Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden - Genki Kawamura - E-Book

Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden E-Book

Genki Kawamura

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Beschreibung

Sinnsuche auf Japanisch - was im Leben wirklich zählt

Ein junger Briefträger erfährt überraschend, dass er einen unheilbaren Hirntumor hat. Als er nach Hause kommt, wartet auf ihn der Teufel in Gestalt seines Doppelgängers. Er bietet ihm einen Pakt an: Für jeden Tag, den er länger leben möchte, muss eine Sache von der Welt verschwinden. Welche, entscheidet der Teufel. Der Briefträger lässt sich auf dieses Geschäft ein. Am Tag darauf verschwinden alle Telefone. Am zweiten Tag die Filme, am dritten alle Uhren. Als am vierten Tag alle Katzen verschwinden sollen, gebietet der Briefträger dem Teufel Einhalt. Und macht etwas völlig Überraschendes ...

Genki Kawamura stellt in seinem Roman, von dem in Japan über eine Millionen Exemplare verkauft worden sind, die einfache Frage: Was macht ein gutes und erfülltes Leben aus?

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Das Buch:

Aus heiterem Himmel erfährt ein junger Briefträger, dass er nicht mehr lange zu leben hat. Als er nach Hause kommt, wartet auf ihn der Teufel in Gestalt seines Doppelgängers. Der Teufel bietet ihm einen Pakt an: Für jeden Tag, den er länger leben möchte, muss eine Sache von der Welt verschwinden. Welche, entscheidet der Teufel. Der Briefträger lässt sich auf dieses Geschäft ein. Am Tag darauf verschwinden alle Telefone. Am zweiten Tag die Filme, am dritten alle Uhren. Als am vierten Tag alle Katzen verschwinden sollen, gebietet der Briefträger dem Teufel Einhalt. Und macht etwas völlig Überraschendes … Genki Kawamura hat einen inspirierenden Roman darüber geschrieben, was im Leben wirklich zählt.

Der Autor:

Genki Kawamura, 1979 in Yokohama geboren, ist ein japanischer Filmproduzent und Autor. Mit seinem ersten Roman »Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden« hat er einen internationalen Bestseller vorgelegt, der auch erfolgreich verfilmt worden ist.

Aus dem Japanischenvon Ursula Gräfe

C. Bertelsmann

Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel Sekai kara neko ga kieta nara im Verlag Magazine House, Tokyo.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 2012 by Genki Kawamura

All rights reserved.

Publication rights for this German edition arranged through Kodansha Ltd, Tokyo

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018 beim Verlag C. Bertelsmann, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Sabine Herting

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de, München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-21494-4 V002

www.cbertelsmann.de

Wie wäre es wohl, wenn alle Katzen von der Welt verschwänden?

Wie würde sie sich verändern? Wie würde mein Leben sich verändern?

Und wenn ich auf einmal von der Welt verschwände?

Würde wie immer ein neuer Morgen anbrechen, ohne dass sich auf der Welt etwas verändert hätte?

Der hat ja merkwürdige Ideen, denken Sie jetzt vielleicht.

Aber ich möchte, dass Sie mir glauben.

Die Ereignisse, die ich Ihnen hier schildere, sind mir in den letzten sieben Tagen tatsächlich zugestoßen.

Es waren äußerst seltsame sieben Tage.

Und ich werde bald sterben.

Warum?

Das erzähle ich Ihnen jetzt. Die Geschichte wird wahrscheinlich ziemlich lang. Aber ich wäre froh, wenn Sie sie bis zum Schluss lesen könnten.

Denn sie ist so etwas wie mein Abschiedsbrief, mein Vermächtnis.

Montag Der Teufel kommt

Mir fielen keine zehn Dinge ein, die ich vor meinem Tod noch unbedingt tun wollte. Ich hatte einmal einen Film gesehen, in dem die Heldin kurz vor ihrem Lebensende eine solche Liste zusammenschrieb.

Aber diese ganze Situation war mehr oder weniger erlogen.

Vielleicht ist »erlogen« nicht das richtige Wort, aber zumindest ist so eine Liste nicht realistisch, soll heißen, sie ist völlig ohne Belang.

Ob das mein Ernst ist?

Ja, ist es.

Woher ich das weiß?

Ich habe es ausprobiert. Und es ging ziemlich daneben.

Folgendes geschah:

Obwohl mich eine hartnäckige Erkältung plagte, ging ich jeden Tag meiner Arbeit als Postbote nach. Ich hatte Fieber und verspürte ein Stechen in meiner rechten Kopfhälfte. Mit rezeptfreien Medikamenten kam ich irgendwie über die Runden (denn ich hasste es, zum Arzt zu gehen), doch als nach zwei Wochen noch immer keine Besserung eintrat, ließ ich mir einen Termin geben. Das war vor sieben Tagen.

Es stellte sich heraus, dass ich nicht erkältet war.

Ich hatte einen Gehirntumor. Im Endstadium.

So die Diagnose. Der Arzt gab mir bestenfalls noch ein halbes Jahr, aber vielleicht bleibe mir nicht einmal mehr eine Woche. Er klärte mich über die verschiedenen Möglichkeiten auf: Bestrahlung, Chemotherapie, Aufnahme in einem Hospiz. Aber ich bekam überhaupt nichts mit.

In meiner Kindheit waren wir in den Sommerferien immer ins Schwimmbad gegangen, wo ich in das blaue, kühle Becken sprang. Es klatschte und spritzte, und ich ging unter.

»Du musst dich vorher abkühlen«, sagte meine Mutter. Aber ihre Stimme drang nur gedämpft durch das Wasser, ich hörte sie nicht gut.

So ähnlich erging es mir jetzt.

Endlich waren die langwierigen Untersuchungen beendet.

Der Arzt hatte kaum zu Ende gesprochen, als ich meine Tasche fallen ließ und mit weichen Knien aus dem Raum wankte. Er wollte mich aufhalten, aber ich rannte schreiend aus der Klinik, rempelte Leute an, fiel hin, stand wieder auf, rannte um mich schlagend weiter, rannte und rannte bis auf eine Brücke, wo ich zusammenbrach und mich schluchzend am Boden wälzte …

So hätte es sein können, so war es aber nicht.

In Extremsituationen reagiert der Mensch oft außergewöhnlich ruhig.

Als Erstes dachte ich an irgendeinen Blödsinn, nämlich, dass ich von der Massagepraxis in meinem Viertel noch einen Stempel brauchte, um Anspruch auf eine kostenlose Behandlung zu haben, und dass ich gerade große Vorräte an Toilettenpapier und Waschmittel gekauft hatte.

Aber der eigentliche Schock stand mir noch bevor.

Ich war erst dreißig Jahre alt. Immerhin älter als Jimi Hendrix und Basquiat bei ihrem Tod, dennoch hatte ich das Gefühl, dass mir noch einiges zu tun blieb. Aufgaben, die nur ich auf dieser Welt erfüllen konnte. Die musste es doch geben.

Allerdings fiel mir keine einzige ein.

Ich lief wie betäubt durch die Gegend, bis ich am Bahnhof zwei junge Männer sah, die Gitarre spielten und sangen.

Kurz ist das Leben auf dieser Welt

Deshalb tu ich, was mir gefällt

Tu bis zum letzten Tag

Nur das, was ich mag …

Idioten! Hatten die denn überhaupt keine Fantasie? Dann singt doch für den Rest eures Lebens vor dem Bahnhof, dachte ich grimmig.

Am Ende meiner Kräfte und im Zustand völliger Ratlosigkeit kam ich nach einer Ewigkeit zu Hause an. Schweren Schrittes schleppte ich mich die Treppe hinauf, und als ich die schäbige Tür öffnete und mein Blick in meine winzige Wohnung fiel, holte mich endlich die Verzweiflung ein. Mir wurde buchstäblich schwarz vor Augen, und ich verlor das Bewusstsein.

Nach mehreren Stunden kam ich in meinem Flur wieder zu mir.

Vor mir lag ein rundes, schwarz-weiß-grau meliertes Knäuel. Es miaute. Mein Blick schärfte sich. Ach, mein Kater.

Mein liebes Katerchen. Vier Jahre lebten wir schon zusammen.

Er schnupperte an mir und miaute noch einmal besorgt. Zumindest war ich noch nicht tot. Ich setzte mich auf. Ich hatte noch immer Fieber und Kopfschmerzen. Der Tod war eine Realität.

»Freut mich, dich kennenzulernen!«, tönte eine beschwingte Stimme aus dem Wohnzimmer.

Ich blickte auf und sah – mich.

Genauer gesagt, ich sah jemanden in meiner Gestalt, denn ich war ja hier im Flur.

Gleich kam mir der »Doppelgänger« in den Sinn. Ich hatte einmal in einem Buch etwas darüber gelesen. Bei einem Doppelgänger handele es sich um ein Alter Ego, das mitunter den bevorstehenden Tod des eigentlichen Egos ankündige. War ich dabei, den Verstand zu verlieren? Oder holte mich der Tod gar schon? Wieder drohten mir die Sinne zu schwinden, aber irgendwie schaffte ich es, mich aufrecht zu halten und mich der Erscheinung zu stellen.

»Äh – darf ich fragen, wer Sie sind?«

»Was glaubst du denn, wer ich bin?«

»Nun ja … Vielleicht der Totengott?«

»Der Totengott? Dieser erbärmliche Wicht?«

»Wicht?«

»Ich bin der Teufel!«

»Der Teufel?«

»Ja, der Leibhaftige!«

Dieser Teufel leistete sich einen ziemlich dreisten Auftritt.

Haben Sie schon mal einen Teufel gesehen?

Ich schon.

Er ist nicht behaart, hat keine Hörner und auch keinen Schwanz. Nicht einmal eine Mistgabel hat er.

Der Kerl sah genauso aus wie ich. Er war mein exakter Doppelgänger!

Die Situation war nicht leicht zu verkraften, aber ich beschloss, sie mit Fassung zu tragen und diesem frechen Teufel mit größtmöglicher Gelassenheit zu begegnen.

Bei genauerem Hinsehen fiel mir auf, dass er zwar mein Gesicht und meine Statur hatte, jedoch völlig anders gekleidet war. Ich trage prinzipiell nur Schwarz und Weiß. Schwarze Hose, weißes Hemd, schwarze Strickjacke. Ich bin ein ziemlich langweiliger Typ. Meine Mutter hatte früher manchmal geschimpft, ich würde mir ständig die gleichen Sachen kaufen. Unbewusst griff ich immer zu denselben Farben.

Im Gegensatz zu mir bevorzugte der Teufel grelle Kleidung. Er trug bunte Shorts und ein knallgelbes Hawaiihemd mit Palmen und amerikanischen Straßenkreuzern darauf. Seine Sonnenbrille hatte er sich auf die Stirn geschoben. Er sah sehr sommerlich aus, obwohl es draußen noch recht kalt war.

»Und? Was machst du jetzt?«

Der unverschämte Ton des Teufels reizte mich.

»Wie meinst du das?«

»Du hast nicht mehr lange. Zu leben, meine ich.«

»Ach so, das.«

»Also, was hast du vor?«

»Zuerst überlege ich mir zehn Dinge, die ich vor meinem Tod noch unbedingt tun will.«

»Den Mist hast du doch aus diesem Film? Das Beste kommt zum Schluss – oder wie der heißt.«

»Ja, stimmt.«

»Maximal peinlich! Ist das dein Ernst?«

»Und wenn schon.«

»Das tun doch alle. ›Bevor ich sterbe, mache ich jetzt all das, was ich machen will!‹ Die Löffelliste … Jeder muss diesen Weg einmal gehen … wenn auch kein zweites Mal!«

Der Teufel schüttete sich aus über seinen eigenen Witz.

»Darüber kann ich nicht lachen …«

»Oh, Verzeihung, natürlich nicht. Aber einen Versuch ist es wert. Los, machen wir die Liste!«

Ich nahm ein Blatt Papier und fing an zu schreiben.

Schließlich hatte man mir gesagt, ich würde schon bald sterben. Ich war traurig und kam mir irgendwie betrogen vor. Da ich immer wieder in Verwirrung geriet, dauerte es ewig, bis ich die Liste fertig hatte.

Außerdem musste ich das Blatt vor den neugierigen Blicken des Teufels abschirmen, und mein Kater tapste immer wieder darüber (wie alle Katzen der Welt hat er eine große Schwäche für schönes Papier). Dennoch gelang es mir, zehn Dinge aufzuschreiben, die ich vor meinem Tod noch tun wollte.

1. Fallschirmspringen.

2. Den Everest besteigen.

3. In einem Ferrari über eine deutsche Autobahn rasen.

4. Ein Festmahl mit allen Köstlichkeiten genießen.

5. Einen Gundam-Roboter steuern.

6. Eine große Liebe erleben wie in Love Story.

7. Ein Rendezvous mit der Anime-Heldin Nausicaä.

8. Mit einem Kaffee in der Hand um die Ecke biegen, mit einem schönen Mädchen zusammenstoßen und mich verlieben.

9. Mich im strömenden Regen unterstellen und dem Mädchen aus der Klasse über mir begegnen, in das ich heimlich verliebt gewesen war.

10. Die Liebe finden.

»Was soll denn dieser ganze Quatsch?«

»Na ja, ich …«

»Du bist doch kein Teenager mehr! Man schämt sich ja direkt für dich. Also wirklich!«

»Äh … tut mir leid.«

»Punkt Nummer sechs gefällt mir wirklich gut.«

»Echt?«

»Ach, Unsinn!«

Es war mehr als peinlich. Ein erbärmliches Ergebnis. Selbst mein geliebter Kater schien enttäuscht und wandte sich ab.

Als ich niedergeschlagen in mich zusammensackte, klopfte mir der Teufel auf die Schulter.

»Los geht’s«, sagte er. »Zuerst einmal erledigen wir die Nummer eins auf der Liste: Fallschirmspringen. Du hebst dein Gespartes ab, und dann auf zum Flughafen!!!«

Ungefähr zwei Stunden später hatte ich ein Flugzeug bestiegen und befand mich in 3000 Meter Höhe.

»Und hops!«, rief der Teufel übermütig und versetzte mir einen Stoß, sodass ich durch die Luft flog.

Ja, genau, das war mein Traum. Vor mir der blaue Himmel. Die majestätischen Wolken. Der sich endlos ausdehnende Horizont. Der Blick auf die Erde aus der Weite des Himmels stellte all meine Wertvorstellungen auf den Kopf. Ich vergaß die alltäglichen Nebensächlichkeiten und jubelte, lebendig zu sein.

So hatte ich es mal gelesen. Doch so war es nicht.

Denn ich hatte die Nase schon voll, noch ehe ich sprang. Mir war kalt. Mir war schwindelig. Ich hatte Angst. Was fanden die Leute nur an so was? Hatte ich mir das wirklich gewünscht?, fragte ich mich benommen, als ich durch die eisige Luft flog. Und wieder wurde mir schwarz vor Augen.

Unversehens fand ich mich in meiner Wohnung auf meinem Bett wieder.

Das Miauen meines Katers hatte mich geweckt. Als ich mich aufrichtete, dröhnte mir noch immer der Schädel. Wahrscheinlich hatte ich geträumt.

»Echt jetzt! Die reinste Zumutung! So kannst du nicht mit mir umspringen!«

Aloha (ich hatte beschlossen, den Teufel von nun an Aloha zu nennen) saß neben mir.

»Tut mir leid, wenn ich dir Umstände gemacht habe.«

»Umstände? Du wärst fast abgekratzt! Dabei stirbst du doch sowieso bald!« Wieder lachte Aloha sich über seinen eigenen Witz kaputt.

Ich schwieg und nahm meinen Kater in den Arm. Er war warm und weich. Ganz flauschig. Normalerweise dachte ich mir nichts dabei, wenn ich ihn auf den Schoß nahm, aber nun kam er mir wie der Inbegriff des Lebens vor.

»Die Dinge, die ich vor meinem Tod noch tun will, sind banal, oder?«

»Sag bloß!«

»Ja, zumindest die zehn, die ich mir ausgedacht habe. Total öde und belanglos.«

»Schon möglich.«

»Du?«

»Was ist mit mir?«

»Was willst du eigentlich von mir? Weshalb bist du hier?«

Alohas muntere Miene wich einem schauerlichen Grinsen.

»Du willst es wirklich wissen? Gut, dann sage ich es dir.«

»Warte.«

Die plötzliche Veränderung in seiner Mimik ängstigte mich so sehr, dass ich unwillkürlich zurückschreckte. Eine unheilvolle Ahnung überkam mich. Hier lauert Gefahr, warnte mich mein Instinkt.

»Was ist los mit dir?«, fragte Aloha.

Ich holte tief Luft und versuchte, mich zu beruhigen. Was sollte schon geschehen? Ich konnte mir seine Geschichte ja mal anhören.

»Nichts. Sag es mir.«

»Also es ist so: Du stirbst morgen.«

»Was!?«

»Morgen bist du tot. Um dir das zu sagen, bin ich hier.«

Meine Welt brach zusammen, schwärzeste Verzweiflung überfiel mich. Ich hatte nicht gerade viel Glück in meinem Leben gehabt, aber eine so tiefe Hoffnungslosigkeit hatte ich noch nie empfunden. Sie raubte mir sämtliche Energie. Voll Entsetzen spürte ich, dass alle Kraft aus meinem Körper wich.

Ich konnte nicht einmal mehr etwas sagen. Aloha musste es bemerken, dennoch redete er ungerührt weiter.

»Entspann dich, Mann! Ich bin gekommen, um dir einen großartigen Vorschlag zu unterbreiten. Die Gelegenheit! Big Chance!«

»Big Chance?«

»Oder willst du einfach so den Abgang machen?«

»Nein, ich will leben. Also, wenn möglich.«

Ohne eine Sekunde zu vergeuden, erklärte er:

»Es gibt da eine Methode.«

»Was für eine Methode?«

»Man könnte es auch Magie nennen. Ich kann dein Leben verlängern.«

»Wirklich?«

»Ja. Aber mein Angebot ist an eine Bedingung geknüpft. Das Prinzip, das dieser Welt zugrunde liegt, muss eingehalten werden.«

»Und wie lautet dieses Prinzip?«

»Geben und nehmen. Um etwas zu bekommen, muss man auf etwas anderes verzichten.«

»Was muss ich tun?«

»Nichts Schwieriges. Wir schließen einen einfachen Pakt.«

»Einen Pakt?«

»Ja, genau.«

»Und was ist das für ein Pakt?«

»Für jeden Tag, den du länger leben darfst, muss etwas von der Welt verschwinden.«

Krass. Das hatte ich nicht erwartet. Eine unglaubliche Geschichte.

Ich hatte doch wohl so kurz vor meinem Tod nicht den Verstand verloren. Waren das die sogenannten »Einflüsterungen des Teufels«? Nein, unmöglich. Aber wer gab diesem Aloha überhaupt das Recht dazu?

»Du fragst dich, wer mir das Recht dazu gibt?«

»Äh … was? Nein, nein …«

War der Typ wirklich der Teufel? Und konnte er einem Menschen ins Herz schauen?

»Den Menschen ins Herz zu schauen ist ganz einfach. Vergiss nicht, ich bin der Teufel.«

Ich schluckte.

Angesichts meines bestürzten Schweigens war Aloha unvermutet wieder heiter gestimmt.

»Was ist los, Kumpel? Habe ich dich erschreckt? Ich hab’s mir schon gedacht. Dabei ist dieser finstere Ton gar nicht meine Art.«

»Und wieso hast du ihn plötzlich angeschlagen?«

»Na ja, ich dachte, die Lage ist ernst, und ich sollte mich etwas diabolischer geben. Schließlich bin ich der Teufel!«

»Hör auf damit. Es reicht.«

»Denkst du, ich lasse dich einfach so verrecken? Ich mache keine Witze, den Pakt gibt es!«

»Wirklich?«

»Du glaubst mir wohl noch immer nicht. Darum erzähle ich dir jetzt etwas über die Hintergründe.«

Aloha warf sich in Positur.

»Weißt du, was die Genesis ist?«

»Die in der Bibel? Ja, so ungefähr, aber ich habe sie nicht gelesen.«

»Schade … hättest du sie gelesen, könnte ich es dir schneller erklären.«

»Tut mir leid.«

»Egal, wir haben wenig Zeit! Also, darin steht, dass Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen hat.«

»Ja schon, aber …«

»Glaubst du das nicht? Ist aber so. Schließlich bin ich der Teufel und war dabei.«

Auch wenn er jetzt große Töne spuckte, hörte ich ihm schweigend zu.

»Der erste Tag. Überall war Finsternis. Und Gott schuf das Licht und nannte es Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Am zweiten Tag schuf Gott den Himmel, am dritten die Erde. Himmel und Erde – kapiert? Dann schuf er die Meere und die Pflanzen.«

»Spektakulär.«

»Du sagst es. Am vierten Tag schuf er die Sonne, den Mond und die Sterne. Das war die Entstehung des Weltraums. Am fünften Tag kamen die Fische und die Vögel hinzu und am sechsten alle möglichen anderen Tiere und das Vieh. Und am letzten Tag schuf Gott den Menschen nach seinem Ebenbild. Der Mensch kam zuletzt!«

»Die Erschaffung der Erde, die Entstehung des Weltraums und dann der Mensch.«

»Das hast du gut zusammengefasst!«

»Und am siebten Tag?«

»Am siebten Tag ruhte er! Selbst Gott muss sich mal ausruhen!«

»Das ist der Sonntag, nicht wahr?«

»Du hast es erfasst. Ist das nicht großartig? Das alles hat er in einer Woche fertiggebracht! Gott ist toll! Chapeau! Meine Hochachtung!«

Ich fand, »Chapeau« sei nicht ganz das richtige Wort, hörte aber weiter zu.

»Der erste Mensch, den er schuf, war ein Mann. Er nannte ihn Adam. Doch der Mann fühlte sich einsam, da formte Gott aus einer seiner Rippen eine Frau, Eva. Aber weil die beiden so faul herumlungerten, unterbreitete ich Gott einen Vorschlag. Ich fragte ihn, ob ich sie dazu anstiften dürfe, diesen Apfel zu essen.«

»Ach ja, die Sache mit dem Apfel. Wie war das noch mal?«

»In dem Garten Eden, in dem sie lebten, durften sie tun und lassen, was sie wollten. Außerdem alterten sie nicht und waren unsterblich. Nur eines war ihnen strikt verboten, nämlich die Äpfel vom sogenannten ›Baum der Erkenntnis‹ zu essen.«

»Kommt mir bekannt vor.«

»Aber ich verführte die beiden dazu, es doch zu tun.«

»Echt gemein! Typisch Teufel.«

»Na ja. Jedenfalls wurden Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben, die Menschen alterten nun und wurden sterblich, und so begann die lange Geschichte ihrer sinnlosen Kriege.«

»Ausgesprochen teuflisch!«

»So schlimm war das gar nicht. Irgendwann sandte Gott seinen Sohn auf die Erde – Jesus hieß er. Aber auch das führte nicht dazu, dass die Menschen bereuten. Stattdessen murksten sie ihn ab.«

»Weiß ich alles.«

»Und dann stellten die Menschen immer mehr Dinge her. Irgendwelches Zeug ohne Belang, ob sie es nun brauchten oder nicht.«

»Aha.«

»Darum unterbreitete ich Gott einen weiteren Vorschlag. Ich fragte ihn, ob ich auf die Erde hinabsteigen dürfe, um die Menschen selbst urteilen zu lassen, was ihnen nützlich ist und was nicht. Und Gott und ich kamen überein: Verzichtet ein Mensch auf etwas, so verlängert sich sein Leben um einen Tag. Und ich erhielt das Recht, darüber zu entscheiden. Seither suche ich nach Partnern, mit denen ich diesen Pakt schließen kann. Es haben sich schon alle möglichen Leute einverstanden erklärt. Du bist übrigens die Nummer 108!«

»108?«

»Erstaunlich wenige, möchte man meinen. 108 von allen Menschen auf der Welt. Du hast also ungeheures Glück! Du musst nur eine Sache von der Welt verschwinden lassen und darfst dafür einen Tag länger leben. Das ist doch mal was!«

Mir schwirrte der Kopf. Der Vorschlag war einfach zu verrückt. Das war ja wie beim Teleshopping. So leicht konnte mein Leben doch nicht zu haben sein. Aber ob ich ihm nun glaubte oder nicht, ausschlagen konnte ich den Deal jedenfalls nicht. Sterben würde ich ohnehin. Ich hatte nichts zu verlieren.

Noch einmal machte ich mir den Handel klar.

Für jedes Ding, das ich von der Welt verschwinden ließe, erhielte ich einen Tag Leben.

Dreißig Dinge ergäben einen Monat. 365 ein Jahr.

Was für ein simpler Tausch. Die Welt war voll von nutzlosem Ramsch. Die Petersilie auf dem Reisomelette, Papiertaschentücher, die am Bahnhof verteilt wurden, Gebrauchsanweisungen für Elektrogeräte, Melonenkerne. Schon bei flüchtigem Überlegen fiel mir unzähliges sinnloses Zeug ein. Würde ich gezielt nachdenken, kämen bestimmt eine oder zwei Millionen Gegenstände zusammen, auf die man sehr gut verzichten konnte.

Um das Alter von Siebzig zu erreichen, fehlten mir noch vierzig Jahre.

Das hieß, wenn ich 14 600 Dinge tilgte, würde ich ganz normal durchschnittlich alt werden. Und würde ich immer Weiteres abschaffen, könnte ich vielleicht sogar hundert oder zweihundert Jahre leben.

Wie Aloha gesagt hatte, die Menschen hatten im Laufe von Zehntausenden von Jahren unzählige nutzlose Dinge hergestellt. Es störte doch niemanden, wenn einiges davon verschwände. Im Gegenteil, vieles würde sich vereinfachen, und so mancher wäre mir vielleicht sogar dankbar.

Von mir aus konnte selbst der Beruf des Briefträgers verschwinden, den ich ausübte. In zehn Jahren wäre er wahrscheinlich ohnehin unnötig. Und wenn ich genauer überlegte, war vieles von dem, was die Welt überquellen ließ, hart an der Grenze zum Überflüssigen. Vielleicht galt das ja sogar für die Menschheit. Ja, auch unsere Existenz hatte etwas Unsinniges.

»Einverstanden. Wir tilgen etwas, und du gibst mir dafür einen zusätzlichen Tag Leben.«

Ich ließ mich auf den Handel ein. Meine Entscheidung gab mir neuen Mut.

»Oho! Du bist also dabei«, rief Aloha sichtlich erfreut.

»Na ja, richtig dabei bin ich noch nicht … Aber gut, was sollen wir auslöschen? Lass mich nachdenken. Wie wäre es mit … diesem Fleck da an der Wand?«

»…«

»Dann den Staub auf dem Bücherregal!«

»…«

»Den Schimmel zwischen den Kacheln im Bad?«

»Jetzt mach mal halblang! Bin ich deine Putzfrau? Du hast es hier mit dem Teufel zu tun!«

»Du meinst, so geht es nicht?«

»Genau. So geht es nicht! Ich entscheide, was ausgelöscht wird.«

»Und wie machst du das?«

»Ja, wie mache ich das? Am besten nach Lust und Laune, oder?«

»Nach Lust und Laune?«

»Ja, lass mich mal sehen … Was soll ich nehmen?«

Aloha schaute sich im Zimmer um.

Nein, nicht diese Figur! Und verschone meine Sneaker aus der limited edition!, flehte ich stumm, als ich seinen Blicken folgte.

Allerdings ging es ja um mein Leben. Natürlich ließe sich bei einem Pakt mit dem Teufel nicht einfach irgendein Krempel opfern. Die Sonne? Der Mond? Die Meere oder die Erde selbst? Waren das die Dinge, die ausgelöscht werden müssten? Allmählich wurde mir die Tragweite unserer Abmachung bewusst.

»Was ist das?« Aloha griff nach einer Schachtel auf dem Tisch. Als er sie schüttelte, klapperte es.

»Äh … das sind Schokopilze.«

»Pilze?«

»Nein, keine richtigen … Schokopilze.«

Aloha zuckte die Achseln. »Und was ist das hier?« Er griff nach einer ähnlichen Schachtel.

Wieder schüttelte er sie, und es klapperte.

»Das sind Bambussprossen.«

»Bambussprossen?«

»Nein, keine richtigen, die heißen nur so.«

»Du verwirrst mich!«

»Entschuldige, beides ist Schokolade.«

»Schokolade?«

»Ja, Schokolade.«

Pilze und Bambussprossen aus Schokolade. Ich hatte sie vor einigen Tagen bei einer Tombola in der Einkaufsstraße gewonnen und auf den Tisch gelegt. Wenn man genauer darüber nachdachte, war das tatsächlich eine kuriose Idee für Schokolade. So kurios, dass selbst der Teufel sich wunderte.

»Ach? Ich habe schon davon gehört, dass Schokolade in verschiedene Formen gegossen wird. Aber warum ausgerechnet Pilze und Bambussprossen?«

»Tja warum? Darüber habe ich noch nie nachgedacht.«

»Also, wie wäre es dann mit Schokolade?«

»Bitte?«

»Sollen wir die Schokolade von der Welt verschwinden lassen?«

»Reicht das denn?«

»Klar, für den Anfang.«

Wie wäre es, wenn die Schokolade von der Welt verschwände?

Ich versuchte, es mir vorzustellen.

Die Schokoladensüchtigen aller Länder würden vor Kummer vergehen, sie würden weinen und klagen, ihr Blutzuckerspiegel fiele ins Unermessliche, und ihr Leben würde die reine Entbehrung.

Andererseits täte ich denen, die chronisch unter dem Valentinstag litten, einen Riesengefallen. Zum Beispiel den vielen jungen Männern, den Opfern dieses Tages, der nur durch eine Verschwörung der Schokoladenindustrie zustande gekommen war. (Natürlich gehörte ich auch zu ihnen.)

In einer Welt ohne Schokolade lägen wohl Marshmellows und Karamell ganz vorne. Oder nein, dafür waren sie nicht gut genug. Die Menschheit würde bestimmt eine neue Süßigkeit kreieren, um die Schokolade zu ersetzen.

Je länger ich überlegte, desto klarer wurde mir, welch unbezwingbares Verlangen die Menschen nach Leckereien hatten.

Neben mir fraß mein geliebtes Katerchen das Futter, das ich ihm gerade hingestellt hatte. Natürlich Katzenfutter. Im Gegensatz zu uns machen Katzen nicht so ein Aufheben ums Essen.

Allein der Mensch nimmt sich so viel Zeit für seine Speisen, für ihre Zubereitung, für ihre besondere Würze und die anmutige Darreichung. Und Schokolade war die Glanzleistung dieser Kultur. Man konnte sie mit Nüssen füllen, Kekse und Kuchen damit glasieren, Pilze und Bambussprossen daraus formen und vieles mehr. Schokolade schien das unersättliche Verlangen des Menschen, Köstlichkeiten zu erschaffen, noch zu steigern. Es ließe sich fast behaupten, sie sei ein Fortschrittsmotor.

Dann war das eben jetzt Pech.

Der Dummkopf, der sein Leben wegwarf, damit die Schokolade erhalten bliebe, musste erst noch geboren werden. Es war der reine Glücksfall, dass ich für so etwas wie Schokolade einen zusätzlichen Tag Leben bekommen würde. Dinge dieser Art gab es doch zuhauf. Ich würde ewig leben, wenn ich in diesem Stil fortfahren könnte.

Allmählich ließ mein Pakt mit dem Teufel Hoffnung in mir aufkeimen.

»Schmeckt das Zeug?«, fragte er, als sein Blick zwischen den Schokopilzen und den Bambussprossen hin- und herwanderte.

»Ja, ziemlich gut«, antwortete ich.

»Wirklich?«

»Hast du noch nie Schokolade gegessen?«

»Nein, nie.«

»Dann greif zu, wenn du willst.«

»Nein, ich kann eurem Fraß nichts abgewinnen. Der ganze Geschmack …«

Ich hätte Aloha gern gefragt, was Teufel denn so bevorzugten, aber ich zügelte mich.

Seine Neugier hatte gesiegt, denn nun nahm er einen Schokopilz, schnupperte daran, musterte ihn von allen Seiten, roch noch einmal daran und steckte ihn sich dann vorsichtig in den Mund. Er schloss die Augen.

Stille. Kaugeräusche. Knurps, knurps.

»Und? Wie schmeckt es?«, fragte ich schüchtern, doch Aloha – mit noch immer geschlossenen Augen – schwieg.

»Was ist mit dir?«

»Hmm …«

»Alles in Ordnung?«

»Hmm …«

»Soll ich einen Krankenwagen rufen?«

»Hmm … ist das köstlich!«

»Findest du?«

»Was ist das nur? Das schmeckt einfach zu gut! Vorzüglich! Und das willst du auslöschen? Das wäre eine Sünde!«

»Aber du hast doch gesagt, wir müssten etwas verschwinden lassen.«

»Ja, aber ausgerechnet etwas so Delikates? Verschwendung!«

»Aber sonst sterbe ich doch, oder?«

»Klar.«

»Na dann, weg damit.«

»Ist das deine endgültige Entscheidung?«, fragte Aloha mit kummervoll gerunzelter Stirn.

»Ja … ist es!«, erwiderte ich, wenn auch mit Bedauern.

»Verdammt! Aber das ist das erste und letzte Mal! Das sage ich dir«, schrie Aloha plötzlich.

»Äh, was … was soll das heißen?«

»Ich nenne dir eine Alternative. In Ordnung?«, sagte Aloha mit erbarmungswürdiger Miene. Wenn mich nicht alles täuschte, standen ihm Tränen in den Augen. Er hatte wohl enormen Geschmack an der Schokolade gefunden.

Er warf einen verstohlenen Blick auf die Pilze, nahm zwei, drei weitere und ließ sie sich auf der Zunge zergehen.

»Nein … ich kann sie nicht verschwinden lassen.«

»Was?«

»Etwas so Köstliches kann man doch nicht auslöschen.«

»Aber …«

Er hatte leicht reden, schließlich war es mein Leben, das auf dem Spiel stand. Eigentlich sollte ich mich mit dem Schicksal abfinden, morgen sterben zu müssen. Aber bei dem Gedanken, vielleicht doch am Leben bleiben zu können, war mir offenbar selbst der hirnrissigste Handel recht. Wie gerne hätte ich ohne sinnlosen Widerstand dem Tod ruhig und gelassen ins Antlitz geblickt. Aber da ich den Tod tatsächlich vor Augen hatte, zeigte sich in mir die wahre Natur eines armseligen Menschen, der nach jedem Strohhalm greift (den ihm der Teufel hinhält).

»Und ich? Was soll denn aus mir werden?«, jammerte ich.

»Ach, was höre ich da? Du hängst also an deinem Leben, was?«

»Darfst du überhaupt so ganz nach Belieben entscheiden, was verschwindet und was nicht?«

»Klar, schließlich bin ich der Teufel.«

Ich war sprachlos über diesen Irrsinn.

»Jetzt reg dich nicht auf! Ich finde im Nu etwas anderes.«

Aloha sah sich eilig und nahezu panisch im Zimmer um. Es war eindeutig, er hatte mit seinem Veto gegen die Schokolade einen Fehltritt begangen, den er wettmachen wollte. Ich beobachtete ihn verächtlich und dachte gerade, dass er für einen Teufel ein rechter Lauch sei, als mein Telefon klingelte. Es war mein Vorgesetzter von der Post. Ich hätte längst bei der Arbeit erscheinen müssen.

Mein Chef war zwar etwas ungehalten, aber er erinnerte sich, dass ich mich unwohl gefühlt und das Büro früher verlassen hatte, um zum Arzt zu gehen. Jetzt wollte er sich erkundigen.

»Es ist nichts Schlimmes. Aber ich fühle mich ganz matt, und es wäre gut, wenn ich eine Woche frei haben könnte, um mich zu erholen.«

Er war einverstanden, und ich legte auf.

»Wie wäre es mit dem da?«, fragte Aloha.

»Was meinst du?«

»Dieses Ding da.« Jetzt erst bemerkte ich, dass er auf das Telefon deutete. »Das braucht man doch nicht.«

»Was braucht man nicht? Ein Telefon?«

»Ja, das lassen wir verschwinden.« Aloha lachte. »Was meinst du? Das Telefon gegen einen Tag Leben?«

Was wäre, wenn die Telefone von der Welt verschwänden?

Was hätte ich zu gewinnen, was zu verlieren?

Kaum versuchte ich, es mir vorzustellen, drängte Aloha mich bereits.

»Also los, was machen wir?«

Ich überlegte. Einen Tag Leben gegen die Telefone. Was wäre, wenn?

»Mach schon, gleich sind sie weg.«

»Jetzt warte doch mal!«

»20 Sekunden … 15 Sekunden … zehn Sekunden, neun, acht, sieben …«

»Hör auf mit diesem Countdown! Ja, gut, von mir aus, du kannst sie aus der Welt schaffen!«, rief ich überstürzt, denn mir blieb keine Zeit zu zögern.

Mein Leben oder die Telefone. Selbstverständlich hatte mein Leben Vorrang.

»Ist das dein letztes Wort?«, fragte Aloha vergnügt.

»Ja, das ist … mein … mein letztes Wort!«, antwortete ich, in die Enge getrieben.

»Nun gut, dann weg damit.«

»Warte!«

»Was ist denn jetzt schon wieder?«

Mir war eingefallen, dass ich meinen Vater nicht angerufen hatte.

Aber da konnte man wohl nichts machen. Seit meine Mutter vor vier Jahren gestorben war, hatte ich nicht ein einziges Mal mit ihm telefoniert und ihn natürlich auch nicht gesehen. Ich hatte gehört, dass er noch immer seinen kleinen Uhrenladen im Nachbarort führte, aber es war mir nie in den Sinn gekommen, ihn zu besuchen. Dennoch erschien es mir unvorstellbar, mich nicht bei ihm zu melden, jetzt, da ich bald das Zeitliche segnen sollte.

Aloha durchschaute meine Bedenken.

»Ich verstehe«, sagte er grinsend. »Ihr seid doch alle gleich. Wenn ihr etwas aufgeben sollt, kriegt ihr kalte Füße. Also lasse ich dir eine Option.«

»Was für eine Option?«

»Das Vorrecht, den Gegenstand, der verschwinden soll, ein letztes Mal zu benutzen.«

»Aha. Und was heißt das?«

»Das heißt, du darfst noch ein einziges Mal telefonieren. Mit wem du willst.«

Er ließ mir die Qual der Wahl.

Wen also wollte ich anrufen? Natürlich meinen Vater. Daran bestand kein Zweifel. Aber als ich an ihn dachte, hatte ich die Ereignisse von vor vier Jahren allzu deutlich vor Augen. Was sollte ich mit ihm reden?

Ich verwarf den Gedanken, ihn anzurufen.

Aber wen dann? Wem sollte mein letzter Anruf gelten?

K., meinem alten Freund aus Kindertagen?

Er war auf jeden Fall ein guter Kumpel, und auch jetzt noch trafen wir uns hin und wieder. Leider redeten wir immer nur über irgendeinen Blödsinn.

Und wenn ich ihm jetzt erzählte, dass ich morgen tot sein würde, wenn nicht alle Telefone verschwänden, und dass dies mein letzter Anruf sei, würde er mich hundertprozentig für verrückt erklären.

»Was soll der Unfug?«, würde er sagen, und mein kostbarer letzter Anruf wäre verschwendet.