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Wenn Gier und Leidenschaft aufeinandertreffen, dann ist der Tod meist nicht weit. Diese Erfahrung muss auch Jack Farland machen, als er auf der Goddard-Ranch arbeitet. Der Grund dafür ist Sally, die 19-jährige Tochter des Ranchbesitzers. Sie ist mit ihren blonden Haaren und der anziehenden Figur eine wahre Augenweide. Dadurch genießt sie rege Aufmerksamkeit von den Männern, spielt sie aber auch nur allzu gerne gegeneinander aus. Das führt schließlich zu blutigen Konflikten. Bald jagt der rechtschaffene Ohioman einen Mörder, der sich Dan Kilborne nennt, nicht wissend, dass es sich bei dem Kreolen um alles andere als einen einfachen Cowboy handelt ...
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Seitenzahl: 162
Cover
Kreolenrache
Vorschau
Impressum
Kreolenrache
Von Jonny Kent
Der olivgesichtige Cowboy schob das Corralgitter zu und warf den schweren, eisernen Riegel vor. Als er zum Ranchhof hinübergehen wollte, verhielt er plötzlich den Schritt und blieb hinter dem Stallanbau stehen.
Drüben, vor dem großen zweigeschossigen Wohnhaus, kam eben eine junge Frau über die Veranda und stieg in den Sattel eines gescheckten Hengstes.
Sally Goddard war neunzehn Jahre alt. Sie hatte weizenblondes volles Haar. Und große wasserhelle Augen standen in ihrem Gesicht, das man als hübsch bezeichnen konnte. Ihre Gestalt war üppig und wohlgeformt. Sie trug eine rehbraune Lederweste, ein weißes Hemd und schwarze, eng anliegende Hosen, die in weichen rötlichen Schaftstiefeln steckten. Um die Hüften hatte sie einen Waffengurt mit einem .22er-Cloverleaf-Revolver geschnallt, der heute bestimmt noch zum Einsatz kommen würde ...
Mit einem Zungenschnalzen und leichtem Zügelschlag brachte die Rancherstochter den Hengst in Trab und ritt über den weiten Hof auf das Tor zu.
Um diese Mittagsstunde waren nur wenige Cowboys auf dem Hof.
Der olivgesichtige Mann war von dem Vormann an diesem Vormittag für den Stalldienst eingeteilt worden. Dazu gehörte auch die Säuberung des Corrals. Er war vor sechsunddreißig Jahren als Sohn einer Schiffsküchenhelferin und eines Mexikaners namens Cazeta, der sich jedoch nie zur Vaterschaft bekannt hatte, auf einem Mississippi-Steamer geboren worden. Er hatte seine Mutter früh verloren und war nach Texas zu einer Tante in der Stadt Lamesa gekommen.
Die beiden letzten Schuljahre hatte der mischblütige Junge gar nicht erst durchgestanden, weil er schon früh von daheim weggelaufen war. Er hatte sich als Stallhelfer in der Nähe von St. Louis verdingt und war schließlich mit vierzehn schon hinüber in den Staat Kansas gekommen.
Hier hatte der Kreole, wie er schon früh genannt wurde, in Topeka bei einem Blacksmith Arbeit gefunden, war aber wegen Diebstahls davongejagt worden und hatte sich dann auf den Ranches in der Umgebung der Stadt durchgeschlagen. Danach hatte er eine Weile in Emporia gearbeitet, und schließlich ereilte ihn bei White City im Morris-County das Geschick.
Er wurde von dem dortigen Rancher selbst beim Diebstahl überrascht und in der Gerichtsverhandlung zu fünf Jahren Straflager verurteilt, da er nicht nur einem anderen Cowboy das Geld gestohlen hatte, sondern weil sich auch herausstellte, dass er Vieh von der Weide getrieben und heimlich verschachert hatte.
Die fünf Jahre Straflager waren eine harte Zeit für ihn, sollten aber trotzdem nicht den Erfolg haben, den auf die schiefe Bahn Geratenen auf den rechten Weg zurückzuführen.
Kilborne, wie er sich nannte, hatte stattdessen im Straflager Kontakt zu kriminellen Männern, die er vielleicht besser niemals getroffen hätte. Überdies hatte er Dinge da gelernt, die für sein weiteres Leben ganz sicher alles andere als nützlich waren. Er indessen hielt sie für nützlich.
Kaum aus der Haft entlassen, nahm er bei Lillis im Marshall-County einen Job als Helfer auf einer Ranch an, wurde hier jedoch schon nach zwei Wochen abermals wegen Diebstahls festgenommen und in Maple Hill für zwei Monate festgesetzt.
So ging es mit ihm weiter, und er blieb nicht nur ein Dieb, sondern entwickelte sich zu einem gefährlichen Revolvermann. Von County zog er zu County, von Ranch zu Ranch. Überall blieb er nur kurze Zeit, überall wurde er wegen Diebstahls oder Schießereien davongejagt. Bis auf den einen schweren Fall, der ihn fünf Jahre in ein Straflager bei Kansas City gebracht hatte, war er bisher immer noch glimpflich mit kleineren Strafen davongekommen.
Es war kein guter Tag, der ihn in der Nähe der Stadt Salina auf die Goddard-Ranch führte.
Vormann Burton, dem der kräftige Mann gefiel, und der Leute in den Dreißigern oder Vierzigern wegen ihrer Zuverlässigkeit und größeren Arbeitskraft weit mehr schätzte als blutjunge Cowboys, hatte gar das Gefühl, einen guten Griff getan zu haben. Der Neue erwies sich zunächst tatsächlich als ein Mann, der die Dinge auf einem Ranchhof und auf der Weide am richtigen Ende anzupacken wusste.
Vielleicht wäre es auch eine Zeit lang gut gegangen, denn an das Geld der anderen Cowboys konnte Kilborne nicht heran, weil die Spinde, in denen die Weidereiter ihr Eigentum verschlossen, derart stabil und sicher waren, dass er da so ohne Weiteres nichts machen konnte.
Aber das Augenmerk des Kreolen war schon nach wenigen Tagen, als er bereits erwogen hatte, der unergiebigen Ranch den Rücken zu kehren, plötzlich auf ein Mädchen gefallen. Genauer gesagt auf eine blonde, dralle junge Frau, die ihm die Ruhe raubte. Nachts stahl er sich häufig hinaus in den Hof, umschlich das Haus des Ranchers und beobachtete stundenlang die Fenster im Obergeschoss.
Es scherte ihn dabei nicht im Mindesten, dass Sally die Tochter von Mr. Goddard war und somit eine Person, die für ihn, den Cowboy, hätte tabu sein müssen. Von Tag zu Tag wuchs sein Interesse an dem Mädchen – und gleichzeitig auch seine Unruhe.
Er hatte vielerlei Frauengeschichten gehabt und war deshalb mehrfach in gefährliche Situationen gekommen. So hatte er schon auf der Ranch bei Maple Hill einen Revolverkampf mit einem Cowboy gehabt, dessen Mädchen er verführt hatte.
In Latham, auf der Perkins-Ranch hatte er ebenfalls einem Cowboy das Mädchen ausgespannt und dafür eine gewaltige Prügelei überstehen müssen. Was ihn jedoch nicht daran hinderte, zwei Monate später auf der Gerodot-Ranch wieder in eine ähnliche Sache hineinzugeraten.
Die Kette der Weibergeschichten des Cowboys Kilborne war lang, und wenn Rancher Goddard davon gewusst hätte, würde ihn das wahrscheinlich mehr abgestoßen haben als sämtliche Freiheitsstrafen wegen Diebstahls, die der Cowboy hinter sich hatte.
Selbstverständlich hatte Kilborne hier niemandem etwas von seiner Vergangenheit erzählt. Und da es in den Weststaaten üblich war, einen Mann nicht lange nach seinem Herkommen zu fragen, sondern ihn lediglich nach seinem Können zu beurteilen, kümmerte sich auch niemand darum.
Der Rancher würde es bitter zu bereuen haben, dass er diesen Mann eingestellt hatte.
Als Sally Goddard das Hoftor passiert hatte, trat Kilborne aus seinem Versteck hinter dem Mauervorsprung des Stallhauses und blickte zum Tor hinüber. Seine Augen waren schmal wie Messerrücken geworden, und seine Handflächen wurden feucht.
Er hatte im Stall erst einen Teil seiner Arbeit getan und war zwischendurch immer wieder hinaus in den Corral gegangen, da er es nicht sonderlich schätzte, allzu lange an einer Stelle zu arbeiten. Er war von einer Unruhe erfasst, die geradezu unheilvoll war.
Tagelang wartete er schon auf eine Gelegenheit, sich der Tochter des Ranchers zu nähern, um sie in ein Gespräch zu verwickeln. Alles Weitere würde sich dann von selbst ergeben. Aber die Gelegenheit hatte er bisher nie gefunden.
Jetzt aber schien sie ihm diese Gelegenheit vom Schicksal zugespielt zu werden, und er beschloss, sie sofort zu ergreifen. Mit einem Ruck wandte er sich um, rannte zum Corral, stieß das Eisen des Riegels hoch und riss das auf dem sandigen Boden klemmende Tor auf. Die Pferde stoben zurück, als der Mann mit weiten Sprüngen auf sie zuhielt.
Kilborne griff nach dem Halfter des Rotfuchses, den er seit zwei Jahren besaß und zerrte das Tier aus dem Corral. Rasch war der Fuchs gesattelt, und dann führte Kilborne ihn hinter dem Scheunenhaus entlang und zwischen den Wagenschuppen vom Anwesen herunter.
Bald darauf zog er sich in den Sattel, ritt ein Stück von der Ranch weg und konnte von hier aus die Staubfahne sehen, die Sally Goddard drüben auf dem Abzweiger zur Overlandstreet hinter sich herzog.
Es würde gar nicht einfach sein, das Mädchen einzuholen, denn der gescheckte Hengst war schnell, und das Mädchen war obendrein eine ausgezeichnete Reiterin. So viel hatte der heimliche Beobachter längst festgestellt.
Aber Kilborne war selbst ein guter Reiter, und der Fuchs, den er auf einer Horse-Ranch in der Nähe des Big Valley in einer dunklen Nacht aus einem Corral gestohlen hatte, war zwar sicherlich nicht schön, aber eine Tugend konnte man ihm nicht absprechen: Er war ungeheuer schnell.
Der Kreole wusste, dass auf der Ranch jetzt nur drei Menschen waren. Sallys Großmutter, eine Frau hoch in den Siebzigern, die sich wahrscheinlich wie meistens in der Küche beschäftigte, eine Küchenmagd und der steinalte Cowboy Lobban, der auf der anderen Seite des Scheunenbaus mit Holzarbeiten beschäftigt war. Keine der drei Personen war jedenfalls an einer Stelle der Ranch, von wo aus sie den Abzweiger hätte beobachten können.
Kilborne trieb das Pferd durch das hohe Büffelgras und hielt im stumpfen Winkel auf den Weg zu. Er gedachte, dem Mädchen den Weg abzuschneiden. Die buschbesetzte Landschaft kam seinem Vorhaben entgegen. Als er in die Nähe des Weges gekommen war, stieg er vom Pferd und blieb hinter einer großen Buschgruppe stehen.
Sally war auf dem Weg zur Stadt. Sie hatte ein paar Besorgungen zu machen und wollte eine Freundin besuchen. Nur knapp sechs Meilen war es bis nach Salina hinüber; wenn sie sich nicht zu lange aufhielt, konnte sie gegen ein Uhr schon wieder zurück sein. Dann würden auch der Vater und der Vormann von der Weide kommen. Ihre Mutter war seit sieben Jahren tot, eine Typhusepidemie hatte sie dahingerafft. Die Gedanken des Mädchens waren mit ihren verschiedenen Vorhaben beschäftigt, als plötzlich hinter einem der Büsche am Weg ein Mann auftauchte.
Er war mittelgroß, hatte eine untersetzte aber sehr muskulöse Gestalt, hängende Schultern, einen Stiernacken und krumme Reiterbeine. Auf dem Kopf trug er einen grauen, verschwitzten Stetson, und das Gesicht war bis zu den dunklen Augen von einem grauen Halstuch verdeckt. Der Mann trug eine graue Joppe, ein verwaschenes, blaues Hemd und eine grauschwarz gestreifte Hose, die über die Schäfte seiner hochhackigen Stiefel auslief. Im Kreuzgurt steckte nur auf der rechten Seite noch der Revolver. Den anderen hielt er in der linken Faust.
Die Rancherstochter hatte Mühe, den scharfen Galopp des Schecken zu bremsen und fünf Schritt vor dem Mann zum Halten zu kommen. Eine ganze Staubglocke senkte sich über die Straße und fiel auf die beiden nieder.
Sally war absolut nicht furchtsam und hatte sich schon oft vorgestellt, was geschehen würde, wenn plötzlich ein Bandit vor ihr stünde – irgendwo auf dem Ritt zur Stadt oder auch drüben auf der großen Weide ihres Vaters. Es war bis zur Stunde nichts passiert, und sie hatte auch das Glück gehabt, dass niemals eine Bande die Ranch des Vaters belästigt oder gar überfallen hatte. Ihr Leben war bisher ohne derart unerfreuliche Zwischenfälle verlaufen.
Nun stand da plötzlich mitten auf dem Weg ein Mann vor ihr, mit einer grauen Gesichtsmaske und einem Revolver, den er drohend auf sie gerichtet hielt.
Heiß sprang die Angst sie an. Einen Moment fürchtete sie, aus dem Sattel zu kippen. Aber mit beiden Händen krampfte sie sich an dem ledernen Knauf fest und blickte aus geweiteten Augen zu dem Mann hinüber.
Was jetzt? Wenn er sie töten wollte, dann hätte er das gleich tun können. Aber die Menschen im Westen überlegten es sich, ehe sie ein Menschenleben, und vor allem das einer Frau, auslöschten, denn der Strick war es allein nicht, der sie schreckte. Ein Mörder, der von einer Ranchmannschaft gestellt wurde, musste damit rechnen, erst einmal zum Krüppel geschlagen zu werden, ehe man ihn an den Strick brachte.
Merkwürdig, wie zähflüssig die Gedanken in solchen Sekunden dahinflossen.
Wie viele Sekunden waren überhaupt schon vergangen? Wie lange stand der Mann schon da und hielt den Revolver auf sie gerichtet? Kannte sie ihn nicht? Hatte sie diese Gestalt nicht schon irgendwo gesehen?
Verzweifelt suchte sie nach einem rettenden Gedanken.
Da sie auf Wunsch ihres Vaters nur wenig mit den Cowboys zu tun hatte, erkannte sie den neuen Mann, den Vormann Burton angeworben hatte, nicht. Seine Kleidung war alltäglich, und da er sein Gesicht verdeckt hatte, war es nahezu unmöglich für sie, in ihm den Cowboy Kilborne zu erkennen.
Hatte er damit gerechnet?
Nachdem einige Sekunden verstrichen waren, hatte Sally den Schock, der sie wie ein wildes Tier angesprungen hatte, abgeschüttelt und fragte mit einer Stimme, die ihr selbst fremd vorkam: »Was ... wollen Sie?«
»Absteigen!«, befahl der Wegelagerer.
»Ich denke nicht daran«, entgegnete die Rancherstochter, wobei sie ein Beben in ihrer Stimme nicht unterdrücken konnte.
»Absteigen, oder ich hole dich!«
Sally schluckte. Wieder stieg die Angst ihr heiß in die Kehle. Das Blut hämmerte dröhnend in ihren Schläfen. Die Art, in der der Mann redete, jagte ihr eine höllische Furcht ein.
»Ich zähle bis drei. Wenn du dann nicht unten bist, erlebst du was!«
Ich muss auf der anderen Seite aus dem Sattel steigen, überlegte sie. Dann kann ich den Revolver ziehen.
In diesem Augenblick setzte der Mann sich in Bewegung und kam auf sie zu.
Sally rutschte vor ihm aus dem Sattel.
Zwei Schritte nur trennten sie voneinander.
Sie versuchte seine Augen zu erkennen, versuchte regelrecht in ihnen zu lesen. Aber in diesen schießschartenschmalen Strichen war nichts zu erkennen, nichts zu lesen.
»Ich habe kein Geld bei mir«, brachte sie heiser hervor. »Die Einkäufe, die ich in der Stadt mache, werden später von unserem Vormann bezahlt.«
Der Kreole griff nach dem Zügel des Schecken und führte ihn, ohne sich nach dem Mädchen umzusehen, auf die andere Seite des Busches.
Sally, die die Situation falsch einschätzte, rief: »Ein Pferdedieb sind Sie also! Das wird Ihnen kein Glück bringen. Unsere Cowboys werden den Hengst schon finden. Wie können Sie überhaupt glauben, dass Sie ein geschecktes Pferd stehlen können? Sie scheinen mir wirklich ein ...«
Da ließ der Mann die Zügel fallen und wandte sich zu ihr um. Für einen Augenblick sah sie es in seinen dunklen Augen aufblitzen. Wieder sprang die Angst sie an.
»Komm her«, sagte er leise.
Sie lauschte seiner Stimme nach und erschauderte bei deren rostigem Klang. Hatte sie diese nicht schon irgendwo gehört?
»Du sollst herkommen!«
Sally bewegte sich nicht – und plötzlich hatte sie begriffen. Es ging dem Mann weder um das Geld noch um das Pferd. Es ging um sie! Eisiges Entsetzen lähmte ihre Glieder.
Da schnellte Kilborne nach vorne und riss sie nieder.
Nur ein gurgelnder Laut brach von den Lippen des Mädchens. Dann rutschte der Kopf mit dem vollen blonden Haar zur Seite.
Sally Goddard war ohnmächtig. Sie war beim Sturz auf einen Stein aufgeschlagen und hatte sofort die Besinnung verloren.
Keuchend vor Erregung riss Kilborne den Mädchenkopf zu sich herum, hielt dann aber inne, weil ihm auffiel, dass Sally sich nicht wehrte. Befremdet sah er in ihr aschgrau gewordenes Gesicht und richtete sich auf.
Damned! Sie war doch nicht etwa tot?
Er kniete neben ihr und starrte unverwandt in das bleiche Gesicht. Plötzlich zuckten Sallys Lider und die Augen öffneten sich. Sie war aus der Ohnmacht erwacht, schloss aber die Augen vor Schreck sofort wieder.
»Ah, du wolltest mich an der Nase herumführen, was? Das glückt dir nicht. Los, mach die Augen auf!«
Als die Frau jedoch nicht darauf reagierte, schlug er ihr wütend mit der flachen Hand ins Gesicht.
Sally öffnete die Augen, war erst durch den Schlag voll zu sich gekommen, blickte den Mann fragend an, und plötzlich stand die Angst riesengroß in ihren Augen. Ein röchelnder Schrei brach über ihre Lippen. Aber der Wegelagerer presste ihr seine schwielige Linke auf den Mund und lachte hämisch.
Hoch oben im stählernen Blau des Himmels sang eine Lerche ihr Lied in den Frieden dieses schönen Sommertages. Hinter dem Busch in Höhe der Abzweigung der G-Ranch zur Overlandstreet hatte sich aber ein Mann wie ein Raubtier über eine wehrlose Frau geworfen.
Sally riss in tödlicher Verzweiflung die Knie an und stieß mit aller Kraft ihre Daumen in die Augen des Mannes.
Der verbrecherische Cowboy stöhnte auf. Das Mädchen setzte sofort nach, indem es mit aller Kraft die Knie erneut anzog und sich zur Seite warf. Mit einem Sprung stand es auf den Beinen.
Der Kreole, dem das Halstuch vom Gesicht gerutscht war, hatte sich ebenfalls erhoben und jagte hinter der Flüchtenden her, holte sie nach fünf, sechs Sätzen auf dem offenen Weg ein und riss sie wieder zu Boden. Mit beiden Händen griff er nach ihrer Kehle und erstickte ihren gellenden Hilfeschrei.
Noch einmal zog die Unglückliche die Beine mit aller Kraft an, um den Mann abzuwehren, und krallte ihre Hände in sein struppiges Haar. Daraufhin musste er ihre Kehle freigeben und versuchte ihre Hände zu packen.
Ein zweites Mal gelang es der Rancherstochter, sich zur Seite zu werfen, hochzuschnellen und vorwärtszustürmen. Sie rannte zu ihrem Pferd, warf sich in den Sattel und schlug dem Tier die kleinen Sporen in die Weichen. Der schwarzweiß gescheckte Hengst setzte mit einem wilden Satz vorwärts, stieß ein Wiehern aus und stürmte der Hauptstraße entgegen.
Mit einem wilden Fluch hatte sich Kilborne vom Boden erhoben, blickte hinter Sally her, rannte dann zu seinem eigenen Pferd, sprang in den Sattel und jagte hinter der Flüchtenden her.
Der Rotfuchs war dem noch sehr jungen Hengst an Schnelligkeit überlegen, und nach etwa siebenhundert Yards hatte er ihn eingeholt.
Im rasenden Galopp beugte sich Kilborne zur Seite, packte das Mädchen am Arm und wollte es zu sich herüberreißen. Aber Sally hatte sich mit beiden Händen in die Mähne des Hengstes verkrallt, schrie in Todesangst, stieß dem Tier abermals die Sporen in die Weichen und riss plötzlich den Zügel hoch – was zur Folge hatte, dass der Hengst den scharfen Galopp mit allen vieren abbremste, hoch aufstieg und auf der Hinterhand herumflog.
Das Mädchen vermochte sich nicht im Sattel zu halten, wurde vom Pferd geschleudert und lag benommen auf dem harten, steinigen Erdreich.
Kilborne war ebenfalls abgesprungen und stand sofort neben ihr. Sein Schatten verdunkelte ihr Gesicht.
Sally öffnete die Augen einen Spalt und starrte in tödlichem Schrecken zu dem über ihr stehenden Mann auf, den sie erst jetzt erkannte.
Der Kreole hatte winzige Schweißperlen auf der Stirn und blickte sie wütend aus schmalen Augen an.
Sally vermochte kein Glied zu rühren. Eisiges Entsetzen hatte sie gepackt. Wie ein Kaninchen, das von der Schlange hypnotisiert wird, lag sie am Boden und bewegte sich nicht. Jeden Augenblick war sie darauf gefasst, dass dieser entsetzliche Mensch sich auf sie stürzen würde.
Sie wusste auf einmal mit gläserner Klarheit, dass sie verloren war. Niemals zuvor hatte sie eine solche Gier in den Augen eines Mannes gesehen. In dieser Minute hatte sie begriffen.
Kilborne schob den Unterkiefer vor, und Sally merkte, dass seine wulstige Lippe zitterte.
Urplötzlich brandete von der breiten Overlandstreet her trommelnder Hufschlag auf, der sich rasch näherte.
Kilborne wirbelte herum.
Aber da war der Reiter schon heran und zügelte seinen Braunen.
Es war ein hochgewachsener Mann mit sehr breiten Schultern und muskulöser Gestalt. Er hatte flachsblondes Haar und smaragdfarbene Augen, die unter schwarzen Brauen lagen. Sein Gesicht war von Wind und Wetter tief gebräunt. Es war ein scharf geschnittenes, kantiges Gesicht, das da unter der breiten Krempe des grauen Stetsons hervorblickte.
Er trug ein rotes Hemd, ein schwarzes Halstuch und eine schwarze Weste aus Kalbsleder. Die dunklen Hosen liefen über die Schäfte der hochhackigen Texasstiefel aus. Es war nichts Auffälliges an diesem Mann, und doch hatte er etwas Eindrucksvolles an sich. Vielleicht lag es in seinem Blick.
Sally Goddard, die bei seinem Auftauchen schon halb ohnmächtig vor Angst gewesen war, glaubte im ersten Moment, dass ein Kumpan des Kreolen aufgetaucht wäre. Aber als sie den Gesichtsausdruck des Schurken sah, der sie überfallen hatte, fiel ihr ein wahrer Mühlstein vom Herzen. Sie zog sich auf die Ellbogen und versuchte dann, auf die Beine zu kommen. Es gelang ihr nicht. Sie taumelte nach vorne und stolperte gegen das Pferd des Fremden. Der glitt aus dem Sattel, ließ aber den Cowboy keine Sekunde aus den Augen.
Keiner sprach ein Wort.
Und dann war es Kilborne, der plötzlich sagte: »Sie ist gestürzt.«
Der Fremde warf einen forschenden Blick in das zuckende Gesicht des Mädchens.
»Kann ich Ihnen helfen, Miss?«
Sally nickte. »Ja, das können Sie.« Sie ging auf ihr Pferd zu, wollte sich in den Sattel ziehen, aber schaffte es nicht. Der Fremde half ihr.