Was Erwachsene von Kindern lernen können - Hans-Albrecht Zahn - E-Book

Was Erwachsene von Kindern lernen können E-Book

Hans-Albrecht Zahn

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  • Herausgeber: tredition
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Kinder haben von den Erwachsenen viel zu lernen. Das ist klar. Es gilt aber auch umgekehrt, dass Erwachsene von Kindern belehrt werden können. Es ist ein Glück für die Kinder, Eltern zu haben, die sich verantwortlich um sie kümmern. Es ist aber auch ein großes Glück für die Eltern Kinder zu haben, die ihnen die Möglichkeit geben, ihre eigene Persönlichkeit weiter zu entwickeln, was wiederum ganz besonders den Kindern zugutekommt. Die Erziehungssituation bietet auch für die Erzieher eine großartige Lernsituation, die wichtigsten Dinge im Leben zu lernen. Wir unterscheiden dabei verschiedene Qualitäten, die Kinder in ihrer Wesensart natürlicherweise in sich tragen. Kinder sind normalerweise offen, haben eine positive Einstellung zum Leben, sind vertrauensvoll, leben ganz im gegenwärtigen Augenblick, sind neugierig und kreativ, wollen Gutes tun und gute Menschen werden. Wenn Erwachsene diese Eigenschaften selbst entwickeln, tut das nicht nur ihnen selbst, sondern auch den Kindern, die sie erziehen wollen, gut. Kinder lernen von den Erwachsenen weniger durch kluge Ermahnungen und moralische Forderungen als durch das, was diese ihnen vorleben. Insofern ist Erziehung immer Selbsterfahrung und Selbsterziehung. Selbsterfahrungsübungen wollen nicht nur gelesen, sie wollen praktiziert werden. Im zweiten Teil dieser Arbeit findet man praktische Übungen, mit deren Hilfe man diese Fähigkeiten trainieren kann. In diesem Sinn möchte die vorliegende Arbeit eine Hilfe sein.

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Seitenzahl: 174

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© 2016 Hans-Albrecht ZahnUmschlaggestaltung, Illustration: Hans-Albrecht ZahnLektorat, Korrektorat: Felicitas Zahn

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN Taschenbuch: 978-3-7345-3403-4

ISBN Hardcover: 978-3-7345-3404-1

ISBN e-Book: 978-3-7345-3941-1

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.

WAS ERWACHSENEVON KINDERNLERNEN KÖNNEN

ERZIEHUNG ist SELBSTERZIEHUNG

Die Erziehungssituation nutzen,

um Lebenskünstler zu werden

„Wahrlich, ich sage euch: Es sei denn, dass ihr euch umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreichkommen.“

Matthäus 18 Vers 3

Inhalt

Inhalt

Einleitung

TEIL I GRUNDLAGEN

1.1 DIE DREI QUELLEN DER ERZIEHUNG

1.2 DER SELBSTERKENNTNISPROZESS

1.3 SCHULUNGSTHEMEN DER SELBSTERZIEHUNG

Schulung der Offenheit

Die Schulung der Positivität

Die Schulung des geistigen Vertrauens

Die Schulung der Achtsamkeit

Die Schulung der Initiative

Die Schulung von Sinn und Werten

Die Schulung der Menschlichkeit

TEIL II ÜBUNGSFELDER

ERSTES ÜBUNGSFELD AKZEPTANZ Die Tugend der Offenheit

ZWEITES ÜBUNGSFELD VERÄNDERUNG Die Tugend der Positivität

DRITTES ÜBUNGSFELD DER VERBORGENE SCHATZ Die Tugend des geistigen Vertrauens

VIERTES ÜBUNGSFELD ACHTSAMKEIT Die Tugend der Geistesgegenwart

FÜNFTES ÜBUNGSFELD SCHÖPFERKRAFT Tugend der Initiative

SECHSTES ÜBUNGSFELD WERTE Das Streben nach dem Guten

SIEBTES ÜBUNGSFELD MENSCHLICHKEIT Das Streben nach Freiheit und Liebe

Schluss

Für

SALOME, STEPHANIE, FELICITAS und YOLANDA,

Einleitung

Dass Kinder von den Erwachsenen viel zu lernen haben, ist klar. Erziehung hat man meist in diesem Sinn verstanden. Es gilt aber auch umgekehrt, dass Erwachsene von Kindern viel zu lernen haben.

Früher haben sich die Menschen über die Erziehung der Kinder in der Familie keine großen Gedanken gemacht. Sie wuchsen in das Leben hinein, das ihnen die Erwachsenen vorlebten und übernahmen damit ihre Gewohnheiten und Regeln. Die religiösen und traditionellen Strukturen waren die Grundlagen der Erziehung.

Mit dem Beginn der Neuzeit wurde Erziehung bewusster ins Auge gefasst. Man versuchte – unabhängig von religiösen Traditionen – pädagogische Konzepte zu formulieren. Bereits im achtzehnten Jahrhundert gab es grundlegende Bücher über Erziehung, beispielsweise von Rousseau und Pestalozzi. Seitdem wurde eine Fülle von Literatur und Ratschlägen zur Erziehung geschrieben.

In neuerer Zeit wurde immer offensichtlicher, dass Wissen und Informationen über Erziehung nicht ausreichen. Man muss die wesentlichen Dinge in der Erziehung praktisch üben. Dafür gibt es heute gibt es in den westlichen Ländern Beratungseinrichtungen und Coaching Stellen.1

In der Beziehung von Kindern und Eltern/Erziehern lässt sich der Schwerpunkt verschieden setzen. Man kann sagen, die Erwachsenen erziehen die Kinder und bringen ihnen bei, wie es auf der Welt zugeht (direktives Verständnis der Erziehung). Eine zweite Möglichkeit liegt darin, zu sagen, die Beziehung von Kindern und Erwachsenen ist eine systemische, sie beeinflussen sich gegenseitig (systemisches Verständnis). Schließlich kann man auch sein Bewusstsein darauf richten, dass die Erwachsenen von den Kindern sehr viel lernen können, wenn sie dafür offen sind (selbstreflexives Verständnis). Jeder dieser Gesichtspunkte hat seine volle Berechtigung.

Zunächst einmal ist es gut, sich bewusst zu werden, dass man einen anderen Menschen sowieso nicht verändern kann. Das kann jeder nur selbst für sich tun. Die Behauptung mancher Erzieher (Lehrer, Psychotherapeuten oder Manager) sie hätten ihren Kindern, Schülern, Klienten oder Angestellten etwas beigebracht oder sie verändert, spiegelt eher einen gewissen Narzissmus des Betreffenden als eine Wirklichkeit wieder. Sie sind nicht die „Macher“ eines Lernprozesses, sondern die „Hebammen“ eines Erkenntnisprozesses. Lernen und Verhalten ändern, kann immer nur der Betreffende selbst. Die Mitmenschen, seien es Eltern, Lehrer oder Berater, können den Lernprozess eines Kindes höchstens anregen, aber nicht selbst vollziehen.

In dieser Arbeit beschäftigen wir uns hauptsächlich damit, wie Erwachsene von den Kindern lernen können. Es ist ein Glück für die Kinder, Eltern zu haben, die sich verantwortlich um sie kümmern. Es ist aber auch ein großes Glück für die Eltern, Kinder zu haben, die ihnen die Möglichkeit geben, sich biographisch weiter zu entwickeln.

Die Notwendigkeit sich als Persönlichkeit weiter zu entwickeln, verspürt heute jeder Zeitgenosse. Es geht nicht nur um äußere Bildung und Wissen, wie man sie hauptsächlich im öffentlichen Bildungsbetrieb vorfindet, sondern um innere menschliche Bildung. Der Intelligenzquotient spielt dabei nicht die Hauptrolle. Vielen sehr klugen „Kopfmenschen“ mangelt es an Herzensbildung. Dazu ist es nötig, nicht in einer distanzierten „wissenschaftlichen Zuschauerhaltung“ zu verbleiben, sondern sich innerlich mit den Menschen und Dingen zu verbinden.

Das ist auch der Grund, dass Kinder oft mehr von einem „einfachen“ Lehrer lernen, der sein Fach und die Kinder liebt, als von einem noch so gebildeten Pädagogikfachmann, der sich als Wissenschaftler versteht. Eltern können diese Herzensbildung viel leichter realisieren als der bestens ausgebildetste Psychologe und Pädagoge, weil sie schicksalhaft mit dem Kind verbunden sind und nicht nur als externe Berater auftreten.

Menschenbildung geschieht in erster Linie dadurch, dass man nicht schon alles weiß, sondern bereit ist, sich selbst verändern zu lassen. Es geht mehr um innere Haltungen, Entwicklungen und Beziehungsmuster als um äußeres Wissen und Verhaltensgesetze. Deshalb haben sich in der Erziehung in den letzten Jahrzehnten auch immer mehr Bildungsangebote ausgebreitet, bei denen es darum geht, die eigene Persönlichkeit weiter zu entwickeln und nicht nur abstraktes psychologisches Wissen anzuhäufen.

Viele Wirtschaftsunternehmen wissen, dass Manager einen Betrieb nur dann gut führen können, wenn diese ihr persönliches Leben bewältigen. Finanzielles, betriebswirtschaftliches und inhaltliches Fachwissen reicht nicht aus. Nicht umsonst werden Seminare zum Thema „Work Life Balance“, Stressreduktionsseminare, Seminare zur Menschenführung und Konfliktlösung, usw. angeboten. Die Persönlichkeitsentwicklung ist genauso wichtig wie die Fachkenntnis. Das gilt auch für die Pädagogik.

Fast jeder Zeitgenosse hat schon einmal einen Berater aufgesucht oder ein Seminar besucht, indem es darum geht, eigene Konfliktmuster, seelische Empfindlichkeiten, Verletzungen oder Blockaden ins Auge zu fassen und zu verändern. Das Angebot in diesem Bereich ist groß. Es gibt Familien- oder Organisationsaufstellungen und eine ganze Reihe von Angeboten zur Selbsterkenntnis, Selbsterziehung und persönlichen Weiterentwicklung.

Eine „natürliche“ Situation zur Selbsterfahrung und Persönlichkeitsentwicklung des Erwachsenen ist die „Erziehungssituation“ selbst. Eltern haben durch ihre Kinder die einmalige Chance, sich menschlich weiter zu entwickeln.

Im ersten Teil dieser Arbeit betrachten wir zunächst die Grundlagen jeder Erziehung. Natürlich hat man als Erwachsener die Aufgabe, die Kinder zu erziehen. Dafür braucht man Welterkenntnis und Menschenerkenntnis. Ein gewisses Wissen über die Welt und die Psychologie des Kindes nötig.

Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Selbsterziehung des Erziehers. Im Zusammenleben mit Kindern und Jugendlichen kommen die Erwachsenen in Lebenssituationen, die sie auffordern, bestimmte menschliche Tugenden zu entwickeln.

Das beginnt bereits mit der Geburt des Kindes. Ohne Kinder lässt sich ein relativ egozentrisches Leben führen. Man geht ins Kino, wann man will, man geht zum Essen, wenn man Lust hat oder in die Disco, wenn einem danach ist. Als Vater oder Mutter gilt es, seine Bedürfnisse mit denen des kleinen Kindes abzustimmen. Die Elternschaft fordert einen auf, die Tugend der Verantwortung für einen anderen Menschen zu entwickeln.

Die Erziehersituation ist eine Schatzkiste zur Entwicklung wesentlicher menschlicher Tugenden. Wir unterscheiden sieben Themenfelder der Selbsterfahrung und Selbstziehung. Diese sind Grundlagen der Persönlichkeitsentwicklung und Lebenskunst.

Selbsterfahrungsübungen wollen nicht nur gelesen, sie wollen praktiziert werden. Deshalb haben wir im Hauptteil dieser Arbeit den Darstellungsstil geändert. Dort findet man praktische Übungen, die man am besten in einer Selbsterfahrungsgruppe durchführt. Natürlich kann man sie auch alleine machen, aber man wird durch den Austausch mit anderen Menschen mehr davon haben.

TEIL IGRUNDLAGEN

1.1 DIE DREI QUELLEN DER ERZIEHUNG

Einstieg

Es gibt drei wichtige Gesichtspunkte in der Erziehung:Erziehung als Welterkenntnis,Erziehung als Menschenkenntnis,Erziehung als Selbsterkenntnis.

Kinder wollen die Welt kennen lernen und die Erwachsenen müssen sie ihnen zeigen. Zur Bildung gehört Welterkenntnis. Dabei richtet man den Fokus auf das Wissen und die Erfahrung über die Welt. Das Lernen in unseren Bildungseinrichtungen (Kindergarten, Schule und Ausbildungsbetriebe) ist in erster Linie ein solcher Wissens- und Fähigkeitserwerb. Wenn man Erziehung unter dem Gesichtspunkt der Welterkenntnis anschaut, geht es besonders um die Inhalte des Lernens. Die Lerninhalte hängen von den Anschauungen ab, die sich die Lehrenden im Laufe ihres Lebens gebildet haben.

Es ist aber nicht nur das „Was“, sondern auch das „Wie“ des Lernens wichtig. Wenn man jemandem etwas beibringen will, dann geht man von bestimmten Vorstellungen aus, wie der Mensch lernt und was er lernen sollte. Ein Kleinkind lernt anders als ein Schulkind, ein Jugendlicher oder Erwachsener. Ein Choleriker lernt anders als ein Melancholiker und ein „mongoloides Kind“ lernt anders als ein sogenanntes „normales“ Kind. Es ist also auch eine Kenntnis von der Unterschiedlichkeit der Menschen, also eine Menschenkenntnis oder Psychologie, nötig.

Schließlich lässt sich Erziehung noch unter dem Gesichtspunkt betrachten, dass nicht nur die Kinder von den Erwachsenen etwas lernen können, sondern auch die Erzieher von den Kindern. Dann betrachtet man Erziehung als eine Chance zur Selbsterziehung. Dieser Gesichtspunkt wird heute in den öffentlichen Einrichtungen noch wenig beachtet. Man wird als guter Lehrer angesehen, wenn man sein Fachgebiet beherrscht und pädagogische Psychologie kennt. Wenn der Lehrer oder Erzieher menschlich eine „Niete“ ist, also seine eigene Persönlichkeitsentwicklung mangelhaft ist, wird dies oft für nicht so wichtig erachtet. Die typischen pädagogischen Unglücksfälle, in denen Kinder durch die Erziehung geschädigt oder traumatisiert werden, geschehen durch Erzieher, denen es selbst an menschlicher Reife mangelt. Die Entwicklung der Persönlichkeit des Erziehers ist durchaus ein wesentlicher Erziehungsfaktor.

An dieser Stelle setzt Erziehung als Selbsterziehung an. Zuvor wollen wir noch einen Blick auf die beiden anderen Quellen der Erziehung richten.

Erziehung als Welterkenntnis

Natürlich sollen die Kinder die Welt kennen lernen, in die sie hineingeboren wurden.

Die Menschheit hat im Laufe ihrer Geschichte ein großes Wissen über alle Lebensbereiche zusammengetragen. Es gibt ein handwerklich technisches Wissen, wie Häuser gebaut, Werkzeuge hergestellt und Landwirtschaft betrieben wird. Es gibt ein Wissen über die Natur, die Erde, den Himmel, die Pflanzen, die Tiere und die Steine. Man hat Erkenntnisse über die Vergangenheit, die Menschheitsgeschichte und die Erdgeschichte zusammengetragen. Es gibt auch ein Wissen über die inneren geistig-seelischen Erfahrungen der Menschheit, die in den Künsten, der Philosophie und der Religion zum Ausdruck kommt.

Nach dem Ende des Mittelalters wurden die Erkenntnisse der Menschheit nicht mehr auf einem religiösen, sondern auf einem naturwissenschaftlichen Hintergrund zum Ausdruck gebracht. Man unterscheidet wissenschaftliche Disziplinen wie Physik, Chemie, Biologie, Geographie, Ethnologie, Astrologie, Mineralogie, Geschichte, Philosophie, Religionswissenschaft, Literatur, Kunst, Mathematik, Geometrie usw.

Mit der naturwissenschaftlichen Methode untersucht man Funktionszusammenhänge, die auf äußeren Sinnesdaten beruhen. Sie schult den Menschen besonders im objektiven Wahrnehmen und sachlichen Urteilen und liefert Erkenntnisse über die materielle Außenseite der Welt.

Um etwas über die Innenseite der Welt zu erfahren, braucht man auch eine innerlich meditative Methodik. Diese ist mit dem künstlerischen Vorgehen verwandt. Sie ist auch auf die Natur anwendbar. So hat Goethe in seinen naturkundlichen Studien diesen Weg beschritten (goetheanistische Naturwissenschaft). Goethes Pflanzenkunde beruht nicht nur auf einer äußeren, sondern auch auf einer innerlich meditativen Betrachtung. Auf diese Weise lässt sich die äußere Erkenntnis vertiefen. Dann erhält man statt einer intellektuellen Zoologie eine Tierwesenskunde und statt einer intellektuellen Sprachwissenschaft eine Sprachkunst. Die Verhaltenspsychologie wird vertieft zu einer Erlebnispsychologie, usw.

Unabhängig davon, ob man den äußeren oder inneren Aspekt der Welt im Auge hat, besteht ein wesentlicher Teil der Bildung darin, die Welt kennen zu lernen. Eine Quelle der Erziehung ist die Welterkenntnis.

Erziehung als Menschenkenntnis

Der zweite Baustein der Erziehung beruht auf Menschenkenntnis. Im Umgang mit den Mitmenschen geht jeder von bestimmten Vorstellungen aus, wie Menschen denken, fühlen, wahrnehmen, lernen und empfinden. Man macht sich seine Psychologie und diese wird angewendet. Die Vorstellungen des Erziehers über den Menschen wirken sich unmittelbar auf seinen Umgang mit den Kindern aus.

Jeder Erzieher benutzt eine Psychologie. Dabei ist es gleichgültig, welcher Art diese sein mag. Es geht hierbei um die Entwicklung des Menschen, um unterschiedliche seelische Strukturen des Säuglings, Kleinkinds, Schulkinds, Jugendlichen und Erwachsenen. Man braucht auch eine Kenntnis von den verschiedenen menschlichen Konstitutionen (Temperamente, Typ, Charakter), eine Kenntnis über die Seelenfähigkeiten des Menschen, über seine Vorstellungen und Gedanken, Gefühle, Strebungen, Motive und Werte. Auch ein Wissen über seelische Auffälligkeiten, Lernfähigkeiten und Bewusstseinsfähigkeiten ist nötig.

Zu einer psychologischen Menschenkunde gehört auch eine Kenntnis über die historische und kosmische Entwicklung des Menschen. Wie stelle ich mich als zeitgenössischer Erzieher dazu? Solche Haltungen haben durchaus eine große Wirkung in der Erziehung. Es ist ein Unterschied, ob man den Menschen ausschließlich als einen „komplexen biochemischen Mechanismus“ oder als „ individuelles geistiges Wesen“ anschaut.

Die Menschenkunde, die der Erzieher anwendet, hängt von seiner Welt- und Menschenanschauung ab. In einer umfassenden Menschenkunde geht man vom doppelten Ursprung des Menschen aus. Der Mensch hat einen geistigen und eine physischen Anteil. Man sollte auch etwas über die geistige Entwicklung des Menschen wissen, wenn man gut erziehen will.

Menschenkunde und Psychologie kann in wissenschaftlichdistanzierter oder menschlich verbindender Art betrieben werden. Jeder, der in der Erziehung tätig ist, kann spüren, wie hilfreich es ist, wenn ein Lehrer und Erzieher sich wirklich für die Kinder interessiert und nicht nur abstrakte, pädagogische Kenntnisse anwendet. Es ist eine Lernaufgabe für die Erwachsenen „in den Schuhen des anderen gehen“ zu lernen. Es ist ein Wille nötig, sich mit dem Seelenleben anderer Menschen zu verbinden und am Leben eines anderen Menschen teilzuhaben. Der Begriff „Empathie“ weist auf diese Aufgabe hin. Es ist eine Schulung des Mitvollzugs und der Teilhabe und weniger ein unbeteiligtes Konstatieren psychischer Mechanismen. Die große Kunst besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen engagierter innerer Teilhabe und sachlicher Bewertung zu finden.

Normalerweise sind Eltern mit ihrem Kind innerlich verbunden, sie lieben es. Das ist eine wunderbare Gabe des Schicksals, dass man als Kind darauf vertrauen kann, so wie man ist, angenommen zu werden. Darauf beruht das so wichtige Urvertrauen, das sich am Beginn des Lebens heranbilden sollte. Die Gefahr dabei ist allerdings, dass der sachlich kritische Blick verloren geht und gefährliche Entwicklungen aus lauter „Liebe zum Kind“ nicht gesehen werden. Gerade in schwierigen Situationen benötigt man auch den kritischen Blick des distanzierten Beobachters, der Funktionszusammenhänge sachlich wahrnehmen kann.

Man braucht Beides: eine „warme Herzenspsychologie“ und eine „kühle Kopfpsychologie“. Die distanzierte, funktionelle, wissenschaftliche Beobachterhaltung wird nur auf dem Hintergrund einer liebevoll, menschlich, verbindenden Haltung fruchtbar. Insofern ist eine liebevolle, mitfühlende Menschenkunde die Basis für alles andere.

Erziehung als Selbsterkenntnis

Was in der Erziehung Selbsterkenntnis und Selbsterziehung heißt, soll an folgendem Beispiel verdeutlicht werden.

Eingangsbeispiel: Der „weise“ Mann

Eine Frau hatte einen Sohn der zuckerkrank war. Sie mahnte ihn immer wieder, er solle und dürfe keinen Zucker essen, aber es nützte alles nichts. Sie war schließlich ganz verzweifelt und ging zu einem weisen Mann, von dem ihr gesagt wurde, der könne sicher helfen.

Sie suchte mit ihrem Sohn diesen weisen Mann auf und sagte zu ihm: „Weiser Mann, mein Sohn ist zuckerkrank und isst trotzdem dauernd Zucker. Kannst du ihm nicht sagen, dass er keinen Zucker mehr essen soll?“ Der weise Mann sagte: „Komm in sechs Wochen wieder!“

Die Frau ging und kam nach sechs Wochen wieder mit ihrem Sohn. Der weise Mann sagte zu dem Sohn: „Iss keinen Zucker mehr!“, und seit dieser Zeit aß der Junge keinen Zucker mehr.

Nun möchten Sie gewiss das Gleiche wie die Frau wissen. Sie fragte nämlich den weisen Mann, warum er sechs Wochen gebraucht hätte, um ihrem Sohn zu sagen: „ Iss keinen Zucker mehr. Das sagte der weise Mann: „Ich habe selber so gerne Zucker gegessen und wollte erst schauen, ob ich das, was ich deinem Sohn sagte, auch selber schaffe. Dazu habe ich sechs Wochen gebraucht.“

In der Erziehung wirkt man mehr durch seine Persönlichkeit als durch kluge Ratschläge. Bei jedem zwischenmenschlichen Konflikt kann erlebt werden: Wer seinen Mitmenschen direkt ändern will, wird wenig Erfolg haben. Wer dauernd darüber nachdenkt, was der Konfliktpartner doch bitte endlich anders machen sollte, wird in den meisten Fällen das Problem eher verschärfen, als lösen. Es gibt nur einen Ort, wo man mit einer Veränderung ansetzen kann: Das ist bei sich selbst.

Unser Schwerpunkt liegt darin, dass wir Erziehung als Selbsterziehung betrachten. Wir gehen davon aus, dass Kind und Erzieher Schicksalsgenossen sind, die das Leben zusammengeführt hat. Auf der menschlichen Ebene sind Kind und Erzieher gleichberechtigte Partner, die sich gegenseitig fördern oder hemmen können.

Die Positionen sind allerdings sehr verschieden. Der Erwachsene kennt sich auf der Erde gut aus. Er hat alle Macht und Gewalt in den Händen. Das Kind ist vollkommen von ihm abhängig. Alles, was es zum irdischen Leben und Überleben braucht, bekommt es von ihm: Essen, Kleidung, Wohnung, Spielzeug, Lernmaterial, Bildung usw. Das Kind kann vom Erwachsenen lernen, wie es auf der Erde zugeht.

Was kann der Erwachsene vom Kind lernen? Die Kinder kommen aus der geistigen Welt. Dort gelten andere Gesetze. Äußere Gewalt und Macht spielen hier keine Rolle. Da wird nur etwas verändert, wenn man sich innerlich öffnet für das, was auf einen zukommt.

Der Erwachsene, der sich innerlich verschließt, wird vom Kind gar nichts lernen können, sondern im besten Fall das kindliche Verhalten als störend empfinden.

Die wechselseitige Erziehung von Kindern und Eltern besteht darin, dass die Erwachsenen die Kinder lehren, wie es auf der „Erde“ zugeht und die Kinder die Erwachsenen lehren können, wie es im „Himmel“ zugeht.

In der spirituellen und religiösen Literatur wird immer wieder auf diese Qualität des kindlichen Wesens hingewiesen. Christus sagt: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel hineinkommen.“

Die Art, wie Kinder und Erwachsene sich gegenseitig belehren und lernen, ist sehr verschieden. Die Erwachsenen belehren die Kinder aus ihren Vorstellungen und ihrem Wissen heraus. Das Kulturgut der Menschheit wird als traditionelles Wissen gezielt weitergegeben. Man bringt den Kindern bewusst bei, was sie alles wissen und können sollen, damit sie auf der Erde zurechtkommen. Es ist eine Art bewusstes „Lehrplanlernen“, in dem verschiedene Fähigkeiten und Fertigkeiten angeeignet werden sollen.

Die Erwachsenen müssen von den Kindern anders lernen. Es ist eine Art Schicksalslernen. Das Leben des Kindes selbst oder auch seine speziellen Eigenarten sind das Lernmaterial. Die Kinder belehren die Erwachsenen durch ihr Leben und nicht durch Begriffe und Vorstellungen.

„Kinder sind unser Schicksal, das wir uns selbst verordnet haben.“ Mit ihren Schwierigkeiten weisen Kinder Erwachsene oft auch auf eigene Lebensmotive hin. Gerade wenn Kinder – zum Entsetzen ihrer Eltern - ganz anders als diese leben, ist das oft eine Aufforderung an die Erwachsenen, ihre Lebensgesichtspunkte zu erweitern.

Wer aufmerksam durchs Leben geht, wird diese Zusammenhänge immer wieder wahrnehmen können. Dazu einige Beispiele:

Beispiel 1:

Da ist der intellektuelle, kluge Professor, der einen Menschen nur dann als Mensch betrachtet, wenn er Intelligenz besitzt und erfolgreiche Leistungen zeig. Er selbst hat seine Position auch durch diese Lebenseinstellung erreicht. Er ist überzeugt, dass man durch Wissen, Klugheit und Einsatz die gewünschten Ziele im Leben erreichen kann.

Das betrifft natürlich auch die Erziehung. Er wird seinem Kind die entsprechende Erziehung geben, damit es auch so klug und erfolgreich wird wie er. Nun bekommt dieser Mensch ein behindertes Kind. Dieses Kind kann den Professor darauf hinweisen, dass das Menschsein mehr ist als klug und erfolgreich zu sein. Natürlich kann er sich auch innerlich dagegen wehren, indem er z.B. schaut, dass das Kind vor der Geburt abgetrieben wird oder mit dem Schicksal zu hadern anfängt.

Ob er von seinem Kind etwas lernen kann, hängt davon ab, wie offen er selbst für das Schicksalslernen ist.

Weiter Beispiele seien in Kurzform angedeutet:

Beispiel 2:

Der gescheite Wissenschaftler, dessen hochbegabter Sohn buddhistischer Mönch wird.

Beispiel 3:

Die moralische Mutter, deren Tochter Freude an der Prostitution findet.

Beispiel 4:

Der Pfarrer dessen Sohn Atheist wird.

Beispiel 5:

Der Staatsanwalt, dessen Sohn mit dem Gesetz in Konflikt kommt.

Das gegenseitige Lernen betrifft auch die kleinen Alltagsschwierigkeiten, die einem das Leben bietet. Da hat die Mathematiklehrerin ein Kind, das sich unendlich schwer im Rechnen tut oder die melancholische Mutter hat ein Kind mit stark cholerischen Zügen.

Die Beziehung zwischen Kind und Erzieher bilden ein komplexes System, welches so miteinander verflochten ist, dass man im klassischen Sinn nicht von Ursache und Wirkung sprechen kann, sondern höchstens von Impulsen, die man sich gegenseitig geben kann.

1.2 DER SELBSTERKENNTNISPROZESS

Die Bedeutung der Selbsterfahrung

Die größte Weisheit der Welt nützt nichts, wenn man sie nicht versteht. Erst, wenn sie als eigene Erkenntnis aufleuchtet, wird sie brauchbar. Es gibt keine Erfahrung, außer man macht sie selbst.

Das betrifft sowohl äußere wissenschaftliche als auch innere spirituelle Erfahrungen. Äußere Erfahrungen werden durch äußeres Beobachten und Experimentieren gemacht. Am Ende steht ein wissenschaftliches Gesetz, z.B. das Hebelgesetz oder das Gesetz über die Schwerkraft.

Erfahrungen können auch im Tun gemacht werden, ohne dass man sie bewusst in Worte fasst. Das kleine Kind macht ebenfalls selbstständig seine Erfahrungen mit der Schwerkraft, wenn es laufen lernt und hinfällt oder sein Turm aus Bauklötzen zusammenbricht.

Auch geistig-seelische Erfahrungen, die wir als Erwachsene machen, basieren auf Selbsterfahrungsprozessen. Diese werden hauptsächlich durch innere Beobachtung, Meditation und Kontemplation gemacht. Angelus Silesius drückt das mit religiösen Begriffen so aus: „Wird Christus tausend Mal geboren und nicht in dir, du bleibst doch ewiglich verloren.“ Eine Erkenntnis wird erst dann bedeutungsvoll, wenn sie im eigenen Inneren erfahrbar wird.

Probleme bei der Selbsterkenntnis

Bei der Selbsterkenntnis läuft man – im Vergleich zur Gegenstanderkenntnis – noch mehr Gefahr in Irrtümern und Fehlwahrnehmungen zu landen.

In der Psychologie