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7 von über 77 Fragen, die Bestsellerautor Ernst Peter Fischer in diesem Buch beantwortet: - Warum wird der Himmel nachts dunkel? - Warum funkeln die Sterne und fallen nicht vom Himmel? - Was lässt Blätter im Sommer grün leuchten und wieso färbt sich das Laub im Herbst herrlich bunt? - Was sehen Tiere, wenn sie in ihrer Umwelt auf das schauen, was Homo sapiens mit Rot, Grün, Blau bezeichnet? - Warum kullern uns Tränen aus den Augen, wenn wir uns "totlachen"? - Was enthält mehr Eiweiß - Eiweiß oder Eigelb? - Und warum tauchen mit jeder Antwort neue Fragen auf? Ernst Peter Fischer ist ein Experte im unterhaltsamen Beantworten von Fragen, die uns Menschen fast zwangsläufig in den Sinn kommen, wenn wir unsere Umwelt und uns selbst aufmerksam und neugierig beobachten. Für dieses Buch hat er nicht nur die Fragen ausgewählt, die ihm am häufigsten in seiner Karriere als Wissenschaftshistoriker und Buchautor gestellt worden sind, sondern die zu beantworten er auch am reizvollsten findet. Anschaulich führt er vor, dass sich aus der Beantwortung von Fragen weitere ergeben, ohne dass das Fragen jemals zum Abschluss kommt. Das ist der Kern von Wissenschaft. "Warum funkeln die Sterne?" ist ein so leicht wie vergnüglich zu lesendes Kompendium in fünf Kapiteln mit wissenschaftlichen Erklärungen der Wunder unserer Welt.
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Ernst Peter Fischer
Warum funkeln die Sterne?
*
Die Wunder der Welt wissenschaftlich erklärt
C.H.Beck
Ernst Peter Fischer ist ein Experte im unterhaltsamen Beantworten von Fragen, die uns Menschen fast zwangsläufig in den Sinn kommen, wenn wir unsere Umwelt und uns selbst aufmerksam und neugierig beobachten. Für dieses Buch hat er nicht nur die Fragen ausgewählt, die ihm am häufigsten in seiner Karriere als Wissenschaftshistoriker und Buchautor gestellt worden sind, sondern die zu beantworten er auch am reizvollsten findet.
Anschaulich führt er vor, dass sich aus der Beantwortung von Fragen weitere Fragen ergeben, ohne dass das Fragen jemals zum Abschluss kommt. Das ist der Kern von Wissenschaft. «Warum funkeln die Sterne?» ist ein so leicht wie vergnüglich zu lesendes Kompendium in fünf Kapiteln mit wissenschaftlichen Erklärungen der Wunder unserer Welt.
Ernst Peter Fischer ist Physiker und lehrte als Professor an den Universitäten Konstanz und Heidelberg Wissenschaftsgeschichte. In seinem eindrucksvollen Œuvre fand das Werk Die andere Bildung (2001) größte Beachtung und wurde zu einem wahren Wissenschaftsbestseller. Im Verlag C.H.Beck ist von ihm lieferbar: Das wichtigste Wissen. Vom Urknall bis heute (2020); Die Stunde der Physiker. Einstein, Bohr, Heisenberg und das Innerste der Welt (22022).
Zum Anfang
Urknall mit Ursachen
Der Stern, der vom Himmel fällt
1: Die Farben der Dinge
Vom Wahrnehmen der Dinge
Die Farben des Regenbogens
Die Empfindung Farbe
Der Sonne entgegen
Zerstreuungen
Die Farbe des Wassers
Der Sonnenwind
Eine Frage der Energie
Was ist Energie?
Was ist Licht?
Vom Licht zum Sehen
Am Anfang war Blau
Auf die Mischung kommt es an
Blau am Bildschirm
Farbfotografie
2: Der Blick zum Himmel
Die Dunkelheit der Nacht
Das Verlangen nach Astrologie
Die Vermessung des Himmels
Über die und über den Wolken
Der Mond ist aufgegangen
Exoten
Der Blick zum oder vom Himmel
Das unsichtbare Gas am Himmel
3: Aus dem Leben der Menschen
Das Süße des Zuckers
Ein Exkurs zum Schmerz
Kleben, Schwitzen und Erröten
Ein Ärgernis namens Handy
Eine Frage der Investition
In der Hitze der Nacht
Innere Unendlichkeiten
Die Farben der Haut
Anmerkungen zum Krebs und zum Tod
Lachen und Lächeln
Witze und Lachtränen
Sex und Witze
Augen und Ohren
Wer nicht hören will, muss fühlen
Menschenrechte und -pflichten
Das Nachhaltige und das Nötige
Das große Warum
4: Rätselhaftes aus der Wissenschaft
Vom freien Fall
Unbeweisbares und Unentscheidbares
Aktuelle Rätsel und Ratlosigkeit
Eine Weltklimakonferenz
Einige Schlüsselprobleme
Von den Atomen zu den Genen
Eine Frage der Intelligenz
5: Alltägliche Kniffligkeiten
Einsteins Kühe
Im Spiegel
Drogen und Rauschmittel
Der Kühlschrank in der Küche
Vegan oder was?
In der Pflanzenwelt
Tannengrün in Schnee und Eis
Reibereien
Was ist der Mensch?
6: Das Fragen nach der Wahrheit
Kränkungen
Die Wahrheit wird euch frei machen
Das Geheimnis der Wahrheit
Der Wahrheit gegenübertreten
Gedanken zur Wahrheit
«Sag mir, warum!»
Zum Schluss
Einige Antworten zu offenen Fragen im Text
Seite 19:
Seite 63:
Seite 74:
Seite 82:
Seite 158:
Seite 178:
Seite 180:
Seite 195:
Danksagung
Anmerkungen
Literaturhinweise
Zum Anfang
Die Farben der Dinge
Der Blick zum Himmel
Aus dem Leben der Menschen
Rätselhaftes aus der Wissenschaft
Alltägliche Kniffligkeiten
Das Fragen nach der Wahrheit
Statt eines Registers:Verzeichnis der wichtigsten Fragen
Himmel und Erde
Sonne, Mond und Sterne
Pflanzen und Tiere
Mathematik und Physik
Menschen
Farben und andere Naturphänomene
Technik
Erich Kästner
Ein Epigramm: Sokrates zugeeignet (1967)
Es ist schon so: Die Fragen sind es,
aus denen das, was bleibt, entsteht.
Denkt an die Frage jenes Kindes:
«Was tut der Wind, wenn er nicht weht?»
*
Heinrich Heine
Buch der Lieder (1827)
Fragen
Am Meer, am wüsten, nächtlichen Meer
Steht ein Jüngling-Mann,
Die Brust voll Wehmut, das Haupt voll Zweifel,
Und mit düstern Lippen fragt er die Wogen:
«O löst mir das Rätsel des Lebens,
Das qualvoll uralte Rätsel,
Worüber schon manche Häupter gegrübelt,
Häupter in Hieroglyphenmützen,
Häupter in Turban und schwarzem Barett,
Perückenhäupter und tausend andre
Arme, schwitzende Menschenhäupter –
Sagt mir, was bedeutet der Mensch?
Woher ist er kommen? Wo geht er hin?
Wer wohnt dort oben auf goldenen Sternen?»
Es murmeln die Wogen ihr ew’ges Gemurmel,
Es wehet der Wind, es fliehen die Wolken,
Es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt,
Und ein Narr wartet auf Antwort.
*
Franz Kafka
Tagebuch, 27. Oktober 1911
Sitte, gleich nach dem Erwachen die Finger dreimal in Wasser zu tauchen, da die bösen Geister sich in der Nacht auf dem zweiten und dritten Fingerglied niederlassen. Rationalistische Erklärung: Es soll verhindert werden, daß die Finger gleich ins Gesicht fahren, da sie doch im Schlaf und Traum unbeherrscht alle möglichen Körperstellen, die Achselhöhlen, den Popo, die Geschlechtsteile, berührt haben können.
Ein Narr vermag mehr Fragen zu stellen, als sieben Weise beantworten können, heißt es in einem Sprichwort: Es drückt mit diesen Worten eine vertraute Erfahrung aus. Der «Jüngling-Mann», den Heine wehmütig am wüsten Meer auftreten lässt, müsste wirklich ein Narr sein, wenn er meint, es gebe erhellende oder gar erlösende Antworten auf die großen Fragen, die er in die Dunkelheit hineinbrüllt. Wer soll denn verbindlich sagen können, was das ist, dieser Mensch, der da zum Himmel aufschaut und etwas über die Sterne wissen will? Selbst der Philosoph der Aufklärung, Immanuel Kant, hat dazu lieber Fragen formuliert.[1] Wer weiß denn zuverlässig, woher dieses grübelnde, rätselhafte, neugierige und kopflastige Lebewesen auf zwei Beinen im Laufe einer evolutionären Entwicklung gekommen ist und wohin es an seinem unvermeidlichen Ende gehen will und kann? Und wer traut sich, dem Narren zu gestehen, dass nach der Antwort noch immer gesucht wird?
In der Literatur zirkuliert ein namenloses Gedicht mit einer jahrhundertealten Vorgeschichte, in dem die nächtlichen Fragen von Heines Jüngling in den ersten drei Zeilen persönlich gewendet werden, bevor die Verse einen Dreh ins Lebensernste nehmen und den Gemütszustand von einem vielleicht ahnungs-, aber nicht hoffnungslosen Menschen in Frage stellen. Das Gedicht lautet so:[2]
Ich komme, ich weiß nicht, von wo?
Ich bin, ich weiß nicht, was?
Ich fahre, ich weiß nicht, wohin?
Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.
Früher wurde diese gefällige Fröhlichkeit in Kirchenkreisen genutzt, um einem hohen Herrn im Himmel für dieses Glücksgefühl zu danken. Doch heute möchte man nüchterner und säkularer orientiert verstehen, warum manche Menschen sich gerade dann freuen, wenn sie vor offenen Fragen oder rätselhaften Erscheinungen in der Natur stehen und sich wundern können.
Fröhlich und freudig erregt – in dieser Stimmung befand sich der junge Albert Einstein, nachdem er Kants Erkundigungen nach den Anfängen von Raum und Zeit im frühen 20. Jahrhundert aufgenommen hatte, um sie den Philosophen zu entziehen und ihnen mit den Mitteln der Naturwissenschaft eine besondere Wendung zu geben. Einstein konnte aus den zwei Fragen der Philosophie eine der Physik machen. Er vermochte zu zeigen, dass Menschen nicht in einem (absoluten, also abgelöst gedachten) Raum leben, durch den unabhängig die (ebenfalls für absolut gehaltene) Zeit fließt, wie von Isaac Newton vorgeschlagen und von Kant philosophisch abgesegnet worden war. Einstein konnte vielmehr demonstrieren, dass das kosmische Zuhause der Erdenbürger eine relative Raumzeit ist, die dem Kosmos vier Dimensionen verleiht – drei für den Raum und eine für die Zeit. Man kann fragen, wie Einstein auf diese Idee gekommen ist und wie die Stimmigkeit seiner Überlegungen bewiesen werden konnte; dieses Buch wird dazu Auskunft geben.
Eine erstaunliche Konsequenz aus der für die Anschauung unzugänglich bleibenden Raumzeit besteht darin, dass sich mit ihrer Hilfe etwas über den Anfang der Welt sagen lässt, und zwar etwas überraschend Einfaches nach all den Komplikationen zuvor. Für diesen Anfang am Beginn der Zeit kann die Wissenschaft nämlich nach Einsteins Vorgaben einen Ausgangspunkt – wörtlich aufgefasst – angeben und benennen. Sie bezeichnet ihn als «Singularität»; im Volksmund wird er «Urknall» genannt, wobei dieser populäre Ausdruck das hübsche englische Original «Big Bang» übersetzt. Allerdings: Der britische Physiker Fred Hoyle, auf den der Ausdruck «Big Bang» zurückgeht, wollte mit seinem Wortspiel anzeigen, wie albern er so eine knallige Vorstellung fand. Auf Deutsch könnte man seine Haltung mit «Riesen Rumps» ausdrücken, wenn man sowohl die Alliteration als auch den Witz retten will.
Was auch immer beim Big Bang passiert ist, beim Betrachten des dazu nötigen physikalischen Geschehens fallen den Beteiligten aus der Wissenschaft vor allem ungeklärte und unerklärte Abläufe etwa bei den Umwandlungen der Energien ein, die sich unentwegt vollziehen müssen und nie zum Ende kommen. Es gibt namhafte Physiker, die bei aller Attraktivität und Popularität eines Urknalls skeptisch bleiben, die allmählich an dem ganzen Szenarium zweifeln und sich nicht scheuen, Heines Narr auftreten und ihn sagen zu lassen: Wer die Welt mit einem Knall beginnen lässt, der hat selbst einen. Jedes Entstehen von Raum und Zeit – und auch von Materie – bleibt bei allen Fortschritten der Physik geheimnisvoll, und genau das sorgt für das, was Einstein an der Wissenschaft gefällt und ihm Freude bereitet. Sokrates und Kant können klagen, solange sie wollen.
Einstein hat für sich etwas anderes erfahren; er weiß: «Das Schönste, was wir [die Menschen] erleben können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht.»[3] Und weil das so ist, wundert sich Einstein nicht, dass er fröhlich ist, wenn er die Dinge zu verstehen versucht und über sie nachdenkt. Er wundert sich vielmehr über Menschen, «die sich nicht mehr wundern, nicht mehr staunen» können.
Wer sich in der Geschichte der Physik umsehen konnte, hat sicher von dem schönen Satz gehört, den der große Isaac Newton geschrieben hat, nachdem er auf die Ideen gekommen war, die sich in den Bewegungsgleichungen zeigen, die heute in den Schul- und Lehrbüchern stehen. Mit Newtons Gesetzen zeigten sich Menschen erstmals in der Lage, das Umlaufen von Planeten am Himmel präzise zu verstehen. Aber der berühmte Mann blieb bescheiden. Newton meinte nach seinem historischen Erfolg, er komme sich vor wie ein kleiner Junge, der am Strand eine Muschel findet und sich darüber ausgelassen freut, während er zugleich den Ozean vor Augen hat und damit weiß, dass er in seiner enormen Ausdehnung und Tiefe noch unerforscht vor ihm liegt und die Neugierde nicht zur Ruhe kommen lässt. Das Geheimnisvolle zu spüren, wird auch hier zu dem Schönen, das einen Menschen fröhlich werden lässt. Vielleicht gehen Menschen deshalb so gerne am Strand spazieren. Mit dem Blick auf die Wellen und den Horizont ahnen sie etwas von der Unendlichkeit, die in der Welt mit ihren Geheimnissen steckt und sie anlockt.
Nicht nur große, sondern selbst einfache Fragen führen selten zu einer einzigen und klaren Antwort, mit der dann alles geklärt – aufgeklärt – ist. Vielmehr können oftmals mehrere Erwiderungen oder Erläuterungen gleichberechtigt nebeneinander bestehen, wie auch Kafka in seinen Tagebüchern feststellt. So selbstverständlich dies ist, es bedeutet nicht nur nebenbei, dass nach jeder erläuternden Feststellung weitere Fragen auftauchen, deren Antworten dann dasselbe Schicksal erfahren, wie in den Zeilen zu lesen ist, die Erich Kästner «Sokrates zugeeignet» hat: Das Fragen bleibt den Menschen aufgegeben. Mit seiner Hilfe können sie schrittweise das Wissen ansammeln, über dessen Erwerb sie sich dann ein Leben lang freuen können, weil es nie zum Abschluss kommen wird.
Es gilt, sich klarzumachen, dass die eben geschilderte Situation bei aller Neugierde gerade das nicht liefert, was Philosophen der Aufklärung im Grunde ihres Herzens erwartet haben. In ihrer Sicht können Menschen vernünftige Fragen über die Welt stellen und darauf vernünftige Antworten geben, und mit ihnen wissen sie dann ein für alle Mal Bescheid. Das meinten Kant und seine Kollegen. Aber die Verhältnisse, sie sind nicht so. Auf vernünftige Fragen – «Was ist Licht?» oder «Was ist Wasser?» – gibt es mehrere vernünftige Antworten: Licht ist Welle und Teilchen zugleich, und Wasser ist sowohl ein Molekül (H2O) als auch eine Flüssigkeit.[4] Und diese Antworten können sich sogar widersprechen. Das ist in der Epoche, die nach der Aufklärung kam, den neugierigen Menschen erstmals aufgefallen und hat ihnen dann sogar gefallen. Gemeint ist die Romantik. Deren Vertreter bemerkten auch, dass es neben den in der Welt vorgefundenen Tatsachen noch die von Menschen geschaffenen Werte gibt. Auch sie spielen bei vielen Antworten mit – und beileibe nicht nur bei Diskussionen über Themen der Art: «Was muss man wissen?», «Auf wen soll man hören?», «Was ist ein gutes Leben?» oder «Was macht einen Menschen fröhlich?» Sondern auch, wenn man zum Beispiel herausbekommen möchte, warum die Sterne funkeln und warum sie nicht vom Himmel fallen. Eine zufriedenstellende Antwort darauf kann sich nicht auf physikalische Tatsachen beschränken. Eine «rationalistische Erklärung», wie Kafka es genannt hat, reicht nicht. Vielmehr kommt es auch auf das seelische Gemüt an, das sich an der kosmischen Glitzerwelt in der Nacht ergötzt und es dem Philosophen Kant erlaubt hat, sein inneres Moralgesetz an dem Sternenmeer auszurichten.
Bevor sich die Wissenschaft den funkelnden Himmelsobjekten zuwenden konnte, hat sie sich über das Gegenstück gewundert, nämlich die Dunkelheit zwischen den Sternen. Mit ersten Überlegungen dazu berühmt geworden ist der astronomisch tätige Arzt Heinrich Olbers aus Bremen. Er wollte im frühen 19. Jahrhundert verstehen: «Warum wird der Himmel nachts dunkel?» Seine Zeitgenossen fanden diese Frage eher albern, meinten sie doch, die nach der Dämmerung einsetzende lichtlose Zeit durch den Untergang der Sonne klären zu können. Aber erstens geht der von der Erde umkreiste Zentralstern nicht unter, wie die Menschen seit den Tagen von Kopernikus wissen können,[5] und zweitens sollte es im kosmischen Raum, der weit und groß genug scheint und vielleicht unendlich viel Platz bietet, nach Ansicht von Olbers genügend andere Strahlungsquellen von der Helligkeit der Sonne geben, um so den Himmel auch in der Nacht leuchten oder zumindest hell erscheinen zu lassen. Warum also wird es auf der Erde abends dunkel?
Die moderne Physik kann diese Frage beantworten, wenn sie von dem erwähnten Urknall ausgeht, wie an der entsprechenden Stelle im Buch genauer ausgeführt wird (allerdings erst im zweiten Kapitel). Doch dieser voraussetzungs- und trickreichen wissenschaftlichen Erläuterung lässt sich eine die Menschen bewegende Sichtweise an die Seite stellen. In ihrem Blick nimmt der Nachthimmel die Farbe Schwarz an, damit die Erdenbürger die Sterne über ihren Köpfen überhaupt sehen können. Die funkelnden Gebilde befinden sich ja auch tagsüber am Firmament, nur reicht die Helligkeit der leuchtenden Körper nicht aus, um das Sonnenlicht auszustechen und sie den Augen zu erkennen zu geben. In der Nacht können die Sterne dafür umso eindrucksvoller vor einem schwarzen Hintergrund leuchten.
Diese Möglichkeit, eine Frage nicht mit einer wirkenden Kausalkette, sondern von einem Ziel her zu beantworten, lässt etwas Grundsätzliches erkennen: Gemeint ist die Möglichkeit, auf gute und große Fragen mehr als eine lohnende Antwort zu geben. Als sich Aristoteles darüber wunderte, warum Gegenstände zur Erde fallen, kannte er das Konzept der Schwerkraft nicht, das erst durch Newton in die Welt gekommen ist. Aristoteles argumentierte vom Endpunkt der Bewegung her und meinte, dass Gegenstände aus den gleichen Gründen auf den Boden fallen wie Menschen abends in ihr Bett, nämlich weil sie dort ankommen und sein wollen. Was das Fallen von Gegenständen angeht, so hatte ich einmal Gelegenheit, mit den Mädchen und Jungen in einem Kindergarten einige Themen mit wissenschaftlichem Hintergrund anzusprechen. Als ich dabei wissen wollte, warum die Sachen, die man loslässt, auf den Boden fallen, wunderte sich ein Mädchen. «Wieso denn nicht?», meinte sie. «Es gibt nur noch Dinge, die nach unten fallen, die anderen, die nach oben fallen, sind schon längst weg.»
1
In diesem Kapitel werden Fragen zu Farben gestellt und Antworten dazu angeboten. Natürlich wird erörtert, warum der Himmel blau – meist hellblau – ist. Wer im Anschluss daran wissen möchte, ob man mit derselben Erklärung auch die tiefblaue Stunde der Dämmerung verstehen kann, wird sich über die Antwort ebenso wundern wie über die Erklärungen für das Blau des Meeres und sogar des Blutes in Sonderfällen. Weitere Fragen: Warum wirkt die Sonne tagsüber gelb? Und warum leuchtet sie als Feuerball abends über dem Horizont rot? Warum sieht das Blut der Menschen intensiv rot aus? Was lässt Blätter im Sommer grün leuchten und wieso färbt sich das Laub im Herbst herrlich bunt? Wie nimmt die helle Haut von Menschen im Sonnenschein die gesund wirkende Farbe Braun an? Und was sehen Tiere, wenn sie in ihrer Umwelt auf das schauen, was Homo sapiens mit Rot, Grün, Blau bezeichnet? Und schließlich: Was hat es mit der blauen Blume der Romantik auf sich?
Die nuancenreiche bunte Pracht für die Augen bietet dem wissenschaftlichen Denken zahlreiche Möglichkeiten, sein Können vorzuführen und die Dinge auf überraschende Weise zu durchschauen. Es traut sich sogar zu, einen Blick auf die ganz großen Fragen zu werfen, etwa «Was ist Licht?» und «Was ist Energie?». Mit den Erklärungen aber tauchen immer neue Fragen auf. Das ist das Schöne daran.
«Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen», so beginnt der griechische Philosoph Aristoteles sein berühmtes Buch mit dem Titel Metaphysik. Hier heißt es weiter, «dies beweist die Freude an den Sinneswahrnehmungen, denn diese erfreuen an sich, auch abgesehen von dem Nutzen, und vor allen anderen Wahrnehmungen mittels der Augen. Denn nicht nur zu praktischen Zwecken, sondern auch wenn wir keine Handlung beabsichtigen, ziehen wir das Sehen so gut wie allem anderen vor, und dies deshalb, weil dieser Sinn uns am meisten Erkenntnis gibt und viele Unterschiede offenbart.»[6]
Sinneswahrnehmungen heißen bei Aristoteles «aisthesis». Deswegen lässt sich die Frage «Warum wollen Menschen etwas wissen?» dem großen Griechen zufolge mit den Worten beantworten: «Weil sie aus ästhetischen Gründen neugierig auf die Welt sind und begreifen wollen, was (und wie) sie sehen.» Tatsächlich entfaltet sich vor den Augen von schauenden Betrachtern im Laufe eines Tages voller Sonnenschein eine Welt voller Farben, und mit diesen Eindrücken tauchen bereits im Kindesalter viele Fragen auf, von denen einige in diesem Kapitel zur Sprache kommen. Ihre Beantwortung wird Vergnügen bereiten, auch wenn man schon von einigen der Erklärungen gehört haben sollte.
Warum sind das Meer und der Himmel blau? Warum leuchtet der Horizont abends oftmals rot? Warum sind Blätter grün? Warum färbt sich das Laub im Herbst so bunt? Wieso ist Blut rot? Wie kommt es, dass die Sonne gelb erscheint? Warum wird weiße Haut braun? Warum sind Wolken weiß (bevor sie kurz vor einem Gewitter dunkel werden)? Warum wird der Himmel in der Nacht so schwarz wie Kaffee? Wie viele Farben hat ein Regenbogen? Wie kommen die Farben von Schmetterlingsflügeln und Vogelfedern zustande? Welche Farben können Schatten annehmen? Wie ändert sich das Aussehen der Welt in den blauen Stunden der Dämmerung?
Wen nach diesen Erkundigungen zu natürlichen Phänomenen der Ehrgeiz gepackt und die Neugierde nicht verlassen hat, kann weitere Fragen formulieren und Themen ansprechen, die zur Kunst gehören und die Technik betreffen: Woraus bestehen die Farben in einem Malkasten oder auf einer Leinwand? Wodurch erhalten Blue Jeans ihr attraktives Aussehen? Wie kommt die bunte Welt auf Farbbildern und auf dem Display meines Handys zustande? Wie unterscheidet sich das Rot auf dem Bildschirm (Display) von dem Rot des Sonnenuntergangs, den man vor Augen hat und fotografiert oder ablichtet, wie man mit einem schönen Wort auch sagen kann?
So könnte man endlos weiterfragen, um dem oftmals prachtvollen Farbenspiel der Dinge auf die Schliche zu kommen, mit dem sich das wissenschaftliche Denken spätestens seit den Tagen von Isaac Newton zu Beginn des 18. Jahrhunderts methodisch beschäftigt. Damals lenkte der englische Physiker einen weißen Strahl, der vom Himmel in sein Zimmer kam, auf ein Prisma, aus dem ein Spektrum an Farben heraustrat. Newton kam zu dem Schluss, dass sich in dem natürlichen Sonnenlicht die bunte Welt verbirgt, die zum Beispiel ein Regenbogen zeigt. Das geometrische Farbenspiel am Himmel hat Menschen zu allen Zeiten fasziniert, und es ist häufig als Zeichen der Götter gedeutet oder als etwas verstanden worden, das zwischen der dies- und der jenseitigen Welt vermittelt. Dass sich die Farben des Himmelsbogens nur in Verbindung mit Regentropfen oder Wasser in anderer Form zeigen, hat früh zu Überlegungen geführt, dass das eindrucksvolle Spektrum sich den physikalischen Prozessen in den Wassertröpfchen verdankt. In Schulbüchern werden Brechung und Beugung unterschieden. Wenn ein weißer Lichtstrahl auf eine Wasseroberfläche oder einen Glaskörper trifft, wird er bei seinem Eintritt abgelenkt oder gebrochen. Jeder Farbanteil erfährt seine spezifische Umleitung (wobei das genaue Geschehen geheimnisvoll bleibt). Die Lichtbrechung erlaubte es Newton, mit Hilfe eines Prismas die spektrale Fülle der Farben zu generieren und mit ihr die Erklärung des Regenbogens zu versuchen. Man muss dazu im Detail verfolgen, wie sich Lichtstrahlen durch und in Wassertröpfchen bewegen, worauf hier verzichtet wird.[7]
In der Zeit, in der Newton mit Hilfe seines Prismas das Sonnenlicht in sein Spektrum auffaltete, verfügte er noch nicht über genaue Vorstellungen von der Natur des Lichts, und so konnte der große Physiker das Zustandekommen der Farben nicht wirklich erklären. Der im mechanischen Denken erfahrene Newton nahm an, dass Licht aus einem Strom aus winzigen Kügelchen (Partikeln) bestehe und sich die roten von den grünen Teilchen durch deren Größe unterscheiden ließen. Dabei bleibt bis heute offen, wie viele Farben der große Brite insgesamt in dem Spektrum mit seinen eigenen Augen und dem ihm verfügbaren Prisma ausmachen konnte. Wer das aus dem 18. Jahrhundert stammende und in einem Museum aufbewahrte optische Gerät heute zur Hand nimmt und Licht hindurchtreten lässt, kann bestenfalls vier Farben erkennen und wundert sich, dass Newton das komplette Septett aus sieben Farbtönen beschrieben hat, wie man es heute mit modernen Prismen und intensiven Strahlen sichtbar machen kann. Ein vollständiges Spektrum besteht aus Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett. Anders als Newton beschreibt die heutige Physik diese als «rein» bezeichneten Farben – genauer: die dazugehörigen Lichtstrahlen – bevorzugt als Bewegung von Wellen und charakterisiert sie folglich durch ihre Wellenlängen, die sie in Nanometern angibt. Ein Nanometer (nm) meint 109 Meter, was schwer vorstellbar ist, aber niemanden daran hindern muss, die Auskunft zu verstehen, dass rotes Licht mit etwa 700 nm die größte Wellenlänge der Spektralfarben aufweist, während sich Violett mit etwa 400 nm durch die kleinste auszeichnet.
Der Vorschlag, Licht als eine Welle zu verstehen, findet sich zum ersten Mal bei dem Holländer Christiaan Huygens. Allerdings verzichtet er in seinem Traité de la lumière von 1690 auf eine Erörterung der Farben, mit der Begründung, dass er dieses Thema für sehr schwierig halte: «vor allem wegen der vielen verschiedenen Arten, wie Farben produziert werden». Eine bessere und sorgfältig ausgearbeitete Theorie des Lichts und der Farben verdankt die Menschheit dem schottischen Physiker James Clerk Maxwell, der sich im 19. Jahrhundert mit elektrischen und magnetischen Feldern beschäftigt und dabei bemerkt hat, dass sie miteinander wechselwirken und elektromagnetische Wellen mit unterschiedlichen Frequenzen hervorbringen können. Seine Theorie erlaubte es Maxwell sogar, die Geschwindigkeit zu berechnen, mit der sich solch eine Welle ausbreitet. Damit schien seine Wissenschaft nicht nur die Natur des Lichts verstanden zu haben. Die Menschen lernten dank Maxwell auch erstmals die heute so berühmte Lichtgeschwindigkeit kennen, die eine besondere Rolle in der Physik spielt, seit Albert Einstein aufgetaucht ist, über Raum und Zeit nachgedacht und seine revolutionären Überlegungen mit der Festlegung eingeleitet hat, dass die Lichtgeschwindigkeit eine Konstante der Natur ist. Einstein spielt im Folgenden noch eine große Rolle, doch zunächst soll es reichen, dass Newton den Menschen das Spektrum geschenkt hat und ihnen damit erstmals die Farben verständlich machen konnte.
Konnte er das wirklich? Nicht alle Farblehrer haben sich von dem Versuch mit dem Prisma angetan gezeigt. Newton untersuchte das Licht vor allem als Physiker, was einem deutschen Dichter etwa einhundert Jahre später zu wenig erschien, der bei den Farben mehr an die Empfindungen dachte, die ein Rot, ein Grün oder ein Gelb auf das Gemüt eines Menschen ausübt. Gemeint ist Johann Wolfgang von Goethe, der bei seinem naturwissenschaftlichen Forscherdrang die ihn umgebende Welt immer auch mit den Augen eines Künstlers betrachtete. Er wollte den Farben nicht nur messbare Wellenlängen, sondern auch die Fähigkeit zur seelischen Empfindsamkeit zuschreiben und sie auf diese Weise weniger physikalisch und mehr psychologisch und kulturhistorisch verstehen. Goethe wusste ebenso wenig wie Newton etwas von der erst im Verlauf des späten 19. Jahrhunderts entwickelten Vorstellung, dass Licht ein elektromagnetisches Phänomen ist und sich seine wahrgenommenen Farben durch Wellenlängen charakterisieren oder zumindest voneinander unterscheiden lassen. Wer nach diesen Erfolgen der Physik die oben gestellten Fragen beantworten will – Warum sind der Himmel und das Meer blau? –, muss zuerst auf dieser wissenschaftlichen Grundlage antworten und mit Wellenlängen argumentieren. Dabei braucht niemand zu vergessen, dass das Bunte in der Welt mit seiner Farbenpracht auch immer das Gemüt anspricht und kein empfindsamer Mensch zufrieden sein wird, wenn man ihm oder ihr ein Blutrot, ein Himmelsblau oder ein Giftgrün durch eine Zahl erschöpfend nahezubringen versucht.
Farben haben es in sich, wie selbst einfache Überlegungen erkennen lassen, und sie bleiben auch heute noch für manche Überraschung gut. So verknüpfen zum Beispiel viele Menschen mit dem Rot die angenehme Empfindung von Wärme, und die Physik bestätigt dieses Zusammendenken durch eine unsichtbare Strahlung, die sie im Spektrum unterhalb (infra) des roten Lichts gefunden hat und die als Infrarot (IR) eine wohlige Temperaturerhöhung auf der Haut spüren lässt. Mit dem blauen Himmelslicht hingegen verbinden Menschen das Gefühl der Kälte. Als Physiker im 19. Jahrhundert das Pendant zum Infraroten suchten und das Ultraviolette (UV) fanden, meinten sie, sie hätten neben der Wärme- auch eine Kältestrahlung gefunden. Zur allgemeinen Überraschung mussten sie dann erkennen, dass sich Menschen mit Licht aus diesem UV-Bereich gefährlich verbrennen können.