Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Die vorliegende Sammlung von Marianne Hartwigs "Freud und Leid Gedichten" ist eine Auswahl aus 25 Jahren akribischer Beschäftigung mit dem Medium Sprache in lyrischer Form. Folgt man ihren programmatisch klingenden Zeilen "Einen Tag ohne Gedicht, den gibt es nicht", so gewinnt die Bezeichnung Alltagspoesie einen durchaus positiven Sinn. Es handelt sich um eine Art kontinuierlicher Zwiesprache mit sich selbst in allen Lebenslagen, assoziativ gegliedert in elf Kapitel wie Träume, Freunde, Schicksal, aber auch Widerstand. Wesentliche Inspiration bezieht die Autorin aus ihrem Wanderleben zwischen Hamburg, Hunsrück und Ibiza, das sie immer wieder zwingt, ihre Befindlichkeit genau zu erfassen und gründlich zu überdenken. An dieser Auseinandersetzung lässt sie ihre Leser teilnehmen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 71
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Wenn ich verzweifelt bin
schreib ich Gedichte
Bin ich fröhlich
schreiben sich Gedichte
in mich
Wer bin ich
wenn ich nicht
schreibe
Rose Ausländer,
Gesammelte Werke,
Frankfurt a.M.: S. Fischer,
1984-1990
Vorwort
Die Insel
Freunde
Glaube, Hoffnung, Liebe
Heimat
Illusionen
Lebenskraft
Sabbatjahr
Schicksal
Träume
Tiere und Bäume
Widerstand
Alphabetisches Verzeichnis der Titel
Zur Autorin
Gedichte begleiten mein ganzes Leben. Sie sind für mich wie Musik, wie Trostspender, wie Zufluchtsorte. Den Mut, einen Teil meiner eigenen, im Verlauf der Jahre entstandenen Gedichte zu veröffentlichen, verdanke ich dem beharrlichen Zuspruch meiner Freunde und meines Mannes sowie der Kraft und Inspiration der Insel Ibiza, die zu meiner zweiten Heimat geworden ist.
Ibiza steht auch für ein gelegentliches Sprachgemisch darin Pate; denn auf Grund der Tatsache, dass ein Teil seiner Bewohner ganz unterschiedlicher Herkunft ist, kommt es vor, dass Ausdrücke aus dem Spanischen oder Englischen einfließen und recht freizügig adaptiert werden. Was jedoch im Kontext der Insel geläufig sein mag, erscheint Lesern aus anderen Regionen eventuell seltsam und bedarf der Erklärung. Da es nur eine Handvoll Begriffe sind, will ich sie hier kommentieren, denn ein Glossar scheint mir übertrieben:
Bei Jesús handelt es sich um einen Ortsnamen, die im Spanischen meist biblischen Ursprungs sind. – Tanit ist eine punische Gottheit, der in der Antike große Verehrung auf der Insel zuteil wurde, die etwa 800 Jahre eng ans punische Karthago gebunden war. – claro bedarf kaum eines Kommentars, steht es doch nur für das deutsche Äquivalent ‚klar‘, häufig im Sinne von ‚na, klar‘. – Finca hat sich für ein typisches Bauernhaus nach punischem Muster eingebürgert, obwohl es im Spanischen eher für die Gesamtheit bäuerlicher Ländereien steht. – Morning Glory bezeichnet eine verbreitete blau blühende Winde, auf die gern auf Englisch Bezug genommen wird. – casita ist natürlich die Verkleinerungsform des spanischen casa, das weit darüber hinaus zu einem beliebten Synonym für Haus geworden ist. – Wenn von einem podenco die Rede ist, so ist ein Jagdhund gemeint und im Inselkontext speziell der endemische podenco ibicenco, eine elegante windhund-artige Rasse, die ursprünglich aus dem alten Ägypten stammt. – gatita ist die Verkleinerungsform des spanischen Worts gata für Katze. – Jeden Kommentar sparen kann ich mir für die spanische Begrüßung buenos dias, die quasi einleitend nur zitiert werden soll.
In einer Holzhütte zu leben
Frei zu sein
Von Pinien umgeben
Mit mir allein.
Notwendigkeit zu einer Zeit
Des Neuanfangs
Der Verlassenheit
Des Übergangs
Der Bereitwilligkeit
Einen Pakt zu schließen
Mit der Schicksalsmacht
Keine Selbstmitleids-Tränen zu vergießen
Auch nicht mitten in der Nacht
Wenn sie heulen und grollen,
Die Selbst-Zweifel – wie Hyänen
Und nur das Eine wollen:
Sich nicht aufzulehnen
Hinzunehmen
Einzugestehen
Einzusehen:
Ich bin klein und schmächtig,
Allein
Und das Schicksal ist allmächtig.
Aber ich will die sein
Die einen Ausweg sucht
Ich sein,
In meiner Holzhütte, meinem Heim
Meiner Zuflucht
Zu mir
Zu meiner Kraft
Die es schafft
Allein zu sein.
Durch ein Loch in der Hauswand
Schlüpfen lautlos zwei Katzen.
Das Meer ist spiegelblank
Der laute Streit der Spatzen
Verkündet Schlafplatz-Gezänk.
Auf dem Berg von Jesús blinzeln die ersten Lichter
Am Horizont blinkt die Barcelona-Fähre
Und ich denke: Ach wäre
Ein Hauch dieses Inselfriedens
Auch dann wahrzunehmen
Wenn sich die Touristenströme
Durch die Straßen quälen
Und doch
Die Insel ist wieder für die Insulaner da
Bis zum nächsten Jahr.
Angekommen auf einer Insel
Einer der grünsten und schillernsten
Im Mittelmeer
Bevölkert von Suchenden
Mit Farbe und Pinsel
Mit Visionen und sehr
Individuellen Lebensformen
Mit Tanz und Musik
Und wenig Normen
Im Reich der Sinne und Phantasie
Eine Oase für die,
Die schon immer davon träumten
Aufzustehen
Erst mitten in der Nacht
Zuzusehen
Wie der Himmel funkelt und lacht
Und das Meer erzählt
Von all den Sagen
Aus alten Reichen
Und wie sie versanken
Im Schoß der Natur
Die einfach nur
Das eine zeigt:
Vergehen
Entstehen
Und all die Besatzer, die untergehen,
Sind Teil des Ganzen
Karthager, Phönizier
Kleinvolk und Patrizier
Könige, die ihre letzte Ruhestatt hier wählten
Und schließlich all die Glückssucher
Die sich liebten und quälten
Man sagt Tanit, die Göttin,
Regiere noch immer
Und böse Zungen behaupten
In Gestalt dieser starken Frauenzimmer
Der Insel.
Wenn ich mir vorstelle
In meinem kleinen Holzhaus noch lange zu leben
Auf dieser grünen Insel
Nach nichts zu streben
Außer dem Meer plus Farben und Pinsel
Und viel Papier
Dem Erhalt meiner alten Schreibmaschine
Meiner Katzen neben mir
Und als Morgenroutine
Den Lauf durch den duftenden Pinienwald
Mit der Mine
Einer Lebensbewältigerin – noch nicht alt
Dann könnte ich sagen: Wie wunderbar!
Das Leben ist es wert
Sei nicht undankbar!
Und wenn keiner erfährt
Dass du es täglich in Frage gestellt hast
Und es dir fast
Gelungen wäre zu beweisen,
Ich bin
Eine Lebenskünstlerin,
Na dann werde uralt
Im Pinienwald.
Der Abend naht,
Ich bin allein
Auf meinem geliebten Insel-Pfad.
Ich nenne das Glücklichsein.
Kein Windhauch,
Nur Pinienduft
Die Landschaft verströmt
Sanfte Vorfrühlingsluft
Einzelne Mandelblüten sitzen
Wie Schmetterlinge im Baum.
Hallo ihr Vorwitzigen
Noch sehe ich euch kaum.
Aber schon bald leuchtet und duftet ihr,
Zieht Tausende von Mandelblüten-Pilgern an
Wie beneidenswert sind doch wir
Die – auf dem geheimen Mandelbaum-Pfad.
Sie leuchten in der Mittagshitze
Eine blaue Blütenwand.
Dicke Hummeln sitzen
Wie gebannt
Und aalen sich
In der blauen Pracht,
Ein gedeckter Tisch
Von Mutter Natur ausgedacht.
Morning glory, ein Blickfang,
Ein Augenschmaus
Wie Ohrenschmaus und Vogelgesang
An meinem kleinen Haus.
Wie geschaffen,
Unschönes zu verdecken
Wie Kinderlachen
Man nennt sie auch
Trost der Architekten.
Wenn die Inselstürme Pinien schütteln
Und die dunklen Nachtgespenster
Beharrlich an meiner Gelassenheit rütteln
Füge ich mich den unsichtbaren Kräften
Ziehe mir einen Stuhl ans Fenster
Und blicke hinaus zu den wehenden Zweigen
Und meine Gedanken gleiten
Über die grünen Hügel am Ende des Tals
Und hoch zu den Sternen
Dann kommt es mir vor
Als ob die Gespenster sich entfernen
Und die freundlicheren Nachtgeister erscheinen
Die es gut mit mir meinen
Sie bringen mir meinen Gleichmut zurück
Und mit ihm ein Stück Geborgenheit
In der Zeit, die mir bleibt
Manchmal in der Nacht.
Gerne wäre ich mutiger
Würde laut sagen, was ich denke
Wäre auch lieber wütender
Wenn so ein kleiner Unverschämter
Der vorübergehend unser Haus bewohnt,
Sich aufführt wie – nun ja, wie er ist:
Ohne Manieren, großkotzig
Seinen Charme einsetzt, wenn es sich lohnt
Und manchmal lohnt es sich Denkt er
Dann zeigt er geliehene Autos
Und falsche Freunde her
Ist hoch zufrieden, nicht zimperlich
Im Forderungen stellen
Rechte einklagen
In den meisten Fällen
Nicht zu fragen
Er nimmt sich was er braucht
Ungeniert, was der andere sich dächte
Wie, der auch,
Auch der hätte Rechte?
Aber doch nicht bei ihm, dem großen leader
Den anderen, so einen
Den schreit er doch in Sekunden nieder Nur manchmal,
Da hört man seine Freundin weinen ...
Nach einem heftigen Gewittersturm
Gingen die Lichter aus, letzte Nacht
Manchmal ist es nur die Sicherung
Manchmal aber auch der böse Geist, der wacht.
Und der - vorübergehend -
Sich ins Fäustchen lacht
Der Geist hat ein Gesicht
Und einen Namen
Das hilft ihm nicht
Denn mit ihm kamen
Unzählige kleine Teufelchen
In weißem Schnee versteckt
Die nicht nur seine Nase verstopften
Sondern fordernd direkt
Seit eh und je
Mehr wollen als kleine Nasen
Nicht sofort und nicht über Nacht
Sie sind wie das Gesicht mit Namen
Listig – nur in der Übermacht
Sie rauben behaglich
Verblüffend unauffällig
Zunächst nur bei Tageslicht
Doch ganz allmählich
Verstand, Seele und Herz
Und was man so hat auf dieser Welt
Und übrig bleibt
Was nicht gefällt
Aber mit ziemlicher Sicherheit:
Ein kleines Häuflein Mensch
Einsam auf seinen gemieteten Treppenstufen
Und schon von weitem
Hört man es im Tal
Um Hilfe rufen.
Die Herbstspinnen auf der Insel
Scheinen bedrohlich, hässlich und dick
Auf dem Rücken haben sie einen weißen Kreis
Sie spannen ihr Netz äußerst geschickt
Oft in Augenhöhe und jeder weiß
Sie sind nicht giftig
Aber ein Waldlauf-Vergnügen
Sind sie auch nicht so richtig
Plötzlich hängen sie da
An unsichtbaren Strippen
Ich stehe wie gebannt,
Kein Laut kommt über meine Lippen,
Und stelle fest: das wollte ich nicht
Jetzt habe ich sie gekappt
Sichtbar im Morgensonnenlicht
Die fein gesponnene Spinnen-Hängematt.
Mit großer Hast
Schwingt sie sich auf ihrer unsichtbaren Leiter
Hoch zum nächsten Ast
Ich laufe weiter.
Am nächsten Morgen
An der gleichen Stelle
Hängt das hässlich-kluge Spinnentier