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Ein Klassiker der Physik des 20. Jahrhunderts Warum sind Raum und Zeit so fundamental für das Verständnis des Weltalls und unseres Lebens? Zwei Genies verdeutlichen, warum wir das Universum und die Schwarzen Löcher ganz anders begreifen müssen als bisher, wenn wir das Weltall und die Welt der Quanten als eine Wirklichkeit verstehen wollen. Zwei der renommiertesten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts erörtern, wie das Universum entstanden sein könnte, welche Entwicklung es genommen hat und welches Schicksal ihm und uns – in einigen Milliarden Jahren – bevorsteht. Stephen Hawking ist einer der wichtigsten Kosmologen aller Zeiten, eine Ikone des 20. und 21. Jahrhunderts und war Schüler von Roger Penrose, einem genialen Mathematiker, Nobelpreisträger für Physik 2020 und Vordenker der Schwarzen Löcher. Die beiden brillanten Theoretiker stellen sich den Grundfragen der Physik und Kosmologie und bestimmen die Dimensionen von Raum und Zeit völlig neu. Ohne Raum und Zeit gäbe es kein Universum und kein Atom, weder den Urknall noch die Schwarzen Löcher. Wer mehr über Raum und Zeit wissen will, muss diesen erstmals im Jahr 1996 erschienenen Klassiker der Physik lesen.
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Seitenzahl: 210
Stephen Hawking
Roger Penrose
Was sind Raum und Zeit?
Aus dem Englischen übersetzt von Claus Kiefer
Klett-Cotta
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.
Klett-Cotta
www.klett-cotta.de
Die Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel »The Nature of Space and Time« und wurde 2010 um ein Nachwort erweitert
© 1996/2010 by Princeton University Press, New Jersey
Für die deutsche Ausgabe
© 2021 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg
unter Verwendung einer Abbildung von © shutterstock / Alex Konon
Gesetzt von Dörlemann Satz, Lemförde
Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck
ISBN 978-3-608-96484-4
E-Book ISBN 978-3-608-11677-9
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Dank
Vorwort
Kapitel Eins
Klassische Theorie
Kapitel Zwei
Zur Struktur raumzeitlicher Singularitäten
Fragen und Antworten
Kapitel Drei
Zur Quantentheorie Schwarzer Löcher
Kapitel Vier
Quantentheorie und Raumzeit
Fragen und Antworten
Kapitel Fünf
Quantenkosmologie
Kapitel Sechs
Der Twistorzugang zur Raumzeit
Twistoren und Twistorraum
Quantisierte Twistoren
Twistoren für gekrümmte Räume
Twistorkosmologie
Fragen und Antworten
Kapitel Sieben
Die Debatte
Stephen Hawking
Roger Penrose erwidert
Katzen und ähnliches
Die Wick-Rotation
Phasenraumverlust
Stephen Hawking
Roger Penrose erwidert
Fragen und Antworten
Nachwort zur Ausgabe von 2010
Die Debatte geht weiter
Bibliographie
Register
Personenregister
Sachregister
Die Autoren, der Verlag sowie das Isaac Newton Institute for Mathematical Sciences möchten den folgenden Personen, die beim Zustandekommen der Vortragsreihe und des Buches beteiligt waren, ihren Dank aussprechen: Matthias R. Gaberdiel, Simon Gill, Jonathan B. Rogers, Daniel R. D. Scotts und Paul A. Shah.
Die Debatte zwischen Roger(1) Penrose(2) und Stephen(1) Hawking(2), die in diesem Buch wiedergegeben wird, bildete den Höhepunkt einer sechsmonatigen Veranstaltungsreihe, die 1994 am Isaac Newton(1) Institute for Mathematical Sciences der Universität Cambridge stattfand. Dabei handelt es sich um eine ernsthafte Diskussion der fundamentalsten Ideen bezüglich der Natur des Universums. Es muss nicht betont werden, dass wir noch nicht am Ende des Weges zu einem wahren Verständnis angekommen sind; noch immer gibt es viele Unsicherheiten und strittige Punkte, die es zu klären gilt.
Vor etwa sechzig Jahren führten Niels Bohr(1) und Albert Einstein(1) eine berühmt gewordene langwierige Diskussion über die Grundlagen der Quantenmechanik. Einstein(2) weigerte sich zu akzeptieren, dass die Quantenmechanik eine vollständige Theorie sei. Er hielt sie für philosophisch unbefriedigend und kämpfte mit harten Bandagen gegen die orthodoxe Interpretation der Kopenhagener Schule, die Bohr(2) repräsentierte.
In gewissem Sinne setzen Penrose(3) und Hawking(3) diese frühere Debatte fort, wobei Penrose(4) die Rolle von Einstein(3) und Hawking(4) die von Bohr(3) einnimmt. Die Inhalte sind komplexer und weitläufiger geworden, doch noch immer handelt es sich um eine Mischung aus formalen Argumenten und philosophischen Standpunkten. Heute ist die Quantentheorie(1), einschließlich der anspruchsvolleren Version der Quantenfeldtheorie(1), eine sehr weit entwickelte und äußerst erfolgreiche Theorie, auch wenn es noch philosophische Skeptiker wie Roger(5) Penrose(6) gibt, die an ihr zweifeln. Ebenso hat Einsteins(4) Allgemeine Relativitätstheorie(1) alle Hürden übersprungen und kann erstaunliche Erfolge vorweisen, obwohl es ernsthafte Probleme gibt, etwa im Zusammenhang mit der Rolle von Singularitäten(1) oder Schwarzen Löchern.
Das zentrale und dominierende Thema der Diskussion zwischen Hawking(5) und Penrose(7) ist die mögliche Vereinigung dieser erfolgreichen Theorien zu einer »Quantengravitation(1)«. Damit sind schwierige begriffliche und formale Probleme verknüpft, die ein weites Feld für Auseinandersetzungen in diesen Vorlesungen bieten. Als Beispiele für die grundlegenden Fragen, die aufgeworfen werden, seien der »Pfeil der Zeit« genannt, die Anfangsbedingungen bei der Entstehung des Universums sowie die Art und Weise, wie Schwarze Löcher(1) Information verschlingen. In diesen und anderen Fragen nehmen Hawking(6) und Penrose(8) Positionen ein, die sich subtil voneinander unterscheiden. Die Argumente werden sowohl in mathematischer als auch in physikalischer Hinsicht sorgfältig präsentiert, wobei die Form, in der die Debatte geführt wird, einen sinnvollen Austausch von Kritik erlaubt.
Obwohl ein Teil der Darlegungen eine genaue Kenntnis von Mathematik und Physik voraussetzt, werden viele der Auseinandersetzungen auf einer höheren (oder tieferen) Ebene geführt, die auch für ein größeres Publikum von Interesse ist. Auf jeden Fall bekommt der Leser einen Eindruck von Umfang und Tiefe der diskutierten Ideen sowie von der enormen Herausforderung, die es bedeutet, ein stimmiges Bild des Universums zu entwerfen, das sowohl der Gravitationstheorie als auch der Quantentheorie(2) voll und ganz Rechnung trägt.
Michael Atiyah
Kapitel Eins
Stephen(7) Hawking(8)
In diesen Vorlesungen werden Roger(9) Penrose(10) und ich unsere jeweiligen Vorstellungen zur Natur des Raumes und der Zeit darlegen, die zwar Gemeinsamkeiten, aber auch einige Unterschiede aufweisen. Wir werden abwechselnd vortragen; jeder von uns hält drei Vorlesungen, denen dann eine Diskussion über unsere unterschiedlichen Ansätze folgen soll. Ich möchte betonen, dass es sich um Spezialvorlesungen handelt, bei denen wir Grundkenntnisse von Allgemeiner Relativitätstheorie und Quantentheorie(3) voraussetzen.
Es gibt einen kurzen Artikel von Richard Feynman(1), in dem er seine Erlebnisse auf einer Relativistenkonferenz, ich glaube, es war die Warschauer Konferenz von 1962, zum Besten gibt. Er äußert sich darin sehr abschätzig über die allgemeine Kompetenz der Teilnehmer und die Bedeutung ihrer Arbeit. Es ist in nicht geringem Maße Rogers Arbeit zu verdanken, dass die Allgemeine Relativitätstheorie(2) bald darauf einen viel besseren Ruf und größere Aufmerksamkeit erlangte. Bis dahin hatte man sie durch ein umständliches System von partiellen Differentialgleichungen in einem einzigen Koordinatensystem beschrieben. Man war dabei so zufrieden, wenn man eine Lösung gefunden hatte, dass man nicht danach fragte, ob diese von physikalischer Relevanz sei. Roger(11) jedoch brachte moderne Begriffe wie Spinoren und globale Methoden ins Spiel. Als erster zeigte er auf, dass man allgemeine Eigenschaften entdecken kann, ohne die Gleichungen exakt lösen zu müssen. Es war sein erstes Singularitätentheorem(1), das mich zum Studium der kausalen Struktur führte und mich zum klassischen Teil meiner Arbeit über Singularitäten(2) und Schwarze Löcher(2) anregte.
Ich denke, Roger(12) und ich sind uns ziemlich einig, was den klassischen Teil unserer Arbeit angeht. Wir unterscheiden uns jedoch in unserem Zugang zur Quantengravitation(2) und in unserer Einstellung zur Quantentheorie(4) selbst. Obwohl mich die Teilchenphysiker als gefährlichen Radikalen ansehen, weil ich einen möglichen Verlust der Quantenkohärenz ins Auge gefasst habe, bin ich im Vergleich zu Roger(13) ganz sicher ein Konservativer. Ich nehme den positivistischen Standpunkt ein, dass eine physikalische Theorie nur ein mathematisches Modell darstellt und dass es nicht sinnvoll ist, zu fragen, ob dieses der Realität entspricht. Man kann nur fragen, ob seine Vorhersagen mit den Beobachtungen in Einklang stehen. Ich denke, Roger(14) ist im Grunde seines Herzens ein Platoniker(1), doch muss er dies selbst beantworten.
Obwohl es Vorstellungen von einer diskreten Struktur der Raumzeit(1) gibt, besteht kein Grund, die erfolgreichen Kontinuumstheorien aufzugeben. Die Allgemeine Relativitätstheorie(3) ist eine hervorragende Theorie, die mit allen bisherigen Beobachtungen übereinstimmt. Sie mag auf der Planck(1)-Skala(1) Abänderungen erfahren, doch glaube ich nicht, dass dies viele ihrer Vorhersagen betreffen wird. Zwar mag sie nur eine Annäherung an eine grundlegendere Theorie wie die Stringtheorie(1) im Bereich kleiner Energien(1) sein, doch bin ich der Meinung, dass die Stringtheorie(2) überschätzt wird. Zunächst einmal ist nicht klar, ob die Allgemeine Relativitätstheorie(4), wenn sie mit verschiedenen anderen Feldern in einer Theorie der Supergravitation vereinigt wird, nicht doch eine vernünftige Quantentheorie(5) ergeben mag. Berichte über das Ende der Supergravitation sind Übertreibungen. Es gab eine Zeit, da glaubte jeder, die Supergravitation sei endlich. Im darauffolgenden Jahr hatte sich die Mode gewandelt, und alle behaupteten, die Supergravitation habe Divergenzen, obwohl nie welche gefunden wurden. Der zweite Grund, warum ich die Superstringtheorie übergehe, ist die Tatsache, dass sie bisher keine überprüfbaren Vorhersagen geleistet hat. Im Gegensatz dazu hat die direkte Anwendung der Quantentheorie(6) auf die Allgemeine Relativitätstheorie(5), auf die ich zu sprechen komme, bereits zwei überprüfbare Vorhersagen vorzuweisen. Eine von ihnen, die Entwicklung kleiner Störungen während der Inflation, scheint durch jüngste Beobachtungen der Fluktuationen in der Mikrowellenhintergrundstrahlung bestätigt zu werden. Die andere Vorhersage – nämlich dass Schwarze Löcher(3) thermisch strahlen – ist zumindest im Prinzip überprüfbar. Leider scheinen in unseren Breiten nicht viele davon zu existieren. Gäbe es sie, wüssten wir, wie die Gravitation(1) zu quantisieren wäre.
Selbst wenn die Superstringtheorie die endgültige Theorie der Natur sein sollte, würde sich keine dieser Vorhersagen ändern. Zumindest auf ihrem gegenwärtigen Stand der Entwicklung ist die Stringtheorie(3) jedoch nicht in der Lage, diese Vorhersagen zu treffen, es sei denn, sie verweist auf die Allgemeine Relativitätstheorie(6) als effektive Theorie bei kleinen Energien(2). Ich vermute, dass dies immer der Fall bleiben wird und dass es keine beobachtbaren Vorhersagen der Stringtheorie(4) gibt, die man nicht auch aus der Allgemeinen Relativitätstheorie(7) oder der Supergravitation erhalten kann. Sollte dem so sein, stellt sich die Frage, ob die Stringtheorie(5) eine ernsthafte wissenschaftliche Theorie ist. Können mathematische Schönheit und Vollständigkeit ausreichen, wenn klare, durch die Beobachtung überprüfte Vorhersagen fehlen? Damit will ich keineswegs behaupten, dass die Stringtheorie(6) in ihrer momentanen Form schön oder vollständig sei.
Aus diesen Gründen werde ich in meinen Vorlesungen über die Allgemeine Relativitätstheorie(8) reden. Dabei werde ich mich auf zwei Gebiete konzentrieren, auf denen sich die Gravitation(2) von anderen Feldtheorien unterscheidet. Das erste betrifft die Vorstellung, sie erlege der Raumzeit(2) einen Anfang und womöglich ein Ende auf. Bei dem zweiten geht es um die Entdeckung, dass es allem Anschein nach eine intrinsische Gravitationsentropie gibt, die nicht das Ergebnis einer Grobkörnung ist. Einige Leute haben behauptet, diese Vorhersagen seien nur ein Artefakt der semiklassischen Näherung. Sie meinen, die Stringtheorie(7) als eigentliche Quantentheorie(7) der Gravitation(3) verhindere die Singularitäten(3) und führe zu Korrelationen in der Strahlung Schwarzer Löcher(4), die bewirken, dass diese im Sinne der Grobkörnung nur näherungsweise thermisch ist. Wenn dies stimmte, hätten wir es mit einer ziemlich langweiligen Angelegenheit zu tun. Die Gravitation(4) wäre dann ein Feld wie jedes andere. Ich glaube aber, dass sie grundlegend anders ist, da sie selbst die Arena bildet, in der sie agiert, ganz im Unterschied zu anderen Feldern, die auf einem festen raumzeitlichen Hintergrund wirken. Genau dies lässt es möglich erscheinen, dass die Zeit einen Anfang besitzt. Es ist auch der Grund dafür, warum es im Universum unbeobachtbare Gebiete gibt, was wiederum Anlass gibt, den Begriff der Gravitationsentropie als Maß für unser Unwissen einzuführen.
Im Folgenden werde ich die im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie(9) geleistete Arbeit referieren, die zu diesen Vorstellungen führt. In meiner zweiten und dritten Vorlesung (Kapitel 3 und 5) werde ich zeigen, wie sie modifiziert und erweitert werden, wenn man die Quantentheorie(8) einbezieht. Meine zweite Vorlesung wird sich um Schwarze Löcher(5) drehen, und die dritte handelt von Quantenkosmologie.
Die entscheidenden Techniken, die Roger(15) vorgeschlagen hat, um Singularitäten(4) und Schwarze Löcher(6) zu untersuchen, und bei deren Entwicklung ich beteiligt war, dienen dem Studium der globalen kausalen Struktur der Raumzeit(3). Definieren wir I+(p) als die Menge aller Punkte der Raumzeit(4), die sich von p aus durch zukunftsgerichtete zeitartige oder lichtartige Kurven erreichen lassen (Abb. 1.1). Man kann sich I+(p) als die Menge aller Ereignisse vorstellen, die davon beeinflusst werden können, was bei p passiert. Es gibt analoge Definitionen, bei denen plus durch minus und Zukunft durch Vergangenheit ersetzt wird. Solche Definitionen werde ich als unmittelbar einleuchtend ansehen.
Abb. 1.1: Die chronologische Zukunft eines Punktes p.
Betrachten wir nun den Rand İ+ (S) der Zukunft einer Menge S. Es ist ziemlich einfach zu erkennen, dass dieser Rand nicht zeitartig sein kann. Denn in diesem Fall läge ein Punkt q, der gerade außerhalb des Randes liegt, in der Zukunft eines Punktes p, der sich gerade innerhalb des Randes befindet. Der Rand der Zukunft kann, außer bei der Menge S selbst, auch nicht raumartig sein. In diesem Fall würde nämlich jede in die Vergangenheit gerichtete Kurve, die an einem Punkt q beginnt, der gerade noch in der Zukunft des Randes liegt, den Rand überqueren und die Zukunft von S verlassen. Das wäre aber ein Widerspruch zu der Tatsache, dass q in der Zukunft von S liegt (Abb. 1.2).
Abb. 1.2: Der Rand der chronologischen Zukunft kann nicht zeitartig oder raumartig sein.
Man folgert deshalb, dass der Rand der Zukunft, abgesehen von der Menge S selbst, lichtartig ist. Genauer gesagt, es gibt für einen Punkt q im Rand der Zukunft, der aber nicht im Abschluss von S liegt, ein in die Vergangenheit gerichtetes Segment einer Nullgeodätischen durch p, das im Rand liegt (Abb. 1.3). Es mag auch durchaus mehr als ein solches Segment durch q geben, das am Rand liegt, doch würde es sich in diesem Fall bei q um einen Zukunftsendpunkt des Segments handeln. Anders ausgedrückt, der Rand der Zukunft von S wird von Nullgeodätischen erzeugt, die einen Zukunftsendpunkt im Rand besitzen und in das Innere des Zukunftsbereiches überwechseln, falls sie eine andere Erzeugende schneiden. Andererseits können die als Erzeugende fungierenden Nullgeodätischen nur Vergangenheitsendpunkte auf S haben. Es existieren jedoch Raumzeiten(5), wo es Erzeugende des Zukunftsrandes einer Menge S gibt, die S nirgends schneiden. Solche Erzeugenden können keinen Vergangenheitsendpunkt besitzen.
Abb. 1.3:Oben: Der Punkt q liegt auf dem Rand der Zukunft, weshalb es ein Segment einer Nullgeodätischen auf dem Rand gibt, das durch q läuft.
Unten: Gibt es mehr als ein solches Segment, ist q deren Zukunftsendpunkt.
Ein einfaches Beispiel ist der Minkowski(1)-Raum(1), aus dem ein horizontales Liniensegment entfernt wird (Abb. 1.4). Wenn die Menge S in der Vergangenheit dieser horizontalen Linie liegt, wirft die Linie einen Schatten, weshalb es Punkte in der Zukunft nahe dieser Linie gibt, die nicht in der Zukunft von S liegen. Der Rand der Zukunft von S besitzt eine Erzeugende, die zum Ende der horizontalen Linie zurückläuft. Da jedoch der Endpunkt der horizontalen Linie aus der Raumzeit(6) entfernt wurde, besitzt diese Erzeugende des Randes keinen Vergangenheitsendpunkt. Diese Raumzeit(7) ist unvollständig, doch kann man dies beheben, indem man die Metrik nahe des Endes der horizontalen Linie mit einem geeigneten konformen Faktor multipliziert. Trotz ihrer künstlichen Natur sind solche Räume wichtig, da sie aufzeigen, wie sorgfältig man beim Studium der kausalen Struktur vorgehen muss. Es war Roger Penrose(16), der als einer der Gutachter meiner Doktorarbeit darauf hinwies, dass ein Raum wie der eben von mir dargestellte ein Gegenbeispiel zu einigen Behauptungen war, die ich in meiner Doktorarbeit aufgestellt hatte.
Abb. 1.4: Da aus dem Minkowski-Raum eine Linie entfernt worden ist, besitzt der Rand der Zukunft der Menge S eine Erzeugende ohne Vergangenheitsendpunkt.
Um zeigen zu können, dass jede Erzeugende des Zukunftsrandes einen Vergangenheitsendpunkt auf der Menge besitzt, muss man der kausalen Struktur eine globale Bedingung auferlegen. Die weitreichendste und physikalisch wichtigste Bedingung ist die der globalen Hyperbolizität. Eine offene Menge U wird global hyperbolisch genannt, falls
für jedes Punktepaar p und q in U die Schnittmenge der Zukunft von p mit der Vergangenheit von q einen kompakten Abschluss besitzt; anders ausgedrückt, es handelt sich um ein beschränktes diamantförmiges Gebiet (Abb. 1.5);
auf U die starke Kausalität gilt, was bedeutet, dass es keine geschlossenen oder beinahe geschlossenen zeitartigen Kurven in U gibt.
Abb. 1.5: Die Schnittmenge der Vergangenheit von q mit der Zukunft von p besitzt einen kompakten Abschluss.
Die physikalische Bedeutung der globalen Hyperbolizität rührt daher, dass aus ihr die Existenz einer Familie von Cauchy(1)-Flächen ∑(t) für U folgt (Abb. 1.6). Eine Cauchy(2)-Fläche für U ist eine raum- oder lichtartige Fläche, die jede zeitartige Kurve in U genau einmal schneidet. Man kann das Geschehen in U aus Daten auf der Cauchy(3)-Fläche bestimmen und auf einem global hyperbolischen Hintergrund eine konsistente Quantenfeldtheorie(2) formulieren. Hingegen ist weniger klar, ob sich eine vernünftige Quantenfeldtheorie(3) auf einem Hintergrund formulieren lässt, der nicht global hyperbolisch ist. Globale Hyperbolizität kann daher eine physikalische Notwendigkeit darstellen. Mein Standpunkt ist allerdings, dass man sie nicht voraussetzen sollte, da sonst vielleicht wichtige Eigenschaften der Gravitation(5) ausgeschlossen würden. Man sollte stattdessen aus anderen physikalisch vernünftigen Annahmen schließen, dass gewisse Gebiete der Raumzeit(8) global hyperbolisch sind.
Abb. 1.6: Eine Familie von Cauchy-Flächen für U.
Die Bedeutung der globalen Hyperbolizität für die Singularitätentheoreme(2) rührt von folgender Tatsache her. Sei U global hyperbolisch, und seien p und q Punkte in U, die durch eine zeit- oder lichtartige Kurve verbunden werden können. Dann gibt es eine zeitartige oder lichtartige Geodätische, die p und q verbindet und die Länge von zeit- oder lichtartigen Kurven von p nach q maximiert (Abb. 1.7). Die Beweisführung beruht darauf, zu zeigen, dass der Raum aller zeit- oder lichtartigen Kurven von p nach q in einer gewissen Topologie kompakt ist. Berechnungen ergeben dann, dass die Länge der Kurve eine obere halbstetige Funktion in diesem Raum ist. Sie muss deshalb ihr Maximum annehmen, und die Kurve maximaler Länge ist eine Geodätische, da andererseits eine kleine Variation eine längere Kurve ergeben würde.
Abb. 1.7: In einem global hyperbolischen Raum gibt es eine Geodätische maximaler Länge, die jedes Punktepaar verbindet, das durch eine zeit- oder lichtartige Kurve verbunden werden kann.
Man kann nun die zweite Variation der Länge einer Geodätischen γ betrachten und zeigen, dass man aus γ durch Variation eine längere Kurve findet, falls es eine infinitesimal benachbarte Geodätische durch p gibt, die γ wiederum an einem Punkt r zwischen p und q schneidet. Von Punkt r heißt es, er sei zu p konjugiert (Abb. 1.8). Dies lässt sich veranschaulichen, indem man zwei Punkte p und q auf der Erdoberfläche betrachtet. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit kann man p auf den Nordpol der Erde setzen. Da die Erde statt einer Lorentzschen(1)(1) eine positiv definite Metrik besitzt, gibt es statt einer Geodätischen maximaler eine solche von minimaler Länge. Diese minimale Geodätische wird auf dem Längenkreis vom Nordpol zum Punkt q laufen. Es gibt aber noch eine andere Geodätische von p nach q, die auf der anderen Seite vom Nordpol zum Südpol verläuft und erst dann nach q hoch. Diese Geodätische besitzt am Südpol, wo sich alle Geodätischen aus p treffen, einen zu p konjugierten Punkt. Bei beiden Geodätischen von p nach q bleibt die Länge unter einer kleinen Variation stationär. Bei einer positiv definiten Metrik kann jedoch die zweite Variation einer Geodätischen, die einen konjugierten Punkt enthält, eine kürzere Kurve von p nach q ergeben. Im Beispiel der Erde können wir also schließen, dass es sich bei der Kurve, die zuerst zum Südpol läuft und dann wieder nach oben, nicht um die kürzeste Kurve von p nach q handeln kann. Dieses Beispiel ist eindeutig, doch kann man im Falle der Raumzeit(9) zeigen, dass es unter gewissen Annahmen ein global hyperbolisches Gebiet geben muss, in dem auf jeder Geodätischen zwischen zwei Punkten konjugierte Punkte liegen. Hieraus folgt ein Widerspruch, der besagt, dass die Annahme der geodätischen Vollständigkeit, die man als Definition einer nichtsingulären Raumzeit(10) verstehen kann, falsch ist.
Abb. 1.8:Links: Falls es einen konjugierten Punkt r zwischen p und q auf einer Geodätischen gibt, so handelt es sich nicht um die Geodätische minimaler Länge.
Rechts: Die nichtminimale Geodätische von p nach q besitzt einen konjugierten Punkt am Südpol.
Es gibt konjugierte Punkte in einer Raumzeit(11), weil die Gravitation(6) anziehend wirkt. Deshalb krümmt sie die Raumzeit(12) in einer Weise, dass sich benachbarte Geodätische zueinander hinbiegen, anstatt sich voneinander fortzubewegen. Man kann dies der Raychaudhuri(1)- oder der Newman(1)-Penrose(17)-Gleichung(1) entnehmen, die ich in einheitlicher Form formulieren will.
Hierin bezeichnet υ einen affinen Parameter entlang einer Kongruenz von Geodätischen mit Tangentenvektor la, die hyperflächenorthogonal ist. Die Größe ρ ist die gemittelte Konvergenzrate der Geodätischen und σ ein Maß für die Scherung. Der Term Rablalb gibt den direkten gravitativen Einfluss der Materie auf die Kongruenz von Geodätischen an.
Einstein(5)-Gleichungen(1)
Schwache Energiebedingung
für jeden zeitartigen Vektor.
Aufgrund der Einstein(6)-Gleichungen(2) wird er für jeden lichtartigen Vektor la nicht negativ sein, falls die Materie der sogenannten schwachen Energiebedingung(1) genügt, die besagt, dass die Energiedichte(1)T00 in jedem Bezugssystem nicht negativ ist. Die schwache Energiebedingung(2) wird von dem klassischen Energie(3)-Impuls-Tensor(1) jeder vernünftigen Materieform erfüllt, beispielsweise einem skalaren oder elektromagnetischen Feld oder einer Flüssigkeit mit einer vernünftigen Zustandsgleichung. Sie mag jedoch lokal durch den quantenmechanischen Erwartungswert des Energie(4)-Impuls-Tensors(2) verletzt sein. Das wird in meiner zweiten und dritten Vorlesung eine Rolle spielen (Kapitel 3 und 5).
Angenommen, es gelte die schwache Energiebedingung(3), die Nullgeodätischen aus einem Punkt p begännen wieder zu konvergieren und ρ habe den positiven Wert von ρ0. Aus der Newman(3)-Penrose(19)-Gleichung würde dann folgen, dass die Konvergenz ρ an einem Punkt q innerhalb einer Entfernung des affinen Parameters unendlich groß werden würde.
Falls , dann .Es gibt also einen konjugierten Punkt vor .
Infinitesimal benachbarte Nullgeodätische aus p werden sich in q schneiden. Dies bedeutet, dass der Punkt q entlang der Nullgeodätischen γ, die p und q verbindet, zu p konjugiert ist. Zu einem Punkt auf γ jenseits des konjugierten Punktes q gibt es eine Variation von γ, die eine zeitartige Kurve von p zu diesem Punkt liefert. Also kann γ jenseits des konjugierten Punktes q nicht im Rand der Zukunft von p liegen. Deshalb besitzt γ als Erzeugende des Zukunftsrandes von p einen Zukunftsendpunkt (Abb. 1.9).
Abb. 1.9: Der Punkt q ist zu p entlang von Nullgeodätischen konjugiert, weshalb eine Nullgeodätische γ, die p mit q verbindet, den Rand der Zukunft von p bei q verlässt.
Mit zeitartigen Geodätischen verhält es sich ähnlich, nur dass man hier die starke Energiebedingung(1) benötigt, um Rablalb für jeden zeitartigen Vektor la nicht negativ zu machen, welche, wie der Name schon sagt, viel stärker ist. In einem gemittelten Sinne ist sie aber in der klassischen Theorie noch immer sinnvoll. Falls die starke Energiebedingung(2) gilt und die zeitartigen Geodätischen aus p wieder zu konvergieren beginnen, gibt es einen zu p konjugierten Punkt q.
Starke Energiebedingung(3)
Schließlich gibt es noch die generische Energiebedingung(1). Dazu muss zunächst die starke Energiebedingung gelten. Darüber hinaus muss jede zeit- oder lichtartige Geodätische auf einen Punkt mit einer Krümmung treffen, die nicht speziell auf die Geodätische ausgerichtet ist. Die generische Energiebedingung(2) wird von einer Reihe exakter Lösungen nicht erfüllt. Diese sind aber von ziemlich ausgefallener Art. Man würde erwarten, dass sie von Lösungen erfüllt wird, die in einem geeigneten Sinne »generisch« sind. Falls die generische Energiebedingung(3) erfüllt ist, wird jede Geodätische auf ein Gebiet treffen, in dem sie durch die Gravitation(7) fokussiert wird. Also gibt es Paare von konjugierten Punkten, falls man die Geodätische weit genug in jede Richtung ausdehnen kann.
Generische Energiebedingung(4)
Die starke Energiebedingung gilt. (4)
Jede zeit- oder lichtartige Geodätische enthält einen Punkt, an dem .
Normalerweise stellt man sich eine raumzeitliche Singularität(5) als ein Gebiet vor, in dem die Krümmung unbeschränkt groß wird. Das Problematische an dieser Definition ist jedoch, dass man die singulären Punkte einfach auslassen und dann behaupten könnte, die verbliebene Mannigfaltigkeit sei die ganze Raumzeit(13). Es ist deshalb besser, die Raumzeit(14) als die maximale Mannigfaltigkeit zu definieren, auf der die Metrik hinreichend glatt ist. Man kann dann das Vorhandensein von Singularitäten(6) daran erkennen, dass es unvollständige Geodätische gibt, die man nicht bis zu unendlichen Werten des affinen Parameters fortsetzen kann.
Definition(1) einer Singularität(7)
Eine Raumzeit(15) ist singulär, wenn sie bezüglich zeitartiger oder lichtartiger Geodätischer unvollständig ist und nicht in eine größere Raumzeit(16) eingebettet werden kann.
Diese Definition bezieht sich auf die umstrittenste Eigenschaft einer Singularität(8), dass es nämlich Teilchen geben kann, deren Geschichte einen Anfang oder ein Ende bei einer endlichen Zeit hat. Es gibt Beispiele, in denen geodätische Unvollständigkeit vorliegen kann, obwohl die Krümmung beschränkt bleibt, doch nimmt man an, dass im Allgemeinen die Krümmung entlang unvollständiger Geodätischer divergiert. Das ist wichtig, wenn man auf Quanteneffekte verweist, um die Probleme zu lösen, die durch Singularitäten(9) in der klassischen Allgemeinen Relativitätstheorie(10) auftreten.
Zwischen 1965 und 1970 machten Roger(20) Penrose(21) und ich von den eben beschriebenen Techniken Gebrauch, um eine Reihe von Singularitätentheoremen(3) zu beweisen. Diese Theoreme weisen drei Arten von Bedingungen auf. Zunächst gibt es eine Energiebedingung, etwa die schwache(4), starke(5) oder generische(5). Dann gibt es eine globale Bedingung an die kausale Struktur der Art, dass es keine geschlossenen zeitartigen Kurven geben soll. Schließlich gibt es eine Bedingung, die besagt, dass die Gravitation(8) in einem gewissen Gebiet so stark ist, dass nichts daraus entweichen kann.
Singularitätentheoreme(4)
Energiebedingung.
Bedingung an die globale Struktur.
Gravitation(9) stark genug, um ein gefangenes Gebiet zu erzeugen.
Die dritte Bedingung kann auf unterschiedliche Weise verwirklicht werden. Eine Möglichkeit wäre die Annahme, dass der räumliche Querschnitt des Universums abgeschlossen ist, da es dann kein außerhalb liegendes Gebiet gibt, in das man entkommen könnte. Eine andere Möglichkeit wäre die Existenz einer sogenannten geschlossenen gefangenen Fläche. Dabei handelt es sich um eine geschlossene zweidimensionale Fläche mit der Eigenschaft, dass sowohl die orthogonal einlaufenden als auch die orthogonal auslaufenden Nullgeodätischen konvergieren (Abb. 1.10).
Abb. 1.10: Bei einer normalen geschlossenen Fläche divergieren die auslaufenden Lichtstrahlen, während die einlaufenden konvergieren. Bei einer geschlossenen gefangenen Fläche konvergieren sowohl die einlaufenden als auch die auslaufenden Lichtstrahlen.
Für den üblichen Fall einer zweidimensionalen Kugelfläche im Minkowski(2)-Raum(2) konvergieren zwar die einlaufenden Nullgeodätischen, die auslaufenden divergieren jedoch. Wenn ein Stern kollabiert, kann das Gravitationsfeld aber so stark sein, dass die Lichtkegel nach innen geneigt sind, was bedeutet, dass selbst die auslaufenden Nullgeodätischen konvergieren. Aus den verschiedenen Singularitätentheoremen(5) folgt, dass die Raumzeit(17) zeitartig oder lichtartig geodätisch unvollständig sein muss, falls unterschiedliche Kombinationen der drei Klassen von Bedingungen erfüllt sind. Man kann eine Bedingung abschwächen, wenn man sich dafür bei den beiden anderen für eine stärkere Version entscheidet. Ich werde dies durch das Hawking(9)-Penrose(22)-Theorem(1) veranschaulichen. Bei ihm wird die generische Energiebedingung(6)