Wildwest-Roman – Unsterbliche Helden 30 - Jonny Kent - E-Book

Wildwest-Roman – Unsterbliche Helden 30 E-Book

Jonny Kent

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Beschreibung

Eigentlich hat Jack Farland nur seine Wasserflasche in Lees Summit, dem kleinen Städtchen am westlichen Rande Missouris, füllen wollen. Doch dabei bleibt es nicht. Zwei geheimnisvolle Morde und ein Angriff auch auf Farland selbst wären nun allemal Grund genug gewesen, um den Ort gleich zu verlassen. Aber als plötzlich die betörende Esther auftaucht, ist es um den Ohioman geschehen. Und auch sonst scheinen sich ganz neue Perspektiven aufzutun. Denn eines der Mordopfer ist Sheriff Amper, und der starke Mann der Stadt und gleichzeitig Esthers Bruder, Chester Lee, sieht in Farland den idealen Nachfolger. So glaubt der Mann vom Eriesee schon, dass es das Schicksal endlich einmal gut mit ihm meinen könnte. Das ist allerdings ein ganz bitterer Irrtum, wie sich schon bald zeigen wird ...


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Inhalt

Cover

Mit gezinkten Karten

Vorschau

Impressum

Mit gezinkten Karten

Von Jonny Kent

Schlingernd rumpelte die schwere Überlandkutsche in die kleine Westernstadt ein. Der schnauzbärtige Fahrer kletterte mit hölzernen Bewegungen vom Kutschbock, stieg auf die Rampe der Wells Fargo Station und stieß sich den Hut aus der Stirn. Sein erster Blick galt der Schenke, die gleich nebenan lag.

Jetzt öffnete sich der Wagenschlag der alten Overland-Kutsche zur Straße hin, und der Blick des Mannes, der ausstieg, schweifte über die farblosen Häusergiebel, die die staubige Straße säumten. Verzweiflung sprang ihn an. Er stellte seine schwere Reisetasche ab und wischte sich mit dem Rockärmel den Schweiß aus dem Gesicht ...

Wie viele hundert Meilen war er nun wohl gefahren, ohne irgendwo auf einen grünen Zweig zu kommen? Zu viele, bei zu wenig Erfolg. Die Leute drüben in der Fabrik in St. Louis stellten es sich zu leicht vor, den Bewohnern der graubraunen Kistenholzstädte im Westen etwas zu verkaufen. Wer hatte schon Bedarf an neuen Tafelbestecks? Die Leute hatten ihr Zeug noch von den Eltern, Großeltern oder Schwiegereltern, und damit würde man auch noch weitere fünfzig Jahre auskommen, so unbegreiflich es denen drüben in St. Louis erscheinen mochte.

Albin Cordes war darüber sechsundvierzig Jahre alt geworden. Ein Reisevertreter ohne Erfolg. Nachdem er erst in St. Louis selbst jahrelang glücklos herumgelaufen war, hatten sie ihn in die sogenannte Provinz geschickt. Da verkaufte er dann hin und wieder etwas. Es gab doch immer ein paar Leute, die sich neue Gabeln, Löffel und Messer zulegten, sogar welche, die sich Kaffeelöffel anschafften.

Und als sie das in der Fabrik merkten, schickten sie die besseren Reisevertreter in die »gesunden« Gegenden, wie sie es nannten. Der verbrauchte Albin Cordes aber wurde zum Chef gerufen, und der erklärte ihm mit dreister Frechheit: »Wir haben Sie für größere Aufgaben ausersehen, Mr. Cordes: Sie werden den Westen für uns erobern. Wenn man da drüben etwas braucht, dann sind es Bestecks.«

Aber genau das war ein Irrtum. Jenseits der unsichtbaren Stacheldraht-Grenze zum Wilden Westen klammerten sich die Leute an das, was sie hatten. Weiter und weiter war der Handelsvertreter vorgedrungen, in der Hoffnung, doch irgendwo eine Oase zu finden, in der Menschen wohnten, die noch gar keine Bestecks hatten.

Cordes richtete den Blick jetzt auf die verwitterte Fassade eines großen Hauses, an dem oben an der Balustrade ein riesiges Schild mit der protzigen Aufschrift Hotel angebracht war.

Er nahm seine bleischwere Tasche auf und ging mit müden Schritten auf das Hotel zu.

Angenehme Kühle schlug ihm in der Halle entgegen. Das war etwas, was er an den Holzhäusern des Westens schätzte: Wenn es draußen kalt war, waren sie innen schön warm, und wenn es – wie heute –, draußen brütend heiß war, schlug einem drinnen angenehme Kühle entgegen.

Er hielt auf das Rezeptionspult zu, wo er eine Frau stehen sah. Sie hatte ihm den Rücken zugekehrt und schien angenehme, rundliche Formen zu haben. Sein von der erfolglosen Reise und dem ewigen Geschaukel in der Kutsche stark mitgenommenes Selbstbewusstsein regte sich. Er reckte sich auf, nahm den verschwitzten Hut ab und fuhr sich durch sein schütter gewordenes Haar. »Hallo, Miss!«

Da wandte die Frau den Kopf.

Der Handelsvertreter aus St. Louis erschrak, denn er blickte in ein aufgedunsenes Gesicht mit großporiger Haut und schweren Augensäcken. Farblose Augen musterten ihn abweisend. Der Blick der Frau haftete auf seiner schweren Reisetasche. »Was wollen Sie?« Offenbar hatte sie einen Blick für ihre Gäste. Diesem Mann und vor allem seinem Gepäck war anzusehen, dass er ein Handelsvertreter war.

Cordes sank seelisch in sich zusammen. »Wie sieht es mit einem Zimmer aus?«, fragte er mutlos.

»Ein Dollar pro Nacht. Das Bett muss selbst gemacht werden. Morgenkaffee ist im Preis enthalten.«

Im Bett?, hätte er am liebsten in aufsteigendem Ärger gefragt. Ein Dollar pro Nacht, das war eine bare Unverschämtheit in einem fünftklassigen Haus, selbst wenn das Frühstück inklusive war. Aber er hatte ja keine Wahl. In diesem Nest gab es höchstwahrscheinlich keine andere Unterkunftsmöglichkeit. »Ich nehme es«, sagte er müde.

Die Frau ergriff ein großes Buch, das in schwarzes Leinen eingebunden war, schlug eine Seite in der Mitte auf und deutete unter den letzten Namen, der da stand.

John Harrison, in Getreidegeschäften hier, von Nebraska kommend, stand da. Daneben das Datum.

Dieser John Harrison hatte eine Schrift wie ein Mann, der Erfolg hatte, jedenfalls schien es dem erfolglosen Besteckvertreter so. Er nahm die Feder, tauchte sie in das Tintenfass und hielt plötzlich inne. Dann flog ein hämisches Lächeln über sein Gesicht. Er setzte die Feder an und schrieb mit weitausholender protziger Schrift: Dr. Albin Cordes, Arzt aus New York, auf der Reise zu Gouverneur Jefferson in California.

Als er sich aufrichtete, zerrte ihm die Frau das Gästebuch weg, nahm mit einem blitzschnellen Griff einen Klemmer aus einer Schublade, setzte ihn auf die Nasenwurzel und beugte sich tief über das Geschreibsel.

Fast wäre ihr das Buch aus der Hand gefallen. »Oh!«, sagte sie auf einmal geziert, während sie sich aufrichtete. »Es ist uns eine Ehre, Doktor, Sie bei uns zu sehen. Sie wollen gewiss nach Kalifornien, um in die Dienste des dortigen Gouverneurs zu treten?«

»Ganz recht. Dürfte ich jetzt um meinen Zimmerschlüssel bitten?«

Die Frau hatte schon den Schlüssel zur ehemaligen Besenkammer in der Hand gehabt, tauschte ihn aber jetzt rasch mit dem von Nummer sieben, dem besten Zimmer des zurzeit wieder einmal völlig leeren Hauses.

»Übrigens, es kostet für so honorable Gäste nur fünfzig Cents die Nacht, Bettenmachen und reichhaltiger Morgenkaffee inbegriffen. Sicher werden Sie einige Tage bleiben. Die meisten Gentlemen, die hier Station machen, bleiben ein paar Tage hier. Lees Summit ist besonders schön. Wir haben eine ausgezeichnete Luft hier und ein Spielkasino, das in der ganzen Gegend bestens bekannt ist.«

Das würgende Gefühl war aus der Kehle des Handelsvertreters gewichen. Wie leicht man sich doch mit einer kleinen Lüge einen Anstrich geben konnte, der das Lebensgefühl erhöhte. Noch vor zwei Minuten hatte er den erstickenden Gedanken in sich aufsteigen gefühlt, der ihn in den vergangenen Wochen immer wieder überkommen war: Der Gedanke an den Revolver, den er an seiner rechten Hüfte trug.

Es war eine uralte Smith and Wesson-Kanone vom Kaliber .38 mit einem abgegriffenen Hirschhornknauf und brüniertem langem Lauf. Er hatte sie drüben in St. Louis gekauft, nachdem ihn in einer Bar zwei alte Trapper mit ihren Erzählungen aus dem Goldenen Westen zutiefst erschreckt hatten.

Ein Mann ohne Colt ist ein toter Mann im Westen! Diese Weisheit, die zweifellos etwas für sich hatte, war ihnen leicht von den Lippen gegangen – mit dem Erfolg, dass der Handelsvertreter dem einen das alte Schießeisen abgekauft hatte. Für sauer verdiente fünfzehn Dollar.

Nicht einen einzigen Schuss hatte er bisher aus der Waffe abgegeben, obgleich ihm der alte Trapper die Handhabung eine volle Stunde lang erklärt hatte – bei Drinks, die natürlich Cordes bezahlt hatte.

Er würde aber noch einen Schuss daraus abgeben. Je weiter er nach Westen vordrang, desto deutlicher stieg dieser Gedanke in ihm auf. Einen einzigen Schuss, und vielleicht würde er ihn selbst kaum noch hören.

Wenn er irgendwo ein paar Artikel verkauft hatte, schrieb er sofort an die Fabrik. Die aber überwies ihm seine Prozente erst, wenn der Kunde gezahlt hatte. Bei so einer Geschäftsverbindung musste man ja verhungern! Hätte er nicht vor zwei Monaten in der neuen Ansiedlung drüben bei Kay East für ein paar hundert Dollar Ware verkauft, so wäre er schon längst bei der Kugel angekommen.

In der Fabrik aber mussten sie völlig verrückt geworden sein. Sie hatten ihm mitgeteilt, dass sie bei so geringen Verkäufen weniger Prozente zahlen würden.

Er war praktisch am Ende. In Lexington, sechsunddreißig Meilen von hier, hatte er seinen letzten Eagle angebrochen. Wenn kein Wunder geschah, würde hier seine letzte Station sein.

Er war fest entschlossen, die staubige Stadt Lees Summit nicht mehr zu verlassen. Entweder brachte er jetzt ein größeres Geschäft auf die Beine, oder sie schaufelten ihm hier eine Grube. Mit Schaudern hatte er von der Postkutsche aus vor der Stadt den kleinen kahlen Hügel mit den Kreuzen gesehen, mit den schiefen, uralten Steinen und dem verdorrten Baum. Es musste fürchterlich sein, auf solch einem Stiefelhügel verscharrt zu werden.

Aber war es nicht völlig einerlei, wo man in die Erde gebuddelt wurde? Lag etwa der Präsident in Arlington besser als ein armer, elender Handelsvertreter in der rotbraunen Erde von Lees Summit am westlichen Rand von Missouri?

»Wünschen Sie auch im Haus zu essen, Dr. Cordes?«, rief ihm die Frau nach, als er schon auf der Treppe war.

Essen im Haus? Kein schlechter Gedanke. Es wurde auf die Rechnung geschrieben, und die konnten sie einem Toten kaum noch präsentieren. »Ja, ja, natürlich«, antwortete er schnell. »Und lassen Sie mir eine Flasche Scotch aufs Zimmer bringen.«

Die Frau warf ihm einen lüsternen Blick zu. Scotch trank er natürlich, der Herr Doktor. Ihr eigenes Lieblingsgetränk. Seit ihr Verblichener nicht mehr hier herumgeisterte, konnte sie sich fast ungehemmt dieser, ihrer größten Leidenschaft hingeben. Der Alkohol hatte ihre Jugend zernagt, ihr Gesicht aufgeschwemmt und ihre Gesundheit zerfressen.

Wenn sie nachher mit der Flasche hinaufging, würde sie zwei Gläser mitnehmen. Wer konnte schon wissen, was sich noch alles ergab. Schließlich war ein Doktor aus dem fernen New York interessanter als jeder Mann hier in diesem gottverlassenen Nest.

Aber als Laura Donegan nach einer Viertelstunde mit dem Whisky vor der Tür zu Nummer sieben stand, anklopfte und dann, ohne die Antwort abzuwarten, öffnete, fand sie das Zimmer leer vor.

Die große Reisetasche stand da. Aber der Doktor war verschwunden. Sie blieb vor dem halbblinden Spiegel stehen und betrachtete ihr frisch gepudertes, allzu früh verwelktes Gesicht, das sie aus dem Glas wie eine Bajazzo-Puppe anstarrte.

»Dann eben nicht!« Sie entkorkte die Flasche und goss sich ein halbes Wasserglas voll ein. In hastigen Schlucken stürzte sie das scharfe Getränk ihre durstige Kehle hinunter.

Als sie das geleerte Glas absetzte, blieb ihr Blick auf der großen, abgeschabten Reisetasche haften. Sie war mit einem kleinen Schloss versehen. Aber Laura Donegan hätte nicht seit anderthalb Jahrzehnten die Zimmer ihrer Gäste inspiziert, wenn so ein lächerliches kleines Schloss ein Hindernis für sie gewesen wäre.

Sie zog eine Haarnadel aus ihrem hinten aufgesteckten, klebrigen Haar, bog sie zurecht, und schon nach wenigen Augenblicken sprang das kleine Schloss auf.

Ihre kundigen Finger durchforsteten die Wäschestücke und gelangten schließlich an eine Schachtel. Sie zog sie heraus. Es war ein schwarzes, mit Leder bezogenes Etui. Sie öffnete es und sah im blauen Samt ein silbernes Besteck.

Heavens! Der Doktor hatte sein eigenes Besteck mitgenommen. Er musste nicht nur ein sehr wohlhabender, sondern vor allem auch ein sehr eigener Mann sein.

Rasch schob sie das Etui in die Tasche zurück, brachte mit unerhörtem Geschick das Schloss wieder zu und stand vor dem Spiegel, um ihr vom Whiskygenuss erhitztes Gesicht zu betrachten. Schließlich streckte sie sich selbst die Zunge heraus und zog eine Grimasse.

Sie würde ihn heute Abend schon nicht verpassen, wenn er durch die Halle ging. Es würde ein feuchtfröhlicher Abend werden, bei dem am Ende für sie gewiss noch eine hübsche Stange Geld heraussprang. Ein so feiner Mann, der mit seinem eigenen Silberbesteck reiste, der würde kaum knauserig sein.

Dass unter den anderen Wäschestücken noch sieben weitere schwarze Etuis lagen, die auf rotem und auf blauem Samt Besteckmuster enthielten, war ihr entgangen.

Der Verzweifelte, der sich in einem Anfall von Galgenhumor ein Ansehen hatte geben wollen, verstand sich besser auf die Blicke der Menschen. Vor allem auf die der Frauen, mit denen er von Berufs wegen schon am meisten zu tun hatte.

Er hatte den Blick der Hotelbesitzerin richtig gedeutet, als sie seinen Wunsch nach einem Scotch entgegengenommen hatte. Sie war wie eine Spinne, die sich auf ihn stürzen würde, um ihn auszusaugen wie eine Fliege im Netz. Oh, er kannte sich aus mit den Weibern. Unter den Hunderten und Aberhunderten, an deren Türen er gestanden hatte, waren alle Arten vertreten gewesen. Auch diese. Echte Freude hatte er nur selten gefunden. So war er zu dem bitteren Schluss gekommen, dass es am besten wäre, dem Rat Napoleons zu folgen und den einzig sicheren Sieg über die Frauen in der Flucht zu suchen.

Er hatte also nicht abgewartet, bis die lüsterne Frau ihm den Whisky bringen würde, sondern war leise hinuntergegangen, hatte das Hotel durch den Hof verlassen und stand schließlich vorne auf dem hölzernen Gehsteig, um lustlos die Straße hinunterzublicken.

Damned, er brauchte einen Drink. Drüben war eine Schenke. Er überquerte die Straße, stieß die Tür der Bar auf und blickte in einen verräucherten Raum, der schlauchartig lang war und im Halbdämmer des Nachmittags öde vor ihm lag.

Als er an einem der Fenstertische Platz genommen hatte und zufällig einen Blick zum Hotel hinüberwarf, sah er drüben an einem der oberen Fenster das aufgedunsene Gesicht der Frau. Sie war damit beschäftigt, ihr Haar zurechtzumachen.

Er hatte sich also nicht getäuscht!

An der Theke stand ein untersetzter Mensch mit einem Affenschädel und abstehenden Segelohren. Er trug graues Leinenzeug und ein kragenloses blaues Hemd. Den breitrandigen Hut hatte er tief in die Stirn geschoben. Lässig lehnte er an dem ziemlich hohen Schanktisch und musterte den neu Eingetretenen. »Fremd in der Stadt?«

Cordes nickte uninteressiert.

Aber der andere entgegnete unverdrossen: »Es sieht armseliger aus, unser altes Lees Summit, als es ist.«

»Ja, kann sein.«

»Nein, es ist sogar bestimmt so.«

Cordes ahnte nicht, dass er da dicht vor dem Netz einer anderen Spinne stand. Einer Kreuzspinne, die weitaus gefährlicher war als die hinter der verwitterten Fassade des Hotels.

Greg Gabbott war ein Spieler. Eine jener Kreaturen, die sich vorgenommen hatte, keine Hand zur Arbeit zu rühren und ihr Geld mühelos aus fremder Leute Taschen zu beziehen. Dass das nicht mit einwandfreiem Spielgebaren zu erreichen war, war klar.

Man hätte meinen können, dass in einem Nest wie Lees Summit für solche Figuren nur wenig zu holen gewesen wäre. Aber das war ein Irrtum. Die vielen Ranches in der Umgebung spien ihre Cowboys immer wieder aus in die kleine Stadt, und zudem herrschte hier vor allem der Durchgangsverkehr nach dem nahegelegenen Kansas City. Da blieb immer etwas hängen für die Spieler.

Gabbott war kein Einzelgänger. Dafür reichte es bei ihm nicht. Er gehörte zu einem Team, zu einer Crew, deren Boss ein seltsamer Mann namens Chester Lee war. Lee war vor drei Jahren in die Stadt gekommen, hatte sie im Sturm an sich gerissen und ihr schließlich sogar seinen Namen gegeben.

Denn vorher hatte die Ansiedlung Little Essex geheißen, weil sie von ausgewanderten Engländern aus der Grafschaft Essex gegründet worden war. Sie lebten größtenteils immer noch, die Herren Gründer, aber keiner hatte den Mut aufgebracht, sich gegen den neuen Boss zu stellen – mit einer Ausnahme vielleicht: Joe Amper, der Sheriff.

Chester Lee war der Beherrscher der Stadt. Ihm gehörten der Moonlight Saloon und der Mietstall. Aber dennoch schien der Unersättliche nicht zufrieden zu sein. Er hatte zum Zweck der mühelosen Auffüllung seiner Kasse eine Spieler-Crew gebildet.

Sechs Männer, von denen einer immer in der Kneipe zu stehen hatte. Sie lösten einander nach zwei Stunden ab – und wenn der eine den anderen beim Spiel vorfand, hatte er zu bleiben, entweder mit einzusteigen oder nach einem weiteren Opfer Ausschau zu halten.

Es waren nicht die Besten, die der King von Lees Summit da um sich geschart hatte. Greg Gabbott beispielsweise war ein ehemaliger Huf- und Nagelschmied aus einem unbekannten Winkel Tennessees, der mehrere Jahre wegen Betruges in Knoxville im Straflager gesessen hatte.

Als er nach Lees Summit gekommen war, hatte er seine letzte Station erreicht. Fast freudig hatte er nach dem Strohhalm gegriffen, den der rigorose Saloon-Besitzer ihm mit dem Job hingehalten hatte. Er hatte sich dann zu den fünf anderen Männern gereiht, die nicht nur die Spielergilde der Stadt bildeten, sondern gleichzeitig auch die Leibwache des zu Wohlstand, wenn auch nicht zu Ansehen gekommenen Schankwirtes.

Wäre er doch nur eine Station weitergefahren, der unselige Handelsreisende Cordes.

Gabbott fixierte ihn scharf. Eine innere Erregung hatte ihn erfasst. Es wurde Zeit, dass er endlich etwas anschaffte, denn der Boss hatte ihn schon auf der Abschussliste stehen. Das spürte er deutlich, weil er einfach zu wenig Geld einbrachte. Sie schusterten ihm aber auch die schlechtesten Tagesstunden als Dienst zu, die anderen. Wann kam denn um den frühen Nachmittag herum schon mal einer in die Bar, den man rupfen konnte?

Er stieß sich von der Theke ab und spürte dabei, dass seine Hände feucht waren. Mit seinen vierunddreißig Jahren war er nicht mehr der Jüngste, und als er jetzt merkte, wie erregt er war, wurde er wütend auf sich selbst.

Ich muss diesem Hering da das Fell gehörig über die Ohren ziehen, sonst halftert der Boss mich heute noch ab, zumal ich gestern und vorgestern die Hilton Cowboys, die am Nachmittag hier waren, nicht genug schröpfen konnte, dachte er. Diese knausrige Bande spielt nur um Cents.

Es war zum Auswachsen!

»Wo kommen wir denn her, Master?«

Diese Anrede hasste Cordes, und er war lange genug durch dieses Land gezogen, um sich nicht nur auf Frauenaugen zu verstehen. Der Mann wollte spielen.

Gabbott zog sich einen Stuhl heran und ließ sich rittlings darauf nieder. »Langweilig?«

»Es geht.«

»Mischen wir einen?«

Cordes verspürte wenig Lust dazu, aber da das Pokerspiel die einzige Nebenquelle war, aus der er bisweilen noch ein paar Dollars schöpfen konnte, um sich vor dem Verhungern zu bewahren, sah er auch jetzt keinen Grund, das Angebot auszuschlagen. »Meinetwegen.«

Gabbott rutschte nur zu bereitwillig an den Tisch, schnippte mit den Fingern, und der blasse Bursche hinter der Bar nahm mit einem viel zu schnellen Griff ein Kartenspiel aus dem Flaschenbord.

Cordes wusste jetzt, wie es hier lief. Aber er wusste dennoch nicht genug von Chester Lees' Moonlight Saloon.

»Was setzen wir ein?«, fragte Gabbott.

Cordes sah das Zucken in Gabbotts Gesicht und das Lauern in seinen Augen.

Du irrst dich, Boy, ich bin es, der die Dollars braucht, dachte er. »Einen halben Dollar.«

»So hart steigen Sie gleich ein?« Gabbott tat verblüfft.

Das erste Spiel gewann Gabbott. Das zweite ging an Cordes, der seinen Halben zurückgewann. Im dritten Spiel hatte er einen halben Dollar gewonnen und im vierten setzte Gabbott mit schweißnasser Stirn einen vollen Dollar – und verlor.

Sieben Dollar hatte der Handelsvertreter Albin Cordes nach einer Stunde aus dem Double-Poker gerissen.

Da bellte Gabbott mit heiserer Stimme: »Im nächsten Gang setze ich fünf.«

Er verlor. Bleierne Blässe bedeckte sein Gesicht. Er blickte sich nach dem Keeper um. »Wo bleibt der nächste Whisky?«

Nach anderthalb Stunden hatte Cordes dreiunddreißig Dollar gewonnen – und der Falschspieler Gabbott ebenso viel verloren. Er war einfach nicht gut genug, nicht geschickt genug, den Handelsvertreter zu schlagen. Seine Tricks fielen unter den Tisch, und als er einmal eine doppelte Mische vornehmen wollte, schüttelte Cordes nur den Kopf und führte sie ihm besser vor.

Als er siebenundvierzig Dollar an den Fremden verloren hatte, zitterten Gabbott die Hände.

»Kommen Sie, bleiben wir auf dem Teppich«, sagte Cordes.

»Ich setze den doppelten Topf.« Das bedeutete: Das Doppelte von dem, was Cordes gewonnen hatte.

Cordes schüttelte nur den Kopf. »Nein, Kumpel. Wir wollen es genug sein lassen. Ich habe ein paar Bucks gewonnen, Sie ein paar verloren. Es wird keinen von uns ändern.«

Da wurde die Tür zur Straße aufgedrückt, und ein ungeschlachter Mensch schob sich in den Schankraum. Er war groß, breitschultrig und hatte ein Gesicht, das aussah, als wäre es mit der Axt aus Hartholz geschlagen worden. Pulvergraue Augen lagen in tiefen Höhlen, das Haar war dunkel, und seine Kleidung erinnerte an die Tracht der Cowboys. Was an ihm auffiel, war die Tatsache, dass er an jeder Hüftseite einen Revolver trug.