Weihnachtsanektötchen – Spannende Geschichten aus Dresden - Joachim Anlauf - E-Book

Weihnachtsanektötchen – Spannende Geschichten aus Dresden E-Book

Joachim Anlauf

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Beschreibung

Zahlreiche Verbrechen geschehen im Schatten von Dresdens Striezelmarkt: Gerade dort, wo die Altstadt vor lauter Adventslichtern funkelt, tummelt sich das Böse im Dunkel der Gassen. Gut, dass die Beamten vom Revier Mitte besonders wachsam sind, wenn ein übereifriger Polizeistudent einen Raubzug vereitelt oder ein Teil der gestohlenen Schlossjuwelen wieder auftaucht. Und während August der Starke durch die Liebe gerettet wird, planen andere die Erpressung der geheimen Gewürzmischung des Dresdner Christstollens.

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Happy XmasWar is overif you want to(John Lennon & Yoko Ono)In MemoriamHelene AnlaufRosemarie UhleGerda Müller

Die Kurzgeschichten spielen hauptsächlich in bekannten Regionen, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Die Figuren dieser Kurzgeschichten sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig. Die Geschichte Feuer und Flamme spielt im Jahr 1704 am Königshof in Dresden und lässt die damalige Zeit wiederaufleben. Unter Einbeziehung historischer Persönlichkeiten und tatsächlicher Begebenheiten wird im Rahmen der künstlerischen Freiheit die Begegnung von August dem Starken mit Gräfin Cosel neu interpretiert.Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über https://www.dnb.de© 2024 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hamelnwww.niemeyer-buch.deAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: C. RiethmüllerDer Umschlag verwendet Motiv(e) von 123rf.comEPub-Produktion durch CW Niemeyer Buchverlage GmbHeISBN 978-3-8271-8733-8

WeihnachtsanektötchenSpannende Geschichten aus Dresdenvon Joachim Anlauf

Prolog

„Ein schöner Baum!“

„Ja, wirklich. Ein schöner Baum!“

Traditionen kann man sich nicht aussuchen. Sie sind irgendwann da, begleiten uns wie selbstverständlich, helfen uns, unser Leben zu strukturieren und manchmal auch, ihm einen tieferen Sinn zu verleihen. Das gilt besonders für den Striezelmarkt, den alle Dresdner und Freunde der Stadt fest in ihrem biologischen Kalender gespeichert haben. Erster Vorbote für den Start in die Weihnachtssaison ist die Aufstellung des Weihnachtsbaumes auf dem Altmarkt. In der Regel wird dieses nadlige Prachtexemplar an einem Samstag gut drei Wochen vor Eröffnung des Striezelmarktes angeliefert. Dafür braucht es unbedingt einen schweren Lkw mit einem entsprechenden Anhänger, um mit Sondergenehmigung den nicht selten 30 Meter in die Höhe gewachsenen Baum zu transportieren. Und so versammeln sich regelmäßig die Dresdnerinnen und Dresdner sowie die Gäste der Stadt, um zur Mittagszeit den Weihnachtsbaum zu begrüßen und dessen Aufstellung zu verfolgen.

Anlässlich dieses Ereignisses gehört es zur Tradition dreier Herren, sich auf ein sogenanntes 13-Uhr-Bier zu verabreden. Der Herr Polizeidirektor hatte quasi den letzten freien Stehtisch am Rande des Altmarktes beschlagnahmt, während der Herr Polizeiseelsorger diesmal dem leiblichen Wohl den Vorzug gab und drei große Gläser frisch gezapftes Bier vorsichtig jonglierte.

„Es wird doch keine Probleme geben, oder?“

Erleichtert stellte Pfarrer Hermann Lange unfall- und verlustfrei die Gläser auf den Tisch. Der sonnige Herbsttag sorgte bei dem Geistlichen neben seiner tragenden Rolle zusätzlich für Schweißtropfen.

„Probleme? Doch nur dann, wenn Thomas seinen Zollstock vergessen hat“, vergeblich versuchte Revierleiter Dieter Hübzsch mit seinen Adleraugen den Dritten im Bunde aus dem Menschenknäuel rund um den Kran, der den grünen Nadelbaum gleich in die Höhe ziehen würde, ausfindig zu machen. „Du weißt ja, es kommt auf jeden Zentimeter an!“

Dieter Hübzsch wandte sich vom Altmarkt ab und dem Stehtisch zu. Die Krone des Pilses begann schon in sich zusammenzusacken. Ein Jammer! Es musste gehandelt werden!

„Wir sollten nicht warten, bis das Bier schal und warm ist. Das wäre auch nicht in seinem Sinne.“

Sprach’s und streckte zielsicher seine Hand aus.

„Gentlemen! Ich bitte um Contenance!“

Mit seinem verwirrenden Sprachenmix bewahrte der Herr Marktamtsleiter seine Freunde vor einem Bruch mit der Tradition. Denn vor dem ersten Schluck prosteten sich alle drei zu und wünschten sich gegenseitig einen frohen und sicheren und umsatzstarken und gnadenreichen und überhaupt wunderbaren Striezelmarkt.

„Gentlemen! 30 Meter und 40 Zentimeter! Ich wiederhole: 30 Meter und 40 Zentimeter! Das ist überragend! Das ist spitze! Das ist einsame Pulsnitzer Spitze! Da können sich die Leipziger Lümmel ein Bein ausreißen! Wir sind das Maß der Dinge! Ein! Bein! Ausreißen! Gentlemen! 30 Meter und 40 Zentimeter! Das ist überragend!“

„Darauf stoßen wir an!“, unterbrach der Polizeidirektor unsanft die Jubelfanfare und griff beherzt zu.

„Na, na, na“, so leicht ließ sich Thomas Schlesinger nicht beirren, „zuerst noch einen Toast: ‚Mich deucht, das Größt’ bei einem Fest – ist’s, wenn man sich’s schmecken lässt‘.“

„Was ist das denn?“

„Goethe!“

„Na, der war wohl zu lange in Leipzig. Also, auf den Striezelmarkt! Prosit!“

„Prosit!“

Dieter Hübzsch leerte das Glas in einem Zug.

„Ich hole die nächste Runde.“

„Nein, für mich bitte nicht.“

„Hermann! Das ist jetzt nicht dein Ernst? Bist du krank?“

Die Worte des Revierleiters klangen weniger besorgt als verärgert.

„Nein, nein. Danke vielmals für die Nachfrage. Ich habe noch einen wichtigen Termin in der Justizvollzugsanstalt. Dafür benötige ich einen klaren Kopf. Ich muss auch gleich los.“

„In der JVA? Hat dich die Justiz ausgeliehen?“

„Nicht direkt. Ein Anwalt hat mich gebeten, mit seinem Mandanten zu sprechen. Es geht um die Prüfung einer vorzeitigen Haftentlassung.“

„Kenne ich ihn?“

„Olaf Lorenz.“

Der Polizeidirektor pfiff durch die Zähne.

„Das Monster von Meißen! Haftentlassung? Da glaube ich nie und nimmer dran. Da kannst du genauso gut hier bei uns bleiben und noch ein Bier trinken.“

„Das Monster von Meißen?“, fragte Thomas Schlesinger. „Wer ist das?“

„Glaube mir, das willst du an diesem Festtag heute gar nicht wissen.“

„Ich hatte dem Anwalt zugesagt, mit den Angehörigen zu sprechen“, sagte Hermann Lange und erinnerte sich kurz an die vielen Gespräche, die er nach der Tat mit den Verwandten, Freunden und Nachbarn, aber auch mit traumatisierten Polizisten geführt hatte. Dieses Verbrechen hatte ihn an seine Grenze des Erträglichen gebracht.

„Das ist vergebliche Liebesmüh.“

„Ich habe mein Wort gegeben.“

„Wie lange ist die Tat her? Doch bestimmt 10, 15 Jahre. Und Reue hat er nie gezeigt. Das ist vergebliche Liebesmüh“, wiederholte der Revierleiter und zum Marktamtsleiter gewandt: „Aber wir trinken doch noch ein Glas auf den Baum-Triumph?“

„Unbedingt!“

Während Hermann Lange zu seinem Termin aufbrach, organisierte Thomas Schlesinger das Bier. Nachdem Dieter Hübzsch sein zweites Glas erneut ohne abzusetzen geleert hatte, ergriff sein Stehtischnachbar die günstige Gelegenheit beim Schopf.

„Du, Dieter?“

Der Revierleiter war alarmiert.

„Ja?“

„Habt ihr euch eigentlich schon Gedanken zum diesjährigen Sicherheitskonzept gemacht?“, Thomas Schlesinger hoffte, dass er möglichst unverfänglich klang.

Dieter Hübzsch kniff ein Auge zu und fixierte sein Gegenüber.

„Du weißt, dass wir rund um die Uhr an Konzepten arbeiten.“

„Das war ja das Problem“, dachte sich der Marktamtsleiter, „es kommt nur wenig dabei heraus“, und sagte: „Klar. Ich wollte mich nur vergewissern, ob ihr auch schon die Vier-Prä-Methodik anwendet.“

„Dieser Kerl! Das war bestimmt wieder eine Fangfrage, mit der er schlauer, als es die Polizei erlaubt, sein wollte“, schoss es dem Revierleiter durch den Kopf. Aufs Glatteis führen lassen wollte er sich keinesfalls.

„Es gibt viele Prä-Methoden. Welche meinst du genau?“

„Na, Prävention, Präsenz, Präzision und Prädiktion.“

„Wie bitte?“

„Prävention, ...“

„Nein, nein. Das letzte. Was war das letzte Wort?“

„Prädiktion. Das ist Latein und bedeutet Vorhersage!“

„Jaja, soso. Klar. Prädiktion. Vorhersage. Ist gängig.“

„Großartig! Da gibt es nämlich eine Theorie eines Professors von eurer Polizeihochschule. Super, wie Theorie und Praxis Hand in Hand gehen. Da greift ein Rädchen ins andere! Und die Dresdner Polizei schreitet wieder einmal voran. Ganz vorne dabei! Genau wie einst mit den Fingerabdrücken. Anno 1903! Die Dresdner Polizei! Modern! Innovativ! Erfolgreich! Ihr habt den Halunken schon am Schlafittchen, bevor er seinen kriminellen Plan ausbaldowert hat. Fantastisch! Ihr habt den Fall aufgeklärt, bevor jemand zu Schaden gekommen ist. Mega!“

In diesem Moment brandete Jubel und Applaus auf dem Altmarkt auf. Der Weihnachtsbaum hatte seinen Platz in der stabilen Bodenhülse eingenommen. Die beiden Traditionalisten schauten auf den Platz.

„Ein schöner Baum!“

„Ja, wirklich. Ein schöner Baum!“

Ein Licht gegen die Dunkelheit

Trist. Grau. Eng.

Die Gegenwart. Ohne Zweifel.

Für etwa eine Stunde.

Mauern. Gitter. Schlösser. Schleusen. Wachleute.

Eine Zukunft? Ohne Ausweg?

Ein kläglicher Lebensrest.

Hermann Lange fühlte sich unbehaglich in dieser Umgebung. Schon die Fahrt mit dem Taxi entlang der hohen, grauen Mauer beeindruckte ihn. Hinzu kam, dass die Oktobersonne zunehmend hinter den Wolken verschwand und es dunkler wurde, je mehr sie sich dem großen Eingangstor der Justizvollzugsanstalt Dresden näherten. Er dachte an die Inhaftierten und vor allem an den einen, den er besuchen wollte. Fühlten sie sich ebenso unbehaglich auf der anderen Seite? Er konnte sich wenigstens umdrehen und die Weite sehen und gegebenenfalls genießen. Die Insassen der JVA konnten das nicht. Der Pfarrer gestand sich ein: Auch wenn sie Menschen wie du und ich waren und ihm die Nächstenliebe das höchste Gut der Lehre Jesu Christi bedeutete, fiel ihm ein ungezwungener Umgang schwer. Die Mauer trennte in vielerlei Hinsicht: frei und unfrei, geliebt und gefürchtet, integriert und ausgegrenzt und letztlich gut und böse. Das Böse. Lauerte es hinter der Mauer in geballter Form? Konnte es der zivilen Gesellschaft tatsächlich gelingen, durch gerechte Urteile und humanen Strafvollzug mit vielen Angeboten zur Resozialisierung den sündigen Menschen zu bessern?

Durch die Scheibe sah Hermann Lange schon den Rechtsanwalt auf dem Parkplatz, der offensichtlich auf ihn wartete. Worauf hatte er sich eingelassen? Ihm war klar, dass er gleich wieder tief in einen menschlichen Abgrund sehen würde. Es würde sich auch nichts ändern, wenn er sich gebetsmühlenartig vorsagte, dass er nur zu Besuch in der JVA am Hammerweg sei. Es war mitnichten ein Monopoly-Spiel, wo man mit dem nächsten Zug wieder raus konnte. Oder maximal dreimal aussetzen musste. Es war kein Spiel. Es war das verdammte Leben, das es für jeden auf dieser Welt nur einmal gab. Ein verdammt kostbares und respektables Gut.

„Stimmt so. Eine Quittung bräuchte ich bitte noch.“

„Mensch, Hermann“, schalt sich der Pfarrer in Gedanken, „insgeheim ist aus dir ein Bürokrat durch und durch geworden.“

„Herr Pfarrer Lange. Schön, Sie zu sehen!“

Der Rechtsanwalt strahlte und bot ihm seine Faust zum Gruß an, und Hermann Lange stieß leicht dagegen.

„Herr Uhlmann, guten Tag!“

Der Seelsorger hätte sich lieber noch einen Moment gesammelt. Stattdessen fühlte er sich unmittelbar in Beschlag genommen.

„Konnten Sie mit den Angehörigen sprechen?“

Der Rechtsanwalt kam ohne Umschweife zum Thema.

„Ja, allerdings wollten sie die Briefe von Herrn Lorenz nicht lesen.“

„Warum nicht?“

„Sie wünschten, dass ich die Briefe leise lesen und ihnen meinen Eindruck schildern sollte.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Sie wollen keinen Kontakt mehr zu Herrn Lorenz. Weder körperlich noch schriftlich. Ich habe es akzeptiert. Es war schwer genug, die Angehörigen für ein Gespräch zu gewinnen.“

„Sie wissen aber schon, dass die Meinung der Angehörigen sehr wichtig für die Zukunft meines Mandanten ist?“

„Natürlich. Aber es geht ja nicht ausschließlich um ihn. Ich habe mein Engagement unter der Bedingung zugesagt, dass ich zwischen beiden Seiten vermittle. Ich werde die Meinung aller respektieren.“

„Und was haben Sie ihnen von den Briefen erzählt? Um es gleich ganz klar zu sagen: Es ist nicht dasselbe, einen persönlichen Brief zu lesen und auf sich wirken zu lassen, als wenn ein Dritter eine flüchtige Inhaltsangabe gibt.“

„Das hat auch niemand behauptet. Und ich denke, dass ich den Inhalt und die Intention verständlich mitteilen konnte.“

„Und nun sagen Sie schon: Werden die Angehörigen meinen Mandanten unterstützen?“

„Nein.“

„Nein?“

„Ich bedaure.“

„Was haben die Angehörigen Ihnen denn genau gesagt? Oder haben Sie alle manipuliert? Sie sind ja doch befangen! Sie hatten versprochen, die Position von Herrn Lorenz objektiv zu vertreten.“

„Herr Uhlmann! Ich stehe zu meinem Wort, und ich versichere Ihnen, dass ich mich um Objektivität bemüht habe. Sicher, kein Mensch ist unfehlbar. Ich weiß, was auf dem Spiel steht, und ich habe den Inhalt bestmöglich zusammengefasst und sogar einzelne Passagen aus dem Kopf zitiert. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Angehörigen sind nicht überzeugt, dass Herr Lorenz seine Tat bereut.“

Es war ausgesprochen.

„Nicht ein Angehöriger ist überzeugt? Nicht mal sein Bruder? Das kann nicht sein. Die haben sich verschworen. Es ist ihnen peinlich. Sie schämen sich für ihren Verwandten. Und Sie? Sie sagen, Sie hätten sich um Objektivität bemüht. Nur bemüht? Sie sollten meinem Mandanten eine Chance eröffnen. Sie sollten für ihn werben. Ohren und Herzen öffnen. Sie hätten mehr auf die Angehörigen einwirken sollen. Sie an ihre gesellschaftliche Verantwortung erinnern. Herr Lorenz bereut. Da gibt es keinen Zweifel. Er bereut seine Tat zutiefst. Er ist nur nicht der Mann, der seine Gefühle ausdrücken kann. Die Gesellschaft ist es schuldig, ihm zu helfen.“

„Nur Herr Lorenz kann für sich selbst werben. Um Vergebung bitten. Das kann ihm niemand abnehmen. Und ich spüre ebenso eine Verantwortung für die Angehörigen.“

„Sie sind voreingenommen. Ein Schönwetterprediger. Welches Seelenheil ist denn mehr gefährdet? Wissen Sie, wie es im Knast zugeht? Wissen Sie, wie es ist, mit null Perspektive zu leben?“

„Nein, das weiß ich nicht. Ich maße mir auch nicht an, es gänzlich begreifen zu können.“

„Wissen Sie, wie es ist, wenn andere zu Weihnachten vorzeitig entlassen werden? Und für meinen Mandanten bleibt das Tor verschlossen, obwohl er bereut?“

„Herr Uhlmann, die sogenannte Weihnachtsamnestie kommt nur für Häftlinge infrage, die Anfang Januar ohnehin entlassen worden wären. Und soweit ich weiß, beteiligt sich Sachsen nicht daran. Bei Herrn Lorenz geht es auch, wenn ich das richtig verstanden habe, noch gar nicht um eine Haftverkürzung, sondern um eine Aussöhnung mit den Angehörigen der Opfer. Das ist ein wichtiger Schritt. Eine Aussöhnung funktioniert nicht auf Zuruf.“

Als der Rechtsanwalt nichts erwiderte, fügte Hermann Lange an: „Wollen wir nicht reingehen? Es wird ein wenig kalt.“

Ein Knast ist ein Verwaltungsgebäude. Daran dachte Hermann Lange jedes Mal. Es gab genaue Verhaltensregeln, an die sich alle zu halten hatten. Personalien prüfen, Handy und Wertsachen abgeben, genau an der Stelle stehen bleiben, die einem gesagt oder gezeigt wird, von einem Aufseher abgeholt werden, ihm folgen, warten, bis eine Gittertür aufgeschlossen wird, durchgehen, warten, bis die Gittertür wieder abgeschlossen wird, weitergehen. Der Rechtsanwalt und er wechselten während des Ganges zum Besuchsraum kein Wort. Auch als sie an einem kleinen Tisch Platz genommen hatten, kam keine Unterhaltung zustande. Der Pfarrer schaute sich um. Der Raum war schlicht eingerichtet, wirkte aber mit der orangen Wandfarbe und einigen Pflanzen freundlich. Er war mit zehn Tischen samt Stühlen ausgestattet, die zur Hälfte besetzt waren. Einige Kinder waren mit dabei. Die Gespräche waren verhalten und gedämpft. An den Wänden standen drei Aufseher. Die Fenster waren vergittert.