Western Legenden 04: Wie Wölfe aus den Bergen -  - E-Book

Western Legenden 04: Wie Wölfe aus den Bergen E-Book

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Beschreibung

Delgado und die Yavapai-Apachen von Chief Big Rump haben sich in eine unwegsame Bergregion der Apacheria zurückgezogen. Doch die US-Armee hat sich inzwischen mit den Todfeinden der Apachen, den Pima und Maricopa aus dem Tal des Gila River, verbündet. Der berüchtigte Indianerkiller Jim Fletcher führt eine Bande von Pima und einen Trupp Kavallerie unter Lieutenant C.C.C. Carr gegen die Yavapai. Während die Soldaten im Hornitos Canyon eine Höhle belagern, in der die Frauen und Kinder der Yavapai Zuflucht gefunden haben, treffen Delgado und Fletcher aufeinander. Ein großer historischer Roman aus der Zeit der Indianerkriege. Band 2 der erfolgreichen Delgado-Trilogie.Die Printausgabe des Buches umfasst 224 Seiten

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Seitenzahl: 236

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WESTERN LEGENDEN

In dieser Reihe bereits erschienen:

9001 Werner J. Egli Delgado der Apache

9002 Alfred Wallon Keine Chance für Chato

9003 Mark L. Wood Die Gefangene der Apachen

9004 Werner J. Egli Wie Wölfe aus den Bergen

9005 Dietmar Kuegler

Werner J. Egli

WIE WÖLFE AUS DEN BERGEN

© 2017 Blitz Verlag

Ein Unternehmen der SilberScore Beteiligungs GmbH

Mühlsteig 10 • A-6633 Biberwier

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-404-6

VORWORT

Als im Jahre 1865 der verheerende Bürgerkrieg ein Ende fand und die Südstaaten endlich kapitulierten, standen die USA vor dem Problem der Reorganisation einer Armee, mit der das schier grenzenlose Gebiet des amerikanischen Westens unter Kontrolle gebracht werden konnte. Ein Teil dieses Gebietes war die Apacheria, eine zivilisationsfeindliche Wildnis im heutigen Südwesten der Vereinigten Staaten von Amerika. Sie reichte vom Colorado River im Westen bis zum Rio Grande del Norte im Osten, vom Grand Canyon im Norden bis tief in die Sonorawüste Mexikos hinein.

Das Leben in der Apacheria war so gefährlich und hart wie das Land selbst. Nur die Starken konnten bestehen, und bevor die Amerikaner kamen, galt das Volk der Apachen als das stärkste im Lande.

Verschiedene semi-nomadische Apachenstämme kontrollierten das gesamte Gebiet, terrorisierten die Pueblo-Stämme, plünderten ihre Dörfer, töteten ihre Männer, Frauen und Kinder und stahlen ihnen regelmäßig, was sie auf ihren Äckern anbauten und ernten wollten.

Für die Pueblo-Stämme, auch für die Pima und Maricopa, die sich aus den fruchtbaren Niederungen in die unzugänglichen Berge zurückziehen mussten, waren die räuberischen Apachen ein Joch, dem sie sich als sesshafte Ackerbauern nahezu schutzlos jahrzehntelang ausliefern mussten. Und die Apachen kannten keine Gnade. Wer sich ihren Kriegerbanden entgegenstellte, wurde niedergemacht, Frauen und Kinder oft verschleppt.

Die ersten Europäer, die in der Apacheria einmarschierten, waren die spanischen Conquistadores, die Eroberer. Im Schutze spanischer Soldaten begannen Missionare die sesshaften Indianer zu missionieren. Stämme wie die Pima, die Maricopa und die Tohono O’Odham, alle im Süden des heutigen Arizona beheimatet, verbrüderten sich aus reiner Notwendigkeit mit den Spaniern, die ihnen Schutz vor den Apachen versprachen.

Nachdem die USA durch den sogenannten Gadsden Purchase einen Großteil der Apacheria von den Spaniern übernommen hatten, setzten sich die starken Apachen gegen die neuen weißen Eindringlinge zur Wehr, die zu Tausenden in die Apacheria kamen, als in den Berg- und Wüstenregionen große Vorkommen von Silber und Gold entdeckt wurden. Städte wie Prescott, Tucson und Yuma entstanden. Bald durchzog ein Netz von Handelsstraßen das Land, und an strategisch wichtigen Punkten entstanden zum Schutz der amerikanischen Siedler die Forts der US-Armee.

Am Anfang waren es nur wenige Kompanien, die nach dem Südwesten geschickt wurden. So verteilten sich im Jahre 1867 auf vierzehn Forts nur siebenundzwanzig Kompanien Kavallerie und Infanterie. Die Apachen wussten dies zu nutzen. Sie schlugen in kleinen Gruppen überall dort zu, wo sich ihnen Gelegenheit bot, aus dem Hinterhalt heraus schnell anzugreifen und wieder zu verschwinden.

Der Schutz der Armee reichte nicht aus, um den Amerikanern in der Apacheria Sicherheit zu garantieren. Gegen Ende der 1860er Jahre war die Stadt Prescott sozusagen von der Außenwelt abgeschnitten, obwohl an ihrer Peripherie Fort Whipple, eines der Hauptquartier-Forts, stand. Die Handelsstraße vom Colorado River nach Prescott musste von ihrem Besitzer, William Hardy, gesperrt werden. Die großen Bergwerke in den Bradshaw Mountains mussten wegen des mangelnden Schutzes der Minenarbeiter stillgelegt werden. Die Bürger konnten die kleine Pionierstadt nicht mehr verlassen, denn die Apachen hatten ihre anfängliche Scheu verloren und lauerten vor den Toren Prescotts auf eine Chance, jeden der verhassten Weißen zu überfallen und wenn möglich umzubringen.

Für die amerikanischen Siedler, die voller Tatendrang und Zuversicht in die Apacheria gekommen waren, begann eine unsichere Zeit. Vergeblich warteten sie auf eine Verstärkung der Schutztruppen durch Armee-Einheiten, die man im zivilisierten Osten der USA entbehren konnte. Die Regierung in Washington sollte sich so schnell wie möglich für eine Großoffensive gegen die Apachen entschließen, um das gesamte Gebiet zu säubern und die Stämme auszurotten.

Für die Siedler waren die Apachen nicht mehr als widerliche Wilde, in ihrer Art und Entwicklung kaum von den niederen Wesen der Tierwelt zu unterscheiden. Ohne Gott blieb den Apachen das Christentum fremd. Ihre Bräuche und Rituale erschienen den Weißen wie Teufelswerk. Ihre Art, in primitivsten Verhältnissen zu leben, das ständige Herumstreifen in kleineren und größeren Banden, das rücksichtslose Vorgehen gegen ihre Feinde und der Widerstand gegen alle Zivilisationsversuche, machten die Apachen in den Augen der weißen Siedler zu wahren Bestien. Das Leben eines Apachen zählte für die Amerikaner nichts. Im Krieg gegen sie war ihnen jedes Mittel recht. Privatleute bezahlten für Skalpe von Apachen horrende Trophäenpreise. Dabei war es egal, ob der Skalp von Mann, Frau oder Kind stammte. Männer in Prescott trugen Halsketten, an denen die Zähne hingen, die sie Apachenfrauen aus dem Mund geschlagen hatten. Aus Frauenbrüsten wurden Tabaksbeutel hergestellt. Die Apachen wurden massakriert, wo man sie traf, und man machte keine Unterschiede. Der Hass blendete alle.

In Prescott wurde eine Bürgerarmee gegründet. Sie bestand aus einem Captain und dreißig Mann, nannte sich Yavapai-Ranger und beschäftigte sich ausschließlich mit der Apachenjagd. Finanziert wurde der Trupp teilweise aus den Einnahmen von Tom Hodges, einem streitsüchtigen und skrupellosen Saloon-Wirt, der sich selbst zum Captain ernannte. Er führte im Jahre 1867 Captain James Monroe Williams und seine Einheit der US-Armee auf einem ersten groß angelegten Feldzug gegen die Yavapai-Apachen. Die regulären Soldaten überfielen gemeinsam mit den Rangers aus Prescott kleine Indianerdörfer und machten sie dem Erdboden gleich. Dutzende von Männern, Frauen und Kindern wurden gnadenlos niedergemetzelt.

Einer der Apachen, der das Massaker im Dead Horse Wash überlebt hatte, war Delgado, der Sohn von Mangas Coloradas. Er war damals ein junger Bursche, der bei den Yavapai zu Gast war und eine Tochter von Chief Wah-poo-eta – oder Big Rump – zur Frau nehmen wollte. Die Soldaten töteten das Mädchen bei dem Überfall auf das Dorf, und Delgado floh mit wenigen Überlebenden tiefer in die Wildnis hinein. Wenig später griffen einige junge Apachenkrieger die Truppen von Captain James Monroe Williams an und verletzten den Captain so schwer, dass er den Feldzug abbrechen musste.

Daraufhin kehrte für kurze Zeit Ruhe ein. Die Apachen hatten sich in ihre schwer zugänglichen Schlupfwinkel zurückgezogen. Sie glaubten, dass die verhassten Weißaugen jetzt vielleicht nicht weiter in ihr Gebiet vordringen würden. Doch sie irrten sich. Die US-Armee verbündete sich mit den alten Feinden der Apachen, den Pima und den Maricopa. Diese kannten jeden Pfad in dieser Wildnis, jede Höhle, in der man sich verstecken konnte, jeden Canyon, in dem eine Handvoll Frauen, Kinder und alte Leute Schutz fanden, und jeden Platz, wo die Apachen ein Dorf errichten konnten.

Die Pima kamen aus den kahlen Bergen in der Sonorawüste. Und sie hatten lange auf diese Gelegenheit gewartet, um sich an den Apachen für die vergangene Schmach zu rächen. Jetzt waren sie die Stärkeren, denn sie glaubten, im weißen Mann einen Freund und Verbündeten gefunden zu haben, dem sie vertrauen konnten.

Später bezahlten sie für diesen Irrtum genauso wie ihre Gegner, die Apachen.

Doch in der Zeit, in der diese Geschichte handelt, war da ein neuer Gott, der ihnen im Kampf gegen ihre Todfeinde zur Seite stand. Scharenweise waren sie zum christlichen Glauben übergetreten und hatten sich von den Missionaren taufen lassen. Das Töten von Feinden wurde für sie zur gottgewollten Pflicht, und alle Schandtaten sollten ihnen verziehen werden, auch das Morden von Frauen und Kindern.

Tucson, Arizona 1978 und 2014

JEFFERSON PARKER / WERNER J. EGLI

PIMA JIM FLETCHER

Der Bighorn-Bock stelzte aus dem Waldschatten heraus, als die Sonne aufging und mit ihren Strahlen den Dunst durchbrach. Das erste Licht floss wie Gold von den zerklüfteten Felsformationen, die am Rande eines Hochplateaus in den Himmel ragten. Im Halbschatten der Kiefern standen sechs Schafe, die mit ihren großen, weit auseinanderstehenden Augen den Bock beobachteten, so als ob sie auf ein Zeichen warteten, mit dem er ihnen erlaubte, den schützenden Wald zu verlassen.

Der Bock blieb stehen. Er äugte in alle Richtungen, spielte mit den Ohren und sog die kühle Morgenluft ein. Am Ende des Plateaus, dort wo ein Steilhang in das Tal abfiel, tauchte aus dem Gestrüpp ein kleiner Fuchs auf. Er sah den Bock, drehte sich um und lief mit hängendem Schwanz davon. Hoch über den Felsen flogen zwei Falken, tanzten im Wind, tauchten in die blauen Schatten der Berge ein und stiegen wieder auf, wo der Schnee des letzten Winters glitzerte. Der Bock beobachtete alles. Er wollte sicher sein, denn er kannte die Gefahren, die auf ihn und seine Schafe warteten. Er kannte den Puma, und er kannte die Wölfe als effiziente Jäger. Und er kannte die Menschen als die gefährlichsten aller Feinde.

Erst als er nicht die geringste Andeutung einer Gefahr wahrnehmen konnte, ging er zum Rand des Plateaus und blickte hinunter in das enge Tal, in dem noch vereinzelte Nachtschatten nisteten. Ein schmaler Bach schlängelte sich durch satte Wiesen, die mit silbernem Tau bedeckt waren. In den Weidenbüschen unterhielten sich ein Arizona-Cardinal-Weibchen und ein Männchen. Dunkle Spuren von Hasen durchzogen die glitzernden Wiesen. Ein gefleckter Skunk tauchte kurz unter einem Busch auf und verschwand sofort wieder. Der Bock hatte sich nach seinen Schafen umgedreht. Sie kamen aus dem Wald heraus. Ein paar Lämmchen folgten ihnen, staksten auf ihren dünnen Beinchen herum und jagten in noch ungelenken Bocksprüngen ausgelassen hintereinander her.

Es war ein friedlicher Morgen. Dort, wo die Sonne hinreichte, wurde es schnell warm. Der Tau trocknete. Dunstschleier hoben sich, strichen an den Hängen entlang und lösten sich schnell auf. Der Bock blieb auf der Wiese stehen, während die Schafe durch die Büsche zum Bach gingen. Der spitze, lang gezogene Schrei eines Falken durchbrach die trügerische Stille. Der Bock hob den Kopf, regungslos, das mächtige Geweih mit den spitzen blanken Enden zurückgelegt. Er blähte die Nüstern, nahm Witterung auf und spürte die plötzliche Gefahr, in die er sein Rudel geführt hatte. Jäh drehte er sich um, stieß ein paar warnende Laute aus und jagte mit weiten Sprüngen davon. Die Schafe und die beiden Lämmer brachen durch die Büsche und hetzten hinter dem Bock her, der einen Vorsprung von etwa hundert Yards hatte.

Nur eines der Schafe blieb etwas zurück. Es war das Schaf mit dem krummen Vorderlauf. Und dort, wo der Bach eine große Schleife machte, dort wurde dieses Schaf von einem Pfeil getroffen, der seinen Hals durchbohrte. Blut. Das Schaf überschlug sich mitten im Lauf, blökte, schlug mit allen vieren wild um sich und wälzte sich im taunassen Gras, bis seine Kräfte nachließen und der Widerstand langsam erlosch. Nach einer Weile lag es still, atmete nur noch, und das Blut quoll aus der Wunde und lief über das Fell ins Gras.

*

Der junge Apache, der den Pfeil abgeschossen hatte, hieß Rana. Er war fast noch ein Knabe. Erst vor vierzehn Wintern hatte ihn seine Mutter geboren. Sein Vater war Cebolleta, ein Bruder von Wah-poo-eta, den die Weißaugen Big Rump nannten.

Rana wollte das Fell des Bighorn-Schafes, um damit einen Köcher für seine Pfeile herzustellen und eine Hülle für den neuen Bogen, den ihm Delgado geschenkt hatte. Es war ein guter Bogen, geleimt aus den Herzstücken der Hörner eines mächtigen Bighorn-Bockes, den Delgado im letzten Herbst, kurz vor dem ersten Schneefall, in der Nähe des Baker Butte erlegt hatte. Delgado hatte von den Jicarillas gelernt, wie man Hornbogen herstellt. Er selbst besaß ebenfalls ein Prachtstück, um das ihn viele beneideten.

Delgado hatte Rana, der für ihn wie ein jüngerer Bruder war, in die Berge mitgenommen. Zwei Tage und zwei Nächte hatten sie am Rande des Plateaus auf den Bock und seine Schafe gewartet. Und als Rana schon fast die Geduld verloren hatte und weggehen wollte, da brachte der Bock tatsächlich seine kleine Herde zum Bach.

Rana wollte zuerst den Bock erlegen, aber Delgado machte ihn auf das lahmende Schaf aufmerksam. Dieses Schaf war magerer als die anderen, und irgendwann wäre es wahrscheinlich von den Wölfen oder von den Kojoten oder einem Puma erlegt worden. Jetzt kam Rana den Tieren zuvor. Er brauchte nur einen Pfeil, und er traf gut. Als er aufsprang, leuchteten seine Augen. Er blickte Delgado, seinen älteren Freund, beinahe herausfordernd an und rief: „Sag mir, Bruder, bin ich dem Bogen, den du mir geschenkt hast, nicht ein würdiger Jäger?“

Delgado lächelte. Er kauerte zwischen den Büschen, halb unter einer dicken Wolldecke, die ihn gegen die Kälte der Nacht geschützt hatte. In der linken Hand hielt er seinen Bogen. Die rechte streckte er Rana entgegen. „Hilf mir hoch, großer Jäger“, spöttelte er. „Meine Gelenke sind vom langen Warten steif geworden.“

„Das ist, weil du alt bist und morsche Knochen hast, Bruder.“ Rana ergriff Delgados Hand und zog ihn auf die Beine.

„Einige Winter sind es nur, die uns trennen“, antwortete Delgado dem Jungen.

„Dann solltest du vielleicht einmal daran denken, dir eine Frau zu nehmen, die dich in kalten Nächten warm hält.“

„Dazu bin ich noch nicht bereit, mein Bruder.“ Delgado wandte sich ab. Seit dem Tod von Siki war noch nicht genug Zeit vergangen, um die Wunden zu heilen. Sein Herz schmerzte noch immer, wenn er an sie dachte, und manchmal fürchtete er, diesen Schmerz nie mehr loszuwerden.

„Entschuldige, Bruder“, sagte Rana. „Ich wollte dich nicht auf düstere Gedanken bringen.“

Delgado drehte sich ihm wieder zu. Er lächelte. „Ich weiß, es gibt tatsächlich einige sehr hübsche Mädchen in unserem Dorf, mein Bruder. Vielleicht werde ich demnächst beginnen, einem von ihnen Zeichen zu geben.“

„Du könntest sie alle haben.“

„Findest du das gut oder schlecht?“

„Ich weiß es nicht. Eher schlecht, denke ich, weil jede von ihnen ihre Vorzüge hat, aber auch ihre Nachteile. Ich bin froh, dass nicht ich es bin, der sich an deiner Stelle befindet.“

„Bald, mein kleiner Bruder, wirst auch du die Qual der Wahl haben.“

„Ich weiß schon, wer es sein wird.“

„Du kümmerst dich jetzt besser um das Schaf, welches du erlegt hast, Rana. Komm, machen wir uns an die Arbeit.“

Delgado war fast einen Kopf größer als Rana und wirkte deshalb massiver und stärker. Er hatte ein ebenmäßiges dunkles Gesicht. Das schwarze Haar trug er in der Mitte gescheitelt. Es hing ihm in glänzenden Strähnen bis auf die Schulter nieder. Über dem linken Auge hatte er eine kleine Narbe. Obwohl er noch keine zwanzig Jahre alt war, wirkte er wie ein erfahrener Mann, den das Leben in einem wilden Land bereits gezeichnet hatte.

Delgado war der Sohn von Mangas Coloradas, dem großen Mimbreño Chief, der von Soldaten der US-Armee ermordet worden war, als er nach Fort McLean eingeladen wurde, um einer Friedensverhandlung beizuwohnen. Seine Mutter war eine Yavapai gewesen, die von mexikanischen Skalpjägern getötet worden war.

Seit mehr als einem Jahr war Delgado bei den Yavapai von Chief Big Rump zu Gast, und eigentlich hatte er Siki, eine Tochter des Chiefs, zur Frau nehmen wollen. Aber Siki war beim Angriff auf das Dorf am Dead Horse Wash ums Leben gekommen, und seither fühlte sich Delgado wie ein Blatt im Wind. Er wusste nicht, wohin er gehen sollte. Er konnte keinen Pfad finden, der sich ihm anbot, kein Ziel, das ihn lockte. Er hatte fast zur gleichen Zeit Siki und seinen Freund und Lehrer, den alten Weisen Pajaro Pinto, verloren. Beide waren so sehr ein Teil von ihm selbst gewesen, dass Delgado sich seither fühlte wie ein Mann, dem ein Stück des Herzens weggenommen worden war.

Delgado war froh, dass er in Rana einen Freund gefunden hatte, der ihn brauchte. Rana war fast immer bei ihm. Oft verließen sie gemeinsam das Dorf und trieben sich wochenlang in der Wildnis herum. Sie erkundeten das ganze Gebiet rund um das neue Dorf von Chief Big Rump, das von den Amerikanern, den Weißaugen, wie die Apachen die Eindringlinge nannten, noch nicht entdeckt worden war.

Delgado lehrte Rana viel von dem, was er selbst von Pajaro Pinto gelernt hatte. Und Rana war ein guter Schüler. Er versuchte, mit den Tieren zu reden, versuchte, seinen Geist selbstständig zu machen und ihn davonfliegen zu lassen, irgendwohin, denn, so hatte es Pajaro Pinto einmal Delgado erklärt, nur dem Körper waren Grenzen gesetzt, nicht aber dem Geist eines Menschen. Der Geist konnte mitten in die Sonne hineinfliegen oder eine Ewigkeit mit Steinen im Flussbett liegen, oder er konnte mit den Herbstblättern tanzen und mit den Falken hoch über der Erde kreisen. Der Geist war es, der lebte, und er brauchte dazu nicht den Körper, der schwach und verwundbar war.

Delgado und Rana liebten die Stille entfernter Täler, in denen es noch keine Spuren von Weißaugen gab, die klare Sprache des Windes und die Wärme des Himmels, der sich wie eine Decke über ihrem Land ausbreitete.

Unten in den Tälern war alles anders. Schatten lagen über dem Land. Als der Schnee des letzten Winters wegschmolz, gab er die Gräber derjenigen frei, die im letzten Jahr von den Weißaugen umgebracht worden waren. Gräber von Frauen und Kindern, von alten Leuten und von tapferen Kriegern. Und er gab die Pfade frei, auf denen die Weißaugen ins Land kamen, die Pfade, auf denen sich ihre Wagen reihten wie lebende Schlangenskelette. Und am Himmel trieben die Wolken, die nach Ofenfeuer rochen, Wolken wie stinkender Atem eines Feuer speienden Ungeheuers.

Hier oben in den Bergen, da war es anders. So wie es immer gewesen war, seit die Apachen von Norden her, von der kanadischen Pazifikküste, in dieses Land gekommen waren. Auf dem langen Weg nach Süden hatten sie mehrere Male versucht, irgendwo zu bleiben, aber sie waren in den Wäldern des Nordwestens und in den Tälern der Rocky Mountains und den weiten Prärien einheimischen Stämmen begegnet, denen sie unterlegen waren. Hier, in den Wüsten des Südwestens, trafen sie auf friedliche Menschen, die in kleinen Häusern lebten, sesshaft waren und Ackerbau betrieben. Keine Gegner, die ihnen das Bleiben verwehren konnten. Also blieben sie, durchstreiften die Bergregionen und die Wüsten, bekriegten sich manchmal gegenseitig, mit Vorliebe jedoch die Spanier, die ungefähr um die gleiche Zeit ins Land gekommen waren. Ein friedliches Leben verabscheuten sie. Sie waren Jäger, Räuber und vor allem stolze Krieger. Friede war etwas für die Alten und Schwachen.

Es hatte immer wieder Zeiten des Friedens gegeben. Vor allem dann, wenn die Apachen sich in die Bergtäler zurückzogen und ihre Feinde es nicht wagten, ihnen zu folgen und ihre Dörfer anzugreifen. Und es hatte unter ihnen immer Mahner gegeben, die von kommendem Unglück redeten, von einem Feind, der mächtiger war als alle Apachenstämme zusammen. Einer dieser Mahner war Pajaro Pinto gewesen, der Delgado zum Frieden erzogen hatte, weil er glaubte, dass dies der einzige Weg sei, dem Untergang zu entgehen. Ganz andere Soldaten würden es sein, die den Stämmen der Apachen Tod und Verderben bringen würden. Soldaten, die einem weißen Vater gehorchten und ihrem Gott, der übrigens der Gleiche war wie der der Spanier, untertänigst gehorchten. Aber sie betrachteten sich als die von Gott Auserwählten. Für diesen Gott töteten sie. Für diesen Gott brandschatzten sie. Für ihn schändeten sie Frauen und Mädchen, skalpierten kleine Kinder und knechteten die Männer, damit sie ihrem Gott an vielen Orten in Fronarbeit ein großes Haus bauen konnten. Wer sich weigerte, am Bau der Gotteshäuser mitzutun, dem wurde zur Strafe eine Hand abgehackt.

Pajaro Pinto, der friedliche alte Mahner, ein Schamane, den die Yavapai und auch andere Apachenstämme verehrten, wurde von Weißaugen ermordet. Delgado hatte die Tat mit eigenen Augen gesehen. Seither war auch für ihn das Leben, wie er es gekannt hatte, vorbei. Nur hier oben in den Bergen, in den unwegsamen Gebieten, wohin sich die Apachen zurückgezogen hatten, schien es manchmal, als ob alles noch in Ordnung wäre.

Doch, wie lange noch würde es so sein? Delgado wusste es nicht, aber er ahnte, dass die Weißaugen auf die Dauer nicht davon abzuhalten waren, auch in diese Täler vorzudringen. Was dann geschehen würde, wollte sich Delgado gar nicht ausdenken. Tausende von ihnen würden sterben, und die Überlebenden würden das Land verlassen müssen, weiter nach Süden ziehen, so wie es Delgados Vorfahren getan hatten, als sie von ihrer ursprünglichen Heimat im hohen Norden bis hierher gezogen waren.

Delgado verwarf diese Gedanken. „Komm, es gibt Arbeit, Rana“, sagte er zu seinem jungen Begleiter, der sich in diesem Moment kaum mit solch tristen Gedanken beschäftigte. Die beiden gingen zusammen auf die Weide hinaus. Jetzt flossen die ersten Sonnenstrahlen über den Rand des Plateaus den Steilhang hinunter und tauchten das Tal in gleißendes Licht.

Hoch oben am wolkenlosen Himmel kreiste jetzt ein einzelner Falke. Sich gewiss, dass es sich dabei nur um Pajaro Pintos Geist handeln konnte, der ihn besuchte, rief er lachend zum Falken hinauf: „Großvater, ich danke dir, dass du uns hierher begleitet hast! Ich danke dir!“

Rana blickte ebenfalls zum Falken hoch und prahlte: „Du kannst stolz auf mich sein, alter Mann! Schau her, hier liegt ein Schaf, das mir sein Fell gibt für meinen Köcher und für die Bogenhülle! Hier liegt es und versorgt Delgado und mich mit seinem Fleisch. Und das, was wir hier zurücklassen, das ist für dich und deine Freunde!“ Rana zog sein Messer, kniete sich zum toten Schaf und schlitzte ihm den Bauch auf.

„Glaubst du, dass er mich gehört hat, Bruder?“, fragte er Delgado, der seine Decke zusammenfaltete. Das warme Eingeweide des Schafs quoll zwischen den blutverschmierten Händen des Jungen hervor.

„Sicher hat er dich gehört. Schau, er hat andere herbeigerufen. Vier Begleiter hat er schon, und vielleicht, mein Bruder, befindet sich Siki unter ihnen.“

Rana machte sich nun daran, das Schaf abzuhäuten. Er arbeitete geschickt mit seinem Messer, und nach kurzer Zeit war das Schaf ausgeweidet und abgehäutet. Rana hob das Fell hoch und warf es Delgado zu, der es auffing und inspizierte.

„Es ist ein schönes Fell“, sagte Delgado. „Nur wird es bald die Haare lassen. Du musst dir im Winter ein Schaf erlegen und daraus deinen Köcher machen, Rana.“

„Bis zum nächsten Winter genügt es mir“, gab Rana zurück. „Und im Winter erlege ich einen Puma. Aus seinem Fell werde ich mir den schönsten Köcher fertigen, den du je gesehen hast. Und die Hülle für den Bogen mache ich mir aus den Fellen von zwei Wölfen.“ Rana drehte das abgehäutete Schaf auf die andere Seite. „Sag mir, Bruder, welche Stücke soll ich mitnehmen?“

„Nimm die beiden Rückenstücke. Hier und hier. Komm, gib mir das Messer.“ Delgado nahm Rana das Messer aus der Hand. Er löste die beiden Fleischstücke vom Rückgrat und den Rippen des Schafes. „Die genügen“, sagte er. Er wischte die Klinge des Messers im Gras ab und erhob sich. Die Falken und die Bussarde flogen jetzt tiefer.

Rana schwenkte das blutige Fell. „Komm, alter Mann, und bring deine Freunde mit!“, rief er. Dann umwickelte er den Kopf des Schafes und die Fleischstücke mit dem Fell und verschnürte es mit einer Rohhautschnur zu einem kleinen Paket. Das Hirn des Schafes würde er zum Gerben des Felles brauchen, die Fleischstücke würden sie auf ihrem Weiterweg essen.

Delgado legte Rana einen Arm über die Schultern. So verließen sie zusammen die Wiese. Sie gingen zum Bach hinunter. Dort wuschen sie ihre Hände, tranken vom eiskalten Wasser und folgten dann einem Trampelpfad, der über eine Anhöhe in ein tiefer gelegenes Tal führte. Sie sangen und lachten, und fast hätten sie den Reitertrupp übersehen, der plötzlich in der Senke auftauchte. Delgado und Rana versteckten sich schnell hinter einigen Büschen. Durch ein Gewirr von Ästen hindurch beobachteten sie den vorderen Reiter. Ihm folgten Indianer. Diese trugen Kleider, die sie von den Weißaugen bekommen hatten, Hemden und Westen, weiße Hosen. Einige hatten sogar einen Hut auf dem Kopf.

„Pima“, zischte Rana. „Schau sie dir an, Bruder. Wie kranke Wölfe.“

„Sie haben einen Anführer, Rana“, flüsterte Delgado ruhig. „Und sie besitzen sogar Gewehre. Und sie haben Bogen, und ihre Köcher sind voll mit Pfeilen. Ich sehe Revolver und Messer.“

„Was wollen sie hier? Es ist eine lange Zeit her, seit Pima es gewagt haben hierherzukommen. Vater hat gesagt, dass sie sich seit einigen Wintern nicht mehr getrauen, ihre Nester im Süden zu verlassen. Sie haben Angst vor uns, weil sich die Mächte von ihnen abgewandt haben. Jetzt halten sie den Geist in ihrem Körper gefangen, und deshalb sind sie auch blind und taub.“

„Ich weiß nicht, ob das stimmt, Rana. Die dort unten, die sehen nicht aus, als ob sie krank wären, blind oder taub.“

Darauf gab ihm Rana keine Antwort. Die beiden beobachteten den Reitertrupp, der sich durch die Senke bewegte, genau auf eine Schneise im Wald zu.

„Sie werden unser Haus finden“, raunte Rana Delgado zu.

„Du hast recht. Wahrscheinlich werden sie unser Haus finden.“

„Wir müssen etwas tun, Delgado. Wir müssen sie ablenken.“ Hastig griff der Junge nach einem Pfeil, aber Delgado legte ihm die Hand auf den Arm.

„Was willst du tun, Rana? Wenn wir einen oder zwei von ihnen töten, werden die anderen uns zu Tode hetzen. Nein, lass sie ziehen. Wer weiß, vielleicht nehmen sie nicht den Pfad, der zu unserem Haus führt. Vielleicht reiten sie den Weg zum anderen Tal.“

„Und was wollen sie dort?“

„Das weiß ich nicht.“

„Jagen?“

„Ja, das könnte sein. Vielleicht sind sie auf der Jagd. Vielleicht ist der Mann dort unten einer von den Weißaugen, die darüber zu bestimmen haben, wo man jagen darf und wo nicht.“

„Niemand kann darüber bestimmen, wo man jagen darf und wo nicht“, entgegnete Rana scharf.

„Die Weißaugen glauben, dass sie das dürfen, Bruder. Die Weißaugen glauben, dass sie mächtiger sind als die Sonne, mächtiger als die Erde und mächtiger als der Himmel. Mächtiger als alle Kraft, die wir aus dem Licht und aus den Schatten schöpfen können, und mächtiger als jeder Gedanke, der in uns geboren wird. Sie sind Narren, das weiß ich. Allein, wie sollten sie dies selbst erkennen können?“

„Jemand muss es ihnen sagen!“

„Wer? Du? Ich? Nein. Warum sagt ihnen nicht ihr Gott, dass sie sich und ihn betrügen?“

„Weil es diesen Gott nicht gibt.“

„Selbst wenn es ihn gäbe, es würde nichts nützen!“, widersprach Delgado. „Sie werden alles zerstören, und merken nicht einmal, dass sie sich dabei selbst zerstören. Das ist es, was Pajaro Pinto gesagt hat, und er weiß es.“

„Warum ist der Tag nicht heute, an dem sie sich selbst zerstören?“ Rana ballte seine Faust. „Ich hasse sie alle! Sie sollen alle sterben!“

„Sie hassen uns genauso, Rana, und der Hass ist es, der sie zerstört.“

„Willst du etwa, dass ich sie liebe? Soll ich sein wie ein Pima?“

„Nein, das habe ich nicht gesagt. Ein Apache kann niemals ein Pima sein. Deshalb will ich, dass du wachsam bist und aufpasst. Ich will, dass du sie nicht aus den Augen lässt.“ Delgado richtete sich etwas auf. Der Reitertrupp befand sich jetzt kurz vor dem Einschnitt im Wald. Schatten nahm die Pferde und Reiter auf.

Rana erhob sich. Seine Lippen waren fest zusammengepresst. Aus schmalen Augen blickte er in das Tal hinunter und hinter den Reitern her. „Ich glaube nicht, dass die Pima hier sind, um zu jagen“, sagte Rana nach einer Weile. „Das glaube ich nicht, Bruder.“

„So? Und was glaubst du dann, warum die Pima hier sind?“

„Ich glaube, dass sie keine Angst mehr haben, hierherzukommen.“

„Und ich glaube, dass du recht hast, Rana. Die Weißaugen sind unsere Feinde, das wissen wir. Die Pima sind unsere Feinde. Die Maricopa auch. Gemeinsam sind sie stark.“

„Lass uns gehen, Delgado! Ich will herausfinden, was sie vorhaben. Ich will sie im Auge behalten.“

„Gut, das ist etwas, was wir tun können. Komm, mein Bruder, aber sei vorsichtig. Ich will nicht ohne dich zurückkehren.“

Obwohl der Boden von vielen Steinen und Kakteen bedeckt war, liefen die beiden leichtfüßig den steilen Hang hinunter. Die Reiter waren inzwischen im Wald verschwunden. Die Sonne stand nun schon ziemlich hoch, und es war heiß geworden. Kurz bevor sie den Wald erreichten, bemerkten sie über den stillen Wipfeln der Bäume Rauch aufsteigen. Schwarzer Rauch, der sich zu Wolken ballte. Delgado und Rana blieben stehen.

„Sie haben unser Haus angezündet!“, stieß Rana wütend hervor. „Glaubst du mir jetzt, Bruder? Sie sind hier, um Apachen zu töten!“

„Wir werden sie daran hindern, Rana!“, versprach Delgado dem Jungen.

„Jetzt?“, zischte dieser wütend. „Jetzt gleich! Ich bin zum Kampf bereit, Bruder. Lass uns diese feigen Hunde töten.“

„Es sind zu viele. Wir müssen ins Dorf zurückkehren und unsere Leute warnen.“

Rana war enttäuscht, obwohl er begriff, dass es wichtiger war, Wah-poo-eta vor den Pima und dem Weißauge, das sie anführte, zu warnen.

*