Wie Hitler hätte verhindert werden können - Frank Fabian - E-Book

Wie Hitler hätte verhindert werden können E-Book

Fabian Frank

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Beschreibung

Wie es auch hätte sein können - Alternative Geschichte Wie hätte sich Deutschland entwickelt, wäre die Revolution 1848 anders verlaufen? Was wäre passiert, wenn die Machtergreifung Hitlers und der Nationalsozialisten verhindert worden wäre? Es gibt viele solcher Schlüsselmomente der deutschen Geschichte, die Gegenwart, Zukunft und Selbstverständnis dieses Landes geprägt haben. Für Frank Fabian ein Anlass, sich einmal vorzustellen, wie es ebenso gut anders hätte verlaufen können. Anhand von unterhaltsamen alternativen Szenarien zu Ereignissen der deutschen Vergangenheit zeigt er, dass Geschichte immer das Produkt bestimmter Entscheidungen ist, und erläutert, warum es sich lohnt, alternative Handlungsstränge der Geschehnisse zu entwerfen – um künftig bessere Entscheidungen für die Zukunft zu treffen und so den Lauf der Geschichte positiv zu beeinflussen.

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Frank Fabian

WIE HITLER HÄTTE VERHINDERT WERDEN KÖNNEN

Frank Fabian

WIE HITLER HÄTTE VERHINDERT WERDEN KÖNNEN

Gedankenspiele zu Wendepunkten der deutschen Geschichte

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2023

© 2022 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Türkenstraße 89

D-80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Monika Spinner-Schuch

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer

Umschlagabbildung: picture-alliance: akg-images, arkivi, akg-images; shutterstock: quality_by_Simon/

Satz: Röser Media, Karlsruhe

eBook by tool-e-byte

ISBN Print 978–3-86881–930–4

ISBN E-Book (PDF) 978–3-96267–502–8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978–3-96267–503–5

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

INHALT

I. Der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg Adolf Hitlers

II. Die fantastischen Möglichkeiten der Alternativen Geschichte

III. Der Versailler Vertrag

IV. Der Hitler-Putsch

V. Die Machtergreifung

VI. Das Jahr 1936 oder: Der militärische Gesichtspunkt

VII. Appeasement-Politik oder: Der Fall Chamberlain

VIII. Wie Hitler hätte verhindert werden können

IX. Die deutsche Revolution in den Jahren 1848/1849

X. Der Dreißigjährige Krieg

XI. Barbarossa, die wahre Biografie

XII. Die Zukunft der Vergangenheit

Zum Autor

Anmerkungen

I. DER SCHEINBAR UNAUFHALTSAME AUFSTIEG ADOLF HITLERS

Der provokative Titel dieses Buches lautet: Wie Hitler hätte verhindert werden können. Wir alle, speziell die Deutschen und die Österreicher, aber im Grunde alle Staaten, die in den unseligen Zweiten Weltkrieg verstrickt waren, wünschen bis heute nichts sehnsüchtiger, als dass diese entsetzliche Periode von 1933 bis 1945 nie stattgefunden hätte; Hitler hätte verhindert werden müssen.

Die Tatsachen, Ereignisse und Fakten wurden im Nachhinein deshalb um- und umgewendet. Politikwissenschaftler und Historiker, Autoren und Denker aller möglichen Provenienz suchten nachgerade verzweifelt nach alternativen Entscheidungen, die es erlaubt, ja wahrscheinlich gemacht hätten, dass die Geschichte in eine ganz andere Richtung gewandert wäre.

Die Historie, so argumentierte man, sei nie »unabänderlich«, sie unterliege weder dem Karma noch dem Kismet.

All diese alternativen Betrachtungsweisen waren legitim. Sie verrieten tatsächlich eine beweglichere Form der Geisteshaltung, sie luden dazu ein, nachzudenken und sich persönlich den Kopf zu zerbrechen.

Wie hätte Adolf Hitler verhindert werden können?

Schon der Autor Stefan Zweig hatte mit seinem brillanten Buch Sternstunden der Menschheit1 einst in die gleiche Richtung gedeutet. Er hatte damit einen ungewöhnlich erfolgreichen Bestseller, in der Tat einen Long- und Weltbestseller, gelandet. Zweig hatte »Schnittstellen« der Geschichte untersucht, »heilige Weltsekunden«, in denen das Schicksal der Menschheit oder einer Nation auf Messers Schneide stand und beinahe einen völlig anderen, besseren Verlauf genommen hätte. Dieser Autor hatte bereits darauf hingewiesen, dass einige Meinungsführer in diesem oder jenem Moment der Geschichte durchaus hätten »anders« entscheiden können, und zwar richtiger, besser, intelligenter.

Und so viel ist wahr: Es sind Entscheidungen und Beschlüsse, die Ereignisse bestimmen und bestimmten, das gilt für die Vergangenheit und die Zukunft gleichermaßen. Realisiert man dies, werden die Fächer »Geschichte« und »Politik« auf einmal ungeheuerlich aufregend. Plötzlich kann man die Ereignisse pro-aktiv betrachten, denn es gibt keine griechischen Schicksalsgöttinnen, die den Verlauf der Ereignisse schon vorher festlegen. Die Erkenntnis ist fast begeisternd: Richtige oder falsche Entscheidungen (oder Unterlassungen) bestimmen den Lauf der« Geschichte.

Nach 1945 versuchten zahlreiche Autoren, der Hitlerzeit zu Leibe zu rücken und sie gewissermaßen nachträglich zu verändern, zumindest im Kopf, in der Theorie.

Die begabtesten Federkiele, die über Hitler, die Hitlerzeit und die Weimarer Republik schrieben, »berichtigten« auf diese Weise mehr als einmal die Historie. Fast geriet das Vorhaben zu einer Art Sport. In den schier zahllosen Bänden, Abhandlungen, Spezialaufsätzen und Untersuchungen, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich, der Schweiz, Frankreich, Großbritannien, den USA, Italien und so fort, drückten Autoren ihr Bedauern aus, dass die Geschichte einst einen so unheilvollen Verlauf genommen hatte. Nicht wenige versuchten, zumindest im Ansatz einer alternativen Geschichtsschreibung das Wort zu reden. Einige Autoren lamentierten zornig über die Ereignisse oder aber reagierten entsetzt, als sie die Tatsachen in Augenschein nahmen. Andere Autoren bemühten sich fast gewaltsam um sachlichere Darstellungen, aber selbst sie konnten selten ihre Emotionen ganz unter Kontrolle halten. Fast alle großen Hitler-Biografen oder Kommentatoren über diese Zeit - ob sie nun Joachim Fest2, Sebastian Haffner3, Tim Bouverie4 oder Christopher Clark5 hießen, Sven Felix Kellerhoff6, Ian Kershaw7, Guido Knopp8 oder Volker Ulrich9 - entgingen nicht der Versuchung, auch zu philosophieren und wieder und wieder die berühmte Frage zu stellen, die immer so beginnt: »Was wäre, «wenn ...?«

Sie alle ergingen sich bereits in einer Art alternativen Geschichtsschreibung, zumindest punktuell - selbst Autoren wie Karl Dietrich Bracher10, Golo Mann11 oder Winston Churchill12, dem besten aller Historiker, denn er war unmittelbar in das Geschehen der Hitlerzeit verstrickt. Seine Entscheidungen beeinflussten die Geschichte rund um Hitler stärker als die Beschlüsse jedes anderen Politikers, abgesehen von Stalin und Roosevelt. Kein anderer Autor berichtete so sorgfältig und im Detail über den Zweiten Weltkrieg wie Churchill. Aber selbst dieser britische Premierminister konnte sich nicht zurückhalten, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen und immer wieder die Frage zu stellen:

»Was wäre geschehen, wenn ...?«

Für uns besonders von Bedeutung ist der Umstand, dass Churchill selbst bereits anmahnte, dass die Geschichte rund um Hitler durchaus völlig anders verlaufen wäre, wenn, ja wenn bestimmte Entscheidungen, klügere Entscheidungen - vor seiner Amtszeit als Premierminister - getroffen worden wären. Er nannte sogar konkrete historische Zeitpunkte, man stelle es sich vor! (Wir werden im Lauf dieses Buches auf sie zu sprechen kommen.)

Churchill erging sich damit ebenfalls in Alternativer Geschichte.

Aber es gab noch weitere prominente Stimmen: Das jüngste Beispiel Alternativer Geschichte hinsichtlich Hitler lieferte niemand anders als der renommierte Filmemacher Quentin Tarantino, der bekannt ist für seine gewaltigen Blutpfützen, aber der auf der anderen Seite auch ein Genie ist, wenn es gilt, optische Umstände hoch spannend darzustellen.

Besonders inspirierend für die alternative Hitler-Geschichte war und ist jedenfalls sein kontrafaktischer (das heißt nicht den Fakten entsprechender) Kriegsfilm Inglourious Basterds - eine absichtliche Falschschreibung für Inglorious Bastards, was man mit Unrühmliche Mistkerle übersetzen könnte . Auch Inglourious Basterds geriet zu einem Welterfolg, wobei sich Tarantino ununterbrochen vor der Alternativen Geschichte verbeugt. Hitler, Goebbels und andere Nazi-Banditen werden in diesem Film am Schluss erschossen, sie werden zur Freude aller Zuschauer frühzeitig beseitigt.

Niemand, kein einziger Kritiker, mahnte an, dass die (erfundene) Handlung nicht auf historischen Fakten oder historischen Schnittstellen beruhte, die von Geschichtswissenschaftlern im Allgemeinen akzeptiert oder zumindest diskutiert werden.

Dabei gab es tatsächlich historisch genau recherchierbare Zeitpunkte, da Hitler hätte verhindert werden können. Wann exakt? Mit dieser Frage betreten wir einen heißen Boden.

Doch gehen wir zunächst noch einmal einen Schritt zurück.

Zwei Pole

Grundsätzlich gibt es zwei Pole, zwei Herangehensweisen, zwei Arten der »Berichterstattung«, wenn man sich dem Phänomen Hitler zu nähern sucht. Im ersten Fall versucht der Historiker, die genauen Techniken, die Hitler selbst benutzte, herauszukristallisieren, sodass man künftig ähnliche Demagogen frühzeitiger erkennen und demaskieren kann.

Im zweiten Fall nimmt man die Verantwortung der »Umwelt« aufs Korn, besonders die führenden Persönlichkeiten der Zeit.

Einmal geht man von Hitlers Biografie aus, im anderen Fall betrachtet man vor allem die verantwortlichen Politiker und Meinungsführer der Periode unter dem Vergrößerungsglas.

Auch die erste Methode ist mehr als legitim. Sie hilft, Hitler sehr viel besser zu verstehen, und verursacht im Idealfall, dass künftige Demagogen rechtzeitig entlarvt werden können, noch bevor sie größeren Schaden anrichten. Wenn man künftige Hitlers verhindern will, ist es unabdingbar, den Methoden destruktiver Persönlichkeiten schon im Vorfeld auf die Schliche zu kommen. Weiter führt auch die erste Art, die erste Herangehensweise, bereits zu erstaunlichen Einsichten.

Machen wir die Probe aufs Exempel und beschäftigen wir uns mit Pol 1, mit Hitler selbst.

Fragen wir uns: Wie und warum gelang es diesem gescheiterten Maler, diesem ungelernten Faulpelz und Habenichts, der sich ehemals recht und schlecht mit dem Verkauf von Ansichtskarten in Wien durchschlug, zu einer solchen Höhe und Bedeutung aufzusteigen? Stellt man nur hartnäckig genug diese Frage, stößt man auf einen höchst bemerkenswerten Umstand.

Hitlers Rhetoriktraining

Hitler hätte niemals seine gewaltigen Effekte schaffen können ohne eine sorgfältige rhetorische Ausbildung. Dieser Umstand wird in zahlreichen Hitler-Biografien außer Acht gelassen oder bestenfalls am Rande erwähnt. Dabei war sie von ausschlaggebender Bedeutung.

Sein Rhetoriktraining war der Dreh- und Angelpunkt, die Rede war Hitlers Stärke. Damit suchte er die Welt aus den Angeln zu heben.

Verhältnismäßig unbekannt ist die Tatsache, dass sich Hitler von den besten Rhetorikern und Theaterfachleuten der Zunft trainieren ließ. Sein persönlicher Trainer war ein bekannter, ja berühmter Gesangslehrer, Rhetoriklehrer und Bühnenfachmann namens Paul Devrient (1890–1976).13

Gesangslehrer, so muss man wissen, verfügen über ein ganzes Repertoire von Techniken. Und so schmirgelte Devrient an Hitlers Reden, an seinem Rhythmus und der Melodik, an der Dynamik und der Stimmlage und -farbe seines Schülers Adolf Hitler. Besonders hob er auf die richtige, aufwühlende Emotion ab. Sie war und ist alles während einer Rede. Hitler beherrschte zweieinhalb Oktaven im Frequenzbereich des menschlichen Gehörs, sodass er seine Rede entsprechend modulieren konnte und er nie langweilig wirkte. Devrient korrigierte Hitler anfänglich in vielen Belangen, denn der »größte Feldherr aller Zeiten« sprach zu Beginn zu oft mit heiserer Stimme, ja er quietschte, quetschte und quengelte manchmal nur mühsam die Töne aus sich heraus. Zudem zeigte Hitler eine schlechte Haltung auf der Bühne, er atmete stoßweise und schlecht, die Halsmuskeln waren verspannt und der Körper verkrampft. Hitler wanderte ursprünglich während einer Rede ständig auf und ab, er fuchtelte wild mit den Händen und rollte mit den Augen. Seine Aussprache war zu feucht. Außerdem verfügte er nur über einen geringen Wortschatz, seine Grammatik war hölzern und steif, seine Kenntnis der Sprache bescheiden. Und Hitler litt unter Lampenfieber.14

Devrient trieb ihm die Flausen aus. Bestimmte Atem- und Sprechübungen vor der Rede lockerten seine Verkrampfungen. Er brachte ihm weiter die Maskottchen-Technik bei, die darin besteht, einen Gegenstand, dem man positive Gefühle entgegenbringt, vor sich auf dem Rednerpult zu platzieren. Hitler nutzte ein silbernes Hundehalsband, das er liebte. Immer wenn ihn Unsicherheit übermannte, immer wenn ihn das Lampenfieber heimsuchte, fixierte er seinen Blick auf das Hundehalsband – und blendete damit die Zuhörer und Zuschauer für einen Augenblick lang aus. Seine Gefühle schlugen ins Positive um und das Halsband verscheuchte seine Angst.15

Um die Wirkungen der Gesten zu erlernen, ließ Devrient Hitler seine Rede ohne Worte halten, stumm, nur mit Hand- und Körperbewegungen. Er belehrte ihn, dass theatralische Gesten Worte gekonnt unterstreichen und ebenfalls eine enorme Wirkung ausüben, wenn sie nur professionell eingesetzt werden.

Rede, kombiniert mit Gestik, ist ein eigenes Schulungsfach im Rahmen des Schauspielunterrichts.

Selbst der Hitlergruß (»Heil Hitler!«, mit ausgestrecktem Arm) ist nichts als ein Stück Bühnentechnik. Es handelte sich um nichts anderes als ein Stückchen Show und Imponiergehabe – um Theater eben.

Außerdem belehrte Devrient Hitler, mit den Augen bis in die letzten Reihen seiner Zuhörer zu schauen und das gesamte Publikum zu umfassen, nicht nur die erste Reihe, was ein klassischer Anfängerfehler des angehenden Rhetorikers ist. Er riet ihm, jeden einzelnen Zuhörer zu zwingen, Blicke mit ihm auszutauschen, sodass er ihn »hypnotisieren« oder zumindest in seinen Bann schlagen konnte.16

Überdies brachte er ihm bei, örtliche Skandale vor der Rede in Erfahrung zu bringen, sodass er nicht immer nur den gleichen Text herunterleiern musste.

Devrient riet Hitler weiter, bestimmte Schlagworte ständig zu wiederholen. Und er riet ihm immer wieder, gefühlsdurchtränkte Vokabeln zu gebrauchen, mit denen intensiv Emotionen geweckt werden konnten; er empfahl, auf dünne, blutleere Worte zu verzichten.17

Sogar inhaltlich trainierte Paul Devrient seinen Schüler mithin, nicht nur, was die Form der Rede anging. Devrient stutzte Hitler zurecht. Als bekannter deutscher Opernsänger und Regisseur genoss er einen exzellenten Ruf und verfügte über die entsprechende Autorität. Er war ein namhafter Verdi- und Mozart-Interpret, bekannt unter anderem in Berlin, Chemnitz, Darmstadt, Dresden, Frankfurt, Hannover und Köln, wo er überall auf der Bühne gestanden hatte. Und Hitler hörte zu und lernte und lernte ...

Devrient ließ Hitler zur Auflockerung sogar Stegreifspiele aufführen. Und so geriet Hitler, der knödelnde, spuckende, verkrampfte Adolf Hitler, zu einem immer besseren Rhetoriker.*

Das Training

Wechseln wir das Tempus und versetzen wir uns direkt in die Zeit zurück. Nehmen wir interessehalber einmal Hitlers Gesichtspunkt selbst ein, was zu selten getan wird, obwohl es hoch spannend und denkbar enthüllend ist:

Adolf Hitler ist fasziniert. Er trainiert und trainiert. Und er staunt maßlos. Aha, seine Körperhaltung ist schlecht sowie die Gestik und Mimik. Er muss zugeben, er kontrolliert kaum seine Hände und Füße. Er bewegt sich zu viel und springt auf der Bühne hin und her, manchmal »wie von Furien gejagt«18. Er windet sich mitunter, fasst sich mit beiden Händen an den Kopf und schneidet nicht selten ungewollt Grimassen.

Devrient teilt Hitler schonungslos seine Beobachtungen mit. Hitler protestiert zunächst und weist auf seine früheren Erfolge als Redner hin. Aber er fühlt: Sein Lehrer hat recht. Verdammt, er befindet sich hier auf einer heißen Spur.

Sein Lehrer bringt ihm zunächst bei, wie man sich als Schauspieler, Sänger oder Redner vor der Verkrampfung hütet. Die Ursache hat teilweise mit der Redeangst zu tun, mit dem Lampenfieber, das rund vierzig Prozent aller Rhetoriker furchtbar plagt, erfährt er.

Also ist die Entkrampfung aller Muskeln wichtig. Und so legt sich Adolf Hitler vor einer wichtigen Rede – ungesehen vom Publikum – brav auf eine harte Unterlage, während er die Beine hoch an die Wand stellt, die Füße noch in Hauspantoffeln. Dann lockert er bewusst jeden einzelnen Muskel im Körper, teilweise autosuggestiv: »Die Halsmuskeln sind locker«, flüstert er vor sich hin. Daraufhin geht er alle wichtigsten Muskeln in seinem Körper durch.

Himmelherrgott, niemand darf mich so sehen!, denkt er. Gerade wird von ihm das Bild des unfehlbaren Führers aufgebaut, des gottgleichen Übermenschen, während er hier wie ein verängstigtes Würmchen versucht, sich in einer lächerlichen Position zu beruhigen. Sein ganzes Image wäre schlagartig dahin.

Devrient lehrt ihn außerdem verschiedene Atemübungen, die Schauspieler bis heute nutzen, wie das tiefe Luftholen, das gründliche Ausatmen, zusammen mit einfachen Tonübungen, die darauf hinauslaufen, dass man Vokale und Konsonanten deutlich und klar ausspricht.

Bis heute gibt es eigene Schauspielersätze, Bühnensätze, die absichtlich schwer auszusprechen sind, den Redner oder Schauspieler aber zu einer deutlichen, überdeutlichen Aussprache zwingen (zum Beispiel Fischers Fritz fischt frische Fische oder Der Potsdamer Postkutscher putzt den Potsdamer Postkutscherkasten). Man muss kurz gesagt darauf achten, dass alle Vokale sowie alle Konsonanten deutlich zu hören sind.

Hitler lernt, Vokale langgezogen und gedehnt auszusprechen, überdeutlich auszusprechen, aber auch Konsonanten. Er lernt Töne auf die richtige Art aus einem Körper herauszuschleudern.

Sein Lehrer, Devrient, betätigt sich als »Stimmbildner«, wie das in der Theatersprache genannt wird. Die deutliche, überdeutliche Aussprache bewirkt, dass eine Stimme, auch bei leisen Worten, auch ohne Mikrofon, bis in den hintersten Winkel eines Raumes dringen kann. Nur die deutliche Aussprache verursacht, dass man von dem Publikum überhaupt verstanden wird.

Devrient lässt Hitler weiter eine Rolle aus einer komischen Oper Albert Lortzings (»Der Wildschütz«) vorsprechen und rezitieren, um ihn zu beobachten und zu schulen.

Hitler lernt eifrig, nichts interessiert ihn mehr.

Devrient lehrt Hitler weiter, das Sprechtempo nach Belieben zu verändern und mit hohen und tiefen Tönen umzugehen. Jede langweilige, monotone Rede wirkt dadurch auf einmal unterhaltsam. Er erfährt, wie Profis auf der Bühne genau diesen Umstand nutzen, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu bannen. Er ist fasziniert.

Devrient zu Hitler: »Am Anfang müssen Sie so tief wie möglich reden. Nur ab und an [dürfen Sie] den Ton steigern. ... Gepresste Hochtöne bringen nichts, nur Krampf, wie wir beim Theater sagen.«19

Hitler erkennt, dass man mit Worten spielen kann wie ein junger Hund mit einem Ball.

Gleichzeitig nimmt Devrient seine übertriebenen Bewegungen und Gesten aufs Korn. Hitler posiert vor dem Spiegel und beobachtet sich selbst wie ein Luchs. Wie wirken seine Bewegungen, seine Gestik, seine Mimik? Devrient treibt ihm die Unsitte aus, mit den Händen herumzufuchteln und mit den Schultern zu zucken. Er muss das wilde Gestikulieren vermeiden. Knappe, sparsame Bewegungen sind das A und O. Sie müssen synchron zu den Worten ausgeführt werden.

Wieder und wieder übt Devrient mit Hitler. Er lernt völlig neu zu gehen, zu stehen, ja sogar zu lachen, weiter wie man sich effektvoll hinsetzt und aufsteht. Und Devrient lehrt Hitler: »Aus einer einmal gemachten Gebärde [müssen Sie] ... eher in Ruhe zurückkehren, bis Sie. den dazu gesprochenen Satz beendet haben. Das wirkt suggestiv.20

Hitler erfährt, dass man auf einer Bühne, am Anfang einer Rede, einen Schritt vortreten muss, am Ende einen Schritt zurück.

Und so lernt Hitler, im »Bühnendeutsch« zu sprechen und sich gemäß Theaterregeln zu bewegen. Er übertreibt Bewegungen, Mimik und Gestik nicht mehr, seine Gebärden stehen nun im Einklang mit den klangvoll gesprochenen Passagen seiner Rede. Er verzichtet darauf herumzufuchteln und gewöhnt es sich an, mit Gesten sparsamer umzugehen.

Das Publikum weiß nicht, dass Devrient seinem Schüler sogar beibringt, die verschiedenen Grußgesten - den Hitlergruß und so fort - besser auszuführen und auf verschiedene Gelegenheiten zuzuschneidern. Er belehrt ihn, dass selbst der Hitlergruß dem Anlass angepasst werden muss. Es gibt den (1) festlichen, getragenen Anlass, wenn man etwa einen Kranz bei einem Begräbnis niederlegt, (2) den Gruß aus einem Kraftwagen oder einem Flugzeug heraus, (3) den Gruß während der Bewegung, in der Bewegung und den (4) Gruß vor einer Rede.

Alles wird trainiert, trainiert, trainiert, bis es sitzt. Hitler mutiert mehr und mehr zu einem Schauspieler, zu einem Staatsschauspieler.

Der Gruß muss wie eine beschwörende Zauberformel wirken, flüstert der Lehrer seinem Schüler ins Ohr. Hitler testet alles sofort aus und ist über die Wirkung begeistert.

Das Publikum ahnt nicht im Entferntesten, dass es von einem Bühnenmann dirigiert und manipuliert wird, der imstande ist, die alles berechnende, große Show, die ganz große Show, abzuliefern.

Und Devrient geht noch weiter. Er macht Hitler sogar auf inhaltliche Tricks aufmerksam. Hitler weiß bereits, dass nur die tausendfache Wiederholung einfachster Begriffe wirkt, diese müssen in die Köpfe stets aufs Neue gehämmert werden. Er kennt auch die Wirkung der Superlative. Blutleer, weltfremd, eiskalt sind typische Hitlervokabeln. Er spricht auch gern von dem »größten Wortbruch aller Zeiten«, wenn er auf seine politischen Feinde aufmerksam macht und auf den Versailler Vertrag zu sprechen kommt. Er weiß: Er muss superlativische Schlagworte auf die Massen niederprasseln lassen, Massen, die er gründlich verachtet und die er doch braucht, wenn er an sein Ziel gelangen will.

Noch wichtiger aber ist: Devrient macht Hitler sogar auf den Gefühlswert von Worten aufmerksam. Worte und Wörter kann man auf die verschiedensten Arten aussprechen. Er belehrt ihn über die »Gefühlsspeicherung« in der Theaterpraxis: »Kein Spiel ist gut, wenn es nicht innerlich mitgefühlt wird.« Er ermahnt ihn, aus der »Vorratskammer der tatsächlich erlebten Gefühle zu schöpfen«.21

Bis heute wird diese Psychotechnik im Schauspielunterricht angewendet, sogar in hochrenommierten Schauspielschulen in New York. Man muss sich an ein gefühlsintensives Erlebnis aus der Vergangenheit erinnern, einen Verlust zum Beispiel, man muss eine abgespeicherte Erinnerung wieder hervorkramen und in der Gegenwart nutzen, man hat ein Wort in der Gegenwart mit ebendiesem Gefühl aus der Vergangenheit zu verknüpfen. Man kann also Wörter emotional aufladen wie eine Batterie.

Und so kann man gezielt zum Beispiel Tränen fließen lassen. Oder man kann Zorn in sich hochkochen lassen, wenn man an das entsprechende Erlebnis denkt, da man vor Zorn fast überkochte. Zorn ist die Lieblingsemotion Hitlers.

Hitler staunt und staunt und hört zu. Und er lernt und lernt.

Aha, man kann also Gefühle in jedem Moment willkürlich erzeugen! Das ist interessant. Das ist sogar revolutionär. Weiter lehrt ihn Devrient, dass ein Bühnendarsteller auch seine Fantasie benutzen darf, um ein Wort mit einem Gefühl anzufüllen. Nicht nur die Vergangenheit, auch die Gegenwart und die Vorstellungskraft können Gefühle und Emotionen hervorrufen – mit denen man daraufhin die eigenen Worte ummanteln kann, mit denen man die eigenen Worte umwickeln kann wie ein Butterbrot in ein Stück Papier. Dann wirkt man eindringlich. Das alles ist Theaterpraxis und Theatergeheimnis. Man kann Trauer, Freude, Angst, Begeisterung, Zorn und Empörung hervorrufen und damit jedes Wort nach Belieben umkleistern und umwinden. Dadurch wirken Worte plötzlich hochemotional, damit ist man jedem anderen Redner weit überlegen.

Hitler ahnt, dass das pures Gold ist, für den Schauspieler, für den Redner. Man kann durch diese Technik sogar vermeiden, dass bei einer Ansprache, die man bereits hundertmal gehalten hat, Langeweile aufkommt. »Magnetisierung« nennt dies der Theaterfachmann, der der Langweile der Wiederholung entgehen will. Selbst abgedroschene Worte muss er, Hitler, nur immer wieder neu erleben und frisch in Emotionen einpacken, er muss sie magnetisieren und aufladen.

Devrient belehrt ihn weiter, dass man selbst durch Blicke Emotionen vermitteln kann, alle möglichen Emotionen. Alles ist nur Show, alles ist Theater, alles ist Technik.

Am Schluss ist Paul Devrient mit seinem Schüler hochzufrieden. Er weiß, Hitler wird nun noch mehr »Vorhänge im Theater« erhalten - dem Theater, das ganz Deutschland umfasst. Er urteilt abschließend: »Hitler wirkt suggestiv-glaubhaft. Es ist echtes Theater in seiner elementarsten Form, dargeboten von einem begabten Schauspieler.«22

Auch Hitler selbst ist begeistert. Gerührt drückt er seinem Lehrer zuletzt die Hände zum Abschied. Für ihn gibt es keine Rednerprobleme mehr. Der perfekte Rhetoriker Hitler ist geboren.

________

* Das Buch über Paul Devrient ist das wichtigste Buch, wenn man den Aufstieg Hitlers aus seiner persönlichen Perspektive betrachten will; es wird von vielen Analytikern noch immer weitgehend ignoriert.

Die verhetzende Schrift

Was ist noch für den Aufstieg Hitlers verantwortlich - aus seiner Perspektive?

Auch die schriftliche Kommunikation wird eingesetzt, um Schlagworte immer wieder einzuhämmern. Zu nennen sind wenigstens zwei Zeitungen: der Völkische Beobachter und Der Angriff.

Der Völkische Beobachter ist das publizistische Parteiorgan der Nazis. Der Stil war plakathaft, angriffslustig und verhetzend. Das Blatt erscheint schon 1920. Hitler zeichnet als Herausgeber und verfasst anfänglich selbst viele Artikel. Finanziert wird die Zeitung unter anderem durch einen Geheimfonds der Reichswehr, durch den rechtsradikale Gruppierungen unterstützt wurden. Die Auflage steigt von 7000 Exemplaren (1920) auf 30 000 (1923) und schließlich sogar auf 100 000 Exemplare (1930).23 Damit verfügen die Nazis und Hitler über ein wichtiges Sprachrohr.

Goebbels, der spätere Propagandaminister, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls zu nennen, denn auch er gibt eine Zeitung heraus, wenn auch erst 1927. Der Angriff überflutet Deutschland ab diesem Zeitpunkt pausenlos mit seinen Artikeln. Unflätige Beschimpfungen der Juden sind dabei an der Tagesordnung. Goebbels nannte sie unter anderem »brüllende, tobende Untermenschen« oder »giftspuckende Tiere«.24

Goebbels feilt zudem ununterbrochen an dem Führermythos. Hitler wird ins Übermenschliche hochgeschrieben. Auch schriftliche Kommunikation und Parolen prasseln wie ein Trommelfeuer unaufhörlich auf das Volk nieder.

Der Angriff wird von der Berliner NSDAP herausgegeben. 1927 erscheint die Zeitung einmal wöchentlich, später publiziert man sie zweimal pro Woche, schließlich jeden Tag. Im Jahr 1932, kurz vor der entscheidenden Wahl, erscheint sie sogar zweimal täglich.

Das beweist, welche Bedeutung Zeitungen im politischen Tageskampf zuzumessen ist. Die Auflage des Angriff steigt von 2000 auf über 146 000 Exemplare (1927), einige Historiker sprechen von noch höheren Auflagen, ja von bis zu 800 000 Druckexemplaren zu bestimmten Zeitpunkten.25

1930 erscheinen zusätzlich die Nationalsozialistischen Monatshefte, deren Schriftleiter Alfred Rosenberg ist, 1932 kommt noch Der Stürmer hinzu, eine Wochenzeitung von Julius Streicher.

Jedenfalls wird auch die schriftliche Kommunikation gezielt eingesetzt, wobei sich die Federkiele ähnlicher Inhalte und Techniken befleißigen wie die Rhetoriker.

Die Kreation von Chaos

Daneben gibt es für destruktive Persönlichkeiten im politischen Raum noch weitere Techniken, die »funktionieren«, wenn es um den Kampf um die Macht geht.

Will man sich einen ganzen Staat in die Tasche stecken, muss man lediglich systematisch für Chaos sorgen. Das bewies schon Lenin, später Mussolini. Unruhe, Aufstände und Proteste sind ein hervorragendes Mittel, um einen Staat zu unterminieren. Selbst die Sabotage, ein »kleiner Mord« hie und da, öffentliche Prügeleien und bedrohliche Massendemonstrationen, bei denen »versehentlich« Sacheigentum beschädigt wird und Flammen hoch aufzüngeln, kurz alles, was Angst und Schrecken verbreitet, verunsichern eine bestehende Regierung und das Volk. Besonders gut eignen sich für diese Aufgabe paramilitärische Schlägertruppen, die für Terror sorgen. Im Fall Hitlers ist das die SA, die »Sturmabteilung«.

Wenn eine Regierung der Unordnung nicht mehr Herr werden kann, steht sie Kopf und trifft falsche Entscheidungen; sie wird in der Folge leicht zu stürzen sein.

Die Technik besteht darin, zahlreiche unterschiedliche lokale »Chaospunkte« zu schaffen, sodass die Aufmerksamkeit der (noch) herrschenden Regierung zersplittert wird. Sie wird eine Weile versuchen, die Rädelsführer ausfindig zu machen, aber wenn dem Chaos nicht Einhalt geboten werden kann und wenn zusätzlich der (Volks-)Zorn mittels Propaganda geschürt wird, sind viele Bürger nach einer Weile überzeugt, dass ebendiese Regierung abdanken sollte.

Lenin, von dem Hitler nachweislich lernte,26 obwohl er die Kommunisten bis aufs Messer bekämpfte, war ein Meister darin, gezielt für Chaos zu sorgen. Aber auch andere kommunistische Führer (Fidel Castro und so fort) bedienen sich später dieser Methode. Es handelt sich um schwarzes politisches Know-how, das selbst heute noch vom KGB und seinen Nachfolgeorganisationen in zahlreichen Ländern der Erde benutzt wird.

Wenn ein Staat unterminiert ist, wenn die Ordnung nicht mehr aufrechterhalten werden kann und wenn das Chaos überhandnimmt, erhebt sich der Ruf nach einem »starken Mann«, nach einer Führerfigur. Die Führerfigur/der Strippenzieher verkündet lauthals, dass er selbst für Ruhe sorgen und allen Arbeit und Brot geben wird, wenn, ja wenn man ihn nur mit der Regierung betraut , während in Wahrheit das Chaos auf ihn selbst und auf die eigene Truppe zurückzuführen ist.

Vorgespiegelt wird gewöhnlich, dass es sich angeblich um »spontane Unruhen« handelt. In Wahrheit sind alle diese »spontanen Unruhen« gesteuert, sie werden inszeniert und provoziert. Die Medien unterstützen in ihrer Dummheit dieses Chaos, denn sie sind fast ausnahmslos negativ gepolt und lieben Blut, Aufstände und schreckliche Bilder. Sie sind Chaoshändler und verdienen daran, wenn sie eine gefährliche Umwelt zeichnen. Das Chaos wird durch die Medien noch einmal potenziert.

Hitler bedient sich anfänglich wie gesagt der SA. Die Sturmabteilung ist scheinbar eine Ordnungstruppe, eine Art Saalschutz, sie dienen als Plakatkleber und Parolenschmierer, in Wahrheit versammeln sich hier abgehalfterte, ausgediente Soldaten, Rüpel, Schläger, Diebe und andere kriminelle Elemente. Gewaltsam behindern sie gegnerische Veranstaltungen oder schützen Hitlers Redeauftritte. Wenn Gebäude oder andere physikalische Objekte sowie Menschen zu Schaden kommen, so kümmert das die SA wenig; ein Toter zählt nichts. Früh spezialisiert sich die Sturmabteilung auf den Straßenkampf und den Überfall. Im Visier hat die SA vorzugsweise Kommunisten und Juden. Gern provoziert sie entsprechende Zusammenstöße.

Weitere »Techniken« Hitlers oder: Staatsumstürzlerisches Know-how

Darüber hinaus gibt es selbstredend noch andere Methoden Hitlers, die man sich ins Bewusstsein rufen muss. Er besitzt seine Finanziers (wie die Bechsteins), bedient sich geschickt verschiedener Geheimbünde (wie der Thule-Gesellschaft), arbeitet mit einprägsamen Symbolen (etwa dem Hakenkreuz) und baut systematisch einen Hassgegner auf (die Juden), die er für alle Übel der Welt verantwortlich macht. Der Methode, systematisch einen Gegner aufzubauen, bediente sich schon Lenin, der alle »Kapitalisten« zum Sündenbock ausrief.

Die Etablierung einer schlagkräftigen, engagierten Partei ist ein weiterer notwendiger Schritt aus Hitlers Sicht, um die Macht an sich zu reißen.

Davon abgesehen, dass man all diese Methoden fraglos in Rechnung stellen muss, und ungeachtet der Tatsache, dass deren Kenntnis allein künftige Hitlers verhindern mag, darf man jedoch nicht darauf verzichten, auch auf die »Umwelt« zu deuten, sprich auf die Persönlichkeiten, die in der Verantwortung standen. Es ist richtig, ja schier überlebensnotwendig, sich auch in dieser Beziehung hartnäckig die Frage zu stellen: Wie hätte Hitler verhindert werden können?

Erst dann kann man »Alternative Geschichte« seriös vorstellen, erst dann lassen sich Szenarien ausdenken, die einen ganz anderen Verlauf der Geschichte wahrscheinlich gemacht hätten.

Reflektieren wir jedoch zunächst noch einmal den wahren Wert dieser »alternativen Geschichtsschreibung«, die fraglos fantastische Perspektiven bietet. In wissenschaftlich-pädagogischer Hinsicht könnte sie eines Tages sogar einen völlig neuen Stellenwert einnehmen.

II. DIE FANTASTISCHEN MÖGLICHKEITEN DER ALTERNATIVEN GESCHICHTE

Bevor wir auf die Möglichkeiten der Alternativen Historie zu sprechen kommen, müssen wir auf eine bemerkenswerte Entwicklung innerhalb der Geschichtsschreibung selbst reflektieren.

Es ist vielleicht nie gesagt worden, aber das Fach Geschichte stellt uns zunehmend mehr und mehr Faktenmaterial zur Verfügung. Die Menge an Know-how, die Menge an Wissen ist schier unglaublich – aber man muss natürlich bereit sein, aus den Ereignissen konkrete Schlüsse zu ziehen und anwendbares Wissen herauszufiltern. Vielleicht gibt es keine einzige andere Disziplin, in der regelmäßig so viele Daten zusammengetragen wurden und werden wie im Fach Geschichte. Wir kennen heute die Geschichte Chinas ebenso gut wie die Historie Indiens, Japans oder Russlands, ja aller asiatischen Staaten und selbstverständlich die Vergangenheit zahlreicher europäischer Länder. Sogar die Geschichte Australiens und der beiden Amerikas sind uns kein Buch mit sieben Siegeln mehr, sofern wir uns nur dafür interessieren und uns einlesen.

Das jedoch eröffnet mit einem Schlag völlig neue Perspektiven, die bislang nicht oder jedenfalls nur unzureichend ausgelotet worden sind.

Wir können heute durchaus eine vergleichende Geschichtswissenschaft aus der Taufe heben und sorgfältig nach richtigen (und falschen) Entscheidungen innerhalb der Historie Ausschau halten – in allen möglichen Ländern. Aufgrund des Erfahrungsschatzes, der inzwischen der Menschheit zur Verfügung steht, vermögen wir in einem ganz anderen Umfang als bisher aus der Geschichte zu lernen.1 Erste Gehversuche in dieser Richtung wurden längst von verschiedenen Autoren unternommen, von Toynbee und Durant2 unter anderem, früher, in vergangenen Jahrhunderten, ansatzweise von Machiavelli und Hegel,* denen jedoch noch zu wenig Vergleichsmaterial zur Verfügung stand. Erst jetzt, im 21. Jahrhundert, explodiert die Geschichtsschreibung förmlich, denn das »Global Thinking« macht auch vor der altehrwürdigen Wissenschaft der Historie nicht halt. Und also gibt es bereits die erstaunlichsten Vergleiche zwischen verschiedenen Ländern und Regierungsexperimenten, selbst von Singapur können wir inzwischen lernen.3

Allein dieser Umstand ist bereits höchst begrüßenswert, denn er fixiert uns nicht mehr auf nur ein Land, er weicht den begrenzten und beschränkten nationalen Gesichtspunkt auf. Kurz gesagt trägt der weite Horizont zu einer größeren intellektuellen Beweglichkeit bei. Aber der wahre Quantensprung innerhalb der Geschichtswissenschaft steht uns erst noch bevor.

Alternative Geschichtsschreibung

Tatsächlich könnten wir den existierenden Wissensschatz zusätzlich erweitern, wenn wir uns Rechenschaft darüber ablegen, wie Geschichte hätte verlaufen können. Auch in dieser Beziehung gibt es bereits die ersten hochinteressanten Experimente, wie unter anderem die Autoren Brodersen, Demandt, Dillinger und Ferguson beweisen.4

Noch immer verstehen wir Geschichte im Allgemeinen als eine Reihe von Ereignissen, die unwiderruflich vergangen sind und nicht mehr geändert werden können. Zu selten legen wir uns Rechenschaft darüber ab, wie Historie hätte verlaufen können, wenn, wenn ... ja wenn nur ehemals die richtigen Entscheidungen getroffen worden wären.

Besonders Niall Ferguson (geb. 1964) machte in dieser Beziehung von sich reden, der vielleicht bekannteste lebende Historiker, der in Harvard, Oxford, Stanford und London lehrte, kurz an den berühmtesten Universitäten der Welt.5

Geschichtslehrer bemächtigten sich in der Folge dieser Idee und fragten ihre Schüler beispielsweise. ob es richtig gewesen war, im Jahr 1919 den Versailler Vertrag zu unterschreiben, nach dem Ersten Weltkrieg, der Deutschland in tiefste Abgründe stieß.6 Wir werden hierauf noch sehr genau zu sprechen kommen, das Faktum hat unmittelbar etwas mit dem Thema Hitler zu tun.

Doch fragen wir zunächst noch einmal hartnäckig: Was sind die wahren Perspektiven einer alternativen Geschichtsschreibung?

Man stelle sich nur einen Augenblick lang die Möglichkeit vor, Historie neu zu schreiben, sprich der Geschichte einen ganz anderen Verlauf zu geben. Was würden wir ändern, wenn wir selbst einer der Entscheidungsträger gewesen wären? In diesem Fall könnten wir nach besseren, intelligenteren Lösungen fahnden als jene, die in der Vergangenheit den Zuschlag erhielten.

Was wäre das Ergebnis? Das uns zu Verfügung stehende Know-how würde sich noch einmal potenzieren. Wir würden nicht nur über die konkreten geschichtlichen Zusammenhänge plötzlich bestens informiert sein - denn das ist die notwendige Voraussetzung einer alternativen Geschichtsschreibung –, sondern wir würden uns darüber hinaus Rechenschaft ablegen, warum etwas aus dem Ruder lief. Wir würden die Entscheider noch sehr viel genauer analysieren und nach »richtigen« Beschlüssen Ausschau halten. Wir würden zu guter Letzt über einen neuen Wissensschatz verfügen, der es uns erlaubt, in ähnlich brenzlichen, gefährlichen Situationen in der Zukunft weitaus vernünftiger und klüger zu reagieren.

Durch die Alternative Geschichte würden Studenten, Schüler und Leser überhaupt angeregt, in einem ganz anderen Ausmaß an der Geschichte »teilzunehmen«. Sie würden auch die Gegenwart plötzlich mit ganz anderen Augen betrachten; denn noch einmal: Politik heute ist nichts anderes als die Geschichte von morgen. Leser würden auf ein deutlich höheres Verantwortungsplateau gehoben werden, was ein interessanter und wünschenswerter Nebeneffekt wäre.

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* Machiavelli zog in seinem The Prince nur die römische und italienische Geschichte zu Vergleichen heran, Hegel versuchte immerhin bereits einen globalen Ansatz.

»Entgleisungen« innerhalb der deutschen Geschichte

Konzentrieren wir uns in diesem vorliegenden Band nur auf die deutsche Geschichte, allerdings ohne Entwicklungen in anderen Ländern zu ignorieren, denn Geschichte findet nie abgeschottet von den Nachbarn statt, und heute sogar nicht mehr abgeschottet von der globalen Entwicklung. Aber es ist notwendig, Schwerpunkte zu setzen und sich nicht in zu vielen »Historien« zu verlieren. Das Kaleidoskop wäre zu bunt, wenn wir die gesamte Weltgeschichte einbeziehen würden.

Bis heute können Wissenschaftler und speziell Historiker ihrer Emotionen kaum Herr werden, einigen gelingt es kaum, »sachlich« zu bleiben, wenn sie innerhalb der deutschen Geschichte auf bestimmte Entwicklungen und Fehlentwicklungen zu sprechen kommen.

Werden wir konkret:

Nach wie vor sind bestimmte Aktionen des Mittelalters kaum verständlich und nachvollziehbar. Mit modernen Messlatten lässt sich diese Periode, die unzulässig vereinfachend gesprochen von 500 bis 1500 n. Chr. währte, nicht begreifen. Obwohl es zweifellos richtig ist, Handlungen, Entscheidungen und Ereignisse »aus der Zeit heraus« zu verstehen und also die ehemaligen Umstände und Glaubenssätze in Rechnung zu stellen, die zu einer bestimmten Entwicklung führten, findet mittlerweile ein Umdenken statt, was beispielsweise die hochgelobten Könige und Kaiser dieser Epoche angeht. Ein Musterbeispiel wäre Friedrich I., Barbarossa, der »Rotbart«, dessen Taten inzwischen nicht nur von italienischen Historikern völlig anders bewertet werden als noch vor 50 oder 100 Jahren.7 Die italienische Geschichtsschreibung, die inzwischen auch in Deutschland leicht zugänglich ist, urteilte schon früh vernichtend über Barbarossa, während er in Deutschland verklärt und idealisiert wurde. Zusätzlich gelangt man mithilfe der Alternativen Geschichte zu einer völlig anderen Sichtweise auf diesen Kaiser. Vorsichtig beginnt man sich zu fragen: Was wäre, wenn ... vormals von dem Rotbart ganz andere Entscheidungen getroffen worden wären und er nicht pausenlos Krieg geführt hätte?Ein Reizthema ist darüber hinaus nach wie vor auch der Dreißigjährige Krieg, der von 1618 bis 1648 in den deutschen Landen tobte. Die Katholiken bekämpften ehemals die Protestanten bis aufs Messer, der Krieg selbst war mörderisch. Alternative Geschichte fragt: Wie hätte dieser barbarische Krieg vermieden werden können, der die Entwicklung in Deutschland um mindestens ein Jahrhundert zurückwarf?Ebenfalls ein Reizthema ist die gescheiterte Revolution im Jahre 1848 in Deutschland. Damals wurde es in unserem Land versäumt, rechtzeitig die Demokratie zu etablieren – im Gegensatz zu Frankreich oder Großbritannien etwa. Demokratie hätte von den Deutschen sehr viel früher »erlernt« werden müssen, wenn, ja wenn ...Was wurde hier unterlassen und verschlafen? Warum scheiterte diese Revolution, fragen sich viele Zeitgenossen bis heute, nicht nur Historiker? Wir werden genau auf diese drei Perioden an späterer Stelle eingehen.Am höchsten schlagen jedoch die Wellen der Emotion, wenn es um die Figur Adolf Hitlers geht. Noch immer verstehen viele Menschen nicht, wie eine solche Horrorfigur zum »Führer« aufsteigen konnte. Die brennende Frage lautet: Wie hätte Adolf Hitler verhindert werden können? In fast ohnmächtigem Zorn und jedenfalls hoch erregt fragen sich das noch immer viele Zeitgenossen, selbst die Jugend, selbst die Nachkriegsgeneration. Hand in Hand damit gehen die Fragen: Wie könnte man künftige Hitlers verhindern? Was waren die konkreten Fehler, die wir nie, nie wiederholen dürfen?

Begeisternde Perspektiven

Wir können inzwischen ohne Weiteres gediegenes Know-how aus der Geschichte extrapolieren und herausfiltern, wenn wir nur besessen genug sind, in gutem Sinne, um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.

Jeder Mensch, so wissen wir aus persönlicher Erfahrung, begeht Fehler; keiner von uns ist vollkommen. Wenn wir jedoch nur mit einem Quäntchen Vernunft ausgestattet sind, versuchen wir, in der Folge aus unseren eigenen Fehlern zu lernen. Wir bemühen uns, zumindest den gleichen Fehler nicht zu wiederholen. Wir versuchen, Winston Churchills ironische Maxime anzuwenden, der einst riet: »Begehe nicht den gleichen Fehler zweimal; die Auswahl ist schließlich groß genug.«

Doch weshalb lernen wir nicht mit der gleichen Demut aus den Fehlern von ganzen Nationen und Staaten?

Würden sich dadurch nicht völlig neue Perspektiven eröffnen?

Das heißt, wir sollten auch aus den Fehlern anderer Menschen lernen, ja aus den Fehlern der klügsten Staatenlenker, aus den Fehlern von Königen und Kaisern, von Präsidenten und Ministern.