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Altwerden bedeutet Gelassenheit, Weisheit und die Besinnung auf die wirklich wichtigen Dinge des Lebens. Keineswegs muss es sich bei dieser Lebensphase um etwas Trauriges oder gar Angsteinflößendes handeln. Die Einstellung zum Alter macht den Unterschied - und die lässt sich durchaus ändern. Uwe Böschemeyer erklärt, wie jeder die wirklich schönen Seiten des Alters entdecken und schätzen lernen kann.
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Seitenzahl: 194
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Wie Sie beim Altern ganz sicher scheitern
Uwe Böschemeyer
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© 2017 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg
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Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:
Red Bull Media House GmbH
Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15
5071 Wals bei Salzburg, Österreich
Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT
Printed in Slovakia
ISBN 978-3-7110-0113-9eISBN 978-3-7110-5181-3
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Für Jane
1. Vorwort
Alt ist wie jung – nur besser
2. Zwei grundlegende Voraussetzungen für ein gelingendes Leben, auch im Alter
Der eigene Wert des Alters
Der Geist altert auf seine ganz eigene, besondere Art
3. Leben in unserer Zeit – ein Problem?
Vielfältige Veränderungen
Krisen
Kriege und Terrorismus
Das Kernproblem dieser Zeit und – vielleicht – auch die Lösung
4. Altwerden, zumal in dieser Zeit?
Mein Körper meldet das Alter an! – Ich aber melde zurück: »Und immer, immer wieder geht die Sonne auf!«
5. Wie ich konkret beim Altwerden scheitern könnte – oder auch nicht!
»Ständig schmerzt mein Körper irgendwo.« – Oder: Wenn Sie morgens aufwachen und irgendwo ein Schmerz zuckt, merken Sie, dass Sie noch leben!
»Nicht ohne meine Zähne!« – Oder: Wie Sie mit Ihrem Mund versöhnt werden können, weil Sie nicht mehr ständig an ihn denken müssen.
»Ich will alles Schmerzhafte vergessen!« – Oder: Verabschieden Sie sich bewusst von dem, was Sie geschmerzt hat, und begegnen Sie Vergangenem, wenn es geht, mit Würde!
»Ich kann nicht genug Acht geben auf meine Seele!« – Oder: Freuen Sie sich einfach über eine gewisse Melancholie des Alters, denn diese ehrt Sie, weil sie ein Zeichen von Lebensweisheit ist.
»Für mich ist das, was andere von mir halten, immer noch sehr wichtig.« – Oder: Sie werden immer freier vom Urteil anderer Menschen.
»Was soll’s? Leben ist, wie es ist.« – Oder: Es gibt immer etwas Neues, das vor uns liegt; es gilt nur, dies auch zu entdecken!
»Ich bin Realist. Geist? Das ist nur was für Philosophen.« – Oder: Bewahren Sie sich den Geist, denn er ist das Wichtigste im Menschen!
»Geld ist nun mal das Wichtigste!« – Oder: Über die Akzeptanz des Notwendigen, aber das Vertrauen zum Eigentlichen, zum Leben
»Keinen Beruf mehr, keinen Sinn mehr!« – Oder: Lebenssinn geht über den Beruf hinaus; Sinn kann man finden bis zum Tod.
»Mein Leben war nichts als Arbeit.« – Oder: Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte
»Mir ist der Humor schon längst vergangen.« – Oder: Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
»Allein sein? Bloß das nicht!« – Oder: Von der Kunst, sein Leben selbst führen zu können
»Kein Sex mehr – keine Freude mehr!« – Oder: Niemand ist abhängig von irgendwelchen Orgasmen – Liebe ist mehr als Sex!
»Die Liebe ist nur ein Gefühl.« – Oder: Gefühle haben wir tagein, tagaus, solche und solche; die Liebe aber ist das Allergrößte!
»Ich weiß nicht, wo sie geblieben sind.« – Oder: Freunde sind (besonders) im Alter wie wärmendes Licht.
»Ich bin nun mal nicht dazu gekommen …« – Oder: Verschieben Sie das, was Sie schon immer wollten, nicht auf morgen!
»Ich hab in der Liebe nun mal kein Glück …« – Oder: Eine glückliche Partnerschaft verlangt Arbeit.
»Ich habe Angst vor Krankenhäusern und davor, was da passiert.« – Oder: Versuchen Sie, ein freundlicher Patient zu sein und warten ab, was dann passiert!
»Ich habe Angst, irgendwann an Alzheimer zu erkranken.« – Oder: Sehen Sie auf das Gute hier und heute!
»Ich will nichts geschenkt haben. Dann muss ich mich auch nicht bedanken.« – Oder: Wer dankt, wird heiter.
»Das war’s also, dieses Leben?« – Oder: Offen bleiben für das, was war, was ist und was kommt
»Ich mag an das Sterben überhaupt nicht denken.« – Oder: Alles ist Leben!
»Ich mag an den Tod überhaupt nicht denken.« – Oder: Alles Leben verwandelt sich nur in neues!
»Nach mir die Sintflut!« – Oder: Welche Spuren möchten Sie einmal hinterlassen?
Was ich Ihnen noch gern sagen möchte … Ich meine Sie, die sich Ihr bisheriges Leben so ganz anders vorgestellt hatten.
6. Nachwort
Anmerkungen
Literatur
Informationen
Zunächst, meine Damen und Herren, habe ich mich innerlich gesträubt, dieses Buch zu schreiben. Warum? Weil mir mein Verleger Dr. Hannes Steiner den Titel Wie Sie beim Altern ganz sicher scheitern nahezubringen versuchte. Er ging zwar dabei behutsam vor. Mir schoss jedoch durch den Kopf: Das also soll mein letztes Buch werden! Ich schwieg längere Zeit, sah ihn etwas ungläubig an, dachte, er hält mich für ein Auslaufmodell. Doch dann ging etwas in mir vor, das ich noch nie erlebt hatte. Es war, als hätte ich einen wunderschönen Berggipfel gesehen, der mir bislang verborgen geblieben war. Die Ideen sprudelten nur so. Bis in den späten Abend hinein notierte ich, was mir einfiel, und sagte meiner Frau voll Begeisterung: »Das ist mein Buch!«
Vom ersten Tag an werden wir älter. In Kindheit und Jugend scheint Älterwerden ein Gewinn zu sein, weil wir, durchpulst vom Glück der Entfaltung, gelockt von 1000 Hoffnungen, das Leben vor uns sehen, als wäre es die Ewigkeit, ein Land ohne Grenze.
Doch irgendwann wird für viele das Älterwerden zum Problem, wenn mit dem Ablauf der Zeit nicht mehr so viele Jahre bleiben und sich konkrete Nöte und Einschränkungen einstellen: Krankheiten, Einsamkeit, Gefühle der Wertlosigkeit, des Angewiesenseins auf andere, Angst vor dem Tod etc.
Doch muss das alles und immer so sein? Manches ja, vieles nicht, wenn, ja wenn wir uns vorbereiten auf das, was kommt, wenn wir heute so leben, dass wir auch in den späteren Jahren davon Gewinn haben werden.
Man braucht ein ganzes Leben, um jung zu werden lautet der Titel eines Büchleins,1 das ich von meiner Tochter geschenkt bekam. In ihm wird in vielen Texten von den Herausforderungen eines langen Lebens erzählt. Besonders aber rühmen Philosophen, Literaten, alt gewordene große Persönlichkeiten das Leben selbst. Sie sind davon überzeugt, dass Alter nicht nur älter werden, sondern immer auch Erneuerung, Entwicklung, Wandlung bedeutet.
Man braucht ein ganzes Leben, um jung zu werden. Wie mich dieser Satz begeistert! Aber ist das so?
»Nein!«, werden viele sagen.
»Ja!«, setze ich dagegen.
Zugegeben, mein Körper altert. Er ist inzwischen 77 Jahre alt. Mein Geist aber altert auf seine eigene, ganz besondere Art. Er wird weiter, weiser, tiefer, großzügiger, ja, und lebendiger. Wie sich das auswirkt? Zum Beispiel so, dass ich gelassener bin als früher, dass ich mehr lache, dass ich manches nicht mehr ganz so ernst nehme und eine bis dahin nicht gekannte Neugier entwickle, viel mehr noch als bisher vom Leben kennenlernen zu wollen. Gewiss, ich kenne auch die Müdigkeit, von der manche meiner Klienten sprechen, zum Beispiel dann, wenn man von mir zu viele Dinge erwartet, die ich gern Jüngeren überließe, oder wenn die Kette der schrecklichen Nachrichten aus aller Welt nicht abreißt. Und doch: Ich wünsche mich nicht in frühere Zeiten zurück, weil ich heute meinem Leben viel näher bin als früher.
Auch eine alte 80-jährige Dame würde der Aussage, der Geist altere auf seine ganz besondere Weise, zustimmen. Ich lernte sie in einer Seniorenakademie kennen, in der ich ein Seminar hielt. Ich sehe sie noch heute vor mir. Ihren Namen habe ich vergessen, ihre Erscheinung nicht: ihre blitzenden Augen und den gütigen Charme auf ihrem Gesicht, ihre trotzige Ehrlichkeit und ihre befreiende Bescheidenheit, ihren Wissensdurst und die fast waghalsige Lust, mit der sie Klarheit in ihr Familienleben brachte. Sie hörte nicht auf, innerlich zu wachsen, sich auszuformen, rund zu werden. Und nun kommt mir auch wieder ihr Tanz im großen Park in Erinnerung, dieser Tanz mit dem Wind und der Freude, mit der Leichtigkeit und dem Leben.
Ich erinnere mich an einen alten Text, den ich vor vielen Jahren nach meinem ersten Besuch im Altersheim und der für mich überraschenden Begegnung mit vielen junggebliebenen älteren Menschen dort in mein Tagebuch schrieb: »Manchmal, wenn diese lieben alten Nervensägen so völlig verrückte Dinge tun, ahne ich, dass langsam alt und weise zu werden nicht weit entfernt sein muss von langsam alt und verrückt zu werden – und vielleicht ist das ja das Jungsein des Alters, und das muss doch nicht schlecht sein, oder?«
Woran denken Sie, liebe LeserInnen, wenn Sie ans Älterwerden denken? Ich hoffe, dass Sie nicht nur an Ihre künftig vielleicht nicht mehr so straffe Haut denken, Ihren unsicher werdenden Gang, ans mögliche Kranksein (mit alledem kann ich auch dienen). Oder denken Sie an das, was Sie einmal nicht mehr haben werden, zum Beispiel Ihren Beruf, den großen Freundeskreis, die Reisen in alle Welt? Oder, nur kurz, an das, woran Sie nicht mehr erinnert werden möchten?
Was ich Ihnen wünsche: Vertreiben Sie die eher dunklen Gedanken nicht. Versuchen Sie, dazu eine bekömmliche Einstellung zu finden. Doch denken Sie auch und vor allem an das neue Lebensgefühl, das sich entwickeln kann! An das Neue, das Sie noch nicht kennen! An neue Erfahrungen mit Freiheit, Liebe, Mut, Sinn. Welche Gedanken auch immer Sie bewegen, wenn Sie ans Alter denken: Sie fordern Sie heraus zum Umstellen und Einstellen auf neues Land, das zu Ihnen gehören und Ihnen zu eigen werden wird.
Da höre ich jemanden flüstern: »Der hat ja gut reden. Ob der das Leben wirklich kennt?« Hier ist meine Antwort: Als ich 73 war, beschlossen meine Frau und ich, aus Norddeutschland ins wunderschöne Salzburg zu ziehen. Da lehre und berate ich Menschen, die sich weiterbilden oder ein Problem gelöst haben möchten. Und sonst? Manchmal setze ich mich abends an meinen kleinen Flügel und spiele Melodien, die eine helle Brücke bilden zu einer Zeit, in der ich jünger war als heute. (Ich wäre gern auch Musiker geworden, wusste allerdings nie so recht, ob ich lieber Organist an einer Hauptkirche oder Pianist im Radiotango-Orchester werden wollte.) Meine frühen Jahre waren nicht gerade sonnig. Sie lagen über lange Zeiten im Schatten. Dass daraus einige Irrungen und Wirrungen resultierten, können Sie sich denken. Ich entschied mich für ein Theologiestudium, obwohl ich unter Sprachstörungen litt; ich heiratete, obwohl ich für eine Ehe nicht reif war. Und heute? Ich habe Krebs. Zurzeit hat er offenbar keine Expansionsgelüste. Andere Krankheiten stellen sich auch dann und wann ein, verlieren aber angesichts meiner Grunderkrankung an Bedeutung. Traurigkeiten? Ängste? Sorgen? Doch, schon. Aber ich halte sie in Grenzen. Sie sind wie alles Unangenehme und Schwere, das wir nicht wollen, Herausforderungen. Ich versuche, ihnen nicht auszuweichen. Ich habe liebenswerte Kinder, Enkelkinder und eine Frau, die mit mir »durch dick und dünn« geht. Mein Lebensgefühl? Ich finde mein Leben manchmal ein wenig anstrengend, vorwiegend aber schön, sinnvoll und herausfordernd. Ich bin für vieles sehr dankbar.
Warum schreibe ich dieses Buch?
• Weil ich fürs Leben werben möchte. Fürs Leben jener Menschen, die die zweite Lebenshälfte erreicht haben und sich fragen, wie das einmal sein wird, älter oder gar alt zu werden, und die es angesichts dieser Zeit vielleicht gar nicht leicht haben, Antworten auf ihre Fragen zu finden.
• Werben möchte ich auch für den herausfordernden Gedanken, der auf Erfahrungen gründet, dass vieles, was uns im Leben nicht gefällt, nicht schicksalhaft ist, sondern die Folge eines Lebens, in dem Menschen zu ihrem Dasein nicht Ja, sondern Jein oder Nein sagen.
• Schließlich möchte ich Sie alle davon überzeugen, dass Leben sinnvoll sein kann bis zum Tod, weil es keine überflüssige Zeit gibt.
Um es gleich vorweg zu sagen: »Alter ist vor allem Ansichtssache. Es gibt schließlich immer wieder ausgesprochen glückliche Neunzigjährige, woraus folgt, dass selbst hohes Alter nicht zwingend zu Verdruss führt, während es andererseits eine Menge außerordentlich unglückliche junge Menschen gibt.«2
Menschliches Leben gleicht den Jahreszeiten: die Jugend dem Frühling, die Mitte dem Sommer, die späteren Jahre dem Herbst, das Alter dem Winter. Diese Zeiten, im Jahr und auch im Leben, sind untrennbar miteinander verbunden, bilden eine Einheit in ihrer Verschiedenartigkeit. Sie gehören zusammen. Im Prinzip! Doch während Kinder vor ihrem Geburtstag vor lauter Vorfreude sehr aufgeregt sind, nimmt diese Gefühlsregung bei vielen Menschen bald ab. Offensichtlich ist für viele das Altern ein Problem. Das blieb auch dem großen französischen Philosophen François de La Rochefoucauld nicht verborgen, der in seinen Réflexions ou sentences et maximes morales schrieb: »Wenige Menschen verstehen sich darauf, alt zu werden.«
Das galt längere Zeit auch für mich. Ich mochte mir nicht eingestehen, dass ich Grund hatte, mich alt zu nennen. Wenn ich zum Beispiel in der Zeitung las: »Herbert Müller (77)«, dachte ich manchmal bei mir: »So ein alter Knacker!« Dann schämte ich mich dieses Ausdrucks, wurde kleinlaut und gestand mir vorläufig wieder ein, dass die 77 auch zu mir gehört.
Viele lehnen sich gegen das Altwerden auf, nicht so viele denken darüber nach, was Alter überhaupt ist: Ist es eine Frage der Anzahl der Jahre? Ist man so alt, wie man sich fühlt? Gern höre ich, was der berühmte Cellist Pablo Casals sagte, als er 93 war: Alter sei etwas Relatives. Wenn man weiterhin arbeite und für die Schönheit der Welt offen bleibe, entdecke man, dass Alter nicht notwendigerweise altern bedeute, jedenfalls nicht im landläufigen Sinne. Er selbst empfinde in seiner Zeit viele Dinge intensiver als je zuvor, und das Leben fasziniere ihn immer mehr.
Woran niemand ernsthaft zweifeln sollte: Jede Zeit hat ihre eigene Art und ihren eigenen Wert. Keine Zeit ist mit einer anderen vergleichbar. Darum ist jede Zeit gleich wertvoll, voll von Leben – wenn wir sie annehmen als Zeit für uns zum Leben. Keine Zeit ist besser als die andere. Keine birgt mehr Glück in sich und keine mehr Unglück, weil nicht primär die Zeit, sondern unsere Einstellung zu ihr darüber entscheidet, wer wir sind und wie wir leben. Der Auf- und Abbau, den es in jedem Lebenslauf gibt, ist keineswegs geradlinig verteilt. Die Entwicklungen greifen ineinander. Leben erneuert und verändert sich auf komplexe Weise. Und jede neue Stufe stellt einen Fortschritt dar, jedenfalls den Möglichkeiten nach. Worauf kommt es an?
Die wichtigste Aufgabe an der Übergangsstelle zum Alter ist diese: die verbliebenen, die veränderten und die neuen Möglichkeiten zu verbinden und ein Ja zur neuen Zeit zu finden. Die Offenheit für die neuen Möglichkeiten der dritten Lebenszeit werden für den Menschen größer sein, der bewusst von der vorausgegangenen Lebensstufe Abschied genommen und sich auf die neue Zeit vorbereitet hat, innerlich und äußerlich. Und wie macht man das?
Bei jedem Übergang von einer Lebensstufe zur anderen ist das Loslassen von größter Wichtigkeit. Es wird von alten Menschen oft in mehreren Bereichen gleichzeitig gefordert (Beruf, Familie, Wohnung, Gesundheit etc.), und das kann schwer sein. Andere dagegen erleben das Loslassen keineswegs als bittere Notwendigkeit. Sie entdecken die beglückende Fähigkeit, loslassen zu können. Vieles, was sie einmal begehrt haben, ist nicht mehr wichtig. Was unentbehrlich zu sein schien, erweist sich als längst nicht mehr so bedeutungsvoll wie früher. Menschen entdecken, dass sie in dem Maße, in dem sie loslassen können, neue Freiheit gewinnen.
Ein einfaches Beispiel: Wandern bedeutete für mich früher Freiheit. Diese Freiheit genoss ich reichlich und in vollen Zügen. Mit den langen Wanderungen ist es vorbei. Ich habe zwar noch keine »morschen Knochen«, aber meine Kräfte sind schon eingeschränkt. Der Verzicht fiel mir nicht leicht, denn wir leben im wunderschönen Salzkammergut! Umso mehr staune ich immer wieder darüber, dass ich während der ausgiebigen Autofahrten durch diese Landschaft nur wenig neidisch auf die vielen Wanderer sehe.
Es gibt Fähigkeiten, die man in jeder Lebensphase braucht, die jedoch besonders in der dritten wichtig werden: Im Rückblick auf sein bisheriges Leben können sich dem alten Menschen größere Zusammenhänge erschließen, die ihn aufatmen lassen. Details und Kleinigkeiten treten zurück. Schwierigkeiten von früher gewinnen die ihnen angemessene Einordnung. Leid erhält den ihm zustehenden Stellenwert. Weitsicht ist möglich. Gelassenheit nimmt zu.
Weil der Geist nicht unmittelbar an den Körper gebunden ist, altert er auf seine ganz eigene Art und findet dabei in jeder Lebensphase neue Ausdrucksformen. Die relative Unkenntnis dieser Tatsache ist bedauerlich und führt dazu, dass manche spezifischen Verhaltensweisen des alternden oder alten Menschen einseitig negativ missdeutet werden.
Zweifellos verringern sich zum Beispiel die Leistungen der Sinneswahrnehmungen. Der eine Mensch sieht, der andere hört nicht mehr so gut. Mir selbst fällt seit einiger Zeit auf, dass mein einst ziemlich gutes Gedächtnis ein wenig nachlässt: Ich begegne jemandem, den ich genau kenne, der Name aber fällt mir oft erst während des Gesprächs ein. Und doch! Ich versichere Ihnen: Noch nie habe ich so klar denken können wie jetzt. Ich erkenne Zusammenhänge, die mir erst jetzt aufgehen. Und meine Intuition – auch ein Aspekt des Geistes – lässt mich nicht so schnell im Stich.
Das Nachlassen der Sinneswahrnehmungen hat zur Folge, dass die »Bilder«, die der alte Mensch von der Welt gewinnt, blasser und unvollständiger werden, zugleich aber erscheinen sie ihm durchsichtiger, er sieht sie konzentrierter. Man entdeckt bei Alterswerken bedeutender Maler zwar weniger Einzelheiten, dafür aber kommt das Wesentliche und Wichtige eindeutiger und klarer zum Ausdruck. Details und Kleinigkeiten treten im Blickfeld zurück, die großen Linien treten in den Vordergrund.
Ein beeindruckendes Beispiel für diese Veränderung ist Rembrandts »Die Rückkehr des verlorenen Sohnes«. Er malte dieses Meisterwerk, als er weit über 60 Jahre alt war. Ich sehe dieses Bild immer wieder an, nein, in dieses Bild hinein. Es gehört zu meinem Leben. Der größte Teil des Bildes liegt im Dunklen. Angezogen wird mein Blick vom Hellen. Da leuchtet das gütige Gesicht des Vaters geradezu auf. Ähnliches gilt für seine Hände, von denen die eine Hand männlich (stark), die andere weiblich (warm) wirkt. Davon ein wenig abgerückt zeigt sich hell das verbitterte Gesicht des älteren Sohnes, der die Güte des Vaters dem »Verlorenen« gegenüber nicht begreift.
Der Geist braucht zwar den Körper als Vehikel, doch wenn dieser hier und da seinen Dienst aufzukündigen beginnt, so heißt das noch lange nicht, dass der Geist mit seinem Latein am Ende ist. »Welche Freude«, sagte Gotthold Ephraim Lessing, »wenn es heißt: Alter, du bist alt an Haaren, blühend aber ist dein Geist.« Und die beiden philosophierenden Autoren Aljoscha A. Schwarz und Ronald P. Schweppe ergänzen spitzbübisch: »… und wer schlau ist, sollte ihn niemals gegen ein paar schnelle Beine oder eine makellose Haut eintauschen.«
Fühlen Sie sich auch jünger, als Sie sind? Vor langer Zeit war ich zu einem Klassentreffen eingeladen. Mein Sohn war bei mir. Weil wir uns verspätet hatten, fanden wir in der Eile nicht den richtigen Tagungsraum. Rasch öffneten wir mehrere Türen. In einer blieben wir stehen. Ich stutzte – und erkannte, dass die in dem Raum tagende Altherrenriege in der Tat die Versammlung meiner Klassenkameraden war. Ehe wir in den Raum gingen, fragte ich meinen Sohn: »Sehe ich etwa auch so aus wie die?« Er nickte tapfer.
Es ist schon merkwürdig – viele alternde Menschen fühlen sich zehn Jahre jünger, als sie sind. Sie haben sogar den Eindruck, dass auch andere sie jünger einschätzen, was stets Frohsinn aufkommen lässt: »Nein, du bist doch keine 65! Ich schätze dich auf höchstens 58!«
Übrigens verwendet ein guter Freund von mir einen ganz eigenen kleinen Trick zur Steigerung seiner Lebensfreude: Gefragt, wie alt er denn sei, schlägt er mindestens fünf Jahre auf sein reales Alter drauf (antwortet also mit »genau 60«, wenn er gerade 55 geworden ist) und freut sich umso mehr über die Überraschung und die Komplimente, die er damit auslöst (»Nein, das kann doch nicht sein, du siehst doch höchstens wie 50 aus!«).
Und es scheint, als ob die, die sich jünger fühlen, als sie tatsächlich sind, länger leben. Das jedenfalls gaben die beiden englischen Wissenschaftler Isla Rippon und Andrew Steptoe vom University College London im Fachblatt JAMA Internal Medicine bekannt. Sie befragten 6500 Männer und Frauen über 52 Jahre, wie alt sie sich fühlen. Nach dieser Studie betrug das tatsächliche Durchschnittsalter 66 Jahre, das gefühlte Alter dagegen 57 Jahre.3 70 Prozent der Befragten fühlten sich demnach jünger, als sie waren, 25 Prozent korrigierten ihr Alter nicht nach unten, nur fünf Prozent fühlten sich älter. Die Studie erstreckte sich über acht Jahre. In diesem Zeitraum starben 14 Prozent der ersten Gruppe, während in der gleichen Zeit 24 Prozent derer starben, die sich für älter gehalten hatten, als sie faktisch waren.
Mein Credo lautet:
Die Welt, in der wir leben, ist unsere Welt.
Die Zeit, in der wir leben, ist unsere Zeit.
Das Leben, das wir in dieser Welt und dieser Zeit leben, ist unser Leben.
Diese unsere Welt in dieser unserer Zeit ist beides: unsere Gefährdung und unsere Möglichkeit, zugleich unsere Aufgabe.
Diese Aufgabe können wir annehmen, wir können sie ablehnen.
Doch wenn wir sie ablehnen, verlieren wir alles, was wir haben.
Ich lerne in meinem Beruf viele Menschen kennen. Ich lese Zeitung, sehe und höre, was die Medien berichten. Ich werde den Eindruck nicht los, dass wir in einer Zeit leben, die beunruhigend ist und faszinierend zugleich. Wenn mich nicht alles täuscht, wirkt sich beides auf alle Gesellschaftsbereiche aus. Woher kommen die Unruhe und die Faszination? Ich sehe mehrere Ursachen, die meiner Auffassung nach ineinander verwoben sind:
In keiner Zeit haben Menschen so vielfältige Veränderungen erfahren wie in dieser. Die Veränderungen beglücken und bedrücken uns. Wir sind Zeugen
• einer rasant verlaufenden technologischen Entwicklung,
• eines umfassenden Wandels unserer Gesellschaft in eine Informationsgesellschaft,
• einer Internationalisierung des Lebens,
• einer radikalen Veränderung in der Wirtschaftsund Arbeitswelt,
• eines riesigen Angebotes unterschiedlicher Weltanschauungen.
Diese und andere Entwicklungen sind eine nie dagewesene Herausforderung, Leben neu zu begreifen und sich neu darauf einzustellen. Darüber hinaus hat der 11. September 2001, an dem die Türme von New York fielen, das Daseinsgefühl der Menschen weltweit verändert. Die Veränderungen haben für viele dazu geführt, dass sie nicht mehr wissen, wer sie sind und welchen Sinn ihr Leben hat, dass sie nicht mehr wissen, was sie fühlen und wo ihr Platz im Leben ist. Sie kennen sich in ihrem eigenen Leben nicht mehr aus, geschweige denn in der Welt. Doch wer so lebt, ist nicht mit sich eins. Wer nicht mit sich eins ist, ist nicht bei sich, kommt nicht zu sich. Er weiß auch nicht, was für ihn wert- und sinnvoll ist, geschweige denn, wofür er sich begeistern könnte. All das löst tiefgreifende Fragen aus, etwa: Wo führt »das« hin? Worauf kann ich mich noch verlassen? Was muss ich tun, um in dieser Welt zurechtzukommen? Wonach kann, soll und darf ich mich richten? Gibt es Wegweiser fürs Leben, und wenn ja, welche gelten? Welche Werte führen zu einem sinnvollen Leben?
Denken Sie etwa an die technologische