend eine auf unsere Bedürfnisse und Vorlieben zugeschnittene Umgebung für unsere Produktivität sein kann, denn jeder Mensch ist zumindest ein halber Künstler. Goethe ermutigt uns, dem Pfad der eigenen Kreativität zu folgen. Und er gibt uns schließlich den Glauben daran zurück, dass wir uns von Ideen und Hindernissen befreien können, die einem eigenen Leben im Wege stehen.
Die Parkordnung, die das Betreten und Verlassen des Goethe-Parks regelt, ist extrem kurz. Eigentlich besteht sie nur aus einem einzigen Satz: Die Aufenthaltsdauer ist begrenzt. Ob der Besucher lediglich hereinschnuppert, sich über ganze Lebensstrecken hinweg darin aufhält oder immer wieder zu kürzeren Aufenthalten zurückkehrt, ist in sein Belieben gestellt. Nur verlassen muss er das Areal irgendwann wieder. Am besten, bevor sich das in Parks nie ganz zu vermeidende Gefühl von Klaustrophobie einstellt.
Wer mag, kann dieses Buch, das weder eine Biographie noch ein Goethe-Ratgeber sein will, vielmehr mit beiden Formen spielt, als einen Parkführer betrachten. Acht Spaziergänge durch und zwei Ausblicke auf Goethes Leben, jeweils verknüpft mit Goethe-Werken, deren Auswahl völlig subjektiv ist. Sollten sich hin und wieder Spaziergänger einstellen, die dabei einem Goethe begegnen, der nicht von gestern zu sein scheint und ihnen etwas zu sagen hat, würde sich der Autor glücklich schätzen.
»Ich bin anders, viel anders, dafür danke ich …; dafür, dass ich nicht bin, was ich sein sollte, dafür danke ich auch.«
GOETHE AN JOHANN CHRISTIAN LIMPRECHT, DEN ZIMMERNACHBARN AUS DER LEIPZIGER STUDENTENZEIT, AM 19. APRIL 1770
Kaum etwas wünschen sich die Menschen dringlicher als ein eigenes Leben. Liebe, Glück, Macht, Reichtum, Elternschaft und wie die gängigen Antworten auf die Frage, was im Leben zählt, sonst noch lauten mögen – sie alle ergeben nur Sinn im Licht des eigenen Lebens. Eine Liebe, die für mich selbst keinen Raum mehr lässt, ein Vermögen, dessen Vermehrung oder bloße Verwaltung mich auffrisst, ein phantastischer Job, der mich in den Burn-out treibt, ein Glück, das mich in die Knie zwingt – auf das alles verzichten wir dankend zugunsten eines Lebens, das uns die Chance zur Selbstentfaltung gibt. Nur ein solches Leben empfinden wir als sinnvoll. In jungen Jahren, wenn man das Leben noch vor sich hat, ist das eigene Leben das wichtigste Projekt, dem sich alles andere unterordnet. In späteren Jahren hingegen hat nichts mehr Macht, uns ins Unglück zu stürzen, als die Erkenntnis, im Leben immer nur den Erwartungen anderer entsprochen zu haben oder Sachzwängen gefolgt zu sein. Kurz gesagt: die Erkenntnis, dass das eigene Leben das Leben der anderen war.
Das war nicht immer so. Für den mittelalterlichen Menschen war ein eigenes Leben nicht nur etwas Unerreichbares, sondern etwas, das außerhalb seiner Vorstellungskraft lag. Faktisch führte er natürlich sein Leben und nicht das eines anderen Menschen. In seinem Bewusstsein jedoch hatte die Idee eines Lebens, dessen Zentrum das eigene, individuelle Tun und nicht die Erfüllung eines vorgegebenen Musters war, keinen Platz. Das galt auch und gerade für öffentliche Persönlichkeiten; mehr noch als andere ließen sie sich in ihrem Verhalten und Selbstverständnis von einem normativen Kodex leiten.
So richtig änderte sich das erst mit jenem geistigen Umbruch, den wir Aufklärung nennen. Doch auch hier bedeutete die Aufforderung, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, statt weiterhin tradierten Mustern und den in ihnen niedergelegten Vorurteilen zu folgen, nicht schon, dass die Menschen von jetzt auf gleich damit begonnen hätten, die Idee der Selbstbestimmung auf ihr eigenes Leben anzuwenden. Nicht nur, dass die wenigsten wirklich Zugang zu der neuen Denkweise hatten und viele, die sie nur vom Hörensagen kannten, sie als Bedrohung alles dessen empfinden mussten, was ihnen Sicherheit versprach. Die Menschen sind auch ausgesprochen gut darin, die kühnsten Gedanken zu denken, ohne sich je einmal zu fragen, was dies denn für die eigene Person heißt. Neben den Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, muss deshalb der Mut treten, ein Leben abseits der ausgetretenen Pfade zu führen – und vielleicht nicht nur der Mut, sondern auch die Notwendigkeit dazu.
In Deutschland war die erste Generation, die den Mut dazu aufbrachte (und, wie gesagt, auch die Notwendigkeit dazu verspürte), die Generation um den jungen Goethe herum. Goethe war ein Avantgardist des eigenen Lebens. Auf ihn wollen wir uns im Folgenden konzentrieren, nicht ohne dann und wann auf Zeitgenossen von ihm zu überblenden, sofern sie etwas zur Sach- und Stimmungslage rund um die Geburt und das Heranwachsen der Idee des eigenen Lebens beitragen können.
Mit fünfundzwanzig lebte Goethe noch im Elternhaus. Wieder im Elternhaus, um genau zu sein. Zweimal war er von dort aufgebrochen, und beide Male war er unter deprimierenden Umständen zurückgekehrt. Der erste Abschied erfolgte im Herbst 1765 nach Leipzig zum Jurastudium. Der Sechzehnjährige hätte es vorgezogen, Philologie und Geschichte in Göttingen zu studieren, und war deswegen mit seinem Vater aneinandergeraten. Der hatte darauf bestanden, dass in der Wahl von Studienfach und Studienort der Sohn es ihm gleichtat. Wie viele Väter war er der Überzeugung, dass für den Sohn das Beste sei, was auch für ihn gut genug gewesen war.
Johann Wolfgang hingegen hätte sich eher vorstellen können, Lehrer an einer höheren Mädchenschule zu werden als Advokat. Vater Goethe war ein sozialer Aufsteiger und hatte es durch Studium und Bildung zu Ansehen und einem guten, komfortablen, gänzlich unaufregenden Leben gebracht. Der Sohn sollte »denselben Weg gehen, aber bequemer und weiter«. Johann Wolfgang spürte das und wehrte sich dagegen. Es sei ein frommer Wunsch aller Väter, analysiert er im Nachhinein ihr angespanntes Verhältnis, was ihnen selbst abging, an den Söhnen realisiert zu sehen. »So ungefähr, als wenn man zum zweitenmal lebte und die Erfahrungen des ersten Lebenslaufes nun erst recht nutzen wollte.« Genau das aber kam für den Sohn nicht infrage. Er wollte keine optimierte Version seines Vaters werden. Er wollte kein Leben aus zweiter Hand führen, sondern das Leben in eigener Regie gestalten. »Man lebt nur einmal«, war einer seiner Lieblingssätze. Und das eine, eigene Leben sollte nicht bloß ein Abklatsch, eine Kopie nach der Vorgabe tradierter Blaupausen sein, es sollte ein selbst gestaltetes und selbst verantwortetes Leben sein.
Das Terrain, auf dem Goethe seine Selbstständigkeit erprobte und sie mit großer Unbekümmertheit und Spontaneität ausagierte, war die Literatur. Wie so häufig der Fall, entdeckte er die Begabung zum Schreiben und die Lust daran mit der Pubertät. Als Sechzigjähriger auf seine dichterischen Anfänge zurückblickend, leitet er die existenzielle Bedeutung, die die Literatur um diese Zeit herum für ihn gewann, aus der Erfahrung her, sich letztlich nur auf sich selbst verlassen zu können. »Wir mögen unter dem Schutz von Eltern und Verwandten emporkommen, wir mögen uns an Geschwister und Freunde anlehnen, durch Bekannte unterhalten, durch geliebte Personen beglückt werden, so ist doch immer das Final, dass der Mensch auf sich zurückgewiesen wird«, schreibt er im 15. Kapitel von Dichtung und Wahrheit, der Autobiographie seiner ersten fünfundzwanzig Lebensjahre. Sogar Gott erwidere Ehrfurcht, Zutrauen und Liebe nicht immer, zumal dann nicht, wenn wir sie besonders dringend gebrauchen können, fügt er ironisch hinzu. Sein »produktives Talent« habe ihn dagegen keinen Augenblick verlassen; auch dann nicht, wenn er in Phasen der Labilität und der negativen Stimmung darauf angewiesen war. »Wie ich nun über diese Naturgabe nachdachte und fand, dass sie mir ganz eigen angehöre und durch nichts Fremdes weder begünstigt noch gehindert werden könne, so mochte ich gern hierauf mein ganzes Dasein in Gedanken gründen.« Daher rührt es, dass bei Goethe, wenn er auf seine Eigenständigkeit zu sprechen kommt, immer von Literatur die Rede ist, und umgekehrt. Für ihn waren das in der Tat zwei Seiten einer Medaille.
Zwar gehorchte der Sechzehnjährige dem Vater, aber mit einer Haltung, die er in seiner Autobiographie »Impietät« nennt, was so viel wie Pflichtvergessenheit und Lieblosigkeit (auch Gottlosigkeit) meint. Die Studien, denen er in Leipzig nachging, hatten jedenfalls wenig mit der Rechtslehre zu tun, mehr galten sie den Sprachen, der Literatur – und den Mädchen. Die Leipziger Studenten sahen in Goethe ein Fashion-Victim, was man damals einen Stutzer nannte, der auch sonst recht aufgeblasen und von sich selbst eingenommen war. Intellektuell war er ein Überflieger. Damit macht man sich nicht viele Freunde. Drei Jahre später kam er ohne Studienabschluss, jedoch mit einer Tuberkulose und wegen einer unglücklichen Liebesgeschichte seelisch angeschlagen – »gleichsam als ein Schiffbrüchiger«, wie er schreibt – nach Frankfurt zurück. Die verschleppte Erkrankung, vieles deutet auf eine Depression hin, setzte sich zu Hause fort. Bis zu seiner vollständigen Genesung vergingen Monate.
Schon rasch muss der um Eigenständigkeit ringende junge Mann feststellen, dass das eigene Leben, das er zu führen sich vorgenommen hat, gar nicht so leicht das eigene Leben ist. Es hängt von lauter windigen Umständen und widrigen Voraussetzungen ab, die man nicht unter Kontrolle hat. Der Vater hingegen hält derlei Überlegungen für Ausreden. Er kann die Enttäuschung nicht verbergen, »anstatt eines rüstigen, tätigen Sohns, der nun promovieren und jene vorgeschriebene Laufbahn durchlaufen sollte, einen Kränkling vorzufinden, der noch mehr an der Seele als am Körper zu leiden schien«. So drängt er bei der Therapie auf Eile und verbittet sich in seiner Gegenwart »hypochondrische Äußerungen«. Statt Nachsicht zu üben und ihm Trost zu spenden, äußert er sich auf eine Weise über ihn, die Goethe noch Jahrzehnte später als »grausam« erinnert. Als hinge das, »was in keines Menschen Hand lag«, nur vom Willen ab.
Der zweite Abschied von Frankfurt erfolgt Ende März 1770, nach Straßburg zur Wiederaufnahme des Studiums; der ursprüngliche Plan war sogar, nach der Promotion von dort nach Paris, in die große Welt, weiterzuziehen. Im Jahr darauf kehrt der junge Goethe nicht krank, aber gedemütigt nach Hause zurück. Seine Dissertation ist abgelehnt worden, zwar aus fragwürdigen Gründen, aber mit der Konsequenz, dass sich Goethe mit dem Grad eines Lizentiaten der Rechte begnügen muss. Dennoch nennt ihn alle Welt und insbesondere der Vater Doktor. Trotz des zweiten akademischen Dämpfers verläuft Goethes Zulassung zum Advokaten – zu einer Tätigkeit, die er verabscheut und sobald wie möglich wieder loswerden will – reibungslos. Als Fürsprecher und heimlicher Sozius geht ihm der Vater zur Hand und nimmt ihm das ungeliebte Aktenstudium ab. Dadurch verschafft er ihm freie Zeit zum Dichten, worin Goethe rasch erstaunliche Fertigkeiten entwickelt. Und natürlich hat der Vater den flatterhaften Sohn so auch besser unter Kontrolle.
In Straßburg hatte Goethe den studierten Theologen Johann Gottfried Herder kennengelernt. Anders als der zwanzigjährige Goethe konnte der fünf Jahre ältere Herder bereits auf eine berufliche Vergangenheit zurückblicken: Er war Prediger und Lehrer in Riga, der livländischen Hauptstadt, gewesen. Doch obwohl man ihm dort Aussicht auf den Posten des Rektors und auf ein Pastorat gemacht hatte, hatte er Riga am 23. Mai 1769 beinahe fluchtartig verlassen. Der Bruder eines Freundes begleitete eine Schiffsladung Roggen und Flachs nach Frankreich, und Herder nutzte die Gelegenheit, nach Mitteleuropa zu gelangen. So bot der zu diesen Zeiten prosperierende grenzüberschreitende Handel einem Intellektuellen die Chance, ein Leben neu zu beginnen, das dem eigenen Gefühl nach in eine Sackgasse geraten war.
Um seine Schulden zu begleichen hatte Herder in Riga neben seinen Möbeln sogar seine Bücher verkauft. Nun genoss er auf dem Schiff nach überstandener Seekrankheit das neue Gefühl der Freiheit. Studierstuhl, Kanzel und Katheder hatte er mit einem Platz »unter einem Maste auf dem weiten Ozean« vertauscht und fühlte sich in dieser Situation, »ohne Bücher und Instrumente«, eigentlich erst recht als Philosoph: »Alles gibt hier dem Gedanken Flügel und Bewegung und weiten Luftkreis! Das flatternde Segel, das immer wankende Schiff, der rauschende Wellenstrom, die fliegende Wolke …!«
So steht es in Herders Journal meiner Reise im Jahr 1769, das er auf dem Schiff beginnt und nach dem Landgang in Nantes fortsetzt. Veröffentlicht wird es erst Mitte des 19. Jahrhunderts. Goethe aber bekommt das Manuskript bereits im Spätsommer 1770 in Straßburg zu Gesicht. Vielleicht hat der neue Freund, den er trotz nicht ausbleibender Differenzen rasch als seinen Mentor akzeptiert, ihm aus seinen Aufzeichnungen vorgelesen, vielleicht hat er ihm die Kladde auch über Nacht zur Lektüre überlassen. »Die Kleinheit deiner Erziehung, die Sklaverei deines Geburtslandes, der Bagatellenkram deines Jahrhunderts … hat dich eingeschränkt, dich so herabgesenkt, dass du dich nicht erkennest«, konnte Goethe jedenfalls dort lesen. »Wann werde ich so weit sein, um alles, was ich gelernt, in mir zu zerstören, und nur selbst zu erfinden, was ich denke und lerne und glaube!«
Die Nachwelt hat in Herders Reisejournal von 1769 die Gründungsurkunde des »Sturm und Drang« gesehen, jener literarischen Bewegung, die mit Herders und Goethes Begegnung in Straßburg ihren Anfang nahm. Noch mehr als das Dokument eines literarischen Aufbruchs ist Herders Journal eine Magna Charta des eigenen Lebens. Hier rebelliert einer nicht nur gegen fremde Autoritäten, sondern vor allem gegen sich selbst. Gleich auf den ersten Seiten rechnet der soeben der provinziellen Enge Rigas entkommene Autor mit seiner dortigen Vergangenheit ab. Was, so fragt er sich etwa, wenn er statt Theologie leichtere Studien wie Französisch, Geschichte, Naturkenntnis, Zeichnung, Rhetorik gewählt hätte? Und gibt sich die Antwort gleich selbst: »Ich wäre nicht ein Tintenfass von gelehrter Schriftstellerei« geworden, sondern »hätte meine Jahre genießen« können. Herder hadert damit, dass das Leben, zu dem er sich entschieden hat, nicht das Leben geworden ist, das er eigentlich hat führen wollen. Und so ist er aufgebrochen, um an einem anderen Ort und unter anderen Umständen das Leben neu zu beginnen, in der Hoffnung, dass es nun jenes Leben wird, das wirklich ein eigenes Leben genannt zu werden verdient. Sein Journal ist randvoll mit Plänen und Skizzen, was er mit seinem neuen Leben anfangen, was er bewirken und welche Bücher er schreiben will.
Herder ist der Verkünder des eigenen Lebens geblieben – es in der erwünschten Weise zu führen gelang ihm nicht. Der fünf Jahre jüngere Goethe hingegen, dem er in Straßburg begegnet, lässt sich von ihm diese Idee einpflanzen und macht sie sich in den folgenden sechs Jahrzehnten auf eine Weise zu eigen, die uns noch heute das Staunen lehrt.
Wie ergeht es zur gleichen Zeit einem anderen, in mancher Hinsicht genauso begabten, aber nicht wie der junge Goethe privilegiert in einer wohlhabenden städtischen Familie aufgewachsenen jungen Mann? Einem wie Karl Philipp Moritz, in dessen Familie sich nicht alles um die optimale Entfaltung der Talente des Erstgeborenen dreht?
Auch die Begegnung mit dem 1756 geborenen Moritz hinterlässt bei den Zeitgenossen einen unauslöschlichen Eindruck. Doch in seinem Fall bewundern sie nicht wie bei Goethe die überbordende Eloquenz, verbunden mit einem charismatischen Auftreten und einem gefälligen Äußeren. Vielmehr beschäftigt sie, was dieser Moritz alles gemacht und durchgemacht und wie er das alles überstanden hat. »Dieser Mensch ist in zehn Jahren Hutmacher Bursche in Braunschweig, Schüler in Hannover, Student in Erfurt, Magister in Wittenberg, Lehrer am Philanthropinum in Dessau, am Waisenhause in Potsdam, Konrektor und Prediger in Berlin gewesen«, stellt etwa der Jurist und Schriftsteller Johann Anton Leisewitz fest, nachdem er mit der seltsamen Erscheinung des kleinwüchsigen, leicht hinkenden Magisters Moritz Bekanntschaft gemacht hat.
Im Elternhaus lebte der fünfundzwanzigjährige Moritz da längst nicht mehr. Von Kindheit an habe er »zu wenig eigene Existenz gehabt«, wird er später schreiben und dieser Aussage den nötigen Nachdruck verleihen, indem er sie kursiv setzt. Im Alter von zwölf Jahren gab ihn der Vater als Bursche in die Gerberei eines Hutmachers, wo er Kessel anheizen, die Werkstatt putzen und derlei ungelernte Arbeiten mehr verrichten musste. Der Hutmacher war wie der Vater auch Anhänger der Lehre des Quietismus, einer besonders rigorosen Form der Selbstauslöschung als dem einzig wahren Weg zu Gott. Die französische Mystikerin Jeanne Marie Guyon, auf die sich die Sektierer beriefen, hatte von »Austrocknung des Ichs« gesprochen, was Karl Philipp Moritz später zu einem Witz veranlasste: »Als man nach ihrem Tode ihren Kopf öffnete, fand man ihr Gehirn wie ausgetrocknet.«
Noch aber hat der kleine Karl Philipp nichts zu lachen – Armut, Ausbeutung und religiöser Wahn treiben den Zwölfjährigen in einen Suizidversuch. Danach gilt der mit knapper Not Gerettete als »ein gefährlicher Mensch« und wird aus dem Hause geschafft. Er kommt an einer Freischule unter, die die Eltern nichts kostet, weil der Unterricht von Lehrern bestritten wird, die sich noch in der Ausbildung befinden. Kurze Zeit später, als die Begabung des Jugendlichen offensichtlich wird, kann er mit einem Stipendium, aber gegen den Willen seiner Eltern die Stadtschule besuchen.
Damit beginnt eine wechselvolle Emanzipationsgeschichte, anfangs mit vielen Tiefen und wenigen Höhen. Moritz wird Teil des damaligen Schulsystems, das ihm allen Unzulänglichkeiten zum Trotz einen Ausweg aus der Misere seiner Herkunft und der religiösen Vertrocknung weist. Das Glück des Lernens schenkt ihm Selbstvertrauen, das die Zwänge des Schulalltags und seine demütigenden Lebensumstände aber gleich wieder untergraben. Stets aufs Neue ergreift er die Flucht, versucht sich umherziehenden Theatertruppen anzuschließen. Als das scheitert, lässt er sich zum Lehrer ausbilden. Sein erster Job ist der eines Informators, eines Hilfslehrers, am Militär-Waisenhaus in Potsdam. Die Zustände dort müssen grauenhaft gewesen sein. Schon bald aber kann er an ein Gymnasium wechseln. Nachträglich erwirbt er den Titel eines Magisters. Mit dreiundzwanzig ist er bereits Konrektor; der soziale Aufsteiger ist in der Gesellschaft angekommen. Jedenfalls dem äußeren, dem beruflichen Leben nach.
Das eigentlich Erregende an Moritz’ Lebenslauf und der Darstellung, die er ihm in seinem psychologischen Roman Anton Reiser gegeben hat, ist die Empörung, die die Schilderung unterschwellig begleitet: Krude Formen der Behandlung von Kindern und Jugendlichen, die wenige Jahrzehnte zuvor noch kaum Anlass zum Protest gegeben hätten, werden nun als frühe Einschränkungen eines eigenen Lebens verurteilt. Hier entwickelt sich ein rebellischer Geist, der zu seiner eigenen Beschämung erleben muss, wie er sich sogleich in neue Abhängigkeiten verstrickt.
Beide, Moritz wie Goethe, befanden sich in Situationen, wie sie für ihre Generationen durchaus typisch waren, nur am jeweils anderen Ende der sozialen Skala. Hier der Paria, der sich unter Qualen und Entbehrungen mithilfe von Begabung und Lerneifer zum Aufsteiger wandelt. Dort der wohlausstaffierte Bürgersohn, der nicht nur unter den Untiefen der eigenen Seele leidet, sondern auch an einer Gesellschaft, die für Leute wie ihn keine Zukunftschancen bietet. Bei Goethe führt die Ablehnung einer standesgemäßen Laufbahn, wie der Vater sie für ihn vorgesehen hat, zu einer grundsätzlichen Ablehnung der bürgerlichen Leitidee, ein junger Mann habe sich brauchbar zu machen für eine Gesellschaft, die in ihrem Fortbestand darauf angewiesen ist, dass die heranwachsenden Generationen Leistungsbereitschaft zeigen und ökonomisch erfolgreich sind. Nein, insistiert Goethe, mir geht es darum, »mich selbst, ganz wie ich da bin, auszubilden«, wie er es im Wilhelm Meister formulieren wird; auf das eigene Leben kommt es an, und dem widerspricht ein Denken in Nützlichkeitskategorien.
Goethe hat die Gemeinsamkeit mit Moritz über die Unterschiede der Herkunft hinweg erkannt. Als er ihm 1786 in Rom zum ersten Mal begegnet, erzählte dieser ihm sein Leben, und Goethe staunt über die Ähnlichkeit mit dem eigenen. »Er ist wie ein jüngerer Bruder von mir«, schreibt er nach Weimar an Charlotte von Stein, »von derselben Art, nur da vom Schicksal verwahrlost und beschädigt, wo ich begünstigt und vorgezogen bin. Das machte mir einen sonderbaren Rückblick in mich selbst.«
Die Generation Goethe, bleiben wir bei diesem Namen, war lange vor den Achtundsechzigern die erste Kriegsfolgen-Generation in Deutschland, die sich als solche verstand. 1756, als Goethe gerade sieben Jahre alt war, hatte durch den Überraschungsangriff Friedrichs II. auf Sachsen der Siebenjährige Krieg begonnen. Er sollte sich zu einem europäischen Krieg, in vieler Hinsicht sogar zu einem ersten Weltkrieg ausweiten. In Europa standen Preußen, England und Portugal einer Koalition von Österreich, Frankreich, Spanien, Russland und Schweden gegenüber. Doch die Konflikte um die Vorherrschaft in Europa sowie in Nordamerika und Indien wurden auch auf außereuropäischen Kriegsschauplätzen mit dortigen Verbündeten und Gegnern ausgefochten. Am Ende waren eine Million Tote, die Hälfte davon auf den Schlachtfeldern, und die Verwüstung großer Landstriche zu beklagen. Aber auch in den Köpfen der Menschen richtete der Krieg erhebliche Schäden an: Der Optimismus der Aufklärung machte einem Bewusstsein des Kontrollverlustes und der Unerheblichkeit allen menschlichen Tuns Platz.
Neu am Siebenjährigen Krieg war zudem das Ausmaß, in dem er die Öffentlichkeit mobilisierte. Er wurde nicht nur mit Kanonen und Gewehren, sondern auch mit den Waffen des Geistes, nicht zuletzt der Poesie geführt. Blutrünstige Verse feierten den Tod und das Verderben der Feinde, Flugschriften und Predigten trugen den Krieg in die Familien und Stände. Während die Soldaten auf den Schlachtfeldern über Hügel von Verwundeten und Toten hinwegstiegen, dabei Todesängste ausstanden, sich zeitweilig aber auch in regelrechte Gewalträusche hineinsteigerten, kämpften Autoren, Prediger und Pamphletisten an der Medienfront, wie es Steffen Martus in seiner Geschichte der Aufklärung formuliert hat. Das begann schon damit, dass Friedrich II. dem Überfall Sachsens statt der unterbliebenen Kriegserklärung ein »Manifest« folgen ließ, »welches die Ursachen enthielt, die ihn zu einem solchen ungeheuren Schritt bewogen und berechtigt«. So schildert es Goethe in Dichtung und Wahrheit. Und er fährt fort: »Die Welt, die sich nicht nur als Zuschauer, sondern auch als Richter aufgefordert fand, spaltete sich sogleich in zwei Parteien, und unsere Familie war ein Bild des großen Ganzen … Man stritt, man überwarf sich, man schwieg, man brach los … Alles andere Interesse musste diesem weichen, und wir brachten den Überrest des Jahres in beständiger Agitation zu.« Als dann 1759 die Franzosen Frankfurt besetzen und der französische Stadtgouverneur François de Théas Graf von Thoranc mit seiner Entourage für mehrere Jahre in Goethes Elternhaus Quartier bezieht, geht der Riss nun auch mitten durch die Kernfamilie.
Bereits im Vorwort seiner Autobiographie hat Goethe auf die Relevanz des Zeitpunkts der Geburt für das eigene Leben aufmerksam gemacht. Die Zeitverhältnisse, so heißt es dort, würden den Menschen mit sich fortreißen, ob er das nun will oder nicht, »dergestalt, dass man wohl sagen kann, ein Jeder, nur zehn Jahre früher oder später geboren, dürfte, was seine eigene Bildung und die Wirkung nach außen betrifft, ein ganz anderer geworden sein«. Das ist eine für damalige Begriffe ganz unerhörte Behauptung, zumal wenn man den engen Zeitrahmen von zehn Jahren in Betracht zieht, der laut Goethe über die prägenden Erfahrungen entscheiden soll. Ohne schon den Begriff zu verwenden, hat Goethe hier über das »Problem der Generationen« nachgedacht, nicht mehr angelehnt an die biologische Generationenfolge, sondern bereits im Sinn gemeinsamer Erfahrungen und Lebenskulissen, wie es heute unserer Redeweise entspricht, angefangen von der skeptischen Generation, den Halbstarken, den Achtundsechzigern bis hin zu den Generationen X und Y.
Goethes Überlegung bedeutet konkret: Wäre ich nicht 1749, sondern etwa schon Mitte der 1730erjahre auf die Welt gekommen, dann wäre ich ein ganz anderer geworden. Dann hätte ich, um seinen Gedanken fortzuführen, jener Generation von jungen Männern angehört, die 1756, bei Kriegsausbruch, schon alt genug waren, um als Soldaten oder engagierte Autoren am Kriegsgeschehen teilzunehmen und seine öffentliche Wahrnehmung mitzubestimmen. Das war die Generation etwa des Dichters und Juristen Johann Wilhelm Ludwig Gleim, des Verfassers preußischer Kriegslieder, des Schweizers Ulrich Bräker, genannt: der arme Mann aus dem Toggenburg, der die bis heute bekannteste Beschreibung des Schlachtgeschehens lieferte, des Publizisten Thomas Abbt, der 1761 die Streitschrift Vom Tode für das Vaterland publizierte; aber auch von Gotthold Ephraim Lessing, der mit seinem Drama Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück nach dem Urteil Goethes das erste Gegenwartsstück »von spezifisch temporärem Gehalt« geschaffen hat.
ENDE DER LESEPROBE