Wenn die Dunkelheit leuchtet - Margot Käßmann - E-Book
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Wenn die Dunkelheit leuchtet E-Book

Margot Käßmann

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Beschreibung

Darum geht es doch an Weihnachten: die Sehnsucht wach zu halten, dass das Leben hell werden kann. Daran zu glauben, dass in der Dunkelheit immer wieder der Stern aufscheint und dass Wunder warten, wo wir nicht mit ihnen rechnen. In einem Stall etwa. Margot Käßmann kennt die Dunkelheiten des Lebens und die Sehnsucht nach dem Licht und sie versteht von der größeren Hoffnung zu sprechen, die zu Weihnachten gefeiert wird: Licht scheint in der Finsternis.

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Seitenzahl: 151

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Margot Käßmann

Wenn die Dunkelheit leuchtet

Auf Weihnachten zugehen

Margot Käßmann, Prof. Dr. theol., Pfarrerin und Deutschlands bekannteste Theologin, ehemalige Ratsvorsitzende und Bischöfin und Reformationsbotschafterin, ist Mutter von vier erwachsenen Töchtern. Sie lebt in Hannover und auf Usedom. Im Kreuz Verlag erschien zuletzt von ihr: „Was uns Zuversicht gibt. Reformatorische Ansprachen.“

© Kreuz Verlag GmbH, Hamburg 2018

Durchgesehene Neuausgabe

www.kreuz-verlag.de

Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH

© Kreuz Verlag in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2010

Umschlaggestaltung: griesbeck-design, München

Umschlagbild: © ivan kmit/Fotolia

Satz: de·te·pe, Aalen

E-Book-Erstellung: NagelSatz, Reutlingen

ISBN (Print) 978-3-946905-47-9

Inhalt
Vorwort
ISich auf den Weg machen
Immer wieder neu anfangen
Neue Wege
Lebenschancen
Auf den zweiten Blick
IIDer Hoffnung trauen
Die Hoffnung wachhalten
Zuhause sein
Friede auf Erden!
Einander annehmen
IIIAuf das Licht warten
Gott will im Dunkel wohnen
Engeln begegnen
Das Licht in der Finsternis
Engel – Gottes Nähe spüren
IVDas Geheimnis feiern
Du meine Seele, singe
Wenn Gott in die Welt kommt
Es kann neu werden

Vorwort

Weihnachten ist ein besonderes Fest. In den Bräuchen und Texten, den Gottesdiensten und Ritualen im Advent und in den Weihnachtstagen wird wie zu keiner anderen Zeit im Jahr deutlich, was das Johannesevangelium sagt: »Das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis hat’s nicht ergriffen“ (Johannes 1,5).

Das ist der wahre Kern von Advent und Weihnachten: die Dunkelheit wahrnehmen, im persönlichen Leben, im Umfeld, in der Stadt, in dieser Welt. Und die Sehnsucht wachhalten, dass es anders sein könnte, heller, kreativer, lebensfroh, ja lebenssatt. Im Advent buchstabieren wir diese Sehnsucht als Warten. An Weihnachten zünden wir Lichter an, damit die Hoffnung in der Dunkelheit spürbar, erfahrbar wird: Licht scheint in der Finsternis.

Aber oft wird das Licht in der Tat nicht wahrgenommen. Da streiten Familien. Da verzweifeln einsame Menschen. Da nimmt der Krieg kein Ende. Die Zerstörung ist greifbar. Keine Engel mit süßlichem Gesang, kein holder Knabe im lockigen Haar, sondern Brutalität, Entsetzen, Trauer und Resignation.

Mir liegt daran, Advent und Weihnachten zu befreien aus all dem Kitsch und Glamour. Die biblische Geschichte ist ja gar keine kitschige Hollywoodromanze nach dem Motto: alles wunderbar weihnachtlich. Nein, da sind zwei, die kämpfen um ihr Glück und um ihr Kind in äußerst widrigen Umständen. Es begegnen ihnen andere, die nicht gerade zur Elite der Zeit gehören. Und sie erleben Wundersames. Ihr Leben wird verwandelt.

Als Pfarrerin und Bischöfin habe ich die Weihnachtsgeschichte immer wieder ausgelegt. In diesem Buch sind einige der Predigten und Andachten zum Nachlesen aufbereitet. Mir fällt immer wieder auf, wie aktuell die biblischen Erzählungen sind. Und wie wenig sie dem Kitsch unserer Zeit, der den Weihnachtskult beherrscht, entsprechen. Deshalb liegt mir daran, diesen oberflächlichen Glamour und auch den Erwartungsdruck zur plötzlichen Harmonie, der nur überfordern kann, abzukratzen und zurück zu kommen zu der Botschaft: Licht scheint in der Finsternis. Das heißt: Auch wenn dein Leben nicht gelingt, bist du doch wie Josef und Maria. Gesegnet. Auch wenn nicht alles heil ist, bist du doch bei den Hirten. Das Licht gilt dir in der Dunkelheit. Auch wenn du den Weg nicht genau weißt, sind die drei Weisen durchaus ein Vorbild. Du kannst dem Stern trauen.

Die Geburt des Gotteskindes kann nur von Ostern her beleuchtet werden. Der Tod ist überwunden. Alle Tränen werden abgewischt und Leid, Not und Geschrei werden ein Ende haben. Weil Jesus von Nazareth aus dieser Hoffnung heraus zum Christus wurde, haben wir als Christinnen und Christen Hoffnung. Auf eine Zeit nach dieser Zeit und Welt. Aber eben auch mitten in dieser Zeit und Welt. Mitten in der Dunkelheit leuchtet radikal die Hoffnung, dass alles ganz anders werden kann. In Gottes Zukunft ganz gewiss. Aber auch schon jetzt und hier kann das Licht erfahrbar werden mitten in den dunklen Erfahrungen, die wir immer wieder machen: als Einzelne, als Gesellschaft, als Welt.

Ja, ich bin Weihnachtschristin. Aber das heißt eben nicht, das Elend, das Leid, die Trauer und die Tränen auszublenden. Sie gehören mitten hinein in die Weihnachtsgeschichte. Wenn wir das begreifen, dann leuchtet der Stern von Bethlehem umso heller mitten in die Dunkelheit unserer Welt.

Über die Neuauflage dieses Weihnachtsbuches im Kreuz Verlag freue ich mich sehr. Nur wenige Zeilen waren anzupassen – die Weihnachtsbotschaft und die Lage der Welt, sie sind immer wieder aktuell.

I

Sich auf den Weg machen

Immer wieder neu anfangen

Das müssen wir dem guten alten Lukas lassen, er ist ein hervorragender Drehbuchautor, in seinem Szenario stimmt einfach alles. Das macht ihm in Hollywood heute so schnell keiner nach: eine Story, die seit Jahrhunderten läuft und einfach nicht abgesetzt wird. Wir haben die alte Geschichte im Ohr: »Und es begab sich aber zu der Zeit...« Als Kind schon habe ich jedes Jahr auf diese Worte gewartet. Jedes Jahr dieselben Worte und doch jedes Jahr neu.

Neu wohl auch, weil wir selbst jedes Jahr Veränderte sind, die diese Worte hören. Wie war das vor einem Jahr? Vielleicht hat sich eine Hoffnung zerschlagen? Oder eine neue Liebe ist aufgetaucht? Mussten wir von einem Menschen Abschied nehmen? Oder unser Leben hat einen Rhythmus, einen Gleichklang gefunden, in dem es sich gut leben lässt. Wir sind Veränderte, jedes Weihnachten. Und die Welt, in der wir diese Geschichte hören, ist eine veränderte. Da sind die persönlichen Veränderungen, schöne wie eine Heirat, eine Geburt oder beruflicher Aufstieg und schwere wie eine Scheidung, eine Krankheit oder ein Todesfall. Und da sind die großen Einschnitte im Weltgeschehen: Kriege, Erdbeben, politische Entwicklungen, die uns Sorgen machen. Es ist gut und bestärkend, dass in all den Veränderungen unseres Lebens und in den Krisen unserer Welt das Evangelium uns als zuverlässige Konstante begleitet!

Wir haben also diese alte Geschichte, die jedes Jahr erzählt, gesungen und gespielt wird. Schauen wir uns die handelnden Personen im Drehbuch noch einmal genau an:

Da sind Kaiser Augustus und Quirinius. Ob die beiden gedacht hätten, dass die Welt an sie nicht aufgrund ihrer Taten denken wird, sondern weil sie einfach die Zeitgaranten für einen anderen sind? An ihnen kann die Geburtszeit Jesu rekonstruiert werden. Letzten Endes sind sie, die großen Herren, Statisten im Drehbuch.

Josef. Er hat manche Schmach über sich ergehen lassen müssen. Als gehörnter Verlobter wurde er verspottet. Dabei ist er ein Mann der Tat. Tut, was getan werden muss, schützt Frau und Kind.

Maria. Lieb und unbedarft wird sie meist dargestellt. Und sie scheint gar nicht zu verstehen, was sich da ereignet. Immer muss ein Engel oder ein Hirte oder ein Weiser aus dem Morgenland alles erklären. Aber sie singt auch bei Lukas, sie weiß sich als niedrige Frau erhöht durch ihre Schwangerschaft. Doch stolz ist sie, entschlossen. Da steht gar nichts von »lieb und unbedarft«.

Die Hirten. Ja, einfältig mögen sie sein. Aber sie stehen auf, machen sich auf, haben eine tiefe Hoffnung auf bessere Zeiten im Herzen und suchen Gottes Nähe.

Die drei Weisen oder Könige. Sie lassen sich nicht beirren, auch nicht durch Herodes. Konsequent gehen sie ihren Weg und lassen sich vom Stern leiten, selbst wenn kein anderer ihn sieht.

Die Engel. Sie ermutigen alle. »Nehmt das einfach an, dass Gott mitten unter euch ist. Freut euch, habt keine Angst.« Engel begleiten alle. Auch uns?! O ja: »Fürchtet euch nicht«, rufen sie uns auch heute zu.

Das sind sie, die handelnden Personen. Wir kennen sie. Schön und gut, aber was genau macht nun diese Geschichte zu so einer besonderen? Das fragte mich ein Mann neulich per Mail: Warum feiert alle Welt das? Wo doch jeden Tag Kinder von jungen Frauen geboren werden? Es ist dreierlei, was die Geschichte zu einer besonderen macht.

Zuerst: An die Geburt des Jesus von Nazareth hätte sich ohne die Hoffnung der Auferstehung wohl niemand erinnert. Gewiss, da wurde ein Kind geboren – aber eben wie Milliarden Kinder zuvor und danach. Das ist keine Meldung wert, weder bei Lukas noch in der Tagesschau. Für die einzelne Frau, die einzelne Familie mag das etwas Besonderes sein, aber mit Blick auf das Weltgeschehen? Ich bitte Sie...

Vom Ende her erst gewinnt diese Geburt besondere Bedeutung. Wir glauben als Christinnen und Christen, dass Gott mit diesem Kind den Tod überwunden hat. »Er ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden« – von diesem Osterruf her schauen die Christen auf das Kind in der Krippe. Und wir erkennen im Rückblick, dass schon Jesu Geburt wohl von Vorankündigungen, Zeichen und Vorahnungen begleitet war.

Wenn wir die Lage im heutigen Bethlehem anschauen, lässt sich fragen, ob es einen Grund zum Feiern gibt. Das Heilige Land findet keinen Frieden in den Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Palästinensergebieten. Aber es gibt Grund zum Feiern. Weil die Weihnachtsgeschichte eben keine gefühlvolle Rosamunde-Pilcher-Story mit Happy End ist. Sie hat nach weltlichen Maßstäben sogar ein äußerst trauriges Ende. Sie endet nicht nur wie jedes Leben mit dem Tod des unter so hoffnungsvollen Vorzeichen geborenen Kindes im frühen Erwachsenenalter – nein, sie endet sogar mit seiner außerordentlich grausamen Hinrichtung durch eine brutale Besatzungsmacht. Aber das ist nicht das Ende. Die letzte Meldung lautet vielmehr: Der Tod ist nicht das Ende, er ist der Beginn einer Hoffnungsgeschichte der Menschen mit Gott. Mitten in allem Leid der Welt setzt Gott ein leuchtendes Zeichen der Hoffnung, auch im immer wieder von Terror und Gewalt zerrissenen Bethlehem.

Jesus war schlicht ein »Weltverbesserer«, meinte die Wochenzeitung »Stern« in einer Weihnachtsausgabe etwas spöttisch. Immerhin ist diese Aussage auch 2000 Jahre nach dem Geschehen dem Blatt einen Aufmacher wert. Und alle Versuche, Jesus einfach als einen von den vielen hinzustellen, »die Wandel predigten«, scheitern doch an der Tatsache, mit der der Artikel in einer Art Verzweiflungsgeste schließt: »Das Ende des Jesus wird zum Anfang des Christus.« O ja, Jesus, der als der auferstandene Christus geglaubt wird, hat eine Spur der Hoffnung in der Welt zurückgelassen.

Natürlich müssen wir auch eingestehen, dass es eine Spur der Zerstörung gab, etwa in den Kreuzzügen und in Kriegen, die heilig genannt wurden. Aber das war ein schrecklicher Irrweg, der die Botschaft Jesu bitter verfälscht hat. Vor allem hat Jesus Christus eine Spur der Gewaltlosigkeit, des Friedens gelegt. Eine Spur, die die Botschaft von der Gottebenbildlichkeit jedes Menschen und der Freiheit in die Welt getragen hat.

Der Präsident Südafrikas, Nelson Mandela, sagte 1998: »Wenn ich also sage, dass wir das Produkt der missionarischen Erziehung sind, dann möchte ich damit zum Ausdruck bringen, dass ich den Missionaren gar nicht genug danken kann für das, was sie getan haben. Aber man muss in einem südafrikanischen Apartheid-Gefängnis gesessen haben, um die größere Bedeutung zu verstehen, die der Kirche in dieser Situation zugekommen ist.« Der Gedanke der Freiheit und Gleichheit aller Menschen, der Jungen und Alten, der Schwarzen und Weißen, der Männer und Frauen, der Kranken und Behinderten ist mit Jesus in die Weltgeschichte gepflanzt. Der Gedanke, dass Frieden und Gerechtigkeit und Versöhnung möglich sind, ist als Hoffnung wie ein Unkraut präsent, das die Welt mit all ihrer Bosheit und Dunkelheit und ihrem Vernichtungswillen einfach nicht ausrotten kann.

Weil die Geschichte Gottes mit den Menschen, wie sie sich gerade in Jesus Christus zeigte, Hoffnung in die Welt bringt, darum lassen Christinnen und Christen die Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit nicht los. Und auch wenn andere uns für naiv halten, werden wir konsequent für eine Welt des Friedens eintreten. Die Hoffnung von Weihnachten sagt: Frieden ist möglich. Aber dafür müssen Menschen sich verändern. Statt abzurüsten, steigen Waffenlieferungen und Aufrüstung in aller Welt an. Dabei ist doch klar: Die ganze Welt, alle müssen abrüsten, damit der Frieden eine Chance hat. Wir werden gegen alles Kriegsgetrommel für den Frieden beten und sagen: Frieden ist der Weg, nicht Krieg.

Diese Geschichte, zum zweiten, ist eine besondere, weil sie eine Spur gelegt hat durch die Jahrhunderte hindurch, eine Spur, die die Welt einfach nicht los wird. »Es begab sich aber zu der Zeit...«, das haben Menschen im dritten Jahrhundert in Syrien gehört und im 10. Jahrhundert in Frankreich und im 16. Jahrhundert in Nordamerika und im 19. Jahrhundert in Indonesien, in Äthiopien, in der ganzen Welt. Und die Botschaft von dem Kind, in einem Stall geboren, sie ist um die Welt gegangen, sie geht um die Welt über Zeiten und Kontexte und Grenzen hinweg. Sie rührt jeden Menschen an, denn wir alle, ob in Deutschland oder Brasilien, im Kongo oder in Nordamerika, in Thailand oder auf einer pazifischen Insel kennen die Verletzlichkeit des Lebens; in einem neugeborenen Kind, in der zarten Liebesbeziehung zwischen einem Mann und einer Frau ist sie besonders augenfällig.

Diese Geschichte, die Lukas erzählt, sie ist einfach nicht zum Schweigen zu bringen, auch wenn die Stasi beispielsweise das gern wollte. In der »Stasi-Unterlagen-Behörde«, die Dokumente aus der DDR-Zeit aufbewahrt und bearbeitet, wurde ein Aktenstück gefunden mit dem Titel: »Verordnung zum Schutz des Sozialismus vor heidnischem Spuk und christlichem Mummenschanz, Schädigung der Forstwirtschaft und Hamsterkäufen«. Tatsächlich sollte versucht werden, die Durchführung des Weihnachtsfestes zu verbieten. Walter Ulbricht hatte erklärt, er wolle nicht länger mit ansehen, »wie erwachsene Menschen ein grünes Kroppzeug in ihre Stube schleifen, dort mit Stanniol und Krimskrams behängen und einen Götzendienst davor tun«. Dieser »unwürdige Spuk« müsse ein Ende haben. Und Jesus, dieser – so Ulbricht – »junge Mann ohne festen Wohnsitz«, habe sein Land aus egoistischen Motiven verlassen, einem solchen Republikflüchtling müsse man nicht huldigen. So wurde in der DDR ab November der Handel auf Mangelwirtschaft umgestellt, um das Schenken zu erschweren, Baumschmuck musste abgeliefert werden, die Forstwirtschaft durfte keine Bäume fällen, und in der »Operation Federvieh« wurde versucht, in Polen das »Gänsefleisch« rar zu machen.

Ach ja, fast haben sie es geschafft, das Christentum in Ostdeutschland auszurotten. Aber nicht Weihnachten, der Deutschen liebstes Fest! Natürlich ist da die Gefahr, dieses Fest vom Inhalt zu entleeren und zu romantisieren. Doch es ist kein gefühlsseliges winterliches Familienfest.

Aus Anlass des Christfestes können wir ein solches Familienfest feiern, und das ist gut und wunderbar so. Aber der Anlass selbst ist immer noch die Geburt des Gottessohnes selbst. Und die ist gar nicht süßlich. Da ist ein unverheiratetes Paar, die Frau schwanger, beide unterwegs, von Behörden auf die Reise gezwungen, alle drei alsbald auf der Flucht. Ohne Zuwanderungsgesetz jedenfalls hätten sie bei dem Versuch, in Deutschland Zuflucht zu finden, keine Chance. Oder werden wir in Sachen Härtefallregelungen der Zuwanderung genauso stur für eine gute neue Tradition plädieren wie die DDR-Bevölkerung einst für die Beibehaltung von Weihnachtskultur, damit Flüchtlinge Sicherheit finden? Das wäre doch schon ein Hoffnungsschimmer.

Die Lukaserzählung lässt uns Träume von einer anderen Welt wagen. Einer Welt, in der wir die Türen aufmachen, anstatt uns abzuschotten in der gut gefüllten warmen Herberge. In der wir aufbrechen nach Bethlehem oder Ägypten, wenn’s nötig ist, anstatt uns in wohliger deutscher Dauerdepression zu suhlen. In der wir singen »Ehre sei Gott in der Höhe«, anstatt das Heil im Einkaufen zu suchen. Der Traum von einer Welt, in der die Hirten und die Weisen und die Familien miteinander etwas vom Frieden Gottes erfahren.

Und schließlich geht es, zum Dritten, um eine Geschichte, die uns je einzeln berührt in unserer Sehnsucht nach erfülltem Leben, nach Gottesnähe. Die Philosophin Hannah Arendt hat einmal gesagt, das besondere am Menschen sei nicht die Sterblichkeit, denn die gelte auch für Tiere und Pflanzen. Das Besondere sei die menschliche Fähigkeit, etwas völlig Neues zu beginnen.

Das ist wohl unsere Hoffnung an der Krippe: neu anfangen dürfen. All das ablegen, was uns das Leben schwer macht. All die Kreisläufe, in denen wir gefangen sind, durchbrechen. Neu anfangen. Was würden wir heute ganz anders machen? Wo gab es Weggabelungen, an denen wir vielleicht anders hätten abbiegen sollen? Und müssen wir das denn bereuen, oder können wir nicht mit der falschen Abbiegung einen richtigen Weg finden? In unserer Ehe, mit unseren Kindern, in unserem Beruf. Und wo sind wir dankbar, dass Gott uns Wege gewiesen hat, Menschen über unseren Weg geschickt hat, Chancen eröffnet wurden? Welches Leid quält uns, welche Angst vor Krankheit, vor Trennung treibt uns um?

Wir dürfen das in dieser Heiligen Nacht alles vor Gott bringen, an der Krippe ablegen. Gott will uns in diesem Kind begegnen. Gott will uns halten jetzt und hier und über den Tag und über unseren Tod hinaus. Darauf können wir vertrauen, daran dürfen wir glauben: Gott lässt dich nicht fallen, wir sind nicht allein. Ein neuer Anfang ist möglich bei Gott.

Wer neu geboren werden will, muss allerdings empfänglich sein wie Maria. Offen dafür, dass etwas geschieht, was noch niemand gesehen hat. Offen für Gottes Geschichte mit den Menschen, mit uns wie mit Maria und Josef und dem Kind, offen wie die Hirten und die Könige.

Ein Gedicht von Ingrid Haushofer fasst diese alte Geschichte wunderbar mit neuen Worten zusammen:

Das Geheimnis der Weihnacht

Aufstehen in der Nacht wie die Hirten.

Auf den Weg sich machen in Kälte und Dunkel.

Im Herzen einfältige Hoffnung.

Sich leiten lassen von seinem Stern

Den man erkannt hat und den keiner sonst sieht.

Den Weg zu Ende gehen

Wie die Könige nicht umkehren.

Neue Wege

Weihnachten ist ein merkwürdiges Fest, merkwürdig im wahrsten Sinne des Wortes. Am Heiligen Abend denken viele von uns zurück, ja, es beschleicht uns eine kleine Sehnsucht nach Gestern: Weihnachten damals, als wir Kinder waren – erinnerst du dich? Das erste Weihnachten zu zweit, als Paar. Oder: Weißt du noch, als die Kinder klein waren? Oder auch: das erste Weihnachen wieder allein.

Weihnachten ist für viele Menschen wie ein Brennpunkt, an dem sich das Leben und damit die Erinnerung konzentriert. Während die Tage des Jahres oft auch scheinbar unterschiedslos zerfließen, ist das Weihnachtsfest ein klarer Höhepunkt. Und wenn es uns nicht gut geht, ein entscheidender Tiefpunkt. Auch und gerade ein Weihnachtsfest, an dem wir traurig waren, einsam oder verzweifelt, gräbt sich tief in das Gedächtnis ein. Ich denke an so manche Berichte vor allem von Kriegsweihnachten, die in der Adventszeit erinnert werden: Weihnachten 1914 – Kriegswinter. Bitterkeit nach glanzvoller Euphorie. Und auch 1944: wieder ein Winter im Krieg. Weihnachten im Zeichen des Hakenkreuzes. Festredner, die Weihnachten als Symbol des zu erwartenden Endsieges priesen, in ihrem ideologischen Irrwahn missbrauchten – und die Wirklichkeit der Menschen in Kälte, Hunger und Angst.