Weltgeschichte to go - Alexander Graf von Schönburg - E-Book

Weltgeschichte to go E-Book

Alexander Graf von Schönburg

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Beschreibung

Der Espresso unter den Geschichtsbüchern: stark, gehaltvoll, anregend Eigentlich geht das gar nicht: die ganze Weltgeschichte auf 280 Seiten zu erzählen. Aber Alexander von Schönburg kann's, und er tut es so elegant und leichtfüßig, dass man plötzlich süchtig wird nach Geschichte. Er nimmt uns mit auf die Reise zu den wichtigsten Städten der Menschheit, von Babylon über Berlin bis New York. Die größten Helden werden benannt und die schlimmsten Schurken. Schönburg erzählt von Kunstwerken, Erfindungen und Ideen der Menschheit, vom Faustkeil bis zum Selfiestick. Zu Beginn, gleichsam zum Warmlaufen, fasst er über zwei Millionen Jahre Menschheitsgeschichte auf zehn Seiten zusammen, geleitet von der Frage: Wie hat es eine eher unbedeutende Affenspezies – in der Nahrungskette irgendwo zwischen Schaf und Löwe – geschafft, sich die Erde untertan zu machen? Überraschende Durchblicke quer durch das Dickicht der Jahrtausende, pointierte Anekdoten und Porträts (was verbindet Wladimir Putin und Karl den Großen?) und verblüffende Einsichten machen das Buch zu einem Leseerlebnis und zu einem echten Schönburg. Was er Ihnen über Geschichte nicht erzählt, werden Sie nicht vermissen.

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Seitenzahl: 284

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Alexander von Schönburg

Weltgeschichte to go

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Der Espresso unter den Geschichtsbüchern: stark, gehaltvoll, anregend

 

Eigentlich geht das gar nicht: die ganze Weltgeschichte auf 280 Seiten zu erzählen. Aber Alexander von Schönburg kann’s, und er tut es so elegant und leichtfüßig, dass man plötzlich süchtig wird nach Geschichte.

Er nimmt uns mit auf die Reise zu den wichtigsten Städten der Menschheit, von Babylon über Berlin bis New York. Die größten Helden werden benannt und die schlimmsten Schurken. Schönburg erzählt von Kunstwerken, Erfindungen und Ideen der Menschheit, vom Faustkeil bis zum Selfiestick. Zu Beginn, gleichsam zum Warmlaufen, fasst er über zwei Millionen Jahre Menschheitsgeschichte auf zehn Seiten zusammen, geleitet von der Frage: Wie hat es eine eher unbedeutende Affenspezies – in der Nahrungskette irgendwo zwischen Schaf und Löwe – geschafft, sich die Erde untertan zu machen?

Über Alexander von Schönburg

Inhaltsübersicht

Statt eines Vorwortes eine WarnungKapitel eins NussschaleKapitel zwei Die Big-Bang-Momente der WeltgeschichteKapitel drei Wo bitte geht’s zum Zentrum?Kapitel vier From Hero to ZeroKapitel fünf Das Humpty-Dumpty-ProblemKapitel sechs Oder kann das weg?Kapitel sieben Von Adam zu AppleKapitel acht Die Monster AGKapitel neun Die unsichtbare ArmeeKapitel zehn Alles hat ein Ende …NachschlagLiteraturDank

«Völker und Menschen, Torheit und Weisheit, Krieg und Frieden, sie kommen und gehen wie Wasserwogen, und das Meer bleibt. Was sind unsere Staaten und ihre Macht und Ehre vor Gott anders als Ameisenhaufen und Bienenstöcke, die der Huf eines Ochsen zertritt oder das Geschick in Gestalt eines Honigbauern ereilt.»

Otto von Bismarck

Statt eines Vorwortes eine Warnung

Es ist erst zehn Uhr morgens. Auf der Terrasse unseres Hotels sind es bereits dreißig Grad im Schatten. Ich sitze mit meinen Kindern beim Frühstück. Direkt vor unserer Nase: die Akropolis, die berühmteste Stadtfestung der Welt. In deren Mitte der Parthenon, der Tempel, den die Bewohner dieser Stadt einst der Göttin Athene erbauten. Aus Dankbarkeit, weil sie ihnen gegen die übermächtigen Perser beigestanden hatte, die damals eine Art Atommacht waren. Der Perserkönig mit seiner hochgerüsteten Superarmee hatte geglaubt, Athen wie eine lästige Fliege mit einem Patsch erledigen zu können. Aber dann kamen Marathon und Salamis, zwei Wundersiege der Weltgeschichte – so unwahrscheinlich wie eine 7:1-Niederlage der deutschen Nationalelf gegen Liechtenstein –, und der Gang der Geschichte änderte sich. Das Kaff Athen mit seinen abenteuerlustigen und geistig wie körperlich so wachen Menschen wurde zur Supermacht des Mittelmeerraums und prägt unser Tun bis heute.

Meine Frau hat sich schon lange von der Terrasse entfernt, sie hat keine Lust, bei der Bruthitze den anstehenden Familienausflug in die antiken Stätten mitzumachen, sich von mir im Stechschritt durch die Agora, den zentralen Versammlungspunkt des antiken Athen, jagen zu lassen. Außerdem ist sie zu Recht sauer auf mich, weil ich mich gestern Abend von einem Freund, dem Auslandskorrespondenten Paul Ronzheimer, ins Athener Nachtleben entführen ließ, während unsere Kinder sich Mühe gaben, ihr Hotelzimmer rockstarmäßig zu verwüsten. Meine Kinder sind Teenager, sie interessieren sich gerade mehr für das Frühstücksbuffet als für die imposanteste Ruinenlandschaft der Welt. Mein Jüngster hat sich eine Ladung Rührei mit Speck nebst Tonnen von Weißbrot geholt – eine Kalorienmenge, die drei Dutzend Spartaner eine Woche lang glücklich gemacht hätte. Meine Tochter versucht sich seit einer Stunde ins WLAN des Hotels einzuklinken. Sie ist kultiviert. Sie tut das, um in der digitalen Welt beweisen zu können, dass sie hier gewesen ist. Auf dem Instagram-Profil kann man ja anhand von Fähnchen auf einer kleinen Weltkarte nachvollziehen, von wo aus man seine Bilder hochgeladen hat. Ein Fähnchen auf Athen, ein Bild des weißen Parthenon, das sich von dem schwimmbadblauen Himmel abhebt, geschossen mit Hipstamatic, John S Linse, Ina’s 1969-Film macht sich gut.

Warum tue ich ihnen das an? Warum es nicht mit dem Panorama belassen und dann einfach eiscremeschleckend durch den Shopping-Distrikt Plaka schlendern? Was geht uns die Zivilisation, deren Ruine wir hier vor Augen haben, eigentlich an? Überhaupt: Warum nehmen wir Menschen uns so wahnsinnig wichtig? Warum erzählen wir uns fortwährend Geschichten aus unserer Vergangenheit?

Wäre es nicht ohnehin weiser, im Jetzt zu bleiben? Was bringt uns all das Zurückschauen? Darauf gibt es nur eine Antwort: Wir haben nichts anderes. Physikalisch gesehen ist das Jetzt nicht nachweisbar. Alles, was wir sehen, ist zumindest Vergangenheit. Das Glas neben mir sehe ich erst Bruchteile von Sekunden verspätet, verzögert um die Zeit, die das Bild gebraucht hat, auf meiner Netzhaut anzukommen. Wir sehen, wenn wir in den Nachthimmel blicken, etwa sechstausend Sterne mit bloßen Augen. Jedes Licht, das wir sehen, fällt zwar gerade erst auf die Erde, ist aber ur-uralt. Je weiter sich die Quelle von uns entfernt, desto älter ist es. Das älteste Licht ist dreizehn Milliarden Jahre alt und hat sich im Moment des Urknalls mit Lichtgeschwindigkeit auf die Reise gemacht.

Es gab eine Zeit, da schien dieses Interesse an uns selbst mehr als verständlich. Bis vor kurzem glaubten die Menschen tatsächlich, dass unser Planet der Mittelpunkt des Universums sei. Unweit von hier, in Delphi, steht ein Stein. Er kennzeichnete einst die Mitte der Welt. Heute wissen wir, dass wir nicht einmal im Mittelpunkt unseres eigenen kleinen Planetensystems sind, dass wir uns wie andere Planetensysteme nur an der Peripherie – in einem unscheinbaren Vorort – unserer Galaxie befinden. Einer Galaxie von Abermilliarden anderen. Das All gibt unserem Planeten Erde die Wichtigkeit einer Bazille im Nasenpopel eines Flohs auf einem Haar auf dem Schwanz eines von zigtausend Elefanten in der unendlichen Weite Afrikas … Ist es nicht lächerlich, wenn solch winzige Lebewesen wie wir ihre Zeit damit verbringen, aufzuschreiben, wer wann warum mit wem gestritten und regiert hat? Würde es unseren Planeten morgen nicht mehr geben, würde das in der Weite des Alls gar nicht bemerkt werden. Unsere spiralnebelhafte Galaxie, die wir Milchstraße nennen, würde sich, wie alle anderen Galaxien auch, seelenruhig weiter vor sich hin drehen. Oder ist das Quatsch? Gibt es das ganze Universum überhaupt nur, weil durch uns Licht darauf fällt, weil wir es sehen? Es wahrnehmen? Wenn keiner da ist, um etwas wahr-zu-nehmen, ist es dann überhaupt wahr?

Ringen wir uns aber ruhig einmal dazu durch, unseren Planeten für besonders interessant zu halten. Damit ist immer noch nicht gesagt, dass man automatisch alle Aufmerksamkeit auf den Spätankömmling Homo sapiens sapiens lenken muss. Also so, wie Geschichtsbücher es gerne tun – und in denen es dann meist heißt: «Und dann kam der Mensch». Als ob mit uns die Schöpfung beziehungsweise Evolution – je nachdem – vollendet sei. Als ob wir der krönende Abschluss eines Weltplans seien, der uns als Herrscher dieser Welt vorsieht.

Es geht in diesem Buch um diese seltsame Spezies Mensch, die sich blitzartig, quasi im Moment ihres Erscheinens, den Planeten untertan macht. Um diese unsere seltsame Spezies zu begreifen, ist es sehr lohnenswert, zunächst den frühen Homo sapiens kennenzulernen. Aus einem ganz einfachen Grund: Wir sind dieser frühe Mensch. Uns gibt es schon so viele Hunderttausende Jahre, dass die letzten paar tausend Jahre menschlicher Kultur kaum eine Chance hatten, uns nennenswert zu verändern, und wir kaum Gelegenheit hatten, uns an die von uns geschaffenen Gegebenheiten anzupassen. Seit mindestens 150000 Jahren gibt es uns exakt so, wie wir heute sind. Rein äußerlich – und auch was unsere Gehirnleistung angeht – unterscheiden wir uns in nix von unserem Ahnen, der damals gelebt hat. Vermutlich war er sogar noch etwas intelligenter als wir, weil er in seinem Kopf Tausende Informationen, von denen sein Leben abhing, speichern und deuten musste – während wir oft genug aus Langeweile am Smartphone das Wetter checken oder CandyCrush spielen. Erst vor etwa 12000 Jahren fingen wir an, nicht mehr als Jäger und Sammler umherzustreifen. Seit dieser relativ kurzen vergangenen Zeit bauen wir, ernten wir, machen Behördengänge, schließen Bausparverträge ab und halten Termine ein. Der Mensch, der so viel darauf hält, «modern» zu sein, muss nur ein ganz einfaches Experiment machen, um zu spüren, wie wenig er sich rein körperlich von jenem frühen Menschen unterscheidet, der noch in Höhlen lebte und Mammuts jagte: ein Vollbad nehmen. Wenn das Wasser in der Wanne abkühlt, bekommen wir Gänsehaut. Unsere Vorfahren hatten mehr Körperhaare als wir: Wenn ihnen kalt wurde, half ihnen Gänsehaut, die Pelzhaare aufzurichten. Die Luft verfing sich zwischen ihren Haaren und wärmte sie.

Falls Sie keine Badewanne haben, laufen Sie mal an einem Tisch voller Essen vorbei: Seit ich weiß, dass die meisten meiner Vorfahren ihre Nahrung mühsam sammeln und jagen mussten, leuchtet mir zum Beispiel ein, warum ich an keinem halbwegs passablen Hotel-Frühstücksbuffet vorbeigehen kann. Vorhin hatte ich keinen Hunger, ich habe morgens nie Hunger. Aber Hunderttausende Jahre lang war für mich jede Nahrung ein Triumph, erzeugte ein Neuronen-Freudengewitter in meinem Hirn. Ich musste mir vorhin beim Frühstück den Teller vollladen. Tief in mir steckt die Ahnung, dass dies für lange Zeit wahrscheinlich die einzige Nahrung sein wird.

Sich für Geschichte zu interessieren heißt, sich für sich selbst zu interessieren. Geschichte betrachten wir aus einem einzigen Grund: um uns selbst zu betrachten. Wir werden sehen, dass es gute Gründe dafür gibt, sie aus der Perspektive unserer Spezies mit dem Hintergrund der von ihr geschaffenen Kultur zu erzählen.

Die ersten paar Millionen Jahre unserer Geschichte (lange, lange vor Badewanne und Hotelbuffet) werde ich weitgehend überspringen und mich auf die letzten paar tausend Jahre konzentrieren, etwa ab 10000 v. Chr., als wir anfingen, sesshaft zu werden. Wenn ich das tue, und das ist ausdrücklich als Warnung gemeint, gebe ich damit zugleich ein Werturteil ab. Nach dem Selbstverständnis der klassischen Geschichtsschreibung ist die sogenannte landwirtschaftliche Revolution, die vor etwa 12000 Jahren begann, der Beginn des Aufstiegs des Menschen, der Beginn von dem, was wir Zivilisation nennen. Die Geschichte aber erst ab dem Moment zu erzählen, an dem der Mensch anfängt, sich gegen die Natur zu stellen, ist zwar die übliche Vorgehensweise – aber man muss sich, bevor man ihr folgt, klarmachen, was für eine gewagte Behauptung dahintersteht. Die Behauptung nämlich, dass Geschichte dann wert ist, betrachtet zu werden, wenn der Mensch kein Natur-, sondern ein Zivilisationswesen ist, wenn er sich nicht mehr als Teil, sondern als Bezwinger der Natur begreift. Ebenso gut könnte man sich ja auf die ersten 150000 Jahre Menschheitsgeschichte beschränken. Man könnte argumentieren, dass dies die längste und bei weitem erfolgreichste Epoche menschlicher Geschichte gewesen sei. Man würde dann die vergangenen 12000 Jahre – die Zeit nach der landwirtschaftlichen Revolution – mit ein paar Worten am Ende abhandeln als ein trauriges Postskriptum der Geschichte quasi, in dem wir die Natur, die uns Tausende Generationen lang bestens versorgt hat, ausbeuten und zerstören. Ich tue das hier nicht. Aber ich finde, es ist ein Gebot der Fairness, darauf hinzuweisen, wie sehr es bereits ein Werturteil bedeutet, wenn ich mich hier auf die Zeit konzentriere, seitdem Menschen sesshaft geworden sind und Zivilisationen gegründet haben. Genauso wie es ein Werturteil ist, wenn wir von «unserer» Welt und «unserer» Umwelt sprechen. Auch damit mache ich, wie wir alle, deutlich, dass wir uns nicht als Teil der Natur sehen, sondern als etwas von der Natur Separates, im Zweifelsfall sogar als ihr Herr.

Es gibt aber übrigens auch einen sehr banalen und praktischen Grund, warum Geschichtsbücher sich meist auf die vergangenen 12000 Jahre konzentrieren, also auf die Zeit seit der landwirtschaftlichen Revolution: Es ist einfacher. Alles, was zeitlich und räumlich näherliegt, ist von Natur aus leichter zu betrachten und erlaubt genauere Kenntnisse. Erschwerend kommt dazu, dass wir über die Zeit vor unserer Sesshaftigkeit weniger wissen, weil es keine schriftlichen Zeugnisse gibt. Jäger und Sammler waren in der Regel schreibfaul. Die Idee mit der Schrift ist eine neumodische Erfindung, darauf mussten erst die Städter kommen.

Über den Aufstieg des Menschen in den vergangenen 12000 Jahren lohnt sich auch deshalb genauere Kenntnis, weil es sich um eine ziemlich bemerkenswerte Erfolgsgeschichte handelt. Wir haben es rasend schnell erstaunlich weit gebracht. Angefangen haben wir in der Nahrungskette irgendwo zwischen Schaf und Löwe, heute twittern wir aus dem All, bauen aus Neuronen Mini-Gehirne, um daran Medikamente zu testen, manipulieren unser Erbgut und entwickeln Superintelligenzen. Wenn man von Weltgeschichte spricht, hat man 4,5 Milliarden Jahre vor sich. Erste Menschenaffen, die Werkzeuge benutzen, gibt es seit etwa 3 Millionen Jahren. Äußerlich mit uns identische Menschen erst seit etwa 150000 Jahren, den Menschen als denkendes, planendes Wesen erst seit frühestens 70000 Jahren. 70000 Jahre Menschheitsgeschichte sind, wenn man 4,5 Milliarden Jahre Weltgeschichte vor Augen hat, nicht einmal ein Nano-Wimpernschlag. Von dem Moment, ab dem der Mensch beginnt, Steine zu spalten, bis zu dem, als er die Nato und Google gründet, Roboter und selbstfahrende Autos baut, vergeht, wenn die Weltgeschichte ein Hundert-Minuten-Film wäre, nur ein Bruchteil einer Sekunde – aber es passiert verdammt viel, das für uns interessant ist.

Hier kommt meine besondere Qualität als Dilettant ins Spiel: Ich bin Journalist, also das Gegenteil eines Fachmanns. Für den Leser dieses Buches ist das ein enormer Vorteil. Man muss ja nur Nietzsche lesen, um zu sehen, wohin es führen kann, wenn man zu tiefsinnig ist: Wenn man zu viel weiß, zu viel versteht, zu viele Zusammenhänge sieht, zu viele Informationen hat, endet das unweigerlich in der totalen Verwirrung. Nur mein Mut zur Lücke, zur Vernachlässigung der Details und die strikte Konzentration auf das Wesentliche (oder was ich dafür halte), befähigt mich zu diesem – angesichts der Fülle des Materials völlig übergeschnappten – Unterfangen, die Geschichte der Menschheit zu betrachten. Nur wenn Sie sich auf die Vereinfachungen eines Dilettanten wie mich einlassen, haben Sie überhaupt eine Chance, die Übersicht zu bewahren. Von dem großen Journalisten und Kulturphilosophen Egon Friedell gibt es eine tiefsinnige Verteidigung des Dilettanten, auf die ich mich berufen kann. Friedell fühlte sich, wenn ihm das D-Wort um die Ohren gehauen wurde, überhaupt nicht beleidigt. Im Gegenteil. Friedell hatte sich, wie Friedrich Torberg berichtet, als Theaterautor einen heftigen Verriss einer Wiener Zeitung eingefangen, mit dem Verdikt: «Diesen versoffenen Münchner Dilettanten wollen wir hier in Wien nie wieder sehen!» Friedell schrieb daraufhin an die Redaktion sinngemäß so: «Ich leugne nicht, dem Alkohol hin und wieder sehr zugetan zu sein. Auch in dem Wort Dilettant vermag ich nichts Negatives zu sehen, ist das doch jemand, der die Sache liebt, die er tut. Aber das Wort ‹Münchner› wird ein gerichtliches Nachspiel haben!» Allen menschlichen Betätigungen, erklärte Friedell in einem Brief an Max Reinhardt einmal, wohnte nur dann wirkliche Lebenskraft inne, wenn sie von Dilettanten ausgeübt würden. «Nur der Dilettant, der mit Recht auch Liebhaber, Amateur genannt wird, hat eine wirklich menschliche Beziehung zu seinen Gegenständen.»

Die Vereinfachung ist der einzig gangbare Weg, um Geschichte zu erzählen. Selbst die höchst wissenschaftlich betriebene Geschichtswissenschaft bedeutet immer: ordnen. Ordnen heißt zwangsläufig: in Schubladen stecken, interpretieren, deuten, im Nachhinein Zusammenhänge konstruieren. Wissenschaftlichkeit ist nichts anderes als der Versuch, Ordnung zu schaffen. Die Alternative ist ein unübersichtlicher, unzusammenhängender Daten- und Informationssalat. Schon wer anfängt aufzuzählen, wer wo geherrscht hat, steckt mitten im Sumpf der eigenwilligen Kategorisierung und Ordnung. Der große Nassim Nicholas Taleb, der Finanzmathematiker, dessen Buch «Der Schwarze Schwan» zu den einflussreichsten Büchern der Gegenwart zählt, nennt den menschlichen Zwang, die Dinge einzuordnen, «Platonität». Das Einordnen, das Verbindungen-Schaffen – das macht uns aber auch erst zu denkenden Menschen. Denken heißt: Verknüpfungen herstellen im Gehirn. Je geordneter und weniger zufällig die Daten miteinander verbunden werden, je stärker sie zum Muster werden, desto einfacher sind sie im Kopf zu speichern, weiterzuerzählen, in einem Buch aufzuschreiben. Wir brauchen, so Taleb, das Greifbare, das Deutliche, das Ins-Auge-Springende, das Packende, Romantische. Für das Abstrakte sind wir nicht gemacht. Das Problem ist nur, dass uns dabei ein Denkfehler unterläuft. Einordnen kann man immer nur im Nachhinein. Rückblickend sagen wir dann, dies oder das hatte so kommen müssen, die Französische Revolution oder der Erste Weltkrieg musste ausbrechen, weil dies oder das geschah … Nur, als es geschah, sah niemand, was sich da gerade anbahnte. Seit dem 11. September 2001 kann jeder das Phänomen des islamistischen Terrorismus erklären. Am 10. September konnte das noch kaum jemand. Das bedeutet übrigens auch, dass wir keinen blassen Schimmer haben, wie zukünftige Generationen über uns eines Tages urteilen werden.

Geschichte ist keine Wissenschaft, die objektive Wahrheit festhält. Manchmal enthalten sogar Märchen verdichtet mehr Wahrheiten als ganze Aktenordner voller Fakten. Vielleicht sind Geschichten wie die von Adam und Eva, die von der Auflehnung des Menschen gegen die vorgefundene Ordnung handelt, oder das babylonische Gilgamesch-Epos, das berichtet, wie der Mensch sich aufmacht, das ungnädigste Naturgesetz überhaupt, den Tod, zu besiegen, die wahrsten Geschichten schlechthin. Vielleicht kommt es gar nicht so sehr auf die wissenschaftliche Akkuratesse der Geschichtsschreibung an wie auf ihre therapeutische Wirkung. Vielleicht erzählen wir uns Geschichten nur, um uns zu trösten. Wir sind uns ja unserer eigenen Zeitlichkeit bewusst oder können uns so das Gefühl der Dauerhaftigkeit geben.

Hier in Athen, wo ich mich gerade befinde, wurde das Theater erfunden. Das klar definierte Ziel war, uns die Möglichkeit zu geben, uns selbst zu betrachten, unsere Sehnsüchte und Schattenseiten auf der Bühne gespiegelt zu sehen. In sicherer Distanz. Inszenierte Selbsttherapie-Sessions.

Geschichte kann auch schon deshalb keine Wissenschaft sein, weil alles davon abhängt, wer was wo erzählt. Wir denken im Narrativen. Geschichte heißt nun einmal in allererster Linie, Geschichten zu erzählen, daher ist es auch legitim, dass ich in diesem Buch immer wieder auf Mythen und Erzählungen eingehe, in denen sich Geschichte im wissenschaftlichen Sinne kondensiert hat. Wenn in ein paar Jahren ein Kongolese in Kinshasa – einer der am schnellsten wachsenden Städte der Welt – eine Weltgeschichte aufschreiben wird oder ein Buddhist vor fünfhundert Jahren am Rande des Himalayas im Königreich Mustang das tat, klingen natürlich beide Versionen anders als meine, als die eines weißen, wohlgenährten Europäers, in Athen am Laptop schreibend. Ich habe aber keine Perspektive außer meiner eigenen. Genauso benutze ich das Wort Europäer, obwohl ich weiß, dass das bereits eine Irreführung ist. Europa ist kein Kontinent, sondern eine Idee, die die Leute, die hier leben, seit zwei Jahrtausenden spinnen. Wir sind geologisch gesehen nur der allerletzte, zerklüftete Ausläufer einer riesigen Kontinentalplatte, die wir Asien nennen. Aber die Menschen, die auf diesem Erdzipfel leben, haben das Leben sämtlicher anderer Menschen auf dem Planeten ziemlich nachhaltig umgekrempelt. Deshalb ist es nicht nur verständlich, sondern – aus heutiger Sicht – sogar geboten, wenn ich die Geschichte aus europäischer Warte schildere. Oder, um es mit den Worten des mexikanischen Filmemachers Alejandro González Iñárritu zu sagen: «Es geht um den Umgang des weißen Mannes mit anderen Hautfarben, mit der Natur, den Tieren, dem Leben überhaupt.» Was ist mit den anderen Mega-Zivilisationen? Warum hat China Australien entdeckt, aber nie daran gedacht, es zu erobern? Warum haben die Europäer Amerika entdeckt und nicht umgekehrt? Warum haben sich die Mayas nicht nach Europa – oder auch nur Südamerika – aufgemacht? Diese Fragen werden zu klären sein.

 

Wie gehe ich vor? Was erwartet Sie? Der Philosoph Karl Jaspers, kein Mann der Vereinfachung, teilt die Menschheitsgeschichte in vier Perioden auf. Viermal, schreibt er, schafft der Mensch neue Grundlagen. Erst beginnt die Periode, in der Sprache und Werkzeuge entstehen. Dann folgt für Jaspers Phase zwei, in der die Menschen nicht mehr jagen und sammeln und stattdessen säen, ernten, große Reiche bauen. Für Phase drei, das erste Jahrtausend vor Christus, hat er das schöne Wort «Achsenzeit» gefunden. Das ist die Zeit, in der wir geistig nach den Sternen greifen, philosophieren, Ideengerüste erstellen, die Weltreligionen entstehen. Die vierte Phase ist unsere Epoche, die technisch-wissenschaftliche Zeit. Wie jede Kategorisierung ist sie absurd. Und sehr hilfreich. Ich halte mich weitgehend an Jaspers’ Aufteilung und treibe das sapienstypische Formgefühl sogar noch ein Stück weiter. Am Ende jedes Kapitels folgen Top-10-Listen, die das behandelte Thema zusammenfassen. Beat that, Jaspers!

Nach einem Schnelldurchlauf für eilige Leser widme ich mich in den zehn Hauptkapiteln jeweils der Weltgeschichte als Ganzes, aber immer wieder aus anderem Blickwinkel. Dem Kapitel über die wichtigsten Ereignisse der Menschheitsgeschichte folgt ein Kapitel, das die Weltgeschichte anhand des Aufstiegs wichtiger Städte schildert, dem folgt ein Kapitel über Helden der Geschichte, eines über die großen Ideen, eines über die großen Kunstwerke und eines über die bahnbrechendsten Erfindungen. Und dann noch, für die rechte Würze, ein Kapitel über die größten Schurken und über die großen Worte. Am Schluss müssen wir, so leid es mir tut, über das Ende der Welt sprechen, aber damit Sie das nicht betrübt, warten noch ein paar überraschende Einsichten in geschichtliche Zusammenhänge auf Sie.

Sie werden in diesem Buch natürlich viele Namen, Ereignisse und Daten vermissen: Dies ist kein Handbuch zur Weltgeschichte. Es geht jedenfalls sicher nicht um Jahreszahlen von Schlachten und Revolutionen oder die Namen einzelner Herrscher. Ich glaube nicht einmal, dass sich jemand tatsächlich für das Leben der Athener um 400 v. Chr. oder die Sorgen der Römer um 10 n. Chr. interessiert. Was an Geschichte tatsächlich interessiert, sind die Fragen, die sich aus der Betrachtung des alten Athens für uns ergeben, und was die Antworten auf die Fragen, die sich die Menschen damals stellten, für uns gegenwärtig bedeuten. Laut Thukydides ist Geschichte nichts anderes als Philosophieunterricht an Beispielen. Bitte erwarten Sie also eher Beispiele aus der Vergangenheit, die uns heute betreffen, statt einer Art Kompendium oder Nachschlagewerk.

Noch eine Vorwarnung: Sie werden in diesem Buch keinen einzigen Gedanken finden, der nur von mir ist. Vor originellen Gedanken zu diesem Thema muss allerdings auch deutlich gewarnt werden. Wer Spengler und Marx gelesen hat, zwei der Letzten, die sich an originellen Geschichtstheorien versucht haben, weiß, was ich meine. So etwas kippt schnell ins Scharlatanhafte. Für Marx muss der Mensch nur von seinen Ketten befreit werden, dann wird für immer alles gut. Für Spengler sind Zivilisationen wie Früchte mit beschränkter Lebensdauer: Sie halten von Blüte bis Fäulnis etwa ein Jahrtausend und gehen dann unter; alles folgt einem schicksalhaften Lauf. Ich gelobe hier also in aller angemessenen Ernsthaftigkeit, keine originellen Thesen vorzutragen. Alle wesentlichen Gedanken über den Menschen wurden hundert-, ja, tausendfach vor mir bereits gedacht. Die Welt ist jetzt so alt, es haben seit Jahrtausenden so viele bedeutende Menschen gelebt und gedacht, dass wenig Neues mehr zu finden und zu sagen ist. Der letzte Gedanke ist meiner, so formuliert gefunden habe ich ihn aber bei einem Schriftsteller namens Goethe. Ist er jetzt nicht mehr meiner? Um jeder Guttenbergisierung zuvorzukommen, bekenne ich sicherheitshalber also hier schon, dass ich als Zwerg auf den Schultern von Riesen stehe. Und das ist gut so.

Eine kleine Übersicht finden Sie am Ende des Buches; besonders verpflichtet bin ich für das frühe Altertum Jan Assmann, für die Antike dem großen Sir Moses Finley, für die Spätantike Peter Brown. Für das Mittelalter dem leider 2014 im Alter von neunzig Jahren verstorbenen Jacques Le Goff. Ich hielt mich an die Bücher und Vorlesungen des großen Berliner Kultur- und Geistesgeschichtlers Alexander Demandt. Und an Norbert Elias, Karl Jaspers, Karl Popper und Isaiah Berlin, weil Soziologen und Philosophen am Ende doch die einsichtsreichsten Geschichtsschreiber sind. Isaiah Berlin, den wohl größten liberalen Denker unserer Zeit, durfte ich kurz vor seinem Tod einmal in seiner Schreibkammer in Oxford besuchen, um mit ihm über Aufklärung und Liberalismus zu streiten. Den größten Input genoss ich aber von meinem Freund Yuval Harari, Professor an der Universität von Jerusalem. Ohne sein Buch «Sapiens»[*] gäbe es dieses hier nicht. Bei meinem Besuch im Herbst 2014 hatte Yuval gerade die Fortsetzung seines «Sapiens» fertiggestellt. Für dieses Buch hat er mir wertvolle Ratschläge gegeben.

«Der heiße Indus und der kalte Araxes berühren sich, Perser trinken aus Elbe und Rhein, die Göttin des Meeres wird neue Welten enthüllen, und Thule wird nicht mehr die äußerste Grenze der Erde sein.»

Seneca

Kapitel einsNussschale

4,5 Milliarden Jahre im Schnelldurchlauf

Es ist schnell erzählt, den Anfang der Geschichte kennt eh niemand: alles, was «davor» war. Was dann vor etwa 13 Milliarden Jahren geschah, weiß man aber ziemlich genau: Ein minimaler Kosmos explodiert mit maximaler Energie, die auseinanderfliegenden Astralkörper entfernen sich voneinander wie auf einem sich blähenden Ballon. Es entstehen Raum, Licht, Zeit. Keiner kann sagen, warum das geschah. Aber dass es so war und wann es war, kann man an der Entfernung der sich immer noch explosionsartig entfernenden Sterne ablesen.

Überspringen wir diese ein wenig unheimliche Sache mit dem Urknall und auch die lange, sehr lange Geschichte der Entstehung der Erde. Beim Auseinanderfliegen des Kosmos entstehen wegen der Gravitation Gaskugeln und Sterne. Unsere Sonne, ein winziger Fixstern, entstand vor etwa 5,5 Milliarden Jahren, unsere Erde, die die Sonne treu umkreist, ist nur etwa 1 Milliarde jünger und war die längste Zeit davon ein ziemlich unfreundlicher Ort. Mehr als 4 Milliarden Jahre lang glüht und blubbert alles vor sich hin. Die längste Zeit der Erdgeschichte, nämlich 3,5 Milliarden Jahre lang, besteht unser Planet aus Ursuppe mit Algeneinlage. Man möchte nicht wissen, was damals 3,5 Milliarden Jahre lang in den Abendnachrichten gesendet wurde …

Vor etwa 500 Millionen Jahren geschieht dann etwas Seltsames: Leben. Die sogenannte kambrische Explosion. Es entsteht – gemessen an den zeitlichen Dimensionen, die wir hier betrachten – blitzartig: Landpflanzen, Hartschalen-Tiere, erste Fischlein, Amphibien, Insekten, schließlich Reptilien, Vögel. In kürzester Zeit ein Wachsen, Wuseln, Kreuchen, Fleuchen und Kriechen in nie gekannter Vielfalt und Pracht. Dann folgen ein paar Einschläge von Asteroiden oder Kometen, manche Tier- und Pflanzenarten sterben, für andere entsteht Platz.

Spulen wir vor: Die nächsten 497 Millionen Jahre ziehen sich noch mal, bis es dann vor etwa 3 Millionen Jahren wieder interessant wurde, weil eine Tierart verhaltensauffällig wird. Manche Affenarten, die wie alle Affen auf ein insektenfressendes Spitzhörnchen zurückgehen, beginnen, sich seltsam zu benehmen. Sie gehen aufrecht, haben dadurch die Hände frei. Es entwickelten sich mehrere Menschenaffenarten. So wie es verschiedene Hunde und Vögel gibt, gab es mindestens 2 Millionen Jahre lang verschiedene Homo-Unterarten. In Europa und Westasien entwickelte sich der Neandertaler. In Asien gab es auch den Homo soloensis und den kleinen Homo floresiensis, der als «Hobbit» Eingang in die Populärliteratur gefunden hat und erst vor 12000 Jahren ausgestorben ist.

Der technische Fortschritt zwischen 3 Millionen Jahren und 70000 Jahren vor unserer Zeitrechnung ist dann wieder verblüffend zäh. Nach den ersten Faustkeil-Exemplaren kam Millionen Jahre lang kein Faustkeil 2.0. Kein Steve Jobs weit und breit. Sehr spät, um besagte 70000 vor Christus herum, katapultiert eine Verschaltung im Gehirn eine der vielen Menschenarten, den ostafrikanischen Homo sapiens, weit nach vorne. Eines seiner evolutionären Handicaps – er brachte Frühgeburten auf die Welt – begünstigte wohl seine kommunikativen Fähigkeiten. Statt nur zufällig rumliegende Steinwerkzeuge aufzusammeln, gibt es plötzlich regelrechte Werkstätten. Die organisatorischen, technischen Fähigkeiten explodieren. Wir sprechen, malen, spielen, planen, treiben Handel. Wir werden zu denkenden Menschen. Die sogenannte kognitive Revolution beginnt. Sie ereilt uns zu einer Zeit, zu der es sehr wenige von uns gab. Mehrere Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche sorgten dafür, dass unsere Anzahl vor etwa 70000 Jahren auf knapp unter zehntausend schrumpfte. Das heißt erstens, dass wir schon einmal beinahe ausgestorben wären, und zweitens, dass wir alle sehr nah miteinander verwandt sind. Die Queen, «El Chapo» und Elvis Presley gehören genetisch gesehen zur allerengsten Familie jedes Lesers dieser Zeilen.

Vor etwa 12000 Jahren folgt dann der vielleicht folgenreichste Schnitt: die Sesshaftigkeit. Wir jagen und sammeln nicht mehr nur, wir pflanzen, ernten, bleiben. Wahrscheinlich nicht ohne erhebliche Konflikte zwischen den traditionellen, ungebundenen und den sesshaften Kulturen. Die Sesshaften setzten sich durch, weil sie in größeren Mengen und auf Vorrat Nahrung und somit Energie speichern konnten. Das zwang sie allerdings auch dazu, immer mehr zu produzieren, um die wachsende Bevölkerung ernähren zu können. Ab diesem Punkt gibt’s kein Zurück mehr. Wer einmal sitzt …

Danach wird’s so schnell, dass man kaum noch mitkommt. Mit dem Besitz kommen das Zählen und das Schreiben. Mit der Sesshaftigkeit gibt es auch eine Heimat, die es zu verteidigen gilt. Vorausplanung ist notwendig geworden. Und es gibt viel zu beachten, zu besorgen und zu bewachen: Mauern, Wachen und Waffen zur Sicherung und Verteidigung werden gebraucht; Häuptlinge müssen gefunden werden, die die Verteidigung organisieren; Nahrungsvorräte für die wachsende Bevölkerung müssen geschaffen werden; der Erfolg der Nahrungsversorgung wird abhängig vom Wetter. Es machen sich Herrscher breit, die denen, die die Nahrung anbauen, die Überschüsse wegnehmen; Priester, die glauben, Dürren zu verhindern zu wissen, treten auf den Plan. Die Metallherstellung fördert die zunehmende Arbeitsteilung, soziale Schichten entstehen – das verlangt Organisation. Wir gründen Städte, führen Kriege, bauen Nationen, Großreiche, Aquädukte, Zahnräder, Zentralheizungen, Mikrowellenöfen, Aktiengesellschaften, Smartphones und Herzschrittmacher.

Ab der landwirtschaftlichen Revolution ist es nun üblich, die großen Supermächte aufzuzählen. Man fängt traditionsgemäß mit den Sumerern und Assyrern an, erzählt dann vom sagenhaften Babylon, schmückt das ein wenig aus, indem man Sakralprostitution und solche Ferkeleien erwähnt, beschreibt die immer neuen Wellen von Völkerwanderungen, durch die Sippen aus den Steppen Asiens und dem östlichen Mitteleuropa nach Süden drängen und andere Sippen vor sich herschieben. Man wendet sich den Persern zu, dann den Ägyptern, schwenkt nach China und an den Indus, bis endlich die Griechen und die Römer dran sind. Das ist ganz unterhaltsam. Aber letztlich siegt einfach immer in einer Ecke unseres Planeten ein Nomadenstamm über den nächsten, eine Hochkultur über eine andere. Interessanter als das Aufzählen all des Gegeneinanders ist eigentlich, in welch rasanter Geschwindigkeit aus komplett isolierten Kulturen am Ende die eine vernetzte Welt wurde. Ein Herrscher in Mesopotamien konnte sich im 13. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung noch guten Gewissens «König der vier Weltufer» nennen. Er wusste nichts von einem chinesischen König. Und keiner dieser beiden ahnte etwas von Mayas. Sie hätten genauso gut auf unterschiedlichen Planeten leben können.

Im 4. vorchristlichen Jahrhundert gründete Alexander der Große Städte vom Mittelmeer bis zum Indus. Um das Jahr von Christi Geburt waren Völker weltweit schon miteinander in Berührung. Nero schickte Expeditionen zu den Quellen des Nils, der Jesus-Jünger Thomas predigte am Indus. Dann rollte eine Welle arabischer Eroberungen durch die Mittelmeerwelt, und der Islam schuf ein multikulturelles Weltreich. Schließlich handelten am Ende des ersten Jahrtausends nach Christus Juden, Christen, Wikinger und Chinesen mit Gütern über Kontinente hinweg.

Nach den Kreuzzügen war die Welt im 12. und 13. Jahrhundert bereits so vernetzt, dass der Papst Briefe an Mongolen in China schrieb, um Hilfe gegen die Muslime zu erbitten, Übersetzungen alter griechischer Texte aus dem arabischen Raum nach Westeuropa strömten und es international vernetzte Universitäten, verbindliche internationale Rechtsvorschriften und Welthandelsmetropolen gab. Das Wort «Globalisierungsgegner» ist eines der dümmsten Wörter im Sprachgebrauch. Genauso gut könnte man Pflanzenwachstumsgegner sagen. Seit mindestens 2000 Jahren ist die Vernetzung, die man Globalisierung nennt, in fortschreitend zunehmendem Tempo in vollem, unaufhaltsamem Gang. Viele Texte des Staatsrechtlers Carl Schmitt sind zu Recht umstritten, aber ein winzig kleines Büchlein von ihm ist unumstritten genial: «Land und Meer» hat er für seine Tochter Anima während des Zweiten Weltkriegs geschrieben. Er versucht ihr darin die Welt zu erklären. Schmitt beschreibt die Menschheitsgeschichte als eine Geschichte der Raumüberwindung.

Die folgenreichste «Raumrevolution», wie er es nennt, war der Schritt aufs Meer. Den Küsten entlang zunächst, dann hinaus in die unbekannte Weite. Er beschreibt, wie Wikinger, Walfänger und Piraten die Ersten waren, die sich auf das offene Meer hinaus wagten. Auf den von ihnen ausgeguckten Routen eroberten dann, im wissenschaftlich und militärisch hochgerüsteten 15. und 16. Jahrhundert, Nationalstaaten die Weltmeere. Es ist die Zeit der Eroberung Amerikas, des Welthandels, der Weltimperien. Es bewahrheitet sich der Satz des Weltentdeckers Sir Walter Raleigh: «Wer die See beherrscht, beherrscht den Handel der Welt, und wer den Handel der Welt beherrscht, dem gehören alle Schätze der Welt und tatsächlich die Welt.» Schmitts Kategorisierung verschiedener Raumrevolutionen war so genial, weil er damit das Phänomen der Globalisierung als Erster benannt hatte. England stieg zur größten Seemacht auf, wurde mit der Erfindung der Maschinen auch zur größten Maschinenmacht. Die erste leistungsfähige Dampfmaschine stand 1770 in England, ebenso wie 1786 der erste mechanische Webstuhl, hier fuhr 1804 die erste Dampflokomotive, hier wurden 1825 erstmals Personen auf Schienen befördert. Großbritannien war Mitte des 19. Jahrhunderts ein fast übermächtiges globales Imperium. Der spätere britische Premierminister Disraeli phantasierte 1847 in seinem Buch «Tancred oder der neue Kreuzzug», die Königin von England solle den Sitz ihres Reiches von London nach Delhi verlegen. Britische Firmen wie die East India Company waren sogar mächtiger als Google heute, verfügten über eigene Armeen und konnten über Krieg und Frieden entscheiden. An der Schwelle vom 19. ins 20. Jahrhundert löst Amerika allmählich seinen ehemaligen Kolonieherren England als weltbestimmende Macht ab.

Die Erfindung von Telegraphie, Funk, Radio und Telefonie zwischen 1835 und 1910 hob dann, um den Gedanken von Carl Schmitt weiterzuspinnen, weitere Raumgrenzen auf: 1850 werden die ersten Seekabel zwischen Europa und Amerika verlegt, 1866 baut Siemens elektrische Generatoren, 1903 wagen die Gebrüder Wright erstmals einen motorisierten Flug. Kampfflugzeuge gibt es 1913, nicht einmal zehn Jahre später baut die Flugzeugwerft Junkers in Dessau schon Passagierflugzeuge in großer Stückzahl, 1931 fliegt Pan Am die ersten Langstrecken (von Miami nach Buenos Aires). Im Jahr 1969 folgt der ultimative Zusammenbruch von Raumgrenzen mit der ersten Verbindung zur Datenübertragung zwischen Computern – und der Mondfahrt. Heute muss man nicht einmal mehr ein Schiff in Bewegung setzen oder ein Flugzeug besteigen, um am anderen Ende der Welt etwas bewirken zu können oder gar einen Satelliten im All zu steuern. Es genügt ein Mausklick. Die ganze Welt ist eins geworden. Es gab Zeiten, da hatten Menschen in jedem Flusstal, in jeder Sippe ihre eigenen Kulte, da herrschten auf der ganzen Welt verschiedene Methoden, zu zählen, zu bauen und seine Toten zu begraben. Heute gibt es Weltreligionen (zu denen streng genommen auch rein weltliche Erlösungsversprechen wie der demokratische Liberalismus gehören), wir benutzen alle bei Bedarf das gleiche Zahlungssystem und leben in fast identischen Gebäuden.