Wie Romane entstehen - Hanns-Josef Ortheil - E-Book

Wie Romane entstehen E-Book

Hanns-Josef Ortheil

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Beschreibung

Ein Standardwerk für Autoren, Literaturliebhaber und jeden passionierten Leser

Roman-Poetiken von Schriftstellern gibt es viele, noch nie aber wurde bisher einmal en detail beschrieben, wie Romane in den Roman-Werkstätten der Schriftsteller entstehen. Die beiden Autoren des Bandes, ein Romancier vieler bedeutender und hoch angesehener Romane und sein langjähriger Lektor, analysieren anhand zahlreicher Beispiele solche Entstehungsprozesse, indem sie die einzelnen Arbeitsphasen der "langen Arbeit am Roman" präzise unterscheiden und immer wieder genau nachfragen, was in diesen Arbeitsphasen geschieht und wie sie sich aufeinander beziehen. Von den ersten Notizen und poetischen Eingebungen bis hin zum fertigen Manuskript erläutern sie Schritt für Schritt, welche Arbeiten (an Figuren, Schauplätzen und der Entwicklung von Szenen, Dramaturgien und Handlung) Autoren bewältigen müssen, damit aus zunächst noch sehr vage sich abzeichneneden Roman-Phantasien am Ende auch wirklich ein Roman (und vielleicht nicht nur einer, sondern nach diesem einen noch ein weiterer und noch einer ...) entstehen.

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Seitenzahl: 362

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Penguin Random House Verlagsgruppe GmbHNeumarkter Str. 28, 81673 München
ISBN : 978-3-641-01661-6V002
www.penguinrandomhouse.de
Inhaltsverzeichnis
 
Vorwort
 
ERSTE VORLESUNG – Notieren und Skizzieren
 
ZWEITE VORLESUNG – Figuren, Räume, Texte
 
DRITTE VORLESUNG – Spuren suchen
 
VIERTE VORLESUNG – Eine Entstehungsgeschichte
I
2
3
4
5
 
Klaus Siblewski – Wie Romane entstehen (2)
 
ERSTE VORLESUNG – Poetische Vision
 
ZWEITE VORLESUNG – Recherchieren, Konzipieren (Schreiben 1)
 
DRITTE VORLESUNG – Schreiben, Gliedern, Entwerfen (Schreiben 2)
 
VIERTE VORLESUNG – Redigieren
 
Copyright
VORBEMERKUNG
Die Frage, wie Romane entstehen, wird in diesem Buch aus zwei Perspektiven gestellt: Zum einen aus der eines Schriftstellers (Hanns-Josef Ortheil), zum anderen aus der eines Lektors (Klaus Siblewski). Untersucht der Schriftsteller all jene Prozesse, die dem Schreiben eines Romans vorausgehen und gleichsam das Fundament für seine Ausarbeitung bilden, so beobachtet der Lektor all jene Fragen und Problemstellungen, die von einem Autor während der Romanarbeit an ihn herangetragen und mit seiner Hilfe fortgeführt und entwickelt werden.
 
Die Perspektiven des Schriftstellers und des Lektors beziehen sich also eng aufeinander und formieren gemeinsam eine gewisse Strecke des langen Wegs einer »Arbeit am Roman«, vom ersten Einfall über den Entwurf von Figuren, Räumen und Szenen bis hin zu bereits weit entwickelten Roman-Bauplänen. Schritt für Schritt bewegt sich der Roman-Schriftsteller dabei immer mehr hinaus aus den zunächst noch sehr »geheimen« Vorgängen in seiner Werkstatt: Er notiert, er hält etwas fest, er beginnt, mit diesem Festgehaltenen zu arbeiten und zu spielen, er dringt immer weiter vor in die Stück für Stück wachsende und sich erweiternde »Welt des Romans«.
 
In dem Maße, in dem er die Grenze zu dieser neuen »Welt« überschreitet, wächst auch seine Mitteilungsbereitschaft. Dabei wird häufig der Lektor zum ersten Ansprechpartner, mit dem er seine frühen Festlegungen und all die Phantasien, die sich an sie knüpfen, überprüft und testet. So gestaltet sich die Romanarbeit zu einem dauernden Hin und Her zwischen Geheimhaltung und allmählicher Öffnung, zwischen Rückzug und Mitteilung. Spielt der Schriftsteller solche Prozesse zunächst nur mit sich selbst durch (indem er sie aufschreibt und dokumentiert), so überträgt er sie später auf das Gespräch mit seinem Lektor, das sich in ganz ähnlicher Form aus Andeutungen, Festlegungen und zurückgenommenen Absichts-Erklärungen zusammensetzt.
 
Erstaunlich ist, dass all diese Vorgänge von vielen Romanautoren mehr oder weniger detailliert und bruchstückhaft angesprochen, im Einzelnen aber weder untersucht noch begrifflich genau erfasst und gedeutet worden sind. Vor allem ist bisher noch nie der Versuch gemacht worden, die ersten Phasen einer Romanentstehung deutlicher voneinander zu unterscheiden und danach zu fragen, was in diesen Phasen eigentlich geschieht und wie sie sich aufeinander beziehen. Die lange Tradition der von Autoren geschriebenen Roman-Poetiken hat daher eine weitgehend noch immer ungesicherte Grundlage. Diese Grundlage ein wenig überschaubarer zu machen, war ein wesentliches Ziel der hier durchgeführten, aufs Analytische setzenden Überlegungen.
 
Hervorgegangen sind sie aus Vorlesungen und Seminaren, die jeder von uns und die wir zum Teil auch gemeinsam in den letzten Jahren an den Universitäten von Zürich und Bamberg (so etwa Hanns-Josef Ortheil im Rahmen seiner »Zürcher Poetik-Dozentur« im Wintersemester 2005/2006 und im Rahmen seiner »Bamberger Poetik-Professur« im Sommersemester 2007) sowie an den Universitäten von Hildesheim, Duisburg-Essen und Heidelberg gehalten haben. Darüber hinaus wurden sie angeregt durch die vielen Gespräche, die wir in den getrennten Rollen von Schriftsteller und Lektor in der gemeinsamen Arbeit an mehreren Romanprojekten von Hanns-Josef Ortheil seit 1998 geführt haben.
 
Stuttgart/München, im Dezember 2007
Hanns-Josef Ortheil/Klaus Siblewski
Hanns-Josef Ortheil
 
Wie Romane entstehen (I)
ERSTE VORLESUNG
Notieren und Skizzieren
Meine Damen und Herren!
 
Vor genau achtzig Jahren hielt der britische Roman-Autor Edward Morgan Forster am Trinity College in Cambridge seine bald berühmt gewordenen Vorlesungen Aspects of the Novel.1 Darin erläuterte er anhand von vielen Beispielen aus der englischen Romanliteratur seine Sicht auf die Gattung des Romans, dessen Besonderheiten er einem interessierten, aber nicht übermäßig vorinformierten Leser-Publikum näher bringen wollte.
Anders als viele andere Autoren vor ihm wählte Forster für seine Poetik-Vorlesungen eine doppelte Perspektive: Er sprach nicht direkt und ausschließlich von seiner eigenen »Poetik des Romans«, sondern er versuchte, seinen Zuhörerinnen und Zuhörern eine Vorstellung davon zu geben, mit welch typischen Erzähl-Problemen Romanautoren zu tun haben, wenn sie an einem Roman arbeiten. Die Geschichte, die Figuren, die Fabel … – all das waren solche Erzähl-Probleme, deren Gestaltung und Ausarbeitung durch die unterschiedlichsten Autorinnen und Autoren Forster anhand von kurzen Text-Auszügen aus ihren Romanen zu verdeutlichen suchte.
Zum einen sprach Forster dabei als ein Schriftsteller, der die besonderen Probleme der »Romanarbeit« aus eigener Anschauung kannte und sie daher gleichsam von innen her nachvollziehen konnte, zum anderen aber auch als ein Beobachter und Essayist, der bestimmte Passagen aus den Werken seiner Kolleginnen und Kollegen auf ihre besonderen Eigentümlichkeiten hin prüfte und miteinander verglich.
 
Dabei ging es ihm nicht um die Unterscheidung bestimmter Romanformen, sondern um den »Roman an sich« und damit um Gestaltungsprobleme, die in allen Romanen eine Rolle spielen. Was der »Roman an sich« sei, fixierte er in seinen Vorlesungen gleich zu Beginn weniger in poetologischer Manier als in einer möglichst pragmatischen und einfachen Beschreibung dessen, womit wir es beim Roman zu tun haben. Wir haben es beim Roman, sagte Forster, mit einer »Prosaerzählung von einer gewissen Länge« zu tun, diese Länge fixieren wir mit der Zahl von etwa 50 000 Worten, so daß wir sagen können: »Jede freie Prosadichtung von über 50 000 Worten ist im Sinne dieser Vorlesungen ein Roman...«2
 
Der Roman als »lange Prosaerzählung« – mit Hilfe dieser ebenso einfachen wie verblüffenden Definition hielt sich Forster genauere Unterscheidungen dessen, was alles »ein Roman« sein könne, vom Leibe. Stattdessen konnte er sich nun jenen Grundkomponenten zuwenden, auf deren Erläuterung es ihm vor allem ankam, ja er konnte zeigen, was Romanautorinnen und Romanautoren nun alles tun und in Bewegung setzen müssen, um eine Erzählung »von einer gewissen Länge« zu schreiben: Sie müssen eine Geschichte entwerfen und aus Elementen einer Geschichte eine Fabel knüpfen, sie müssen Figuren erfinden und ihre Entwicklung über einen beträchtlichen Zeitraum verfolgen usw.
 
Anders als im Falle der meisten anderen literarischen Gattungen können Romanautorinnen und Romanautoren sich bei dieser Arbeit aber nicht auf einen in vielen Jahrhunderten entstandenen und damit durch eine lange Tradition legitimierten Kanon von Regeln und Strukturen stützen. Der »Roman«, sagt Forster vielmehr mit Recht, »ist eine gewaltige amorphe Masse – kein Gipfel, den man ersteigen könnte, kein Parnass oder Helikon, nicht einmal ein Berg Nebo, von dem aus man ins Gelobte Land schauen könnte. Der Roman ist recht eigentlich eine der feuchteren Gegenden der Literatur, durchzogen von Hunderten von Wasserläufen und streckenweise zu sumpfigen Niederungen ausgeartet«,3 mit anderen Worten: Der »Roman« ist ein unübersichtliches, sich häufig chaotisch darstellendes Gelände, das alle Planungsabsichten von vornherein bedroht oder in Frage stellt.
 
Das Wilde, ja Chaotische, das ihm innewohnt, rührt eben daher, dass seine Materialien und Stoffe nicht begrenzt sind, der Roman ist eine prinzipiell offene Form, er verträgt nicht nur Zuflüsse und Zuläufe von allen Seiten, sondern er verlangt geradezu nach Vermehrung, Ausbreitung und einem Über-die-Ufer-Treten. Als »Erzählung« von einer nicht absehbaren Länge zieht er immer weitere und neue Materialien und Stoffe an und bringt seinen Autor dadurch in immer stärkere Verlegenheit: Wie, fragt sich dieser Autor, können all diese vermehrungssüchtigen Stoffmassen gebändigt, wie geordnet werden, wie erzählt man Geschichten von einer gewissen Länge, ohne den Überblick zu verlieren oder gar in den heranflutenden Seitenarmen und Nebenströmen des Romanflusses zu ertrinken?
 
Solche Fragen deuten an, dass dem Roman ein ungeheuer vitales, dynamisches und entgrenzendes Moment zugrunde liegt. Der Roman ist eine gefräßige, monströse Gattung, er ist vergleichbar einem sich ununterbrochen mästenden, verfressenen Tier, das sein Autor und Erzeuger mit immer neuem Material füttern und stopfen muss. Indem der Roman auf Unendlichkeit und Totalität aus ist, fesselt und bindet er seinen Autor oft jahrelang an sich, laufend, fast täglich, muss er neu inszeniert und auf eher künstliche Weise zusammengehalten werden, während er nach nichts mehr drängt als danach, seine Elemente zu vervielfachen, zu spalten oder gar vollständig zu isolieren.
 
Im Zentrum dieses Wucherungsprozesses scheint ein all seine Teile und Elemente ansteckender und laufend verändernder Virus zu stecken, ein Virus von eminenter Kraft und Anziehung, eine starke Potenz, die ich im Folgenden als das Romanhafte bezeichnen werde. Das Romanhafte ist rohe, sich unaufhörlich vermehrende Erzähl-Energie, diese Energie ist süchtig nach immer neuen Räumen, und sie verschlingt Zeitmassen, als hätten sie nichts zu bedeuten und als könnten sie ewig oder immer von Neuem, in unendlich vielen, wechselnden Konstellationen, aneinandergereiht werden.
Will man die Wirkungen dieser Erzähl-Energie beobachten, so kann man sich an Romanautoren (man denke an Balzac, Flaubert oder Tolstoj, an Thomas Mann oder Georges Simenon) halten, deren gesamtes Erleben und Leben durch diese Bindung geprägt sind. Ihr eigentliches Zuhause ist die Roman-Werkstatt, ein unübersichtlicher, labyrinthischer Bau von Notizen, Aufzeichnungen, Skizzen, Fragmenten, Plänen oder Tagebuch-Elementen, der nie an ein Ende kommt und immer wieder neue »Romane« ausstößt und gebiert. Freiwillig, könnte man meinen, setzt sich ein Romancier dem Zwang, den das Romanhafte ausübt, nicht aus, es muss sich bei der Roman-Arbeit um etwas anderes handeln als um eine mehr oder minder beliebige Tätigkeit, in Wahrheit scheint es Schriftsteller mit einer gewissen Roman-Disposition zu geben, sie können und wollen nichts anderes als Romane schreiben, für alles andere sind sie verloren.
 
Diese Disposition zu belegen, ist nicht weiter schwer, schon ein kurzer Blick auf die lange Reihe typischer Romanautoren, die beinahe nur Romane geschrieben haben, für die Lyrik absolut unbrauchbar und auch im Dramatischen keine großen Meister, wohl aber Autoren umfangreicher Notiz-Sammlungen, Essays oder Tagebücher sind, belegt das. Stößt man auf eine Schriftsteller-Werkstatt, die von den Elementarformen des Schreibens, der Notiz, der Skizze und dem Fragment, getragen wird, so kann man beinahe sicher sein, es mit einem für den Roman disponierten Autor zu tun zu haben, dessen gesamte LebensEnergie von der Erzähl-Energie des Romans, dem also, was ich das Romanhafte nenne, in einer totalen Weise beansprucht wird.
In der deutschen Literatur ist Jean Paul (1763-1825) das bedeutendste Beispiel für einen solchen Autoren-Typus, kein anderer deutscher Schriftsteller hat eine so umfangreiche und detaillierte Roman-Werkstatt angelegt und jahrzehntelang an ihr gebaut, alles Leben verschwand gegenüber dem Schreiben, das Schreiben war allgegenwärtig und in jedem Moment präsent und dadurch so etwas wie ein prägendes, starkes Milieu, das einzige konstante Milieu seiner Existenz. Schon im Alter von fünfzehn Jahren hat Jean Paul ihm Kontur und Gestalt gegeben, es war der Entwurf einer gewaltigen, von Tag zu Tag immer mehr ins Unüberschaubare wachsenden Notate-Sammlung, von der nur ein geringer Teil später Eingang in seine Veröffentlichungen fand. Denn nicht der Druck und die spätere Resonanz waren das Ziel des Notierens und Schreibens und begründeten seine Magie, vielmehr war es das Notieren und Schreiben selbst, was Jean Paul so anzog und fesselte.
 
Die Feder ansetzen, etwas abschreiben oder aufzeichnen, eine Notiz machen, Notizen nummerieren und sammeln – das ist in seinem Fall der immer wiederkehrende Urakt des Roman-Schreibens, demgegenüber alle synthetisierenden oder auf geschlossene Organismen hin angelegten Momente verblassen. Ein Notierer, ein Notizenmacher zu sein – das bedeutet: Gewiss sein zu können, dass die Schrift fließt, dass sie, um sich in Szene zu setzen, keiner großen Vorbereitungen bedarf, dass sie sich vielmehr von Schreibregung zu Schreibregung organisiert und fortsetzt, mäandernd, mehrstimmig, ein verzweigter, anfangs gar nicht kanalisierbarer Strom von Ideen, Überlegungen, Beobachtungen, der auf den Zwang des Romanhaften antwortet und ihm gehorcht.
Von daher kann man sagen: Jean Paul ist unter den deutschen Schriftstellern der Roman-Schreiber schlechthin, in einem ganz primären Sinne des Wortes. Er ist der Schriftsteller, für den die Bewegungen vor und nach dem Schreiben kaum existieren, sondern für den der Schreibakt, das pure Schreiben, die literarische Gestik begründet. In seinem zwanghaften Charakter schafft dieser Schreibakt immer neue Pläne und Scheinbauten, in denen der Schreibende von Anfang an nicht ganz zu Hause ist. Ab und zu versucht er, sich umzusehen, dann legt er Listen, Tabellen oder Register an, doch all diese Versuche, sich einen irgendwie gearteten Überblick zu verschaffen, sind von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil das ewig fortfließende Notieren und Schreiben sie rasch wieder überwuchert, auslöscht oder zum Einstürzen bringt.
 
Wie aber lassen sich diese großen Schrift-Ländereien denn kartografieren, wie lassen sich die ruinösen Schrift-Bauten erhalten und festigen? Wie also an ein Ufer finden, heraus aus dem reißenden Schreib-Strom, der von Tag zu Tag neue Seitenarme und Kanäle abscheidet, tückische Stromschnellen bildet oder gar plötzlich stockt wie das Wasser in einer Schleuse, das von Minute zu Minute rapide sinkt oder steigt? Jean Paul sah sich vor die Aufgabe gestellt, aus Hunderten und Tausenden von Einzel-Notizen und Erzähl-Fragmenten zum Bau von Romanen durchzudringen. Wie er diese Aufgabe bewältigte, wird uns noch im Einzelnen beschäftigen, hier soll nur noch einmal festgehalten werden, dass sie einer nicht veränderbaren Disposition entspringt, der Disposition zum Roman, die einem Schriftsteller einen Roman-Bau nach dem anderen bei gleichzeitig rapidem Wachsen und Wuchern der Werkstatt abnötigt. Mit jedem neuen Roman glaubt er die Geschwindigkeit dieses Wachsens zumindest ein wenig zu verlangsamen oder zu bremsen, in Wahrheit aber nimmt diese Geschwindigkeit immer mehr zu, sie ist die eigentliche Wirkung des Romanhaften, das durch jeden neu veröffentlichten Roman gestärkt wird und mit vermehrter Potenz den nächsten Roman fordert.
 
Bei längerem Nachdenken über dieses enge Verhältnis von Romanhaftem und Roman-Disposition liegt der Verdacht nahe, dass die Roman-Disposition, die sich zunächst in einem besonderen Hang zum Notieren und Skizzieren niederschlägt, an bestimmte Formen der Wahrnehmung geknüpft ist. So könnte man vermuten, dass sich bei Romanautoren spezifische Eigenarten des Sehens und Begreifens feststellen lassen, die man als Grundlagen für eine Roman-Disposition verstehen könnte. Um mich solchen Grundlagen zu nähern, muss ich nun auch von mir selbst und meinen eigenen literarischen Arbeiten sprechen und damit zugeben, dass auch ich seit den frühsten Kinder- und Jugend-Tagen vom Roman-Virus befallen bin.
Es fing damit an, dass ich als Kind und als Jugendlicher fast ausschließlich Romane gelesen habe, und es zeigte sich zum ersten Mal in all seiner Dramatik, als es mir in den ersten Schuljahren nicht gelingen wollte, kurze Geschichten oder kleinere Erzählungen zu schreiben. Jedes Mal, wenn wir Schüler im Deutsch-Unterricht eine solche Aufgabe erhielten, begann ich zwar mit dem Erzählen, wurde mit ihm aber nicht fertig, ich blieb irgendwo stecken und musste meinen Erzählversuch abbrechen, die Zeit hatte nicht für mein Vorhaben gereicht, eine Schulstunde, ja sogar zwei waren nicht genügend Zeit für all das gewesen, was mir an Erzählstoff durch den Kopf ging.
 
Später, in den Jahren der Karl-May-Lektüre, wiederholte sich dieses Drama auf anderer Ebene, hatte ich nach den meisten Lektüren von Karl Mays Romanen doch das Gefühl, noch nicht das »wirkliche Ende« des Romans gelesen zu haben. Was der Erzähler Karl May mir präsentierte, war in meinen Augen vielmehr ein »vorläufiges« oder jedenfalls nicht das »stimmige, richtige Ende«, das »stimmige, richtige Ende« entzog sich oder blieb verborgen, so dass ich mich selbst daranmachte, auf ein solches, sich irgendwann hoffentlich offenbarendes und dann glücklich präsentierendes Ende hin zu erzählen. Natürlich gelangten auch meine Erzählversuche eines neuen, anderen Endes von Karl Mays Romanen nicht an ein Ende, kaum hatte ich mit solchen Versuchen begonnen, befand ich mich gleichsam schon wieder in einem neuen Roman, ich schrieb nicht ein »neues Ende«, sondern die Fortsetzung des Romans, und machte so zum ersten Mal die grausame Entdeckung, dass Romane kein eigentliches, »richtiges«, sondern nur ein »künstliches Ende« haben, und dass jeder, der versucht, dieses »künstliche Ende« weiter hinauszuschieben und zu verlängern, unweigerlich in einen neuen Roman mit einem weiteren »künstlichen Ende« gerät.
 
Als ich dieses geheime Roman-Gesetz nach vielen Fehlversuchen endlich begriffen hatte, versuchte ich, das Problem dadurch zu umgehen, dass ich mir als Erstes das Ende eines Romans ausdachte und darauf mit diesem Ende im Blick zu erzählen begann. Kaum hatte ich aber zu erzählen begonnen, so dehnte sich jetzt zwar nicht das Ende hinaus, wohl aber vermehrten sich die Kapitel, jedes neue Kapitel zog ein wiederum neues nach sich, so dass sich das ersehnte Ende nicht anfügen lassen wollte, sondern in einen immer ferner rückenden Horizont entschwebte und dort schließlich verblasste.
 
All diese Beispiele mögen meine frühe Infektion durch den Roman-Virus belegen, ungeklärt bleibt aber noch die Frage danach, ob diese Infektion sich nicht nur an einem bestimmten Schreibverhalten, sondern auch an bestimmten Wahrnehmungsformen erkennen lässt. Um Antworten auf diese schwierige Frage zu erhalten, möchte ich den Anfang eines längeren Essays zitieren, den ich unter einem ganz anderen Blickwinkel geschrieben habe, der aber gerade in seiner Anfangspassage reichlich Material und Beispiele für eine, wie ich glaube, bereits in der Kindheit sich herausbildende Roman-Disposition enthält. Deren biographische Hintergründe habe ich vor nun schon beinahe dreizehn Jahren in einem schmalen Buch skizziert und angedeutet, auf das ich jetzt nicht länger zurückkommen will.4 Stattdessen möchte ich, wie gesagt, den Anfang eines erst vor kurzem entstandenen Essays zitieren, der sich eigentlich mit »Vorbildern des Schreibens« beschäftigt, gleichsam nebenbei aber auch viel über spezifische Wahrnehmungsstrukturen einer Roman-Disposition verrät:
 
Mein Elternhaus liegt auf der höchsten Erhebung eines Hügelkamms mitten in einem großen Waldgelände des nördlichen Westerwaldes. In diesem weiten, von Hecken und Zäunen eingerahmten Terrain habe ich die frühen Jahre meiner Kindheit verbracht. Alles, was ich in diesen ersten Kinderjahren zum Spielen brauchte, war dort vorhanden: eine Blockhütte, ein Baumhaus, hohe Eichen und Buchen mit dicken Stämmen zum Klettern, ein Eibenwäldchen als dichtes, selbst im Winter noch grünes Versteck, zwei Bohnenstangen als Pfosten eines Fußballtors, eine Schaukel, ein Teich mit Fröschen und Kröten, ganz zu schweigen von den vielen Tieren, den Vögeln, Eichhörnchen, Schlangen und Ameisen, den Hunden, Katzen, Mäusen und Bienen. Wenn ich aus dem Fenster meines Zimmers im ersten Stock schaute, sah ich auf der Wiese unterhalb unseres großen Grundstücks frühmorgens die Rehe, und wenn ich an Wintertagen mit dem Fernglas die weißen Felder betrachtete, hockten auf den kahlen Bäumen der Wegränder Falken, Habichte und Bussarde.
 
Außerhalb unseres großen Waldgrundstücks aber war die Wildnis. Die Wildnis bestand aus dunklen Wäldern mit dichtem Unterholz, aus schmalen, bei starkem Regen kaum begehbaren Feldwegen, aus weiten Wiesen, auf denen die Kuhherden monatelang grasten, und aus Feldern, auf denen der Mais so groß wurde, dass er die Erwachsenen hoch überragte. In meinen ersten Jahren habe ich die Wildnis kaum betreten, sondern die meiste Zeit auf unserem Grundstück verbracht, ich habe mich in der Blockhütte und dem Baumhaus einrichten dürfen, ich habe Steine, Pflanzen und irgendwelche Kuriosa gesammelt, und ich habe beinahe täglich all die verschiedenen Tiere beobachtet, die auf unserem Grundstück oder in seiner unmittelbaren Umgebung erschienen.
 
Herausgerissen aus diesem Leben wurde ich durch meinen Vater. Die ersten längeren Wege, die ich mit ihm zu Fuß zurücklegte, führten von unserem Grundstück hinab in ein enges Flusstal, wo sich der elterliche Hof und die elterliche Gastwirtschaft meines Vaters befanden. Auf dem nicht mehr überschaubaren Gelände mit all seinen Scheunen, Ställen, Feldern und Wiesen war mein Vater mit seinen zehn Geschwistern aufgewachsen. Einige von ihnen hatten den Hof in ihrem ganzen Leben nie richtig verlassen, die anderen aber kamen zumindest für ein paar Tage oder Wochen im Jahr immer wieder dorthin zurück. Der Spaziergang von unserem Waldgrundstück zum elterlichen Hof meines Vaters dauerte beinahe eine Stunde, meist gingen wir lauter holprige Feldwege entlang, dann und wann machten wir aber auch halt und schauten uns genauer um. Ich glaube, es gab in der ganzen Umgebung nichts, was mein Vater nicht kannte und nicht genau benennen konnte, so wurden unsere langen Spaziergänge hinunter ins Tal und wieder zurück zu Lehrstunden in väterlicher Beobachtungskunst. Natürlich dozierte oder unterrichtete mein Vater nicht, es war eher so, dass er laut vor sich hin sprach, auf etwas aufmerksam machte, etwas benannte oder erklärte: Das ist, weißt Du, was das ist? … Hier gibt es, jetzt schau mal! … Und dort drüben …, siehst Du das auch? Fast mein ganzes Wissen von der Natur habe ich von meinem Vater gelernt, er zeigte mir, dass die große Wildnis nichts Langweiliges oder Totes war, und er nahm mir mit der Zeit auch die Angst davor, sie allein zu durchstreifen.
 
Von meinem achten Lebensjahr an machten mein Vater und ich in den Schulferien dann aber auch richtige und immer weitere Reisen. Wir gingen zu Fuß durchs Moseltal von Koblenz nach Trier, wir wanderten den Rhein entlang, von Basel bis zur Mündung ins Meer, wir umkreisten den Bodensee und machten uns auf den Weg nach Salzburg, Wien, Berlin oder Paris, und wir fuhren schließlich mit einem großen Frachtschiff von Antwerpen aus durch den Atlantik, die Meerenge von Gibraltar und das halbe Mittelmeer bis nach Griechenland und weiter in die Türkei. Die ganze Kindheit und die halbe Jugend war ich auf diese Weise fast immer zu Fuß mit meinem Vater unterwegs, diese Zeit war meine eigentliche Schulzeit, der gegenüber alles, was ich in der Schule lernte, verblasste. Seit Beginn unserer Unternehmungen machte ich täglich Notizen über ihren Verlauf, zunächst schrieb ich auf, was mir mein Vater diktierte, dann fügte ich eigene Beobachtungen hinzu, bis ich mit den Jahren immer selbständiger wurde und unser Reisetagebuch mit all seinen Aufzeichnungen, Skizzen und Materialien schließlich allein führte.
 
Die erste Idee, die ich vom Schreiben erhielt, war daher eine Idee von detailreicher und anschaulicher Prosa, wie sie meinem Vater als höchstes Ideal aller Aufzeichnungen vorschwebte. Um diesem Ideal nahe zu kommen, musste man Bescheid wissen, man musste die Dinge, über die man schrieb, genau beobachtet und immer wieder in Händen gehabt haben. Jedem Schreiben ging daher der Erwerb eines bestimmten Wissens voraus, ja das Schreiben war insgesamt nichts anderes als ein Erzählen davon, was man gesehen, beobachtet, getan und gelernt hatte. Abschweifungen, Ausschmückungen oder gar Erfindungen verwässerten die ideale Prosa nicht nur, sondern unterhöhlten und zersetzten sie. Deshalb galt es, so knapp, präzise und anschaulich wie möglich zu schreiben, denn nicht auf das ausufernde, gefährliche Phantasieren kam es an, sondern auf die genaue Wahrnehmung der Welt und die exakte Kenntnis all der Bezeichnungen, die der Mensch sich für die Vielfalt des Lebendigen ausgedacht hatte...5
 
Lassen Sie mich diese Eröffnungspassage meines Essays Die Prosa meines Vaters nun im Blick auf unser Thema erläutern. Die Passage handelt von dem, was ich das Studium der Welt nennen möchte: Vater und Sohn bewegen sich auf ihren Wanderungen und Reisen ununterbrochen in einem großen Raum, den sie Detail für Detail zu studieren versuchen. Dabei entsteht eine die einzelnen Beobachtungen fixierende, schriftlich festgehaltene Detail-Sammlung, in der ein Detail neben dem andern steht. Jedes Detail hat dabei einen besonderen Wert, auf alle Details kommt es an, keineswegs aber darauf, sie in einem System zu ordnen, sie aufeinander zu beziehen oder sie auf irgendeine andere Weise in eine neue Ordnung zu überführen. Stattdessen geht es um eine Art Sichtung, um die Wahrnehmung des rohen, unbearbeiteten Materials, das betrachtet und benannt wird: Wie heißt dieser Vogel? Wie lassen sich seine Federn beschreiben, wie seine Bewegungen, wovon ernährt er sich, wie verhält er sich in den unterschiedlichsten Räumen, welche sucht er überhaupt auf? usw. – das genau sind in etwa die Fragen, die sich den Details widmen und dabei von einem Detail zum andern übergehen. Letztlich ist die Kette solcher Details unendlich, und letztlich liegt diesem Studium vielleicht sogar der Wille zugrunde, etwas von dieser Unendlichkeit einzufangen. Jedenfalls handelt es sich bei ihm um das Studium eines unendlich weiten Kosmos, dessen Details Stück für Stück gesichtet und dann mit Hilfe einer Notiz aufbewahrt werden. Auf diese Weise wird der die Gehenden und Wandernden umgebende Kosmos in der Sprache noch einmal geboren, er wird gleichsam sprachlich neu erschaffen und dem Erinnerungsvermögen des Notierenden anheimgegeben. Aus dem Archiv der Notizen kann so mit der Zeit ein Archiv der Erinnerungen werden.
 
Ich begreife ein solches Archiv der Notizen und Erinnerungen als eine Art enzyklopädisch angelegte Sammlung, und ich glaube, dass ein solches enzyklopädisches Notieren und Sammeln ein gut sichtbarer und nachweisbarer Reflex auf eine Roman-Disposition ist. Dabei geht es, wie gesagt, zunächst einmal um eine völlig ungeordnete und beliebige Sammlung des rohen Materials, um seine Zur-Kenntnisnahme, ja um eine Art Welt-Mitschrift. Diese Mitschrift hat noch nicht den Sinn, für einen eventuellen Roman Material zu präparieren, sie geschieht vielmehr zunächst einmal um ihrer selbst willen, so dass man überspitzt sagen könnte: Einen Romanautor erkennt man daran, dass er die ihn umgebende Welt ununterbrochen auf ihre Details und Begriffe hin studiert und betrachtet, jedes Detail erregt ihn, jedes hinterlässt in ihm ein ganzes Spektrum von Reflexen, deren stärkster darin besteht, eine Notiz zu machen, die zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht Eingang in einen Roman finden könnte. Darauf jedoch kommt es nicht immer an, wichtiger ist, dass die zentrale Wahrnehmungsform eines Romanautors zunächst einmal enzyklopädisch angelegt ist. Die Fülle der Welt, die Totalität ihrer Details – genau von diesen Unendlichkeiten möchte ein Romanautor kosten, genau sie möchte er zumindest erahnen und mit Hilfe seiner Notizen oder Erinnerungen berühren.
 
Um Ihnen eine Vorstellung davon zu geben, wie solche Notizen aussehen können, möchte ich nun nicht weiter von mir sprechen, nicht von dem Kind also, das in ganz unbeholfener Weise kleine, schwarze Kladden anlegte, um dort all die neuen Details und Worte zu notieren, die es auf den Wanderungen und Reisen mit seinem Vater gelernt hatte. Lieber möchte ich mit Ihnen zusammen Einblick in drei Notat-Sammlungen von bekannten Schriftstellern nehmen, die uns eine Vorstellung davon vermitteln, auf welch unterschiedliche Weise solche Notate gemacht werden können.
 
Ich beginne mit den Notaten, die der Schweizer Schriftsteller und Fotograf Peter K. Wehrli während einer längeren Eisenbahnfahrt gemacht und später unter dem Titel Katalog der 134 wichtigsten Beobachtungen während einer langen Eisenbahnfahrt in seinem Buch Katalog von allem6 veröffentlicht hat:
 
15. das Blättern das suchend unsichere Blättern des Schalterbeamten im Bahnhof Zürich in Preislisten und Streckenverzeichnissen, weil er nur selten eine solche Fahrkarte ausstellen muß.
 
16. der Soldat der Soldat, der welkgrün und eigentlich wie ein guter Soldat aussehend, sein Gewehr mit uns weiterfahren läßt, als er in Goeschenen aussteigen muß.
 
17. der Zeiger das ratlose Drehen am Uhrrädchen, um den Zeiger eine Stunde vorzustellen, weil die Uhr im Schweizer Teil des Bahnhofes Chiasso 10 Uhr 23 zeigt, jene im italienischen Teil aber 11 Uhr 23; ratlos deshalb, weil ich, immer wenn ich dies tue, nie weiß, ob ich eine Stunde gewinne oder verliere – aufs Ganze gesehen.
 
18. die Aufhebung die von den Fahrgästen selbst unternommene Aufhebung der Unterteilung in Raucher- und Nichtraucherabteil, kaum daß der Zug Schweizer Boden verlassen hat.
 
19. das Kinderbuchklischee das, weil es Kinderbuchklischee geworden ist, beileibe nicht mehr erwartete (aber nun doch gesehene und notierte!) Lagerfeuer im Zigeunerlager am Bahngleis von Brescia.
 
20. der Tempel der kulissenrein getünchte Tempel, welcher der Bahnhof von Lomazzo ist, wobei mich weniger der Tempelbahnhof verblüfft, als vielmehr die Art, in der er sekundenschnell wie auf einer Kinoleinwand im Fensterrahmen aufblinkt.
 
21. die Aneinanderreihung die aus der Aneinanderreihung von Stimmbandexplosionen bestehende Stimme des Gelativerkäufers, der einzigen als auffallend wahrgenommenen Person im Bahnhof von Verona, wobei zu sagen ist, daß es die Stimme ist, die diese Person so auffallend macht.
 
22. der Schorf der Schorf auf der Oberfläche der Erde nach Monfalcone, von dem mir einer sagt, man nenne das Karst.
 
23. das Mädchen das verstörte Mädchen, das sich im Bahnhof Triest über Berge eigenen Gepäcks in den Korridor des Wagens kämpft und Mitreisende fragt: »Mosca?, Moscou? Moskau? Moskwa?«, 23a und das anschließende verhetzte Verlassen des Wagens durch dasselbe Mädchen.
 
24. die Mutter die gestiefelte Mutter in Zöllneruniform, die mit energischem Balkangesicht im Bahnhof Sežana die verlassen im Korridor stehenden Gepäckstücke eigenhändig öffnet und, gar nicht sorgsam, darin herumwühlt, dies offenbar, ohne sich verpflichtet zu fühlen, die herumfliegenden Wäschestücke wieder in den Koffern zu verstauen.
 
So weit. Lassen Sie uns die Notate, die Peter K. Wehrli während seiner Eisenbahnfahrt gemacht hat, nun genauer untersuchen. Zunächst fällt auf, dass Wehrli mit seinen Aufzeichnungen der Chronologie der Reise folgt: Ein Notat reiht sich ans andere, es gibt keine Sprünge, keine Rückblicke, keine Vorausdeutungen. Jedes Notat entzündet sich vielmehr an einem vor allem räumlichen Bildsignal: Eine Figur im Raum taucht auf, ein Raum entsteht, eine Stimme im Raum meldet sich, im Raum verläuft eine kleine Bewegung (eine Gestik). Viele Notate fixieren also ein bestimmtes Verhalten von Menschen in einem bestimmten Raum, sie beschreiben, wie Menschen sich in einem bestimmten Raum orientieren. Dadurch werden die Notate zu kleinen Handlungs-Sequenzen oder Szenen, die typische Verhaltensformen abbilden oder auf sie aufmerksam machen. Im Vordergrund stehen Aktionen von Figuren und die Art und Weise, wie sie sich im Raum bewegen, ja die Räume werden vor allem durch den Handlungsbedarf dieser Figuren sichtbar und erlebt. So entsteht ein Film, der aus lauter präzise beschriebenen Standfotos besteht. Das Notat-Interesse von Peter K. Wehrli erscheint so gelenkt und fokussiert: Es konzentriert sich auf typische und charakteristische Raum-Aufnahmen und beschäftigt sich damit, wie sehr verschiedene, wiederum präzis gezeichnete Menschen von diesen Räumen Gebrauch machen. Was Wehrli dadurch erhält, gleicht einer literarischen sozialen Studie, die vom immerzu aufmerksamen und hellwachen Blick eines Zugreisenden hergestellt wird; weniger, was den Reisenden innerlich bewegt oder was ihm durch den Kopf geht, steht hier im Mittelpunkt, als vielmehr ein fortlaufendes Interesse daran, was die Außenwelt dem Beobachter an Neuem und Überraschendem bietet. Dieses Neue und Überraschende präsentiert Wehrli wie kostbare Fundstücke, die, aneinandergereiht, eine sehr plastische und einprägsame Vorstellung von den konkreten Ereignissen um ihn herum vermitteln.
 
Das zweite Beispiel einer Notate-Sammlung, das ich mir mit Ihnen anschauen möchte, ist von Peter Handke. Handke hat seit der Mitte der siebziger Jahre immer wieder Notat-Bücher veröffentlicht, ich greife eine Passage aus dem Notat-Buch Phantasien der Wiederholung7 heraus. Dort heißt es:
 
Der leere Berg im Regen, die leeren Wege: immer deutlicher, immer klarer, immer mehr »Antwort-genug« erscheint mir die Leere; so jetzt auch die Gewißheit, auf dem leeren See etwas zu erblicken – und wenn es nur die Leere wäre
 
In dem jahrhundertealten Kanal sind im Lauf der Zeit Andeutungen von Mäandern entstanden. Am Abend, nach dem Sturmregen, trieben da die Blüten im Wasser, tief unten schwamm als Fallschirm ein Grasbüschel, und ein Kind schrie wie ein Fasan
 
Zur Besinnung komme ich nur im Schreiben; nicht im Reden
 
Ich bin weniger ein Dichter (Sager) als ein Umschreiber (Erzähler)
 
Angesichts des Flieders: ich spüre den Flieder auf dem Gesicht
 
Von weitem der Vogelumriß auf dem Holzgeländer: »Parzival!«
 
Heute, vor den frischen Erbsen, sagte die Marktfrau: »Haben Sie frische Erbsen auch so gern wie ich?«, und ihr Mann sagte: »Wenn die frischen Erbsen kommen, hört meine Frau sogar zu rauchen auf.«
Wenn ich, phantasierend, ich und die Welt bin, ist mein Kopf eine sanft geballte Faust
 
Der Himmel über dem Berg ist antik, und die Gesichter der Leute unten: Warum sind sie nicht danach?
 
Der Flaneur kann die Schönheit nicht würdigen
 
Die Zypresse hing voller Flieder: es war der durchschimmernde blaue Himmel (dieses Tages)
 
Zur still dahockenden Katze am Morgen: »Aus welchem Märchen kommst du denn heute?«
 
»Glänzen durch Abwesenheit«. Schöner Ausdruck
 
Schon auf den ersten Blick fällt hier auf, dass diese Aufzeichnungen keinem erkennbaren chronologischen Verlauf folgen, sie wirken vereinzelt, isoliert, sie verbinden sich nicht zu einem Gesamteindruck von der Außenwelt oder von den Beobachtungs-Interessen ihres Verfassers. Erkennbar ist jedoch, dass wir uns anscheinend während all dieser Notizen gleichsam im Kopf des Beobachters aufhalten. Manchmal folgen seine Beobachtungen einer Art Schema: Ein Reizmoment der Außenwelt wird zitiert oder sonstwie aufgegriffen und dann als weiterführender Impuls auf seinem Weg durch die Gedanken oder Empfindungen des Verfassers verfolgt. So entsteht das Kaleidoskop einer fortlaufenden Innen-Wahrnehmung von sehr unterschiedlichen Stärke- oder Schwäche-Graden: Manche Notate wirken wie Aphorismen, die etwas Dauerhaftes, Nicht-Hinterfragbares (»Starkes«) haben, andere schmiegen sich eher dem Beobachteten an und stellen es unkommentiert als angenehmen (oder unangenehmen) Reiz (»in all seiner Schwäche«) vor. Insgesamt haben diese Notate etwas von einem Gedankengang, der sich auf sehr unterschiedliche Terrains erstreckt, dargestellt ist hier weniger eine Kunst des Kombinierens als eine des sehr freien Assoziierens, die den Einzel-Beobachtungen ihre Freiheit lässt. So spielen hier auch die »Pausen« zwischen den Notaten eine große Rolle: Sie nehmen jedes Notat ins Schweigen zurück, sie deuten an, dass das Schweigen und Ausblenden einen ebensolchen Wert und eine ebensolche Bedeutung hat wie das Beobachtete, Notierte.
 
Die dritte und letzte Notat-Passage, die ich Ihnen vorstellen möchte, ist von Max Frisch. Er hat sie in ein Notizheft 8 eingetragen, das er im Oktober 1946 geführt hat:
 
Ich bin nicht sicher, ob es ein Weiter gibt. Eine Verwirrung, der ich nichts entgegenzusetzen habe, ist jederzeit möglich, und ich bin nicht einmal sicher, daß ich (ohne anständige Katastrophe) ans Ende komme. Hinter allem, was ich tue, steht eine Menge ungetilgter Angst, die sich mir zu Zeiten, wo ich mich wohlfühle, in Rausch verwandelt. Meine Arbeiten, wo immer sie fertig sind und mir als Spiegel begegnen, erweisen sich als ein Ausweichen; es sind lauter Gebilde der Angst. Ich lebe aus keinem Verlass heraus.
 
Ich habe keine Welt; ich leide an ihr, insofern ich sie immerfort mit mir selber vermenge, und verehre den Traum, dem diese Vermengung auch eigen ist; meine Auseinandersetzung mit der Welt, wie ich diese Vermengung nenne, ist infolgedessen immer privat, monologisch, lyrisch. Das Bedürfnis, dramatisch vorzugehen, entspringt wohl einer guten Ahnung; ein mißverstandener Alarm, denn die dramatische Form, wie sich zeigt, zwingt mich nicht zum unvermengten Leben; ich habe Begabung genug, diese Form aufzulösen, bis sie mir gemäß und somit undramatisch ist, somit menschlich-unwirksam.
 
Das Theatralische: als Kompensation einer anti-dramatischen Anlage.
 
Ich glaubte, daß mich das Drama aus der autobiographischen Egozentrik erlösen helfe; das Ergebnis ist, daß ich die ganze Zeitgeschichte in diese Egozentrik, die sich im Traumhaften legitimiert fühlt, hinabsauge.
 
Die Notate von Max Frisch haben eine bestimmte Tendenz, sie verweisen in die Richtung des klassischen Tagebuchs, das auf dem Selbstgespräch des Notierenden beruht. Dieses Selbstgespräch hat in diesem Fall eine alles andere dominierende Rolle, jedes Thema (wie hier das »Thema des Dramatischen« oder das »Thema Theater«) dient vor allem dazu, auf die eigenen Überlegungen und Selbsteinschätzungen hin betrachtet zu werden. So entsteht ein fortlaufender, grüblerischer Monolog, in dem der Notierende sein Denken und Handeln abwägt, beurteilt und seziert, meist mit dem Anspruch, dem darin als »verfehlt« oder »mißlungen« Erkannten eine neue Richtung zu geben. Daher wirken diese Notizen wie erratische, kleine Blöcke, in die ein Fremder nicht eindringen kann. Der Notierende ist ganz und nur »bei sich«, er ist weniger mit den Begebenheiten der Außenwelt als mit dem Psychogramm seines Selbst beschäftigt, er geht den emotionalen Schwankungen dieses Selbst nach, er stellt es bloß, er umkreist mit seinen Notaten seine »Situation«, immerzu ist er damit beschäftigt, sich den Prozess zu machen und seine »Lage« möglichst schonungslos zu betrachten.
 
Blicken wir zum Abschluss dieser Überlegungen noch einmal kurz auf die drei genauer betrachteten Notat-Sammlungen von Wehrli, Handke und Frisch zurück. Alle drei Sammlungen führen – in sehr unterschiedlicher Weise – jenes enzyklopädische Interesse vor, das ich für einen Ausdruck der Roman-Disposition halte. Im Falle Wehrlis ist dieses Interesse ein Interesse an Raumbildern, im Falle Handkes eines an Bewusstseinsbildern, im Falle Frischs eines an Ego-Bildern. In allen drei Fällen haben wir es mit Materialsammlungen zu tun, die noch nicht weiter für eine etwaige Umsetzung ins Erzählen präpariert oder sonstwie strukturiert sind. Jede dieser Materialsammlungen ist durch eine bestimmte subjektive Prägung oder einen subjektiven Instinkt ihres Autors geformt und fokussiert: Wehrlis Notizen haben eine dokumentarische Note, Handkes Aufzeichnungen wirken wie Vorstudien zu einem Bewusstseins- und Bilder-Roman (von denen er viele geschrieben hat), und die Eintragungen von Max Frisch enthalten bereits eine Erzähler-Figur, ein Ich, das sich mit den Brüchen seiner Existenz fragend und kritisch (vergleichbar der Art, wie es auch die männlichen Protagonisten in seinen Romanen tun) auseinandersetzt. Alle drei Notat-Projekte arbeiten jedoch – wenn auch in ganz unterschiedlicher Prägung – an einer großen Folie, der Folie einer unermüdlichen Welt-Betrachtung, die also, wie wir jetzt genauer verstehen, eine Grundlage für ein spezifisches Roman-Interesse bildet.
 
Auch wenn diese Folie sich nicht in Notiz-Heften oder Notat-Sammlungen niederschlägt, so ist sie doch (gleichsam im »Hinterkopf«) eine wesentliche Voraussetzung für den Willen oder den Wunsch eines Autors, einen Roman zu schreiben. Ja, man könnte noch weitergehen und behaupten: Welt-Folien, die einem enzyklopädischen Interesse entspringen, drängen geradezu dahin, in längere Erzählwerke überführt zu werden. Damit das aber gelingen kann, müssen diese Folien bearbeitet und verändert, oder, neutraler gesagt: sie müssen dem Erzählen zur Verfügung gestellt werden.
 
An diesem Punkt unserer Überlegungen – und damit vor dem Hintergrund alles bisher Gesagten – kann ich nun, meine Damen und Herren, einige Vorstellungen davon entwickeln, worüber ich in diesen Vorlesungen sprechen und in welchen Zonen ich mich bewegen will. Zunächst einmal kann ich festhalten: Ich möchte mich mit Ihnen weit, sehr weit zurückbewegen, bis hin zu den ersten Impulsen, die »einen Roman« initiieren. Sehr häufig werden sich solche Initiationen für den Schriftsteller überfallartig oder überraschend ereignen; anfänglich wird er vielleicht gar nicht wahrnehmen oder begreifen, dass dieser oder jener »kleine Einfall« den Beginn einer langjährigen Romanarbeit darstellt. »Der Roman«, das sagte ich schon, ist keine Erzählform, die man fest im Auge hat oder im Auge behalten kann, »der Roman« ist eher eine Phantasie, die Phantasie eines weit ausholenden und sich beinahe naturwüchsig mehrenden und verbreiternden Erzählens. Da »der Roman« aber nur eine »Phantasie« (oder auch eine Art »Traum«) ist, kann man ihn sich nicht verordnen oder befehlen, man kann sich ihm vielmehr höchstens verschreiben.
 
Nur sehr allmählich und meist nur auf großen Umwegen entsteht dabei aus wenigen, ersten Impulsen (oder »Einfällen«) ein Weiteres: Eine Figur, ein Raum, eine Gesellschaft, ein zeitlicher Hintergrund, die Stimme eines Erzählers … All diese Momente des Erzählens aber sollen zum einen in einen Zusammenhang gebracht werden und sich zum anderen auf jene Welt-Folien beziehen, durch die sich ein Roman-Schriftsteller die Welt in einem unendlich langwierigen Prozeß der Beobachtung (und vielleicht auch des Notierens) angeeignet hat. Zum einen haben wir es also mit Phantasien (über den Bau des Romans, seinen Verlauf, sein Inventar etc.) zu tun, zum anderen mit noch rohen und ungegliederten Enzyklopädien, die durch die Phantasien bearbeitet werden. Das alles aber macht »den Roman« zu einer experimentellen, und das heißt hier, in meinem Sinn, zu einer Gattung, die mit jedem neu entstehenden Werk auch wieder neu erforscht und entdeckt wird.
 
Die Phantasien spielen dabei gleichsam die Rolle von experimentellen Zuträgern oder von Versuchsanordnungen, die im Verlauf der Romanarbeit immer wieder verändert und neu »programmiert« werden. Im eigentlichen Sinn gibt es für all diese Arbeit keine »Mitte«, die Mitte ist höchstens jenes Existentielle und Brennende, das einen Romanschriftsteller umtreibt. Dieses »Existentielle und Brennende« will er mit Hilfe des Romans erforschen, er sucht nach Umschreibungen und Klärungen für das, was ihn im Innern so dunkel beschäftigt, und für das es, wie er ahnt, keine eindeutigen Antworten oder Beschreibungen gibt. Zu Beginn seiner Romanarbeit äußert es sich denn auch weniger in einem Verlangen nach solchen Antworten, denn als »ein Verlangen nach Klärung, nach Deutlichkeit und nach einer gewissen sinnlichen Präsenz, nach einem Zutagetreten des Dunklen«.
 
Begonnen habe ich diese erste Vorlesung mit einem Hinweis auf eine zunächst sehr nüchtern erscheinende Definition des »Romans«, die mir – schon wegen ihrer Einfachheit – immer sehr eingeleuchtet hat. Ich habe eine Passage aus Edgar Morgan Forsters Ansichten des Romans zitiert, in denen es heißt, der Roman sei eine Prosaerzählung von einer gewissen Länge. Lassen Sie mich diese anfängliche Definition zum Schluss dieser Vorlesung nun ein wenig erweitern und dabei auf eine andere Definition zurückgreifen, die, wie Sie nach dem bisher Gesagten sofort verstehen werden, die Definition Forsters auf geradezu ideale Weise ergänzt. In einer seiner klugen Reflexionen zur »Kunst des Romans« hat Milan Kundera eine Umschreibung des Romans formuliert, die vieles von dem zusammenfasst, womit wir uns bisher beschäftigt haben. Auch Kundera betrachtet den Roman zunächst als »große Prosaform«, er betrachtet sie aber auch als ein ungewisses und komplexes »Experiment«, in dessen Mitte gleichsam die existentiellen Themen und Fragen (noch undeutlich) brennen. Daher heißt es: »Roman. Die große Prosaform, bei der der Autor mittels experimenteller Egos (Figuren) einigen großen Themen der Existenz auf den Grund geht.«9
 
Eine solche Umschreibung mag uns die Richtung für die weiteren Vorlesungen vorgeben. In ihnen möchte ich genauer erforschen, wie die experimentellen Wege von den Enzyklopädien über die experimentellen Phantasien hin zum eigentlichen Schreiben eines Romans verlaufen können. Wir werden uns also hier mit den Vorstufen dieses Schreibens beschäftigen, nicht mit dem Schreiben selbst, wir werden nicht all die Fragen beantworten, denen viele Romanschriftsteller in ihren Roman-Poetiken oder Roman-Theorien10 nachgegangen und die meist Fragen nach der Schreib-Arbeit (mit all ihren Nuancen und »Bedeutungen«) sind. Stattdessen werden wir die Wege des Experimentellen erforschen, die Wege der Annäherung an das, was die Roman-Phantasie profiliert, schärft und schließlich in ihrer unverwechselbaren Gestalt herausbildet. Diese Wege werden in Dunkelzonen verlaufen, in den Werkstätten also, so dass wir uns dem bisher meist Übersehenen zuwenden werden: ersten Eintragungen, Skizzen, Entwürfen, Bauplänen. Auf diesem Terrain werden wir einiges Neuland betreten und einige verblüffende Entdeckungen machen.
 
Und nun? War’s das für heute? Nicht ganz. Zu Beginn dieser ersten Vorlesung habe ich Edgar Morgan Forsters Ansichten des Romans natürlich auch deshalb ins Feld geführt, weil ich mich bei meinem Vorgehen in einer bestimmten Weise an Forsters Vorlesungen anlehne. Auch ich spreche hier zum einen als Roman-Schriftsteller, der vor allem aufgrund der vielen Erfahrungen spricht, die er mit dem Roman-Schreiben gemacht hat; zum anderen aber spreche auch ich als ein Beobachter anderer Romanschriftsteller und ihrer weiten experimentellen Wege »hin zum Roman«. Ich spreche also in indirektem Sinn »poetologisch« und gleichzeitig doch auch »analytisch«, indem ich nämlich Passagen aus Texten anderer Romanschriftsteller präsentiere und vorstelle.
 
Meine eigene Perspektive und all die Perspektiven, die sich aus den Analysen ergeben, sollen einander gleichsam befruchten und, wenn es denn gelingt, auch ergänzen. Dennoch: Im Innern auch dieses Textes der Vorlesungen brennt eine Frage, nämlich die Frage danach, was mir in den letzten Jahrzehnten in der Arbeit an vielen Romanen eigentlich »begegnet« ist, ja, was sich da eigentlich »ereignet« hat. Ich will Licht in das Dunkel bringen, das auch für mich ein solches Arbeiten bedeutet, ich will zurück zu den Ursprüngen meiner Phantasien, um ihre Entwicklung zumindest ein wenig genauer zu verstehen und zu begreifen.
 
Um das zu erreichen, muss ich mich immer wieder meiner eigenen Werkstatt zuwenden, ich muss diese alten Quellen noch einmal in die Hand nehmen und sie befragen, ich muss ihnen die Unschuld nehmen und sie als »Projekt« zu lesen versuchen. Erlauben Sie deshalb, dass ich Ihnen ganz am Ende dieser ersten Vorlesung kurz vorstelle, womit wir es im Folgenden bei dieser Werkstatt zu tun haben, erlauben Sie mir einen kurzen Blick darauf, worauf ich selbst mich beziehen und stützen kann.
 
Den gesamten »Fond« meiner Werkstatt bilden die seit den Kinder- und Jugendtagen kontinuierlich geführten »Notizbücher«, in die ich vor allem kurze Beobachtungen und Wahrnehmungen meiner Umgebung eintrage. Diese »Notizbücher« folgen jenem enzyklopädischen Interesse