Pass doch endlich auf!!! - Hans-Albrecht Zahn - E-Book

Pass doch endlich auf!!! E-Book

Hans-Albrecht Zahn

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Beschreibung

Aufmerksamkeit haben wir nicht, aufmerksam sind wir. Aufmerksamkeit ist keine Eigenschaft, die wir besitzen oder die uns fehlt, sondern ein Bewusstseinszustand, der ergriffen oder gelassen werden kann. Sie wird in jedem Augenblick neu geschaffen. Unsere Aufmerksamkeit kann durch äußere Mittel beeinflusst werden. Wenn wir müde sind, kann uns ein Kaffee wacher machen, wenn wir nervös sind, eine Zigarette beruhigen. Bei der medizinischen Behandlung von Aufmerksamkeitsstörungen benutzt man Aufputschmittel bei Trägheit und sedierende Medikamente als Beruhigungsmittel. Trotzdem ist Aufmerksamkeit in erster Linie ein geistig-seelisches Phänomen. Die Entwicklung der Aufmerksamkeit geschieht am besten im ganz normalen Leben. Jede Tätigkeit, das Gehen, Essen, Tisch decken oder Auto fahren, kann achtsam oder unachtsam ausgeführt werden. Wer seine Alltagstätigkeiten achtsam ausführt, braucht keine komplizierten, künstlichen Aufmerksamkeitsübungen. Es gibt verschiedene Lebensbereiche, in denen Aufmerksamkeit besonders geschult werden kann. Zum motorischen Übungsfeld gehören das Balancieren, Jonglieren und die Artistik, aber auch Bewegungskünste wie Tanzen, Yoga, Eurythmie, Zeichnen, Malen und Plastizieren. Im sprachlich-musikalischen Bereich sind Kommunikationsübungen, Rezitation, Dichtung, Schauspiel und rhythmisch musikalische Übungen zu nennen. Im mentalen Bereich stehen Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Vorstellungsübungen im Mittelpunkt. Die Kontrolle des Gedanken- Gefühls- und Willenslebens wird in den Blick genommen. Mediation und Kontemplation spielen dabei eine wesentliche Rolle. In diesem Buch kann der Leser eine Fülle von Übungen nutzen, um sein Aufmerksamkeitspotential zu entwickeln.

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Seitenzahl: 123

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AUFMERKSAMKEITS-WERKSTATT

Vom positiven Umgang mit der Aufmerksamkeit und ihren Problemen (AD(H)S)

(mit über 200 Übungen)

© 2020 Hans-Albrecht Zahn

Umschlaggestaltung: Hans-Albrecht Zahn

Lektorat: Anne Zahn

Korrektorat: Anne Zahn

Verlag und Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

978-3-7482-1358-1

(Paperback)

978-3-7482-1359-8

(Hardcover)

978-3-7482-1360-4

(e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

INHALT

EINFÜHRUNG:

1. PHÄNOMENE

1.1 EIGENE ERLEBNISSE

1.2 BILDER UND ASSOZIATIONEN

1.3 BESCHREIBUNGEN DIAGNOSEN TESTS

2. GRUNDLAGEN

2.1 INTERESSE

2.2 WERTE

2.3 BEWUSSTSEIN

2.4 DER AUFMERKSAMKEITSPROZESS

2.5 GEISTIGE PRÄSENZ

2.6 ICHPROZESS

3. BEWEGUNG UND GESTALTUNG

3.1 LEIBLICHE ÜBUNGEN

3.2 HANDWERKLICHE ÜBUNGEN

3.3 BEWEGUNGSKÜNSTE

3.3.1 YOGA

3.3.2 TANZEN

3.3.3 EURYTHMIE

3.4 PLASTISCH ZEICHNERISCHE ÜBUNGEN

3.4.1 ZEICHNEN

3.4.2 MALEN

3.4.3 PLASTIZIEREN

4. SPRACHE UND KOMMUNIKATION

4.1 SPRACHE

4.1.1 SPRACHKUNST (LITERATUR UND DICHTUNG)

4.1.2 SPRECHKUNST (REZITATION)

4.2 NONVERBALE SPRACHE

4.3 MUSIK

4.3.1 MUSIKALISCHE ÜBUNGEN

4.3.2 RHYTHMISCH –NUMERISCHE ÜBUNGEN

5. DENKEN UND GEIST

5.1 WAHRNEHMUNGSÜBUNGEN

5.1.1 SINNESÜBUNGEN

5.1.2 VORSTELLUNGSÜBUNGEN

5.1.3 DENKÜBUNGEN

5.2 BEWUSSTSEINSÜBUNGEN

5.2.1 ACHTSAMKEITSÜBUNGEN

5.2.2 SELBSTKONTROLLÜBUNGEN

5.2.3 GEISTIGE AUFMERKSAMKEITSSCHULUNG

6. DER UMGANG MIT DER AUFMERKSAMKEIT

6.1 DIE PFLEGE DER LEBENSFÜHRUNG

6.1.1 KÖRPERLICHER LEBENSBEREICH

6.1.2 SEELISCHER LEBENSBEREICH

6.1.3 GEISTIGER LEBENSBEREICH

6.2 DIE PFLEGE DES BEWUSSTSEINS

6.2.1 BEWUSSTSEIN SCHAFFT WIRKLICHKEIT

6.2.2 LEBENDIGES BEWUSSTSEIN

6.2.3 BEWUSSTSEINSDYNAMIK BEI AD(H)S

6.3 FORMEN DER SCHULUNG

7. MEIN NÄCHSTER SCHRITT

SCHLUSS

Einführung:

Aufmerksamkeit haben wir nicht, aufmerksam sind wir. Aufmerksamkeit ist keine Eigenschaft, die wir besitzen oder die uns fehlt, sondern ein Bewusstseinszustand, der ergriffen oder gelassen werden kann. Sie wird in jedem Augenblick neu geschaffen.

Die Entwicklung der Aufmerksamkeit geschieht auf drei Ebenen.

Auf der leiblichen Ebene erwacht das Bewusstsein, indem der Mensch seinen Körper ergreift, sich bewegt und tätig wird. Das lässt sich am Beginn des Lebens gut beobachten, wenn das kleine Kind im Greifen, Kriechen Krabbeln seinen Körper und die Dinge der Welt ergreift. Das Gleiche geschieht auch später im Leben jeden Morgen beim Erwachen aus dem Schlaf, wenn wir uns recken, aufstehen und tätig werden.

Auf der seelischen Ebene entwickelt sich Aufmerksamkeit über Sprache und Kommunikation. Mit jedem Wort und Satz, den das Kind sprechen lernt, erwacht sein Bewusstsein für die Dinge, die es benennt.

Auf der geistigen Ebene entwickelt sich Aufmerksamkeit über Ideen und Vorstellungen. Mit jedem Gedanken, den wir bilden, mit jeder Erkenntnis, die wir haben, mit jeder Gesetzmäßigkeiten, die wir kennen lernen, wird das Bewusstsein für einen bestimmten Bereich der Welt geöffnet.

Niemand kann immer aufmerksam sein. Wir brauchen auch Zeiten, in denen die Aufmerksamkeit losgelassen wird. Der Wechsel von Bewusstsein und Unbewusstsein, von Wachheit und Schlaf, gehört zur Bewusstseinsentwicklung dazu.

Dabei gibt es gewisse Extreme: Entweder ist der Mensch zu wenig bewusst; dann ist er träge und verschläft die wesentlichen Dinge, denen er sich zuwenden sollte oder er ist überwach und nervös, und kann sich nicht auf eine Sache konzentrieren. Solche Störungen werden heute meist mit psychoaktiven Substanzen behandelt. Wer zu schläfrig ist, erhält anregende Mittel (Aufputschmittel), wer zu nervös und ablenkbar ist, Beruhigungsmittel (sedierende Medikamente).

Aufmerksamkeit ist aber primär ein geistigseelischer Bewusstseinsakt, der von jedem Menschen selbst innerlich geschaffen werden muss. Die physiologisch stoffliche „Behandlung“ von Aufmerksamkeitsstörungen über Medikamente mag manchmal nötig sein, ist aber nicht der originäre Ausgangspunkt der Aufmerksamkeitsschulung. Die physiologischen Rahmenbedingungen sind für einen gesunden Aufmerksamkeitsprozess nötig, aber sie stehen nicht im Vordergrund der Aufmerksamkeitsentwicklung.

Neugier, Interesse und Liebe sind die geistigseelischen Grundlagen der Aufmerksamkeit. Wir können unser Aufmerksamkeit verschiedenen Themen zuwenden. In den modernen Gesellschaften wird das Bewusstsein hauptsächlich auf die materielle Welt gerichtet. In den alten religiös-spirituell orientierten Kulturen richtete sich die Aufmerksamkeit in erster Linie auf die geistig-seelische Welt.

Erst in jüngerer Zeit wurde die „Aufmerksamkeit auf die Aufmerksamkeit“ selbst gerichtet. Im neunzehnten Jahrhundert hat der Arzt H. Hoffmann Aufmerksamkeitsprobleme thematisiert. Er schrieb in dem Kinderbuch der „Struwwelpeter“ Geschichten von allen möglichen Kindern, die heute als aufmerksamkeitsgestört bezeichnet würden. Da gibt es den „Hans Guck in die Luft“, der nicht aufpasst, über einen Hund fällt und ins Wasser platscht oder den „Zappelphilipp“, der nie ruhig sitzen kann und die ganze Familie durcheinander bringt.

Seit Mitte der 90 –er Jahre werden Aufmerksamkeitsstörungen unter dem Stichwort AD(H)S zu einem zentralen Thema. Sie werden als Krankheit betrachtet und vorwiegend mit Medikamenten behandelt. Manche Autoren halten diese „Pathologisierung“ für falsch und sehen die Aufmerksamkeitsprobleme eher als eine pädagogische Herausforderung als eine physiologische Krankheit an.2

Krankheitsdiagnosen wirken tendenziell im Sinn einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung („selffullfilling prophecy). Das betroffene Kind empfindet sich als „krank“ und muss sich sagen: „Ich habe eine Krankheit, die heißt AD(H)S. Scheinbar funktioniert irgendetwas in meinem Gehirn nicht richtig. Das ist der Grund, dass ich nicht aufpassen kann. Ich selbst kann da nichts machen. Wenn ich Glück habe, wirkt vielleicht ein Medikament, welches mir der Arzt verordnet.“

Eltern und Lehrer von „AD(H)S – Kindern“ sind ebenso von dieser Dynamik betroffen. Auch sie sind durch die Krankheitsdiagnose überzeugt, durch Schulung und Erziehung wenig erreichen zu können und hoffen auf äußere Hilfe in Form eines Medikamentes. Die übliche Pathologisierung wirkt tendenziell schwächend auf die Eigeninitiative der Beteiligten.

Ich halte es für fruchtbarer, das Bewusstsein darauf zu richten, wie Aufmerksamkeit verbessert werden kann als darauf zu schauen, wie Aufmerksamkeitsstörungen beseitigt werden können. In über 200 Übungen werden in diesem Buch Möglichkeiten aufgezeigt, wie Aufmerksamkeit entwickelt werden kann.

Dieses Buch gibt Orientierung für diejenigen, die sich für Aufmerksamkeit und Bewusstseinsentwicklung interessieren. Es werden Zusammenhänge aufgezeigt, die für die psychologische und spirituelle Entwicklung von grundlegender Bedeutung sind. Übungsformen werden beschrieben, die üblicherweise nicht im Zusammenhang mit einem besonderen Aufmerksamkeitstraining gesehen werden. Dazu gehören Geschicklichkeitsübungen, Sprachübungen, Wahrnehmungs- und Mediationsaufgaben usw.

Erzieher, insbesondere Lehrer und Eltern können sich ein Bild verschaffen über die wesentlichen Gründe und Behandlungsmöglichkeiten von Aufmerksamkeitsproblemen. Der Lehrer wird Anregungen für seinen Unterricht gewinnen, die Eltern finden Aufgaben für den Erziehungsalltag und der Lerntherapeut kann sich ein Schulungsprogramm für seine Therapiestunde zusammenstellen.

1 Hoffman Dr. Heinrich: Der Struwwelpeter Orginalausgabe Morgarten, Rütten§Lennig Verlag Frankfurt, 1845

2 Henning Köhler: War Michel aus Lönnaberga aufmerksamkeitsgestört? Verlag Freies Geistesleben, 2002

KAPITEL I

PHÄNOMENE

 

1. PHÄNOMENE

Zunächst wollen wir uns verschiedenen Erscheinungsformen zuwenden, die wir als Aufmerksamkeit oder Unaufmerksamkeit erleben.

1.1 EIGENE ERLEBNISSE

Übung: Beobachtung „Aufmerksamkeit“

Erinnern Sie sich an eine Situation, wo sie Aufmerksam erlebt haben! Beschreiben Sie diese! Was würden Sie als typisch „aufmerksam“ bezeichnen ? Tauschen Sie sich mit einem Partner aus!

Übung: Beobachtung „Unaufmerksamkeit“

Wo haben Sie Unaufmerksamkeit erlebt? Beschreiben Sie die Situation! Was würden Sie als typisch „unaufmerksam“ bezeichnen ? Tauschen Sie sich mit einem Partner aus!

Übung: Selbstbeobachtung „Aufmerksamkeit“ Erinnern Sie sich nun an eine Situation, in der Sie sich selbst als sehr aufmerksam oder konzentriert erlebt haben! Halten Sie ihre inneren Beobachtungen fest und tauschen Sie sich mit einem Partner aus!

Übung: Selbstbeobachtung „Unaufmerksamkeit“

Erinnern Sie sich nun an eine Situation, in der Sie unaufmerksam waren! Was waren die Folgen dieser Unaufmerksamkeit? Können Sie irgendwelche Gründe für Ihre Unaufmerksamkeit finden? Wie hätte sich die Situation evtl. verhindern lassen?

Tauschen Sie sich mit einem Partner aus!

1.2 BILDER UND ASSOZIATIONEN

Aufmerksamkeit

Wir suchen nun Lebensbeispiele, in denen Aufmerksamkeit in typischer Weise zum Ausdruck kommt.

Beispiel: Balancieren (Äquilibristik)

Ein Seilkünstler spannt ein Hochseil aus und balanciert nun Schritt für Schritt von einer Seite auf die andere. Schon beim Zusehen erlebt der Zuschauer Konzentration in höchster Form.

Beispiel: Jonglage

Ein Jongleur nimmt einige Bälle in die Hand und beginnt die Bälle nacheinander hochzuwerfen, um eine Jonglage zu realisieren. In jedem Augenblick muss der Jongleur genau erspüren, wo sich jeder Ball gerade befindet.

Beispiel: Der konzentrierte Handwerker

Ein Schreiner bearbeitet ein Werkstück und ist bei jeder einzelnen Tätigkeit innerlich ganz bei der Sache. Er prüft das Holz, das er auswählt. Er spannt das Werkstück in die Werkbank, er sägt, hobelt und schleift es. Bei jedem einzelnen Schritt ist er hoch konzentriert.

Beispiel: Zeichnen und Malen

Einige Künstler beschreiben, wie das Zeichnen ihre allerhöchste Konzentration verlangt. Der japanische Künstler Hokusai sagt: „….Ich möchte gerne hundert Jahre alt werden, weil ich erst dann so weit sein werde, einen Punkt richtig zu zeichnen.“ Henri Matisse macht seinen Aufmerksamkeitsprozess mit folgenden Worten deutlich: „Wenn ich meiner zeichnenden Hand vertraue, dann deshalb, weil ich sie niemals die Gewalt über mein Gefühl ergreifen ließ, als ich sie lehrte mir zu dienen. Ich fühle sehr genau, wenn sie abschweift, wenn eine Uneinigkeit zwischen uns besteht.“

Beispiel: Schauspielkunst

Ein Urbild seelischer Aufmerksamkeit ist die Schauspielkunst. Nur der schauspielert gut, der ganz in seiner Rolle lebt. Tätigkeit, Empfindung und Sprache müssen zur Einheit werden.

Beispiel: Musiker

Jede Tätigkeit kann mit innerer seelischer Beteiligung oder nur äußerlich funktionell ausgeführt werden. Das zeigt sich besonders in der Musikkunst. Es genügt nicht, nur die richtigen äußeren Töne spielen. Entscheidend ist ob der Musiker mit seinem Empfindungs- und Seelenleben auch innerlich ganz bei der Sache ist.

Beispiel: Mathematisieren

Beim Rechnen und Mathematisieren wird systematisch ein Gedanke nach dem anderen gesetzt. Schon das Zählen ist ein Konzentrationsakt, bei dem man sich nicht ablenken lassen darf, wenn man sich nicht verzählen will. Die Gedanken werden durch die mathematische Tätigkeit selbst geordnet.

Beispiel: Meditieren (Beten)

Beim Meditieren und Beten ist die Aufmerksamkeit ganz auf die eigene Innenwelt gerichtet. Der ins Gebet versunkene Mönch ist ein Bild der Aufmerksamkeit.

Unaufmerksamkeit

Beispiel „Unfall“

Bei einem Unfall war meistens einer der Betroffenen einen Moment unaufmerksam. Bei einem Verkehrsunfall wurde vielleicht ein anderer Verkehrsteilnehmer übersehen; bei einem Sturz ein Hindernis auf dem Weg nicht bemerkt, usw.

Beispiel Hausaufgabensituation

Manche Eltern beschreiben die Hausaufgabensituation als eine typische Situation der Unaufmerksamkeit: „Er bleibt einfach nicht sitzen, rennt aufs Klo, dann muss der Bleistift gespitzt werden, dann geht es in die Küche um Süßigkeiten zu holen. Dann hat er eine Stunde vor seinem Heft gesessen und es steht nichts im Heft.

Beispiel Schulsituation

Lehrer erleben viele Kinder in der Schule als aufmerksamkeitsgestört und beschreiben dies: „Das geht damit los, dass Peter schon zu spät zur Schule kommt. Er trödelte eben zu lange herum. Im Klassenzimmer angekommen, lässt er seine Büchertasche in der Garderobe liegen und unterhält sich mit einem Kameraden statt seinen Arbeitsplatz vor zubereiten. Beim gemeinsamen Gedicht spricht er nicht mit, sondern schaut träumend zum Fenster hinaus. Beim Schreiben bemerkt er nicht, dass er sein Heft herausholen sollte. In seinem Federmäppchen sind alle Stifte abgebrochen, Radiergummi und Spitzer sind verloren gegangen. Außerdem kommt er laufend in Streit mit seinen Sitznachbarn. Er passt einfach nicht auf.

Beispiel Der Zappelphilipp

Eine der ältesten Darstellungen für Unaufmerksamkeit ist die Geschichte vom Zappelphilipp in dem Kinderbuch „Struwwelpeter“ von Hoffmann aus dem Jahr 1845. Es ist mit entsprechend einprägsamen Bildern illustriert.

„Ob der Philipp heute still

Wohl bei Tische sitzen will?“

Also sprach in ernstem Ton Der Papa zu seinem Sohn,

Und die Mutter blickte stumm

Auf dem ganzen Tisch herum.

Doch der Philipp hörte nicht

Was zu ihm der Vater spricht.

Er gaukelt

Und schaukelt

Er trappelt

Und zappelt

Auf dem Stuhle hin und her.

„Philipp, das missfällt mir sehr!“

Sehr ihr lieben Kinder seht.

Wie’s dem Philipp weitergeht!

Oben steht es auf dem Bild.

Seht! Er schaukelt gar zu wild,

Bis der Stuhl nach hinten fällt;

Da ist nichts mehr was ihn hält;

Nach dem Tischtuch greift er, schreit.

Doch was hilft’s ? Zu gleicher Zeit

Fallen Teller, Flasch’ und Brot,

Vater ist in großer Not,

Und die Mutter blicket stumm

Auf dem ganzen Tisch herum.

Bilder „aufmerksamer Unaufmerksamkeit“.

Es gibt Situationen und Beispiele, welche - je nach Standpunkt des Beobachters - als Unaufmerksamkeit oder Aufmerksamkeit bezeichnet werden können. Es kann viele Gründe geben, dass jemand sein Bewusstsein nicht auf das richtet, was andere von ihm erwarten.

Beispiel Der unaufmerksame Kirchenbesucher

Von Galilei wird folgende Anekdote berichtet: Er habe sich im Gottesdienst bei der Predigt des Pfarrers gelangweilt habe. Stattdessen betrachtete er die Kirchenleuchter, wie sie an langen Seilen von der Decke im Kirchenschiff hingen und sich leicht hin und her bewegten. Er begann auf den Schwingungsrhythmus der Leuchter zu achten. Aus diesen Beobachtungen heraus fand er die Gesetze der Schwerkraft, welche später seinen Ruhm als Naturwissenschaftler begründeten.

Vom Standpunkt des Physikers aus war Galileo sehr aufmerksam. Vom Standpunkt des Pfarrers aus, war er dagegen unkonzentriert.

Beispiel Das Eichhörnchen im Unterricht

Im Rechenunterricht sieht Paul mit größter Aufmerksamkeit einem Eichhörnchen zu, welches draußen vor dem Fenster auf einem Baum von Ast zu Ast springt. Er schaut gebannt den Bewegungsablauf des kleinen Tieres an. Er könnte dem Lehrer detailliert jeden einzelnen Bewegungsakt des Eichhörnchens schildern.

Vom Standpunkt des Mathematiklehrers ist er unaufmerksam; der Biologielehrer würde ihn vielleicht als aufmerksam beurteilen.

Beispiel: Spielen und Pausenglocke

Ein Kind spielt in der Pause unter einem Baum. Im Wurzelwerk der Tanne hat es eine „Zwergen Gesellschaft“ entdeckt. Als die Pausenglocke läutet, ist es so in sein Spiel vertieft, dass es diese überhört. Es ist die Frage, ob dies als Unaufmerksamkeit in Bezug auf die Schulglocke oder als Aufmerksamkeit in Bezug auf sein Spiel zu bewerten ist.

Beispiel: Streit der Eltern und Englischunterricht

Ein Kind sitzt im Englischunterricht. Es werden gerade die neuen Vokabeln behandelt. Das Kind aber hat am Morgen einen Streit zwischen Vater und Mutter erlebt. Daran muss es im Augenblick immer noch denken. In Bezug auf den Englischunterricht ist es unaufmerksam, in Bezug auf seine familiäre Situation ist es möglicherweise eher aufmerksam.

Solche Beispiele verdeutlichen, dass das Urteil „Aufmerksamkeit“ oder „Unaufmerksamkeit“ stark von der Bewertung der Rahmensituation geprägt ist.

1.3 BESCHREIBUNGEN DIAGNOSEN TESTS

FREIE BESCHREIBUNGEN

Eine Möglichkeit Aufmerksamkeitsstörungen zu erfassen, ist diese in freier Weise zu beschreiben. Im Gegensatz zu den standardisierten Testverfahren, lässt sich dabei die Aufmerksamkeitssituation eines Menschen recht individuell beschreiben.

Übung: Versuchen Sie stichpunktartig mit eigenen Worten zu beschreiben, was Sie unter Aufmerksamkeitsstörungen verstehen!

Beispiel für eine mögliche Charakterisierung

- schreit, brüllt, beschimpft seine Mitmenschen

- zieht sich in sich zurück, reagiert nicht auf Bitten und Aufforderungen

- bringt Unruhe in Familie, Kindergartengruppe und Schulklasse

- ist nicht beliebt, tut aber auch selbst wenig dazu von anderen gemocht zu werden

- starker Mitteilungsdrang, redet ununterbrochen und meistens genau im falschen Augenblick

- nimmt mit seinem Verhalten keine Rücksicht auf Andere

- tut, was er will

- hat eine eingeschränkte Selbstwahrnehmung

- merkt nicht wie er auf andere wirkt

- lebt zwischen Selbstzweifel und Selbstüberschätzung

- hält sich selbst für einen Versager

- prahlt gerne

- spürt sich selbst wenig; relativ unempfindlich gegen physischen Schmerz

- schwaches Leibwahrnehmung

- zwischen Stumpfheit und Interesselosigkeit

- Vergesslichkeit

- leichte Ablenkbarkeit

- kurze Aufmerksamkeitsspanne

- häufig wechselnde Vorstellungen

- sprunghaftes Denken

- wird von inneren Bildern überflutet, einseitige visuelle Bindung

- schnell wechselnde Vorstellungen

- interessiert sich wenig für die Umwelt

- will sich nicht festlegen

- das Empfinden wechselt zwischen Apathie und Aufregung

- lebt nicht in der Gegenwart, bindet Zukunft und Vergangenheit nicht an die Gegenwart,

- hat dauernd gute Vorsätze, welche nicht eingehalten werden

- regt sich schnell auf

- möchte dauernd Abwechslung haben