Weit hinterm Horizont - Tara Haigh - E-Book + Hörbuch

Weit hinterm Horizont Hörbuch

Tara Haigh

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Beschreibung

Eine dramatische Liebesgeschichte vor der exotischen Kulisse Hawaiis

Bremerhaven, Ende des 19. Jahrhunderts: Die junge Clara Elkart träumt davon, ihren Onkel zu besuchen, der auf Hawaii eine Plantage führt. Als ihr Vater sie mit einem preußischen Offizier verheiraten will, flieht sie und reist mit Hilfe ihrer Tante nach Hawaii. Bei ihrer Ankunft erfährt sie jedoch, dass ihr Onkel vor Kurzem gestorben und sie seine Alleinerbin ist. Mithilfe des faszinierenden Hawaiianers Komo gelingt es ihr, die Plantage zu neuer Blüte zu bringen. Doch das Inselkönigreich ist in Gefahr, und bald schon gerät Clara zwischen die Fronten eines Konflikts, der sie alles kosten könnte, was sie sich aufgebaut hat ...

Die Hawaii-Saga von Tara Haigh geht weiter mit Band 2: Der Feind, den ich liebte.

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Zeit:13 Std. 15 min

Sprecher:Matthias Ernst Holzmann
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Hawaii-Saga

Band 2: Der Feind, den ich liebte

Über dieses Buch

Eine dramatische Liebesgeschichte vor der exotischen Kulisse Hawaiis

Bremerhaven, Ende des 19. Jahrhunderts: Die junge Clara Elkart träumt davon, ihren Onkel zu besuchen, der auf Hawaii eine Plantage führt. Als ihr Vater sie mit einem preußischen Offizier verheiraten will, flieht sie und reist mit Hilfe ihrer Tante nach Hawaii. Bei ihrer Ankunft erfährt sie jedoch, dass ihr Onkel vor Kurzem gestorben und sie seine Alleinerbin ist. Mithilfe des faszinierenden Hawaiianers Komo gelingt es ihr, die Plantage zu neuer Blüte zu bringen. Doch das Inselkönigreich ist in Gefahr, und bald schon gerät Clara zwischen die Fronten eines Konflikts, der sie alles kosten könnte, was sie sich aufgebaut hat …

Über die Autorin

Tara Haigh schreibt seit vielen Jahren Drehbücher für große TV-Unterhaltung und als Tessa Hennig amüsante Frauenromane, die bereits erfolgreich verfilmt und SPIEGEL-Bestseller wurden. Sie erzählt in ihren historischen Romanen spannende Liebesgeschichten an exotischen Sehnsuchtsorten. In ihrer gefühlvollen Hawaii-Saga thematisiert sie die historische Verbindung zwischen Deutschland und Hawaii. Diese fasziniert sie in besonderem Maße, weil sie einen Aspekt deutscher Geschichte zeigt, der kaum bekannt und doch so schillernd ist.

Homepage der Autorin: http://www.tessa-hennig.de

TARA HAIGH

Weit hinterm Horizont

Roman

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Gerhard Seidl

Covergestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von Motiven von © Thinkstock

eBook-Erstellung: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-7325-8194-8

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

1

Normalerweise vertrieb der frische Westwind die feuchte Luft, die sich jede Nacht wie ein klammes Tuch über Geestemünde legte. Die übliche steife Brise vom Meer, die Clara um diese Zeit besonders schätzte, weil sie ihr im Nu die Müdigkeit aus den Gliedern blies, kam an diesem Morgen nur als schwachbrüstiges, aber ziemlich kühles Lüftchen daher. Die Gaslaternen waren noch beschlagen, die Vitrine ihres Ladens angelaufen bis hinauf zum Firmennamen: »Gewürzimport Elkart«. Matt und fahl war die tagsüber golden glitzernde Aufschrift, die Vater in übertrieben großen Buchstaben erst kürzlich hatte erneuern lassen, um bessere Zeiten heraufzubeschwören, wie er ihr erklärt hatte. Die Leute sollten denken, dass es ihnen gut ging und die Geschäfte florierten. Obwohl sich das Gewürzkontor im Parterre ihres Wohnhauses befand, war es nicht mit dem Wohntrakt im ersten Stockwerk verbunden. Die wenigen Schritte vom Innenhof hinaus zur Vorderseite des Hauses in der Fährstraße, der Prachtallee Geestemündes, hatten schon gereicht, um die Feuchtigkeit durch die Kleidung bis auf die Knochen zu spüren. Den Tagelöhnern und Arbeitern, die zum Hafen eilten, erging es offenbar nicht anders. Sie hatten ihre Jackenkragen hochgestellt, rieben sich die Hände oder vergruben sie tief in den Hosentaschen. Clara ärgerte sich darüber, dass das Türschloss wieder einmal klemmte. Ihre Finger waren vor Kälte schon zu steif, um es mit Feingefühl zu überlisten. »Für ein neues Schloss haben wir kein Geld«, hatte ihr Vater gesagt. Für goldene Buchstaben anscheinend schon, stellte Clara kopfschüttelnd fest. Das Schloss schnappte endlich auf, doch ein euphorischer Ausruf von der Straße ließ Clara an der Tür verharren: »Auf in die Neue Welt!«, rief ein junger Mann in abgetragenem Anzug und geflickten Hosen. Er kam um Gleichgewicht ringend und in Begleitung zweier Kumpane, die ihn stützten, aus einer der Seitengassen, in der Claras Wissens nach eine Spelunke für die Bewohner der Mietskasernen war. »Ich werd im Leben keine verfluchte Pickelhaube mehr sehen!«, stieß einer seiner Kumpane aus. Wie viele der einfachen Leute und Arbeiter, die nicht direkt vom Aufschwung der Industrie und des Handels profitierten, schimpften sie lauthals über die Preußen und wollten nur noch weg von hier. Auch wenn Clara sie um ihren Mut beneidete, in ein neues Leben aufzubrechen, und sich oft genug dabei ertappt hatte, Abenteuerlust in ihrem Herzen zu verspüren, war es sicher ein Trugschluss zu glauben, dass ein besseres Leben auf sie wartete, zumindest sagten das alle, auch Vater, der weit gereist war. Ob die Männer wohl mit einem der neuen Dampfschiffe oder einem Segler den Atlantik überqueren werden, fragte sie sich, als sie ihnen mit überraschender Wehmut hinterhersah. Sie wandte sich erst von ihnen ab, um hineinzugehen, als einer der jungen Kerle ihr unverschämt nachpfiff.

Der wohlvertraute Geruch von Gewürzen aller Art schlug Clara vom Lager aus entgegen, das sich hinter dem Verkaufstresen und gleich neben dem Büro befand. Die tags zuvor aus Indien eingetroffenen Säcke mit frischem schwarzem Pfeffer und Zimt stachen jedoch heraus. Ihre würzig-süßliche Duftmischung war betörend. Sie erinnerten Clara an ihre letztjährige Reise nach Südwestindien, die sie gemeinsam mit ihrem Vater unternommen hatte. Prompt sah sie aus dem Fenster zur Straße und versuchte, noch einen letzten Blick auf die drei Auswanderer zu erhaschen, bevor sie die Geestebrücke erreichten, zum Hafenbecken abbogen und somit außer Sichtweite waren. Gewiss hatten sie eine Kabine in der dritten Klasse, überlegte sie, um das in ihr aufsteigende Gefühl von Fernweh mit Gedanken an all die Mühsal, die eine so lange Schiffspassage mit sich brachte, im Keim zu ersticken. Es wollte nicht gelingen. Die zweite Klasse, die ihr Vater seinerzeit gebucht hatte, war nämlich auch nicht viel besser als die unzähligen Kabinen unter Deck, aber was würde sie dafür geben, wenn sie noch einmal diese Strapazen über sich ergehen lassen dürfte. Mit dem Zug nach Venedig, mit einem imposanten Segler quer durch das Mittelmeer, vorbei an den griechischen Inseln, um dann durch den Sueskanal die Reise nach Indien um Wochen zu verkürzen, auch wenn sie gar nichts dagegen gehabt hätte, an der afrikanischen Küste entlang und um das Kap der guten Hoffnung zu segeln. Clara hatte so viel Neues und Aufregendes gesehen. Wenn sie doch nur ein Mann wäre, unabhängig und frei. Ihr würde ein Neuanfang in Amerika leichtfallen. Sie hatte Englisch in der privaten Mädchenschule gelernt, Reiseberichte der großen Expeditionen förmlich verschlungen, wusste um viele der Gefahren, die in exotischen Ländern auf einen warteten. Mit ihren Kenntnissen der Buchhaltung und ihren Erfahrungen im Handel würde sie sicher eine Anstellung finden. So ein verrückter Gedanke. Außerdem wäre Vater dann allein. Clara riss sich aus den Träumereien und wandte sich vom Fenster ab. Es gab viel zu tun. Rechnungen mussten geschrieben und Wechsel ausgestellt werden. Korrespondenz mit indischen Lieferanten wartete auf Erledigung. Der Duft des Pfeffers war jedoch stärker als ihre frommen Vorsätze. Sie konnte gar nicht anders, als mit der Hand über die Körner fahren, wie sie es auf den Feldern Südwestindiens getan hatte. Im Nu hatte Clara die Korallenbäume vor Augen, an denen die grünen Pfefferbeeren wie schmale Weinreben hingen, die Arbeiter, die mit Füßen darauf stampften, als ob sie tanzten, um die Körner von der Pflanze zu lösen. Ob ihr Vater sie jemals wieder mit auf eine große Reise nehmen würde? Vielleicht nach Ceylon? Unter Umständen könnten sie sich eines Tages eine Überfahrt nach New York leisten? Und wenn es nur eine kurze Passage nach London wäre. Sie hatte gehört, dass es dort neuerdings eine unterirdische elektrische Schnellbahn gab, die man »Underground« nannte. Sie könnten aber auch Onkel Theodor besuchen. Der Bruder ihres Vaters bewirtschaftete seit gut zwanzig Jahren eine Zuckerrohrplantage auf Hawaii. Oft genug eingeladen hatte er sie ja. Nichts als Träumereien. Vater würde dem nie zustimmen. Und woher sollten sie das Geld dafür nehmen? Clara seufzte wehmütig und richtete sich auf, um sich endlich an die Arbeit zu machen. Doch erneut hielt sie etwas davon ab. Etwas Blaues tauchte vor dem geriffelten Fenster der Ladentür auf. Das musste Anton, der Postillion im Dienste der Reichspost sein. Sofort zeigte sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie mochte ihn, weil er unglaublich charmant war und sie zum Lachen brachte. Clara öffnete ihm die Tür, noch bevor er die Klinke in der Hand hatte. Sein blauer Überrock war wie immer makellos gebügelt, das Beinkleid blütenweiß, die schwarzen Stiefel glänzten wie der Helm, den er trug.

»Guten Morgen, Fräulein Clara. Wie ich sehe, haben Sie mich schon ungeduldig erwartet«, scherzte er.

Clara fand es allerliebst, wie sich sein Schnurrbart hob, wenn er lächelte. Warum konnte der bestimmt schon Fünfzigjährige nicht zwanzig Jahre jünger sein? Sie könnte sich glatt in ihn verlieben.

»Ach Anton. Warum tauschen Sie Ihre Uniform nicht gegen einen Frack ein? Die Rolle eines perfekten Gesellschafters für die feinen Damen Bremerhavens würde Ihnen gut zu Gesicht stehen.« Clara kannte Anton lange genug, um zu wissen, dass er es liebte, von ihr aufgezogen zu werden. Konversation dieser Art erfrischte den Morgen und belebte zudem den Geist.

»Die Uniform öffnet mir mehr Türen«, erwiderte er galant, aber augenzwinkernd.

»Und doch war nie die Richtige dabei …«, zog sie ihn auf, weil er ihr schon oft genug sein angebliches Leid geklagt hatte, nie die passende Frau gefunden zu haben. »Schade um so einen charmanten Mann«, fügte sie hinzu.

»Hören Sie auf … Sie wissen, dass ich Ihren Vater sonst noch um Ihre Hand bitten werde«, sagte er.

Clara lachte. Allein schon um Anton jeden Morgen zu sehen, lohnte es sich, so früh aufzustehen.

Der Postillion zog einen ganzen Stapel Briefe aus seiner Ledertasche und reichte ihn ihr.

»Oh je … So viel Post …« Clara stöhnte. Sie wusste, dass sie deren Beantwortung auf Stunden beschäftigen würde.

»Ach, da hab ich ja noch einen …«, sagte Anton. Langsam wie ein Zauberkünstler, der es besonders spannend machen wollte, zog er einen weiteren Brief hervor.

Clara musste beim Blick auf die Briefmarke, die das Antlitz des Königs von Hawaii zierte, den Absender gar nicht mehr lesen. Endlich Post von Onkel Theodor.

»Schöne Briefmarken haben die da«, bemerkte Anton anerkennend, bevor er ihr das Schreiben übergab. »Wer ist das?«

»König Kalakāua«, klärte sie Anton auf.

»Merkwürdiger Name für einen König, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«

»Andere Länder, andere Sitten«, sagte sie nur. So gerne sie sich auch mit Anton unterhielt, Clara brannte darauf, Neuigkeiten von Onkel Theodor zu lesen. Anton hatte sicher mitbekommen, dass sie nur noch Augen für den Brief hatte, der ganz oben auf dem Stapel lag.

»Einen schönen Tag, Fräulein Clara«, sagte er.

»Ebenso«, erwiderte sie und legte den Stapel Post erst einmal auf die Kommode. Anton ging, und kaum war die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen, hatte sie den Brief ihres Onkels auch schon geöffnet.

Honolulu, 18. Dezember 1891

Liebste Clara,

verzeih meine späte Antwort. Die Zuckerrohrernte hat aufgrund heftiger Regenfälle mehr Zeit in Anspruch genommen als sonst. Endlich wieder ein gutes Jahr mit reichen Erträgen. Es muss schnell gehen, um die großen Auktionen nicht zu verpassen. Stell Dir vor, ich habe fünf deutsche Plantagenarbeiter einstellen müssen, um die Ernte einzuholen. Von Hackfeld hab ich mir sagen lassen, dass schon über tausend Deutsche hier sind. Die meisten arbeiten natürlich auf seinen Plantagen. Abends sitzen wir zusammen, und ich lasse mir Geschichten aus der alten Heimat erzählen. Ist es wirklich so schlimm bei Euch? Die Arbeiter sprechen von Ausbeutung in den Fabriken und Werften. Sie verdienen hier auf den Feldern auch nicht viel, aber sie haben wenigstens einen Broterwerb. Arbeit gibt es hier genug. Hier fehlt es einfach an allem: Ärzte, Lehrer, Handwerker und Arbeiter, die anpacken können. Neuerdings kommen immer mehr Portugiesen, weil sie vom Walfang nicht mehr leben können. Auch nach zwanzig Jahren herrscht Aufbruchstimmung. Immer wenn ich in die Stadt fahre, entdecke ich ein neues Gebäude. Die Stadt wächst und gedeiht.

Mit großer Sorge habe ich gelesen, dass Eure Geschäfte nicht mehr so gut laufen. Wenn Friedrich nur nicht so stur wäre. Mit Gewürzen ist kein Geld mehr zu verdienen. Dein Vater sollte das wissen. Die Engländer und Amerikaner haben den Markt fest im Griff. Die Preise fallen. Ihr solltet auf Kakao und Kaffee umsatteln oder Zucker. Wir könnten beidseitig von einer Zusammenarbeit profitieren. Hast Du mit Deinem Vater schon darüber gesprochen? Bin ich immer noch ein rotes Tuch für ihn? Sprich noch einmal mit ihm. Ich weiß, wie sehr ihm daran gelegen ist, in der guten Gesellschaft zu verbleiben. Er hört auf Dich. Für wen, wenn nicht für Dich, arbeitet er denn so hart? Er wollte schon immer Dein Bestes, aber das geht nur, wenn sich der sture Bock finanziell nicht ruiniert. Da kannst Du ihn packen.

Zu gerne würde ich Dich sehen, Dir die Inseln zeigen. Hawaii ist, wie Du weißt, zu meiner neuen Heimat geworden. Ein Paradies, das sich mir jeden Tag Stück für Stück aufs Neue erschließt. Sprich mit Deinem Vater. Es ist doch nur zu Eurem Besten.

Dein tief ergebener Onkel Theodor

Clara holte erst einmal tief Luft. Ja, wenn Vater nur nicht so stur wäre. Sie starrte regungslos auf den Brief, fuhr darüber, um ihn zu glätten, doch ihre Sorgen konnte sie damit nicht ausbügeln. Sollte sie es wagen, ihren Vater offen auf Onkel Theodors Vorschlag anzusprechen? Clara kannte ihren Vater nur zu allzu gut, um zu wissen, dass er auf diesem Ohr taub war. Zu weiteren Überlegungen kam es nicht mehr, weil er wie jeden Morgen nach seinem Spaziergang zum Hafen, um dort als Erster Geschäfte mit den Händlern zu machen, in den Laden kam, guter Dinge, beladen mit neuestem Tratsch und mit einem frischen Lächeln, das augenblicklich einfrieren würde, wenn sie von Onkel Theodor anfing. Clara ließ den Brief daher sofort unter einem Korb verschwinden, in dem sie ihre Handschuhe und Schals aufbewahrte.

»Du wirst es nicht glauben. Am Hafen steht schon eine gute Hundertschaft Gewehr bei Fuß. Die Maria Rickmers läuft heut aus. Das größte Segelschiff der Welt. Es wimmelt dort nur so vor Gesindel, Auswanderern und Abenteurern, die sich die Passage auf einem Dampfer nicht leisten können.«

»Verwundert Sie das?«, fragte Clara, bevor sie das Revers seines Mantels, das er wohl aufgrund der Kälte nach oben gestellt hatte, wieder in Form rückte.

»Wieso glauben die Leute nur, dass sie ihr Glück nicht auch in der Heimat finden?«

»Vater. Es gibt hier kaum lukrative Arbeit«, entgegnete sie.

»Wer hat dir denn den Floh ins Ohr gesetzt?«, fragte er eher nebenbei und griff gleich nach dem Poststapel, um ihn zu durchforsten.

»Ich höre es täglich von unserer Kundschaft«, erwiderte Clara.

Vater warf ihr einen fragenden Blick zu. Sie war ihm eine Erklärung schuldig.

»Was man in den Werften und Fabriken verdient, reicht kaum zum Leben. Viele sind unzufrieden. Sie schimpfen auf das Reich«, erklärte sie ihm so überzeugend, dass er für einen Augenblick sogar von der Post abließ. Clara war sich sicher, dass sie die Lage richtig einschätzte. Sie hatte oft Kontakt zu einfachen Leuten, weil sie neben dem Import und Weiterverkauf an den Großhandel auch kleinere Mengen der Gewürze an Privatleute verkauften, die sich den Krämerladen nicht leisten konnten.

»Alles Humbug. Die Leute suchen immer nach irgendeiner Ausrede … Glaub mir, Clara. Es gibt keinen besseren Ort auf der Welt als das Preußische Reich. Jeder, der hier aufgewachsen ist, weiß das.«

»Die Alten haben aber auch kein gutes Wort für Preußen übrig. Sie leiden darunter, seit über zwanzig Jahren nichts weiter als eine ›preußische Provinz‹ zu sein. Viele trauern dem Königreich Hannover nach.«

»Dumme Monarchisten … Ohne die Preußen hätten wir bis heute noch kein Gaswerk. Die Stadt floriert. Geestemünde ist zum wichtigsten Umschlagplatz für Petroleum und Holz geworden. Neue Werften werden gebaut, höhere Schulen und sogar ein Wasserwerk. Da gibt’s genug Arbeit …«

Die Briefe durchzusehen war ihm jetzt wieder wichtiger.

»Und wer macht den Reibach?«, fragte sie.

Vater wusste es, weil er für einen Moment schwieg. »Du wirst sehen, Clara, das Leben wird sich ändern, auch für die einfachen Leute …«, meinte er dann. »Bald haben wir hier Elektrizität. Sie bauen ein Stromwerk in Hannover. Davon profitieren alle. So schlecht sind die Dinge hier gar nicht …«

Schön und gut, doch was nützte ihnen Elektrizität, wenn es nicht mehr genügend Abnehmer für ihre Waren gab? War jetzt der richtige Zeitpunkt, um ihm von Onkel Theodors Vorschlag zu erzählen?

»Clara. Du machst dir viel zu viele Gedanken«, sagte er väterlich. Dann fuhr er in einer zärtlichen Geste durch ihr Haar. Ein ungewohnter Moment der Nähe.

»Manchmal erinnerst du mich an deine Mutter. Sie hat sich auch zu viele Sorgen gemacht«, sagte er voll Mitgefühl. »Du solltest dich mit anderen Dingen beschäftigen … Am Leben teilhaben … an der Gesellschaft«, beschwor er sie.

Clara wurde augenblicklich flau im Magen. Jetzt kam bestimmt wieder die alte Leier, dass sie mit ihren dreiundzwanzig Jahren immer noch nicht verheiratet war und ihr Leben damit vergeudete, zu viel zu lesen und sich »zu viele Gedanken« zu machen.

Prompt blies er in das altbekannte Horn: »Ernst hat uns eingeladen. Er mag dich …«, bemerkte er mit Nachdruck.

Ernst Weber, der preußische Hauptmann, der ihr bei seinem letztwöchigen Antrittsbesuch im Kontor seine Aufwartung gemacht hatte – ein hochgewachsener Offizier, dessen Äußeres Clara nicht einmal abgeneigt war. Seiner eher forschen und zu selbstsicheren Art allerdings schon.

»Ich habe keine Lust auf einen Abend bei den Webers«, gab Clara offen zu und ertappte sich dabei, wie ein kleines trotziges Mädchen zu schmollen. Dementsprechend missbilligend war der Blick ihres Vaters.

»Ach was. Das wird dir guttun«, winkte er ab.

Wie sie ihn kannte, würde es nichts bringen, sich gegen die Einladung zu stemmen. Für ihren Vater schien die Diskussion darüber sowieso schon beendet zu sein. Er ging mit der Post in der Hand in den Laden und steuerte auf den Sekretär zu, um seine ganze Aufmerksamkeit der frisch eingetroffenen Korrespondenz zu widmen, aber Gott sei Dank nicht allen Briefen.

Während der Kutschfahrt auf der Straße, die gen Hannover führte, machte sich Clara bewusst, wie dringlich es Vater zu sein schien, sie unbedingt an Ernst Weber zu ketten. Es ließ sich an zwei Dingen ablesen: Erstens hatte er die Einladung für denselben Abend angenommen. Angeblich ganz spontan, weil er Rudolf Weber am Hafen getroffen hatte. Das war überhaupt nicht Vaters Art, weil er jeden Schritt geflissentlich plante. Zweitens kam es unter normalen Umständen nicht im Entferntesten infrage, das Kontor schon vor Geschäftsschluss zu schließen. Um der Einladung zum Abendessen nachzukommen, war es aber erforderlich, schon um fünf statt um sechs den Griffel fallen zu lassen. Schließlich sollte sie genug Zeit haben, um sich hübsch zu machen. Letzteres war wohl unmissverständlich. Clara hatte sich bewusst für ein eher biederes hellblaues Kleid entschieden, in dem sie jeder für eine Gouvernante halten würde – zugeknöpft und die weiblichen Reize so gut wie möglich kaschierend, ohne dabei schlecht gekleidet zu wirken. Vater hingegen hatte sich herausgeputzt, als würde er beim Kaiser persönlich vorsprechen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er eine Bemerkung über ihr Kleid machen würde.

»Du hättest dir auch etwas anderes anziehen können«, kam just in dem Moment, als sie Geestemünde mit ihrer Kutsche hinter sich gelassen hatten. Clara ließ dies unkommentiert stehen, obwohl ihr eine passende Antwort auf der Zunge lag. Vaters feiner Anzug passte nämlich ganz und gar nicht zu ihrem Gefährt, mit dem sie normalerweise Gewürzsäcke von und zum Hafen oder Bahnhof transportierten. Eine edle Droschke, wie sie fast alle Kaufleute hatten, konnten sie sich nicht leisten. Es musste so aussehen, als ob ein einfacher Bauer einen feinen Herrn spielen wollte. Natürlich konnte sie das ihrem Vater nicht sagen, aber Clara war sich sicher, dass er, wie bei solchen Anlässen üblich, nicht vor das Anwesen vorfahren würde. Clara überraschte es auch nicht, dass sie sich auf dem halbstündigen Weg amüsierte Blicke von Marktfrauen und Feldarbeitern einhandelten. Vater schien das gar nicht mitzubekommen, oder starrte er deshalb auf die Rücken der Wallache, die er vor der Abfahrt anscheinend noch gestriegelt hatte?

»Wusstest du, dass die Webers neuerdings in Elektrizität investieren?«, fragte er unvermittelt.

»Machen die nicht in Stahl?«, glaubte Clara zu wissen.

»Schon, aber in der Elektrizität liegt die Zukunft. Die Pferdebahn soll von einer elektrischen Straßenbahn abgelöst werden. Ernst wird sich um den neuen Geschäftszweig kümmern.«

Aha, daher wehte also der Wind.

»Sie meinen, er wäre eine gute Partie für mich«, sagte Clara geradeheraus, weil sie wusste, dass ihr Vater das schätzte.

»Warum denn nicht? Er sieht stattlich aus, kommt aus einer einflussreichen Familie … Ernst ist ein preußischer Hauptmann«, sagte er, wobei er Letzteres ehrerbietend betonte.

»Eben … ein richtiger preußischer Hauptmann.« Auch Clara betonte es, allerdings nicht mit Ehrfurcht, sondern einem Hauch von Abscheu. Wie ein Pfau hatte er um sie gebalzt. Ein richtiger Aufschneider, und dieser Typus Mann gefiel ihr einfach nicht. »Er hält sich für den Größten«, stellte Clara fest.

»Du kennst ihn doch noch gar nicht. Junge Männer sind nun mal so.«

»Eher junge Offiziere«, präzisierte Clara schonungslos.

»Er wollte dich doch nur beeindrucken«, versuchte Vater abzuwiegeln.

»Ich bin mir sicher, dass sich die meisten Frauen von so einem Gehabe auch beeindrucken lassen.«

Widerrede passte Vater überhaupt nicht. Das konnte sie ihm ansehen, und dennoch schmunzelte er.

»Ich weiß schon … Du warst schon immer anders … Aber wir sind ja selbst daran schuld«, sinnierte er laut.

»Wäre es Ihnen lieber gewesen, mich nicht auf das Gymnasium zu schicken? Wer würde dann Ihre Geschäftsbriefe schreiben, auf Englisch, Französisch? Und die ganze Buchhaltung …? Vielleicht braucht dieser ›preußische Hauptmann‹ ja eher ein Weibchen am Herd, das ihm auch noch die Stiefel putzt.«

»Jetzt mach doch erst mal seine nähere Bekanntschaft … Unvoreingenommen …«, sagte er, bevor er hinzufügte: »Versprich mir das!«

Clara nickte nicht, weil ihr Vater es von ihr verlangte, sondern weil ein erster Eindruck einen in der Tat auch in die Irre führen konnte.

Den zweistöckigen Landsitz der Webers nur als herrschaftlich zu bezeichnen, wie Vater es getan hatte, war untertrieben. Es war ein kleines Schloss in Weiß, dessen Fassade auffällig viele Fenster hatte. Ein Kiesweg führte vom imposanten schmiedeeisernen Eingangsportal durch einen Park und zu einem runden Springbrunnen, in dessen Mitte vier wasserspeiende Löwen thronten. Vor dem Haus standen bereits einige Kutschen und Droschken, was Vater prompt zum Anlass nahm, nicht vorzufahren, sondern ihr eher landwirtschaftlich anmutendes Gefährt unter zwei Fichten bei einem kleineren Nebentrakt abzustellen. Clara musste unwillkürlich schmunzeln, weil dies ihre Vermutung bestätigte, dass er sich schämte. Die Webers waren zwar noch mit der Begrüßung anderer Gäste, die eben aus einer der Kutschen stiegen, beschäftigt, doch Ernst hatte sie bereits erspäht. Er winkte zu ihnen her und bedeutete dann einem Stallburschen mit einer eher herrischen Geste, die Clara sofort missfiel, sich um ihre Pferde zu kümmern. Der junge Kerl lief daraufhin zu ihnen herüber – militärischer Drill eben. So konnte Ernst ihr Herz jedenfalls nicht erobern. Da half es auch nichts, dass er die anderen Gäste nun stehen ließ und ihnen entgegenging – zugegebenermaßen mit äußerst einnehmendem Lächeln. Ohne Uniform sieht er ganz passabel aus, musste Clara zu ihrer großen Überraschung feststellen.

»Clara … Friedrich«, rief er ihnen mit so viel Wärme zu, dass man glauben konnte, sie gehörten bereits zum engsten Kreis der Familie. Und wie galant sein angedeuteter Handkuss war, den ein »Mein gnädigstes Fräulein« würdig umrahmte. Vater begrüßte er nur mit einem sehr vertrauten »Friedrich« und indem er ihm die Hand reichte.

»Es freut mich sehr, dass Sie so kurzfristig zusagen konnten«, beendete er den Begrüßungsreigen, der Clara unangenehm wurde, weil Ernst kaum ein Auge von ihr ließ.

Obgleich ihr Vater dies mit offenkundigem Wohlwollen registrierte, besaß er genug Taktgefühl, um auf dem Weg zum Haus auf Höhe von Ernst zu gehen. Vater war um einen Reigen aus Komplimenten, wie vortrefflich doch die Parkanlage durchdacht sei und wie sehr ihn das Anwesen an eine venezianische Villa erinnere, nicht verlegen. Clara hingegen übte sich in der Tugend zu schweigen. Ein gewisses Maß an Zurückhaltung, wenn es darum ging, über Architektur zu plaudern, schickte sich sowieso für eine junge Dame, sodass Ernst nicht auf den Gedanken kommen würde, sie hielte sich heraus, um sein Ansinnen, mit ihr anzubandeln, so weit wie nur möglich aufzuschieben. Das ging leider nur so lange gut, bis sie den Salon erreichten und weitere Konversation unausweichlich wurde. Ernsts Mutter, die er ihr als Henriette vorstellte, zeigte sich entzückt darüber, ihre Bekanntschaft zu machen. Dass sie noch viel reizender und anmutiger sei, als ihr Sohn sie beschrieben hatte, machte unmissverständlich klar, dass Ernsts Avancen elterlicherseits bereits auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Rudolf, Ernsts Vater, musterte sie mit dem gleichen Interesse wie sein Sohn, bevor er zur Tafel rief. Es lag in der Natur eines Empfangs, nicht umhinzukommen, noch weiteren Gästen vorgestellt zu werden. Die Webers mussten tatsächlich sehr einflussreich sein. Die feine Gesellschaft Hannovers war geladen. Zwar kannte Clara die meisten nicht, doch Henriette, die sie auf dem Weg zum Speisezimmer in Beschlag genommen hatte, stellte sie ihr vor. Dass sogar der neue Stadtdirektor Heinrich Tramm, zugegen war, der wie die meisten anderen Herren einen Herrenrock und den in Mode gekommenen Kaiser-Wilhelm-Bart trug, sprach Bände. Wenn die Webers zum Empfang luden, war wohl niemandem die lange Kutschfahrt von Hannover zu weit. Selbst so illustre Gäste wie der Erfinder des Tapetenkleisters und des Grammofons waren anwesend. In so hoher Gesellschaft konnte man sich als Tochter eines einfachen Gewürzhändlers durchaus fehl am Platz vorkommen, auch wenn ihr niemand das Gefühl vermittelte. Immerhin konnte Clara beim Aperitif ihre aufregende Reise nach Indien zum Besten geben und über das »schwarze Gold« referieren, das sie unter anderem importierten. Niemand wusste, dass grüner, schwarzer und weißer Pfeffer aus ein und derselben Pflanze gewonnen wurde. Es hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen, dass sie in Indien gewesen war, und das schindete offenkundig Eindruck. Wahrscheinlich würde sie nach diesem Abend als »Mademoiselle Poivre« gelten, sagte sie sich angesichts so viel Anerkennung und Beifall. Dennoch war Clara froh, am Ende der Tafel neben ihrem Vater Platz nehmen zu dürfen. Das würde weitere Konversationen zumindest räumlich auf einen geringeren Radius beschränken und sie davor bewahren, sich Blößen zu geben oder als Landpomeranze dazustehen. Was außer dieser einen Reise hatte sie schon großartig aus ihrem Leben zu berichten? Zwar konnte sie die eine oder andere Bemerkung über die Epochen der Gemälde einwerfen, welche die Wände des von gleich zwei Kronleuchtern erhellten Speisesaals zierten, doch aus Gesprächen über Wirtschaft und Fortschritt hielt sie sich besser heraus. Letzteres war gottlob ein gefundenes Fressen für Ernst, der ihr, wie nicht anders zu erwarten war, gegenübersaß, sich aber von Vaters Tiraden über den Aufstieg Hannovers davontragen ließ.

»Hannover war die erste Stadt auf dem alten Kontinent, in der es eine Gasbeleuchtung gab, und wird auch die erste Stadt sein, in der jede Wohnung elektrisches Licht ihr Eigen nennen darf«, proklamierte er mit patriotischem Unterton.

»Hört, hört«, warf Heinrich Tramm prompt und mit Wonne ein. »Darauf einen Toast«, rief er in die Runde.

Das Glas ihres Vaters erhob sich überraschenderweise am schnellsten.

»Auf gute Geschäfte«, toastete Ernst ihm verdächtig privat zu. Vater nickte sichtlich betreten und wandte seinen Blick von ihr ab, nachdem Clara ihn verwundert angesehen hatte.

Das vorzügliche Ragoût fin en coquille wollte Clara nun nicht mehr so recht schmecken. Was ging hier vor? Geschäfte? Clara hoffte inständig, dass das Dessert bald serviert wurde, aber nicht, weil sie Appetit darauf hatte. Sie musste ihren Vater gleich nach dem Essen fragen, was Ernst Weber mit den »guten Geschäften« genau meinte.

Clara schwirrte der Kopf. Noch eine gefühlte Ewigkeit hatte sie sich Vorträge über die Errungenschaften der Technik und des Fortschritts anhören dürfen. Ihr Vater war dabei regelrecht aufgeblüht und suchte, nachdem Rudolf Weber die Männer ins Zigarrenzimmer geladen hatte, sofort Tramms Gesellschaft. Er hatte sich mir nichts, dir nichts aus dem Staub gemacht. Was blieb Clara anderes übrig, als den Damen in den Salon zu folgen, um sich fortan über das gesellschaftliche Leben Hannovers berichten zu lassen. Auch das war ganz und gar nicht ihre Welt. Sich den Capricen der Frauenrunde auszusetzen, über Stickereien und die neueste Mode aus Paris zu schwatzen, hatte sich als noch viel anstrengender erwiesen als die wissenschaftlichen Vorträge beim Essen. Zwei Mozart-Etüden am Klavier, die die Tochter des Hauses vortrug, sorgten immerhin für eine kleine Verschnaufpause. Elfriede, die Tochter des größten Brauereibetriebs an der Elbe, war inzwischen neben ihr auf der Chaiselongue festgewachsen. Clara musste sich mit ihr über die aktuelle Hutmode unterhalten. Wie bekam sie sie nur los? Sie könnte das Thema auf sittenverderbte französische Literatur lenken, Flaubert und Maupassant, die sie heimlich am Gymnasium gelesen hatte, doch am Ende würde sie sie dann für den ganzen restlichen Abend am Hals haben. Stattdessen lenkte Clara die Konversation auf das frisch beim Essen erworbene Wissen über die Glühbirne.

»Wussten Sie, dass die Fäden zunächst aus Kohle, Papier oder Bambus und erst viel später aus Metall waren?«, fragte sie Elfriede, die sie nur verstört ansah, bevor sie sich dazu hinreißen ließ, »interessant« von sich zu geben. Der Exkurs über »Glühstrümpfe«, die, wie sie dank Ernsts Technikbegeisterung nun wusste, über die offenen Gasflammen gezogen wurden, um sie heller scheinen zu lassen, gaben Elfriede den Rest. Sie entschuldigte sich und entschwand unpässlich, wie sie vorgegeben hatte, in Richtung ihrer Mutter, mit der sie sogleich zu tuscheln begann.

Die Tür zum Salon ging auf. So wie es aussah, hatten die Männer all ihre »Geschäfte« bei einer Zigarre besiegelt. Anscheinend hatte es aber nicht nur Zigarren gegeben. Den glasigen Blick ihres Vaters kannte sie. Dass er sich an der Tür abstützte und beim Hineingehen um ein Haar eine der Fächerpalmen am Eingang gerammt hätte, war ein untrügliches Zeichen dafür, dass er zu viel getrunken hatte. Die Gunst der Stunde gedachte Clara für sich zu nutzen. Bis sich die beiden Geschlechter wieder vermischt hatten – die Herren irrten kreuz und quer auf der Suche nach ihren Begleiterinnen durch den Raum –, konnte sie ihren Vater sicher ungestört zur Seite nehmen und zur Rede stellen.

»Vater. Begleitet mich an die frische Luft. Ein kleiner Spaziergang im Park tut Ihnen sicher gut«, schlug sie vor und hängte sich resolut bei ihm ein.

Vater leistete keinen Widerstand und folgte ihr artig nach draußen.

Als sie das Haus verließen und in Richtung der Heckengärten schlenderten, drehte sich Clara abermals um. Sie wollte sich vergewissern, dass sie allein waren, um ungestört miteinander zu sprechen.

»Die Luft tut gut«, japste ihr Vater und inhalierte sie tief.

»Sie sollten nichts trinken«, erwiderte sie besorgt.

»Ach was. Die drei Gläser Whiskey mit Eis hauen mich doch nicht um«, wiegelte er ab. Kaum ausgesprochen, touchierte er auch schon die nächste Hecke. Dann blieb er unvermittelt stehen, holte erneut tief Luft und drehte sich zu ihr um.

Clara nahm sich vor, ihn nun zu fragen, was Ernst mit den »Geschäften« meinte, doch Vater kam ihr zuvor.

»Tochter … Mir ist klar, warum dir nach einem Spaziergang ist, und das hat nichts mit Sorge um deinen Vater zu tun. Was soll ich lange um den heißen Brei herumreden? Kurzum: Ich möchte das Kontor aufgeben«, gestand er.

Clara sah ihn nur bange an. Das Kontor aufgeben, das er zusammen mit ihrer Mutter aufgebaut hatte? War der Gewürzhandel nicht ihre gemeinsame Leidenschaft gewesen?

»Es reicht nicht mehr, um gut davon zu leben. Ich möchte unsere Reserven nicht heranziehen, um ein nicht mehr rentables Geschäft zu halten … Noch könnten wir nach Hannover ziehen, das Haus verkaufen …«, erklärte er.

Clara fröstelte, und das lag nicht ausschließlich an der frischen Abendluft. Es war vielmehr Vaters Rausch, der nicht dem Whiskey geschuldet war. Er war berauscht von der Möglichkeit, sein ganzes Kapital in ein Geschäftsfeld zu investieren, von dem er nicht die geringste Ahnung hatte.

»Du hast Ernst doch gehört. In der Elektrifizierung liegt die Zukunft. Die neue Straßenbahn … Denk daran, wie das alles das Leben verändern wird«, beschwor er sie.

»Und was möchten Sie jetzt machen? Etwa Schienen bauen?«, platzte es aus ihr heraus.

»Die Webers brauchen einen kaufmännischen Leiter …«, erwiderte er in nun wieder aufrechter Haltung. Die Wirkung des Whiskeys schien sich schlagartig verflüchtigt zu haben. Sein Blick hatte abermals jene geschäftliche Ernsthaftigkeit, die Clara an ihrem Vater kannte. Das machte ihr Angst, weil ihr in dem Moment klar wurde, dass sein Vorhaben nicht aus einer Zigarrenlaune heraus geboren, sondern wohlüberlegt war.

»Clara. Was ist so schlimm daran?«, fragte er eine Spur mitfühlender. »Du kannst in der Stadt leben«, versuchte er, sie zu ködern.

»Sie meinen als Hausfrau an der Seite eines preußischen Hauptmanns, um Ihre Pfründe zu sichern?«, entrüstete sie sich.

»Clara! Wie redest du mit deinem Vater?«

Der Gedanke, in dieser kichernden kapriziösen Frauenrunde zu enden und fortan die brave Ehefrau zu spielen, war schon schlimm genug. Sie würde sich unterordnen müssen, den Schreibtisch gegen Herd und Wiege eintauschen. Was wurde aus ihren Reiseplänen in exotische Länder, aus denen sie die Gewürze bezogen? Nun war es Clara, die mit leichtem Schwindel zu kämpfen hatte, und obwohl sie am Arm des Vaters Halt gefunden hätte, trat sie lieber einen Schritt zurück.

»Es ist zu unserem Besten. Du wirst sehen. Es gibt keine Alternative.«

»Die gibt es immer, Vater«, sagte sie mit angeschlagener Stimme.

»Und die wäre?«, gab er provokant zurück.

Clara nahm all ihren Mut zusammen, um ihn auf den Vorschlag des Onkels anzusprechen.

»Wir könnten das Kontor erweitern … Kakao, Kaffee … Zuckerrohr … Onkel Theodor hat eine gut gehende Plantage und er …«

»Mit ihm mache ich keine Geschäfte«, fiel er ihr ins Wort.

»Er hat es uns angeboten … Onkel Theodor möchte uns helfen …«

»Schluss jetzt!«, fuhr er sie an. Vater war kreidebleich. Sein Atem ging schnell. »Wir gehen wieder hinein. Sonst wird man sich noch wundern, wo wir bleiben«, forderte er sie auf.

»Verzeiht, aber ich bevorzuge einen Moment der Stille«, erklärte sie ihm mit sanfter Bestimmtheit.

»Komm jetzt!«, befahl er ihr und packte zugleich ihren Arm. Wie ein Stück Vieh wollte er sie zurück auf den Jahrmarkt der Eitelkeiten führen. Anscheinend waren ihm seine Interessen wichtiger als das Heil seiner Tochter. Das machte Clara so wütend, dass sie sich von ihm losriss.

»Ich denke nicht daran«, stellte sie unmissverständlich klar, bevor sie sich von ihm abwandte. Vor Clara lag der Garten, den der Mond mit weißem Licht benetzte. Er versprach Stille und Ruhe der Gedanken.

»Clara!«, rief er ihr erbost nach, doch Clara lief in dieses magische Licht, an dessen Ende ein von Efeu umrankter Pavillon stand …

Das säulengestützte, barock anmutende Bauwerk mit Kuppeldach eröffnete den Blick auf einen Garten, dessen weitläufige Rasenflächen von Buchen, Eichen und einigen Kastanienbäumen begrenzt waren. Ein mit Blumenbeeten gesäumter Weg verlief schnurstracks zu einem kleinen Haus an einem Teich, das direkt neben einer Trauerweide stand. Diese Idylle lud dazu ein, ihre Gedanken zu ordnen und sich zu sammeln. Clara konnte sich nicht daran erinnern, jemals derart mit ihrem Vater aneinandergeraten zu sein. Sie schämte sich dafür, wie ein kleines trotziges Kind davongelaufen zu sein, doch zugleich geriet ihr Blut erneut in Wallung, als sie daran dachte, dass er letztlich um des schnöden Mammons willen eine Konvenienzehe für seine Tochter in Kauf nahm. Lange konnte sie hier nicht verweilen, ohne dass man nach ihr fragen würde. Clara überlegte bereits zurückzugehen, als sie Schritte auf dem Kiesweg vor dem Pavillon vernahm. Wahrscheinlich sah ihr Vater nach ihr, doch zu ihrer großen Überraschung war es Ernst, der hinter einer Wand aus Efeu hervortrat und zu ihr ging.

»Fräulein Clara. Hier sind Sie also«, sagte er sanft.

»Hat mein Vater Sie beauftragt, nach mir zu sehen?«, fragte sie frei heraus.

Ernst überlegte für einen Moment, bevor er nickte. Dann bot er ihr den Arm. »Erweisen Sie mir die Gunst eines Spaziergangs«, bat er sie galant.

Clara willigte ein, ignorierte sein Angebot, sich bei ihm einzuhängen, jedoch geflissentlich. Sie begleitete ihn auf dem Weg, der zum Haus am Teich führte.

»Ich hätte Ihren Vater nicht so bedrängen sollen«, sagte er unvermittelt und überraschend verständnisvoll.

»Geschäftlich oder privat?«

»Vielleicht beides«, gestand er offen, bevor sie eine Weile schweigend nebeneinander hergingen. Sie vermied, zu ihm aufzusehen. Trotzdem konnte Clara seine interessierten Blicke spüren.

»Clara … als ich Sie das erste Mal sah…«, fing er an.

»Sprechen Sie nicht weiter … Nicht heute, nicht jetzt …«, gebot sie ihm, doch Ernst scherte sich nicht darum.

»Vergeben Sie mir meine törichte Offenheit, aber es vergeht keine Stunde, in der ich nicht an Sie denke«, sagte er gefühlvoll und voll Leidenschaft. Sein Werben um ihre Gunst erweckte den Eindruck, aufrichtig zu sein, auch wenn sie in diesen Angelegenheiten nicht sonderlich erfahren war. Was sollte sie ihm erwidern? Dass er in ihren Augen ein Aufschneider war und sie nie im Leben einen preußischen Hauptmann ehelichen würde? Dass seine Welt nicht zu der ihren passte? Dass er ihren Vater mit Geschäften geködert hatte, um sie in eine Liaison zu nötigen? Clara bevorzugte es zu schweigen. Sein Atem wurde hörbar schwerer. Er schien wie ein Hund unter ihrer Schweigsamkeit zu leiden.

»Was ist das für ein Haus dort vorn?«, fragte sie, um die ungute Situation zu beenden.

»Wir verbringen dort laue Sommerabende und vertreiben uns die Zeit mit Musizieren und Kartenspiel«, erklärte Ernst.

»Sie spielen ein Instrument?«, fragte Clara verwundert. Sie war erleichtert darüber, dass er den Faden zu einem weniger verfänglichen Gespräch dankbar aufgegriffen hatte.

»Violine. Allerdings fehlt mir die Zeit, mein Spiel zu perfektionieren«, erwiderte er.

Clara war beeindruckt, denn auch sie hatte das Violinenspiel gelernt. Welch überraschende Übereinstimmung, die sie jedoch vorerst noch vor ihm zu verbergen gedachte.

Dann bot er ihr erneut den Arm an: »Kommen Sie, ich zeig Ihnen das Haus.«

Clara zögerte, doch angesichts der Gefühle, die er offenbart hatte und die aus dem Munde eines preußischen Hauptmanns ehrlich gemeint sein mussten, gab sie nach. Sich bei ihm einzuhängen fühlte sich zumindest nicht unangenehm an.

Als sie die Stufen des Sommerhauses erreichten, löste er sich von ihr, ging hinauf zur Veranda und öffnete die Tür. Dann reichte er ihr die Hand, um sie nach oben zu geleiten. Sein Händedruck war fest. Clara fand darin Halt, wunderte sich jedoch darüber, warum er sie nicht mehr losließ. Er stand nur da und sah sie an.

»Wie schön Sie sind …«, hauchte er mit unüberhörbarem Verlangen.

Clara wandte sich von ihm ab und sah über die Brüstung auf den Teich, in dem sich der Mond wie flüssiges Silber spiegelte. Seine Hand löste sich endlich von der ihren, doch fuhr stattdessen behutsam an ihr Kinn, das er anhob, sodass sie ihn wieder ansehen musste. Dann berührte seine Hand ihren Mund. Sein Atem wurde augenblicklich schwer. Clara irritierte der warme Strom in ihrem Unterleib, den seine Berührung anzufeuern schien. Wie zärtlich er über ihre Lippen strich. Er musste sehen, dass sie bebten. Die Vorstellung, einen Mann zu spüren und seine Männlichkeit zu erkunden, die sie bisher nur von Zeichnungen kannte, erregte sie, doch zugleich ernüchterte Clara sich damit, dass es nur eine abstrakte Vorstellung war, die nichts mit ihm zu tun hatte. Dies ließ den warmen Strom versiegen. Sie fröstelte bei dem bloßen Gedanken, sich ihm hinzugeben, ja ihn auch nur zu küssen, um ihre Neugier zu stillen, wie sich die rauen Lippen eines Mannes anfühlten. Dennoch schaffte sie es nicht, sich dem Bann seines Blicks zu entziehen.

»Was würde ich dafür geben, wenn ich Sie küssen dürfte«, hauchte er. Seine Augen flehten sie an, doch sie konnte seinem Wunsch nicht nachgeben, weil sie kein Verlangen nach Intimität mit ihm verspürte. Clara setzte einen Schritt zurück, stieß jedoch mit dem Rücken an die Brüstung der Veranda. Er trat ganz nah an sie heran und hörte einfach nicht damit auf, mit seiner Hand über ihr Gesicht und durch ihr Haar zu fahren.

»Nein … ich«, stammelte sie aus Angst, aber auch Abscheu vor den Manieren, die er wohl eben dabei war zu vergessen.

»Wie tugendhaft Sie doch sind«, sagte er. Der ironische Unterton klang nicht mehr nach dem charmanten Mann, den er ihr bis eben noch vorgegaukelt hatte.

»Ich möchte zurückgehen«, verlangte sie deshalb, so resolut sie nur konnte.

»Weisen Sie mich nicht ab. Mein Herz lege ich Ihnen zu Füßen«, beschwor er Clara und stellte sich so dicht vor sie, dass sie keinen Schritt mehr zur Seite weichen konnte.

Clara konnte in seinen Augen nun etwas Wildes sehen. Nackte Begierde. Sein Blick war der eines wilden Tieres. Sein Griff wurde fester. Clara erstarrte vor Angst. Dass sie mittlerweile am ganzen Körper bebte, schien er als Aufforderung zu sehen, sich noch fester an sie zu schmiegen. Sein Atem roch nach Whiskey. Clara spürte, dass er erregt war.

»Lassen Sie mich … Ernst …«, verlangte sie.

Ernst drückte trotzdem seinen Mund auf den ihren.

Clara versuchte, sich aus seiner Umarmung zu winden, doch sie fühlte sich an wie eine Klammer aus Stahl.

»Nun zieren Sie sich doch nicht … Ich liebe Sie …« Er stöhnte und griff ihr an die Brust, dann an ihre Scham.

Clara gelang es, sich für einen Moment zu befreien, und setzte dazu an, um Hilfe zu rufen, doch schon presste er seine Hand auf ihren Mund. Clara bekam kaum noch Luft, versuchte erneut, sich aus seinem Griff zu lösen, doch es half alles nichts. Ernst zog sie mit brachialer Gewalt hinein in das Halbdunkel des Raums, in dessen Mitte sie nur noch schemenhaft einen Flügel stehen sah. Eine Hand versiegelte ihren Mund. Die andere riss ihr das Kleid am Dekolleté herunter und raffte den unteren Teil nach oben. Ernst drückte ihren Rücken auf den Flügel, bevor er sich hastig die Hose aufknöpfte und sie bis zu den Knien abstreifte. Clara zitterte am ganzen Körper. Ihr Unterkleid bedeckte nur noch einen Teil ihres Bauchs, auf den er sich legte, und dann begann, sie im Gesicht und auf den Mund zu küssen. Seine Hand fuhr an ihren Schenkeln entlang und in ihre Scham. Clara verkrampfte und versuchte, ihm den Eingang in ihren Körper zu verwehren, doch sein Bein fuhr wie ein Brecheisen zwischen ihre. Seine Hände drückten sie dann auseinander. Ernsts ganzes Körpergewicht lag nun auf ihr. Seine Arme pressten ihre nach unten. Seine Hände umklammerten nun ihre Brüste. Tränen lösten sich aus ihrem Gesicht. Etwas Hartes rieb zwischen ihren Beinen und begehrte Einlass. Clara schloss die Augen und sah Bilder aus den schmutzigen Romanen, die sie mit Freundinnen getauscht und heimlich in der Schulzeit gelesen hatte, Bilder von wollüstigen Offizieren und wie sie über ihre Mätressen herfielen. Was er mit ihr tat, verlief wie darin beschrieben, nur noch viel schlimmer, weil es das erste Mal war, dass ein Mann in sie eindrang. Clara betete, dass er von ihr ablassen würde, doch dann spürte sie den stechenden Schmerz, der ihr fast die Sinne raubte. Etwas Warmes floss an ihren Schenkeln entlang. Es roch nach Blut. Wie ein räudiger Hund drang er nun ungehindert noch tiefer in sie ein. Ernst keuchte. Es waren Laute, die Clara nicht kannte. Sie klangen nicht menschlich und mehr wie die eines Tieres, je schneller er sich in ihr bewegte. Claras Tränen versiegten, weil sie sich selbst nicht mehr wie ein Mensch fühlte. Mit letzten kräftigen Stößen, denen ein gutturales, grausiges Stöhnen folgte, entlud sich die Frucht seiner Lenden in ihr. Er stöhnte wohlig und ließ sich wie ein nasser Sack auf sie sinken. Clara roch seinen Schweiß, der ihr Übelkeit verursachte. Der Schmerz hingegen ließ nach. Wenn er sich doch endlich von ihr lösen würde. Stattdessen begann er, ihren reglosen Körper zu liebkosen, sie am Nacken zu küssen.

»Clara … Ach Clara«, säuselte er und richtete sich etwas auf, indem er sich auf seine Unterarme stützte.

Clara bekam sofort besser Luft. Sie konnte sich wieder bewegen. Es war vorbei. Diesmal ließ er zu, dass sie sich aus seinen Armen wand. Es gelang ihr, sich aufzurichten. Ihre Füße erreichten den Boden, aber sie hatte keine Kraft mehr in ihren Beinen und musste sich für einen Moment am Piano stützen. Nach einem kräftigenden Atemzug schaffte sie es zumindest, aufrecht zu stehen. Clara schob ihr zerfetztes Unterkleid nach unten und hoffte, dass er sie nicht daran hindern würde, sich anzukleiden. Er tat es nicht. Auch ihr besticktes Kleid hatte sich rot gefärbt. Das Blut schien ihre Rettung zu sein. Ernst stand wie ein geprügelter Hund vor ihr und starrte auf seine Schandtat. Es sah ganz danach aus, als ob ihm erst jetzt bewusst wurde, was er angerichtet hatte. Clara sah ihm nun direkt in die Augen. All die Abscheu und Verachtung, die sie für ihn verspürte, legte sie in diesen Blick hinein. Er hielt ihm nicht stand. Dann ging sie wortlos an ihm vorbei.

»Clara«, hörte sie ihn wimmern.

Sie ignorierte ihn. Jeder Meter, den sie sich von diesem Scheusal entfernte, gab ihr mehr Kraft. Die frische Nachtluft stärkte ihre Lungen. Sie vernahm zu ihrer Erleichterung keine Schritte hinter ihr. Clara starrte auf den Weg, der sie zu ihrer Kutsche bringen würde. Nach wie vor knirschten nur ihre Schritte im Kies. Der Weg schien endlos lang zu sein. Das Verdeck der Ladefläche, das sie wie in Trance erreichte, roch einladend nach den vertrauten Gewürzen, die ihr Vater immer auf der Kutsche transportierte. Die Kutsche versprach Sicherheit. Clara erklomm die Ladefläche und kroch unter das feste Leinen. Auf leeren Säcken bettete sie ihr Haupt. Dann wurde ihr schwarz vor Augen.

2

»Clara«, hörte sie aus weiter Ferne ihren Vater rufen. Dann vernahm sie eilige Schritte im Kies. Ein kühler Windstoß huschte über sie hinweg, als jemand die schützende Abdeckung ruckartig von ihr zog. Clara schlug die Augen auf und blickte in eine sternenklare Nacht. Das Gesicht ihres Vaters verdeckte einen Atemzug später jenes friedliche Funkeln am Firmament, das ihr für einen Moment das Gefühl gegeben hatte, nur aus einem Albtraum erwacht zu sein.

»Clara«, stieß er immer noch außer Atem aus und besah sich das Häufchen Elend, das vor ihm kauerte. »Wie konntest du nur?«, fragte er dann unvermittelt mit bebender Stimme. »Wir müssen sofort fahren. Die Leute reden schon.« Er reichte ihr die Hand.

Clara griff zögernd danach, doch so sehr sie sich auch abmühte, sie hatte nicht die Kraft, sich aufzurichten. Sie starrte nur in die versteinerte Miene ihres Vaters, die erst aufweichte und in Besorgnis umschlug, als er ihren Zustand erfasste.

»Um Gottes willen. Clara. Bleib liegen … Wir fahren sofort ins Hospital …«

Claras Unterleib schmerzte, doch viel größer war der Schmerz, dass Vater ihr Vorwürfe machte. Was hatte seine Frage bloß zu bedeuten? Wie konntest du nur?

»Nicht ins Hospital«, presste Clara zwischen vor Schmerz zusammengekniffenen Lippen hervor. Die Angst, sich Fremden gegenüber erklären zu müssen, aber noch viel mehr vor dem Gerede, war unerträglich. »Es geht schon wieder«, log sie und versuchte, sich an seiner Hand nach oben zu ziehen. Es wollte immer noch nicht gelingen. »Fahr mich nach Hause«, wimmerte sie.

Ihr Vater nickte nur.

Clara ließ ihr Haupt erleichtert auf die leeren Leinensäcke sinken. Sie hörte seine Schritte im Kies, das Schnauben der Pferde, das Klirren und Schaben des Geschirrs, das er ihnen anlegte. Mit der Gewissheit, nun von hier wegzukommen, versuchte sie, sich aufs Neue in den Sternenhimmel zu träumen. Es misslang. Vater musste so in Sorge um sie sein, dass er den Pferden alles abverlangte. Die Peitsche knallte so laut, dass sie erschrak. Clara hatte bei der Geschwindigkeit, mit der die Kutsche über das unebene Gelände fuhr, das Gefühl, jeden einzelnen der Steine zu spüren, über die die Räder holperten. Mit jeder Minute, mit der sie sich von Ernsts Haus entfernten, ließen die Schmerzen nach, dafür setzte eine Flut von peinigenden Gedanken ein. Wie hatte Vater den plötzlichen Aufbruch begründet und ihr Verschwinden erklärt? Hatte er etwa mit Ernst gesprochen? Was immer auch der »ehrenwerte Hauptmann« ihm erzählt haben mochte, eine Liaison mit diesem Mann stand nun sicher nicht mehr zur Debatte, auch wenn damit Vaters geschäftliche Pläne auf dem Spiel stehen würden. Dieser Gedanke beruhigte sie augenblicklich. Er spendete gar so viel Kraft, dass sie nun in der Lage war, sich aufzurichten. Der Fahrtwind erfrischte. Clara nahm sich vor, diese Nacht zu vergessen, doch im Nu dachte sie wieder an ihn, an das Tier, das über sie hergefallen war. Konnte man so etwas jemals vergessen? Jedenfalls nicht, solange die Spuren der Nacht noch an ihr klebten. Clara blickte auf das eingetrocknete Blut an ihren Händen und überlegte, ob sie ihrem Vater die Wahrheit sagen sollte. Möglicherweise wusste er ja nicht genau, was passiert war. Die Flecken auf ihrem zerfetzten Kleid waren jedoch eindeutig. Weil er während der ganzen Fahrt schwieg und es noch nicht einmal fertigbrachte, ihr direkt in die Augen zu sehen, nachdem sie ihr Geestemünder Haus erreicht hatten, musste er es einfach wissen. Kein Wort des Trostes. Keine weitere Nachfrage, wie es ihr ginge. Seine helfende Hand, um abzusteigen, hätte Clara am liebsten abgewiesen, doch sie war immer noch zu schwach, um sich allein auf den Beinen zu halten. Sein Arm, sonst so einfühlsam an sie geschmiegt, fühlte sich auf dem Weg zum Haus an wie eine steife Krücke. Schweigen! Clara bekam nur den bissigen Wind Geestemündes zu hören, der wie jede Nacht durch die Gassen pfiff und sie frösteln ließ. Auch als sie die Treppen nach oben gingen, blieb Vaters Haupt gesenkt. Im Licht der Petroleumlampen der guten Stube wirkte sein Antlitz so starr wie eine Maske.

»Ich lass dir ein Bad ein«, sagte er nur und ging in die Küche, um den Kohlebadeofen zu entzünden.

Clara ließ sich kraftlos auf einen Küchenstuhl nieder und blickte ins lodernde Feuer, das von den Zeitungen, die Vater in den Ofen gestopft hatte, schnell auf die Kohlen übersprang und sie zum Glühen brachte. Wohlige Wärme umfing sie. Clara fasste an eines der Rohre, die mit der Badewanne verbunden waren. Sobald sie warm wurden, dauerte es nicht mehr lange, bis das heiße Wasser in die Kupferwanne des Badezimmers sprudeln würde. Vater verließ wortlos den Raum und ging nach unten. Vermutlich verzog er sich ins Büro des Kontors, weil er ihre Gegenwart nicht ertrug. Clara entkleidete sich und setzte sich in die Wanne, solange noch Wasser hineinsprudelte. Rote Rinnsale liefen von ihren Händen ins Wasser, das sich fleischfarben färbte. Clara schloss die Augen und tastete nach einem Schwamm, um sich gründlich zu reinigen. Erst als sie sicher sein konnte, keine Spuren von ihm mehr an sich zu haben, und das fleischfarbene Wasser abgeflossen war, steckte sie den Stöpsel in den Ablauf, um sich der Illusion hinzugeben, dass sie ihr wöchentliches Bad nahm, wie immer. Zwei Tropfen Rosenöl in Mandelmilch vermengt fügte sie aus einem Flakon hinzu, der am Wannenrand stand. Obgleich ein brennender Schmerz Clara an den Verlust der Jungfräulichkeit erinnerte, gaukelte der Geruch der Lotion ihr vor, dass alles wieder so sein konnte wie früher, wenn sie es nur wollte. Der Schmerz ließ nach. Bleierne Müdigkeit machte ihre Glieder schwer. Sie schloss die Augen. Vater würde nach ihr sehen, falls sie in der Wanne einschlief. Clara gab sich dem Verlangen hin, sich wegzuträumen, ertappte sich jedoch bei dem Gedanken, wie schön es wäre, nicht mehr aus dem Schlaf zu erwachen.

In ein Handtuch gewickelt, verließ Clara schließlich das Badezimmer und sah, dass ihr Vater wie in Stein gemeißelt in der guten Stube saß und auf die Glut des Kamins starrte. Der Dielenboden knarrte verräterisch, sodass er einen Blick in den Flur warf. Clara huschte sogleich in ihr Zimmer, um sich in ihrem Bett zu verkriechen, doch Nachtruhe würde sie nicht finden, bevor sie nicht mit ihm gesprochen hatte. Sie kleidete sich daher an und ging zu ihm. Sie saßen oft abends am Kamin bei einer Tasse Tee zusammen und sprachen über den Tag. Dieses Ritual gab Clara letztlich den Mut, im Sessel gegenüber Platz zu nehmen. Vater regte sich nicht. Er nahm nur einen tiefen Atemzug, um dann wieder kopfschüttelnd zurück in den Sessel zu sinken. Clara überlegte, ihm alles zu offenbaren, doch er kam ihr zuvor.

»Du wirst ihn nun heiraten müssen«, sagte er streng.

Mit allem hätte Clara gerechnet, nur nicht damit. Wie konnte Vater ihr nur so in den Rücken fallen?

»Ich beschwöre Sie, Vater«, sagte Clara fassungslos.

»Dein Gemüt wird sich glätten«, erwiderte er forsch und mit einer Selbstverständlichkeit, die Clara frösteln ließ.

War das ihr Vater, der da sprach? Noch nie hatte sie seine Gesichtszüge so verhärmt gesehen. Seine Augen wirkten fahl und kalt. Clara war sich so gut wie sicher, dass Ernst ihrem Vater niemals die Wahrheit gesagt haben konnte, um sich nicht selbst zu diskreditieren. Schlagartig dämmerte ihr, dass Ernst wahrscheinlich versucht hatte, ihr die Schuld in die Schuhe zu schieben. Vielleicht hatte er ihrem Vater gar glauben gemacht, sie hätte ihn verführt. »Wie konntest du nur?«, hatte sie sich noch vor wenigen Stunden anhören dürfen. Die Verzweiflung über die Haltung ihres Vaters schlug angesichts dieser Überlegungen jäh in Wut um.

»Was hat Ernst Euch erzählt?«, fragte Clara geradeheraus.

Vater gab einen verächtlichen Laut von sich und schüttelte erneut den Kopf.

»Er ist über mich hergefallen wie ein Tier«, rechtfertigte sie sich.

»Eine Frau sollte einen Mann nicht dazu ermutigen«, erwiderte er schroff.

»Ermutigt? Hat er das etwa gesagt?«, fragte Clara fassungslos. Ihre schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten.

»Ernst ist ein preußischer Offizier. Ich habe keinen Grund, an seinem Wort zu zweifeln.«

»Vater! Hatten Sie etwa jemals einen Grund, am Wort Ihrer Tochter zu zweifeln?«, entfuhr es ihr. Das Gespräch wühlte Clara so auf, dass sie am ganzen Körper zu beben begann.

Vater hüllte sich wieder in Schweigen, doch Clara konnte an seiner Miene ablesen, dass es in ihm arbeitete.

»Ein junges Ding geht nicht allein mit einem Fremden mitten in der Nacht im Park spazieren. Was hätte Ernst denn sonst denken sollen?«

»Ein Fremder? Der Mann, den ich Ihrer Meinung nach heiraten soll? Der Mann, mit dessen Vater Sie Geschäfte planen?« Clara glaubte nicht, was sie da hörte.

»Genug jetzt!«, sagte er bestimmt. Sein Blick war nicht nur streng, sondern auch noch so vorwurfsvoll, dass Clara für einen Moment wahrlich darüber nachdachte, Ernst eventuell doch dazu ermutigt zu haben. Hatte sie ihm zu lange in die Augen gesehen? Hatte er in ihren am Ende gelesen, dass sie der Gedanke, einen Mann zu berühren, erregte? Hätte sie den Spaziergang tatsächlich ablehnen sollen? Alles Unfug!

»Ich habe ihm klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass ich keinerlei Intimität mit ihm wünsche«, sagte sie ebenfalls mit Bestimmtheit und so vehement, dass sich der letzte Hauch eines Zweifels an ihrer Mitschuld darin verlor.

»Ernst hat den Anstand, dich trotz alledem zu heiraten. Du solltest dich glücklich schätzen. Es gibt keine andere Möglichkeit. Das ist dir hoffentlich klar. Was ist, wenn ein Kind von ihm in dir heranwächst?«

Clara wurde augenblicklich heiß. Fieberhaft versuchte sie zu rekapitulieren, wann sie ihre letzte Blutung hatte. Das muss vor gut zwei Wochen gewesen sein. Die Möglichkeit, ein Kind von ihm in sich zu tragen, stand somit tatsächlich im Raum. Die Vorstellung daran erfüllte Clara mit Ekel. Die Aussicht auf gesellschaftliche Ächtung einer Frau, die ein uneheliches Kind hatte, wog schwer. Die Angst davor verblasste jedoch angesichts der Vorstellung einer Ehe mit diesem Mann zur Bedeutungslosigkeit.

»Außerdem weiß ich, dass er sehr viel für dich empfindet. Sieh ihm nach, was er getan hat. Zu deinem Besten. Er ist ein Mann …«, versuchte Vater zu erklären.

»Ein Mann? Ein Scheusal ist er! Ich werde ihn nicht heiraten«, widersprach sie ihm.

»Clara. Noch ist kein Schaden entstanden. Alle glauben, wir seien so früh gegangen, weil du unpässlich warst. Ernst tut aufrichtig leid, was er getan hat. Er macht sich schwere Vorwürfe, deinen Reizen nicht widerstanden zu haben. Glaub mir. Er wird dir ein guter Ehemann sein«, versuchte Vater, sie zu überzeugen. Sein Tonfall war ruhig wie immer, und gerade dieser Umstand machte Clara Angst.

»Ich werde ihn nicht heiraten«, stellte sie erneut klar.

»Der Termin ist in zwei Wochen. Ich werde morgen das Aufgebot bestellen«, sagte er.

Das schnürte ihr förmlich die Kehle zu. Wie sie ihren Vater kannte, würde er weiteren Widerspruch nicht dulden, also schwieg sie.

»Du wirst ein schönes Leben haben. In Hannover … Kind, mach uns nicht alle unglücklich«, beschwor er sie mit väterlicher Fürsorge, die Clara um ein Haar ins Wanken brachte, doch die Vorstellung, dass er sie um seiner Geschäfte willen verriet, überwog.

»Ich bin müde, Vater«, sagte sie nur, um zu vermeiden, dass im Zuge eines weiteren Gesprächs wieder Wut in ihr hochstieg und alles nur noch schlimmer wurde. Vater nickte wohlgefällig und mild, wie sie ihn kannte. Sein zuversichtliches Lächeln, das sie stets aufgemuntert hatte, erzielte nun aber das genaue Gegenteil. Für ihn war die Angelegenheit bereits abgehakt. Nichts würde ihn umstimmen können, den preußischen Hauptmann zu heiraten. Clara stand auf und sah ihn an, den Richter, der ein schlimmes Urteil über sie verhängt hatte: lebenslänglich an der Seite eines Ungeheuers, eines Mannes, den sie niemals lieben würde; lebenslänglich an einen Herd und an gesellschaftliches Geplänkel gekettet. Er hatte eben ihre Träume begraben. Er war nicht mehr ihr Vater, sondern zum Henker geworden, der ihr einen Strick um den Hals gelegt hatte. Zur Hinrichtung würde es aber nicht kommen.

An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken. Clara saß an ihrem Fenster, starrte hinaus auf die menschenleeren Straßen und überlegte fieberhaft, wie sie sich dieser Heirat entziehen konnte. Gesetzt den Fall, dass sie nicht schwanger war, könnte sie Unfruchtbarkeit vortäuschen und dies damit begründen, dass ihre Tante mütterlicherseits auch keine Kinder hatte bekommen können. Welcher Mann würde eine solche Frau ehelichen? Wenn sie Ächtung in Kauf nahm, könnte sie Ernst bloßstellen und ihn anzeigen, doch wer würde einer Frau glauben, der nicht einmal der eigene Vater Glauben schenkte? Es gab nur noch eine Möglichkeit. Sie musste weg von hier, noch in dieser Nacht. Tante Viktoria lebte nicht weit von hier in Bremerhaven. Dort konnte sie zumindest für ein paar Tage Unterschlupf finden. Aus irgendeinem Grund mochte Viktoria ihren Vater nicht. Clara konnte also sicher sein, dass sie sich nicht mit ihm in Verbindung setzte und stillhielt. Alles schien schlagartig so einfach zu sein. Clara blickte hinauf zu ihrem Schrank, auf dem der Koffer stand, mit dem sie gemeinsam mit ihrem Vater nach Indien gereist war. Die schönen Erinnerungen hinderten sie prompt daran aufzustehen. Kurzerhand alles aufzugeben flößte ihr urplötzlich Angst ein. Sie würde ihren Vater vermutlich nie wiedersehen, wenn sie das Haus noch heute Nacht verließ. Und wenn sie tatsächlich ein Kind von Ernst in sich trug? Die lähmende Schwere dieser Überlegungen verflüchtigte sich jedoch, als sie erneut an das »Urteil«, die Höchststrafe einer Ehe mit Ernst dachte. Clara stand abrupt auf und holte den Koffer leise vom Schrank. Ein paar Kleidungsstücke mussten genügen. Etwa einhundert Mark hatte sie gespart und in einer Kiste im Schrank versteckt. Damit konnte sie sich für einige Zeit über Wasser halten. Das Geld würde reichen, um in eine andere Stadt zu reisen, möglicherweise sogar für eine Schiffspassage nach England. Sie könnte Deutsch unterrichten oder versuchen, eine Stelle im Handel zu bekommen. Erneut ergriff sie eine Welle der Angst. Vielleicht waren das ja alles nur wilde Träumereien, aus purer Verzweiflung geborene Illusionen. Mit Ausnahme von Tante Viktoria kannte sie keine andere Frau, die ihr Leben allein meisterte. Als Witwe, die den Krämerladen ihres verstorbenen Mannes übernommen hatte, genoss man nach wie vor Ansehen. Das war eine gänzlich andere Situation. Clara überlegte schon, sich als Waise auszugeben, um nicht in Misskredit zu gelangen. Die Lebendigkeit ihrer Gedanken und die vielen Möglichkeiten, die sie, ohne groß darüber nachzudenken, plötzlich im Kopf hatte, besiegten aber letztlich die Angst. Clara sah sich in ihrem Zimmer um und überlegte, was außer Kleidung sie noch mitnehmen würde. Sicher ihre Violine, auch wenn sie seit ein paar Jahren kaum mehr Gelegenheit gehabt hatte, darauf zu spielen. Die Briefe von Onkel Theodor zusammen mit den Reiseberichten von Captain Cook, die sie an kalten Winterabenden bereits mehrfach gelesen hatte, durften nicht fehlen. Die Bücher aus dem Englischunterricht ebenso wenig, doch sie waren schwer. Sie würde ihren Lederkoffer nicht lange tragen können. Clara entschied sich dazu, nur ihr Lieblingsbuch einer englischen Autorin namens Jane Austen mitzunehmen. Emma