Wildwest-Roman – Unsterbliche Helden 9 - Jonny Kent - E-Book

Wildwest-Roman – Unsterbliche Helden 9 E-Book

Jonny Kent

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Beschreibung

Die Tragödie sollte sich nur wenige Meilen östlich von Clay City abspielen ...
Monoton trommelte der Regen auf das Wagendach der alten Overland-Kutsche, die westwärts fuhr. Der grauhaarige Mann oben auf dem Driverbock blickte aus zusammengekniffenen Augen über die Rücken der vier Gäule. Es war fast schon halsbrecherisch, so schnell bei diesem Wolkenbruch zu fahren.
Hinten im Passagierraum saß ein hagerer Mann unbestimmbaren Alters. Cassius Shelby war sein Name. Von der Stunde an, in der er Vincennes, drüben an der Grenze Indianas, verlassen hatte, wurde er verfolgt. Der Mann, vor dem er floh, hieß Jerry H. Alsom ...


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Inhalt

Cover

Westwärts

Vorschau

Impressum

Westwärts

Von Jonny Kent

Die Tragödie sollte sich nur wenige Meilen östlich von Clay City abspielen.

Monoton trommelte der Regen auf das Wagendach der alten Overland-Kutsche, die westwärts fuhr. Im Passagierraum hinten links saß ein hagerer Mann unbestimmbaren Alters: Cassius Shelby war auf der Flucht vor Jerry H. Alsom, einem gefürchteten Revolvermann. Und Shelby hatte allen Grund zur Sorge, denn Alsom wollte nicht weniger als sein Leben.

Aber Shelby selbst war ebenfalls mit allen Wassern gewaschen. So löste er, um das eigene Leben zu retten, einen alles verschlingenden Strudel der Gewalt aus, in den auch Jack Farland, der Ohioman, mit hineingezogen werden sollte ...

Der Grauhaarige oben auf dem Bock blickte aus zusammengekniffenen Augen über die blanken Rücken der vier Gäule. Es war fast schon halsbrecherisch, so schnell bei diesem Wolkenbruch zu fahren, denn man konnte höchstens dreißig Yards weit sehen.

Darüber machte sich der hagere Mann hinten im Passagierraum keine Gedanken, denn er hatte andere Sorgen.

Shelby trug einen dunkelgrauen Anzug, einen grauen Hut und ein nicht mehr ganz sauberes weißes Hemd. Sein Gesicht war schmal, und um die Mundwinkel hatten sich bereits zwei tiefe Falten eingekerbt. Auch zwischen den Brauen stand ein scharfer Schnitt, der bis in die Stirnmitte hinaufführte.

Es war kein angenehmes Gesicht, das Cass Shelby der Welt zu zeigen hatte. Die Linke steckte in der Jackentasche, und die Rechte lag auf seinem Oberschenkel. Es war eine lange gelbliche Hand mit schmalen Fingern.

Von der Stunde an, in der er Vincennes, drüben an der Grenze Indianas, verlassen hatte, wurde er von Jerry H. Alsom verfolgt. Die Fährte des Flüchtenden führte von Vincennes aus über die Grenze von Illinois nach Bridgeport und weiter über Summer nach Olney. Auch da hatte er die nächste Gelegenheit genutzt, um weiterzukommen. Ohne Rast hatte er seine Flucht fortgesetzt.

Einundzwanzig Meilen lagen zwischen Olney und Clay City. Die Overland hatte die winzige Ansiedlung Noble etwa anderthalb Meilen hinter sich gebracht und ratterte jetzt die letzten acht Meilen hinüber nach Clay City. Es war ein beschwerlicher Weg, und Gil Waverly, der Mann auf dem Kutschbock, hatte genug zu tun, das schlingernde Gefährt heil über die kurvenreiche Strecke zu bringen. Hier in den Gebieten am Westrand von Illinois war der Boden steinig und oft nur mit einer hauchdünnen Sandschicht überdeckt. Das bedeutete, dass starker Regenfall die Straße schnell auswaschen und in ein Trümmerfeld verwandeln konnte. Auf und ab stieß die alte knarrende Diligence (Postkutsche) und schaukelte hin und her. Aber bald würde es ja geschafft sein. Doch wer hätte ahnen können, dass sich auf der kurzen Strecke nach Clay City noch eine so furchtbare Tragödie abspielen würde!

Shelby blickte unter halb gesenkten Augenlidern zu dem Mann hinüber, der drüben in der anderen Ecke des Passagierraums mit dem Rücken zur Fahrtrichtung saß. Es war ein noch junger Mann, vielleicht Mitte der Zwanzig. Er trug einen hellen Reiseanzug, einen tabakbraunen Texashut und neue Stiefel. Alles an ihm sah so aus, als wäre es gerade neu gekauft worden.

Die beiden Männer saßen einander bereits seit Olney schweigend gegenüber. Der junge Mann hatte als einziger Passagier in der Kutsche gesessen, als Shelby sie bestiegen hatte.

Als plötzlich ein Blitzschlag im Norden niederzuckte, hob der junge Mann den Kopf, wischte sich übers Gesicht und blickte dann den anderen an, der wie in sich zusammengesunken drüben in der dunklen Ecke saß und ihn fixierte. »Scheußliches Wetter für diese Jahreszeit, nicht wahr?«

Shelby nickte. Da beugte sich der andere nach vorne, tippte mit der Rechten grüßend an den Hutrand und sagte: »Mein Name ist Sanders. Cole Sanders.«

Shelby nickte erneut, dachte aber nicht daran, seinen eigenen Namen zu nennen.

Der junge Sanders deutete mit dem linken Daumen hinaus und meinte: »Das da ist schon das Clay County.«

»Ja, kann sein«, erwiderte Shelby einsilbig.

»Ich habe einen ziemlich weiten Weg gemacht, um hierherzukommen«, erklärte Sanders. »Ich komme drüben aus Kentucky, aus Lexington.« Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Wir haben lange überlegt, ob ich die Reise machen soll. Ich meine, meine Mutter und ich. Sie war seit dem Tod des Vaters mit mir allein.« Er senkte den Kopf und blickte auf seine Hände, als er weitersprach: »Als sie dann vor einem Monat plötzlich starb, da gab es nichts mehr, was mich drüben in Kentucky gehalten hätte.« Er hob den Kopf und blickte zum Fenster hinaus, während er weitersprach. »Hier im Clay County wohnt ein Bruder meines Vaters, Onkel John; er hat eine Ranch hier. Ich sollte ihn schon längst besuchen – das heißt –, ich kann bei ihm arbeiten, und ich muss froh sein, dass ich es kann.«

Es war eine Weile still, dann sagte der junge Sanders, der durch die Nähe seines Zielortes gesprächig geworden war: »Onkel John hat eine schöne Ranch, und weil er keine Söhne hat, hab' ich natürlich eine große Chance.«

Shelby, der bisher schweigend zugehört hatte, schien auf einmal interessiert zu sein. »Sind Sie schon einmal hier gewesen?«, fragte er.

Der andere schüttelte den Kopf. Die Kutsche fiel eben mit dem rechten Vorderrad in ein tiefes Schlagloch und Cole Sanders wurde gegen die Wand geschleudert. Er stieß sich lachend ab, setzte sich wieder auf seinem Sitz zurecht und antwortete: »Nein, ich bin noch nicht dort gewesen, aber wenn ich noch einige Meilen in diesem Schaukelkasten sitzen muss, ist es möglich, dass ich auch niemals ankommen werde.« Er ahnte nicht, auf welch unheilvolle Weise sich seine Worte bewahrheiten sollten.

Wieder öffneten sich Shelbys schmale Lippen. Mit seiner etwas zu hohen, krächzenden Stimme merkte er an: »Der Rancher wird schon keinen schlechten Griff getan haben. Solche Leute sehen sich ihre Pappenheimer immer an. Die Menschen am Rand des Westens sind sehr vorsichtig.«

Unbehaglich fuhr sich der junge Mann aus Kentucky über sein Kinn. »Nein, das ist es ja eben: Onkel John kennt mich nicht.«

Da beugte sich Shelby nach vorne, nahm die Linke aus der Tasche und stützte beide Hände auf die Knie. »Wollen Sie damit sagen, dass der Rancher Sie noch niemals gesehen hat?«

»Nein, kein Mensch kennt mich auf der Ranch. Aber ich habe zwei Briefe von meinem Onkel bei mir, und ich habe sie immer wieder studiert.«

»Und Sie – Sie haben ihm auch geschrieben?«

»Ja, aber ich bin leider kein großer Schreiber. Ich habe nur geschrieben, dass ich mit seinem Vorschlag einverstanden sei und gerne komme; und dass Mutter tot ist, habe ich ihm natürlich auch geschrieben.«

»Sonst nichts?«

Da hob Cole Sanders den Kopf und zog die Brauen etwas zusammen. Unbehagen stieg in ihm auf. Das war ja ein regelrechtes Verhör. Was fiel dem Mann bloß ein, ihn in dieser Weise auszuhorchen? Cole lehnte sich zurück gegen die harte Polsterung und blickte wieder hinaus. Die letzte Minute seines Lebens hatte begonnen, und der Uhrzeiger zog unaufhaltsam vorwärts.

Im Hirn des Flüchtlings Cassius Shelby hatte sich in Sekundenschnelle ein Gedanke festgesetzt: Das ist deine Chance! Das ist die Chance, deinem Verfolger zu entrinnen.

Denn Jerry Alsom war der gefährlichste Verfolger, den man sich denken konnte. Da hieß es, auch die kleinste Chance wahrzunehmen.

Cole Sanders hockte auf seinem Platz und blickte unverwandt hinaus. Noch war er gesund, und die frohen Gedanken, die von den kurzen bohrenden Fragen des anderen unterbrochen worden waren, wandten sich wieder dem vor ihm liegenden Ziel zu: Der Sanders-Ranch.

Der Mann drüben in der anderen Wagenecke hatte plötzlich mit der Rechten an seine Hüfte gegriffen und einen großen 38er Remington-Revolver hervorgezogen. Er hob ihn an und richtete ihn auf den jungen Sanders.

Draußen konnte man kurz einen alten Meilenstein sehen, auf dem stand, dass es noch sechs Meilen bis Clay City wären. So grausam diese verrinnende Minute für den jungen Cole Sanders aus Lexington im Staate Kentucky endete, so entscheidend war sie für den Mann, der sich mit hölzernen Bewegungen anschickte, einen Mord zu begehen.

Vor einunddreißig Jahren war Cassius Shelby am Nordrand der Stadt Nashville im Staate Tennessee als Sohn eines Handschuhmachers auf die Welt gekommen. Die Eltern wurden dem damals erst Sechsjährigen von einer Seuche genommen, und eine Tante oben im Nachbarstaat Kentucky hatte ihn aufgezogen. Der Ort hieß Richmond und war etwa fünfundzwanzig Meilen von Lexington entfernt, von jener Stadt, aus der der junge Cole Sanders kam. Diese Tatsache war es, die den Kreis für den Desperado aus Nashville schloss.

In diesem Augenblick ging ein Blitzschlag nieder, und Sanders beugte sich etwas weiter nach vorne, sodass er dem Mann, der ihn in den Tod schicken wollte, die rechte Seite zukehrte, eine Position, die für Shelby ungünstig war. »Sanders!«, krächzte er mit scharfer Stimme.

Der junge Mann fuhr herum, und im selben Moment, in dem draußen durch den Regenschleier wieder ein zuckender Blitz die Savanne erhellte, brüllte ihm ein Schuss entgegen. Cole Sanders bekam einen Stoß und prallte in die Wagenecke zurück. Aus weit aufgerissenen Augen und mit geöffnetem Mund lag er da und starrte den Mann, der auf ihn geschossen hatte, fassungslos an.

Wieder zuckte ein Blitzstrahl nieder, und mit eisiger Kaltblütigkeit zog der Outlaw aus Nashville noch einmal den Stecher durch. Der Körper des Getroffenen erhielt noch einen Stoß; fahlgraue Blässe hatte das Gesicht Cole Sanders jetzt bedeckt, und mit einem röchelnden Laut sackte er zusammen.

Der Mörder handelte blitzschnell. Er stieß den Wagenschlag auf und zerrte den Körper des Ermordeten hinaus. Dann reckte er seinen Schädel hoch, um den Mann auf dem Kutschbock anzuvisieren. Scharf schlugen ihm Regen und Fahrtwind ins Gesicht. Da hob er den Revolver und feuerte: Einmal, zweimal, dreimal.

Der grauhaarige Gil Waverley auf dem Kutschbock wurde von der ersten Kugel nach vorne gerissen, und, schon im Fallen, trafen ihn die beiden anderen Kugeln. Erst die dritte war tödlich.

Shelby wand sich aus dem Wagenschlag heraus, packte das Eisengestänge der Kutscherlehne, zog sich daran hoch – und wäre fast abgerutscht, da bei einem Blitz, der in unmittelbarer Nähe der Landstraße niederging, die Pferde scheuten und ausbrechen wollten. Hemmungslos jagten sie jetzt in panischer Hast vorwärts.

Shelby hatte den Kutschbock erreicht, griff nach der Zügelleine, aber in diesem Augenblick rutschte sie vorne über das Stiefelbrett und fiel auf die Deichsel hinunter. Da krampfte der Gangster die Hände ineinander und starrte aus schmalen Augen auf die auf- und niedertanzenden Pferderücken.

Da! Wieder ein Blitz, und diesmal schlug er genau vor ihm auf dem Weg ein. Die beiden vorderen Pferde stemmten sich mit allen vieren in die matschige Straße. Die zwei anderen drängten nach, wollten ausbrechen und kamen schließlich doch zum Stehen.

Benommen stieg der Gangster ab, packte den Körper des toten Drivers und zerrte ihn vom Bodenbrett auf die Straße. Shelby ging an der Overland vorbei, hob seinen Hut auf, der in einer riesigen Pfütze lag, und ging weiter. Und schon hatte er die Tiefe der nächsten Pfütze unterschätzt, stolperte und stürzte. Triefend vor Nässe richtete er sich auf und stieß einen Fluch durch die Zähne. Fast dreißig Schritt von ihm entfernt lag der verkrümmte Körper des anderen Mannes, den er aus dem Wagen gestoßen hatte. War auch er tot?

Shelby verlangsamte seinen Schritt und nahm den Revolver, den er nach den Todesschüssen auf den Kutscher wieder ins Holster geschoben hatte, erneut heraus. Langsam näherte er sich dem reglosen Körper des Kentucky-Mannes.

Cole Sanders lag mit dem Gesicht auf der Erde.

Der Gangster bückte sich, zog ihn mit der Linken herum und blickte in seine Augen. Da ging ein Zucken über das Gesicht des Niedergeschossenen. Die geschlossenen Augen öffneten sich, und wie aus unendlich weiter Ferne schien der Blick zu kommen, der Shelby traf. Der presste die Lippen zusammen und stieß den Revolver nach vorne. Aber ehe er den Stecher durchziehen konnte, fiel der Kopf seines Opfers zur Seite.

Cole Sanders war tot.

Shelby schob den Colt ins Holster, packte den Toten, lud ihn sich auf die Schulter und schleppte ihn zum Wagen, neben den Körper des Drivers. Dann stieg er auf den Kutschbock und holte aus dem Sitzkasten eine Schaufel heraus. Doch plötzlich überlegte er es sich anders, warf die Schaufel in den Sitzkasten zurück, packte die beiden Toten und legte sie nebeneinander in den Wagenfond auf das Bodenbrett des Passagierraumes. Den Driver Waverley so, wie er gestorben war, und den Mann aus Kentucky in der Kleidung, die er, der Verbrecher Shelby, bis jetzt getragen hatte. Den neuen hellen Anzug von Cole Sanders hatte er selbst angezogen.

Eine ganze Weile stand er vor dem Wagenschlag, den Oberkörper wegen des Regens in das Innere des Wagens vorgebeugt, und las die beiden Briefe, die der Rancher John Sanders an seinen Neffen in Kentucky geschrieben hatte. Dann stieg er auf den Kutschbock und brachte die Pferde wieder in Gang. Das Unwetter hatte etwas nachgelassen, jedenfalls das Gewitter. Der Regen fiel in unverminderter Stärke nieder. Und es waren noch über fünf Meilen bis zur Stadt.

Als die Overland-Kutsche schließlich in die Mainstreet rollte, stand vor der Poststation ein schnauzbärtiger Mann mit einem Stern. Es war Sheriff Dabbers. Mit verwunderten Blicken beobachtete er den Mann auf dem Kutschbock, wandte sich dann zur Seite und rief in die offen stehende Tür der Postmeisterei: »He, Hal, habt ihr einen neuen Driver?«

»Nicht dass ich wüsste«, kam es von drinnen zurück. »Ist es denn nicht Waverley?«

»Nein, der Mann auf dem Kutschbock ist kaum halb so alt wie Gil.«

Da hielt die Overland an der Rampe. Mit steifen Bewegungen kletterte Shelby vom Kutschbock. Aber er kam nicht auf die Postmeisterei zu, sondern öffnete den Wagenschlag und zerrte zum eisigen Schrecken des Sheriffs und des dazugekommenen Postmasters den toten Driver auf die Holzplanken der Rampe. »Der andere liegt da drinnen«, erklärte er mit schnarrender Stimme und wischte sich mit der linken Hand über das schweißnasse Gesicht.

Der Sheriff schluckte, wechselte einen Blick mit dem Postmaster und kam dann auf Shelby zu. »Ich bin der Sheriff.«

Der Verbrecher maß ihn mit einem fast verächtlichen Blick. »Das ist kaum zu übersehen. Mein Name ist ... Sanders. Cole Sanders. Ich komme aus Kentucky.«

Wieder wechselte der Sheriff einen Blick mit dem Postmaster, zog sich dann den Hut tiefer in die Stirn, blickte auf den Driver nieder und fragte benommen: »Was ist denn geschehen?«

Die Frage war sinnlos. Der Sheriff spürte es sofort. Dennoch entgegnete Shelby: »Wir sind überfallen worden. Es war ein einzelner Mann. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen. Er schoss den Driver vom Kutschbock, und als dieser Mann da auf ihn feuerte, wurde auch er erwischt.«

»Und Sie?«, brach es da von den Lippen des Sheriffs.

»Ich habe ihm mehrere Kugeln nachgeschickt, aber er war zu schnell und der Regen zu dicht. Die Blitze lagen auf der Straße.« Bisher hatte er seine neue Rolle mit eisiger Kühle durchgestanden. Jetzt aber wurde ihm unter dem Blick des Gesetzmannes unbehaglich zumute. Er wandte sich ab, ging mit staksigen Schritten an den beiden vorbei und verließ am Ende der Rampe die Holzbohlen; ging das Stück zwischen der Häuserlücke durch den triefenden Regen und stieg an der Seite die drei Stufen zum nächsten Gehsteig hinauf, der ebenfalls überdacht war und zu Betty Gilberts »Golden Hands Saloon« gehörte.

Die beiden andern blickten hinter ihm her. Schließlich meinte der Postmaster: »Moment mal, wie war sein Name?«

»Er nannte sich Sanders.«

»Sanders. Cole Sanders. Damned, das ist doch der Mann, auf den sie draußen auf der Ranch warten.«

»Richtig«, erinnerte sich der Sheriff. John Sanders hatte auch ihm vor ein paar Tagen erzählt, dass sich jetzt bald einiges auf der Ranch ändern würde, denn sein Neffe aus Kentucky würde kommen. Der sollte ein hoffnungsvoller, gesunder junger Mann sein – und ein Rancher ohne Sohn war in diesem Land so verloren wie ein Mann ohne Colt.

Indessen hatte Shelby die Schenke betreten, blickte in den mit einer völlig unpassenden Eleganz ausgestatteten Raum und hielt auf die Theke zu. Da lehnten nur zwei Männer, die um diese frühe Vormittagsstunde bereits ihren ersten Drink nahmen.

Hinter der Theke stand eine hagere, lang aufgeschossene Frau mit einem schmalen Gesicht, einer gebogenen Nase und dunklen Augen. Ihr Oberkiefer stand etwas vor, und das Kinn war zu klein. Ihr schwarzes Haar hing ihr strähnig ins Gesicht und war hinten nur schlecht in einem Knoten zusammengefasst. Betty Gilbert war erst achtunddreißig, wirkte aber zehn Jahre älter. Sie hatte vieles durchgemacht, ihren Mann sehr früh durch eine Krankheit verloren; und erst im vergangenen Jahr hatte sie ihren einzigen Sohn, den siebzehnjährigen Gary, nach einer Schießerei unter die Erde bringen müssen. Seitdem führte sie die Schenke hier mehr schlecht als recht allein. Die Männer sprangen in entsprechender Weise mit ihr um, und allmählich begann sie, sich an ihre derben Späße zu gewöhnen. Das Schicksal ging mit den Menschen in diesem Land nicht zimperlich um, und wen es in den Westen verschlagen hatte, der musste sich auf alles gefasst machen. »Was war denn mit dem Wagen los?«, wandte sich die Frau an den Fremden, der die Schenke eben betreten hatte.

Shelby trat an die Theke heran und stieß durch seinen schmallippigen kleinen Mund ein »Whisky« hervor.

Die Barkeeperin zog ein Glas heran, goss den Drink hinein und schob ihn dem Mann maulend zu. Der kippte den Whisky, warf das Geld auf das schwere Thekenholz, blieb aber noch stehen. Von hier aus konnte er durch den gewaltigen Spiegel über den Flaschenborden den ganzen Schankraum sowie auch den Eingang und sogar noch ein Stück von der Straße beobachten.

Er sah, wie der Sheriff und der greise Postmaster den mageren Körper des toten Drivers über die Straße schleppten. Sie stampften durch die Pfützen zu einem Schuppen hinüber, der drüben etwas von der Straße zurückstand. Nach einer Minute kamen sie zurück. Mit hängenden Armen und gesenkten Köpfen passierten sie wieder die Wasserpfützen auf der Mainstreet und holten den anderen Toten ab. Einen Mann, den sie nicht kannten.

Als auch Sanders drüben im Totenschuppen lag, kam der Sheriff auf die Schenke zu. Er stieß die beiden Schwingarme der Tür auseinander, senkte den Kopf und ließ sich einen ganzen Regenbach vom Hut laufen.

Shelby beobachtete ihn unter halbgesenkten Lidern im Thekenspiegel. Der Sheriff kam heran und blieb hinter ihm stehen. »He ...«

Ganz langsam wandte Shelby sich um und blickte in das Gesicht des Gesetzesmannes.

»Wo, sagten Sie, kommen Sie her, Mister?«, fragte der Sheriff.

»Aus Kentucky. Lexington in Kentucky.«

»Und Sanders heißen Sie?«

»Ja. Warum?«

»Hier in der Nähe der Stadt lebt ein John Sanders, der auf seinen Neffen wartet. Auf einen Mann, der aus Kentucky kommen soll.«

Shelby schob sich einen dünnen schwarzen Zigarillo zwischen die gelben Zähne, riss ein Zündholz unter der Theke an und brachte es an die festgerollten Tabakblätter. Erst als er den Zigarillo in Brand gesetzt hatte, sagte er mit seiner etwas zu hohen, krächzenden Stimme: »Das bin ich.«

Es war einen Moment still geworden in der Schenke. Die beiden Männer nebenan blickten auf den Sheriff und den Ankömmling. Die Barkeeperin hatte das linke Auge eingekniffen und den Mundwinkel etwas angezogen; auch sie war ganz Aufmerksamkeit.

»Tja, Mr. Sanders, das war ein bitterer Empfang, den Ihnen das Clay County da bereitet hat. Aber ich kann nur sagen, dass es so etwas seit langer Zeit hier nicht mehr gegeben hat.«

»Seit langer Zeit?«, kam es da krächzend von den Lippen der Frau hinter der Theke. »Erst im vergangenen Jahr habt ihr meinen Jungen von der Straße geschleppt. Tot, mit zerschossenem Schädel! Ein Verbrechernest ist es, dieses Clay City!«

»Mrs. Gilbert, es tut mir leid, dass Ihr Sohn sich mit den Draegers in eine Schießerei eingelassen hat. Vielleicht wäre sonst ...«