Wer hilft mir, was zu werden? - Annamarie Ryter - E-Book

Wer hilft mir, was zu werden? E-Book

Annamarie Ryter

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  • Herausgeber: hep verlag
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Dieser Sammelband lanciert eine Schweizer Diskussion zur professionellen Begleitung von Jugendlichen bei der Berufsintegration. Wirtschaftliche Veränderungen führten seit den 1990er-Jahren zu strukturellen Problemen und einem Reformbedarf der Berufsbildung. Die Anforderungen an Jugendliche im Übergang von der Schule in eine Ausbildung sind gestiegen. Sie müssen Umwege in Kauf nehmen und brauchen mehr Unterstützung bei der Lehrstellensuche. Bund, Kantone und Private haben reagiert und verschiedene Programme wie Brückenangebote und Motivationssemester eingerichtet. Entstanden ist damit ein interprofessionelles Handlungsfeld, in dem sich Fragen zu Professionalität und Kooperationen neu stellen. Und die Jugendlichen fragen sich vermehrt: Wer hilft mir, was zu werden? Das Buch enthält Aufsätze von Fachpersonen aus der Schweiz und Deutschland, u. a. zu folgenden Themen: das Übergangssystem, Berufswahl zwischen Wahl und Selektion, Lehrvertragsauflösungen, die Rolle von Lehrpersonen, Sozialarbeit, Sonderpädagogik und Berufsberatung in der Berufsintegration, interkulturelle Elternarbeit, Kooperationsmodelle, Ermöglichungsdidaktik und Coachingmethoden. Um die unterschiedlichen Perspektiven sichtbar zu machen, sind allen Hauptartikeln Erfahrungs- berichte und Reflexionen aus der Praxis gegenübergestellt. Porträts von Jugendlichen im Übergang runden dieses Werk ab.

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Seitenzahl: 450

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Unterstützung und Entlastung durch die Pädagogische Hochschule und die Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW).

Gedruckt mit der Unterstützung der LBV-Stiftung zur Förderung der Weiterbildung von Lehrkräften in der Berufswahlvorbereitung.

Wir danken den Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrpersonen des Kompetenzzentrums Berufsausbildung, Step4, aus Olten für die Bereitschaft, Fotos mit ihnen zu machen.

 

Annamarie Ryter, Dorothee Schaffner (Hrsg.)

Wer hilft mir, was zu werden?

Professionelles Handeln in der Berufsintegration

ISBN Print: 978-3-0355-0439-2

ISBN E-Book: 978-3-0355-0440-8

Fotos: Sibylle Heizmann, Büro für Rat und Tat, Aarau und Robin

Heizmann, Sir Robin Photography, Aarau

2. Auflage 2015

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Dorothee Schaffner und Annamarie Ryter: Von der Berufswahl zur Berufsintegration

Teil IVeränderungen im Übergang

Simon Zysset: Angebote im Übergangssystem in der Schweiz

Dagmar Voith: Brückenangebote brauchen Gestaltungsspielräume

Thomas Meyer: Übergangsangebote am Einstieg in die berufliche Grundbildung in der Schweiz. Brücke oder »Knirschstelle« im Bildungssystem?

Alain Studer: »Warteschleife« als Chance

Beatrix Niemeyer und Matthias Rüth: Von der Quadratur des Kreises.Berufsvorbereitung im Spannungsfeld unterschiedlicher Förderlogiken

Beatrice Ledergerber: Neue Ordnungslinien für Transitionsräume

Markus P. Neuenschwander: Übergang in die Berufsausbildung zwischen Wahl und Selektion

Corinne Heim und Prisca Mosimann: »Im zehnten Schuljahr bin ich reifer geworden«

Nadia Lamamra und Barbara Duc: »C’est comme si c’était un parcours de guerre, et puis qu’on ait réussi, puis après on est tranquille …«. Lehrvertragsauflösungen als Symptom komplexer und verlängerter Transitionen

Christine Davatz: Recht auf Berufswahlvorbereitung für alle!

Teil IINeue Herausforderungen und Anforderungen an Professionalität – verschiedene Perspektiven

Ursula Bylinski: Multiprofessionelle Zusammenarbeit als neue Herausforderung für die pädagogischen Fachkräfte

Ruth Wolfensberger: Kooperation verbindet und stärkt – auch die Lernenden

Dorothee Schaffner: Soziale Arbeit begleitet Übergänge in die Erwerbsarbeit und selbstständige Lebensführung

Dominik Grieder: Auftrags- und Erfolgsverständnisse in der beruflichen Integration

Kurt Häfeli, Claudia Hofmann und Claudia Schellenberg: Berufliche Integration für alle? Die Rolle der Sonderpädagogik bei der Berufsorientierung

Agnese Schwarz: »Berufliche Ausbildung und Integration für alle«. Realität und Vision an einer heilpädagogischen Schule

Daniel Jungo: Berufsberatung in der beruflichen Integration

Sarah Kaufmann Jost: Begleitung bei der Berufsintegration am Beispiel des Case-Managements Berufsbildung

Rolf Arnold: Was leistet die Ermöglichungsdidaktik bei der Förderung benachteiligter Jugendlicher?

Thomas Markwalder: »Gold schürfen«. Ermöglichungsdidaktik in Berufsintegrationsprozessen

Statements

Teil IIIArbeitsprinzipien und Methoden

Annamarie Ryter: Jonglieren, balancieren, den Spagat wagen. Coaching in der Berufsintegration

Marlen Kurmann: Die Klassenlehrperson als Coach

Michele Eschelmüller: Individualisierte Lernförderung – Lerncoaching

Marc Henzi: Lerncoaching – Chancen im Berufswahlunterricht

Angela Rein: Lebensweltorientierte Methoden in der Übergangsbegleitung

Nicole Ziegler: Wer zu sich stehen kann, kann auch etwas verändern

Petra Lippegaus-Grünau: Kompetenzfeststellung im Spannungsfeld von Anspruch und Praxisbedingungen

Verena Bucher: Wie können Kompetenzen im Brückenangebot festgestellt werden?

Ulrike Süss, Ceylan Firat, Halise Yüksel, Güller Yildiz, Susanne Felger: Aktive Beteiligung von Eltern und Familien am Übergang Schule – Beruf

Yahya Bajwa: Finanzen beeinflussen die Bildungspolitik erbarmungslos!

Annamarie Ryter und Dorothee Schaffner: Professionelles Handeln in der Berufsintegration

Angaben zu Autorinnen und Autoren

Vorwort

Eine professionelle Berufsintegration gehört zum guten Funktionieren eines jeden Bildungssystems, denn Bildungssysteme haben laut Klieme et al. (2006, S. 130) unter anderem die Funktion, »die auf dem Arbeitsmarkt benötigten Kompetenzen bereitzustellen und somit quantitativ wie qualitativ das Arbeitskräftevolumen zu sichern«. Berufsintegration fördert auch die individuelle Regulationsfähigkeit. Sie trägt dazu bei, dass Individuen befähigt werden, »die eigene Biografie, das Verhältnis zur Umwelt und das Leben in der Gemeinschaft selbstständig zu gestalten« (a. a. O., S. 130). Die Förderung der individuellen Regulationsfähigkeit wird in der Adoleszenzphase besonders wichtig und erfordert interprofessionelle Zusammenarbeit an den Schnittstellen zwischen obligatorischer Schule und postobligatorischen Bildungswegen ebenso wie zwischen Jugendlichen, Eltern, Berufsfachleuten, Lehrpersonen, Amtsstellen und weiteren Akteuren.

Berufsintegration, wie sie im vorliegenden Buch verstanden wird, fokussiert auf den Übergang von der obligatorischen Schule in die postobligatorische Bildung. Der erfolgreiche Abschluss einer beruflichen Erstausbildung gilt als Eintrittsticket in den Arbeitsmarkt. Wie aktuelle Zahlen zur Jugendarbeitslosigkeit weltweit zeigen (ILO, 2013; OECD, 2010; Eurostat, 2009), gelingt es nicht allen Ländern gleich gut, ihre Jugendlichen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dass dem so ist, hat vielfältige Gründe und ist wissenschaftlich nicht abschließend geklärt. Es wird vermutet, dass Unterschiede in der professionellen Steuerung und Begleitung sowohl am Übergang I – von der obligatorischen in die nachobligatorische Bildung – als auch auf dem Bildungsweg auf der Sekundarstufe II und am Übergang II – von der Sekundarstufe II in den Arbeitsmarkt – dabei eine Rolle spielen. Der Prozess der Berufsintegration ist von großer Bedeutung. Er ist komplex, da neben Formen und Kulturen interinstitutioneller Zusammenarbeit weitere Faktoren beteiligt sind, wie zum Beispiel staatliche Kompetenzregelungen, die Breite der Bildungsangebotspalette, weiterführende Bildungswege, Statusfragen oder die Professionalität involvierter Fachpersonen.

Der erfolgreiche Übertritt ist aber auch eine kritische Phase im Leben eines jungen Menschen. In der Regel stehen Jugendliche (und ihre Eltern) dabei vor vielen Optionen. Eignung und Neigung der Jugendlichen sind dabei nur zwei Aspekte. Viele Gesichtspunkte müssen gleichzeitig abgewogen werden, was einiges an Information und Hilfestellungen voraussetzt. Hinzu kommt, dass Jugendliche in der Adoleszenzphase mit unterschiedlichen persönlichen Herausforderungen konfrontiert sind. Was im Moment der Entscheidung für sie wichtig ist, muss sich nicht unbedingt mit dem decken, was Eltern, Lehrpersonen, Berufsberater oder weitere Bezugspersonen denken. Was Erwachsene für sinnvoll erachten, passt oft nicht zur Präferenzordnung und entspricht nicht der Entscheidungsreife der Jugendlichen. Hinzu kommen Wertvorstellungen von Eltern, was für ihr Kind das Richtige und Gute ist, um im Leben erfolgreich zu sein. Solche Werte werden unter anderem vom Stand der Informationen über Bildungsmöglichkeiten, Statusfragen und eigenen biografischen Erfahrungen geprägt. Sie bilden nicht immer ab, was für die Jugendlichen im Moment der Berufswahl angesichts der neuen Möglichkeiten im Bildungssystem das Beste wäre, um den Pfad des »Lernens am Erfolg« einschlagen zu können.

In der Schweiz absolvieren zwei Drittel der Jugendlichen eine berufliche Grundbildung (Berufslehre). Die Leistungen, die diese Jugendlichen im Hinblick auf eine Berufswahlentscheidung erbringen, werden bis heute unterschätzt. Allzu oft werden negative Effekte, wie beispielsweise zigfach erfolglose Lehrstellenbewerbungen, Knappheit von beliebten Lehrberufen oder Lehrabbrüche aufgrund von falschen Entscheidungen thematisiert. Dabei zeigen Jugendliche gerade beim Eintritt in den Lehrstellenmarkt, verglichen mit ihren Kolleginnen und Kollegen der allgemeinbildenden Schulwege, eine sehr hohe individuelle Regulationsfähigkeit. Dass der Übergang aufgrund der vielfältigen »Matching«-Prozesse zwischen aktuellen Präferenzordnungen von Jugendlichen bzw. ihren Eltern, Angeboten auf dem Lehrstellenmarkt und Anforderungen von Arbeitgebern nicht immer auf Anhieb gelingen kann, dürfte nachvollziehbar sein und legitimiert eine Professionalisierung der Begleitung und Information.

Wie die Beiträge in diesem Buch zeigen, wird heute sehr viel mehr als früher an Unterstützung für alle Beteiligten geleistet. Die Schweiz steht in dieser Hinsicht im internationalen Vergleich gut da. Viele Länder kennen weder berufliche Vorbereitungsangebote, noch verfügen sie über ein derart vielfältiges berufspraktisches und allgemeinbildendes Angebot auf der Sekundarstufe II. Hinzu kommt, dass das Schweizer Bildungssystem mit dem Leitmotiv »Kein Abschluss ohne Anschluss« das Auf- und Umsteigen für alle Lernenden und Studierenden auf der gesamten Skala der Begabungen ein Leben lang erleichtert.

Seit die Berufsintegration vermehrt wissenschaftlich untersucht wird, gelingt es, die heutigen Schwachstellen und Herausforderungen zu erkennen und zu thematisieren. Im vorliegenden Buch werden solche Erkenntnisse zur Diskussion gestellt. Die breite Auslegeordnung zu den Veränderungen im Übergang, zu den Anforderungen an die Professionalität, aber auch zu Arbeitsprinzipien und Methoden erachte ich als äußerst wertvoll. Ich hoffe, dass die Beiträge einen breiten Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis auslösen und kommenden Generationen von Jugendlichen, Eltern, Lehrpersonen, Berufsberatenden und weiteren Professionellen als Denkanstöße dienen.

Ursula Renold

Präsidentin des Fachhochschulrates der FHNW

Leiterin Forschungsbereich Bildungssysteme an der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich

Literatur

Eurostat (2009). Youth in Europe. A statistical portrait. Luxemburg: Publications Office of the Eureopean Union.

ILO (2013). Global employment trends for youth 2013. A generation at risk. Genf: International Labour Office.

Klieme, Eckhard; Avenarius, Hermann; Baethge, Marin; Döbert, Hans; Hetmeier, Heinz-Werner; Meister-Scheufelen, Gisela; Rauschenbach, Thomas & Wolter, Andrä (2006). Grundkonzeption der Bildungsberichterstattung in Deutschland. In: Heinz-Hermann Krüger, Thomas Rauschenbach & Uwe Sander (Hrsg.), Bildungs- und Sozialberichterstattung (S. 129–145). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften (Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Beiheft 6).

OECD (2010). Off to a Good Start? Jobs for Youth. Paris: OECD.

Von der Berufswahl zur Berufsintegration

Dorothee Schaffner und Annamarie Ryter

Dieser Sammelband lanciert eine Diskussion zur professionellen Begleitung von Jugendlichen bei der Berufsintegration mit dem Fokus auf den Schweizer Kontext. Er nimmt zentrale Fragen eines Handlungsfeldes auf, das sich in den letzten Jahrzehnten stark entwickelt hat. Der Einbezug von Beiträgen aus Deutschland dient dabei der Anregung und Erweiterung der Diskussion. Im Fokus stehen der Übergang von der Schule in die Berufsbildung und der in die Erwerbsarbeit. Dieser zweifache Übergang ist sowohl aus individueller als auch aus gesellschaftlicher Perspektive sehr sensibel. Eine erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung ist unter gegenwärtigen Bedingungen eine zentrale Voraussetzung für die berufliche Integration, die soziale Positionierung und Teilhabe sowie die gesellschaftliche Sicherheit und Entwicklung.

Der Vorbereitung und Begleitung der beruflichen Orientierung, der Suche nach einem Ausbildungsplatz oder der Schulwahl kommt dabei eine wichtige Funktion zu. Berufliche Orientierung etablierte sich in der Schweiz bis Mitte der 1980er-Jahre in fast allen kantonalen Lehrplänen der Sekundarstufe I. Die Unterstützung der Jugendlichen erfolgte in der Regel in Zusammenarbeit von Schule, Eltern sowie Berufs- und Studienberatung. Während die Verantwortung der Schule in der Vermittlung von Informationen über das Berufsbildungsangebot und dessen Anforderungen sowie in der Förderung von Bewerbungskompetenzen bestand, lag die Hauptverantwortung für den Berufswahlentscheid und die Suche nach einem Ausbildungsplatz bei den Jugendlichen selbst und ihren Eltern. Die Kooperation mit der Berufsberatung beschränkte sich meist auf einen punktuellen Einbezug im schulischen Berufswahlunterricht und bei Bedarf auf individuelle Beratung. Ein kleiner Prozentsatz nutzte zur intensiveren Unterstützung ein weiteres »Berufswahljahr« (»zehntes Schuljahr«). Dieses Arrangement zur Vorbereitung auf den Übergang von der Volksschule in die Ausbildung genügte ab Mitte der 1990er-Jahre kaum mehr, um die Berufsintegration der Jugendlichen zu erreichen (Schaffner, 2008). Die berufliche Orientierung und die Suche nach einem Ausbildungsplatz wurde für viele Jugendliche, deren Eltern und Lehrkräfte zu einer neuen Herausforderung.

Veränderungen im Übergang in die Erwerbsarbeit und Reformbedarf

Tiefgreifende gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen führten seit den 1990er-Jahren auch in der Schweiz zu umfassenden Veränderungen am Arbeitsmarkt. Die Globalisierung der Märkte, wachsende Mobilität, neue Technologien und die Rationalisierung der Produktion trugen zum Wandel der Arbeitsgesellschaft bei: von einer produktionsorientierten Industriegesellschaft zu einer wissensbasierten Informations- oder Dienstleistungsgesellschaft (vgl. Köck & Stein, 2010, S. 12). Dabei sollten lebenslanges Lernen und Bildung sowie Flexibilität die Anschlussfähigkeit in einem sich schnell wandelnden Arbeitsmarkt garantieren. Da in der Schweiz die duale Berufsbildung – mit der Kombination der Ausbildungsorte Berufsschule und Betrieb – vorherrscht, war der Übergang von der Schule zur Erwerbsarbeit von diesen weitreichenden Veränderungen maßgeblich betroffen. Viele Berufe waren plötzlich veraltet und fielen weg, die Schaffung neuer und die Anpassung bestehender Ausbildungen dauerte lange. Hinzu kamen konjunkturelle Schwankungen, was zu einem breiten Abbau von Ausbildungsplätzen beitrug. Gleichzeitig stieg die Nachfrage nach solchen Plätzen durch geburtenstarke Jahrgänge bis 2008, was zu einem erhöhten Wettbewerb um Lehrstellen beitrug. Die generell gestiegene Bedeutung beruflicher Qualifikationen und der Bedarf an einer inhaltlichen Anpassung der Ausbildungen erforderten eine Reform des Berufsbildungssystems, die Ende der 1990er-Jahre ihren Anfang nahm (vgl. dazu Maurer & Gonon, 2013).

Vor diesem Hintergrund stellten sich im Übergang größere gesellschaftspolitische und individuelle Herausforderungen: Angesichts der wirtschaftlichen Veränderungen sind Schulerfolg und Bildungszertifikat zentrale Voraussetzungen für die soziale und berufliche Integration – die berufliche Ausbildung ist zur sozialen Norm geworden (Schaffner, 2008). Gleichzeitig gelingt einem beachtlichen Teil der Schulabgängerinnen und -abgänger der direkte Einstieg in die Berufsbildung im Anschluss an die Regelschule nicht mehr, weil geeignete Ausbildungsplätze fehlen. Je nach Kanton und Region mussten in den letzten Jahren zwischen 15 und 25 Prozent der Jugendlichen ein Zwischenjahr in Kauf nehmen (Egger, 2007; Meyer, 2003; SKBF, 2014). Insbesondere Jugendliche auf schulischem Grundniveau und/oder mit besonderem Förderbedarf haben erhöhte Schwierigkeiten, einen Anschluss in der Berufsbildung zu finden. Im verschärften Wettbewerb um Ausbildungsplätze ließen sich neben individuellen auch soziale und strukturelle Benachteiligungen und Ausgrenzungsprozesse nachweisen (Bergman et al., 2011; Felkendorff & Lischer, 2005; Haeberlin, Imdorf & Kronig, 2005; Häfeli, 2004; Imdorf, 2004; Solga, 2005). Auch die gestiegene Zahl arbeitsloser Jugendlicher und junger Erwachsener in der Sozialhilfe verweisen auf erhöhte Risiken im Übergang (Schaffner & Drilling, 2013).

Insgesamt zeigen zahlreiche Studien, dass der Übergang unübersichtlicher, weniger planbar, komplexer und riskanter geworden ist. Er hat seine normalbiografische Strukturierung weitgehend verloren. Diese Veränderungen haben für die Jugendlichen vermehrt Orientierungsschwierigkeiten und neue Risiken zur Folge, sie müssen Umwege einschlagen, sich umorientieren und erfahrene Diskontinuität bewältigen. Zugleich wird systembedingte Chancenungleichheit den Jugendlichen als individuelles Problem angelastet (Bergman et al., 2011; Mey & Rorato, 2010; Stauber, Pohl & Walther, 2007). Sie sind gefordert, ein erhöhtes Maß an biografischen Bewältigungs- und Gestaltungsleistungen zu erbringen und ihre Bildungsverläufe zu verantworten (Stauber & Walther, 2011). Davon sind grundsätzlich alle Jugendlichen betroffen, verstärkt allerdings jene mit Benachteiligungen. Ausgehend davon, ist ein erhöhter Bedarf an institutioneller und professioneller Unterstützung in den Übergängen in die Erwerbsarbeit zu erkennen.

Reform der Berufsbildung und neue Unterstützungsangebote im Übergang

Um die strukturellen Herausforderungen des Berufsbildungssystems zu lösen und das System zu reformieren, wurde ein neues Berufsbildungsgesetz (BBG) 1 geschaffen. Das BBG bietet die Grundlage für neue Ausbildungsangebote und -typen sowie eine Modularisierung des Berufsbildungssystems. Ziel ist es, die Mobilität und die Möglichkeiten zum Um- und Ausstieg zu erweitern (vgl. Wettstein, Schmid & Gonon, 2014). So ermöglicht beispielsweise eine zweijährige Ausbildung mit eidgenössischem Berufsattest (EBA-Ausbildung) den Übertritt in eine drei- bis vierjährige Ausbildung mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ-Ausbildung). Eine EFZ-Ausbildung kann mit einer Berufsmaturität abgeschlossen werden, welche die Grundlage für ein Fachhochschulstudium bildet. Verbunden mit der Reform, wurde die Bedeutung der Berufsbildung gefestigt. Gegenwärtig vermittelt die Berufsbildung zwei Dritteln der Jugendlichen in der Schweiz eine berufliche Grundlage (vgl. SBFI, 2014).

Diese Reformprozesse sind inzwischen weit vorangeschritten. Ebenso konnte das Lehrstellenangebot durch gezielte Maßnahmen erweitert werden; und schließlich hat neben dem Trend zu allgemeinbildenden Angeboten auf Sekundarstufe II auch die demografische Entwicklung zu einer Beruhigung im Berufsbildungssystem beigetragen.

Gleichzeitig wurde für die Jugendlichen eine Reihe von Programmen und Unterstützungsangeboten auf Bundes- und Kantonsebene bereitgestellt. Im Kontext des Projekts »Optimierung der Nahtstelle obligatorische Schule – Sekundarstufe II«, das von der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren EDK (2006–2010) mit Partnern aus Bund und Arbeitswelt realisiert wurde, entstanden zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen. Vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) bzw. vom Staatssekretariat für Berufsbildung, Forschung und Innovation (SBFI), das beim Bund seit Anfang 2013 für die Berufsbildung zuständig ist, wurden Projekte wie »Case-Management Berufsbildung«, »Individuelle Begleitung der Berufsbildung«, »Lehrstellenförderung« bereitgestellt. Leitend in fast allen Angeboten ist die Programmatik »Kein Abschluss ohne Anschluss«, die zu den expliziten Zielsetzungen der EDK gehört und 2011 von Bund und Kantonen bekräftigt wurde. Danach sollen bis 2020 95 Prozent aller Schulabgängerinnen und -abgänger einen Berufsabschluss realisieren (Generalsekretariat EDK, 2011, S. 6; SBFI, 2014, S. 14). Die gesamtschweizerische Quote oszilliert gemäß Wolter allerdings seit bald zwanzig Jahren zwischen 90 und 92 Prozent (Wolter, 2014; SKBF, 2014). Die bildungspolitischen Maßnahmen zeugen von einem hohen gesellschaftspolitischen Willen, Lösungen für die aktuellen Herausforderungen zu finden und sich dem Ziel der 95 Prozent anzunähern.

So hat sich zur Unterstützung der Jugendlichen bei der beruflichen Orientierung und Berufsintegration zusätzlich zum Berufsbildungssystem ein ausdifferenziertes System an Angeboten und Akteuren entwickelt – das sogenannte Übergangssystem, das den Charakter einer »gewachsenen Struktur« trägt (Ledergerber in diesem Band, S. 64 ff.). Die Handlungsfelder reichen von speziellen Projekten auf der Sekundarstufe I über schulische und berufspraktische Brückenangebote, arbeitsmarktliche Maßnahmen, Beratungs- und Coaching-Angebote freier Träger bis hin zu Angeboten der sozialen Sicherung und Jugendhilfe (vgl. Zysset in diesem Band, S. 22 ff.). Dabei führen die vielfältigen Zuständigkeiten im Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Sozialsystem zu unterschiedlichen rechtlichen, politischen und administrativen Vorgaben und unterschiedlicher professioneller Bearbeitung. Damit verbunden, lässt sich ein erhöhter Bedarf an interdisziplinärer, interprofessioneller und interinstitutioneller Zusammenarbeit erkennen. Es braucht Koordination und Management im Übergangssystem (vgl. Niemeyer und Rüth in diesem Band, S. 52 ff.). Zur Weiterentwicklung dieser neuen Bildungssegmente besteht gegenwärtig auch ein erhöhter Bedarf an Forschung und Evaluation (Generalsekretariat EDK, 2011; Bojanowski & Eckert, 2012; Niemeyer, 2012). Erforderlich ist die überinstitutionelle Gestaltung des gesamten Bereichs, beginnend auf der Sekundarstufe I mit einer gezielten Berufsorientierung und Begleitung der jungen Menschen bis hin zur Integration in die Arbeitswelt. Auf kantonaler Ebene wird diesem Bedarf in den letzten Jahren durch Koordinations- und Reformbestrebungen vermehrt Rechnung getragen, indem ein integrales Management des Übergangssystems angestrebt wird. 2

Berufliche Orientierung und Begleitung im Übergang – eine vielfältige pädagogische Aufgabe

In Anlehnung an den deutschen Diskurs kann das komplexe Übergangssystem als eigenständiges Bildungssegment verstanden werden, das unterschiedliche pädagogische Handlungsfelder der Übergangsbegleitung umfasst (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006, zitiert in Niemeyer, 2008). Die pädagogischen Handlungsfelder zielen unter den veränderten Bedingungen im Übergang auf die berufliche und soziale Integration der Jugendlichen in unterschiedlichen Phasen der Berufsintegration. Zu den »pädagogischen Aufgaben« der verschiedenen Fachpersonen gehören Informationsvermittlung, Beratung, Kompensation von Lücken bei den Fach-, Sozial- und Selbstkompetenzen, Coaching und Prozessbegleitung sowie Vermittlung in die Berufs- und Arbeitswelt. Die Aufgaben werden teilweise von interprofessionellen Teams, teilweise in Personalunion insbesondere von Fachpersonen mit pädagogischen und sonder-, sozial- oder berufspädagogischen Ausbildungen übernommen. Noch wenig Klarheit besteht gegenwärtig darüber, inwiefern die Rahmenbedingungen der Handlungsfelder und die professionelle Herkunft die Handlungsorientierungen und Ausgestaltung der »pädagogischen Aufgabe« beeinflussen. Erste Studien aus dem deutschen Kontext lassen auf einen bedeutsamen Einfluss schließen (Enggruber, 2010).

Anforderungen an die Professionellen

Deutlich wird, dass der Wandel am Übergang von der Schule in den Beruf die beteiligten Institutionen und Fachkräfte mit großen Herausforderungen konfrontiert: Originäre Tätigkeiten verändern sich; zusätzlich entstehen erweiterte Aufgaben, die neue Anforderungen stellen. Damit ist der Professionalisierungsbedarf im Übergangssystem deutlich gestiegen. Angesichts der unterschiedlichen Fachpersonengruppen – Lehrpersonen, Berufsfachlehrpersonen, Sozial- und Sonderpädagogen/innen, Ausbilder/innen – stellen sich Fragen nach Zielen, Handlungsansätzen und Rollen, aber auch nach den Bedingungen des professionellen Handelns im Übergang. Und mit Blick auf die Interprofessionalität stellen sich Fragen zur Orientierung im Förderdschungel, zu Abgrenzung und Kooperation, es fragt sich aber auch, inwiefern eine minimale gemeinsame Orientierung gefunden werden kann (Enggruber, 2001, S. 203, mit Verweis auf Schütze, 1992).

In Deutschland und Österreich – mit vergleichbarem Berufsbildungs- und Übergangssystem – werden seit einigen Jahren in unterschiedlichen Disziplinen Professionalisierungsdiskurse geführt (Brüggemann & Rahn, 2013; Bylinski, Graf & Lüdemann, 2011; Eckert, Heisler & Nitschke, 2007; Enggruber, 2010; Grimm & Vock, 2007; Kampmeier et al., 2008; Oehme, 2007). In der Schweiz stehen neuere Diskussionen, die den zentralen Veränderungen Rechnung tragen, noch in den Anfängen (Schaffner & Ryter, 2013a; Schaffner & Ryter, 2013b). Für alle drei Länder gilt, dass die Begleitung bei der Berufsintegration in den Ausbildungsgängen der Pädagogik, Sozialen Arbeit und Sonderpädagogik nur marginal behandelt wird. Dies führt dazu, dass die Fachpersonen ihre Kompetenzen zu einem großen Anteil on the job erwerben müssen (Niemeyer, 2008; Schaffner & Ryter, 2013a). Der vorliegende Sammelband will hierzu eine erste Diskussionsgrundlage anbieten.

Inhaltlicher Aufbau dieser Publikation

Um zu verdeutlichen, wie die jüngsten strukturellen Veränderungen im Übergang in die Erwerbsarbeit zur Auseinandersetzung mit dem professionellen Verständnis und den Handlungsansätzen der Akteure beigetragen haben, ist der Sammelband in drei Hauptteile gegliedert: »Veränderungen im Übergang«, »Neue Herausforderungen und Anforderungen an Professionalität«, »Arbeitsprinzipien und Methoden«. In jedem Teil werden fünf bis sechs Themen aus unterschiedlichen disziplinären und professionellen Perspektiven diskutiert. Fachpersonen – aus der Sekundarstufe I, aus Brückenangeboten, berufsbildenden Schulen, Motivationssemestern, Verbänden und aus der Bildungsverwaltung sowie dem Case-Management Berufsbildung – reagieren jeweils im Rahmen eines Dialogbeitrags auf die Fachartikel und beleuchten die Thematik auf der Basis ihrer Erfahrungen und Fachkompetenz. Je nach professioneller Herkunft der Fachpersonen werden unterschiedliche Funktionen, Verständnisse und Haltungen exemplarisch erkennbar, was teilweise auch in abweichenden Begriffsverwendungen deutlich wird. So ist für die Aufgaben der Vorbereitung, Begleitung und Vermittlung der Jugendlichen beim Übergang in die Berufsausbildung im Regelschulkontext beispielsweise die Rede von Begleitung bei der »Berufswahl« oder neu bei der »beruflichen Orientierung«, in Brückenangeboten von Begleitung bei der »Berufsvorbereitung/Berufsintegration« und im Kontext der Sonderpädagogik und Sozialen Arbeit von »Berufsintegration und Übergangsbegleitung bzw. -gestaltung«. Die Bezeichnungen »Berufsintegrationscoaching« und »Case-Management Berufsbildung« sind ebenfalls gebräuchlich. Solche Unterschiede wurden bewusst nicht harmonisiert, Widersprüche nicht geglättet – die Vielfalt ist vielmehr Programm und soll eine vertiefte Auseinandersetzung unter den Fachpersonen unterschiedlicher Professionen anregen.

Im ersten Teil der Publikation werden zentrale Veränderungen im Übergang diskutiert. Eine Übersicht über das Übergangssystem und die entstandene Maßnahmenlandschaft in der Schweiz bietet der Artikel von Simon Zysset. Der Beitrag von Thomas Meyer stellt ausgewählte Ergebnisse aus der Längsschnittstudie »Transition from education to employment« (TREE) zu den Entwicklungen der Zwischenlösungen bzw. Brückenangebote vor. Thematisiert werden die Strukturen und Funktionslogiken des Bildungssystems, in welche Brückenangebote eingebettet sind. Beatrix Niemeyer und Matthias Rüth thematisieren kritisch die sich in Deutschland entwickelnde Landschaft von Maßnahmen der Berufsvorbereitung im Spannungsfeld unterschiedlicher Förderlogiken. Der Fokus liegt dabei auf den vielfältigen Angeboten und Aktivitäten der Entwicklung dieses Übergangssystems. Aufgezeigt werden die damit verbundenen Herausforderungen eines regionalen Übergangsmanagements und wie hierin notwendige Abstimmungsprozesse zu moderieren wären. Anhand von Ergebnissen wird aufgezeigt, wie sich diese strukturellen Veränderungen im Übergang auf die individuellen Bildungsverläufe der Jugendlichen auswirken. Markus Neuenschwander diskutiert Ergebnisse einer Analyse zum Berufswahlprozess unter entscheidungstheoretischer Perspektive. Er zeigt, wie der Berufswahlprozess durch das Zusammenspiel von institutionellen Bedingungen, sozialen Ressourcen und individuellen Kompetenzen bestimmt wird, das heißt im Spannungsfeld von Wahl und Selektion erfolgt. Als Erfolgskriterium für einen gelungenen Berufswahlprozess wird die optimale Passung zwischen den Anforderungen der Betriebe und den Voraussetzungen der Jugendlichen bestimmt. Nadia Lamamra und Barbara Duc stellen Ergebnisse aus einer qualitativen Längsschnittstudie zu Lehrvertragsauflösungen vor. Sie haben die Verläufe vom Beginn einer Berufsbildung über die Auflösung des Vertrags bis hin zur Laufbahn nach einer Auflösung untersucht. Unter dem Gesichtspunkt der Sozialisation werden Lehrvertragsauflösungen als Folge eines weiteren Orientierungsbedarfs verstanden und als Ausdruck komplexerer und längerer Berufsintegrationsverläufe.

Im zweiten Teil des Buches werden neue Herausforderungen und Anforderungen an Professionalität aus unterschiedlichen professionellen Perspektiven diskutiert. Ursula Bylinski stellt Ergebnisse einer deutschen Studie zu den Anforderungen an die pädagogischen Fachpersonen im Übergang von der Schule in die Arbeitswelt vor. Im Fokus des Forschungsprojektes standen die subjektiven Perspektiven von pädagogischen Fachkräften und die Frage nach deren Kompetenzen für ein zielgerichtetes pädagogisches Handeln im Rahmen einer Übergangsgestaltung. Dorothee Schaffner diskutiert die spezifische Rolle der Sozialen Arbeit in der Berufsintegration bzw. Übergangsbegleitung. Die berufliche und die soziale Integration stellen in Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit – insbesondere der Jugendhilfe – zentrale Ziele dar, die einen ganzheitlichen Zugang erfordern. Gegenwärtig fehlt für den Schweizer Kontext allerdings gesichertes Wissen darüber, welche Aufgaben damit verbunden sind und mit welchen Handlungsansätzen und -orientierungen Sozialarbeitende Jugendliche in Übergängen begleiten. Kurt Häfeli, Claudia Hofmann und Claudia Schellenberg beleuchten in ihrem Beitrag Lösungsansätze der Sonderpädagogik für die Berufsintegration. Sie diskutieren, welchen Beitrag die Sonderpädagogik mit ihrer Professionsperspektive und ihrem Selbstverständnis zur Integration von Jugendlichen mit spezifischem Förderbedarf leisten kann und welche Kooperationen dabei zentral sind. Daniel Jungo stellt Ansätze der Berufsberatung für Jugendliche vor. Er zeigt, mit welchen Theorien und Methoden die Berufsberatung arbeitet. Skizziert werden deren Chancen und Grenzen. Es wird nach möglichen Kooperationen mit anderen Professionellen im Übergangssystem gefragt. Rolf Arnold diskutiert den gestiegenen Förder- und Integrationsbedarf von beeinträchtigten und sozial benachteiligten Jugendlichen und zeigt, was die Ermöglichungsdidaktik zur Förderung dieser Jugendlichen leisten kann. Gestützt auf Forschungsergebnisse, Erfahrungen aus der Erwachsenenbildung und Reformpädagogik, formuliert Arnold pointiert auch für den Förderbereich des Übergangs, dass das Lernen der Menschen eine Eigenaktivität ist, zu der man einladen und anregen, die man aber nicht »herstellen« kann. Mit dem Konzept der Ermöglichungsdidaktik wird ein Leitkonzept für die Übergangsbegleitung zur Diskussion gestellt.

Im dritten Teil werden ausgewählte neuere Handlungsansätze und Methoden in der Begleitung und Beratung von Jugendlichen im Übergang vorgestellt. Der Beitrag von Annamarie Ryter widmet sich Fragen zum Coaching in der Berufsintegration. Beleuchtet werden Facetten, Rahmen- und Arbeitsbedingungen von Coaching. Die Autorin wagt eine Präzisierung dessen, was den Kern und die Qualität von Coaching in diesem Kontext ausmacht. Der Beitrag von Michele Eschelmüller befasst sich mit Fragen zum Lerncoaching. Insbesondere im Berufsintegrationsprozess müssen vermehrt individuelle Lernpläne verfolgt werden. Für die Fachpersonen entsteht daraus die Herausforderung, individuelle Ausgangslagen und Zielsetzungen zu ermitteln, entsprechende Lern- und Arbeitsprogramme zu entwickeln und regelmäßig Lernstände und Fortschritte zu thematisieren. Angela Rein stellt theoretische Überlegungen zu Handlungsansätzen und -methoden der Sozialen Arbeit vor. Diese Ansätze zielen darauf, die Sozial- und Selbstkompetenzen in einem umfassenden Sinne der Lebensbewältigung zu fördern. Die Diskussion zielt auf eine Kritik an und eine Erweiterung einer Sichtweise, die eine möglichst rasche Integration in den Arbeitsmarkt anstrebt. Petra Lippegaus-Grünau führt in ihrem Beitrag einen kritischen Diskurs zur Kompetenzorientierung und zu den damit verbundenen hohen Erwartungen im Berufsintegrationsbereich. Dazu befasst sie sich mit unterschiedlichen Verständnissen von Kompetenzen, Zielen und Verfahren der Kompetenzfeststellung und liefert dazu eine Systematisierung. Gleichzeitig wird verdeutlicht, dass Kompetenzmessung nur im Zusammenhang mit der Kompetenzförderung sinnvoll eingesetzt werden kann. Mit dem Thema »Kooperation mit Eltern im interkulturellen Umfeld« greifen Ulrike Süss, Ceylan Firat und Susanne Felger ein weiteres wichtiges Thema im Bereich der Berufsintegration auf. Sie stellen ein Modellprojekt zu Elternarbeit im Rahmen einer kommunalen Bildungskette der Stadt Weinheim vor. Angestrebt wird eine enge Zusammenarbeit von Schule und Migrationsbevölkerung, um strukturelle Benachteiligungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bei der Lehrstellensuche auszugleichen.

Vor dem Hintergrund dieser vielfältigen Diskussionsbeiträge formulieren Annamarie Ryter und Dorothee Schaffner im abschließenden Beitrag zentrale Erkenntnisse und weiterführende Fragen im Hinblick auf das professionelle Handeln im Übergang.

Wir danken allen Autorinnen und Autoren, die mit viel Engagement an der Publikation mitgewirkt und zu dieser breiten Diskussion beigetragen haben. Unser Dank geht auch an die Jugendlichen und Lehrpersonen, die mit Porträts und ihren Statements ihre Perspektive einbringen. Der LBV-Stiftung zur Förderung der Weiterbildung von Lehrpersonen der Berufswahlvorbereitung danken wir für ihren substanziellen Beitrag zur Deckung der Druckkosten und der Pädagogischen Hochschule und der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz dafür, dass sie uns Herausgeberinnen für die Publikation entlastet haben.

Literatur

Bergman, Manfred Max; Hupka-Brunner, Sandra; Keller, Anita; Meyer, Thomas & Stalder, Barbara E. (2011). Transitionen im Jugendalter. Ergebnisse der Schweizer Längsschnittstudie TREE. Zürich: Seismo.

Bojanowski, Arnulf & Eckert, Manfred (2012). »Black Box Übergangssystem«. Das Übergangsgeschehen zwischen sozialer Selektivität, bildungspolitischer Steuerungsproblematik und pädagogischer Übergangsforschung. In: Arnulf Bojanowski & Manfred Eckert (Hrsg.), Black Box Übergangssystem (S. 7–22). Münster: Waxmann.

Brock, Ditmar (1991). Übergangsforschung. In: Ditmar Brock, Brigitte Hantsche, Gertrud Kühnlein, Heiner Meulemann & Karen Schober (Hrsg.), Übergänge in den Beruf. Zwischenbilanz zum Forschungsstand (S. 9–26). München: Deutsches Jugendinstitut (DJI).

Brüggemann, Tim & Rahn, Sylvia (Hrsg.) (2013). Lehr- und Arbeitsbuch zur Studien- und Berufsorientierung. Münster: Waxmann.

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TEIL I

Veränderungenim Übergang

Angebote im Übergangssystem in der Schweiz

Simon Zysset

Veränderungen in der beruflichen Grundbildung in der Schweiz

Besonderheiten des schweizerischen Berufsbildungssystems

In der Schweiz ist das »duale« bzw. »triale« Berufsbildungssystem mit der Verbindung von betrieblicher und schulischer Bildung stark verbreitet. Im Zuge der Reformen der letzten Jahre haben sich allerdings die Formen beruflicher Bildung ausdifferenziert (vgl. Wettstein, Schmid & Gonon, 2014). Rund zwei Drittel der Jugendlichen in der Schweiz absolvieren eine berufliche Grundbildung.

Abbildung 1: Berufsbildungssystem. Quelle: SBFI 2014, S. 5

Anders als in den allgemeinbildenden Schulen (Gymnasien, Fach- und Diplommittelschulen) und den vollschulischen Angeboten der beruflichen Grundbildung (z. B. Handels- und Informatikschulen) wird die betriebliche Grundbildung stark durch die Ausbildungsbetriebe in der Wirtschaft oder in der öffentlichen Verwaltung und im Non-Profit-Sektor geprägt. Die Wirtschaftsbetriebe haben – anders als alle anderen Bildungsanbieter auf der Sekundarstufe II – keinen staatlichen Leistungsauftrag, keinen Ausbildungszwang und werden dafür auch nicht direkt entschädigt, es sei denn insofern, als sich die Ausbildung von Lernenden für viele Betriebe durchaus lohnt (Strupler & Wolter, 2012).

Ähnlich wie der Arbeitsmarkt funktioniert auch der Lehrstellenmarkt: Im Wettbewerb suchen die Akteure einen passenden Partner, der einen möglichst großen »Nutzen« verspricht. Die kantonalen Berufsbildungsämter haben dabei eine hoheitlich-qualitätssichernde Funktion und beeinflussen den Markt nur bei Bedarf (vgl. unten). Gerade diese Wirtschafts- und Arbeitsmarktnähe gilt als großer Vorteil. Von der Wirtschaft und den Berufsbildungsbehörden wird die duale Berufsbildung als entscheidender Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz und die vergleichsweise geringe Jugendarbeitslosigkeit beurteilt (Maurer, 2013; WBF, 2013). Gleichzeitig wirken Ansprüche, Dynamiken und Probleme der Wirtschaft direkt auf die Berufsbildung zurück.

Lehrstellenmarkt

Ausbildungsbetriebe und Jugendliche stellen die beiden Hauptakteure dar und bestimmen Angebot und Nachfrage. Über die Jugendlichen beeinflussen auch Eltern, Schule und Berufsberatung den Lehrstellenmarkt. Über die Berufe und Betriebe nehmen die Organisationen der Arbeitswelt (OdA) Einfluss. Gesetzliche Rahmenbedingungen (Berufsbildungsgesetz BBG, Arbeitsgesetz ArG), Auflagen der Behörden, ökonomische Rentabilität, Bedarfe des Arbeitsmarktes und gesellschaftliche Faktoren wie beispielsweise Prestige beeinflussen ebenfalls die Entscheidungen der beiden Hauptakteure. Daneben wird der Lehrstellenmarkt von drei kaum direkt beeinflussbaren Faktoren geprägt, der demografischen Entwicklung, strukturellen Veränderungen und konjunkturellen Schwankungen.

Abbildung 2: Faktoren, die den Lehrstellenmarkt beeinflussen. Quelle: BFI (2014), S. 11, ergänzt

Anders als vor einigen Jahren läuft die demografische Entwicklung aktuell zugunsten der Jugendlichen: Es gibt für einige Jahre weniger Schulabgänger/innen. Die sinkende Nachfrage kann erfahrungsgemäß aber auch zu einem sinkenden Angebot auf dem Lehrstellenmarkt führen. Auch die konjunkturellen Schwankungen wirken auf den Lehrstellenmarkt – allerdings abgeschwächt und verzögert. Unsicherheit über die konjunkturelle Entwicklung lässt manche Unternehmungen zögern, einen Lehrvertrag zu unterzeichnen, der für zwei bis vier Jahre bindend gilt. Und schließlich wird der Lehrstellenmarkt stark von den strukturellen Veränderungen der Wirtschaft beeinflusst: So führten und führen neue Technologien, Rationalisierungsprozesse, die zunehmende Verlagerung von Arbeit in den Dienstleistungssektor, aber auch die Auslagerung einfacher Arbeiten nach Osteuropa oder in Schwellenländer sowie die Globalisierung der Märkte zu Veränderungen der Arbeit, der Anforderungen und zur Abnahme einfacherer Tätigkeiten.

Keinen direkten Einfluss auf den Lehrstellenmarkt haben die Berufsfachschulen, sie entscheiden nicht über eine Lehrstellenbesetzung. Allerdings beeinflussen sie durch ihre Anforderungen und die Qualität der Ausbildung den Bildungserfolg der Jugendlichen.

Im Lehrstellenmarkt kann es – wie in jedem Markt – zu Angebots- und Nachfragelücken respektive -überschüssen kommen. Deshalb und um die Härte der Marktlogik für die potenziellen »Verlierer« unter den Jugendlichen zu mildern, greift der Staat – genauer: greifen die kantonalen Berufsbildungsämter – in den Lehrstellenmarkt ein. Da dabei die Jugendlichen ungleich stärker unterstützt werden als die Betriebe, kann das staatliche Engagement als Ausgleich des Marktnachteils der (benachteiligten) Jugendlichen betrachtet werden – wobei natürlich auch die Lehrbetriebe von den geförderten Kompetenzen der Jugendlichen und den Vermittlungsdienstleistungen profitieren (vgl. unten).

Neuere Entwicklungen der Berufsbildung und Folgen für die berufliche Integration

Die beschleunigten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen seit den 1990er-Jahren erforderten eine Reform der beruflichen Grundbildung und damit eine Anpassung der gesetzlichen Grundlagen (vgl. dazu etwa Wettstein, Schmid & Gonon, 2014). Im seit 2004 gültigen Berufsbildungsgesetz (BBG) sind u. a. folgende Ziele und Neuerungen festgehalten:

•Es wird eine Qualitätssteigerung der beruflichen Bildung angestrebt.

•Die Ausbildungen werden systematisiert, standardisiert und laufend aktualisiert.

•Die zweijährigen Grundbildungen mit eidgenössischem Berufsattest (EBA) ersetzen die bisherigen Anlehren.

•Alle drei- und vierjährigen Grundbildungen schließen mit einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ) ab.

•Die Durchlässigkeit zwischen den Niveaus und Bildungsstufen wird erhöht. »Geschlechtsneutralere« Berufe und Ausbildungen werden angestrebt.

•Der Bund engagiert sich finanziell stärker.

•Finanzen für berufsintegrierende und lehrstellenfördernde Maßnahmen werden bereitgestellt.

•Eine Profilierung und Standardisierung auf internationaler Ebene (Kopenhagen-Prozess) wird angepeilt.

Insbesondere die ersten drei Punkte – und mutmaßlich auch der letzte – führten bei der Reform vieler Berufe zu höheren Anforderungen für Lernende und Betriebe. Die oben skizzierten Veränderungen führten gleichzeitig dazu, dass immer mehr Jugendliche eine Berufsausbildung anstrebten. Wer noch vor dreißig oder vierzig Jahren nach der obligatorischen Schule direkt in den Arbeitsmarkt übertreten wollte, fand in der Regel auch als Ungelernte/r eine feste Stelle. Da heute fast alle beruflichen Tätigkeiten erhöhte Anforderungen stellen, ist die nachobligatorische Ausbildung aber zur sozialen Norm für alle Jugendlichen geworden (Schaffner, 2008). Eine Berufsausbildung wird als zentral erachtet, um mit den rasanten Entwicklungen in Wirtschaft und Arbeitsmarkt mithalten zu können, genügend zu verdienen und das Risiko der Arbeitslosigkeit zu verringern. Gleichzeitig gelangten um die Jahrtausendwende geburtenstarke Jahrgänge auf den Ausbildungsmarkt, unter ihnen eine große Zahl von Jugendlichen mit Migrationshintergrund.

Die erhöhte Nachfrage und Heterogenität der Jugendlichen und die gleichzeitige Steigerung der Anforderungen führten in den letzten rund zwanzig Jahren zu einem erhöhten Wettbewerb und ungleichen Chancen beim Zugang zu Ausbildungsplätzen. Für viele Jugendliche ist es damit deutlich schwieriger geworden, die berufliche Integration zu meistern. Aus dem zweitletzten Punkt der obigen Aufzählung wird ersichtlich, dass das Berufsbildungsgesetz auch auf diese Herausforderung reagiert und Maßnahmen zur beruflichen Integration und zur Lehrstellenförderung vorsieht.

Ziele und Entwicklungen bei der beruflichen Integration

Bildungspolitische Ziele

Bund und Kantone verfolgen das Ziel, dass möglichst alle Jugendlichen eine berufliche Grundbildung, eine Fachmittelschule oder ein Gymnasium erfolgreich abschließen können – der Zielwert liegt bei 95 Prozent (Generalsekretariat EDK, 2011). Dabei kommt dem Übergang von der obligatorischen Schule in die nachobligatorische Ausbildung auf der Sekundarstufe II (Übergang I) eine entscheidende Funktion zu. Bildungspolitischen Rationalitäten folgend, soll der Übertritt (Wettstein & Gonon, 2009, S. 243):

•ohne Zeitverlust erfolgen,

•allen Jugendlichen den Antritt einer ihren Fähigkeiten und wenn möglich auch ihren Neigungen entsprechenden Ausbildung ermöglichen,

•der Wirtschaft und anderen Bereichen der Arbeitswelt den Nachwuchs sicherstellen,

•die Verteilung der Ausbildungsplätze ohne Diskriminierung ermöglichen,

•die Besetzung aller bereitgestellten Ausbildungsplätze durch geeignete Jugendliche ermöglichen.

Das letzte Ziel ist grundsätzlich nicht zu erreichen: Für die Berufsbildungsregionen sind Wahlmöglichkeiten erforderlich, die den Neigungen und Fähigkeiten der Jugendlichen entsprechen. Das erfordert ein bestimmtes Überangebot an Lehrstellen.

Entwicklungen im Übergang

Der wirtschaftliche Wandel, veränderte Ausbildungsanforderungen und damit verbundene Hürden bei der beruflichen Integration führten dazu, dass die Zahl der Schulabgänger/innen, die im Anschluss an die obligatorische Schule keine Lehrstelle finden, stark gestiegen ist. Die Quote der sofortigen Übertritte von der obligatorischen Schule in die Sekundarstufe II sank vor allem in den 1990er-Jahren und pendelte sich seit Mitte der letzten Dekade bei etwa 75 Prozent ein. 15 Prozent besuchen ein Brückenangebot und 10 Prozent eine andere Zwischenlösung oder haben keine Lösung (SKBF, 2014) – wobei die Unterschiede zwischen den Kantonen und Regionen groß sind.

Die große Lehrstellenknappheit nach der Jahrtausendwende konnte durch geeignete Maßnahmen in den letzten zehn Jahren deutlich verkleinert werden: Für den Ausbildungsbeginn 2013 wurden in der Schweiz rund 95 500 Lehrstellen angeboten (2005: 76 000), von denen rund 87 000 (2005: 70 000) besetzt werden konnten. Insgesamt waren im Herbst 2013 rund 16 500 (2005: 22 500) Jugendliche in der »Warteschlange«. Die Zahl der Jugendlichen in der »Warteschlange ohne Zusage« hat von 17 Prozent im Jahr 2007 auf 10 Prozent im Jahr 2013 abgenommen (alle Hochrechnungen nach BBT, 2005, bzw. SBFI, 2013).

Allerdings ist ein Ausbildungsplatz noch keine Garantie, dass das Ziel auch erreicht wird: Die Ausbildung muss auch erfolgreich abgeschlossen werden können – ohne Lehrabbruch oder -unterbrechung und mit bestandenem Qualifikationsverfahren (Lehrabschlussprüfung).

Ansatzpunkte

In diesem Sinne ließen die erschwerten Bedingungen beim Übergang in die Erwerbsarbeit unterschiedliche Maßnahmen nötig werden. 2006 hat die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) das Projekt »Optimierung der Nahtstelle obligatorische Schule – Sekundarstufe II« lanciert. 2011 wurden Empfehlungen zu folgenden Bereichen veröffentlicht (Generalsekretariat EDK, 2011):

•Schul- und Berufswahl,

•Zusammenarbeit zwischen den Schulstufen,

•Übergang in die Arbeitswelt,

•Nachholbildung und Anerkennung von Bildungsleistungen,

•Aus- und Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Schulbehörden,

•interinstitutionelle Zusammenarbeit.

Unterstützungsangebote und -maßnahmen

Stoßrichtungen der Maßnahmen

Um die hoch gesteckten Ziele beim Übergang in die Berufsausbildung erreichen zu können, wurden die bestehenden Angebote im Rahmen der schulischen Vorbereitung und der beruflichen Grundbildung durch zusätzliche Maßnahmen ergänzt. »Berufliche Integration« bedeutet also die Integration in eine berufliche Grundbildung. Davon zu unterscheiden ist die Arbeitsintegration in eine Arbeitsstelle. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ohne abgeschlossene Berufsbildung wird Letzteres nur angestrebt, wenn eine Ausbildung nicht möglich oder nicht gewollt ist.

Als wichtigste konkrete Maßnahmen zur beruflichen Integration nennt das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI, 2014, S. 11):

•Berufsinformation und -beratung,

•Lehrstellennachweise (auf der Internet-Plattform ausgeschriebene Lehrstellen),

•Aufbau von Lehrbetriebsverbünden (Ausbildung im Verbund mehrerer Betriebe oder in einer spezialisierten Ausbildungsorganisation), 3

•Lehrstellenförderinnen und Lehrstellenförderer: Sie sprechen bei Unternehmungen direkt vor und werben für die Schaffung von Ausbildungsplätzen,

•Bereitstellen von staatlichen Übergangslösungen (vor allem Brückenangebote),

•Vermittlung und individuelle Begleitung (Mentoring) von Jugendlichen ohne Lehrstelle.

Im Bereich der beiden letzten Punkte wurden in den letzten zwanzig Jahren die Angebote und Plätze stark ausgebaut. Die Differenzierung der Angebote und Maßnahmen und die zugehörigen Aufnahme- und Zuweisungsregelungen führten zur Entwicklung eines »Übergangssystems« – mit unterschiedlichen kantonalen Ausprägungen. Das Übergangssystem ist die »Gesamtheit der gesellschaftlichen Akteure, Strukturen und Prozesse, die in die Übergänge von jungen Frauen und Männern ins Erwerbsleben involviert« sind (Brock, 1991). Ein solches System ist in der formalen Bildungssystematik eigentlich nicht vorgesehen, wird aber als notwendiges und nützliches »Hilfssystem« zwischen den regulären Bildungsstufen respektive zwischen Bildung und Arbeit akzeptiert und geschätzt. Im Folgenden werden die Haupttypen von Angeboten und Maßnahmen dieses Übergangssystems kurz vorgestellt, wobei auf die Unterschiede zwischen den Kantonen nicht eingegangen werden kann.

Maßnahmen während der obligatorischen Schulzeit

Jugendliche, die eine Berufsbildung anstreben, werden von Berufsberatung und Klassenlehroder Berufswahllehrperson unterstützt. Welche Elemente beim Berufsfindungsprozess wann und von wem angestoßen werden sollen, wird auf der Sekundarstufe I mit sogenannten »Berufswahlfahrplänen« über die drei letzten Schuljahre dargestellt. Als Erstes geht es darum, den Jugendlichen die Arbeitswelt und die Berufsbildung näherzubringen (etwa mit Firmenbesuchen, Einladungen von Ausbildern und Ausbilderinnen in die Schule usw.) und diese den Zielen und Wünschen der Jugendlichen gegenüberzustellen. Danach gilt es, mit den Jugendlichen zu klären, welche Ausbildungen den individuellen Interessen und Möglichkeiten entsprechen könnten; dabei helfen die Informationen aus dem Berufsinformationszentrum (BIZ). Schulische und persönliche Standortbestimmungen dienen als Grundlage beim Vergleich der Anforderungen und Erwartungen mit dem eigenen Kompetenzprofil respektive dem Berufsprofil. Eventuelle »Kompetenzdefizite« bei einem grundsätzlich realistischen Berufswunsch sollen behoben werden. In der letzten Phase geht es um die Begleitung bei der »Realisierung«: Suche von freien Lehrstellen, Bewerbungsunterlagen zusammenstellen und Bewerbungsbriefe schreiben, telefonische Anfragen, Vorstellungsunterlagen und Schnupperlehren meistern, Lehrvertrag unterzeichnen.

Coaching-, Mentoring- und Vermittlungsangebote

Jugendliche, bei denen der Unterstützungsbedarf größer ist, werden bereits in den letzten zwei Schuljahren und – wenn keine Anschlusslösung gefunden wurde – auch nach Schulaustritt vermehrt individuell betreut. Die Vielfalt dieser neueren Angebote ist groß, kann aber in »Grundtypen« gegliedert werden:

•»Berufsintegrationscoachs« unterscheiden sich von klassischen Berufsberatern/-beraterinnen dadurch, dass sie den Schwerpunkt stärker auf das persönliche Coaching der Jugendlichen und auf die Begleitung bei der Lehrstellensuche legen.

•Mentorinnen und Mentoren sind meist erfahrene Berufsleute, die die Jugendlichen – oft ehrenamtlich – durch ihre Erfahrung und ihr Beziehungsnetz unterstützen.

•Von »Vermittlung« kann gesprochen werden, wenn speziell qualifizierte Beratungs- oder Lehrpersonen als Haupt- oder Nebenfunktion Jugendliche aktiv in Lehrstellen vermitteln.

•Zusätzlich gibt es schulexterne Angebote, die eine Kombination von Beratungsdienstleistungen und Wochenplatz (Sammeln von ersten Erfahrungen mit der Arbeitswelt) anbieten (z. B. Projekt LIFT). 4

Eine Mischung aus Beratung, Coaching und Vermittlung leisten auch die Personalberater/innen der regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV).

Brückenangebote 5

Zu den Brückenangeboten im weiteren Sinne werden alle Angebote mit Tagesstruktur gezählt, die auf eine reguläre Ausbildung der Sekundarstufe II vorbereiten. Sie haben folgende Funktionen (Meyer, 2003, S. 102; vgl. auch Meyer in diesem Band, S. 39):

•Kompensationsfunktion: Jugendliche, die eine Zwischenlösung besuchen, haben gemäß dieser Zuschreibung schulische, sprachliche oder andere Defizite, die es zu beheben gilt.

•Orientierungsfunktion: Gemäß dieser Zuschreibung sollen Zwischenlösungen Entscheidungs-, Orientierungs- und Einstiegshilfe für die nachobligatorische Ausbildungslaufbahn bieten.

•Systemische Pufferfunktion: Im Gegensatz zu den beiden ersten, vom Individuum ausgehenden Funktionen geht diese Zuschreibung vom Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungs-»Markt« der Sekundarstufe II aus, das Jugendliche dazu zwingt, eine »Warteschleife« einzulegen.

Als Brückenangebote im engeren Sinne werden alle vom Kanton (mit-)finanzierten, meist einjährigen Angebote mit Tagesprogramm bezeichnet; dazu gehören zehnte Schuljahre, Berufsvorbereitungsjahre, Berufswahljahre und Vorlehren. Die Zuständigkeit für die Brückenangebote liegt heute bei den kantonalen Berufsbildungsämtern, daneben finden sich Angebote von privaten Anbietenden. Brückenangebote erfüllen mehrere der oben genannten Funktionen. Durchgesetzt hat sich in der Mehrheit der Deutschschweizer Kantone eine Systematik nach Programmschwerpunkten:

•schulische Brückenangebote: der Schwerpunkt liegt bei schulischem Unterricht;

•kombinierte Brückenangebote: Kombination von Unterricht und Arbeit (in einem Betriebspraktikum oder der eignen Werkstatt);

•Integrationsbrückenangebote: der Schwerpunkt liegt auf Deutsch als Zweitsprache und soziokultureller Integration für Jugendliche, die erst wenige Jahre in der Schweiz leben.

Die Förderung von methodisch-lebenspraktischen, sozialen und persönlichen Kompetenzen ist für alle Brückenangebote wichtig. Neben der Förderung im Klassenverband bieten viele Brückenangebote (intern oder extern) Beratungs-, Coaching- und zum Teil auch Vermittlungsdienstleistungen an.

Motivationssemester6

Motivationssemester (semo) sind arbeitsmarktliche Maßnahmen der Arbeitslosenversicherung für arbeitslos gemeldete 15- bis 25-Jährige ohne Berufsausbildung. Die Teilnahmedauer variiert zwischen einigen Wochen und einem Jahr. 7 Praktische Arbeiten in eigenen Werkstätten und Ateliers oder ein externes Betriebspraktikum stellen einen Schwerpunkt dar. Der Unterricht konzentriert sich meist auf Deutsch und Mathematik, eventuell gekoppelt mit Arbeits- und Lerntechnik. Der Lehrstellensuche wird eine große Beachtung geschenkt – oft mit einem intensiven Training, Coaching und einer aktiven Vermittlung in Betriebe.

Da Motivationssemester in den meisten Kantonen auch Jugendliche aufnehmen, die in den kantonalen Brückenangeboten wegen schulischer und motivationaler Gründe abgelehnt wurden, sind viele Programme auf den damit verbundenen Bedarf ausgerichtet. Motivationssemester werden großmehrheitlich durch Stiftungen oder Vereine angeboten.

Private Zwischenlösungen

Neben den staatlichen Maßnahmen gibt es auch viele privat initiierte und organisierte Zwischenlösungen. Die wichtigsten sind:

•Sprachaufenthalte und Au-pair-Einsätze (oft kombiniert mit Sprachunterricht),

•Sozialjahre,

•privat organisierte »Praktika« (nicht zu verwechseln mit Praktika als Bestandteil einer Ausbildung oder eines Brückenangebotes),

•jobben/temporäre Arbeitseinsätze.

Zwischenlösungen können für Jugendliche zur »Sackgasse« werden, wenn sie nicht gezielt und individuell passend die berufliche Integration fördern oder wenn die notwendige professionelle Unterstützung fehlt.

Angebote während der Berufsbildung und beim Übergang II

Der Übergang I ist erst mit dem erfolgreichen Abschluss der beruflichen Grundbildung wirklich bewältigt. Zur Verhinderung von Lehrabbrüchen und nicht bestandenen Qualifikationsverfahren (Lehrabschlussprüfungen) wurden für EBA-Lernende folgende Angebote geschaffen:

•Stützkurse in den Berufsfachschulen,

•fachkundige individuelle Begleitung (FiB), schulische oder persönliche Förderung,

•Möglichkeit, die Ausbildung bei Bedarf auf drei oder vier Jahre zu verlängern,

•supported education für Jugendliche mit IV-Unterstützung.

Zur Unterstützung des Übergangs II – von der Berufsbildung in eine feste Arbeitsstelle – existieren ebenfalls Maßnahmen, alle finanziert durch die Arbeitslosenversicherung:

•Berufs- und Ausbildungspraktika (drei bis sechs Monate),

•Übungsfirmen (sechs Monate),

•finanzielle Beiträge zu Weiterbildungsmaßnahmen (zwei bis zwölf Monate),

•Finanzhilfe für Arbeitgeber/innen (zur Förderung der Einstellung von Lehrabgänger/innen, maximal sechs Monate),

•Auslandspraktika (maximal achtzehn Monate).

Case-Management Berufsbildung8

Für Jugendliche mit Mehrfachproblematik, bei denen mehrere bis viele unterstützende Stellen und Angebote involviert sind oder benötigt werden, wurde das Case-Management Berufsbildung (CM BB) eingeführt. Eine fallführende Stelle sorgt über institutionelle Grenzen hinweg während der Berufswahl, der Lehrstellensuche und der Berufsbildung für ein planmäßiges, koordiniertes und kontrolliertes Vorgehen. Im Zentrum stehen die Unterstützung zur Selbsthilfe (Empowerment) der gefährdeten Jugendlichen sowie die Steigerung der Effizienz- und Effektivität der eingesetzten Maßnahmen durch eine wirksame Führung und Gestaltung der Prozesse. Eine Begleitung durch ein CM BB wird so lange weitergeführt, wie ein Bedarf besteht, und endet spätestens mit dem erfolgreichen Eintritt in den Arbeitsmarkt.

Funktionen der Angebote im Übergangsystem

Die drei Funktionen im Abschnitt »Brückenangebote« – Orientierungsfunktion, Kompensationsfunktion und systemische Pufferfunktion – gelten mehr oder weniger für alle Angebote im Übergang. Daraus lassen sich auf einer konkreteren Ebene spezifische Aufgaben bzw. Funktionen für die Begleitung der Jugendlichen ableiten:

Tabelle 1: Aufgaben/Funktionen der Unterstützung

Aufgaben/Funktion

Funktionsträgerinnen und -träger

Als Schwerpunkt in folgenden Angeboten und Phasen

Beratung und Information

Berufsberater/in

Berufsberatung für alle auf allen Stufen zugänglich

Unterstützung des Berufswahlprozesses im Klassenverband

Fachlehrperson Berufswahlunterricht und Klassenlehrperson

Volksschule (Sek I) Brückenangebote, Motivationssemester (Sek II)

Individuelle Begleitung und Beratung/Coaching bei der Lehrstellensuche: Unterstützung bei allen Schritten der beruflichen Integration; zum Teil auch Förderung von Ressourcen, Selbstständigkeit und Resilienz

Berufsintegrationscoach, oft Klassenlehrperson mit Zusatzfunktion, zum Teil schulische Heilpädagogen/in mit Zusatzfunktion, Mentor/in

Niveaus der Sek I mit Grundansprüchen oder heilpädagogischer Unterstützung, Motivationssemester und Brückenangebote, zum Teil spezielle Angebote der Berufsberatung

Individuelle Begleitung und Beratung/Coaching im Jugendhilfekontext: Alltags-, Krisen- und Problembewältigung; Förderung von Ressourcen, Selbstständigkeit und Resilienz

Schulsozialarbeiter/in, Sozialpädagogen/in, Sonderpädagogen/in, Schulpsycholog/in, zum Teil Klassenlehrperson

Schulische Dienste während des Besuchs der Volksschule, Brückenangebot und Motivationssemester, Jugendhilfeeinrichtungen

Stellenvermittlung: Vermittlung von Praktika und/oder Lehrstellen in Betrieben

Spezialisierte Vermittlungsfachperson oder Klassenlehrperson mit Zusatzfunktion, Mentor/in

Motivationssemester, zum Teil in Brückenangeboten und am Ende der obligatorischen Schulzeit

Kompetenzförderung: Entwicklung der schulischen, methodisch-lebenspraktischen, sozialen und persönlichen Schlüsselkompetenzen

Lehrpersonen, Sonder- und Sozialpädagogen, Arbeitsagogen/innen, Atelier- und Werkstattleiter/innen

Brückenangebote und Motivationssemester (inklusive integrierter Betriebspraktika) – je nach Typ unterschiedliche Gewichtung der Schlüsselkompetenzen

Stabilisierung: Sicherstellen eines geordneten, stabilisierenden Tagesprogrammes

Wie oben

Zusatzaufgabe von Brückenangeboten und Motivationssemestern – aber immer in Kombination mit Kompetenzförderung

Die Unterstützungsfunktionen werden im Praxisfeld meist nicht klar unterschieden. Viele Funktionsträger/innen decken mehrere Aufgaben ab – dies ist ihnen und auch den anderen Beteiligten oft nicht bewusst. Das kann zu Ziel- und Rollenkonflikten führen. Wenn die Aufgaben auf verschiedene Fachpersonen verteilt sind, ist die gegenseitige Information und Koordination zentral für den Erfolg. Dies gilt sowohl für Funktionsträger/innen in der gleichen Institution als auch für solche in unterschiedlichen Institutionen.

Auch konzeptionell sind die Unterstützungsfunktionen aufeinander abzustimmen: Bei Jugendlichen, die ein Brückenangebot oder eine andere Zwischenlösung nutzen, soll die individuelle Begleitung der ersten fünf Funktionen (Beratungs- oder Coachingkonzept) auf die Kompetenzförderung in der Klasse oder der Gruppe (Lehrplan, Förderplan) abgestimmt sein. Nicht alle Jugendlichen im Übergang benötigen Unterstützung in allen Bereichen. Für alle wichtig ist in jedem Fall aber ein passendes und förderndes Tagesprogramm; das heißt, es ist vorab zu klären, welches Angebot am zielführendsten ist.

Übergangssystem: Entwicklung, Herausforderungen und Lösungsansätze

Entwicklung zu einem »Übergangssystem«

In der Schweiz hat sich das Übergangssystem in kurzer Zeit quantitativ und qualitativ schnell weiterentwickelt. Das »Hilfssystem« für die berufliche Integration wird durch Strukturen von etablierten, »regulären« Systemen gebildet, insbesondere vom Berufsbildungs- und vom Sozialversicherungssystem. Auch die letzte Phase der Volksschule mit ihren herkömmlichen und neueren Maßnahmen kann dazugezählt werden. Die Ausweitung der Unterstützungsangebote ist Mitte 1990er-Jahre eher »bottom-up« als pragmatische Antwort auf erhöhte Jugendarbeitslosigkeit und auf neue Anforderungen durch die zunehmende Migration (u. a. ausgelöst durch die Balkan-Kriege) entstanden. Die neuen Angebote (Motivationssemester, kombinierte und Integrations-Brückenangebote) waren in ihrer »Pionierphase« wenig reguliert und koordiniert. Zusätzlich führte auch die größere Aufmerksamkeit der zuständigen kommunalen und kantonalen Stellen auf das Problem der Ausbildungslosigkeit zu einem erhöhten Bedarf an Plätzen. Aufgrund der gestiegenen Bildungsaspirationen und Erwartungen an die Bildungsbereitschaft blieb auch die Nachfrage nach den bereits länger bestehenden zehnten Schuljahren (heute schulische Brückenangebote) hoch. Die zum Teil unkoordinierte Entwicklung der Angebote – die naturgemäß auch den Bedarf und damit die Kosten erhöhte – hat in den letzten Jahren mehr Regelung, Steuerung und Koordination erforderlich gemacht. Mit der Strukturreform ging die Hauptverantwortung für die Brückenangebote an den kantonalen Berufsbildungsbereich über, was die Steuerung erleichterte.

Komplexität als Strukturmerkmal und Herausforderung

Die Angebote im sich bildenden Übergangssystem gehören zu verschiedenen angestammten Systemen mit unterschiedlicher Rechtsgrundlage, Finanzierung und Zuständigkeit.

Tabelle 2: Gesetzliche Grundlagen, Zuständigkeiten

Legende

B

Bund

K

Kantone

G

Gemeinden

BV

Bundesverfassung

VSG

Volksschulgesetz

BBG

Berufsbildungsgesetz

ArG

Arbeitsgesetz

AVIG

Arbeitslosengesetz

IVG

Invalidenversicherungsgesetz

SHG

Sozialhilfegesetz

AuG

Ausländergesetz

AsylG

Asylgesetz

JStG

Jugendstrafgesetz

SBFI

Staatssekretariat für Bildung,

SECO

Forschung und Innovation Staatssekretariat für Wirtschaft

BSV

Bundesamt für Sozialversicherungen

BFM

Bundesamt für Migration

BJ

Bundesamt für Justiz

Die Zugehörigkeit der Angebote zu verschiedenen Systemen hat teilweise große Unterschiede zur Folge, etwa im Hinblick auf folgende Aspekte:

•Zugangslogiken – formale oder sachbezogene Aufnahmebedingungen,

•Hauptzielsetzung, Bearbeitungslogik,

•Vorgaben an die Anbieter, Dauer des Angebots (Rahmenbedingungen), zuständige Professionen,

•Organisationskultur,

•System-, Problem- und Chancenwahrnehmung.

Diese Unterschiede, die den Akteuren im Übergangssystem oft nicht vollumfänglich bewusst sind, können zu Inkompatibilitäten und Irritationen führen, welche die Zusammenarbeit der Behörden und der Angebote sowie eine optimale Angebotsstruktur, Zuweisungsregelung und Information der Jugendlichen und Eltern erschweren.

Koordination: Zusammenarbeit und Case-Management Berufsbildung

Als Ansatz zur Lösung dieser Probleme wird ein Wechsel von der »Innenorientierung« der Systeme und Institutionen hin zu einer offenen »Außenorientierung« angestrebt. Voraussetzung für eine gelingende Zusammenarbeit ist eine kooperative Kommunikationskultur sowie die Kenntnis der Partner und das Verständnis der Funktionsweisen im ganzen System. Die Philosophie und Methodik der interinstitutionellen Zusammenarbeit (IIZ) wird im Bereich der Sozialversicherungen schon seit Jahren erfolgreich praktiziert – sowohl bei der institutionellen Koordination wie auf der Einzelfallebene.

Auf der nationalen Lehrstellenkonferenz im Dezember 2006 lancierte die Vorsteherin des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes die Einführung eines Case-Managements Berufsbildung (CM BB). Fast alle Kantone haben nun ein kantonales CM BB als fallorientierte IIZ installiert und weiterentwickelt. Anders als bei der IIZ der Sozialversicherungen liegt die Fallführung immer bei der gleichen Stelle, bei der Case-Managerin oder beim Case-Manager.

Das CM BB zielt darauf ab, die berufsbiografischen Verläufe von Jugendlichen mit Mehrfachproblematik im Übergang von der Schule in die Erwerbsarbeit besser abzusichern. Die fallführende Stelle sorgt über die institutionellen Grenzen hinweg für die Koordination der Unterstützung für die jeweiligen Jugendlichen und damit verbunden für die Koordination unter den beteiligten Akteuren. Das CM BB orientiert sich an der Philosophie und Methodik des Case-Managements im Sozial- und Gesundheitsbereich, passt diese aber den Aufgaben und Gegebenheiten im Praxisfeld der Berufsintegration und Berufsbildung an. Das CM BB kann Jugendliche bereits während der Volksschule, im Übergang I, während der Berufsbildung und auch im Übergang II begleiten.

Angebots- und Systemsteuerung – auf dem Weg zu einem »lernenden Übergangssystem«

Zur Optimierung des Übergangssystems sind gegenwärtig weitere gemeinsame strategische Maßnahmen erforderlich. Die Systemoptimierung kann dabei als umfassend verstandenes Case-Management Berufsbildung aufgefasst werden, das etwa folgende Elemente enthalten müsste:

•Die zuständigen Behörden verfolgen eine gemeinsame Strategie, und ihre Angebote sind konsequent darauf ausgerichtet und untereinander koordiniert.

•Die Angebote sind aufeinander abgestimmt, das heißt, es bestehen möglichst keine Lücken und keine ungewollten Überschneidungen bezüglich Zielgruppen und Verortung im Übergangssystem.

•Das Grundangebot im Übergangssystem sollte von klar strukturierten staatlichen Programmen abgedeckt werden. Für spezielle kleinere Zielgruppen können spezialisierte, flexible Anbieter beauftragt werden. Erstere gewährleisten eine größere Anzahl Plätze mit klar definiertem Grundprogramm und Leistungsumfang, die einfache Information und abgestimmte Zuweisung der potenziellen Teilnehmenden, Letztere die notwendige Ergänzung für Zielgruppen mit speziellen und individuellen Bedürfnissen.

•Alle Beteiligten, vor allem die Jugendlichen selbst, sind über die Angebotsstruktur hinreichend informiert. Alle wichtigen Informationen über die Angebote sind zentral zugänglich.

•Die Zuweisungs- und Aufnahmeverfahren und Aufnahmekriterien der Angebote sind aufeinander abgestimmt, damit zufällige, das heißt für die Jugendlichen suboptimale Angebotsnutzungen verhindert werden können.

•Hürden, formale Vorgaben (etwa sachfremde Aufnahmekriterien wie z. B. Ausländerstatus) und falsche Anreize (z. B. unterschiedliche Entschädigungspraxis in den Angeboten), die Berufsintegration behindern, werden beseitigt, soweit dies gesetzlich möglich ist.

•Die Übergaben und Schnittstellen zwischen den Angeboten sind geklärt, und das »abgebende« Angebot stimmt sein Programm auf die Voraussetzungen für das »aufnehmende« Angebot ab.

•Die zuständigen Behörden fühlen sich bei der Finanzierungsfrage für »ihre« Zielgruppe verantwortlich und finanzieren die entsprechenden Angebote, ohne die Kosten auf andere abwälzen zu wollen.