Weihnachtsanektötchen – Spannende Geschichten aus dem Harz - Roland Lange - E-Book

Weihnachtsanektötchen – Spannende Geschichten aus dem Harz E-Book

Roland Lange

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Beschreibung

Tief verschneite Wälder, pittoreske Städtchen und kleine, feine Weihnachtsmärkte. Schroffe Felsen, vereiste Wasserfälle. Tannenduft und Kerzenschein und am knisternden Kaminfeuer ein heißer Punsch. Der Harz – ein traumhaftes Winter-Weihnachts-Wunderland? Weit gefehlt! Jenseits der Postkartenidylle spielen sich gerade zur Weihnachtszeit in dem Mittelgebirge wahre Dramen ab. Dort entfaltet die kriminelle Energie ihre ganze Wirkung. Ob die Blues Brothers im Rentierschlitten zum Brocken fliehen, drei heilige Königinnen einen Krippenbauer heimsuchen, oder ein vermeintliches Wildschwein sein Leben aushaucht – im Harz ist nicht erst zu Walpurgis der Teufel los! Und dann proben sogar die Weihnachtsgänse den Aufstand.

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Für meine Familie

Die Kurzgeschichten spielen hauptsächlich in bekannten Regionen, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Die Figuren dieser Kurzgeschichten sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über https://www.dnb.de© 2023 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hamelnwww.niemeyer-buch.deAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: C. RiethmüllerDer Umschlag verwendet Motiv(e) von 123rfcomEPub-Produktion durch CW Niemeyer Buchverlage GmbHeISBN 978-3-8271-8731-4

WeihnachtsanektötchenSpannende Geschichtenaus dem Harzvon Roland Lange

Mirror-Eggs oder: Tod eines Wildschweins

Irene Schrader war es leid. Einfach alles! Das Weihnachtsfest, das kurz bevorstand, die Kälte, den tiefen Schnee, die mondlose Nacht, den WeltWald vor den Toren Bad Grunds. Vor allen Dingen aber hatte sie endgültig die Nase von ihrem Scheiß-Ehegatten voll! Von Karl-Heinz Schrader, dem Tischler, den sie unten in der Bergstadt alle nur Eggs nannten. Weil er einmal, auf einer achttägigen Reise des Kegelklubs nach Irland, im Hotel zum Frühstück Spiegeleier bestellt hatte. Auf Englisch.

„Can I have Mirror-Eggs?“, hatte er doch tatsächlich gefragt und war sich ganz toll dabei vorgekommen. Eine Blamage! Eine Demütigung! Weniger für ihn, den unsensiblen Bock, der das Hohngelächter eher wie eine Auszeichnung aufgefasst hatte. Aber sie, die Frau an seiner Seite, hatte sich in Grund und Boden geschämt.

Als sie jetzt den Baum ächzend hinter sich her schleifte und bei jedem Schritt bis zu den Knien im Schnee versank, fragte sie sich, welches Kraut ihr damals, vor fünfundzwanzig Jahren, derart zu Kopf gestiegen war, dass sie sich widerstandslos von Eggs zum Traualtar hatte schleppen lassen. Sie wusste nicht, wie oft sie sich diese Frage in den zurückliegenden Jahren schon gestellt hatte. Hundert Mal? Tausend Mal? Es ging wohl eher gegen unendlich. Natürlich war es ihr immer wieder in den Sinn gekommen, sich von ihm zu trennen. Ihre Tochter war längst aus dem Haus. Geflohen mit sechzehn vor einem Haustyrannen und einer feigen Mutter, die nicht den Mumm besaß, ebenfalls ihre Siebensachen zu packen und das Weite zu suchen. Die ängstlich vor ihrem Mann spurte, die seine Wutausbrüche und Handgreiflichkeiten ertrug und ihn obendrein noch tröstete, wenn er reumütig angekrochen kam und um Verzeihung bettelte. Mehr als einmal hatte sie Fluchtpläne geschmiedet und es letztendlich doch nicht geschafft, sie in die Tat umzusetzen. Stattdessen kuschte sie, machte, was er von ihr verlangte. Wie jetzt, wenige Tage vor Heiligabend.

Das Weihnachtsfest war Eggs wichtig. Alles folgte einem strengen Ablauf und hielt sich an feste Rituale. Der Besuch der Christvesper und des Krippenspiels in der St.-Antonius-Kirche am Markt gehörten ebenso dazu wie Bockwurst mit Kartoffelsalat an Heiligabend und der Gänsebraten an den Feiertagen. Den größten Wert legte Eggs jedoch auf einen prächtigen Weihnachtsbaum. Mindestens zwei Meter fünfzig hoch musste er sein, von schlankem, geradem Wuchs, mit einem dichten, gesunden Nadelkleid. Keine billige Fichte, sondern ein edleres Gewächs. Ein Baum, wie man ihn nicht kaufen konnte, und wenn doch, dann nur für viel Geld – Geld, das Eggs nicht übrig hatte und das er ohnehin nie ausgab. Wozu auch? Die Wälder rund um Bad Grund standen voll mit den schönsten Bäumen. Er war der Meinung, dass sie nur auf ihn warteten, damit er sich einen von ihnen holte. Nachts, wenn die Stadt schlief und er sicher sein konnte, dass ihm niemand auf die Schliche kam. Ausgerüstet mit Axt, Bügelsäge und Strick fuhr er los. Und sie, Irene, musste mitkommen. Er brauchte sie für die Handlangerarbeiten, für das Buckeln und Schleppen. Eggs beschränkte sich auf das Fällen des Baums und gab ansonsten nur die Kommandos, denen sie still in sich hineinfluchend Folge leistete. So wie jetzt. Elende Dunkelheit! Scheiß-Kälte! Verfluchter Schnee! Vor allen Dingen aber: Eggs, du verdammter Drecksack! Ihre klammen Finger in den feuchten Handschuhen schmerzten. Keuchend kämpfte sie sich den Hang Meter um Meter nach oben.

Ausgerechnet ins Arboretum hatte er mit ihr marschieren müssen, in diesen Wald mit seinen exotischen Bäumen aus aller Welt. Eine kanadische Tanne hatte sich Eggs in den Kopf gesetzt, eine, die es so nur im WeltWald gab. Sie hatte nicht protestiert, sondern sich wie immer widerwillig in ihr Schicksal gefügt.

„Ich bringe ihn um“, brabbelte Irene leise vor sich hin, „irgendwann bringe ich ihn um.“

Eggs konnte sie nicht hören. Er war schon etliche Meter voraus und das knirschende Stapfen durch den Schnee entfernte sich immer weiter. Sie schleppte sich noch ein paar Meter vorwärts, dann hielt sie an. Sie brauchte eine kurze Pause, um ein wenig durchzuschnaufen. Einen Moment den Baum ablegen, die Handschuhe ausziehen und die steifen Finger mit ihrem warmen Atem anhauchen. Um sie herum war alles so friedlich. Eine beinahe heilige Stille. Sie schaute zur Seite auf eine nachtschwarze Wand aus Bäumen und Sträuchern. Doch ihr Blick ging weiter, durchdrang das Dunkel, mündete in Traumbildern. Sie sah ein Wohnzimmer vor sich, gewärmt vom knisternden Holz im Kamin, sah einen Baum mit viel Lametta und bunten Kugeln, die im Schein der traditionellen Wachskerzen erstrahlten. Sie betrachtete den festlich dekorierten Tisch, voll beladen mit leckeren Speisen. Um den Tisch herum saßen ihre Kinder und Enkelkinder mit leuchtenden Gesichtern, und an der Stirnseite thronte das Familienoberhaupt. Nicht Eggs. Dort saß ein anderer Mann. Der einzige Mann, mit dem sie sich ein frohes und harmonisches Weihnachtsfest vorstellen konnte. Der Mann, der so unerreichbar für sie war, wie die Sterne, die sich hinter der dichten Wolkendecke verbargen.

„Sag mal, bist du bescheuert? Was stehst du hier rum und starrst Löcher in die Luft?“, zischte es plötzlich in ihr Ohr. Der Schreck riss ihr beinahe das Herz aus dem Leib.

Eggs! Unbemerkt war er zurückgekehrt. Jetzt stand er ganz dicht neben ihr und blitzte sie mit wütenden Augen an. Sein schaler Atem ließ sie würgen. Es war das Sodbrennen, das ihn seit einiger Zeit mit dieser unerträglichen Aura umgab. Ein weiterer Grund, sich ihm nicht aus freien Stücken zu nähern.

„Jetzt komm endlich in die Strümpfe, verdammt noch mal!“ Eggs versetzte ihr einen Stoß gegen die Schulter, der sie leicht straucheln ließ. „Oder willst du, dass uns noch einer erwischt? Nur weil du so rumtrödelst?“

Wäre gar nicht schlecht, erwischt zu werden, dachte sie. Dann würden sie Eggs vielleicht einbuchten. Andererseits – mitgefangen, mitgehangen. Irene seufzte und zog sich wieder ihre Handschuhe über. Sie beugte sich zum Weihnachtsbaum hinab, packte den Stamm, hob den Baum an.

„Ich bringe ihn um! Irgendwann!“ Jetzt, in seiner unmittelbaren Nähe, dachte sie die Worte nur. Ein tiefer Atemzug, dann setzte sie sich langsam in Bewegung. Eggs war schon wieder ein paar Schritte voraus, legte aber ein etwas langsameres Tempo vor.

Es raschelte. Das war nicht ihr Mann, der auf seinem Weg zwischen den Bäumen hindurch dürre Äste streifte. Das Geräusch kam von links aus dem Unterholz. Ein Tier? Durchaus denkbar. Das Arboretum steckte voller Wild. Sie hatte Spuren gesehen. Vorhin. Vermutlich ein Fuchs. Aber Füchse schlichen lautlos durch den Schnee. Es musste etwas Größeres sein. Ein Reh? Ja, gut möglich. Oder ein Wildschwein? Besser nicht. Es war kein Spaß, mit einem Wildschwein zusammenzutreffen. Hatte sie mal gehört. Auch war sie nicht scharf darauf, einem Wolf zu begegnen, der sich auf seiner Wanderung in den Harz verirrt hatte. Wieder raschelte es. Sie verharrte in der Bewegung. Lauschte angestrengt. Stille. Das Geräusch wiederholte sich nicht. Dafür hörte sie plötzlich ein leises, scharfes Zischen. Nur für den Bruchteil einer Sekunde. Und dann sah sie, wie Eggs umfiel. Einfach so. Wie in Zeitlupe. Ohne einen Ton von sich zu geben, kippte er ganz langsam nach vorn über, blieb liegen und regte sich nicht mehr. Eine unwirkliche Szene. Irene registrierte alles mit den Augen, begriff aber nicht, was sich da gerade abspielte. Sie ließ den Baum los, stolperte hinüber zu der Stelle, wo Eggs zu Boden gegangen war.

Er lag der Länge nach auf dem Bauch. Die Pudelmütze, die sie ihm schon vor Jahren gestrickt hatte, war ihm durch den Aufprall im Schnee von der Stirn nach hinten gerutscht und wölbte sich wie ein kleiner roter Berg in seinem Nacken auf. Axt und Bügelsäge, die er mit dem Seil zusammengeschnürt hatte, lagen neben ihm. Noch immer hielt er das Seilende fest mit der Hand umklammert. Den Pfeil, der aus seinem Rücken ragte, nahm sie erst Sekunden später wahr. Nicht, dass sie ihn übersehen hätte. Aber einen Moment lang hatte sich ihr Gehirn geweigert, die Information zu verarbeiten. Ein Pfeil! Sie starrte ungläubig auf den langen, dünnen Schaft mit dem gefiederten Ende. Deshalb war Eggs zusammengebrochen! Sie brauchte nicht lange zu fühlen und zu tasten, um zu wissen, dass er tot war. Mausetot.

Wer hatte den Pfeil abgeschossen? Indianer lebten keine in der Gegend. Davon hätte sie gehört. Aber wer dann? Nirgends regte sich etwas. War es vielleicht ein Engel gewesen? Eine Lichtgestalt, gesandt von einem guten Geist, der ihr stummes Flehen erhört hatte? Gesandt, um sie von ihren irdischen Qualen namens Karl-Heinz Schrader zu erlösen? Eine Art himmlisches Weihnachtsgeschenk? Oder doch nur ein Irrer, der gleich aus seinem Versteck heraus den nächsten Pfeil auf sie abfeuern würde?

„Holy shit! What the hell ...?“, unterbrach eine Stimme ihre Gedanken.

Irene schnellte aus der Hocke hoch, wirbelte herum, sah einen großen, kräftigen Mann hinter sich stehen. Ganz in Oliv gekleidet, einen Bogen in der Hand, auf dem Rücken einen mit Pfeilen gefüllten Köcher. Weit aufgerissene Augen in einem mit schwarzer Paste zugekleisterten Gesicht. Eine dunkelbraune Strickmütze auf dem Kopf. Er sah aus wie ein Dämon. Wie eine Ausgeburt der Hölle.

Sie kreischte vor Angst. Hell und spitz hallte ihr Schrei durch die schwarze Winternacht.

„Irene?“

Es dauerte ein paar Sekunden, ehe seine Stimme zu ihr durchdrang und ihr Bewusstsein erreichte. Da verstummte sie. Ganz plötzlich.

„Ryan?“ Es war nur ein Flüstern, das sie von sich gab. Wie ein schwacher Windhauch, der trockenes Laub aufwirbelt.

„Ja. Ich bin’s. Ryan.“

Wie war das möglich? Wie kam der Mann, mit dem sie Eggs während ihrer Kegelklubtour in Irland betrogen hatte, hierher nach Bad Grund in den WeltWald? War er ein Trugbild, heraufbeschworen durch den Schock, den die Leiche zu ihren Füßen in ihr ausgelöst hatte? Der Mann, der seit jener gemeinsamen Nacht in der irischen Lodge durch ihre sehnsuchtsvollen Träume geisterte, konnte ihr nicht wirklich gegenüberstehen!

Vorsichtig streckte Irene ihre zitternde Hand aus, tippte ihn an, stieß auf Widerstand. Doch, er war echt! Kein Trugbild.

„Tatsächlich. Du bist es“, stöhnte sie.

Er schob sich an ihr vorbei, starrte auf den Toten: „Was ... was habe ich getan?“, stammelte er bestürzt. „Ich ... ich dachte, ich hätte auf ein ... Wildschwein geschossen.“ Sogar in seiner Fassungslosigkeit sprach er noch perfekt Deutsch.

Sie hatte sich gefangen und legte ihm sanft die Hand auf den Arm. Mit leiser Stimme tröstete sie ihn: „Du hast auf ein Wildschwein geschossen, Ryan. Er war eins, glaub mir.“ Sie zog ihn zu sich herum, blickte ihm in die irrlichternden Augen. „Wie kommst du eigentlich hierher? Was sucht ein irischer Banker in den Harzer Wäldern? Kurz vor Weihnachten und mitten in der Nacht? Und dazu in diesem Aufzug?“

Ryan ging nicht auf ihre Fragen ein. „Wir müssen die Polizei benachrichtigen“, murmelte er und blickte sich dabei ängstlich um.

„Bist du wahnsinnig?“, brauste Irene auf. Gerade erlebte sie die schönste Weihnachtsbescherung, die sie sich denken konnte. Und die sollte sie sich von der Polizei wieder kaputtmachen lassen? Niemals!

Es gelang ihr, Ryan schnell von seinen dummen Gedanken abzubringen. Sie nahm seine Hand und zog ihn mit sich zu dem entwurzelten Bäumchen gleich hinter der Leiche. Behutsam stiegen sie über Eggs hinweg, hockten sich auf den Stamm. Ryan beruhigte sich und begann schließlich zu erzählen. Sein Onkel, der Letzte seiner Angehörigen, war vor zwei Jahren gestorben und hatte ihm ein millionenschweres Erbe hinterlassen. Seitdem arbeitete Ryan nicht mehr, lenkte sich stattdessen mit immer verrückteren Abenteuern von seiner Langeweile ab.

„Seit einer Woche streife ich allein durch den Harz. Nur mit Pfeil und Bogen und den paar Sachen, die ich am Leib trage. Ich meide Menschen, halte mich abseits jeglicher Verkehrswege und Ansiedlungen. Ich schlafe im Freien und ernähre mich von dem, was die Natur mir bietet. Survivaltraining. Ich wollte wissen, wie das ist und ob ich das durchhalte.“

Irene blickte ihn mild lächelnd an. Bescheuert, dachte sie. Völlig bescheuert. Aber liebenswert. Sie kuschelte sich dicht an ihn. „Weißt du, dass ich seit unserer Nacht immer nur an dich gedacht habe?“, fragte sie verträumt.

„Mir geht es genauso“, erwiderte er und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Ehrlich?“ Sie blickte in sein verschmiertes Gesicht. „Und was ist mit anderen Frauen?“

Er schüttelte den Kopf: „Die hat es nie gegeben. In meinem Herzen warst immer nur du.“

„Und du in meinem. Trotz Eggs ... oder gerade seinetwegen.“ Sie warf einen schnellen, verächtlichen Blick auf die Leiche zu ihren Füßen, die reglos und kalt die Liebesschwüre des turtelnden Paares ertrug.

Dann schwiegen sie, ließen sich vom Frieden des nächtlichen WeltWaldes umfangen. Dankbar für ihr unerwartetes Glück blickte Irene gen Himmel, sah, dass die Wolkendecke aufriss und der Mond sein fahles Licht zur Erde sandte. Für einen kurzen Moment glaubte sie, dort oben ein Gesicht zu erkennen, ein Gesicht, das ihr freundlich zulächelte. Dann war der Moment auch schon wieder vorbei.

„Sag mal, Ryan, was hältst du von der Karibik?“, fragte sie plötzlich.

„Was?“

„Karibik. Heiligabend unter Palmen. Wäre das nichts?“

Ryan nickte zustimmend. Gleichzeitig zeigte er auf die Leiche: „Und er?“

Irene zuckte mit den Achseln: „Na, was schon? Eggs bleibt natürlich hier. Wir können ihn ja schlecht mitnehmen.“

Wenig später schleppten sie den Toten ein Stück ins Unterholz, zogen ihm den Pfeil aus dem Rücken und bedeckten ihn mit den Ästen von Irenes Weihnachtsbaum. Danach blieben sie einen Moment andächtig vor dem improvisierten Grab stehen und wünschten dem toten Eggs in stummer Übereinkunft ein gesegnetes Weihnachtsfest. Auch wenn er es nicht verdient hatte. Trotzdem. Das gebot ihnen der Anstand.

Es begann zu schneien.

Irene und Ryan fassten sich bei den Händen und wandten sich ab. Das Fest der Liebe erwartete sie. Während der Flockenwirbel immer dichter wurde und das Grab und sämtliche Spuren mit einer unschuldig-weißen Decke überzog, stapften die beiden Turteltauben einer gemeinsamen, glücklichen Zukunft entgegen.

Killin' Santa

Sie hatten es geschafft! Sie waren dabei! Sie würden beim Heavy Christmas in Förste spielen. In der Mehrzweckhalle des kleinen Vorharzortes.

Immer am 23. Dezember, also einen Tag vor Heiligabend, fand dieses Event schon seit weit mehr als dreißig Jahren statt. Ein fester Termin für die Metalgemeinde über die Grenzen des Dorfes und der Region hinaus. Eine laute Einstimmung auf die folgenden, leiseren und besinnlichen Tage. Noch einmal zusammen abfeiern, es richtig krachen lassen, ehe man sich für eine Weile in traute familiäre Gefilde zurückzog.

Es waren nicht die ganz so großen Namen, die auf der nicht ganz so großen Bühne standen. Allerdings konnten sich die drei Bands, die an dem Abend ihre Show abliefern durften, für weitere Großtaten empfehlen, wenn sie das Publikum überzeugten.

Aber halt! Erst mal zurück auf Anfang.

Die, von denen hier die Rede ist, die, die es geschafft hatten, waren vier Jungs, die sich dem Metal verschrieben hatten. Das war ihre Musik. Die hörten sie, die spielten sie miteinander. Etwas anderes kam nicht infrage. Irgendwo zwischen Death, Black und Trash Metal bewegten sie sich mit dem, was sie ihren Instrumenten entlockten.